Steuerbetrug im Overseas E-Commerce als gesetzgeberische Aufgabe: Verbesserung der Kontrolle und Vereinfachung der Compliance
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Buchvorschau
Steuerbetrug im Overseas E-Commerce als gesetzgeberische Aufgabe - Jörg Brettschneider
A. Overseas E-Commerce vor dem Hintergrund abgabenrechtlicher Pflichten
Eine Vielzahl von Händlern aus Drittländern (§ 1 Abs. 2a Satz 3 UStG), vor allem Händler aus der V. R. China², und dort aus der Hauptstadt der E-Commerce-Händler Shenzhen³, bieten auf Online-Marktplätzen (E-Commerce-Plattformen) ⁴ wie Amazon und eBay Waren in den EU-Mitgliedstaaten, der USA und Australien an. Die Händler aus der V. R. China dominieren den Overseas E-Commerce.⁵ Erstens ist die V. R. China ein sehr wichtiger exportorientierter Produktionsstandort. Zweitens besitzt der E-Commerce in der V. R. China – als E-Commerce-Nation – mit den Plattformen Alibaba⁶, Taobao, Jingdong (JD.com)⁷, Weipinhui, Jumeiyoupin usw. selbst eine sehr hohe Bedeutung. Zu erwähnen ist auch der E-Commerce-Singles Day am 11.11. jeden Jahres – double 11 –, und die Bedeutung von WeChat als Kommunikationsmittel und Verkaufs-Tool⁸. Die V. R. China hat sich eine führende Position im E-Commerce erarbeitet. ⁹ Der E-Commerce ist dort mit der erwirtschafteten Umsatzhöhe zu einem sehr erfolgreichen und dynamischen Markt geworden, der regelmäßig neue, mittels Umsatzvolumina definierte E-Commerce-Stars ¹⁰ hervorbringt. Drittens baut der chinesische E-Commerce gerade auf eine Vielzahl von Händlern auf, d.h. die Waren werden oft nicht von den Plattformen selbst geliefert, sondern von sparaten Händlern,¹¹ wodurch für eine Vielzahl von Personen und Familien ¹² unternehmerische Betätigung möglich wird.¹³ Ein nach Größe mittlerer chinesischer Händler setzt Waren im Wert von ca. 1 Mio. EUR pro Monat um. Aufgrund der Marktbedeutung der chinesischen Händler stehen sie ganz im Vordergrund der folgenden Betrachtung. Zielgruppe der Händler sind vor allem Verbraucher (B2C), denn E-Commerce ist bislang vor allem Phänomen des B2C-Handels.
Bei den Händlern mit Sitz in der V. R. China handelt es sich zum Teil um Unternehmen mit mehreren hundert Mitarbeitern. Jeder Mitarbeiter eines solchen Unternehmens betreut oft jeweils einen Account, d. h. bietet selbständig mittels einer gewählten Bezeichnung Waren an. Dadurch ist das jeweilige Unternehmen mittels einer Vielzahl von Accounts auf den E-Commerce-Plattformen aktiv. E-Commerce Unternehmen mittlerer Größe besitzen mindestens 100 Accounts. Es werden dabei einzelne Waren über die Accounts verkauft als auch Webshops auf den Plattformen betrieben, in denen wiederum die gleichen Händler unter ggfs. anderen Accounts oder andere Händler Waren verkaufen. Zum Teil sind die Accounts auch auf Strohfirmen bzw. Strohleute registriert.
In der EU ist der deutsche Markt (vor dem britischen Markt) für diese Händler am wichtigsten. Demgegenüber steckt z. B. der spanische Markt gerade in den Anfängen der Entwicklung mit positiver Aussicht. Andere mitgliedstaatliche Märkte spielen demgegenüber keine Rolle. Vor diesem Hintergrund kommt aus Perspektive der Händler mit Sitz in der V. R. China und der Plattform-Betreiber der deutschen Reaktion auf die Abgabenhinterziehungen eine ganz wesentliche Bedeutung zu. Der deusche Markt kann von den chinesischen Händlern keinesfalls ignoriert werden, wobei eine andere Frage ist, in welchem Mitgliedstaat das Fulfillment vorgenommen wird. Auch vor diesem Hintergrund kommt der Schaffung der zukünftigen deutschen Regelung zentrale Bedeutung zu.
I. Direktversand
Auf der einen Seite findet ein Direktversand von Waren von einem Drittland (vgl. § 1 Abs. 2, Abs. 2a UStG) und insbesondere der V. R. China aus an Kunden statt.¹⁴
Die Lieferzeiten betragen in der Regel mindestens 5 Tage, häufig länger. Ursache für diese Lieferzeiten ist, dass Waren zum Zwecke des Direktversandes typischerweise erst einmal gesammelt und zu einer Luftfrachtsendung zusammengestellt (konsolidiert) werden und als Sammelsendung für den Lufttransport vorbereitet werden. Der Overseas Direktversand von China nach Deutschland entspricht angesichts der Länge der Lieferzeiten damit nicht den Anforderungen des modernen E-Commerce,¹⁵ wobei zukünftig die Ansprüche in Bezug auf Schnelligkeit wahrscheinlich noch steigen werden¹⁶. Zudem stellt sich im Rahmen des Direktversands das Problem der Abwicklung von Retouren. ¹⁷ Auch gerade innerchinesischen Bedürfnissen würde diese Zeitdauer überhaupt nicht entsprechen, wobei in großen Städten z.T. eine kostenfreie Zustellung am selben Tag möglich ist.
Der Zollanmelder (vgl. Art. 4 Nr. 18 ZK¹⁸)¹⁹ ist verpflichtet, bei der Einfuhr von Waren aus einem Drittland (im Sinne des Überführens der Waren in den freien Verkehr²⁰) Zölle (Art. 201 ZK) und die Einfuhrumsatzsteuer nach nationalem Umsatzsteuersatz (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG) zu zahlen (Art. 201 Abs. 3 Satz 1 ZK, § 13a Abs. 2 UStG iVm, § 21 Abs. 2 UStG; Art. 70 MwStSystRL).²¹ Dabei stellt die Einfuhrumsatzsteuer²² den größten Betrag dar, sofern Zölle und Einfuhrumsatzsteuer überhaupt anfallen. Es ergibt sich ein großes Steuerhinterziehungspotential durch die Angabe zu niedriger Zollwerte²³ und der fälschlichen Deklaration von Waren als Sendungen mit geringem Wert (Kleinsendungen),²⁴ denn für Waren mit einem Wert von unter 150 EUR muss gemäß Art. 23 Zollbefreiungsverordnung²⁵ grundsätzlich kein Zoll, und für Waren von unter 22 EUR keine Einfuhrumsatzsteuer (§ 1a EUStBV) gezahlt werden.²⁶ Die Befreiung gilt auch dann, wenn mehrere Sendungen des Absenders an den Empfänger versendet werden²⁷ oder Waren mittels Sammelsendungen eingeführt werden, sofern jede Ware einzeln verpackt und adressiert ist. ²⁸ Derartige Gestaltungen können ihre Grenze aber im Mißbrauch gemäß § 42 AO²⁹ finden.³⁰
Es gilt aber bei Zollanmeldung seitens des Lieferers, bzw. Versenders, bzw. durch seinen Beauftragten gemäß § 3 Abs. 8 UStG als Ort der Lieferung das Inland und damit fällt auch die Umsatzsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG) an.³¹ Es ist dabei keine Voraussetzung für das Entstehen der Umsatzsteuerschuld nach § 3 Abs. 8 UStG, dass Einfuhrumsatzsteuer tatsächlich anfällt, so z. B. wenn es sich um geringwertige Waren i.S.d. § 1a EUStBV handelt.³²
Im Postverkehr (Beförderung durch die Deutsche Post AG³³) gilt der Empfänger als Anmelder (Art. 237 Abs. 2 Satz 1 ZK-DVO)³⁴ und ist damit Schuldner auch der Einfuhrumsatzsteuer (vgl. § 21 Abs. 2 UStG iVm § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG).³⁵ Die Deutsche Post AG ist berechtigt, in Vertretung des Empfängers (Art. 5 Abs. 2 ZollVG) Zollanmeldungen abzugeben, wenn die Waren nach dem ZK zu gestellen sind (Art. 238 ZK-DVO).³⁶ Andere Paketdienste handeln in Bezug auf die Anmeldung auf Grundlage rechtsgeschäftlicher Vertretung des Einführers.³⁷ Dabei können unverhältnismäßig hohe Kosten³⁸ anfallen (wie z. B. im Fall der Einschaltung der GDSK³⁹ in Höhe von 26,95 EUR pro Sendung). Der Versender kann jedoch die Übernahme der Verzollung und Einfuhrumsatzsteuerzahlung (Lieferung „verzollt und versteuert"⁴⁰ ) übernehmen und als Anmelder fungieren,⁴¹ womit gemäß § 3 Abs. 8 UStG als Ort der Lieferung das Inland gilt.
Es gilt, dass der Anmelder (vgl. Art. 4 Nr. 18 ZK) grundsätzlich eine in der EU ansässige Person sein muss (Art. 64 Abs. 2 b) ZK), die damit auch für die Zollschuld haftet.⁴² Damit soll die „Prüfbarkeit der zollrechtlichen Vorgänge und die Durchsetzbarkeit von abgabenrechtlichen Ansprüchen sichergestellt werden.⁴³ Bei nur gelegentlichen Anmeldungen kann von der Regelung befreit werden,⁴⁴ wobei das Merkmal einer „nur gelegentlichen
Anmeldung erfüllt ist, wenn weniger als 10 Anmeldungen im Jahr erfolgen⁴⁵.
II. Versand mittels Einschaltung Overseas Warehouses
1) Funktionsweise
Auf der anderen Seite werden die Waren auch bereits zum Zeitpunkt des Verkaufes in den Zielländern bzw. in anderen EU-Mitgliedstaaten gelagert und verwaltet, um eine sehr schnelle Zustellung zu gewährleisten. Die ursprüngliche Barriere der räumlichen Entfernung des Händlers zu den Käufern wird damit aufgehoben. Ermöglicht wird dieses Angebot durch Overseas Warehouses (so die gängige Bezeichnung in der V. R. China auf Englisch⁴⁶) bzw. durch Fulfillment-Dienstleister⁴⁷, die die Waren nach dem Verkauf über E-Commerce-Plattformen wie Amazon oder eBay⁴⁸ oder Rakuten vom Mitgliedstaat aus, in dem der Verbraucher wohnt, bzw. von einem Nachbarland aus im Auftrag der Händler versenden.⁴⁹ Vor dem Hintergrund der sich damit eröffnenden Möglichkeiten wird der Aufbau von Overseas Warehouses im Ausland durch die chinesische Regierung im Rahmen der „One Belt and one Road-Strategie⁵⁰ („Neue Seidenstraße
⁵¹) ausdrücklich unterstützt.⁵²
Das Leistungsangebot chinesischer Service-Anbieter (wie z. B. das Leistungsangebot der BFE Corp. Ltd., Hong Kong/Guangzhou) bezieht sich dabei auch auf Importabwicklungen für chinesische Händler und Fulfillment über von ihnen selbst initiierte Gesellschaften. Es handelt sich damit um ein Komplettpaket. Chinesische Händler zahlen dafür an chinesische Dienstleister sehr oft Pauschalpreise für den Transport und Import und damit auch zur Abgeltung der Einfuhrabgaben nach kg (!). Gängig sind zurzeit für ein Komplettpaket 4 EUR pro kg. bei Beförderung mittels Luftfracht.⁵³ Fulfillment-Dienstleister wie Amazon⁵⁴ sind hingegen an der Importabwicklung und der umsatzsteuerrechtlichen Compliance (im Sinne der Erfüllung der umsatzsteuerlichen Rechtsvorschriften als Teil der Tax-Compliance⁵⁵) ausdrücklich nicht beteiligt.⁵⁶
Wenn chinesische Dienstleister involviert sind, spalten diese ihre Aktivitäten auf verschiedene Gesellschaften auf. ⁵⁷ Es existiert eine chinesische Gesellschaft, die die Verträge mit den Händlern schließt und die Einnahmen generiert. Die Lager in den Zielländern werden durch weitere Gesellschaften betrieben.⁵⁸ Es kann sich um Tochtergesellschaften handeln oder um Gesellschaften, deren Anteile über Strohleute gehalten werden. Als zollrechtliche Anmelderin der Waren⁵⁹, die persönlich u.a. für die Richtigkeit der Angaben haftet (Art. 199 Abs. 1 ZK-DVO)⁶⁰ und Schuldnerin der Einfuhrabgaben ist⁶¹, kann eine weitere Gesellschaft auftreten⁶² (als Anmelder/in muss wie angedeutet eine in der EU ansässige Person agieren, vgl. Art. 4 Nr. 2 ZK). Der Nachweis, wer wirklich hinter den Geschäften steckt, ist aufgrund dieser Verschachtelung problematisch und kann staatliches Einschreiten erheblich erschweren.⁶³ Grafisch lässt sich das mögliche Zusammenspiel der verschiedenen Gesellschaften wie folgt visulisieren:
2) Rechtliche Pflichten der Händler
Bei einer Lagerung der Waren in Deutschland (wie es bei der Inanspruchnahme von Fulfillment-Dienstleistungen in Deutschland der Fall ist) und dem Verkauf an einen Empfänger in Deutschland sind die Händler neben der Entrichtung von Zöllen (Art. 201 ZK) und Einfuhrumsatzsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG) zusätzlich verpflichtet, die Umsatzsteuer zu zahlen. Der Umsatz wird im Inland ausgeführt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG)⁶⁴, da der Ort der Leistung das Inland ist (§ 3 Abs. 6 Satz 1 UStG).⁶⁵ Es ist eine deutsche Steuernummer erforderlich. Die gezahlte Einfuhrumsatzsteuer kann dann als Vorsteuer geltend gemacht werden (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG).⁶⁶ Die Waren können auch in einem anderen Mitgliedstaat (z. B. Polen oder Tschechien) gelagert werden und von dort aus nach Deutschland versendet werden. Die Angabe „Artikelstandort: Frankfurt/Oder" deutet dabei darauf hin, dass sich die Waren in einem Warehouse jeneits der Grenze in Polen befinden. Bei Überschreiten von Lieferschwellen (§ 3c Abs. 3 UStG) oder im Falle des Verzichts auf die Lieferschwellenwertregelung (§ 3c Abs. 3, Abs. 4 UStG) muss die Umsatzsteuer am Sitz des Verbrauchers gezahlt werden (§ 3c Abs. 1, Abs. 2 UStG; Art. 33 Richtlinie 2006/112/EG),⁶⁷ sodass auch hier ein Bestimmungslandprinzip⁶⁸ gilt. Auch in dem Land, in dem sich das Lager befindet, muss eine umsatzsteuerliche Registrierung erfolgen.⁶⁹ Es steht aber oft vorher noch gar nicht fest, in welchem Mitgliedstaat Artikel gelagert werden. Es kann auch der Fall gegeben sein, dass vom Fulfillment-Dienstleister für Händler A identische Waren des Händlers B versandt werden, z. B. weil die Waren des Händlers B in einem Lager liegen, das eine schnellere Belieferung erlaubt.⁷⁰ Dabei kann sich das Lager, von dem aus geliefert wird, in einem anderen Mitgliedstaat befinden ⁷¹, was zu zusätzlichem, ganz erheblichem Aufwand in Bezug auf die umsatzsteuerrechtliche Compliance führt.⁷²
Tatsächlich wird die Umsatzsteuer oft nicht gezahlt. Kunden erhalten oft auch nicht einmal eine Rechnung⁷³, wobei die Rechnungsstellung mit dem Ausweis der Umsatzsteuer nicht bedeutet, dass diese auch abgeführt wird. Es bleibt dann bei der Zahlung der typischerweise viel zu niedrig angesetzten Einfuhrumsatzsteuer.
III. Quantitative Bedeutung der Abgabenhinterziehungen und Folgen
Es handelt sich bei Hinterziehung von Abgaben durch Händler aus Drittstaaten um ein Problem sehr großen Ausmaßes. Der Bundesrechnungshof spricht im Zusammenhang mit dem Angebot von Internetleistungen (womit wohl digitale Dienstleistungen gemeint sind) von einer „Steueroase Internet".⁷⁴ Es wird in Deutschland im Overseas E-Commerce mit Abgabenhinterziehungen in Höhe von 800 Mio. EUR bis 1 Mrd. EUR pro Jahr gerechnet. ⁷⁵ Zum Vergleich soll