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Toolbox für Digital Business: Leadership, Geschäftsmodelle, Technologien und Change-Management für das digitale Zeitalter
Toolbox für Digital Business: Leadership, Geschäftsmodelle, Technologien und Change-Management für das digitale Zeitalter
Toolbox für Digital Business: Leadership, Geschäftsmodelle, Technologien und Change-Management für das digitale Zeitalter
eBook1.312 Seiten10 Stunden

Toolbox für Digital Business: Leadership, Geschäftsmodelle, Technologien und Change-Management für das digitale Zeitalter

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Über dieses E-Book

Dieses Buch liefert wichtige Guidelines für die Digitale Transformation und zeigt auf, wie insbesondere etablierte Unternehmen sich abzeichnende Chancen und Risiken nicht nur frühzeitig erkennen, sondern auch systematisch für ihre strategische Weiterentwicklung nutzen können. Neue Technologien, neue Projektmanagement-Werkzeuge, neue Führungsideen, neue Geschäftsmodelle, neue Organisationskonzepte etc. stehen zur Verfügung, die von den Start-ups ganz natürlich von Beginn an genutzt werden. In den etablierten Unternehmen bedarf es dagegen eines umfassenden Change-Managements, um diese neuen Möglichkeiten möglichst früh und häufig auch sehr umfassend zu erschließen. Die Toolbox für Digital Business hilft Ihnen, zum aktiven Gestalter der Veränderungen zu werden.

(Fast) alles, was ein erfolgreicher CEO und CDO für eine erfolgreiche digitale Transformation benötigt: Inspiration, Best Cases, Tools und dazu noch Lesespaß!

Franz-Helmut Gerhards, CDO der DAK-Gesundheit, Hamburg

In unserer Bitkom-Studie „Last Call Germany“ haben wir Visionen präsentiert, wie sich Deutschland in Europa positionieren könnte, wenn wir konsequent handeln. In diesem Werk finden Sie wertvolle Impulse und Instrumente, um eine überzeugende Positionierung – vor allem durch unternehmerisches Handeln – zu erreichen!

Anja Olsok, Geschäftsführung Bitkom, Berlin

Der Weg zur digitalen Excellence führt nicht nur über neue Technologien, sondern erfordert visionäres Denken und eine fundierte, auf die Unternehmensphilosophie ausgerichtete Auseinandersetzung mit Kernthemen wie Leadership, Change-Management und digitalen Geschäftsmodellen. Dieses Buch bietet allen, die sich mit digitalen Transformationsprozessen in Unternehmen und Organisationen beschäftigen, praxisnah wichtige Impulse und unverzichtbare Tools und Konzepte für eine erfolgreiche Umsetzung – die Basis für nachhaltigen Unternehmenserfolg im digitalen Zeitalter.

Nicola Oudejans, Lehrgangsleitung Chief Digital Officer, MSc, Donau-Universität Krems

SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer Gabler
Erscheinungsdatum10. Aug. 2021
ISBN9783658323622
Toolbox für Digital Business: Leadership, Geschäftsmodelle, Technologien und Change-Management für das digitale Zeitalter

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    Buchvorschau

    Toolbox für Digital Business - Ralf T. Kreutzer

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021

    R. T. KreutzerToolbox für Digital Businesshttps://doi.org/10.1007/978-3-658-32362-2_1

    1. Die Welt im Umbruch

    Ralf T. Kreutzer¹  

    (1)

    Campus Schöneberg, Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin, Deutschland

    Ralf T. Kreutzer

    Email: kreutzer.r@t-online.de

    Ausführliche Informationen zu diesem Thema finden Sie in meinen Werken Kreutzer, R., Toolbox für Marketing und Management, 2018 und Kreutzer, R./Land, K.-H., Digitaler Darwinismus, 2. Auflage, 2016.

    Verschwende nie eine Krise, die Gelegenheit bietet, die Dinge zu ändern und zu verbessern.

    Winston Churchill

    Um die Herausforderungen für die Erreichung einer Digital Excellence einordnen zu können, erfolgt zunächst ein Blick auf das „big picture". Wie hat sich unsere Welt zur VUCA-Welt entwickelt? Welche Herausforderungen gehen damit einher? Welche Auswirkungen hat der digitale Darwinismus auf unsere Branche? Wie kann die Chancen- und Bedrohungslage für das eigene Unternehmen ermittelt werden? Hierzu erfolgt eine systematische Analyse der Makroumwelt anhand der PESTEL-Analyse. Es wird systematisch herausgearbeitet, welche Aspekte bei der Entwicklung einer Digital Excellence zu berücksichtigen sind.

    1.1 VUCA-Welt und digitaler Darwinismus

    The unkown is the new normal.

    Bevor wir uns intensiv mit unserem eigenen Unternehmen und dessen Weiterentwicklung in einem herausfordernden Umfeld beschäftigen, sollten wir zunächst einen Blick auf die „Großwetterlage" werfen. Schließlich bestimmt diese maßgeblich, wo und wie wir unternehmerisch heute und morgen erfolgreich agieren können. Wir müssen uns heute – als Einzelperson, als Familie, aber gerade auch als Unternehmen, als Wirtschaft, Gesellschaft und Staat – in der sogenannten VUCA-Welt bewähren. Hinter diesem Akronym verbergen sich die folgenden Inhalte, die in Abb. 1.1 zusammengeführt sind:

    ../images/468375_1_De_1_Chapter/468375_1_De_1_Fig1_HTML.png

    Abb. 1.1

    Erklärung der VUCA-Welt.

    (Quelle: Nach Braun, 2019, S. 6)

    Volatility

    Volatility beschreibt i. S. einer Unbeständigkeit die zunehmende Häufigkeit, die hohe Geschwindigkeit sowie das Ausmaß der (vielfach ungeplanten) Veränderungen, auf die sich alle Marktteilnehmer immer wieder neu einstellen müssen. Mit Volatility ist auch eine Flüchtigkeit gemeint, weil bestimmte Phänomen kurzfristig sehr viel Aufmerksamkeit erfordern und anschließend schnell wieder in der Versenkung verschwinden.

    Eine Volatility zeigt sich auch bei der Schwankungsbreite der Öl- und Goldpreise sowie bei den Aktienkursen. Ein Beispiel hierfür liefert der Dow-Jones-Aktienindex. Der 1884 gebildete Index benötigte mehr als 100 Jahre, um erstmals den Wert von 10.000 Punkten zu überschreiten. Die Wegstrecke von 20.000 zu 30.000 Punkten wurde dagegen in weniger als vier Jahren zurückgelegt. Der DAX stiegt im November 2020 um 15 % und zeigte damit eine bisher nie erreichte Wachstumsdynamik. Solche Entwicklungen widersprechen vielen früher geltenden Gewissheiten. Derartige Veränderungsdynamiken werden nicht mehr verschwinden!

    Uncertainty

    Mit Uncertainty ist die Unsicherheit gemeint, durch die eine Vorhersagbarkeit von Ereignissen und deren Effekten sowohl im privaten wie auch im beruflichen Leben immer geringer wird. Noch vor Kurzem wurde von den „Spezialisten eine Dollar-Euro-Parität vorausgesagt – und ein Ende des Höhenflugs des Goldpreises prognostiziert. Es ist ganz anders gekommen. Dies gilt auch für Vorhersagen dazu, welche Kraft die „Checks and Balances (zu verstehen als Gewaltenteilung) in den USA aufweisen, um auch einen irrlichternden Präsidenten zu mäßigen.

    Complexity

    Die Komplexität bezieht sich auf die zunehmende Anzahl von Verknüpfungen und Abhängigkeiten, welche fast alle Lebens- und Arbeitsbereiche schwerer durchschaubar machen. Die Aussage „everything goes" verdeutlicht dieses Phänomen. Gleichzeitig gilt, dass immer mehr mit immer mehr verbunden wird. Hier ist an das Internet of Everything sowie an grenzüberschreitende Wertschöpfungsketten zu denken. Ein anderes Beispiel ist die schier unüberschaubare Anzahl von Tools, die einem Marketingmanager heute zur Verfügung stehen und deren Relevanz jeweils zu prüfen ist.

    Ambiguity

    Die Ambiguität beschreibt die Mehrdeutigkeit von Fakten und Sachverhalten, die eine korrekte Interpretation und darauf basierende Entscheidungen immer schwerer macht. Diese Mehrdeutigkeit ist auch der Nährboden für alle möglichen Verschwörungstheorien – so abstrus diese bei einer faktenbasieren Analyse auch aussehen mögen. Mit Mehrdeutigkeit sind hier allerdings nicht die euphemistisch „alternativen Fakten" genannten Aussagen gemeint; denn bei diesen handelt es sich ganz einfach nur um widerlegbare Lügen!

    Hieraus ergibt sich die folgende Herausforderung für alle Unternehmen: Paradigmen aus der Vor-VUCA-Welt müssen zunehmend überwunden und durch Paradigmen der VUCA-Welt ersetzt werden. Welche Schritte hier von Unternehmen exemplarisch zu gehen sind, zeigt Abb. 1.2.

    ../images/468375_1_De_1_Chapter/468375_1_De_1_Fig2_HTML.png

    Abb. 1.2

    Etablierung neuer Paradigmen für das Bestehen in der VUCA-Welt

    Allerdings erfordert die Überwindung bisher gültiger Paradigmen eine umfassende Analyse des Umfeldes, in denen Ihr Unternehmen aktiv ist. Bei dieser Analyse können wir auf bewährte Methoden setzen, um den Prozess strukturiert durchzuführen. Dafür bietet sich zum Einstieg die PEST- bzw. die PESTEL-Analyse an, die in Abschn. 1.2 vertieft wird.

    Hierbei gilt: Viele Veränderungen kommen evolutionär daher. Doch ihre Auswirkungen haben oft revolutionäre Ausmaße. Unternehmen, die diese Effekte nicht früh genug erkennen, werden nicht überleben! Welche Gefahren mit einer Fehleinschätzung der Auswirkung neuer Technologien einhergehen, zeigt Abb. 1.3. In der ersten Zeit nach dem Aufkommen einer neuen Technologie stellt sich häufig eine Enttäuschung ein, weil die vermeintliche Wunderwaffe doch kein Alleskönner ist. Wenn man schon damit arbeitet, leidet ggf. der weitere Elan – oder man fängt aufgrund vermeintlicher Misserfolge gar nicht erst an. Später kann dann Stress aufkommen, wenn das wirkliche Potenzial für die handelnden Personen sichtbar wird, während man selbst sich noch nicht mit einer solchen Technologie beschäftigt. Diesen Stress gilt es durch proaktives Handeln zu vermeiden.

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    Abb. 1.3

    Enttäuschung und Stress – ausgelöst durch neue Entwicklungen

    Eine fundierte Analyse der sich abzeichnenden Veränderungen ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Unternehmen nicht dem digitalen Darwinismus zum Opfer fallen. Was ist damit gemeint – und warum wird Charles Darwin in diesem Kontext bemüht? Als Darwinismus wird der Auswahlprozess bezeichnet, der sich ganz automatisch einstellt, wenn – in diesem Falle – Unternehmen, aber auch Industriezweige und ganze Nationen sich den veränderten Rahmenbedingungen nicht schnell genug anpassen und deshalb vom Markt „aussortiert" werden. Da im digitalen Zeitalter vor allem digitale Technologien die etablierten Unternehmen herausfordern, ergibt sich der Begriff des digitalen Darwinismus (vgl. grundlegend Kreutzer & Land, 2016).

    Beim digitalen Darwinismus gilt auch kein „Too big to fail" – mit Ausnahme der wenigen systemrelevanten Unternehmen, wie bspw. große Banken und Versicherungen. Der durch die Digitalisierung verursachte gnadenlose Auswahlprozess hat auch vor Unternehmen wie Quelle und Neckermann, Kodak, Toys „R" Us, Thomas Cook, Financial Times Deutschland, Brockhaus, Encyclopedia Britannica und vielen tausend anderen Unternehmen nicht Halt gemacht. Und der Selektionsprozess nicht überlebensfähiger Geschäftsmodelle läuft gnadenlos weiter!

    Der Bezug zu Charles Darwin wurde hergestellt, weil dieser in seinem zentralen Werk Über die Entstehung der Arten (im Original The Origin of Species) bereits 1859 einen wichtigen Punkt herausgearbeitet hat: Es sind weder die Stärksten einer Art, die überleben, noch die Intelligentesten. Es sind vielmehr diejenigen, die sich einem Wandel am besten anpassen können (vgl. Darwin, 1859).

    Der digitale Darwinismus zwingt immer mehr Unternehmen und Branchen einen Überlebenskampf auf. Nur wer die Herausforderung früh annimmt, hat die Chance, ihn zu überleben. Allerdings ist nach wie vor zu beobachten, dass eine Vielzahl von Unternehmen die Bedrohung durch den digitalen Wandel noch immer nicht verinnerlicht hat.

    Als Leser bzw. Leserin dieses Werkes gehören Sie allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu diesem Personenkreis!

    Merk-Box

    Der digitale Darwinismus setzt immer dann ein, wenn sich Technologien und die Gesellschaft schneller verändern als die Fähigkeit von Unternehmen, sich diesen anzupassen.

    In Summe kann festgestellt werden, dass nur sehr wenige Unternehmen immun sind gegen die hier wirkenden Kräfte der kreativen Zerstörung. Prognosen bzgl. der Langlebigkeit von S&P-500-Unternehmen gehen davon aus, dass sich die durchschnittliche Dauer der Zugehörigkeit eines Unternehmens zu dieser Gruppe im Laufe des nächsten Jahrzehnts immer weiter verkürzen wird. Basierend auf der Innosight-Studie betrug die durchschnittliche Zugehörigkeit zur Gruppe der S&P 500 im Jahr 1965 32 Jahre. Bis zum Jahr 2016 verringerte sich die „Verweildauer" bereits auf 24 Jahre. Aktuellen Prognosen zufolge wird die Verweilzeit eines Unternehmens in der Gruppe der S&P-500 bis zum Jahr 2030 auf nur noch 14 Jahre schrumpfen (vgl. Abb. 1.4). Dies ist ein Indikator für eine umfassende Neuverteilung der Gewichte in allen Branchen.

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    Abb. 1.4

    Durchschnittliche Lebenserwartung im S&P-500-Index – rollierender Sieben-Jahres-Durchschnitt.

    (Quelle: Anthony et al., 2018, S. 2)

    Unter Berücksichtigung der derzeitigen Abwanderungsrate werden etwa 50 % der S&P-500-Unternehmen in den nächsten zehn Jahren durch andere Unternehmen ersetzt werden. Besonders bedroht sind neben den schon sehr in Bedrängnis befindlichen Einzelhändlern vor allem die Branchen Finanzdienstleistungen, Gesundheitswesen, Energiesektor, Touristik und der Immobiliensektor. Auch die Automobilindustrie sieht sich mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert. Viele Turbulenzen deuten darauf hin, dass die Unternehmen eine doppelte Transformation durchlaufen müssen. Denn häufig wandeln sich nicht nur die Technologien, sondern – durch diese getriggert – auch die zu befriedigenden Kundenbedürfnisse (vgl. Anthony et al., 2018, S. 1 f.).

    Merk-Box

    Die Fortune 500 und der S&P 500 sind Konzepte, die von zwei verschiedenen Anbietern zur Gruppierung von US-Unternehmen erarbeitet wurden. Die Fortune 500 werden jährlich erstellt und umfassen die 500 größten Unternehmen (basierend auf Umsatzzahlen), unabhängig davon, ob sie an der Börse notiert sind oder nicht. S&P 500 ist ein Index von 500 börsennotierten Unternehmen, die vom S&P-Index-Committee ausgewählt werden.

    Ein treibender Faktor hinter dem Verdrängen und Aussortieren bisher marktdominierender Unternehmen sind die unzähligen Start-ups, die wie am Fließband gegründet und in den Markt entlassen werden. In Shenzhen habe ich im Jahr 2020 gelernt, dass in dieser Region Chinas allein 1000 Start-ups gegründet werden – pro Tag. Für jedes Start-up gilt zunächst, dass es kein „Too small to succeed" gibt. Auch wenn die überwiegende Mehrheit der Start-ups scheitert, gelingt es immer wieder einzelnen Unternehmen, entweder neue Märkte zu gründen oder bestehende Märkte zu disrupten, wie heute so schön gesagt wird. Diese Disruption hat die Zerstörung bestehender Branchen, Branchenstrukturen sowie der dort tätigen Unternehmen zur Folge. Beispiele für disruptive Unternehmen sind u. a. Amazon, Airbnb, Delivery Hero, Uber, Tesla und Zalando.

    Im Rahmen dieses Werkes geht es darum, Ihnen eine Toolbox für Digital Business an die Hand zu geben, um die im Markt und in Ihren Unternehmen vorhandene Energie zu nutzen. Durch den gezielten Einsatz dieser Werkzeuge gelingt es Ihnen, die Chancen und Risiken dieser – vor allem durch neue (digitale) Technologien forcierten – Entwicklungen nicht nur frühzeitig zu erkennen, sondern auch aktiv nutzen zu können. Besonders groß ist die hier zu meisternde Herausforderung für die etablierten Unternehmen, die eine neue Dynamik erreichen müssen, um nicht selbst dem digitalen Darwinismus zu erliegen.

    Food for Thought

    Die etablierten Unternehmen müssen hier ein Spannungsfeld meistern: Auf der einen Seite verfügen diese Unternehmen vielfach (noch) über finanzielle Ressourcen, Patente, Kundenbeziehungen, Know-how, Prozesse, Strukturen, Technologien etc. Diese Ressourcen haben die entsprechenden Unternehmen oft erfolgreich über viele Jahre und Jahrzehnte begleitet.

    Allerdings stehen heute neue Technologien, neue Projektmanagementwerkzeuge, neue Führungsmodelle, neue Organisationskonzepte etc. zur Verfügung, die von Start-ups ganz natürlich von Beginn an genutzt werden. In den etablierten Unternehmen erfordert der Einsatz solcher neuen Konzepte dagegen ein umfassendes Change-Management, um die neuen Möglichkeiten auszuschöpfen. Das bremst den Veränderungsprozess massiv und führt häufig zu einem Wettbewerbsnachteil!

    Wir dürfen uns angesichts dieser Herausforderungen nicht auf die Rolle des Beobachters zurückziehen, sondern müssen – nicht zuletzt zum Wohle von Wirtschaft und Gesellschaft – zum aktiven Gestalter der Veränderungen werden. Nur wenn wir als Unternehmen in diesem Umfeld zu den führenden Playern gehören, können wir auch unsere Gesellschaft mit ihren Werten erfolgreich verteidigen. Die Angreifer schlafen nicht!

    Die vor uns liegende Aufgabe der digitalen Transformation kann wie folgt beschrieben werden: Die digitale Transformation beschreibt einen – perspektivisch unbegrenzten – Veränderungsprozess von Institutionen mit dem Ziel, digitale Technologien in den eigenen Wertschöpfungsprozess zu integrieren, um diesen effizienter und/oder effektiver auszugestalten. Zu diesen Institutionen können private Haushalte ebenso gerechnet werden wie Unternehmen, Schulen, Universitäten, Städte, Gemeinden und ganze Nationen. Die sich durch die digitalen Technologien eröffnenden Potenziale sind zu erkennen und im eigenen Verantwortungsbereich als Manager, Wissenschaftler, Politiker, Lehrer etc. zu nutzen, um die eigene Leistungserbringung zu optimieren. Die Notwendigkeit für solche Optimierungen resultiert häufig aus den veränderten Erwartungshaltungen der eigenen Stakeholder – besonders der eigenen Kunden.

    Think-Box: Fragen, die Sie sich stellen sollten

    Wer analysiert in Ihrem Unternehmen systematisch, welche Herausforderungen der VUCA-Welt für Sie besonders herausfordernd sind?

    Halten Sie noch an den Paradigmen der Vor-VUCA-Welt fest, oder arbeiten Sie schon mit oder an den neuen Paradigmen?

    Werden in Ihrem Unternehmen regelmäßig PEST- bzw. PESTEL-Analysen durchgeführt, um die Chancen und Risiken der Makroumwelt systematisch zu ermitteln?

    Wie groß ist das Risiko, dass in Ihrem Unternehmen die Auswirkungen neuer Technologien falsch eingeschätzt werden?

    In welchem Ausmaß bedroht der digitale Darwinismus Ihr Unternehmen?

    Welche Wettbewerber sind dem digitalen Darwinismus schon zum Opfer gefallen?

    Welche werden momentan massiv bedroht?

    Wer sind die vermeintlichen Gewinner des durch digitalen Darwinismus beschriebenen Auswahlprozesses?

    Haben Sie bereits analysiert, wie sich die „Haltbarkeit" der Unternehmen Ihrer Branche im Konzept der S&P-500-Unternehmen darstellt?

    Gehören die Unternehmen Ihrer Branche eher zu den Gewinnern oder zu den Verlierern?

    Wie umfassend ist bei Ihnen ein Change-Management installiert, um die neuen Möglichkeiten auszuschöpfen?

    1.2 PESTEL-Analyse: zentrale Herausforderungen im digitalen Zeitalter

    Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben.

    Albert Einstein

    Nachfolgend werden die größten Herausforderungen analysiert, die Sie im Prozess der digitalen Transformation berücksichtigen sollten. Die aufgezeigten Entwicklungen gilt es, in Abhängigkeit Ihrer jeweiligen Branche entsprechend zu gewichten und zu berücksichtigen. Das methodische Rüstzeug hierfür stellt die PEST- bzw. die PESTEL-Analyse dar. Diese Akronyme stehen für die von Ihnen zu analysierenden Bereiche. Bei der PEST-Analyse sind dies die folgenden Faktoren:

    Political Factors

    Hier analysieren wir, wie sich die folgenden Kriterien auf einen Zielmarkt, einen potenziellen Produktionsstandort, auf unsere Lieferanten und/oder unsere gesamtes Geschäftsmodell auswirken: Stabilität und Verlässlichkeit des Regierungssystems, Veränderungen der Regierungsverantwortung, Stärke von rechts-/linksradikalen Parteien, wirtschaftspolitische Ausrichtung der Regierenden (u. a. Regelungen zur Mitbestimmung, Tarifautonomie, Förderung von Unternehmensgründungen), Wirtschaftsförderung (u. a. Subventionsgewährung), privatwirtschaftliche Handlungsfelder etc.

    Economic Factors

    Zu den wichtigsten ökonomischen Faktoren, die wir in unsere Analyse einbeziehen sollten, gehören u. a. die Höhe des Wirtschaftswachstums, die interne Preisstabilität (Inflation/Deflation), die externe Währungsstabilität (Wechselkursentwicklung), die Steuerbelastung für Unternehmen, das Zinsniveau, die Arbeitslosenquote sowie die Kaufkraft und deren Verteilung in der Bevölkerung.

    Social Factors

    Bei der Analyse gesellschaftlicher Entwicklungen sind bspw. folgende Faktoren auf ihre Relevanz für unsere Entscheidungen abzuklopfen: Bildungsniveau (u. a. Alphabetisierungsquote), Altersstruktur der Bevölkerung, Ausmaß der Berufstätigkeit, kulturelle Vielfalt, Armutsrisiko, durchschnittliche Familiengröße, Erwartungen der Gesellschaft an Unternehmen, Stellung der Frau in der Gesellschaft, Akzeptanz von Atomenergie oder Windrädern, gentechnisch veränderten Produkten und neuen Technologien. Auch die Ingoing- und Outgoing-Migration gehört zu diesen Faktoren.

    Technological Factors

    Die technische Umwelt, in der wir uns unternehmerisch bewegen, wird in hohem Maße durch die Qualität der „harten Infrastruktur (Internet, Straßen, Schienen, Flughäfen, Häfen, Energie- und Wasserversorgung) sowie der „weichen Infrastruktur (Bildungs-, Gesundheits- und Justizsystem) beeinflusst.

    In Ergänzung zu diesen Faktoren werden bei der PESTEL-Analyse zusätzlich die folgenden Faktoren analysiert:

    Ecological Factors

    Um die ökologische Umwelt auszuleuchten, können wir u. a. das Ausmaß der Umweltbelastungen (Wasser, Luft, Boden), den Ressourcenverbrauch und Recyclingquoten in den Zielländern untersuchen.

    Legal Factors

    Rechtliche Faktoren haben einen nachhaltigen Einfluss auf die Attraktivität von Ländern und Regionen und damit auf unsere Möglichkeiten, dort wertschöpfend tätig zu sein. Um einen Eindruck der Situation vor Ort zu bekommen, sind folgende Kriterien in die Analyse einzubinden: Schutz von Privateigentum (auch von geistigem Eigentum wie Patenten, Markennamen), allgemeine Rechtssicherheit (Rechtsinstitutionen; Möglichkeit, sein Recht durchzusetzen), Ausprägung von Gesetzen und Richtlinien (Kodifizierung von Regelungen durch Steuergesetze, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Preisangabenverordnung, Markengesetz, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung, Umweltschutzgesetze, Zollvorschriften, Mindestlöhne, Arbeitsstättenverordnung, Zulassungsverfahren für neue Produkte und neue Technologien etc.

    Abhängig von Ihrem Analyseziel können Sie sich auf die definierten vier oder sechs Felder der Untersuchung konzentrieren.

    Merk-Box

    Die PEST- bzw. PESTEL-Analyse stellt ein sehr hilfreiches Instrument dar, um die Makroumwelt Ihres Unternehmens systematisch zu analysieren.

    Food for Thought

    „Unser neu entdecktes Wissen führt zu schnelleren wirtschaftlichen, sozialen und politischen Veränderungen; mit jedem Versuch zu begreifen, was geschieht, beschleunigen wir die Akkumulation von Wissen, was wiederum zu noch schnelleren und größeren Umwälzungen führt. Folglich sind wir immer weniger in der Lage, die Gegenwart sinnvoll zu deuten und die Zukunft vorherzusagen!" (Harari, 2018, S. 84 f.).

    Wie lautet eine Antwort auf diese Herausforderung? Agilität!

    1.2.1 Herausforderungen durch die politischen Rahmenbedingungen

    Die Schwäche der Demokratie liegt in ihrem schwachen Willen, die Bedürfnisse des Augenblicks zugunsten der Zukunft zu unterdrücken.

    Alexis de Tocqueville

    Geht es Ihnen ähnlich? Wenn ich die Nachrichten höre, lese oder sehe, denke ich oft, dass zurzeit so viele unverantwortliche Verantwortungsträger in Amt und Würden sind wie niemals zuvor. Sie kennen alle die Personen, die weder das eigene Land noch befreundete Nationen oder gar die Welt als Ganzes bei ihren Entscheidungen im Auge haben. Vielen dieser Menschen geht es allein um den eigenen Machtbehalt und die eigenen Pfründe – gerne auch für die ganze Familie. Denken Sie an Politiker, die sich auf Lebenszeit zum Präsidenten bestimmen lassen. Andere ändern die Verfassung im Jahr 2020 so, dass sie viele weitere Amtszeiten als Präsident agieren können – bis sie 83 Jahre alt sind – und danach mit ihrer Familie lebenslange Immunität genießen.

    Wieder andere bezeichnen Corona als „leichte Grippe und nutzen den verschobenen Fokus der Weltaufmerksamkeit, um den Regenwald noch energischer zu vernichten als bisher. Der „Anführer des mächtigsten Landes der Welt verließ 2020 das online ausgetragene G20-Gipfeltreffen mit den Präsidenten, Premierministern und Kanzlern der führenden Industrienationen – um Golf zu spielen. Im Land mit den größten Erdölvorräten der Welt wird das Benzin knapp. Gleichzeitig kommt es dort zum Staatsbankrott und einer Hyperinflation, die Millionen Menschen zwingt, das Land zu verlassen.

    Ein anderer Herrscher führt seit zehn Jahren einen Krieg gegen das eigene Volk. Mehr als 400.000 Menschen kamen hier schon ums Leben. Zusätzlich haben über sechs Millionen Menschen das Land verlassen. Ähnlich viele Menschen sind innerhalb der Grenzen dieses Landes auf der Flucht. Wieder andere Herrscher prügeln nach einer verlorenen und anschließend gefälschten Wahl friedliche Demonstranten zusammen, verhaften diese und halten sie Monate lang gefangen – ohne Aussicht auf eine gerechte Verhandlung.

    Parallel wird oft der kritische Journalismus eliminiert – entweder ebenfalls durch Verhaftungen oder durch die Ermordung mutiger Journalisten. Flankierend dazu werden kritische Verlage, TV- und Rundfunkanstalten geschlossen, durch die Herrschenden übernommen oder gleichgeschaltet. Zusätzlich wird das Internet nach Belieben der Herrschenden unterbrochen, damit sich die kritischen Bürger nicht zu Protesten verabreden können. Andere Herrscher schwächen konsequent das eigene Justizsystem und richten es auf die vorherrschende Parteilinie aus.

    Andere „Verantwortungsträger" stellen den Multilateralismus und ihre Institutionen infrage, die über viele Jahrzehnte zur politischen Stabilität und zur wirtschaftlichen Prosperität von Milliarden Menschen sowie zum Frieden beigetragen haben. Jetzt wird in vielen Ländern ein starker Nationalismus geprägt und versucht, die eigene (schwache) Wirtschaft durch Einfuhrzölle vor Exporten zu schützen. Gleichzeitig werden gültige internationale Verträge gebrochen, indem bspw. die Regelungen der WTO (Welthandelsorganisation) schlicht ignoriert werden, wenn sie dem nationalen Interesse zuwiderlaufen. Zusätzlich werden Machtinteressen wieder verstärkt durch militärische Operationen durchgesetzt.

    Soll man sich vor diesem Hintergrund eher eine intensivere Zusammenarbeit zwischen den wirtschaftlichen Großmächten USA und China wünschen? Oder verspricht ein auf den Weltmärkten ausgetragener harter Wettbewerb die überzeugenderen Lösungen? Schließlich heißt es in einem Lee Kuan Yew (ehemaliger Premierminister von Singapur) zugeschriebenen Spruch sehr plastisch:

    Wenn Elefanten kämpfen, leidet das Gras. Aber wenn sie Liebe machen, leidet das Gras auch.

    Parallel hierzu werden – noch massiver als früher – Lügen als „alternative Fakten verkauft. Da dieser Prozess auch für Ihre unternehmerischen Aktivitäten extrem wichtig ist, sollen die hier zugrunde liegenden Wirkungsmechanismen kurz geschildert werden. Falsche oder zumindest irreführende Inhalte finden über das Internet – vor allem durch die „sozialen Medien und Google – sehr leicht und kostenlos eine globale Verbreitung. Die zunehmende Radikalisierung – erst in der Sprache, dann im Denken und Tun – wird durch den Einsatz von Algorithmen in den sozialen Medien konsequent gefördert.

    Diese Algorithmen verfolgen alle ein Ziel: den Nutzern immer mehr „relevante" Daten bereitzustellen. Sie forcieren ein Mehr vom Gleichen, was dazu führt, dass den Nutzern verstärkt solche Inhalte angezeigt werden, die denen gleichen, die sie bereits angeklickt haben. Wer bei Google, Facebook, Twitter & Co. immer wieder auf rechts- oder linksradikale Inhalte klickt oder solche likt, kommentiert oder weiterleitet, der wird in Kürze immer mehr gleichartige Inhalte bekommen. Irgendwann ist die Welt ganz braun, ganz schwarz, ganz grün oder ganz rot. Die anderen Farben werden weniger oder schließlich gar nicht mehr gezeigt, weil diese nach den Algorithmen der Plattformen eine geringere Wahrscheinlichkeit aufweisen, zu Engagement (Klicks, Likes, Shares, Comments) zu führen. Es entstehen die sogenannten Echo-Kammern und Filterblasen.

    Food for Thought

    Algorithmen kennen keine Individuen, sondern nur Daten. Und: Algorithmen sind niemals neutral!

    Zusätzlich steigert jedes „Mehr an Daten", das Nutzer – häufig freiwillig – an datensaugende Plattformen übermitteln, das Risiko, genau durch diese noch umfassender manipuliert zu werden. Mit jedem Klick, jedem Like, jedem Share und jedem Comment wird das Puzzle der Nutzerpersönlichkeit leichter auslesbar und folglich auch leichter manipulierbar. So entstehen durch die Filterblasen regelrechte Fake-News-Welten – in geschlossenen Milieus, in relativ homogenen Gruppen.

    Wie sich eine solche Bildung homogener Gruppen auswirkt, zeigt eindrucksvoll eine Studie. Deren Ziel bestand darin, die Verbreitung von Fake News zu erkennen. Gleichzeitig sollte ermittelt werden, ob Richtigstellungen ein geeignetes Gegenmittel bei Fake News sind. Hierzu wurden die Twitter-Daten von allen Accounts herangezogen, die zu einem bestimmten Thema etwas geschrieben hatten. Die Tweets mit Fake News wurden rot und die Tweets mit Richtigstellungen wurden blau markiert. Außerdem wurden die Accounts so angeordnet, dass sie die Vernetzungsdichte zeigen. Folgen sich Accounts gegenseitig und/oder denselben Leuten oder wird ihnen von denselben Leuten gefolgt, liegen sie nahe zusammen. Die Größe der Punkte visualisiert die Anzahl der Follower (vgl. Abb. 1.5; vertiefend Kreutzer, 2020a, S. 67–92).

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    Abb. 1.5

    Verbreitung von Fake News und Richtigstellungen bei Twitter.

    (Quelle: Seemann & Kreil, 2017)

    Statt eines großen, intensiv verwobenen Netzwerks zeigen sich hier zwei nahezu getrennte Netze. Links ist in Abb. 1.5 eine weit gestreute blaue Wolke zu erkennen. Die relativ dicht beieinanderstehenden großen blauen Punkte beinhalten u. a. Massenmedien wie Spiegel Online, Zeit Online und Tagesschau. Die blaue Wolke enthält die Accounts, die eine Richtigstellung veröffentlicht oder retweetet haben. Rechts ist in Abb. 1.5 dagegen eine konzentrierte und deutlich kleinere rote Wolke zu sehen. Die Accounts liegen auch viel enger zusammen; dies sind die Fake-News-Verbreiter. Diese sind nicht nur sehr viel intensiver vernetzt, sondern von der „Wahrheits-Wolke" fast komplett getrennt.

    Durch diese Gruppenbildung findet praktisch keinerlei Austausch zwischen Personen mit unterschiedlichen Meinungen statt – Wahrheit und Lüge bestehen in getrennten Welten nebeneinander. So verstärken sich die negativen und manipulativen Entwicklungen gegenseitig – und die Fake-News-Verbreiter fühlen sich vom Rest der Menschheit unverstanden und isoliert (vgl. vertiefend Kreutzer, 2020a).

    Food for Thought

    Haben die Betreiber der Social-Media-Plattformen ein Interesse daran, solche Entwicklungen zu unterbinden? Nein! Schließlich gilt:

    Angry people click more!

    Und die sozialen Medien leben von diesem Engagement – was auch immer es in der Gesellschaft anrichten mag.

    Wir wären keine guten Manager und Entscheider, wenn wir nicht auch in dieser aus den Fugen geratenen politischen Welt ein verantwortungsvolles Agieren sicherstellen könnten.

    Think-Box: Fragen, die Sie sich stellen sollten

    Welche Entwicklungen im politischen Bereich bringen die größten Chancen für Ihr Unternehmen mit sich?

    Welche politischen Entwicklungen gefährden die Vermarktung Ihrer Produkte und/oder Dienstleistungen?

    Gehen von politischen Entwicklungen Chancen oder Gefahren für Ihr Geschäftsmodell aus?

    Was bedeutet der Rückzug des Multilateralismus und das Vordingen eines Nationalismus für Ihre Wertschöpfungsketten?

    Welche Bedeutung müssen Sie der durch Algorithmen forcierten Demagogie beimessen?

    Wo liegt die Verantwortlichkeit für solche regelmäßig durchzuführenden Analysen in Ihrem Unternehmen?

    1.2.2 Herausforderungen durch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen

    Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung derer, die die Welt nicht angeschaut haben.

    Alexander von Humboldt

    1.2.2.1 Herausforderung China

    Die wirtschaftlichen Machtverhältnisse verschieben sich immer deutlicher. Noch führen die USA das Ranking der Industrienationen an – orientiert am Bruttoinlandsprodukt. Es ist allerdings absehbar, dass China mit einer Bevölkerung von ca. 1,4 Mrd. Menschen und einem ungebrochenen Streben nach politischer, wirtschaftlicher und auch militärischer Macht gleichermaßen in absehbarer Zeit die USA vom ersten Platz verdrängen wird. Die Ursachen hierfür liegen nicht nur in der deutlich geringeren Bevölkerungszahl der USA von ca. 330 Mio. Der Bedeutungsverlust wird auch dadurch verursacht, dass es den USA – wie leider auch Europa und Deutschland – an einem Masterplan für die nächsten Jahre fehlt. Wir haben vielfach noch nicht einmal ein Masterplänchen!

    Food for Thought

    Das letzte Mal, dass sich Europa – präziser: Teile davon – zur Etablierung eines europäischen Champions verständigt hat, war die Gründung von Airbus Industrie. Diese erfolgte im Jahr 1970! Alle Europäer wissen, was wir an diesem global agierenden Unternehmen haben: Technologie, qualifizierte Arbeitsplätze, Steuereinnahmen – und die Vermeidung eines Monopols namens Boeing!

    Im Bereich der digitalen Lösungen ist es Europa dagegen nicht gelungen, europäische Champions zu schaffen. Gibt es zumindest überzeugende Pläne dafür? Ich sehe diese eher nicht!

    Was einzelne Länder erreichen können, wenn es überzeugende Visionen und Ziele gibt, zeigt folgendes Beispiel. Es ist erst etwas mehr als 40 Jahre her, dass durch Deng Xiaoping 1978 eine Reform- und Öffnungspolitik eingeleitet wurde. Diese zielte auf wirtschaftliche Reformen und eine Öffnung der Volksrepublik China gegenüber der übrigen Welt. Wie umschrieb Deng Xiaoping seine wirtschaftliche Reformstrategie so schön:

    Es ist egal, ob eine Katze schwarz oder weiß ist – Hauptsache, sie fängt Mäuse.

    Was durch die eingeleiteten Reformen erreicht wurde, kann jeden Tag, jede Stunde, jede Minute in den Fach- und Publikumsmedien – online wie offline – festgestellt werden. Zusätzlich hat China heute etwas, was weder Deutschland noch Europa oder die USA aufweisen: einen Masterplan für die Entwicklung der Wirtschaft für die nächsten Jahre. Der Masterplan der chinesischen Regierung wurde bereits 2015 von der chinesischen Führung unter Präsident Xi Jinping unter dem Titel „Made in China 2025" beschlossen. Dort wurden die Ziele für die eigene Wirtschaft präzise definiert. China soll nicht länger die verlängerte Werkbank der Welt sein, die im Auftrag international agierender und technologischer Konzerne nur den „produzierenden Part" übernimmt.

    Der Schwerpunkt des chinesischen Masterplans liegt auf der eigenen technologischen Wertschöpfung, um China zum Hightech-Produzenten zu entwickeln und Technologie-Importe durch eigene Produkte zu ersetzen. China gibt sich bei seinen Zielen nicht damit zufrieden, bis zum Jahr 2025 nur eine Augenhöhe mit anderen Ländern zu erreichen. China arbeitet in zentralen Bereichen auf die Position des Weltmarktführers hin. Diese Führungsrolle wird in den folgenden zehn Wirtschaftsfeldern angestrebt:

    1.

    Flugzeugindustrie/Raumfahrt

    2.

    Maschinen für die Landwirtschaft

    3.

    Energieversorgung

    4.

    Energieeinsparung und E-Mobilität

    5.

    CNC-Maschinen und Roboter (inkl. Künstliche Intelligenz)

    6.

    Informations- und Kommunikationstechnologie

    7.

    Neue Materialien/Werkstoffe

    8.

    Schienenverkehr

    9.

    Maritime Ausrüstung und Hochtechnologieschiffe

    10.

    Medizintechnik

    In allen diesen Sektoren fokussiert China auch den Einsatz der KI – weil hierdurch strategische Wettbewerbsvorteile erzielt werden können. Der grenzenlose Zugriff auf den von den 1,4 Mrd. Chinesen und den Unternehmen generierten Datenstrom ist die genau die Ressource, die für eine schnelle Erschließung der KI-Potenziale notwendig ist und zu Angeboten führt, die uns auf dem Weltmarkt herausfordern werden (vgl. vertiefend Bünte, 2020).

    Welche Auswirkungen die Umsetzung des Masterplans „Made in China 2025" auf die Wirtschaft haben kann, wurde von der Bertelsmann Stiftung (2020) am Beispiel des deutschen Maschinenbaus in verschiedenen Szenarien beleuchtet. Wir sollten die dort ausgesprochene Warnung, die Bedrohung durch die Entwicklungen in China nicht zu unterschätzen, ernst nehmen!

    Food for Thought

    Ein solcher Masterplan für Deutschland bzw. für Europa fehlt seit Jahren! Statt sich auf die Kernaufgaben der wirtschaftlichen Ausrichtung Europas im digitalen Zeitalter zu konzentrieren, zerlegen sich die politischen Entscheidungsträger hier über Fragen der Migration und blockieren wichtige, für das nachhaltige Wohlergehen der europäischen Gemeinschaft unverzichtbare Entscheidungen.

    Statt eines (digitalen) Masterplans für Deutschland 2025 bekommen wir das Baukindergeld, eine (erhöhte) Mütterrente, eine Grundrente und weitere Klientelpolitik ohne Zukunftsrelevanz. Nicht viel anders sieht es im politischen Chaos der USA aus, wo sich die Republikaner und Demokraten unversöhnlicher denn je gegenüberstehen, statt gemeinsam das eigene Land – gerne in einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit wichtigen Partnern – voranzubringen.

    So geht China industrie- und machtpolitisch in die Offensive – und keine der führenden wirtschaftlichen Mächte bietet Paroli.

    Wir stehen am Beginn der asiatischen Dekade!

    In China gibt es aber nicht nur einen Masterplan, sondern auch die für die Umsetzung notwendigen Investitionen in Milliardenhöhe. Für die „intelligente Fertigung", die Halbleiterindustrie und die Weiterentwicklung der Künstlichen Intelligenz stehen jeweils Fonds in Milliardenhöhe zur Verfügung. Von solchen Beträgen kann man in Europa nur träumen!

    Außerdem ist in China eine hohe Stringenz in der Umsetzung zu beobachten, von der die westlichen Industrienationen weit entfernt sind. In dem Zeitraum, in dem in Deutschland und Europa „Bauvorprüfungen" stattfinden, werden in China Flughäfen gebaut und sogar eröffnet. 2019 wurde in Peking – ganz planmäßig nach vier Jahren Bauzeit – das mit 700.000 Quadratmetern größte Flughafenterminal der Welt eröffnet. Außerdem besitzt China heute schon mit über 20.000 km das längste Hochgeschwindigkeitsnetz der Welt.

    Hierbei gilt: Nicht alle Effekte auf Einwohner und Umwelt, die damit einhergehen, werden von uns goutiert. Aber die strategische Ausrichtung von China hat Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und die Positionen, die Deutschland und Europa in Zukunft dort haben werden – ob wir wollen oder nicht.

    Merk-Box

    Nur am Spielfeldrand zu stehen und das Spiel kritisch zu kommentieren, ist keine Strategie!

    Zusätzlich treibt China unter dem Namen Neue Seidenstraße (auch One Belt, One Road bzw. Belt and Road Initiative) umfassende Infrastrukturprojekte entlang einer Route bis nach Europa voran. Hierzu zählen nicht nur Straßen- und Eisenbahnverbindungen, sondern auch Häfen und Kraftwerke. So wurde u. a. in Pakistan in Rekordzeit von nur 22 Monaten ein Kohlekraftwerk gebaut. Um solche Projekte zu ermöglichen, sind die chinesischen Banken von ihrer Regierung dazu angehalten worden, möglichst unkompliziert Kredite für Projekte der Neuen Seidenstraße zur Verfügung zu stellen. Insgesamt sollen in Infrastrukturprojekte in Eurasien ca. 900 Mrd. US-$ investiert werden, um die chinesische Stadt Fuzhou mit Rotterdam zu verbinden (vgl. Abb. 1.6).

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    Abb. 1.6

    Routen der Neuen Seidenstraße.

    (Quelle: Steinmetz, 2018)

    Nutznießer dieser Großprojekte sind vor allem chinesische Bau-, Stahl- und Transportunternehmen, die diese Infrastrukturprojekte umsetzen – oft auch mit eigenen Arbeitskräften. Hierdurch können die beteiligten Unternehmen auch in diesem Bereich umfassende Erfahrungskurveneffekte realisieren. Bisher hat China in sein Seidenstraßenprojekt schon mehr als 70 Länder eingebunden. Dass die betreffenden Länder durch die Großprojekte teilweise finanziell in hohe chinesische Abhängigkeit und damit auch unter politischen Einfluss kommen, wird von China nicht nur in Kauf genommen, sondern bewusst angestrebt (vgl. vertiefend Steinmetz, 2018). Durch Investitionen in Infrastrukturprojekte in einigen EU-Ländern soll gleichzeitig auch ein einheitliches Vorgehen der EU gegenüber chinesischen Aktivitäten verhindert oder zumindest erschwert werden.

    Food for Thought

    Auch wenn der Masterplan „Made in China 2025" nicht perfekt ist – China hat wenigsten einen! Wenn Europa – denn ein Land allein kann hier nicht viel ausrichten – nicht endlich (politisch) aufwacht, werden die Wettbewerbsfähigkeit und damit auch der Wohlstand hier massiv abnehmen.

    Die Notwendigkeit des Aufwachens wird noch verstärkt beim Blick auf den 2020 verabschiedeten 14. Fünf-Jahres-Plan der Kommunistischen Partei Chinas (vgl. China Embassy, 2020). In diesem Plan setzt China auf einen sogenannten doppelten Wirtschaftskreislauf. Der erste und alles entscheidende Kreislauf umfasst die inländische Wirtschaft. Die chinesische Staatsführung will das Land sehr viel unabhängiger vom Ausland machen. Deshalb sollen nicht nur Rohstoffe sowie wichtige Komponenten und Anlagen, sondern auch das für die weitere wirtschaftliche Expansion erforderliche Know-how primär aus China selbst kommen. Die US-amerikanische Blockade bei der Lieferung von Elektronikbauteilen an China zeigt hier ihre Wirkung! Die damit erreichbare geringere Abhängigkeit vom Ausland soll die Resilienz der chinesischen Wirtschaft insgesamt stärken.

    Ausländische Unternehmen sollen diesen internen Kreislauf in Gestalt eines zweiten externen Kreislaufs lediglich unterstützen, ohne große Abhängigkeiten von externen Partnern aufzubauen. Gleichzeitig definiert der chinesische Präsident Xi Jinping das Ziel, „ […] die existentiellen Abhängigkeiten internationaler Wertschöpfungsketten von unserem Land noch enger zu gestalten und so mit Blick auf absichtliche Lieferstopps des Auslands die Fähigkeit zu Abschreckung und Gegenmaßnahmen heranzubilden" (Lang, 2020, S. 18).

    Storytelling

    Bei meinen Besuchen von innovativen Unternehmen in Shenzhen, Shanghai und Peking, aber auch in Tokio, Seoul und im Silicon Valley habe ich eines gelernt:

    Seeing is believing!

    Es ist eines, über Dinge zu lesen. Etwas anderes ist es, diese auch über alle fünf Sinne in ihrer Tiefe zu spüren und dadurch ganzheitlich zu erfassen! Deshalb: Go east and west!

    1.2.2.2 Globalisierung – De-Globalisierung – Glocalisation

    Zusätzlich hat die Corona-Pandemie 2020 mit ihren Folgewirkungen auf nahezu alle Branchen die bestehenden Wirtschaftsstrukturen herausgefordert (vgl. vertiefend Ziems et al., 2020). Hier wurde sehr schnell deutlich, dass die bisher konsequent vorangetriebene Globalisierung mit ihren über viele Länder und Kontinente verteilten Wertschöpfungsketten einem (regionalen) Shutdown nicht standhalten kann. Kritische Versorgungsketten wurden allerdings nicht erst bei dem pandemieinduzierten Bedarf an Schutzmasken sichtbar, weil solche in Europa aus Kostengründen nicht mehr hergestellt wurden. Bereits in den Jahren davor zeigten sich eklatante Versorgungslücken bei unverzichtbaren Arzneimitteln. Warum? Die Rohstofflieferungen aus China erfolgten nicht immer wie geplant – und die primär in Indien angesiedelten Produktionsstätten wurden dem weltweiten Bedarf nicht mehr gerecht.

    Die Gründe für die konsequente Verlagerung von Produktionsstätten in den asiatischen Raum sind nicht nur die niedrigeren Lohnkosten, sondern – man muss es so hart sagen – auch die laxeren Umwelt- und Sicherheitsstands in anderen Ländern, die zusammen zu deutlich niedrigeren Produktionskosten führen. Durch den von Endkunden wie von Beschaffungsmanagern in privaten und öffentlichen Organisationen ausgeübten Preisdruck haben wir uns sehenden Auges in extreme Abhängigkeiten begeben – und erleben in Zeiten der Pandemie, dass die darauf aufbauenden Geschäftsmodelle keine ausreichende Resilienz i. S. einer Widerstandsfähigkeit aufweisen.

    Die Parole heißt jetzt – oft mit nationalistischen oder protektionistischen Untertönen – De-Globalisierung. So, als ließe sich das Rad der Globalisierung einfach zurückdrehen. Gleichzeitig werden von den Globalisierungskritikern auch die großen gesamtwirtschaftlichen und sozialen Errungenschaften ignoriert, die durch die Globalisierung erreicht wurden. Dass die Globalisierung auch viele problematische Nebenwirkungen aufweist, soll hier nicht verschwiegen werden.

    Allerdings gibt es nicht nur in der Literatur Fifty Shades of Grey, sondern mindestens ebenso viele Spielarten der wirtschaftlichen Arbeitsteilung. Die Alternative heißt deshalb nicht Globalisierung oder De-Globalisierung. Orientiert an unternehmerischen und staatlichen Zielsetzungen gilt es, differenzierte Lösungskonzepte zu erarbeiten. Ein konsequenter Abbau der länderübergreifenden Zusammenarbeit ist folglich keine realistische Lösung. Sehr wohl bestehen aber Handlungsnotwendigkeiten darin, die für einzelne Länder – besser aber für Gemeinschaften wie Europa – eine gewisse Selbstversorgung sicherzustellen.

    Hierzu gehört neben einer umfassenderen Vorratshaltung (Stichwort „nationale Reserve", bspw. bei Material für die Gesundheitsversorgung) auch eine Re-Ansiedlung wirtschaftlich, politisch und/oder sozial relevanter Industrien. Hier ist neben der bereits im Fokus stehenden Arzneimittelindustrie bspw. auch die Versorgung mit Energie gemeint. Außerdem zählt – von vielen nicht gerne gesehen – auch eine Eigenversorgung mit Verteidigungssystemen dazu.

    Die notwendige Entwicklung kann als Glocalization bezeichnet werden. Dieses Kofferwort wird aus den Begriffen Globalisierung und Lokalisierung gebildet. Es unterstreicht, dass es hier nicht um „entweder … oder …, sondern vielmehr um „sowohl … als auch … geht. So können bspw. wichtige Produktionsstufen auch von Ort installiert werden, um die beschriebene Abhängigkeit von globalen Versorgungsketten zu reduzieren.

    Food for Thought

    Für unsere Unternehmen bedeutet das vor allem, dass wir unsere Geschäftsmodelle auf Resilienz testen müssen. Schließlich werden uns – so die Vorhersagen – nicht nur weitere Pandemien bevorstehen, sondern auch weitere Umweltkatastrophen, Flüchtlingsströme, politische Unruhen und ökonomische Katastrophen, wie bspw. die Zahlungsunfähigkeit ganzer Länder oder das Zerbrechen von Wirtschaftsgemeinschaften und anderen multilateralen Organisationen.

    In Summe ist – auch getrieben durch die Pandemie – in Zukunft eher ein Prozess der Slowbalisation zu erwarten (vgl. Economist, 2019). Hiermit wird eine Abschwächung der globalen Wachstumsdynamik bezeichnet, verursacht durch eine Rückbesinnung auf nationale und/oder regionale Einheiten. Außerdem führt die in vielen Ländern zunehmende Überalterung der Bevölkerung dazu, dass mehr gespart und weniger konsumiert wird. Solche Entwicklungen sind insb. bei der Weiterentwicklung unserer Geschäftsmodelle zu berücksichtigen.

    Food for Thought

    Im Zuge der Corona-Pandemie wurde teilweise auch der „Kapitalismus" als solcher an den Pranger gestellt – als ob diese Wirtschaftsform der Auslöser der Pandemie gewesen wäre. Auch wenn wir die Schattenseiten, die mit einem unkontrollierten Kapitalismus einhergehen, nicht negieren, so gilt doch festzustellen: Gerade in der Pandemie hat sich gezeigt, wie schnell und flexibel Unternehmen – gewinnorientiert! – ihre Ressourcen auf die Überwindung vermeintlicher Engpässe ausrichteten.

    Dies betrifft nicht nur die Überwindung des scheinbaren „Toilettenpapier-Notstands in Deutschland", sondern auch den Hunger nach bestimmten Produkten wie Gesichtsmasken und Schutzbekleidung. Auch die Entwicklung eines Impfstoffs in Rekordzeit ist nicht das Ergebnis eines Fünf-Jahres-Plans, sondern der Erfolg von – gewinnorientierten – pharmazeutischen Unternehmen, die oft mit sehr heterogenen Teams innerhalb globaler Forschungsketten agieren.

    Die Stärke der Marktwirtschaft und damit auch die Stärke des Kapitalismus liegt nicht darin, auf jede Katastrophe vorbreitet zu sein. Welchem System könnte das schon gelingen? Die Stärke von Marktwirtschaft und Kapitalismus liegt darin, dass sich die hier tätigen Leistungsträger schnell und überzeugend an neue Herausforderungen anpassen können. Genau das wurde auch während der Corona-Pandemie deutlich!

    Nicht nur zur Überwindung von großen Herausforderungen bekenne ich mich beim Kapitalismus – bzw. präziser – bei der sozialen Marktwirtschaft zum TINA-Prinzip:

    There is no alternative!

    Think-Box: Fragen, die Sie sich stellen sollten

    Können Sie in Ihrer Funktion (mit) darauf hinwirken, dass für Deutschland bzw. für Europa ein Masterplan entwickelt wird, der die echten Herausforderungen adressiert?

    Verfügen Sie über die Möglichkeiten, zur Etablierung eines neuen europäischen Champions beizutragen?

    Können Sie mithelfen, eine Antwort auf „Made in China 2025" zu finden?

    Haben Sie Ideen, den Abhängigkeiten und Spaltungsversuchen entgegnet werden kann, die mit der Neuen Seidenstraße verbunden sind?

    Welche Konsequenzen leiten sich aus dem 14. Fünf-Jahres-Plan der Kommunistischen Partei Chinas für Ihr Unternehmen, Ihr Geschäftsmodell und Ihre Wertschöpfungsketten ab?

    Ergeben sich durch die (partielle) Rückverlagerung von Produktionsstätten interessante Geschäftspotenziale?

    Wird eine Re-Ansiedlung wirtschaftlich, politisch und/oder sozial relevanter Industrien politisch unterstützt?

    Sind Ihren Führungskräften und Mitarbeitern die Stärke der Marktwirtschaft und damit auch die Stärke des Kapitalismus bewusst?

    Wer kümmert sich in Ihrem Unternehmen um Antworten auf diese Fragen?

    1.2.3 Herausforderungen durch die sozialen Rahmenbedingungen

    Gegen eine Dummheit, die gerade in Mode ist, kommt keine Klugheit auf.

    Theodor Fontane

    1.2.3.1 Verschiebungen im gesellschaftlichen Gefüge

    Eine wichtige Herausforderung für viele Unternehmen ist das politische Engagement, das die bisher als weitgehend politisch uninteressiert beschriebene Jugend unter dem Motto Fridays for Future an den Tag legt. Aus einer One-Woman-Bewegung ist ein weltweites Netzwerk von Aktivisten geworden, die das Management des ökologischen Überlebens unseres Planeten nicht mehr (allein) den vermeintlichen Profis aus der Politik überlassen möchten. Die artikulierten Erwartungen werden – eher früher als später – durch die Angehörigen der hier engagierten Generationen auch als Mitarbeiter in den Unternehmen Einzug halten. Entsprechende Erwartungen werden vor allem der Generation Z zugeschrieben. Deren Anforderungen an Unternehmen werden nicht bei einem rein kosmetischen ethischen Marketing stehenbleiben (vgl. vertiefend Schlotter & Hubert, 2020; Wiesner, 2016). Den damit einhergehenden Herausforderungen ist nicht nur durch das Human-Resources-Management, sondern auch durch die strategische Ausrichtung des gesamten Unternehmens Rechnung zu tragen.

    Gleichzeitig ist in den führenden Industrienationen eine deutliche Alterung der Gesellschaft festzustellen (vgl. Abb. 1.7). Diese Entwicklung bringt verschiedene Herausforderungen mit sich. Die Kaufkraft und damit auch der Konsum verlagern sich auf immer mehr Menschen, die über 60 Jahre alt sind. Hierauf sind die Angebote bei Lebensmitteln, Kleidung, Wohnen, Reisen, Unterhaltung etc. auszurichten. Zum anderen erhöht sich aufgrund des steigenden Anteils der älteren Bevölkerung deren politisches Gewicht. Schließlich können gegen deren Dominanz Wahlen immer schwerer gewonnen werden. Hier sind auch gesellschaftliche Spannungen zu erwarten, wenn für größere Bevölkerungsteile ein Leben in Würde durch die erwirtschaftete Rente nicht sichergestellt ist – und die jüngeren Beschäftigten nicht immer mehr von ihrer Vergütung in staatliche Rentensysteme einzahlen möchten, ohne gleichzeitig entsprechende eigene Rentenansprüche zu erwirtschaften.

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    Abb. 1.7

    Altersstruktur der Bevölkerung in Deutschland – 2021, 2040 und 2060.

    (Quelle: Destatis, 2020a)

    Die Alterung der Gesellschaft in Verbindung mit der insgesamt schrumpfenden Bevölkerung in vielen Industrienationen und auch in Deutschland wirkt sich auf die verfügbaren (jungen) Arbeitskräfte aus, die trotz zunehmender Digitalisierung auch weiterhin in hoher Zahl benötigt werden. Schließlich müssen nicht nur die jetzt zunehmend aus dem Erwerbsleben ausscheidenden Babyboomer – zumindest teilweise – durch neue Kräfte ersetzt werden. Die Bevölkerungszahl in Deutschland wird von 83,5 Mio. (2021) bereits im Jahr 2040 auf 80,7 Mio. und im Jahr 2060 auf 74,4 Mio. Menschen sinken (vgl. Abb. 1.7; vgl. Destatis, 2020a). Dieser Entwicklung müssen wir bei unseren unternehmerischen Aktivitäten berücksichtigen.

    Zusätzlich – und auch diese unbequeme Wahrheit sollten wir uns vor Augen führen – verliert der EU-Wirtschaftsraum zunehmend an Bedeutung – zumindest gemessen an der reinen Bevölkerungszahl. Während die EU-28 noch im Jahr 1960 einen Anteil von 13,4 % an der Weltbevölkerung besaß, wird dieser im Jahr 2060 auf 5,1 % gesunken sein. Die sogenannten „anderen Staaten" in Abb. 1.8 zusammen werden im Jahr 2060 eine 15-mal größere Bevölkerung aufweisen als die EU-28. Jetzt können wir sagen: Quantität ist nicht alles! Das ist zwar zutreffend, allerdings verliert die EU-28 (ohne Großbritannien EU-27) damit nicht nur politische Macht, sondern auch wirtschaftliche Relevanz – sowohl als Anbieter wie auch als Nachfrager von Produkten und Dienstleistungen – und auch von Innovationen.

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    Abb. 1.8

    Bevölkerungsentwicklung EU – USA – China – 1960, 2017 und 2060.

    (Quelle: BPB, 2019)

    Food for Thought

    Eines wird sichtbar: Wenn wir in Zukunft immer weniger durch Quantität dominieren können, müssen wir zum Wohle unserer Gesellschaft noch stärker auf Qualität setzen.

    Und Qualität beginnt in den Köpfen der hier lebenden Menschen!

    Die zunehmende Verlagerung von Arbeitsplätzen in den Servicesektor wird – auch hier trotz Digitalisierung – zu einem weiteren Beschäftigungsaufbau führen. Dies gilt nicht zuletzt für die Gesundheits- und Pflegeberufe. Wie sich die Verlagerung in den Servicesektor in den letzten Jahrzehnten vollzogen hat, zeigt Abb. 1.9. Die Frage sei erlaubt: Woher sollen die fehlenden Mitarbeiter – gerade auch in nach wie vor schlecht bezahlten und unbeliebten Berufen – kommen, wenn auch die bisherigen Herkunftsländer dieser Arbeitskräfte prosperieren (bspw. Polen)? Wer wird die genannten Aufgaben übernehmen, wenn sich immer weniger Menschen aus den östlichen Ländern Europas auf den Weg nach Deutschland, Frankreich, Spanien und Großbritannien machen, um dort in Pflegeberufen sowie in der Fleischverarbeitung und der Landwirtschaft zu arbeiten?

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    Abb. 1.9

    Erwerbstätige in Deutschland nach Wirtschaftssektoren – 1950 – 2019.

    (Quelle: Destatis, 2020b)

    1.2.3.2 Umfassender Wissensaufbau – Dichtung oder Wahrheit?

    Es könnte uns jetzt hoffnungsvoll stimmen, wenn die heranwachsende Jugend in Europa nicht nur hochmotiviert, sondern auch resilient und bestens qualifiziert in den Arbeitsmarkt eintreten würde. Aber ist dem so? Die Voraussetzungen dafür sind – zumindest scheinbar – exzellent. Lernwilligen Digital Natives, die mit den Medien des digitalen Zeitalters groß geworden sind, stehen heute 24/7 unzählige seriöse Informationsquellen zur Verfügung. Hier könnte man sich fundiert und umfassend informieren, um sich einen großen eigenen Wissenstand anzueignen. Neben einer Vielzahl von Lehrmaterialien (bspw. auf YouTube) existiert auch eine große Zahl sogenannter MOOCs (Massive Open Online Courses), die bspw. von iversity, Stanford Lagunita und Udacity angeboten werden (vgl. vertiefend Abschn. 3.​6.​9).

    Allerdings hat diese Vielzahl von Informationsquellen nicht zum Aufbau eines fundierten Wissenstandes in breiten Schichten der Bevölkerung geführt. Häufig ist das Gegenteil eingetreten! Die Online-Medien werden meist nicht genutzt, um sich umfassendes Wissen anzueignen und ein tiefes Verständnis zu erzielen, sondern vor allem, um sich unterhalten zu lassen und – wie Studien immer wieder belegen – schlicht die Zeit zu vertreiben! Informationen müssen heute vor allem „snackable (konsumierbar in wenigen Sekunden oder Minuten) und auch „shareable sein, um sie in Netzwerken teilen zu können. Snapchat und vor allem TikTok zahlen genau auf dieses Bedürfnis ein – und sagen das auch so!

    Da alle Informationen an jedem Ort und zu jedem Zeitpunkt über verschiedene (mobile) Devices verfügbar sind, verliert der Aufbau eigenen Wissens für immer mehr Menschen an Relevanz. Dabei ist eigenes Wissen für die eigene Kreativität, die Einordnung von Sachverhalten sowie für die Entwicklung eines eigenen Wertekanons unverzichtbar – gerade auch für die Aufrechterhaltung einer Wissensgesellschaft in Europa.

    Durch die vielfach vorherrschende Art der Online-Nutzung bleibt ein tiefes Verständnis von Sachverhalten allerdings häufig auf der Strecke. Das Ergebnis ist fragmentarisches Wissen – selbst in der angehenden Informationselite, zu der ich bspw. unsere Masterstudenten zähle. Um den tatsächlichen Wissenstand von Masterstudenten zu erheben, habe ich eine Studie an der Berlin School of Economics and Law durchgeführt. Hierbei handelt es sich um eine Vollerhebung in den beiden folgenden Masterstudiengängen:

    International Marketing-Management (englischsprachig)

    Marketing-Management (deutsch-/englischsprachig)

    Die Erhebung zur Erfassung des Wissenstandes fand am 2.10.2019 statt, dem ersten Tag des Masterstudiums im Wintersemester 2019/20. Die befragten 76 Masterstudenten wiesen folgende Merkmale auf (vgl. Kreutzer, 2020b, S. 4–7):

    Qualifikation: Bachelorabschluss in Business Administration mit einem Marketingschwerpunkt, dokumentiert durch den Erwerb von mindesten 15 ECTS-Punkten in Marketingfächern

    Noten: Bei 64 der 76 Studenten lag die Gesamtnote ihres Bachelorabschlusses zwischen 1,2 und 2,0.

    Herkunft: Deutschland (84 %), EU (ohne Deutschland; 9 %), Nicht-EU (7 %).

    Alter: Schwerpunkt bei 23 und 24 Jahren (jüngster Teilnehmer 22, ältester Teilnehmer 32 Jahre)

    Geschlechter-Mix: 89 % Studentinnen, 11 % Studenten

    Es kamen zwei Fragebogenvarianten mit 63 bzw. 62 offenen Fragen (kein Multiple Choice!) zum Einsatz. Die Befragten waren aufgefordert, die abgefragten Inhalte mit eigenen Worten zu erklären. Die Fragebogen enthielten Fragen zu folgenden Themenfeldern:

    Grundlagen in Business Administration (bspw. zu ROI, ROS, EBITDA, Cashflow, Benchmarking, Balanced Scorecard, SWOT-Analyse, digitale Transformation, Unterschied zwischen nomineller und realer Wachstumsrate, organisches Wachstum, agiles Management, Business Model Canvas, Silo-Mentalität, Szenario-Analyse, Lagerumschlagshäufigkeit, Skalierbarkeit, GiGo-Effekt, Unterschied zwischen Korrelation und Kausalbeziehung)

    Allgemeinbildung (u. a. VUCA-World, Silk-and-Road-Initiative, Made in China 2025, Wechselkurs Dollar/Euro, Arbeitslosenquote Deutschland/Italien, Inflationsrate Deutschland, Einwohnerzahlen Deutschland/USA/China/Indien, Deflation, Zinssatz und Inflationsrate in der Euro-Zone, LIBRA, Anzahl der aktiven Facebook-Nutzer weltweit, Rust Belt, aktuelle Situation in Venezuela, WeChat,BAT,GAFA,Cambridge Analytica, Fracking, Monsanto)

    Marketing (bspw. GDPR, Opt-in, Skimming-/Penetration/-Freemium-Pricing, CPI/CPO, A/B-Testing, NPS, Marketing-Automation, Sales Promotion vs. PR, ZMOT, Influencer-Marketing, Relevant Set, Ziele des CRM, Greenwashing, Customer Experience, Instrumente der qualitativen Marktforschung, Dynamic Pricing, CLV, Qualitätskriterien der Marktforschung, Marktsegmentierung, Zielgruppen des Großhandels)

    Online-Marketing (u. a. Retargeting, Conversion Funnel, ROPO-Effekt, Zero-Click-Search, Showrooming-Effekt, Retail Media, Conversational Commerce, SEO vs. SEA, Noline-Ansatz, Bounce-Rate, Google Analytics, CTR, RTB, Tag Cloud, Heatmap)

    Spezialwissen (bspw. Machine Learning, Additive Manufacturing, Gig-Economy, Scrum, Digital Twin, Grundlagen der Künstlichen Intelligenz, Attention Economy, Augmented vs. Virtual Reality, Platform Business, VEO)

    Die abgefragten Grundlagen in Business Administration sollten in den ersten Semestern des Bachelorstudiums und das Marketing- und Online-Marketing-Wissen durch die entsprechenden Vertiefungen vermittelt worden sein. Die Fragen zur Allgemeinbildung hätte jeder beantworten können, der regelmäßig seriöse TV- und Radiosendungen sieht bzw. hört und entsprechende Zeitungen und Zeitschriften liest. Das dürfte doch bei der angehenden Informationselite eigentlich nicht zu viel verlangt sein. Die Fragen zum Spezialwissen sollten prüfen, ob bereits ein „Sahnehäubchen an Wissen" vorhanden ist.

    Die Ergebnisse der potenziellen „Informationselite" fielen in allen fünf Fragekategorien und beiden Fragebogenversionen gleichermaßen katastrophal aus, wie die Abb. 1.10 und 1.11 zeigen. Selbst bei Basics in Business Administration waren nur 8 bzw. 18 % in der Lage, die entsprechenden Fragen korrekt zur beantworten. Auch bei Wissen, das klassischerweise zur Allgemeinbildung gehört, fielen die Antworten zu über 70 % falsch aus.

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    Abb. 1.10

    Übersicht Gesamtergebnis – Fragebogen 1 (n = 34).

    (Quelle: Kreutzer, 2020b, S. 26)

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    Abb. 1.11

    Übersicht Gesamtergebnis – Fragebogen 2 (n = 42).

    (Quelle: Kreutzer, 2020b, S. 45)

    In nur einer Fragebogenversion und einer Fragenkategorie („Marketing", Abb. 1.11) konnten knapp 30 % der Befragten eine korrekte Antwort geben. In allen anderen Bereich waren 70 % und mehr nicht in der Lage, die Fragen korrekt zu beantworten.

    Das beste Wissen der Master-Studenten lag im Hinblick auf die SWOT-Analyse, die Situation in Venezuela, die Inhalte der digitalen Transformation und das agile Management vor. Auch über Influencer-Marketing, den Unterschied zwischen Sales Promotion und PR und Customer Touch Points sind die Studenten gut informiert. Allerdings konnte kein einziger Student der Fachrichtung Business Administration die Formeln zur Ermittlung von ROS und Cashflow definieren. Das Phänomen Fracking war fast gänzlich unbekannt und die Größe von Indien wurde teilweise auf 200 Mio. Einwohner, die von China auf 400 Mio. Einwohner geschätzt.

    Gleichzeitig wurde die Anzahl der Facebook-Accounts vereinzelt auf 15 Mrd. veranschlagt (bei einer Weltbevölkerung von ca. 7,8 Mrd. Menschen!). Die Arbeitslosenquote in Deutschland wurde teilweise auf 15 % geschätzt. Kein einziger Marketingstudent konnte den NPS (Net Promotor Score) erklären, geschweige denn aufzeigen, wie dieser ermittelt wird. Und nur zwei von 42 Studenten konnten die Formel ROI und den Inhalt von Skalierbarkeit korrekt definieren. Keiner konnte die Methode der Trendextrapolation korrekt beschreiben. Nur drei von 42 Studenten wussten mit dem Begriff Algorithmus etwas anzufangen. Dabei sind Algorithmen aus unserer datengetriebenen Wirtschaft und Gesellschaft nicht mehr wegzudenken, den sie begegnen uns alltäglich.

    Wie konnte es zu einem solch dramatisch schlechten Ergebnis kommen? Viele Dozenten stellen fest, dass bei den Studenten häufig ein sogenanntes Bulimie-Lernen dominiert – und von den Studenten auch regelmäßig bestätigt wird. Hierunter versteht man das kurzfristige Auswendiglernen von Daten und Formeln, um dieses Wissen bei einer Prüfung „auszukotzen" – und alles Gelernte nach einer Prüfung gleich wieder zu vergessen. Mangels Einübung des Gelernten und mangels eines Austauschs über das Gelernte nicht nur in Lehrveranstaltungen, sondern auch darüber hinaus, fehlen ein tiefes Verständnis und die Fähigkeit, Erlerntes auf andere Situationen zu übertragen.

    Außerdem wird generell nicht mehr (viel) gelesen, und wenn, dann meistens online. Hierzu zeigt die 2019 veröffentlichte Stavanger-Erklärung von 130 Leseforschern aus aller Welt, dass reines Online-Lesen dem tiefen Verständnis und dem längerfristigen Memorieren abträglich sind (vgl. o. V. 22.1.2019).

    Food for Thought

    Die Kultusministerin Susanne Eisenmann aus Baden-Württemberg hat hierzu treffend formuliert (vgl. Fritzen, 2017, S. 1): „Die mediale Welt verkürzt unsere Sprache. Wir müssen deshalb auch darauf achten, dass wieder mehr Bücher gelesen werden."

    Schließlich sollten sich alle für die Vermittlung von Wissen verantwortlichen Personen fragen, ob ihre Form der Lehre eher zum Bulimie-Lernen oder zum tiefen Verständnis beiträgt (vgl. weiterführend Kreutzer, 2020a).

    Meine Studenten erhielten auf der Basis dieses Tests übrigens keine Noten und auch keine (frustrierenden) persönlichen Rückmeldungen. Vielmehr gab ich in meiner Vorlesung das Versprechen ab, dass am Ende des Wintersemesters alle Studenten die Inhalte der Begriffe kennen werden.

    Wir alle wissen: Bildung (auch kulturelles Kapital genannt) stellt für die Gewinnung und für den Erhalt von ökonomischem Kapital eine wichtige Voraussetzung dar. Eine Ausnahme ist das Vererben größerer Vermögen. Allerdings sieht man hier, dass die Erben der zweiten und dritten Generation – oft aufgrund fehlender Motivation oder mangels Bildung – die Erbschaft häufig verspielen (manches Mal im wörtlichen Sinne). Einerseits ermöglicht eine gute Ausbildung – dies zeigen Studien immer wieder – die Übernahme anspruchsvollerer Aufgaben, die wiederum mit höheren Einkommen einhergehen. Andererseits ermöglicht ökonomisches Kapital, Geld in Aus- und Weiterbildung zu investieren, womit eine Erhöhung des kulturellen Kapitals einhergehen kann. Es geht schlicht und ergreifend um eines: die Relevanz von Bildung, Bildung, Bildung!

    Food for Thought

    Genialität braucht einen guten Nährboden!

    Warum Bildung so wichtig ist, kann anhand des Dunning-Kruger-Effekts verdeutlicht werden (vgl. Kruger & Dunning, 1999). Mit diesem Begriff wird die systematisch fehlerhafte Neigung bezeichnet, bei der relativ inkompetente Menschen ihr eigenes Wissen und Können überschätzen, während sie gleichzeitig die Kompetenz anderer unterschätzen. In mehreren Studien stellen die Autoren fest, dass beim Erfassen von Texten, aber auch beim Schachspielen und beim Autofahren Unwissenheit oft zu mehr Selbstvertrauen führt als Wissen. In Summe kann der Dunning-Kruger-Effekt wie folgt beschrieben werden:

    Weniger kompetente Personen neigen dazu, ihre eigenen Fähigkeiten zu überschätzen.

    Weniger kompetente Personen können überlegene Fähigkeiten bei anderen nicht erkennen.

    Weniger kompetente Personen vermögen das Ausmaß ihrer eigenen Inkompetenz nicht zu erkennen.

    Allerdings gibt es auch Hoffnung:

    Weniger kompetente Personen können durch Bildung oder Übung nicht nur ihre eigene Kompetenz steigern, sondern auch lernen, sich und andere besser einzuschätzen.

    Hier zeigt sich auch, dass schwache Leistungen mit größerer Selbstüberschätzung einhergehen als stärkere Leistungen. Auf einen einfachen Nenner gebracht, könnte man formulieren: Wer dumm ist, kann nicht erkennen, dass er dumm ist. Wer intelligent ist, weiß auch, dass er nicht alles wissen und mit seinem Teilwissen auch falsch liegen kann.

    Außerdem gilt nach Dunning (2010):

    Merk-Box

    Die Fähigkeiten und das Wissen, die man benötigt, um eine gute Lösung zu finden, entsprechen auch den Fähigkeiten und dem Wissen, die man braucht, um zu erkennen, dass es eine gute Lösung ist.

    Der Dunning-Kruger-Effekt dürfte vor allem bei solchen Menschen auftreten, die zu regelrechten Headline-Jägern degenerieren und sich um den Tiefgang einer Nachricht nicht mehr kümmern (möchten). Allerdings gilt hier nicht mehr:

    Gegen Dummheit ist kein Kraut gewachsen!

    Wir können dagegen feststellen – auch in Übereinstimmung mit den Erkenntnissen des Dunning-Kruger-Effekts:

    Das Gegenmittel gegen Dummheit – und damit auch geistige Verführbarkeit – ist Bildung!

    Deshalb ist für eine prosperierende Entwicklung unserer Gesellschaften der Aufbau eigener Kompetenz, eigenen Wissens und eigener Werte immens wichtig. Schließlich wurde festgestellt: „Das vorhandene Wissen spielt eine Schlüsselrolle für das Lernen" (Kroeber-Riel & Gröppel-Klein, 2013, S. 432). Deshalb ist es gerade auch im digitalen Zeitalter, in dem jede Information nur einen Mausklick und eine kleine Recherche entfernt ist, wichtig, über eigenes Wissen zu verfügen. Nur dann können neue Erkenntnisse mit vorhandenem Wissen verknüpft, abgeglichen, bewertet und kreativ weiterentwickelt werden.

    Food for Thought

    Ein eigener – im persönlichen Bio-Computer abgelegter – Wissensschatz ist auch heute noch unverzichtbar. Wie sonst sollte es gelingen, sich in dieser schnelllebigen Zeit zu orientieren und zu einem planvollen und gleichzeitig erfüllenden Leben zu kommen? Gegen eine algorithmenbasierte Demagogie hilft nur ein eigenes – möglichst differenziertes und auch mit gegensätzlichen Meinungen und Werten vertrautes – eigenes Wissen!

    Deshalb frustriert es mich zutiefst, wenn Erstsemester an der Universität stolz erzählen, dass sie noch nie ein Buch zu Ende gelesen haben. Ich frage mich dann, wie eine solche Person die Hochschulzugangsberechtigung erlangen konnte. Allerdings wird bei einem solchen Verhalten auch erklärlich, wenn ein Professorenkollege, der Mathematik unterrichtet, desillusioniert berichtet: „Wenn ich Studenten im ersten Semester frage, was 75 % von 100 ist, rufen alle gleich nach einem Taschenrechner."

    Folglich sollten wir alle – wo auch immer wir tätig sind – auch und gerade in einer Zeit mit einem Instant-Zugriff auf das gesamte Wissen der Menschheit darauf hinwirken, dass sich möglichst viele Menschen selbst Wissen aneignen und damit verbunden eigene Werte, eigene Meinungen und eigene Sichten auf die Welt entwickeln. Denn wie heißt es so schön?

    Wer nichts weiß, muss alles glauben!

    Storytelling

    Diesen Leitsatz vor Augen war ich sehr schockiert, als mir eine Vertreterin der Generation Z in der Mittagspause einer meiner Seminare mitteilte: „Ich lese nicht mehr. Ich schaue mir auch keine Bilder mehr an. Das ist mir zu anstrengend. Ich schaue jetzt nur noch Videos."

    Welche Bildung kann eine solche Person an die nächste Generation weitergeben, wenn das eigene kulturelle Kapital immer mehr abnimmt? Man möchte es sich nicht vorstellen, weil dann „Hartz-4-Karrieren zunehmen werden. Schon heute sagen Kinder – manchmal nicht im Scherz – „Ich möchte Hartzer werden! Das ist noch schlimmer, als von einer Karriere als „Influencer" zu träumen!

    Ich kann es auch ganz hart formulieren: Ein solches bildungsfernes Agieren können wir uns weder als Einzelner noch als Team, als Unternehmen oder als Gesellschaft und auch nicht als Nation erlauben, wenn wir die Zukunft mitgestalten möchten. Sonst tun dies andere für uns – mit allen möglichen (unerwünschten) Konsequenzen.

    Bei der Analyse der IQ-Entwicklung der Menschheit konnten wir bisher immer dem sogenannten Flynn-Effekt vertrauen (vgl. Flynn, 2012). Dieser Effekt beschreibt die Beobachtung, dass bis in die 1990er Jahre hinein die Ergebnisse von IQ-Test in Industrieländern kontinuierlich höhere Werte auswiesen. Dies wurde als eine kontinuierliche Zunahme der Intelligenz interpretiert. Nach Studien von Flynn zeigten Testergebnisse aus 14 Industrienationen, dass von Generation zu Generation die IQ-Werte um fünf bis 25 Punkte zunahmen. Hieraus wurde gefolgert, dass die durch IQ-Tests ermittelte Intelligenz in den ersten sieben Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zugenommen habe. Eine Erklärung für diese Entwicklung fand sich in den verbesserten Umweltbedingungen, die sich durch eine bessere Ernährung und Gesundheitsvorsorge sowie durch höhere Bildungsanstrengungen und einen Zugang vieler zu Massenmedien auszeichnete.

    Inzwischen zeigt sich in einzelnen Studien allerdings ein negativer Flynn-Effekt: Das bedeutet, dass die durch IQ-Tests gemessene Intelligenz inzwischen abnimmt. Hierzu werden verschiedene Erklärungsansätze geliefert (vgl. Lynn & Harvey, 2008). So stellt sich die Frage, ob sich die Gesellschaft nicht trotz, sondern aufgrund der umfassenden technologischen Fortschritte zurückentwickelt. Findet bereits ein Rückbau der Zivilisation statt oder wird ein solcher stattfinden? Schwierigkeiten beim Kartenlesen, das Nicht-mehr-Lernen von wichtigen Telefonnummern und Adressen, die Verlagerung von umfassenden Recherchen auf eine einfache Google-Suche mit anschließendem „Copy-and-Paste" sind auf dem Vormarsch. Gleichzeitig verlieren die über viele Jahrzehnte wichtigen und deshalb auch erlernten Kulturtechniken an Relevanz (vgl. Lobe, 2019). Und unser Gehirn merkt sich, welche Informationen bereitgehalten werden sollen und welche nicht mehr!

    Ein weiterer Erklärungsfaktor für die Abnahme von Wissen stellt die Unfähigkeit von immer mehr Menschen dar, sich auf einen Sachverhalt zu konzentrieren. Wir sprechen heute schon von der sogenannten Aufmerksamkeitsökonomie (auch Attention Economy), bei der nicht mehr Geld oder Produkte den zentralen Engpassfaktor darstellen. Heute wird zunehmend die Aufmerksamkeit des Menschen zum knappen Gut (vgl. Bernardy, 2014; Davenport & Beck, 2001).

    Wie kam es zu dieser Entwicklung hin zur Aufmerksamkeitsökonomie? Die Kosten für den Zugang zu Informationen und zur Unterhaltung sinken im Flatrate-Zeitalter dramatisch. Die Nutzung von Facebook und Google bspw. ist allerdings nur scheinbar kostenlos; schließlich bezahlen wir die Nutzung mit unseren Daten. Wer ein Spotify-Abonnement für 9,95 €

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