Handel mit Mehrwert: Digitaler Wandel in Märkten, Geschäftsmodellen und Geschäftssystemen
Von Gerrit Heinemann
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Buchvorschau
Handel mit Mehrwert - Gerrit Heinemann
Hrsg.
Gerrit Heinemann, H. Mathias Gehrckens, Thomas Täuber und Accenture GmbH
Handel mit MehrwertDigitaler Wandel in Märkten, Geschäftsmodellen und Geschäftssystemen
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figa_HTML.pngHrsg.
Gerrit Heinemann
Hochschule Niederrhein, eWeb Research Center, Mönchengladbach, Deutschland
H. Mathias Gehrckens
Accenture GmbH, Düsseldorf, Deutschland
Thomas Täuber
Accenture GmbH, Düsseldorf, Deutschland
Accenture GmbH
Kronberg, Deutschland
ISBN 978-3-658-21691-7e-ISBN 978-3-658-21692-4
https://doi.org/10.1007/978-3-658-21692-4
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
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Lektorat: Barbara Roscher
Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature
Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Vorwort
Kaum eine Branche ist derzeit größeren Herausforderungen ausgesetzt als der Einzelhandel. Dieser stellt den drittgrößten Wirtschaftssektor dar und verkörpert in seiner klassischen Funktion die Nahtstelle zwischen Produzenten und Verbrauchern. In den letzten Jahren finden jedoch Entwicklungen statt, welche die Rolle des klassischen oder stationären Handels dramatisch verändern und seine Daseinsberechtigung infrage stellen. Vor allem aus Kundensicht müssen sich die Händler neu erfinden: Als erste Kontaktstelle der Kunden sind die Handelsbetriebe unmittelbar von den Veränderungen der Kundenerwartungen sowie des Kaufverhaltens betroffen, die vor allem durch die zunehmende (mobile) Internetnutzung induziert werden. Getrieben durch die Web-User, führt die Digitalisierung zu einer Neuausrichtung der Wertschöpfungsstufen sowie zu einer Neuordnung der Wettbewerbsregeln, die bisher vor allem die Internetgiganten aus den USA sowie aus China begünstigen. Der Handel der Zukunft gestaltet sich dabei vielfältig und ermöglicht die „Schöpfung von Mehrwert in neuen Märkten – und zwar mit dem Besetzen von bisher verborgenen Marktnischen und/oder mit innovativen Geschäftsideen. Auch die Ausgestaltung des Geschäftsmodells und Geschäftssystems eröffnet im Zuge der digitalen Revolution neue Möglichkeiten der Wertschöpfung. Dies gilt vor allem auch für stationäre Händler und damit Shopping-Center bzw. Innenstädte, die sich zusätzlich auf der Logistikseite („Urban Logistics
) und bei der Frequenzschaffung („Location-based Marketing oder „Urban Marketing
) neu erfinden müssen. Im Vergleich zum Online-Handel ist allerdings nicht zu leugnen, dass die Zeiten für den Offline-Handel schwieriger geworden sind. So kämpft der stationäre Handel immer häufiger mit rückläufigen Kundenfrequenzen und stagnierenden Umsätzen, während der Online-Handel weiter zulegt und sich zum Wachstumstreiber für die gesamte Einzelhandelsbranche entwickelt. Das „Ausnahmejahr 2017, in dem der Einzelhandel aufgrund der exzellenten Konjunkturlage sogar preisbereinigt um rund 3 % wachsen konnte, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich das Wettbewerbsumfeld dramatisch verändert. Vor allem der traditionelle Fachhandel hat durch die zunehmende Vertikalisierung stark an Bedeutung verloren. Dies führt zu immer mehr „Mono-Label-Stores
, die die klassischen „Multi-Label-Retailer ersetzen. Dagegen konnte sich der Online-Handel inklusive Mobile Commerce fest etablieren und gewinnt weiterhin unentwegt Marktanteile hinzu. Die Digitalisierung verändert nicht nur das Informations- und Einkaufsverhalten der Kunden, sondern schafft auch neue Produkte mit Servicemehrwert, die immer und überall nur noch einen oder sogar gar keinen Klick mehr entfernt sind – Stichwort Internet-of-Things (IoT) oder Auto-Replenishment. Sie befeuert auch neue Wettbewerbsformen mit Mehrwert für die Konsumenten wie zum Beispiel Same Day Delivery oder das E-Food-Thema. Darüber hinaus übernehmen zunehmend neue Marktteilnehmer klassische Handelsfunktionen. Zu ihnen gehören Hersteller, neuartige Informationsintermediäre wie z. B. Suchmaschinen oder soziale Netzwerke sowie innovative Online-Anbieter und digitale Absatzmittler. Die „Konsumerisation von B2B
verdeutlicht, dass sich dabei auch die Grenzen zwischen B2C und B2B immer mehr verwischen.
Das vorliegende Buch greift die drei wichtigsten Aspekte der Marktveränderung im Handel auf, nämlich die Themen Markt und Kunde, neue Geschäftsideen und Geschäftsmodelle sowie Geschäftssysteme und Business-Schnittstellen. Dabei werden nicht nur absatzseitige Aspekte wie beispielsweise das Kaufverhalten der Millennials bzw. der Generationen Y und Z sowie die neuesten Entwicklungen im B2B behandelt, sondern auch die neuesten Geschäftsmodelle wie z. B. Sharing Economy, Seamless Shopping und integrierte Plattformen anhand herausragender Praxisbeispiele im Detail skizziert. Gleiches gilt für Business-Schnittstellen und Geschäftssysteme, bei denen insbesondere die Neuerungen in der Logistik wie die Digitalisierung der Logistikprozesse, das Thema Same Day Delivery am Beispiel von Liefery oder das komplexe Thema der urbanen Logistik in einem Beitrag der Deutschen Post AG dargestellt werden. Auch die Zukunftsthemen der exponentiellen Organisation („ExO"), der Blockchain-Technologie sowie zukünftiger Payment-Lösungen finden Berücksichtigung.
Das Buch richtet sich vornehmlich an das Management von Handelsunternehmen, die auf dem Weg der Neuausrichtung sind, an sämtliche Entscheidungsträger im Online-Handel selbst sowie an die Wissenschaftler der Handelstheorie, die aufgrund der Internettechnologie derzeit einen nachhaltigen Umbruch erfährt. Die praxisnahe Darstellung der Themen ermöglicht einen Transfer der Erkenntnisse auf andere Unternehmen und Forschungsthemen im Handel.
Ohne das Engagement und die Unterstützung vieler Personen wäre die Umsetzung dieses Herausgeberbandes kaum möglich gewesen. Unser Dank gilt zunächst den Autoren der Beiträge, die durch tiefe Einblicke in die Praxis des Handels die Grundlage für dieses Buch geschaffen haben. Ein ganz besonderer Dank gilt auch Frau Sofia Feldmann, die den „organisatorischen Lead" für dieses Werk mit guten Nerven durchgezogen hat. Weiterhin danken wir Springer Gabler für die stets hervorragende und unkomplizierte Zusammenarbeit bei der Drucklegung des Buches.
Gerrit Heinemann
H. Mathias Gehrckens
Thomas Täuber
MönchengladbachDüsseldorfKöln
Inhaltsverzeichnis
Teil I Einführung
Zukunft des Handels und Handel der Zukunft – treibende Kräfte, relevante Erfolgsfaktoren und Game Changer 3
Gerrit Heinemann
Das Transformationsdilemma im Einzelhandel 43
H. Mathias Gehrckens
Lösungsansätze zur digitalen Transformation – erweitertes Produktportfolio, integrierte Marktplätze, neu ausgerichtete Betriebsmodelle 71
Thomas Täuber
Teil II Neue Märkte und Kunden
Das goldene Zeitalter des Konsumenten – Wie die Digitalisierung, der demografische Wandel und die Veränderung der Werte unserer Gesellschaft das Konsumentenverhalten beeinflussen 107
Judith Weuthen
Mobile Eats the Retail World 135
Ruppert Bodmeier, Daniel Scheck und Katharina Lieber
Konsumerisation von B2B – Angleichung des gewerblichen Online-Kaufs an den B2C-E-Commerce 153
Gerrit Heinemann
Herausforderungen bei der Digitalisierung eines globalen Concessions-Systemanbieters – ein „Werkstattbericht" am Beispiel der beeline-Gruppe 171
Hinrich Tode, Per Blaich und Michele Frowein
Die Digitalisierung des Vertriebs in der Konsumgüterindustrie 183
Joachim Bolz und Jan-Frederik Höhn
Teil III Neue Geschäftsideen und Geschäftsmodelle
eBay Reloaded – Mehrwert durch Convenience und Engagement 213
Eben Sermon
Sharing Economy – Modelle und Empfehlungen für ein verändertes Konsumverhalten 229
Nicole Steinmetz
Mehrwert im Handel durch Location-based Platforms am Beispiel von Bonial 257
Gerrit Heinemann und Frederic Handt
Zalando wird kooperativ – das Partnerprogramm für Fashion-Marken und -Händler 275
Gerrit Heinemann und Linus Glaser
City-Marketing vor dem Hintergrund von Leerständen in den Innenstädten 297
Hanna Schramm-Klein
Teil IV Neue Geschäftssysteme und Business-Schnittstellen
Integrierte Plattformen im Handel 321
Thomas Vetter und Rafael Morasch
Seamless Shopping – komplett digital, über alle Kanäle hinweg – ein Fallbeispiel 345
Martin Wild
Anforderungen an die Handelslogistik der Zukunft 357
Markus Muschkiet und Ulrich Schückhaus
ExO – exponentielle Organisationen als Beschleuniger der Transformation 379
Olaf Rotax, Antonia Marcone und David Felsmann
Urbane Logistik der Zukunft – ganzheitlich, nachhaltig und effizient 397
Jürgen Gerdes und Gerrit Heinemann
Teil V Spezialaspekte des digitalen Wandels
Zukünftige Payment-Lösungen im digitalen Zeitalter – Bestandsaufnahme und aktuelle Trends 423
Kai Hudetz und Svenja Brüxkes
Blockchain-Technologie im Handel der Zukunft 441
Constantin Fischer, Ingo Fiedler und Lisa Babenko
Von gleich auf jetzt – Same Day Delivery am Beispiel von Liefery 473
Daniel Jonas, Franz-Joseph Miller und Dirk Seng
Die Bedeutung des Employer Branding für die Gewinnung von Nachwuchskräften im Handel 495
Olga Hördt und Wolfgang Brickwedde
Herausgeber‐ und Autorenverzeichnis
Über die Herausgeber
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figb_HTML.jpgProf. Dr. Gerrit Heinemann
leitet das eWeb Research Center der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach, wo er auch BWL, Managementlehre und Handel lehrt. Er studierte BWL in Münster und war danach Assistent bei Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Heribert Meffert, wo er über das Thema „Betriebstypenprofilierung textiler Fachgeschäfte summa cum laude promovierte. Nach fast 20-jähriger Handelspraxis u.a. in Zentralbereichsleiter- und Geschäftsführerpositionen in der Douglas-Holding, bei Drospa/Douglas sowie Kaufhof/Metro wurde Gerrit Heinemann 2005 an die Hochschule Niederrhein berufen. Er bekleidet verschiedene Aufsichtsratsfunktionen in E-Commerce- bzw. Handelsunternehmen, war lange Jahre stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der buch.de internetstores AG und begleitet Start-ups im Advisory Board. Prof. Heinemann ist Autor von über 220 Fachbeiträgen und 18 Fachbüchern zu den Themen Digitalisierung, E-Commerce, Online- und Multi-Channel-Handel. Sein Buch „Der neue Online-Handel
ist auch in englischer sowie chinesischer Version erschienen und kommt Anfang 2019 in zehnter Auflage heraus.
H. Mathias Gehrckens
machte seinen Abschluss als Schifffahrtskaufmann und Wirtschaftsassistent im Rahmen des Hamburger Modells und studierte anschließend Betriebswirtschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, wo er auch seinen Abschluss als Diplom-Kaufmann machte. Danach begann er seinen beruflichen Werdegang als Unternehmensberater bei Gruber, Titze & Partner. 1992 wechselte er zu Booz Allen & Hamilton. Zuletzt war er dort als Principal und Mitglied der Geschäftsleitung tätig. Anschließend wechselte er in die Geschäftsführung der Döhler Gruppe und fungierte als Mitglied des Executive Boards für Marketing und Vertrieb. 2000 begann er sich als Unternehmer an E-Commerce-Start-ups zu beteiligen und gründete 2004 gemeinsam mit Kollegen die diligenZ management Consulting GmbH, den Nukleus der späteren dgroup. Seit 2016 ist dgroup Teil des globalen Accenture-Netzwerkes. Hier ist Herr Gehrckens als Geschäftsführer der Accenture GmbH im Bereich „Consumer Goods & Retail" mit besonderem Fokus auf agile Organisation und digitale Transformation tätig.
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figd_HTML.jpgThomas Täuber
ist Geschäftsführer bei der Accenture Deutschland GmbH. Er verantwortet die Bereiche Handel und Konsumgüter in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Russland. Seit seinem Abschluss zum Diplom-Wirtschaftsinformatiker an der Universität Mannheim arbeitet er im Beratungsgeschäft. Accenture als ein weltweit führender Dienstleister und Innovationstreiber im Bereich digitaler Transformationen unterstützt Unternehmen von der Strategie über die Umsetzung bis hin zum laufenden Betrieb. Mit mehr als 23 Jahren Beratungserfahrung in verschiedenen Branchen hat Thomas Täuber bereits zahlreiche globale Transformationsprogramme begleitet. Er ist Mitglied in verschiedenen Innovations- und Advisory-Gremien und unterstützt die digitale Transformation des klassischen Handels bei der Positionierung im Wettbewerb mit den großen digitalen Plattformen.
Autorenverzeichnis
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Fige_HTML.jpgLisa Babenko
Accenture GmbH/dgroup, Düsseldorf, Deutschland.
lisa.babenko@d-group.com
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figf_HTML.jpgPer Blaich
beeline Group, Köln, Deutschland.
perblaich@gmail.com
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figg_HTML.jpgRuppert Bodmeier
disrooptive.com, Hamburg, Deutschland.
ruppert.bodmeier@gmail.com
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figh_HTML.jpgDr. Joachim Bolz
Henkel, Düsseldorf, Deutschland.
joachim.bolz@henkel.com
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figi_HTML.jpgWolfgang Brickwedde
Institute for Competitive Recruiting, Heidelberg, Deutschland
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figj_HTML.jpgSvenja Brüxkes
IFH Köln, Köln, Deutschland.
s.bruexkes@ifhkoeln.de
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figk_HTML.jpgDavid Felsmann
Accenture GmbH/dgroup, Hamburg, Deutschland.
david.felsmann@d-group.com
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figl_HTML.jpgDr. Ingo Fiedler
Universität Hamburg, Hamburg, Deutschland.
ingo.fiedler@uni-hamburg.de
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figm_HTML.jpgDr. Constantin Fischer
Accenture GmbH, Zürich, Deutschland.
constantin.fischer@accenture.com
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Fign_HTML.jpgMichele Frowein
beeline Group, Köln, Deutschland.
michele.frowein@web.de
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figo_HTML.jpgH. Mathias Gehrckens
Accenture GmbH, Düsseldorf, Deutschland.
mathias.gehrckens@accenture.com
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figp_HTML.jpgDr. h.c. Jürgen Gerdes
Deutsche Post, Bonn, Deutschland.
j.gerdes@deutschepost.de
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figq_HTML.jpgLinus Glaser
Zalando, Berlin, Deutschland
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figr_HTML.jpgFrederic Handt
Bonial International GmbH, Berlin, Deutschland.
frederic.handt@bonial.de
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figs_HTML.jpgProf. Dr. Gerrit Heinemann
Hochschule Niederrhein, Krefeld, Deutschland.
gerrit.heinemann @hs-niederrhein.de
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figt_HTML.jpgProf. Dr. rer. pol. Dipl.-Oec. Olga Hördt
Hochschule Ruhr West, Mülheim an der Ruhr, Deutschland.
olga.hoerdt@hs-ruhrwest.de
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figu_HTML.jpgJan-Frederik Höhn
Henkel, Düsseldorf, Deutschland
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figv_HTML.jpgDr. Kai Hudetz
IFH Köln, Köln, Deutschland.
k.hudetz@ifhkoeln.de
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figw_HTML.jpgDaniel Jonas
Accenture GmbH, Frankfurt, Deutschland.
daniel.jonas@accenture.com
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figx_HTML.jpgKatharina Lieber
Accenture GmbH/dgroup, Hamburg, Deutschland.
katharina.lieber@d-group.com
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figy_HTML.jpgAntonia Marcone
Accenture GmbH/dgroup, Hamburg, Deutschland.
antonia.marcone@d-group.com
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figz_HTML.jpgFranz-Joseph Miller
Liefery, Frankfurt, Deutschland.
fj@liefery.com
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figaa_HTML.jpgRafael Morasch
SAP, Walldorf, Deutschland.
rafael.morasch@sap.com
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figab_HTML.jpgProf. Dr.-Ing. Markus Muschkiet
Hochschule Niederrhein, Mönchengladbach, Deutschland.
Markus.Muschkiet@hs-niederrhein.de
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figac_HTML.jpgOlaf Rotax
Accenture GmbH/dgroup, Hamburg, Deutschland.
olaf.rotax@d-group.com
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figad_HTML.jpgDaniel Scheck
Accenture GmbH/dgroup, Hamburg, Deutschland.
daniel.scheck@d-group.com
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figae_HTML.jpgUniv.-Prof. Dr. Hanna Schramm-Klein
Universität Siegen, Siegen, Deutschland.
hsk@uni-siegen.de
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figaf_HTML.jpgDr. Ulrich Schückhaus
EWMG, Mönchengladbach, Deutschland.
u.schueckhaus@ewmg.de
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figag_HTML.jpgDirk Seng
Accenture GmbH, München, Deutschland.
dirk.seng@accenture.com
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figah_HTML.jpgEben Sermon
Ebay, Berlin, Deutschland.
esermon@ebay.com
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figai_HTML.jpgNicole Steinmetz
Sermon Accenture GmbH/dgroup, Hamburg, Deutschland.
Nicole.Steinmetz@d-group.com
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figaj_HTML.jpgThomas Täuber
Accenture GmbH, Düsseldorf, Deutschland.
thomas.taeuber@accenture.com
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figak_HTML.jpgHinrich Tode
beeline Group, Köln, Deutschland.
h.tode@beeline-group.com
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figal_HTML.jpgDr. Thomas Vetter
SAP, Walldorf, Deutschland.
thomas.vetter@sap.com
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figam_HTML.jpgJudith Weuthen
Accenture GmbH, Düsseldorf, Deutschland.
judith.weuthen@accenture.com
../images/464529_1_De_BookFrontmatter_Figan_HTML.jpgMartin Wild
Media-Saturn-Holding GmbH, Ingolstadt, Deutschland.
wildma@media-saturn.com
Teil IEinführung
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
Gerrit Heinemann, H. Mathias Gehrckens, Thomas Täuber und Accenture GmbH (Hrsg.)Handel mit Mehrwerthttps://doi.org/10.1007/978-3-658-21692-4_1
Zukunft des Handels und Handel der Zukunft – treibende Kräfte, relevante Erfolgsfaktoren und Game Changer
Gerrit Heinemann¹
(1)
Hochschule Niederrhein, Mönchengladbach, Deutschland
Gerrit Heinemann
Email: gerrit.heinemann@hs-niederrhein.de
Zusammenfassung
Keine Branche ist derzeit größeren Herausforderungen ausgesetzt als der Einzelhandel. Der direkte Kontakt zu den Endkunden bringt mit sich, dass die Handelsbetriebe als erste Kontaktstelle unmittelbar von den Änderungen des Kaufverhaltens betroffen sind, das durch die zunehmende Internetnutzung induziert wird. Allerdings nicht in gleichem Ausmaß, weswegen eine Differenzierung nach Kontaktprinzip, Format sowie Warengruppe erforderlich ist. Vor allem Food und Non-Food entwickeln sich recht unterschiedlich und bedürfen deshalb einer differenzierten Betrachtung. In jedem Fall führt aber die Digitalisierung zu einer Neuausrichtung der Wertschöpfungsstufen sowie einer Neuordnung der Wettbewerbsregeln, die bisher vor allem die Internetgiganten aus den USA („GAFAs – Google, Amazon, Facebook, Apple) sowie aus China („TABs – Tencent, Alibaba, Baidu
) begünstigt haben. Der Handel der Zukunft gestaltet sich dabei vielfältig und ermöglicht bereits „Mehrwert"-Schöpfung in neuen Märkten und mit innovativen Geschäftsideen, wie aktuelle Best Practices zeigen. Auch die Gestaltung von Geschäftsmodellen und Geschäftssystemen eröffnet im Zuge der digitalen Revolution neue Möglichkeiten der Wertschöpfung, vor allem für stationäre Händler und damit für Innenstädte bzw. Shopping Center.
Prof. Dr. Gerrit Heinemann
leitet das eWeb Research Center der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach, wo er auch BWL, Managementlehre und Handel lehrt. Er studierte BWL in Münster und war danach Assistent bei Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Heribert Meffert, wo er über das Thema „Betriebstypenprofilierung textiler Fachgeschäfte summa cum laude promovierte. Nach fast 20-jähriger Handelspraxis u. a. in Zentralbereichsleiter- und Geschäftsführerpositionen in der Douglas-Holding, bei Drospa/Douglas sowie Kaufhof/Metro wurde Gerrit Heinemann 2005 an die Hochschule Niederrhein berufen. Er bekleidet verschiedene Aufsichtsratsfunktionen in E-Commerce- bzw. Handelsunternehmen, war lange Jahre stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der buch.de internetstores AG und begleitet Start-ups im Advisory Board. Prof. Heinemann ist Autor von über 220 Fachbeiträgen und 18 Fachbüchern zu den Themen Digitalisierung, E-Commerce, Online- und Multi-Channel-Handel. Sein Buch „Der neue Online-Handel
ist auch in englischer sowie chinesischer Version erschienen und kommt Anfang 2019 in zehnter Auflage heraus.
1 Zukunft des Handels
1.1 Differenzierung des Einzelhandels
Der Einzelhandel stellt mit rund 500 Mrd. EUR Nettoumsatz für Waren und gut 3 Mio. Beschäftigten die drittgrößte Wirtschaftsbranche in Deutschland dar (Müller-Hagedorn und Natter 2011; HDE 2017). Nicht in diesen Zahlen enthalten sind die Umsätze der Apotheken in Höhe von knapp 50 Mrd. EUR sowie die Erlöse des Autohandels für Neu- und Gebrauchtwagen an Privatkunden mit rund 100 Mrd. EUR Umsatz (Statista 2017a, b). In seiner klassischen Funktion verkörpert der Einzelhandel die Nahtstelle zwischen Produzenten und Verbrauchern. Damit bestand seine Funktion bisher darin, dass produzierte wirtschaftliche Güter vom Produzenten in den Verfügungsbereich des Konsumenten gelangen (Ahlert et al. 2009; Müller-Hagedorn et al. 2011), wozu gewöhnlich das Eigentum an der Ware erworben werden musste. Demgegenüber war es die Rolle des Großhandels, die Fertigprodukte an gewerbliche Kunden, also Wiederverkäufer bzw. Großabnehmer, zu verkaufen und zu liefern.
In den letzten Jahren finden jedoch Entwicklungen statt, welche die Rolle des Handels dramatisch verändern (Heinemann 2017a, b). Die Art und Weise, wie stationäre Einzelhandelsunternehmen und Kunden miteinander interagieren, kann heutzutage sehr unterschiedlich erfolgen. Klassischerweise werden vier Prinzipien der Kontaktanbahnung unterschieden, und zwar das Residenz-, Domizil-, Treffpunkt- sowie Distanzprinzip (vgl. Abb. 1). Im Zuge der Internetnutzung ist nun auch das Hybridprinzip anzutreffen, das neben dem Distanz- und Treffpunktprinzip immer stärker an Bedeutung gewinnt (Wegener 2004; Heinemann 2013):
../images/464529_1_De_1_Chapter/464529_1_De_1_Fig1_HTML.pngAbb. 1
Kontaktprinzipien im Handel.
(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Wegener 2004, 2008)
Das Residenzprinzip steht für den klassischen stationären Handel in seiner reinen Form und bedeutet, dass Kunden mit dem Händler in dessen Verkaufsraum in Kontakt treten. Es handelt sich hier um den physischen Verkauf in stationären Verkaufsstellen (zum Beispiel Filialverkauf).
Ein Domizilprinzip liegt vor, wenn der Anbieter mit den Kunden in oder an ihren Wohnungen in Kontakt tritt, was den ambulanten Einzelhandel kennzeichnet (zum Beispiel Haustürverkauf).
Von Treffpunktprinzip wird gesprochen, wenn der Verkauf an einem dritten Ort unabhängig von Domizil und Residenz erfolgt (zum Beispiel Wochenmärkte oder E-Marktplätze).
Das Distanzprinzip steht für den interaktiven Handel, bei dem die Einzelhändler und Käufer nicht physisch in Kontakt treten. Die räumliche Trennung wird dabei durch Medien wie zum Beispiel einen Katalog oder das Internet überbrückt (zum Beispiel Katalogversand oder Online-Handel).
Das Hybridprinzip stellt eine Mischform dar, die sich aus der Internetnutzung zur Vorbereitung oder Unterstützung des stationären Kaufs ergibt (zum Beispiel Multi-Channel-Handel oder No-Line-Experience).
Mit dem Online-Handel, der dem Distanzprinzip folgt, verschieben sich auch die Kontaktprinzipien und damit die bisherigen Aufgaben des Einzelhandels. Rund 40 % des Online-Handels und damit mehr als 4 % der gesamten Einzelhandelsumsätze erfolgt über Online-Marktplätze, die nur noch als Vermittler agieren und keine Waren mehr bevorraten (Heinemann 2018a). Diese folgen dem Treffpunktprinzip, sind aber dem Distanzhandel quasi vorgeschaltet. Damit findet auch zunehmend eine Vermischung der Kontaktprinzipien statt. Dennoch wird wie bisher grundsätzlich zwischen dem stationären und nicht-stationäre Einzelhandel sowie zwischen dem Food- und Non-Food-Handel unterschieden.
Stationär versus nicht-stationär
Stationärer Handel ist der Sammelbegriff für Einzelhändler, die dem Residenzprinzip folgen und deren Handelsbetriebe an feste Standorte wie zum Beispiel Betriebsstätten, Verkaufsstätten und Ladenlokale gebunden sind (Handelswissen 2016). Diese „Residenz des Anbieters suchen Kunden auf, um einzukaufen und damit an die Ware zu gelangen (Holprinzip). Es handelt sich um den Ladenverkauf an Endverbraucher auf einer dafür ausgewiesenen Verkaufsfläche (Wikipedia: Verkaufsfläche 2016). Diese sind von Showrooms bzw. Ausstellungsräumen abzugrenzen, in denen gewöhnlich kein Verkauf und keine Mitnahme von Ware erfolgen (Wikipedia: Ausstellungsraum 2016). Inwieweit Showrooms dem stationären Handel zuzuordnen sind oder lediglich Touchpoints auch von nichtstationären Händlern darstellen, ist eine gemeinhin immer noch ungeklärte Frage (Heinemann 2011, 2013, 2018a, b). In jedem Fall ist aber die reale Präsenz der Waren, die der Kunde dann physisch begutachten und testen kann („Touch and Feel
), erfolgskritisch für die Wahl der Einkaufsstätte. Dabei hängt vom Betriebstyp ab, inwieweit Bedienung und Service angeboten werden oder ob der Kunde sich selbst bedienen bzw. zumindest eine Vorauswahl treffen muss. Zudem findet im stationären Einzelhandel eine sofortige, unmittelbare Übergabe der gekauften Artikel statt. Einschränkend wirken diesbezüglich sicherlich die festen Ladenöffnungszeiten sowie der erhebliche Zeitverlust, der durch Anfahrt, Parkplatzsuche etc. entsteht. Zum nichtstationären Handel zählen neben dem Haustürverkauf und dem Teleshopping vor allem Versandhandel und Online-Handel, bei denen die Ware zum Kunden verbracht wird (Bringprinzip). Da viele Handelsunternehmen sowohl im stationären als auch im nichtstationären Geschäft tätig sind, spielt für ihre Zuordnung das Schwerpunktprinzip eine Rolle. Demnach wird der stationäre Handel ausschließlich oder überwiegend von einem festen Platz aus organisiert (Handelswissen 2016). Mittlerweile ist die Frage „stationär versus nicht-stationär überwiegend der Diskussion „offline versus online
gewichen.
Food versus Non-Food
Der Einzelhandel präsentiert und entwickelt sich je nach Warengruppe sehr unterschiedlich. Grundsätzlich hinkt der „bedarfsorientierte Lebensmitteleinzelhandel hinter der Online-Entwicklung deutlich hinterher. Nicht ohne Grund wartet der deutsche Lebensmittelhandel seit Jahren gebannt darauf, wann Amazon versuchen wird, auch den Handel mit Fleisch, Obst und Gemüse zu „disruptieren
. Aber auch der Online-Marktführer spielt in der deutschen Lebensmittelbranche bisher kaum eine Rolle. Das könnte sich zwar in den nächsten Jahren ändern, doch es wird sicherlich kein Selbstläufer werden (Die Welt 2016). Ohne Zweifel geht es um einen riesigen Markt, denn mehr als 200 Mrd. EUR geben die Bundesbürger Jahr für Jahr für Fast-moving Consumer Goods (FMCG) aus, davon rund 172 Mrd. für Food im Lebensmitteleinzelhandel (vgl. Abb. 2). Während sich die Online-Händler bei Büchern oder bei Bekleidung längst ein großes Stück des Kuchens gesichert haben, sind die Lebensmittelumsätze im Online-Handel immer noch überschaubar. Nur rund ein Prozent der Branchenumsätze werden online getätigt (bevh 2016, 2018). Insofern bleibt Online-Vertrieb – zumindest in Deutschland – auf absehbare Zeit ein Non-Food-Thema (SZ 2014a). Es gibt hierzulande nicht viele Verbraucher, die bereit sind, einen Aufpreis dafür zu bezahlen, dass Frischeprodukte bis zur Haustür geliefert werden. Auch ist die Marge bei Food aufgrund des starken Preiswettbewerbs bereits so stark ausgereizt, dass eine Belieferung ohne Aufschlag in der Mehrzahl der Fälle nicht wirtschaftlich darstellbar ist. Dennoch gehen – recht optimistische – Schätzungen davon aus, dass der Lebensmittelhandel im Internet in den nächsten zehn Jahren durchaus zu einem 20-Mrd.-EUR-Business werden könnte (SZ 2014a; Heinemann 2017b). Bevor es allerdings an der Kundenfront in die Offensive geht, sollte doch zumindest eine lebensmittelgerechte Logistik aufgebaut sein. Das dürfte Milliarden kosten und Jahre dauern.
Abb. 2
Warengruppenstruktur des deutschen Einzelhandels.
(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an HDE 2016, 2017; Destatis 2017; Factbook Einzelhandel 2017, 2018)
1.2 Ausgangssituation des Einzelhandels
Insbesondere im Vergleich zum Online-Handel ist nicht zu leugnen, dass die Zeiten für den stationären Handel schwieriger geworden sind. Stationäre Händler kämpfen immer häufiger mit rückläufigen Kundenfrequenzen und stagnierenden Umsätzen (Servicevalue 2014; Heinemann 2017b). Wie Abb. 3 zeigt, bewegen sich die Nettoumsätze des stationären Einzelhandels hierzulande seit Jahren bei rund 400 Mrd. EUR, während der Online-Handel enorm wachsen und sich zum Wachstumstreiber für die gesamte Einzelhandelsbranche entwickeln konnte (HDE 2016, 2017). Der Entwicklung des Einzelhandels in Richtung „online versus offline steht allerdings auch eine Expansion der Verkaufsflächen gegenüber, die den stationären Handel physisch verkörpern. Trotz der enormen Marktanteilsgewinne des Online-Handels konnten sich die Einzelhandelsflächen auf hohem Niveau bisher stabil halten (GfK 2015). So stieg die Gesamtfläche aller Verkaufsräume zwischen 2002 und 2011 kontinuierlich um 0,4 % bis 1,4 % pro Jahr an. In 2013 und 2014 waren zwar leichte Flächenrückgange von rund 0,1 % p. a. auf 117,8 Mio. m² zu verzeichnen, diese wurden jedoch in erster Linie durch die Schlecker-Pleite in 2012 sowie die Praktiker/Max Bahr-Insolvenz Ende 2013 verursacht. Im Jahr 2015 stiegen die Verkaufsflächen wieder um 0,2 % auf rund 118 Mio. m² an, womit in etwa das Niveau vor der Schlecker-Pleite erreicht wurde. In den letzten beiden Jahren dürfte sich die Verkaufsfläche in Deutschland auf diesem Niveau eingependelt haben. Das „Ausnahmejahr 2017
, in dem der Einzelhandel aufgrund der exzellenten Konjunkturlage sogar preisbereinigt um rund 3 % wachsen konnte (Die Zeit 2018), wird wahrscheinlich Anlass für weitere Flächenexpansionen geben.
Abb. 3
Nettoumsätze des Einzelhandels in Deutschland.
(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an bevh 2017; HDE 2017; Factbook Einzelhandel 2017, 2018; Die Zeit 2018)
Trotz der hervorragenden Entwicklung in 2017 ist jedoch nicht zu übersehen, dass sich das Wettbewerbsumfeld für den Handel in den letzten Jahren dramatisch gewandelt hat. Branchenübergreifend hat innerhalb der Handelsformate eine Verschiebung stattgefunden. Vor allem der traditionelle Fachhandel hat durch die zunehmende Vertikalisierung stark an Bedeutung verloren. Dies führt zu immer mehr „Mono-Label-Stores, die die klassischen „Multi-Label-Retailer
ersetzen. IKEA oder H&M erwirtschaften bereits jeweils deutlich mehr Umsatz als die ehemaligen Warenhausgiganten Kaufhof und Karstadt (Heinemann FAZ 2010). Darüber hinaus hat sich der Online-Handel inklusive Mobile Commerce etabliert und gewinnt weiterhin unentwegt Marktanteile dazu. Die Digitalisierung schafft neue Wettbewerbsformen und verändert das Informations- und Einkaufsverhalten der Kunden. Darüber hinaus übernehmen zunehmend neue Marktteilnehmer klassische Handelsfunktionen. Zu ihnen gehören Hersteller, neuartige Informationsintermediäre (z. B. Suchmaschinen wie Google oder soziale Netzwerke wie Facebook) sowie innovative Online-Anbieter und digitale Absatzmittler. Zu letzteren zählen beispielsweise Preis- und Produktsuchmaschinen wie Idealo oder guenstiger.de, Infomediäre wie die Social-Shopping-Plattformen Polyvore oder STYLIGHT, Empfehlungs-Engines/-Plattformen wie Last.FM oder Moviepilot, die auch einzelne Handelsfunktionen übernommen haben (Gehrckens und Boersma 2013; Boersma 2017).
Im Handel selbst erhöht sich der Wettbewerb zwischen den klassischen Offline- und den innovativen Online-Anbietern. Auf der einen Seite stehen Einzelhändler wie z. B. Mediamarkt/Saturn oder Otto, auf der anderen Seite die stark wachsenden Internet Pure Plays (IPPs) wie z. B. Amazon, Zalando oder Zooplus. Als Reaktion des traditionellen Handels auf die IPPs entstehen innovative Betriebsformen wie z. B. Multi-Channel-Händler. Gut aufgestellt sind hier vor allem englische oder amerikanische Händler wie z. B. Tesco, Debenhams, Wal Mart, Nordstrom oder John Lewis. Diese haben es geschafft, ihre Vertriebskanäle und Kundenkontaktpunkte so miteinander zu verzahnen, dass die Kunden sich flexibel zwischen den Kanälen hin und her bewegen können. Aber auch die mit der Digitalisierung einhergehende Internationalisierung erhöht den Wettbewerbsdruck, insbesondere der Cross-Border-Handel im Internet. Asos, Yoox, Net-A-Porter und Mr. Porter versenden zum Beispiel weltweit aus zentralen Lägern und wachsen weiterhin überdurchschnittlich stark, auch in Deutschland (Gehrckens und Boersma 2013; Boersma 2017).
Informationsintermediäre nutzen als Zugangsanbieter im Internet ihre Technologie- und Datenhoheit und den damit verbundenen großen Einfluss auf das Angebot von Waren und Dienstleistungen zur Erweiterung ihrer Geschäftsbasis. Ihr Einfluss auf die klassischen Handelsfunktionen „Information und Beratung, „Zusammenstellung von Sortimenten
sowie „Verbund-Dienstleistungen" ist heute schon groß. Er wird sich zukünftig z. B. durch das Angebot eigener Bezahlsystemangebote und Check-out-Funktionalitäten auch auf finanzielle Transaktionen ausweiten (Gehrckens und Boersma 2013; Boersma 2017). Neben den Informationsintermediären haben auch digitale Absatzmittler bereits Teile der klassischen Sortiments-, Beratungs- sowie Informationsfunktion des Handels übernommen. Analog zu digitalen Marktplätzen werden sie mittels eigener Zahlungs- und Check-out-Funktionalitäten auch die Transaktionsfunktion in Angriff nehmen (Gehrckens und Boersma 2013; Boersma 2017).
Im Zuge der um sich greifenden Wettbewerbsdynamik kann eine erfolgreiche Positionierung für Händler nur noch über absolute Kundenrelevanz erfolgen. Dem Händler muss es gelingen, sich in einer für den Kunden relevanten Dimension mit einem klaren Mehrwert zu positionieren. Erfolgreiche Online-Shops differenzieren sich bereits heute dadurch, dass sie nicht einen USP, sondern mehrere USPs innerhalb dieser strategischen Ebenen einnehmen. Nur solche Händler können langfristig überleben und wachsen, deren Alleinstellungsmerkmal darin besteht, dass sie dem Kunden in mehreren Dimensionen ein einzigartiges Nutzenversprechen präsentieren und erfüllen. Diese für den Kunden relevanten Dimensionen stellen zugleich die bedeutsamen strategischen Ebenen im Kampf um Marktanteile dar: Zielgruppe/Geschäftsmodell, Sortiment, Kundenerlebnis, Multi-Channel sowie Kommunikation/Kundeninteraktion. Darüber hinaus müssen sich Händler auf ein radikal verändertes Kaufverhalten ausrichten (Gehrckens und Boersma 2013; Boersma 2017).
1.3 Verändertes Kaufverhalten
Die Digitalisierung führt auch zu einer radikalen Veränderung des Kaufverhaltens (Heinemann 2018b). Ursprüngliches Interesse aller Kunden bleibt es zwar, in ihren Kaufprozessen Produkte zu finden, die ihre Bedürfnisse optimal befriedigen (Gehrckens und Boersma 2013; Heinemann 2018a). Durch das Internet ist die bisherige Ordnung des Kaufentscheidungsprozesses jedoch stark verändert worden. Nunmehr kann sich der Kunde vor seinem Kauf zuerst im Internet orientieren, ohne vorher ein Geschäft aufsuchen zu müssen. Dort findet er auch Informationen über die Akzeptanz und Beliebtheit von Produkten, zum Beispiel innerhalb seiner Peer Group in sozialen Netzen. Dadurch erhält er zusätzliche Sicherheit für die Kaufentscheidung. Zudem kann er bei dem Kauf eines Produkts Social-Media-Instrumente zur Entscheidungsfindung nutzen und damit auch Gruppenzugehörigkeit signalisieren. Dementsprechend entkoppelt sich durch das Internet der Kaufentscheidungsprozess. Bedrohlich für den Handel ist dabei, dass das Internet die einzelnen Phasen im Kaufentscheidungsprozess verschiebt und sich damit der Point of Decision vom Point of Sale loslöst (Gehrckens und Boersma 2013; Locationinsider 2015). Typisch für den klassischen Kaufprozess war die Übereinstimmung von „Point of Decision und „Point of Sale
(Gehrckens und Boersma 2013; Locationinsider Interview 2015; Heinemann 2018a). Der neue (Online-)Kaufprozess stellt sich jedoch nunmehr so dar, dass der Kunde im Internet zuerst ein Produkt auswählt, das seinen Bedürfnissen entspricht. Mithilfe von Preissuchmaschinen, Online-Marktplätzen, Social-Shopping-Diensten oder Communities verschafft er sich dazu einen Überblick über interessante Produkte. Diese vergleicht er anhand von Produktinformationen, zum Beispiel mithilfe von Herstellerseiten, Testberichten, Meinungsportalen oder sozialen Netzwerken, und trifft dann eine Produktauswahl. Erst danach wählt der Kunde den aus seiner Sicht optimalen Anbieter aus, bei dem er dann höchstwahrscheinlich auch kauft. Dabei entscheidet er häufig preisorientiert oder nach Verfügbarkeit und relativ losgelöst von Online- oder Offline-Kanälen. Dadurch verliert der einzelne Händler massiv an Bedeutung für die Kunden. Im Extremfall wird er nur noch als „Point of Sale wahrgenommen. Grund dafür ist auch, dass im Internet die benötigten Informationen zur Produktauswahl in viel größerem Umfang vorhanden sind. Dabei gewinnt das Netz als „Point of Decision
stark an Bedeutung. Das Auffinden der richtigen Information bietet für den Kunden nunmehr den größten Nutzen und wird damit zum wertvollsten Teil seines Kaufprozesses (Gehrckens und Boersma 2013; Stracke 2005; Heinemann 2018a). Selbst wenn das Produkt nicht in einem Online-Shop gekauft wird, ist das Internet im Zusammenhang mit Kaufentscheidungen für die meisten User das glaubwürdigste Medium. So verwundert nicht, dass in den meisten deutschen Haushalten mit Internet-Anschluss zunächst im Web recherchiert wird, bevor eine Kaufentscheidung getroffen wird (Gehrckens und Boersma 2013). Die Mehrzahl der Kunden stellt dabei Preisvergleiche an, informiert sich auf Herstellerseiten, liest Testberichte im Internet oder berücksichtigt Kommentare und Diskussionsbeiträge anderer Nutzer (Schneller 2008). Mit der zunehmenden Verlagerung der Kommunikation ins Netz verschiebt sich auch die Relevanz einzelner Informationsquellen für den Internet-Nutzer: Mittlerweile zählen Bewertungen anderer Internet-Nutzer zu den vertrauenswürdigsten Quellen. Diese spielen insbesondere bei der Vorbereitung von Käufen eine große Rolle (Heinemann 2018b).
Der neue Kaufprozess definiert auch die Wettbewerbsverhältnisse neu. Einerseits bietet das Internet dem Kunden die Möglichkeit, sich beinahe jedes weltweit verfügbare Produkt relativ schnell und einfach beschaffen zu können. Andererseits findet der Kunde im „World Wide Web" alle erforderlichen Informationen, die ihn bei der Suche nach dem richtigen Produkt unterstützen. Aufgrund detaillierter Produktinformationen, zusätzlicher Testberichte sowie dargestellter Produktbewertungen wird der Entscheidungsprozess von Kunden viel besser unterstützt als bei der traditionellen Beratung durch einen Händler (Gehrckens und Boersma 2013; Locationinsider 2015; Heinemann 2018a, b). Vor allem Amazon hat es in den letzten Jahren geschafft, den Kaufprozess zu seinen Gunsten zu verändern. Nicht nur die Produktsuche wird zunehmend durch den Online-Marktführer dominiert, der als Produktsuchmaschine mittlerweile sogar Google abgelöst hat, auch die Anbieterauswahl findet auf dem Amazon-Marktplatz statt. Dies betrifft allerdings vorrangig den Bedarfskauf, bei dem das Kaufbedürfnis an erster Stelle steht. Geht es jedoch um Impuls- und Erlebniskäufe, hatte der stationäre Handel bisher zweifelsohne Vorteile gegenüber den meisten Online-Händlern. Im Zuge des App-based Retailing, mit dem Wish eine neue Dimension des Einkaufserlebnisses erfunden hat, dürfte das Kaufverhalten bezüglich des Shoppings jedoch in eine neue Evolutionsstufe übergehen (vgl. Abb. 4). Bei Wish handelt es sich um einen mobilen Marktplatz für Nicht-Markenware, der seine sehr junge Zielgruppe mit extrem niedrigen Preisen über eine Shopping-App bedient und die Bestellungen direkt vom Hersteller in China an den Endkunden versenden lässt (Kassenzone 2017). Der Mix aus enorm günstigen Preisen – die Rabatte liegen bei mindestens 80–90 % – und langen Lieferzeiten führt zu einer ganz anderen Einkaufsdynamik, die Wish selbst als „Discovery Shopping beschreibt. Dabei handelt es sich nicht um einen zielgerichteten Einkauf, sondern eher um ein inspiratives Browsen, das durch ein „Endless Scrolling à la Pinterest
befeuert wird. Das primäre Kaufmotiv ist dabei weniger der Zielkauf als vielmehr ein Einkaufsbummel, worin das Geheimnis von Wish liegen dürfte (Kassenzone 2017). Damit konkurriert der App-based Retailer gar nicht so sehr mit Amazon & Co., sondern richtet sich eher an Kunden ohne Kaufinteresse, die dann zu Käufern konvertiert werden. Dies konnte bisher der stationäre Handel in der Tat viel besser als die meisten Online-Modelle (Kassenzone 2017), der Prozess wird allerdings aktuell durch Wish & Co. neu erfunden.
Abb. 4
Veränderung des Kaufprozesses durch E-Commerce.
(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Gehrckens und Boersma 2013; Kassenzone 2017)
Insgesamt gesehen lässt sich aber feststellen, dass der Point of Decision im gesamten Kaufentscheidungsprozess stark an Bedeutung gewinnt. Die Kaufentscheidung fällt primär produktbezogen, die Händlerauswahl erfolgt zunehmend faktenbasiert – u. a. über Erreichbarkeit, Preis, Verfügbarkeit und Service. Der Point of Sale verliert dadurch seine bisherige Bedeutung, denn das Auffinden der richtigen Information bietet dem Kunden den größten Nutzen und wird damit zum wertvollsten Teil der Wertschöpfungskette. Hierfür ist keine direkte Kundenbeziehung notwendig, und durch die zunehmende Verbreitung von Smartphones gepaart mit der steigenden Nutzung schneller, mobiler Internetverbindungen (UMTS, HSPA + , LTE usw.) wird die richtige Information überall sofort auffindbar – selbst noch vor dem Regal im stationären Handel!
1.4 Neuausrichtung der Wertschöpfungsketten
Das neue Kaufverhalten führt auch zu einer Veränderung der Wertschöpfung im Handel. Bisher war die Wertschöpfungskette hier überwiegend integriert und für den Kunden in jeder einzelnen Stufe relevant. Sie schuf dabei einen Nutzen, für den der Kunde zu zahlen bereit war. Die ursprünglich integrierte Wertschöpfungskette wird allerdings durch die Veränderung des Kaufverhaltens entkoppelt. Dadurch verlieren die Handelsunternehmen wesentliche wertschöpfende Aktivitäten in allen Funktionen – insbesondere in den Kernfunktionen des Sortiments- und Informationsmanagements (Gehrckens und Boersma 2013; Boersma 2017):
Infomediäre verfügen häufig über eine höhere Sortimentskompetenz.
Makler können über Longtail eine unendlich große Auswahl anbieten.
Auf Wunsch liefern Recommendation Engines individuelle Empfehlungen.
Beratung wird von Preis- und Produktsuchmaschinen geboten.
Soziale Netzwerke bündeln Meinungen und Empfehlungen.
Dadurch verliert der Handel seine dominierende Rolle und seine Alleinstellungsmerkmale, was wiederum seine Relevanz für die Kunden mindert. Folglich sinkt auch die Kundenbindung und damit die Zahlungsbereitschaft des Kunden. Für eine nicht mehr wahrgenommene Wertschöpfung ist dieser nicht mehr bereit zu zahlen. Falls hierfür trotzdem Aufwände in die Preiskalkulation einfließen, wird der klassische Handel den Pure-Online-Anbietern im Wettbewerb deutlich unterlegen sein und weiterhin Marktanteile verlieren. Verteilt sich diese Wertschöpfung zunehmend auf unterschiedliche Akteure, dann verteilen sich auch die damit erzielten Erlöse. Die Margen werden dabei auf die einzelnen Wertschöpfungsstufen verteilt und nicht mehr in Gänze vom Händler vereinnahmt. Zusätzlich reduziert sich die Anzahl der Wertschöpfungsstufen, Disintermediation genannt. Es kommt zu einem Absenken der Preise und so zu einer steigenden Preisleistung. Echte Beratung wird in den traditionellen Handelsformaten häufig sowieso schon nicht mehr oder nur unzureichend erbracht. Sie ist aber im stationären Handel immer noch Kostentreiber. Zum anderen erhöht sich der Kundenmehrwert durch Ausweitung der Angebote bzw. der Auswahl, eine verbesserte Informationstransparenz sowie eine erhöhte Bearbeitungsgeschwindigkeit. Die Belieferung innerhalb von wenigen Stunden nach Auftragsabgabe ist in arbeitsteiligen Organisationsformen nicht möglich. Sortimente mit mehreren Millionen verschiedenen Artikeln sind wiederum im stationären Handel nicht abbildbar. Zudem nehmen die Wertschöpfungstiefe des Handels sowie auch die durchsetzbaren Margen ab. Aber auch Markteintrittsbarrieren sinken. Der Markteintritt wird für kleine oder branchenfremde Wettbewerber deutlich erleichtert. Dieser Wandel betrifft in erster Linie den stationären Handel. Noch ist nicht klar, auf welchen Stufen der Wertschöpfungskette sich der traditionelle Handel in Zukunft profitabel bewegen kann (vgl. Abb. 5) (Gehrckens und Boersma 2013; Boersma 2017).
../images/464529_1_De_1_Chapter/464529_1_De_1_Fig5_HTML.pngAbb. 5
Klassische Wertschöpfungskette des Handels.
(Quelle: Boersma und Gehrckens 2013 in Anlehnung an Peters et al. 2008)
Die Neuausrichtung der Wertschöpfungsketten wirft die Frage auf, ob und in welcher Form der Handel zukünftig noch eine Daseinsberechtigung hat. Mit seiner Positionierung in der frühen Kaufphase der Kunden sind regelrechte Gatekeeper entstanden. Professionelle Onliner haben darauf bereits reagiert und sich konsequent zu vertikalen Anbietern weiterentwickelt. Zu nennen sind Markenartikler wie Apple, Zugangsanbieter wie Google und Online-Händler wie Amazon. Sie haben wesentliche Funktionalitäten bisheriger Wertschöpfungspartner in ihr Angebotsrepertoire mit aufgenommen. Sie weisen damit inzwischen auch eine starke Präsenz und Relevanz für die frühe Kaufphase auf und haben damit ebenfalls eine entscheidende Gatekeeper-Funktion für den Einkauf übernommen. Auch unterstützen derartige Anbieter die Nutzer bei der Entscheidung für das am besten zu ihren Bedürfnissen passende Produkt sowie bei der Auswahl des geeigneten Händlers. Amazon gilt hier zweifelsohne als die absolute Benchmark im Handel. Erste Studien aus den USA zeigen, dass Amazon bei der Online-Produktsuche im Internet Google bereits in 30 % der Fälle von Platz 1 verdrängt hat. Als einer von nur wenigen Online-Händlern hat Amazon somit selbst eine Gatekeeper-Funktion übernommen und damit Google sowie auch viele der digitalen Absatzmittler auf die Plätze verwiesen (Forrester 2012). Sowohl Amazon als auch Google sind Paradebeispiele für die digitale Disruption, die grundlegende Veränderungen von Technologien, gesellschaftlichen Paradigmen und der gesamten Wirtschaft nach sich ziehen wird. Die Digitalisierung hat bereits eine Vielzahl kundenorientierter Branchen verändert. So wurde die westliche Buch- und Musik-Industrie innerhalb weniger Jahre durch Downloads umgekrempelt. Auch die Reise-Industrie ist durch kolossale Veränderungen vom Reisebüro hin zu direct-to-customer Online-Buchungs-Plattformen gekennzeichnet. Digitale Entwicklungen transformieren in vielen Branchen den Markt. Während Kodak, Quelle und Nokia mehr oder weniger Geschichte sind, entwickeln sich Instagram, Amazon oder Apple zu neuen Marktführern oder gar zu den wertvollsten Unternehmen der Welt. In seiner fast 25-jährigen Geschichte ist im E-Commerce mittlerweile eine hohe Professionalisierung sowie Spezialisierung entstanden. Dabei ist der reine Online-Shop zu einer Art Commodity geworden. Nur durch die konsequente Weiterentwicklung und Professionalisierung aller Funktionen, Prozesse und Systeme lässt sich heute Web-Exzellenz erreichen und ein USP innerhalb der einzelnen Strategieebenen umsetzen (Gehrckens und Boersma 2013; Boersma 2017; Heinemann 2018a, b).
1.5 Kampf der Triade
Einem immer noch ausgeprägten „digitalen Widerstand im deutschen Mittelstand steht die Entwicklung von Google, Apple, Facebook und Amazon entgegen, die gerne unter dem Akronym „GAFA
zusammengefasst werden. Diese Unternehmen machen sich immer breiter, saugen immer mehr Geschäftsmodelle in sich auf und sind auf dem Weg, Internet-Oligarchen zu werden (iBusiness GAFA 2016; Heinemann 2017c, 2018a). Sicher ist: In der westlichen Hemisphäre dominiert Amazon ganz klar die E-Commerce-Welt. Mit rund 136 Mrd. US$ Umsatz, hochgerechnet mehr als 200 Mrd. Handelsvolumen – inklusive echter Marktplatzumsätze – und wieder beschleunigtem Wachstum um mehr als 27 % im letzten Jahr ist diese „Killermaschine eigentlich nicht mehr einzuholen. Der Vergleich mit den Top-Einzelhändlern auf dem amerikanischen Markt zeigt, dass Amazon im Grunde genommen kein Verfolgerfeld mehr hat (Amazon 2017). Apple konnte zwar bis 2015 im eigenen Online-Handel leicht aufholen, hat jedoch seitdem aufgrund seiner Ein-Produkt-Abhängigkeit (iPhone) rückläufige Online-Umsätze zu verzeichnen. Eigentlich müsste WalMart ein existenzielles Interesse daran haben, als (noch) mit Abstand größter Einzelhändler der Welt alles zu tun, um sich nicht von Amazon die Butter vom Brot nehmen zu lassen. Einige Experten trauen zudem WalMart durchaus zu, schon aufgrund der schieren Größe über ausreichende Ressourcen zu verfügen, um gegen Amazon in die Offensive gehen zu können. Die Realität sieht jedoch anders aus. So ließ WalMart zwar Anfang 2016 verkünden, rund zwei Milliarden US-Dollar in den Ausbau der E-Commerce-Plattform zu investieren und 269 unrentable Märkte zu schließen. Zwischenzeitlich wurden zwar die digitalen Investitionen leicht aufgestockt und auch das E-Commerce-Start-up Jet.com für rund 3 Mrd. US$ übernommen. Im Vergleich zu den 9,8 Mrd. US$ an „Digital Investings
, die Amazon alleine in 2016 investiert hat, dürfte das wohl eher ein Tropfen auf dem heißen Stein gewesen sein, zumal die digitalen Investitionen bei WalMart überwiegend in den Aufbau von „Click&Collect fließen und weniger für Web-Exzellenz investiert werden (WalMart 2017; Heinemann 2018a). Die Online-Umsätze werden nicht einmal mehr veröffentlicht, und neben der Information, dass WalMart 11.695 Läden in 28 Ländern betreibt, findet sich im neuesten Geschäftsbericht lediglich der Hinweis, dass es E-Commerce-Websites in 11 Ländern gibt. Gemessen an Amazons Investitionen in die digitale Aufrüstung hätte WalMart in Relation zu seinem Umsatzvolumen in Höhe von rund 481 Mrd. US$ im letzten Jahr rund 36 Mrd. US$ in die Digitalisierung stecken müssen. Tatsächlich wurde nicht einmal ein Zehntel dieser Summe von WalMart in den Aufbau des eigenen E-Commerce investiert (Wal Mart 2017). Allerdings wurde kürzlich die Übernahme des indischen E-Commerce-Portals Flipkart für 16 Mrd. US$ vermeldet, was aber immer noch ein Tropfen auf den heißen Stein sein dürfte (Handelsblatt.com 2018). Amazon ist nicht alleine, sondern Mitglied der „GAFAE-Gruppe
(Google, Amazon, Facebook, Apple, eBay), die in 2016 zusammen auf mehr als 600 Mrd. US$ Handelsvolumen kam. Dieser US-Gruppe steht in der östlichen Hemisphäre die TAB-Gemeinschaft gegenüber, bestehend aus Tencent (inklusive WeChat), Alibaba (inklusive T-Mall und Taobao) und Baidu, mit zusammen ebenfalls mehr als 600 Mrd. US$ Handelsvolumen. Diese Gruppe steht nach Expertenmeinung GAFAE in nichts nach und praktiziert derzeit eindrucksvoll das „chinesische Leapfrogging. Insofern ist die Frage erlaubt, welche Gruppe Europa aufzufahren hat. Bisher lassen sich hier keine vergleichbaren Player identifizieren, also „Zero
. Deswegen ist die Konkurrenz der digitalen Player in der Triade wohl eher ein Kampf „GAFAE-TAB-ZERO" (vgl. Abb. 6).
Abb. 6
Kampf der Triade – ein „GAFA-TAB-ZERO".
(Quelle: Eigene Darstellung)
Was ist die Antwort auf das skizzierte Szenario? Zwei Dinge lehren die beiden Gruppen GAFA und TAB zweifelsohne (iBusiness GAFA 2016):
Erstens: Kenne deine Kunden, denn die Unternehmen GAFA und TAB tun wirklich alles, um Kundendaten zu sammeln und Bewegungsprofile zu erstellen. User können posten, was sie gerade tun, dürfen gratis Navigationslösungen nutzen oder sich gegen Vorteile registrieren lassen; der Datensammelwut sind keine Grenzen gesetzt.
Zweitens: Binde die Kunden, denn Kundenbindung ist günstiger als Kundenakquisition. Amazon-Prime macht es vor, und auch Google bzw. Facebook versuchen mit unentwegter Beharrlichkeit herauszufinden, was die Nutzer gut finden, nur um es ihnen dann anzubieten.
Was aber ist die deutsche Antwort auf Amazon & Co.? Es gibt keine! Insbesondere im lokalen Handel besteht enormer Nachholbedarf, da hier häufig schon die Basisanforderungen an einen professionellen Geschäftsbetrieb nicht erfüllt sind (Locafox 2016; Heinemann 2017b).
Ein Blick in die Bilanz des Handelsgiganten lässt erahnen, dass WalMart vielleicht gar nicht mehr in der Lage ist, die digitale Mobilisierung in adäquatem Ausmaß zu stemmen. Denn bei rund 107,7 Mrd. US$ bilanziertem Immobilienvermögen ist anzunehmen, dass die rund 22,7 Mrd. US$ ausgewiesenes EBIT nicht zuletzt durch nicht getätigte Mietzahlungen zustande gekommen sind. Bei rund 80,5 Mrd. US$ Eigenkapital dürfte sich im Top-Management von WalMart vermutlich alles um das potenzielle Immobilienrisiko drehen, für das es wahrscheinlich keine Lösung mehr gibt. Denn wer sollte an den Handelsimmobilien von WalMart ein Interesse haben?
2 Handel der Zukunft
2.1 Potenzielle Märkte und Zielgruppen
Entscheidend für den Innovationserfolg ist eine genaue Abschätzung der Marktpotenziale sowie eine Identifizierung von (noch) nicht besetzten Marktnischen. Neben einer Wettbewerbsanalyse sollten auch die Marktsegmente und Zielgruppen ausgewählt sowie definiert werden (Heinemann 2018a). Für viele Händler war in der Vergangenheit die Fokussierung auf eine konkrete Zielgruppe gar nicht möglich und notwendig. Im stationären Handel erfolgte in der Regel eine eher implizite Zielgruppenauswahl durch die Standortwahl, die Ladengestaltung sowie die Sortimentierung (Gehrckens und Boersma 2013; Boersma 2017). Undifferenzierte Händler hatten immer schon weniger Chancen, mit der rasant steigenden Komplexität und dem sich ständig ändernden Konsumentenverhalten Schritt zu halten. Das gilt jetzt auch für Online-Händler. Dabei lassen sich vor allem im Internet besser als bisher ganz gezielt einzelne Zielgruppen bestimmen und adressieren. Das erfordert allerdings, die entsprechenden Marktpotenziale zu ermitteln und in den nachgelagerten Strategieebenen relevante zielgruppenspezifische Mehrwerte zu identifizieren. Diese sind dann Grundlage für eine aus Kundensicht relevante Positionierung, die grundsätzlich einer Spezialisierung folgen sollte. Nach der Festlegung auf eine Kategorie geht es um die Entscheidung, sich entweder auf eine bzw. wenige Zielgruppen zu fokussieren oder aber innerhalb einer Warengruppe möglichst viele oder sogar alle denkbaren Zielgruppen zu bedienen (Heinemann 2018a, b).
Die Spezialisierung bzw. Zielgruppenfokussierung kann entweder dem Prinzip des Special Shops oder des Category Killers folgen. Beim Special-Shop-Prinzip werden die Marktsegmente mit spitzen und dementsprechend sehr passfähigen Konzepten adressiert. Ein wesentlicher USP ist dabei die richtige Vorauswahl des Sortiments, das ideal zu den Bedürfnissen der (Online-)Zielgruppe passen sollte. Als gutes Beispiel für einen Special Shop gilt Asos im Bereich Fashion/Lifestyle, der auch international erfolgreich agiert. Der britische Online-Händler setzt ganz klar auf die Zielgruppe „Trendy/Mainstream". Weitere Best Practices für erfolgreiche Special Shops sind Net-a-Porter (DOB) bzw. Mr. Porter (HAKA), die sich beide eher im oberen Premiumbereich positionieren. Eine extreme Form des Special Shops ist das Curated Shopping, bei dem der Händler eine handverlesene Auswahl an Produkten anbietet, die sich an Geschmack und Bedürfnissen des einzelnen Kunden orientieren. Das Category-Killer- Prinzip sieht demgegenüber den Verkauf von Waren/Leistungen in einer (wenigen) Produktkategorie(n) in – idealtypisch – endloser Artikeltiefe (Longtail) je Kategorie vor. Während sowohl im stationären Handel als auch im klassischen Versandhandel der Sortimentsumfang stets limitiert ist, da Verkaufsflächen und Katalogumfang das nicht anders möglich machen, kann im E-Commerce die Anzahl der Artikel nahezu unendlich sein. Hier ist bei geringen Grenzkosten ein nahezu unbegrenztes Sortiment darstellbar. Zusätzlich lassen sich auch Nischenprodukte (Longtail) mit geringer Nachfrage rentabel anbieten und eröffnen dem Händler damit sogar höhere Margen als preissensitive Bestseller. Erfolgsbeispiele hierfür sind z. B. Fahhrad.de für alles rund ums Fahrrad, Zooplus für Tierbedarf, notebooksbilliger.de für PC und PC-Bedarf oder Zappos/Zalando für Fashion und Schuhe. Amazon gilt zweifelsohne als Best Practice für einen Category Killer. Von dem Online-Marktführer werden Online-Käufer angesprochen, welche die größtmögliche Auswahl suchen.
Wahrscheinlich tun sich im Zuge der Digitalisierung in den nächsten Jahren weitere strategische Fenster und Opportunitäten für Category Killer sowie Special Shops auf. Spannend ist deswegen die Frage, welche Aspekte zukünftig einen nachhaltigen Einfluss auf den Handel ausüben werden oder dies bereits getan haben. Als zentrale Trends werden derzeit zunehmend „Millenial-Märkte, „E-Food und Food-Online
, „neue Services sowie „Nischenmärkte und Mikro-Reichweiten
und „neue Touchpoints" genannt (Heinemann 2018a):
Millennial-Märkte: In den nächsten Jahren drängen verstärkt die Millennials – auch als Generation Y bezeichnet – auf die Märkte. Diese machen rund 20 % der deutschen Bevölkerung aus, wurden zwischen 1980 und 2000 geboren und lassen sich besonders gerne durch Empfehlungen von Freunden oder Familienmitgliedern zum Kauf verleiten. Noch mehr gilt das für die Vertreter der Generation Z, deren Geburtsjahre zwischen 1995 und 2010 liegen und die zunehmend die Kaufentscheidungen von Familien dominieren. Viele Traditionshändler haben allerdings den Kontakt zu den Generationen Y und Z verloren und zu einseitig auf den demografischen Wandel gesetzt, der jetzt doch nicht mehr so stark stattfindet wie ursprünglich angenommen (Faz.net 2017). Im Hinblick auf zukünftige Käufergruppen sollten Händler deswegen auf neue Wege der Kundenbindung setzen sowie ihre Kompetenzen und Methoden mit Blick auf digitales Shopping zwingend überdenken bzw. neu gestalten. Sie sollten aber auch die Neuausrichtung der stationären Kanäle nicht vernachlässigen (Heinemann 2017b), da 60 % der Generation Z noch immer lieber im Laden kaufen und 40 % ihrer Vertreter sich vor dem Online-Kauf im stationären Handel informieren. So bezeichnen drei Viertel (77 %) der Befragten aus dieser Altersgruppe in den USA klassische Niederlassungen als den Einkaufskanal ihrer Wahl (Accenture 2017; iBusiness Generation Z 2017). Darüber hinaus sind sie bereit, beim Shoppen etwas zu kaufen, weil ihnen etwas spontan gefällt. Wie eine aktuelle Accenture-Studie zeigt, bevorzugt diese Kohorte vor allem Social-Media-Plattformen, die ihnen direkt Käufe ermöglichen (Accenture 2017; iBusiness Generation Z 2017).
E-Food und Food-Online: Es ist nicht nur die digital affine jüngere Kundschaft, die – wie oft vermutet – online zum Salatkopf und Nutella-Glas greift. Aktuelle Studien zeigen, dass es gerade auch die 41- bis 50-Jährigen sind, die mit 23 % die größte Gruppe der Online-Einkäufer von Lebensmitteln darstellen (eTailment E-Food 2017). Auch handelt es sich nicht nur um die besonders einkommensstarken Kunden, die Lebensmittel zunehmend online einkaufen. Dabei trauen Branchenkenner Amazon am ehesten zu, die Lebensmittellandschaft in Richtung Online zu verändern – und zwar zulasten der Platzhirsche Edeka, Rewe oder Aldi und Lidl/Kaufland. Während sich Kunden in Berlin bei Amazon Now eine begrenzte Auswahl von Lebensmitteln auch schon innerhalb einer Stunde liefern lassen konnten, hat Amazon Fresh das Angebot noch einmal deutlich vergrößert. Mehr als 85.000 Artikel, davon 6000 Bio-Produkte plus lokale Delikatessen, toppten zum Start bereits alles, was es bisher online zu kaufen gab (Heinemann 2017d). In Hamburg hat Amazon Fresh mittlerweile sogar über 300.000 Artikel im Angebot (Amazon Presse 2017). Damit wird der Online-Marktführer auch bei Lebensmitteln seinem Ruf gerecht, zu klotzen und als Category Killer aufzutreten. Zudem sind die Liefergebühren kreativer und attraktiver gestaltet als alles, was bisher dazu angeboten wurde. Die Einstiegshürden für Prime-Kunden sinken dadurch auf den niedrigsten Stand für Online-Lebensmittel und bewirken wahrscheinlich den Dammbruch für E-Food.
Neue Services: Auch bei den Services zeigt wieder einmal Amazon, wie ein optimiertes Liefermanagement die Kundenerfahrung verbessern und die Erwartungen der Kunden erhöhen kann und zusätzliche Marktpotenziale öffnet. Die Amazon Prime Services sowie die Lieferungen per Drohne setzen neue Service-Standards. Für Online-Händler wird es deswegen unerlässlich, sich mit dem Thema Schnelligkeit zu befassen. Kleinere Anbieter sind gezwungen, sich zu einem zuverlässigen Liefersystem zusammenzuschließen, um mit dem steigenden Tempo mithalten zu können (iBusiness Trends Online-Marketing 2016; Yannick 2017). Dies betrifft auch das Echtzeit-Payment. Nicht erst seit