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Stille, Ekstase, Glück: Wie ich als Mönch meditieren lernte und spirituelles Tantra entdeckte
Stille, Ekstase, Glück: Wie ich als Mönch meditieren lernte und spirituelles Tantra entdeckte
Stille, Ekstase, Glück: Wie ich als Mönch meditieren lernte und spirituelles Tantra entdeckte
eBook259 Seiten3 Stunden

Stille, Ekstase, Glück: Wie ich als Mönch meditieren lernte und spirituelles Tantra entdeckte

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Über dieses E-Book

Ein Jugendlicher in der Provinz Altbayerns: hin- und hergerissen zwischen religiöser Schicksalsergebenheit und der Entdeckung seiner Sexualität. Als der Einberufungsbescheid naht, scheint es nur eine Möglichkeit zu geben.

Aber hat Armin die richtige Entscheidung getroffen mit dem Eintritt ins Kloster? Kann der Zölibat wirklich seine Leidenschaft im Zaum halten?

Als er während des Theologiestudiums Tür an Tür mit einem umschwärmten Mitbruder wohnt, wird seine Gewissenhaftigkeit auf eine ungeahnte Bewährungsprobe gestellt. Die Ereignisse eines heißen Sommertages setzen eine Folge dramatischer Ereignisse in Gang, die Armins Leben auf unvorhergesehene Art und Weise verändern werden. Wer steht dem jungen Mönch in den finsteren Momenten innerer Zerrissenheit bei? Wer versteht Armin aus tiefstem Herzen und kann ihm einen neuen Weg weisen? Wird die katholische Kirche seinen tiefen Fall aufhalten können?

Heiliger oder Gosse, Orden oder Orgasmus, Kloster oder sexuelle Ekstase - Armin Heining erzählt in seiner ungeschönten Autobiographie packend von seinen prägenden Jugendjahren: Dem verzweifelten Ringen um ein authentisches Leben zwischen Sexualität und Spiritualität, der Hoffnung auf Heilung seelischer Verwirrungen sowie der erleuchtenden und beglückenden Erkenntnis, dass auch der verschlungenste Weg einem Plan folgt.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum18. Mai 2020
ISBN9783347050334
Stille, Ekstase, Glück: Wie ich als Mönch meditieren lernte und spirituelles Tantra entdeckte

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    Buchvorschau

    Stille, Ekstase, Glück - Armin Heining

    Kapitel 1: Begeisterung

    Noch nie habe ich mich jemandem so geöffnet wie Ulrich, Frater Ulrich eigentlich. Aber unsere vertrauten Gespräche – in seiner bescheidenen Zelle oder während unserer ausgedehnten Spaziergänge – lassen mich vergessen, dass ich es mit einem Klosterbruder zu tun habe.

    Irgendwie fliegen mir die Worte nur so zu, und es scheint das Natürlichste auf der Welt, mich einfach auszusprechen. Schlichtweg aussprechen zu wollen, was mich aufhält, blockiert, festhält, zum Stillstand und in die Erstarrung zwingt. Vielleicht komme ich ja mit meiner Situation besser zurecht, wenn ich endlich beschreibe, wie es in meinem Leben wirklich zugeht.

    »Eher vertraue ich mich dem Gemeindepfarrer Ellinger an als meinem Vater«, sage ich vehement.

    Unvorstellbar, ihm von Arnulf zu erzählen und dem wiederkehrenden Albtraum, der mich schon so viele Jahre heimsucht. Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie mein strenger Vater reagieren würde, wenn er alles wüsste.

    »Pfarrer Ellinger hört mir zu, wertet nicht. Er ist einfach modern und offen«, schließe ich nachdenklich. »Und er nimmt mich an, wie ich bin. Ich muss mich nicht rechtfertigen«, füge ich schnell einen ganz wichtigen Aspekt noch hinzu.

    »Sollte ein wahrer Priester nicht so sein?« Frater Ulrich blickt mich ernst an.

    »Absolut. Die einfühlsame und sanfte Art, in der ich Priester um mich herum erlebe, war mir schon immer sympathisch. Das hat mich, glaube ich, schon früh beeindruckt. Sicher ist auch das ein Grund, warum ich gerne selbst Priester wäre. Im Allgemeinen wird ihnen Respekt entgegengebracht; während des Gottesdienstes stehen sie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Auch sonst werden Kaplan und Pfarrer von den Menschen in unserer Stadt wertgeschätzt. Ihnen haftet einfach etwas Besonderes an, finde ich.«

    »Ich verstehe vollkommen, was du sagen willst: Geistliche ragen aus der Gesellschaft hervor und scheinen besonderes Ansehen zu genießen – qua Amt«, sagt Ulrich.

    »Wie du habe ich mich oftmals in der Kirche eher erwünscht gefühlt als in meinem eigenen Elternhaus.« Er spricht mir aus der Seele.

    »Meine Mutter führt zu Hause energisch das Wort, mein Vater bleibt still im Hintergrund. Da gab’s oft Spannungen.«

    »Bei mir zu Hause steht eher Hochspannung auf der Tagesordnung«, kontere ich.

    »So schlimm?«

    »So schlimm!«, bestätige ich energisch und erzähle frei von der Leber weg: »Mein Vater ist furchtbar jähzornig und autoritär, auch wenn er sich nach außen hin freundlich gibt.«

    Tief atme ich durch. »Bekannten hilft er bei der Steuererklärung und ist auch sonst bei Problemen für sie da. Weil er beim Finanzamt arbeitet, kennt er sich mit Steuern und Behörden aus. Aber zu Hause ist er uns gegenüber meistens schlecht gelaunt.«

    Ulrich wirkt betroffen.

    »Ja, ich habe das Gefühl, dass mein Vater den Druck und Zwang, den er in seiner eigenen Kindheit erlebte, einfach an mich weitergibt. Ich muss zu Hause funktionieren, auch wenn es meinem Empfinden widerspricht.«

    »Magst du ein Beispiel erzählen?«

    »Jeden Samstag ruft er vor dem Mittagessen: ›Armin! Schuhe putzen!‹«

    Ich imitiere Vaters strengen Ton.

    »Auch noch heute?«

    »Auch noch heute. Auch wenn ich jetzt sechzehn bin und gerade etwas anderes mache.«

    Über dieses samstägliche Ritual mit einem Außenstehen zu sprechen, macht mir nicht nur die Absurdität dessen bewusst, sondern erinnert mich auch an die Ausweglosigkeit, die ich empfinde: »Mich zu weigern, ist zwecklos. Mein Vater duldet keinen Widerspruch.«

    »Oh, das kenne ich von meiner Mutter«, nickt Ulrich. »Kompromisse sind ihr vollkommen fremd. Ihr Wille ist Gesetz.«

    »Früher war das aber noch schlimmer als heute. Auf der Treppe vor unserer Haustür wartete er ungeduldig auf mich. Ich musste im Eiltempo alle Schuhe der Familie aus der Küche nach draußen bringen und ordentlich vor der Tür aufstellen. Mit unseren Schmutzbürsten befreiten wir jeden einzelnen Schuh akribisch vom Straßenstaub. Auch während des Putzens ließ er mich keinen Moment aus den Augen und kommentierte alles. ›Zieh keine Schnute!‹, fuhr er mich barsch an, wenn ich lustlos wirkte. Und wenn ich nicht schnell genug vorankam, schrie er: ›Geh weiter, stell dich nicht so an!‹«

    Ermuntert durch die Parallelen in unseren Familiengeschichten werde ich offener.

    »Folgte ich immer noch nicht, wie er wollte, warf er die Schmutzbürste nach mir. Im zweiten Arbeitsschritt mussten wir die Schuhe sorgfältig einfetten, um sie im Anschluss auf Hochglanz zu polieren. ›Das kannst alleine machen!‹, hieß es dann. Und so saß ich immer wieder samstags vor unserer Haustür und wienerte Schuhe, während meine Spielkameraden fröhlich herumtollten.«

    »Das ist natürlich demütigend. Gerade auch noch vor deinen Freunden.«

    Ja, genau so fühlen sich diese Samstage an: demütigend. Obwohl wir uns kaum kennen, spricht Ulrich mir aus der Seele.

    »Das Schlimmste kommt zum Schluss. Abschließend nahm mein Vater alle geputzten Schuhe gründlich unter die Lupe. Davor fürchtete ich mich am meisten: Waren sie nicht blitzblank, setzte es Prügel – vor allen anderen. Dann schämte ich mich und musste weinen. Und weil ich weinte, sperrte er mich ins Bad ein.«

    »Oh weh. Was für eine schlimme Erfahrung!«

    Ulrichs offenkundige Betroffenheit führt mir noch deutlicher vor Augen, wie wenig Verständnis ich zu Hause bekomme.

    »Und ich kann mir vorstellen, dass es auch keinen Zweck hat, mit deinem Vater zu sprechen, nicht wahr? Wer sich autoritär gibt, glaubt natürlich auch, immer im Recht zu sein. Ist doch so, oder?«

    Ich nicke stumm. Mit bemerkenswertem Scharfsinn bringt er meine Familienverhältnisse auf den Punkt.

    »Leider geht es in vielen Familien so zu: Eltern sehen manches anders als ihre Kinder und dieser Standpunkt wird um jeden Preis verteidigt. Aufbegehren ist zwecklos.«

    Schildert er gerade eigene Erfahrungen? Sie kommen meinen jedenfalls sehr nah.

    »Manchmal fühle ich mich nur ausgebrannt. Und vollkommen allein, auf verlorenem Posten.«

    »Ich weiß, wovon du sprichst. Aber was ist mit deinem älteren Bruder? Steht er dir zur Seite?«

    »Kann ich nicht behaupten. Ich bin trotz Geschwistern einsam. Meine Schwester ist zehn Jahre jünger. Mein Bruder ist drei Jahre älter und versucht, auf seine Weise zurechtzukommen. Er hat ganz andere Interessen als ich. Er verbringt lieber Zeit mit unserer Schwester oder seiner Freundin als mit mir. Außerdem ist er wesentlich besser in der Schule als ich. Wirklich viele Gemeinsamkeiten haben wir nicht.«

    »Hat deine Mutter denn Verständnis? Wie verstehst du dich mit ihr?«

    Gute Frage. Meine Mutter ist ein ganz eigener Fall, denke ich.

    »Besser als mit meinem Vater, irgendwie.« Ich zögere: »Weil sie mich schon mehr oder weniger aufbaut, wenn ich mich zurückgesetzt fühle, kraftlos bin.«

    Ich nehme einen tiefen Atemzug.

    »Aber wenn sie an Migräne leidet, ist ihre Unterstützung vorbei. Dann braucht sie absolute Ruhe und will nur noch für sich sein. Und ich bin buchstäblich mutterseelenallein und ohne Halt, als gäbe es sie gar nicht.«

    »Das ist natürlich belastend.« Frater Ulrich nickt.

    Weil er mir ein guter Zuhörer ist, drängt es mich, weiter zu erzählen.

    »Und meine Mutter ist doch tatsächlich einmal mit dem Kochlöffel hinter mir hergekommen!«

    »Was, wirklich?«

    Ungläubig sieht er mich an.

    »Ob du’s glaubst oder nicht: Eines Tages spielte ich mit meinen Freunden nach der Schule an einem Bach in der Nähe unseres Hauses. Plötzlich gab es nichts Wichtigeres als an der Mauer hochzukraxeln, die neben der Böschung aufragte. Natürlich vergaßen wir, wie spät es geworden war. Nur meine Mutter hatte die Uhr stets im Blick. Aus heiterem Himmel stand sie mit einem Kochlöffel in der Hand oben an der Mauer und schrie: ›Das Mittagessen ist seit Stunden fertig! Ich warte auf dich und du treibst dich herum! Ich habe Angst und zermartere mich vor Sorgen – und was machst du?!‹ Natürlich war es mir peinlich, vor meinen Freunden so gescholten zu werden. Ich wollte mich entschuldigen. Aber sie hörte überhaupt nicht zu, sondern schwang den Kochlöffel, als ob sie mich schlagen wollte. Dann trieb sie mich – mit drohendem Löffel – den ganzen Weg nach Hause vor sich her, als wäre ich ein Stück Vieh auf dem Weg zurück in den Stall. Später, als sie sich auf das Sofa legte, stellte sich heraus, dass sie wieder unter heftiger Migräne litt. Eigentlich hatte sie sich ausruhen wollen; aber stattdessen musste sie hinter mir herrennen, weil ich wieder nur an mich gedacht hätte. Sie hätte mehr Rücksicht von mir erwartet, ließ sie mich wissen.«

    »Oh, das kenne ich. Das klingt ganz nach dem strengen Regiment meiner Mutter. Ich habe auch viel unter ihrem launischen Verhalten leiden müssen. Mit Kritik und Tadel war sie immer sehr schnell zur Stelle. Ihre Anerkennung oder ein Lob schien ich mir nie verdient zu haben.«

    Sein Blick schweift gedankenverloren in die Ferne.

    »Genau!«, rufe ich laut.

    »Manchmal frage ich mich, ob meine Eltern überhaupt etwas von mir halten. Jedenfalls habe ich nicht den Eindruck, ihnen zu genügen. Meiner Mutter bereite ich zu häufig Kummer und von meinem Vater befürchte ich immer, dass er mir mein sonniges Wesen am liebsten austreiben würde.«

    Bei dem Gedanken von meinem Vater nicht so geliebt zu werden wie ich bin, treten mir Tränen in die Augen.

    »Hältst du es für möglich, dass deine Eltern trotzdem das Gute in dir sehen?«, fragt er leise.

    »Das kann ich mir kaum vorstellen«, stelle ich nüchtern fest.

    Erst das Läuten der Glocke reißt mich aus jenem Schweigen mit Ulrich, das unsere Gespräche immer wieder begleitet. Mittlerweile komme ich immer besser mit der Tatsache zurecht, tagsüber sieben Mal von der Glocke zu unserem Gottesdienst und Gebet gerufen zu werden.

    ›Zu unserem Gottesdienst.‹ Als sei ich schon einer von ihnen. Dabei bin ich hier im niederbayerischen Kloster Metten nur zu Besuch. Sechs Tage auf Probe – und dann mal sehen.

    »Warum besuchst du eigentlich in deinen Weihnachtsferien unser Kloster?«, lautete folgerichtig eine von Ulrichs ersten Fragen.

    »Weil ich mir schon sehr lange gewünscht habe, besonders die Zeit um Weihnachten abseits der häuslichen Langeweile zu erleben«, entfährt es mir überraschend ehrlich.

    »Insgeheim möchte ich überhaupt noch mehr Zeit in der Anwesenheit Gottes verbringen, im Gebet die Zwiesprache mit ihm suchen. Um die Weihnachtszeit bis zum 6. Januar wünsche ich mir jetzt mehr stille Andacht und Abkehr von der Welt. Meine Eltern haben für die Familie andere Pläne. Es passt eben nicht.«

    »Hm.« Ulrich nickt nachdenklich.

    »Das kann ich nachvollziehen. Wenn niemand da ist, der deinen Wunsch nach der Nähe Gottes teilt, macht das einsam.«

    Ich hätt’s nicht besser formulieren können.

    »Stimmt genau. Nur versteht das in meiner Familie niemand. Wenigstens habe ich mit meinem Beichtvater Glück: Ihm kann ich mich bedenkenlos anvertrauen; er weiß immer einen klugen Rat und …«

    »… und er hat dich auf Klöster aufmerksam gemacht«, bringt Ulrich meine Erzählung auf einen knappen Punkt.

    »Hat er. Weil ich ihm erzählt habe, dass ich auf der Suche nach Gemeinschaft bin, in der ich mit meiner Sehnsucht nicht alleine bin. Kirchenbesuche sind mir zu wenig, zu kurz, zu flüchtig, bleiben nur an der Oberfläche.«

    »Wieso hast du dich für uns entschieden? Es gibt einige andere Klöster im Umkreis: Schweicklberg, Niederalteich, Plankstetten, Beuron, Weltenburg.«

    »Ich bin ein praktischer Mensch, Metten ist am nächsten«, entgegne ich trocken.

    Wir sehen uns an und müssen beide lachen.

    »Aber du merkst ja, dass dein praktischer Verstand nicht die verkehrteste Entscheidung für dich getroffen hat: der Benediktinerorden ist dem Gebet verpflichtet, aber auch der Welt zugewandt – im Gegensatz zu den strengen, kontemplativen Ordensgemeinschaften.«

    »Diese Ausgewogenheit mag ich. Sie klingt ja auch in eurem Motto, also dem Motto der Benediktiner an: ›Ora et labora‹.«

    »Unser Dienst ist es Gott zu loben. Die Arbeit der Mönche ist das Gebet, selbst wenn wir essen, ist das Gottesdienst.«

    Mit einer Ehrfurcht, die ich selten an mir erlebt habe, antworte ich: »Ihr seid nicht zu radikal, das Pendel schwingt in keine Richtung zu weit. Dieses rechte Maß, diese innere Ausgewogenheit suche ich auch für mich selbst.«

    »Kommt Zeit, kommt Rat«, antwortet Ulrich mit einem freundlichen Lächeln. »Du bist noch jung, das wird schon.«

    Ich bin zu jung – erst sechzehn Jahre – um eine endgültige Entscheidung jetzt gleich treffen zu dürfen. Erst muss ich das Abitur haben, dann darf ich um Aufnahme in diese Gemeinschaft bitten. Aber schon jetzt spüre ich den starken Einfluss des ›Klosters auf Zeit‹.

    Zu Hause in Cham stehe ich zwar für meine Verhältnisse auch zeitig auf, um vor der Schule noch die Frühmesse zu besuchen, was mir sehr wichtig ist. Aber hier beginnt der Tag bereits um vier Uhr vierzig. Das ist gewöhnungsbedürftig. Richtig wach bin ich noch nicht, wenn ich gemeinsam mit den Mönchen das erste Gebet spreche.

    Überhaupt die Gebete – morgens, mittags, abends nebst Dankgesängen nach Mittag- und Abendessen. Jeweils verschiedene Gesangbücher: dickes Gesangbuch morgens und abends, ein schmales zum Mittag. Die Sprache wechselt: Mittagsgebet auf Deutsch, die anderen in lateinischer Sprache. Das ist verwirrend. Aber ich weiß Ulrich an meiner Seite, der mir geduldig Auskunft gibt.

    Kurz nach meiner Ankunft musste ich gleich ins kalte Wasser springen, weil das Abendgebet bevorstand und ich von nichts eine Ahnung hatte. Denn der Klosterritus hat wenig mit dem Gottesdienst in meiner Stadtpfarrkirche gemein.

    »Meinst du denn, dass ich mich zurechtfinde? Ich will ja auch nichts falsch machen.« Nicht, dass ich die Abläufe durcheinanderbringe oder so.

    »Folge mir einfach und mach mir alles nach. Du wirst am äußersten Platz im Chorgestühl stehen. Zuerst singen wir vier lateinische Psalmen«, antwortete Ulrich beruhigend.

    Wenn er wüsste: auch noch Latein! Das Schulfach, das mir am meisten zuwider ist.

    Ulrich schlug das Antiphonale auf, einen dicken, ledergebundenen Wälzer, und zeigte mir anhand der farbigen Lesezeichen die unterschiedlichen Gesänge.

    »Dann setzen wir uns und hören aus der Heiligen Schrift. Danach singen wir das Magnificat wieder im Stehen. Es ist der feierliche Höhepunkt des kirchlichen Abendgebets, der täglich wiederkehrende Lobgesang Mariens.«

    Die entsprechende Seite war mit einem lilafarbenen Band gekennzeichnet.

    Punkt achtzehn Uhr war es dann so weit. Erstmals stand ich mit den Mönchen im Halbrund des Chorraumes hinter dem Hochaltar der barocken Abteikirche. Im Gegensatz zu den kalten Gewölbegängen im gleichen Stockwerk ist die Apsis stets geheizt und wohlig warm. Das dunkle Chorgestühl mit seinen aufwendigen Schnitzereien bildet einen Halbkreis mit Blick auf das kunstvolle geschnitzte Lesepult des Kantors. Über den klappbaren Sitzen ist ein kleiner Vorsprung für das Steißbein; eine spürbare Entlastung für den Körper während des langen Stehens. Frater Ulrich wies mir den für mich reservierten Sitzplatz ganz außen in der Stuhlreihe zu.

    Auf den ersten Schlag der Glocke setzte das zarte Spiel der Orgel ein. Hervorgehoben an der Stirnseite erklang Abt Bertholds hohe Stimme: »In nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti.«

    Mit einem lang gezogenen »Amen« antworteten alle Mönche. Auf Latein sang ich mit ihnen das kirchliche Abendgebet. Ich beobachtete den Mönch neben mir ganz genau, um mir abzuschauen, wann ich mich verneigen oder mich aufrichten sollte, wann ich sitzen, stehen oder knien musste.

    Den größten Eindruck auf mich macht aber das außerordentliche Zeremoniell, das den Auszug der Mönche aus dem Chorraum zum Speisesaal begleitet: Wenn sie über die Schwelle des Chorraumes treten, wird die große, spitz zulaufende Kapuze, die zum Mönchsgewand der Benediktiner gehört, weit über den Kopf gezogen. Tief verhüllt schreiten sie in einer Prozession durch den barocken Kreuzgang zum Refektorium. Ich hinter ihnen, zivil gekleidet, bin von diesem Bild der Weltabgewandtheit sehr beeindruckt. Erst beim Eintreten in den Speisesaal fällt die Kapuze wieder.

    Wenn ich den hell erleuchteten Raum betrete, stelle ich mich ebenso wie die anderen Mönche hinter meinen Platz. Während die Mönche ihre gefalteten Hände unter dem schwarzen Gewand verbergen, senke ich wie sie den Kopf und lausche dem Tischgebet des Abtes. Mit einem lauten »Amen« dürfen wir uns setzen.

    Symbolisch für die Abgeschiedenheit im Kloster streifen die Mönche die Kapuzen noch einmal über. Der Blick bleibt demütig gesenkt, während das Wort aus der Heiligen Schrift vorgetragen wird.

    Erst wenn die Servitoren die Suppe auftragen und die Tischlesung beginnt, nehmen sie die Kapuze wieder ab.

    Alle schweigen andächtig und blicken auf den Teller. Nur der Mönch, der mit der Tischlesung betraut ist, erhebt seine Stimme. Während wir essen, liest er zuerst aus der Bibel, später aus einem Reiseroman.

    An diesen Bräuchen hat sich seit Jahrhunderten nichts geändert: Zur immer gleichen Stunde in der immer gleichen Weise passiert jeden Tag das Gleiche. Und im Jahre 1976 bin ich auf einmal mittendrin, darf mitwirken und die Tradition fortleben lassen. Seit an Seit mit geweihten Mönchen, als gehörte ich zu ihrem Konvent. Hier einen Platz zu haben, willkommen zu sein, ergreift mich tief in meinem Herzen.

    »Wie ist dein Eindruck? Kannst du dir vorstellen, hier zu leben – oder überhaupt in einem Kloster?«

    Ulrich und ich haben soeben einen Klosterrundgang über das erstaunlich weitläufige Gelände beendet. Mit den Werkstätten und Betrieben, der eigenen Stromgewinnung ist es so gut ausgestattet wie ein kleines Dorf.

    Und das Hauptgebäude ist natürlich sowieso beeindruckend in seiner barocken Pracht: viel Gold, viele Engel, viele Verzierungen und überlebensgroße Statuen wie in der berühmten Barockbibliothek – das macht schon was her.

    Im Kloster finden sogar öffentliche Veranstaltungen statt – das habe ich gar nicht gewusst, bis Ulrich mir den Festsaal zeigt: »Hier gibt es regelmäßig Konzertabende. Wegen der hervorragenden Akustik ist er als Veranstaltungsort sehr beliebt. Auch über die Grenzen Niederbayerns hinaus.«

    Und sie schauen fern! Mit zehn rot gepolsterten Fernsehsesseln, ordentlich in zwei Reihen angeordnet, hätte ich in einem Kloster nun wirklich nicht gerechnet. Das Kloster Metten verblüfft mich immer wieder.

    Aber ist es ein Ort, an dem ich leben dürfte?

    »Mir gefällt vor allem die straffe Tageseinteilung«, antworte ich ausweichend.

    Ulrich schaut mich überrascht von der Seite an.

    »Ernsthaft? Daran stören sich die meisten Besucher. Sie hätten zu wenig persönlichen Freiraum, beklagen sie.«

    Er schnaubt verächtlich.

    »Naja, deswegen sind wir aber nicht hier«, bekräftige ich.

    »Wir?«

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