Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Erfolgreich im stationären Einzelhandel: Wege zur konsequenten Profilierung im digitalen Zeitalter
Erfolgreich im stationären Einzelhandel: Wege zur konsequenten Profilierung im digitalen Zeitalter
Erfolgreich im stationären Einzelhandel: Wege zur konsequenten Profilierung im digitalen Zeitalter
eBook550 Seiten5 Stunden

Erfolgreich im stationären Einzelhandel: Wege zur konsequenten Profilierung im digitalen Zeitalter

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Der Autor – ausgewiesener Handelsexperte mit breiter Expertise – bietet mit seinem Buch eine vollständige Analyse der aktuellen Krise im stationären Handel und zugleich konkrete Handlungsempfehlungen für das Überleben des Händlers vor Ort. Seine Analyse fällt klar, vollständig und schonungslos aus – seine Anleitung zum Überleben im Einzelhandel ist pragmatisch, konsequent und alternativlos. Einzelhändler, die in diesen disruptiven Zeiten überleben wollen, müssen sich unangenehmen Handlungsoptionen stellen, die sie bislang so nicht gesehen haben oder denen sie ausgewichen sind. Wolfgang Merkle ermutigt den Einzelhandel mit großer Leidenschaft, seine einstige Stärke zur Selbsterneuerung wieder neu zu entdecken. Mit gut lesbaren Analysen und Merkboxen bereitet er den Weg dazu; mit seinen Thinkboxen und sieben Gestaltungsaspekten entfacht er neue Begeisterung für die individuelle Umsetzung von Überlebensstrategien im stationären Handel.
Aus dem Inhalt 
  • Was sich im Markt verändert und warum der Einzelhandel handeln muss
  • Digital und stationär – zwei bedeutende Dimensionen des aktuellen Wettbewerbs
  • Der selbstbewusste Konsument – die neue Anspruchsdimension für den Einzelhandel 
  • „Handel ist Wandel“ – ein verloren gegangenes Wesensmerkmal wiederentdeckt
  • Das stationäre Shopping-Erlebnis – die Chance zur Profilierung 
  • Sieben Gestaltungsaspekte bei der Entwicklung eines eigenständigen und differenzierenden Geschäftsmodells im Wettbewerbsumfeld

Mit dem Expertenwissen von 
  • Annerose Beurich - Erfolgreich im Bucheinzelhandel im digitalen Zeitalter 
  • Matteo Thun - Store Design und Ladenarchitektur – warum das physische Einkaufserlebnis im digitalen Zeitalter eine so hohe Bedeutung hat 
  • Dr. Peter Lensker - Von der Strategie zum ganzheitlichen Markenerlebnis – die Überwindung der Umsetzungslücke sowie Prozesse im stationären Einzelhandel – ein noch immer unterschätzter Aspekt der Markenprägung und -gestaltung
  • Prof. Dr. Ralf T. Kreutzer - Die Bedeutung eines professionellen Online-Auftritts auch für stationäre Einzelhändler
  • Peter Dräger - Erfolgreiches PoS-Marketing im digitalen Zeitalter
  • Claus Schuster - Erfolgreiche Kommunikation für den stationären Einzelhandel

Stimmen zum Buch 
„Der Stationäre Handel, egal in welchem Bereich, steht vor einer neuen entscheidenden Phase seiner jahrhundertalten Geschichte. Der CHANGE ist die CHANCE, individuell, lokal, curated und erlebnisorientiert Akzente zu setzen. Nur wem es gelingt, an seinem Standort zu überraschen, zu inspirieren und mit erstklassiger Qualität und Service zu überzeugen, wird überleben. Das vorliegende Buch kann keine Herausforderungen der Händler von selbst lösen. Aber es ist bestimmt eine gute Rezeptanleitung zu einem wunderbaren mehrgängigen Erlebnismenü.“  André Maeder, Chief Executive Officer, THE KADEWE GROUP GmbH



„Wolfgang Merkle beschreibt die aktuellen Herausforderungen im Einzelhandel plakativ und umfassend. Basierend auf seinem reichhaltigen Erfahrungsschatz aber auch mit vielen Best Practice Beispielen zeigt er gekonnt Lösungsmöglichkeiten auf, die vor allem den traditionellen stationären Händlern Hoffnung auf eine bessere Zukunft geben. Insgesamt ein sehr unterhaltsames und lehrreicheres Buch, welches für alle Händler und Handelsinteressierte absolut lesenswert ist!“ Jesko Perrey, Partner / Gesellschafter, Senior Partner, Global Knowledge Leader Marketing & Sales Practice, McKinsey & Comp., Inc.



„Der stationäre Einzelhandel gehört zu den Branchen, die besonders stark von den Konsequenzen der Digitalisierung und des veränderten Käuferverhaltens betroffen
SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer Gabler
Erscheinungsdatum15. Okt. 2019
ISBN9783658271602
Erfolgreich im stationären Einzelhandel: Wege zur konsequenten Profilierung im digitalen Zeitalter

Ähnlich wie Erfolgreich im stationären Einzelhandel

Ähnliche E-Books

Business für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Erfolgreich im stationären Einzelhandel

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Erfolgreich im stationären Einzelhandel - Wolfgang Merkle

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020

    W. MerkleErfolgreich im stationären Einzelhandelhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-27160-2_1

    1. Einleitung: Warum der stationäre Einzelhandel handeln muss

    Wolfgang Merkle¹ 

    (1)

    Merkle. Speaking. Sparring. Consulting., Hamburg, Deutschland

    „Handel ist Wandel" ist eine altbekannte und immer wieder neu zitierte Weisheit über die systemimmanente Dynamik gerade in diesem Wirtschaftszweig. Es gibt kaum eine Branche, die schon immer von einer derart starken Wettbewerbsintensität und daraus resultierend einer so hohen Anpassungsnotwendigkeit geprägt wird. Und so vergeht keine Woche, in der nicht über die Entstehung neuer Unternehmen, das plötzliche Verschwinden ehemals vertrauter Namen oder die Übernahme vermeintlicher Alleinstellungsmerkmale nun auch bei den Wettbewerbern berichtet wird. Denn der Handel gehört schon immer zu den Branchen, der von einer hohen Dynamik geprägt ist, in der sich ein Imitations- oder Wettbewerbsschutz nicht durchsetzen lässt und zu dem es keine direkten Zugangsbarrieren gibt. So muss sich jeder Einzelhändler in einem Konkurrenzumfeld aus ständig neuen Sortimenten, Warenpräsentationen und Handelsformaten immer wieder neu erfinden, um seine Kunden mit relevanten Mehrwerten nachhaltig für sich zu begeistern.

    Allerdings: In der öffentlichen Diskussion gibt es immer mehr Meldungen, die eine solche Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit des stationären Einzelhandels anzweifeln, weshalb man den Eindruck gewinnt, dass die lange gültige ‚Handel-ist-Wandel‘-Mechanik immer weniger funktioniert. Durch die Digitalisierung und dem parallelen Wertewandel der Gesellschaft wenden sich offensichtlich immer mehr Konsumenten vom klassischen Einzelhandel ab und erledigen ihre Einkäufe im Internet.

    Ein solcher Eindruck wird durch lebendige Headlines belegt (vgl. Abb. 1.1). In den Medien wird öffentlichkeitswirksam nicht nur von der generellen Bedrohung durch den eCommerce, sondern sehr konkret von einem dadurch ausgelösten Retail-Kollaps und einem sich damit verbundenen Massensterben berichtet.

    ../images/474326_1_De_1_Chapter/474326_1_De_1_Fig1_HTML.png

    Abb. 1.1

    Berichte über die Bedrohung des stationären Einzelhandels.

    (Quelle: Eigene Darstellung)

    Begleitet werden solche Berichte durch bedrückende Reportagen und Fotos von geschlossenen und allmählich verwahrlosenden Geschäften oder sukzessive verwaisender Innenstädte und Shoppingcenter (vgl. Abb. 1.2). Und tatsächlich zeigen die Schließungen in vielen Branchen, wie groß die Bedrohung tatsächlich ist: So leiden nicht nur Fotofachgeschäfte, Blumenläden, der Spielzeugfachhandel und Musikfachgeschäfte. Auch klassische Handwerksbetriebe wie Metzgereien sind fast komplett aus dem Stadtbild verschwunden. Und dieses Schließungsszenario betrifft nicht nur kleinere Läden; auch größere, ehemals prominente und überregional tätige Unternehmen wie Strauss Innovation oder Toys „R" Us haben mit ihren Konzepten Insolvenz anmelden müssen. Und mit Blick in die aktuelle Berichterstattung zeigt sich, dass die Krise auch im textilen Einzelhandel angekommen ist – selbst einst erfolgsverwöhnte Unternehmen wie Esprit und Gerry Weber sind nun betroffen (vgl. Kolf 2019).

    ../images/474326_1_De_1_Chapter/474326_1_De_1_Fig2_HTML.png

    Abb. 1.2

    Visualisierung des Ladensterbens und verödender Innenstädte.

    (Quelle: Eigene Darstellung)

    Die Bedrohung wird konkret durch Analysen und Prognosen von Branchenexperten belegt. So hat der Präsident des HDE Hauptverband des deutschen Einzelhandels vor einiger Zeit prognostiziert, dass bis zu 50.000 Läden vom Markt verschwinden werden (vgl. Sanktjohanser 2014, S. 3); einzelne Fachbücher zeichnen diese Zahlen sogar noch dramatischer, „…we predict that 50 % of all current brands and retailers will disappear" (Lewis und Dart 2014, S. 132). In der aktuellen Umsatz- und Strukturprognose des HDE wird demzufolge für 2019 von einer generell getrübten Stimmung in den Unternehmen berichtet, „rosige Aussichten" werden „nur für den E-Commerce" vorhergesehen (Gerth 2019a). Dieser für den stationären Einzelhandel pessimistische Ausblick wird zudem durch Beschreibungen einer immer geringeren Anpassungsfähigkeit oder sogar einem mangelnden Anpassungswillen ergänzt: „Manche Händler wollen sogar sterben…" (Heinemann 2015) ist eine der kraftvollen Beschreibungen der aktuellen Situation im stationären Einzelhandel (vgl. Abb. 1.3).

    ../images/474326_1_De_1_Chapter/474326_1_De_1_Fig3_HTML.png

    Abb. 1.3

    Expertenmeinungen zur aktuellen Situation des stationären Einzelhandels.

    (Quelle: Eigene Darstellung)

    Und wie konkret die Bedrohungslage des stationären Einzelhandels wirklich ist, zeigt sich schließlich auch in aktuellen Meldungen der Wirtschafts- und Finanzpresse. So publiziert die Anlegerschutzvereinigung DSW Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e. V. mit Blick auf die Börsenkursentwicklung verschiedener Unternehmen jedes Jahr die größten ‚Kapitalvernichter‘ – die Namen der Unternehmen mit der schlechtesten Kursentwicklung im ‚Prime Standard‘. In 2018 sind gleich drei prominente Unternehmen des Einzelhandels in der Top-10-Negativ-Liste aufgeführt: Steinhoff Holding, dem Möbelkonzern, zu dem auch Poco gehört, der Modehersteller Gerry Weber, der im Januar 2019 sogar Insolvenz anmelden musste, sowie Tom Tailor. Steinhoff auf dem zweiten Platz mit einem Verlust von rund 69 Prozent innerhalb eines Jahres, Gerry Weber auf dem dritten Platz mit einem Verlust von 76 Prozent in 2018 und Tom Tailor auf dem fünften Platz mit einem Minus von gut 80 Prozent (Anmerkung: Das Ranking stützt sich nicht allein auf die Kursverluste des vorangegangenen Jahres, sondern auf dem Mittel der letzten drei Jahre; Quelle: o. V. 2019).

    Literatur

    Gerth, S. (2019a). Direkter Weg zum Kunden: Warum der klassische Handel kaum noch gebraucht wird. e.tailment vom 13.03.2019. https://​etailment.​de/​news/​stories/​einkaufen-customizing-direktvertrieb-kundenloyalität-22115. Zugegriffen: 15. März 2019.

    Heinemann, G. (2015). Manche Händler wollen wahrscheinlich sterben. https://​etailment.​de/​news/​stories/​Gerrit-Heinemann-digitale-transformation-3759. Zugegriffen: 16. Aug. 2016.Crossref

    Kolf, F. (2019). Der Einzelhandel droht 2019 zum Opfer der Digitalisierung zu werden. Handelsblatt vom 03.01.2019. https://​www.​handelsblatt.​com/​unternehmen/​handel-konsumgueter/​handelsblatt-branchencheck-der-einzelhandel-droht-2019-zum-opfer-der-digitalisierung-zu-werden/​23820150.​html?​ticket=​ST-92196-cNLLYOG1dlHxUVbM​Q7Lf-ap5. Zugegriffen: 5. Jan. 2019.

    Lewis, R., & Dart, M. (2014). The new rules of retail, competing in the world’s toughest marketplace. New York: St. Martin’s Press.

    o. V. (2019). DSW-Auswertung: Das sind die größten deutschen Kapitalvernichter, in Spiegel Online vom 14. März 2019. http://​www.​spiegel.​de/​wirtschaft/​unternehmen/​boerse-diese-unternehmen-haben-am-meisten-kapital-verbrannt-a-1257669.​html. Zugegriffen: 16. März 2019.

    Sanktjohanser, J. (2014). Deutscher Handelskongress 2014; Eröffnungsrede des HDE-Präsidenten Josef Sanktjohanser am 19. November 2014. https://​einzelhandel.​de/​images/​Eroffnungsrede_​HDK_​SJ_​FINAL.​pdf. Zugegriffen: 15. Jan. 2015.

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020

    W. MerkleErfolgreich im stationären Einzelhandelhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-27160-2_2

    2. Digital und stationär – zwei bedeutende Dimensionen des aktuellen Wettbewerbs

    Wolfgang Merkle¹ 

    (1)

    Merkle. Speaking. Sparring. Consulting., Hamburg, Deutschland

    Bei der Suche nach den Ursachen der aktuellen Krise des stationären Einzelhandels hört man häufig die beiden Schlagwörter ‚Digitalisierung‘ und ‚Wertewandel‘:

    Denn die Digitalisierung hat zum einen zur Entwicklung eines komplett neuen Wettbewerbs geführt. Damit sind zum Beispiel Amazon und Zalando als Warenhäuser des Internets entstanden, gleichzeitig aber auch andere Pfade zum Einkauf wie die Nutzung von Suchmaschinen oder Preisvergleichsportalen.

    Die Digitalisierung hat zum anderen aber auch zu einer Veränderung des Konsumverhaltens geführt. Denn für Konsumenten haben sich mit dem durch das Internet entstandenen Onlinehandel nicht nur neue Einkaufsalternativen erschlossen; über die Entstehung der mobilen Welt der Smartphones oder neue Kommunikationsformen mit den sozialen Medien haben Konsumenten ein deutlich verändertes Einkaufsverhalten entwickelt.

    Der Wertewandel der Gesellschaft hat zu einem deutlich veränderten Bewusstsein der Konsumenten geführt – mit der Konsequenz, dass eine in der Vergangenheit existierende Loyalität gegenüber ‚angestammten‘ Betriebsstätten nur noch in Ausnahmefällen zu beobachten ist. Konsumenten heute haben sich zu selbstbewussten, gleichberechtigten Partnern im Geschäftsleben entwickelt.

    Digitalisierung und Wertewandel sind wichtige Schlüsselbegriffe und werden zum besseren Verständnis deshalb im weiteren Verlauf noch weiter erläutert – die Digitalisierung in diesem Abschnitt, der Wertewandel im Abschn. 3.​1 ‚Gründe und Kennzeichen eines veränderten Bewusstseins‘. Dennoch sollte bewusst sein: Digitalisierung und Wertewandel selbst sind nicht die primäre Ursache der massiven Veränderungen im stationären Einzelhandel, sondern eher begründende Hintergrundphänomene. Denn das eigentliche Problem der Branche ist aus den Konsequenzen von Digitalisierung und Wertewandel erwachsen (vgl. Abb. 2.1):

    Nämlich erstens aus der Entstehung eines verschärften Wettbewerbs, der mit der Digitalisierung sogar noch um eine weitere (Online-)Komponente verstärkt wurde. Auf den Plan sind hoch innovativ agierende Online-Player getreten, die mit radikal andersartigen Geschäftsmodellen und komplett neuen Prozessen nicht nur „alte" Gesetzmäßigkeiten in Frage stellen, sondern fortlaufend neue Benchmarks setzen; mit neuen Services, überzeugenden Angeboten und spannenden Präsentationen zu attraktiven Preisen. Wurden Unternehmen wie Amazon und Zalando von angestammten Playern anfangs noch kommentiert mit ‚das kann doch eigentlich gar nicht funktionieren‘ oder ‚das kann sich doch gar nicht rechnen‘ zeigt die Reaktion der Konsumenten, wie sie diese neuen Angebote schätzen – und ihnen so eine hohe Relevanz zusprechen; viele der neuen Angebote und Services haben sich zum neuen Standard entwickelt haben und die Branche damit komplett umgekrempelt.

    Und zweitens mit einem parallel gewachsenen Selbstverständnis der Konsumenten, das nicht nur – durch den Wertewandel ausgelöst – noch kritischer und in seinen Reaktionen noch unberechenbarer geworden ist, sondern zu einer viel selbstbewussteren Kommunikation führt: Ganz selbstverständlich werden digitale Medien zu allen Tageszeiten und Anlässen genutzt und lassen die Menschen nicht nur sehr viel souveräner in dem Wissen werden über das sie beim Einkauf verfügen, sondern macht sie auch deutlich freier in ihren Entscheidungen, wo, wann und was sie konsumieren – und zwar nicht nur zu Hause an fest installierten Geräten, sondern auch mobil während des gesamten Tages. Der Konsument heute scheint sich in seinem Verhältnis zum Einzelhandel komplett ‚emanzipiert‘ zu haben.

    ../images/474326_1_De_2_Chapter/474326_1_De_2_Fig1_HTML.png

    Abb. 2.1

    Zwei Ursachen der aktuellen Herausforderungen im stationären Einzelhandel.

    (Quelle: Eigene Darstellung)

    Beide Facetten – sowohl die Intensivierung des Wettbewerbs wie auch die ‚Emanzipation‘ des Konsumenten – scheinen für den Einzelhandel so wichtig, dass sie im weiteren Verlauf erläutert werden müssen. Die Vorstellung der verschiedenen Facetten des verstärkten Handelswettbewerbs erfolgt in den nun folgenden Abschn. 2.1 und 2.2, die verschiedenen Aspekte zur Vorstellung eines neuen Verbraucherverhaltens werden im sich daran anschließenden Kap. 3 vorgestellt.

    2.1 Die Entstehung von Online-Konkurrenz als neue Herausforderung im Wettbewerb

    In der Diskussion des sich verschärfenden Wettbewerbs und der Entstehung neuer Konkurrenten wurde früher „nur" von einem Wettbewerb innerhalb des stationären Umfeldes berichtet. So hat der Einzelhandel noch vor 20 Jahren das stetige Wachstum großer internationaler Ketten beklagt, die mit der systematischen Expansion in alle bedeutenden Innenstädte den angestammten mittelständischen Einzelhandel immer stärker verdrängt haben. Häufig kommentiert wurde auch die zunehmende Bedeutung der Discounter, die sich mit ihren attraktiven Preisen und dem langsamen Ausbau ihrer Sortimente in ihrer Bedeutung zunehmend zum Nahversorger entwickelt haben.

    Aktuell konzentriert sich die Berichterstattung jedoch weitgehend auf die Digitalisierung und dem wachsenden Online-Wettbewerb, der – so der Eindruck – sogar den gesamten stationären Einzelhandel in seiner Existenzberechtigung in Frage stellt. Der digitale Raum ist zum wichtigen Fundament für Informationen, Werbung, Empfehlungen und Einkäufe geworden, die jederzeit und frei von irgendwelchen restriktiven Öffnungszeiten-Regelungen getätigt werden – ganz einfach von zu Hause aus, ohne nervige Parkplatzsuche und gestresstem Verkaufspersonal, mit bequemer Nach-Hause-Lieferung und kostenloser Abholung der Retouren nach persönlichem Wunschtermin. Für viele Konsumenten hat sich der Online-Handel nicht nur zu einer echten Alternative zu traditionellen stationären Einkaufsstätten entwickelt – für viele Konsumenten ist der Einkauf im digitalen Umfeld sogar ein vollwertiger Ersatz. Und Headlines wie „Der Einzelhandel droht 2019 zum Opfer der Digitalisierung zu werden" (Kolf 2019) oder „Konkurrenz durch Online: Dem deutschen Einzelhandel droht ein Massensterben" (Gassmann 2017a) scheinen den Eindruck zu bestätigen, dass die neuen großen digitalen Wettbewerber wie Amazon, Zalando und Ebay den stationären Einzelhandel komplett verdrängen.

    Worum geht es bei der Digitalisierung grundsätzlich? In einer engen Definition beschreibt die Digitalisierung zunächst nur die Überführung von analogen in digitale Daten. In einer breiteren Auffassung bezeichnet die Digitalisierung die Veränderung von Geschäftsmodellen durch die Verbesserung von Geschäftsprozessen über die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien. Und in einem nochmals erweiterten Verständnis wird die Digitalisierung sogar mit einer technologischen Revolution gleichgesetzt, da sie nahezu alle Lebensbereiche der heutigen Gesellschaft durchdringt – über Voice-gestützte Technologien wie Alexa oder ‚Internet-of-things‘-Anwendungen wie eine App-gestützte Steuerung der privaten Haustechnik über das Smartphone.

    Und welche Bedeutung hat der Begriff Digitalisierung für den stationären Einzelhandel? Natürlich beschäftigt man sich auch im Handel mit der Übertragung analoger in digitale Daten – sämtliche Prozesse in der Warenwirtschaft, Order, Preisauszeichnung, Personaleinsatzplanung usw. werden heute digital gesteuert und abgewickelt. Dazu gehört zunehmend auch die Frage, welche technologischen Anwendungen sonst noch zum Einsatz kommen sollten, um den Kunden über digitalen Medien bestmöglich zu erreichen oder ihn auf der Fläche noch besser bedienen zu können. Im weitesten Verständnis wird das Thema Digitalisierung jedoch aus einer Wettbewerbssicht heraus diskutiert. Aus und mit der Digitalisierung ist eine komplett neue, zusätzliche Wettbewerbsdimension entstanden, die zwischenzeitlich teilweise sogar den gesamten stationären Einzelhandel in Frage gestellt hat: So wird der Zalando-Mitbegründer Oliver Samwer immer wieder mit seinem provokativen Satz „Geschäfte sind Mittelalter … sie wurden gebaut, weil es damals kein Internet gab" zitiert (o. V. 2015).

    Und tatsächlich hat das Internet für die heutige Konsumwelt eine große Bedeutung erlangt: Während noch vor wenigen Jahren der Konsum bis auf wenig Ausnahmen fast ausschließlich im stationären Umfeld stattgefunden hat, sind die neuen Online-Anbieter heute zu einer festen Größe im Wettbewerb und für die Verbraucher zu einer echten Alternative geworden. Im stationären Handel stagnieren die Umsätze in den letzten 10 Jahren bestenfalls, während das Online-Wachstum bis 2017 kontinuierlich zweistellige Steigerungsraten aufweisen konnte; selbst für 2019 werden aber noch immer 8,5 % Wachstum prognostiziert (HDE 2019, S. 7).

    Neben der Entstehung neuer Wettbewerber lässt sich die große Bedeutung der Digitalisierung auch mit der Geschwindigkeit und Massivität der damit ausgelösten Veränderungen erklären: Anders als bei den sich allmählich vollziehenden Entwicklungen der Vergangenheit, auf die man sich sukzessive und ‚evolutionär‘ einstellen konnte, bringen die aktuellen Entwicklungen etwas Grundsätzliches, Vehementes und „Revolutionäres" mit sich. Die aus der Digitalisierung resultierenden Veränderungen erscheinen so grundlegend anders, dass sie mit plakativen Vokabeln wie „digitaler Tsunami" (Clasen 2013) oder „digitaler Darwinismus" (Kreutzer and Land 2016) versehen werden.

    Neben der schieren Menge an fast täglich neu auftretenden Konzepten, Mechanismen und Medien wird aufgrund komplett anderer Handlungs- und Vorgehensweisen zudem das bisherige Wissen über die eigentlich notwendigen Prozesse und Abläufe in Unternehmen massiv herausgefordert. So ist mit Uber eine Organisation entstanden, die selbst keine eigenen Fahrzeuge besitzen. Airbnb vermittelt Übernachtungsdienstleistungen, ohne selbst über ein einziges Bett oder Zimmer zu verfügen. Netflix hat das Videoverleihgeschäft revolutioniert, ohne selbst auch nur eine Videothek betrieben zu haben. Und diese wichtige Erkenntnis betrifft auch den Einzelhandel: Viele der neuen Online-Wettbewerber sind von Branchenfremden entwickelt worden, die mit der Digitalisierung neue und bis dahin ungewöhnliche Geschäftsmodelle und Serviceideen realisiert haben. Die Gründer von Zalando haben vor der Entwicklung ihres neuen Geschäftsmodells kaum etwas mit dem Einzelhandel zu tun gehabt; Amazon eröffnet nun auch stationäre Ladengeschäfte, ohne dass dies ihrer originären Expertise entspricht.

    Die ‚digitale Revolution‘ im Einzelhandel umfasst drei Aspekte:

    1.

    Revolution im Verkaufsprozess: Natürlich sind manche Prinzipien des eCommerce bereits aus dem ‚klassischen Distanzhandel‘ – ehemaligen Versendern wie Quelle, Otto und Neckermann – bekannt. Dennoch: Mit der Digitalisierung sind ganz neue Player in den Wettbewerb eingetreten, die über die bewusste Nutzung sämtlicher technologischer Möglichkeiten dem Kunden – zumindest gefühlt – ein komplett neues Einkaufserlebnis bieten. Von der immerwährenden 24 Stunden-/7-Tage-die-Woche-Verfügbarkeit, über mit Nutzer-optimierte Websites mit ausgefeilten Beschreibungen, exzellenter Bebilderung, begleitenden Bewegtbild-Tutorials, individuell auf den Kunden zugeschnittene Angebote, den konkreten Bewertungen einzelner Produkte durch andere Verbraucher bis zum transparenten, nachverfolgbaren Lieferprozess und kostenloser, unkomplizierter Retouren- bzw. Abholpolitik – und das alles mit maximaler Angebots-/Preistransparenz.

    Ein ganz wesentlicher und vielen Konsumenten in der heutigen Gesellschaft geschätzter Vorteil des Online-Shopping ist dabei auch der bequeme Einkauf direkt aus dem eigenen Zuhause oder mobil über das eigene Smartphone, ohne Zeitverluste durch lange Staus im Straßenverkehr, ohne lästige Parkplatzsuche und ohne nervige Warteschlangen vor den Kassen in den Geschäften.

    2.

    Revolution im Informations- und Kommunikationsprozess: Die mittlerweile von allen Menschen genutzten und geschätzten Suchmaschinen haben das bisherige Kommunikationsverständnis ‚gedreht‘. Während die notwendigen Informationen zum Produktangebot in der Vergangenheit von den Unternehmen selbst über ausgewählte Medien zum Konsumenten gebracht wurden – noch stärker kann man dabei von ‚drücken‘ = englisch ‚push‘ sprechen –, suchen Menschen nun von sich aus nach dem, was für sie interessant und relevant ist. Damit wird die Bedeutung der bisherigen ‚push‘-Kommunikationslogik – das absendende Unternehmen setzt von sich aus damit um ein in den Konsequenzen wichtiges ‚pull‘-Informationsprinzip ergänzt; die Menschen suchen zunehmend und selbstbewusst aus ihrer eigenen Initiative heraus nach dem, was für sie interessant ist.

    Mit der Entwicklung der sozialen Medien wurde das althergebrachte Kommunikationsverständnis jedoch noch mehr ‚auf den Kopf‘ gestellt: Denn über Kanäle wie Facebook, Twitter und Co können Konsumenten ihre eigene Meinung in der Öffentlichkeit absetzen; und wie die Heftigkeit einzelnen ‚shitstorms‘ zeigt, kann dieses Meinungsbild durchaus publikums- und breitenwirksam ausfallen. Was ursprünglich lediglich ein einseitiger Informationsfluss von Unternehmen hin zum Konsumenten war, hat sich damit heute zu einem echten dialogischen Austausch zwischen Unternehmen und Konsumenten in beide Richtungen entwickelt. In der Vergangenheit haben Unternehmen über Marktforschungen auf der Basis generalisierter Kundensegmente vermeintliche Kundenbedürfnisse erfragt und die Erkenntnisse daraus mit neuen Produkten oder Kampagnen – im besten Fall auf einzelne Zielgruppen zugeschnitten – beantwortet. Im Social Media-Zeitalter ist die Notwendigkeit einer Eins-zu-eins-Kommunikation angebrochen und erfordert eine neue Form der dialogischen, interaktiven Kommunikation.

    3.

    Revolution in der Produktentwicklung: In der Vergangenheit gab es körperlich und haptisch greifbare Produkte, die – technologisch und Marken-technisch perfektioniert – in den Regalen der verschiedenen Händler angeboten wurde. Im digitalen Zeitalter sind jedoch auch neue, „entmaterialisierte" digitale Produkte entstanden: Früher gab es die Schallplatte und später die CD, die man als reale, körperliche Produkte erworben hat; heute lädt man sich die jeweils interessantesten Songs per Streaming auf seinen Computer oder legt sie in seiner Cloud ab.

    Neben diesen grundlegenden Folgen aus der Digitalisierung ist für den stationären Einzelhandel die Entstehung eines komplett neuen Wettbewerbsumfeldes bedeutend. Denn mit der Digitalisierung hat sich der Wettbewerb über eine ganze Reihe von Aspekten deutlich intensiviert:

    Entstehung einer neuen Wettbewerbsvielfalt: In der Vergangenheit gab es für den Konsumenten – mit Ausnahme der von ihrem Marktanteil relativ konstant bleibenden Versandunternehmen – im stationären Umfeld ‚nur‘ die Händler als Angebotsalternativen, die für ihn lokal auch erreichbar waren. Diese Situation hat sich mit dem Internet grundlegend verändert. Die Menschen haben heute quasi ‚auf Knopfdruck‘ direkten Zugriff weltweit auf alle Wettbewerber, die dort mit ihren Shops präsent sind.

    Merk-Box

    Früher ging es vor allem um den Wettbewerb innerhalb des stationären Sektors – häufig ‚nur‘ als Kampf zwischen Fachhändlern und Discountern. Heute ist eine weitere wichtige Dimension dazu gekommen: Der Kampf Stationär gegen Online.

    Egal ob aus dem nationalen oder aus dem internationalen Umfeld: Konsumenten müssen nicht mehr die Mühe weiter Wege auf sich nehmen, um bestimmte Fachhändler oder Spezialisten zu finden. Das Angebot ist mit der einfachen Suche über die Suchmaschinen oder die sozialen Medien fast unendlich groß geworden – und das betrifft nicht nur die Anzahl der Wettbewerber, sondern auch die jeweiligen Sortimente, die sowohl von ihrer Auswahlbreite wie -tiefe nunmehr nahezu alle Wünsche der suchenden Internet-User erfüllen.

    Entstehung einer neuen Wettbewerbsintensität: Jahrzehntelang durfte der stationäre Handel seine Geschäfte nur im Rahmen des Ladenschlussgesetzes betreiben; mit fest vorgegebenen Ladenöffnungszeiten und klar definierten Wochenendregelungen. Selbst wenn diese Rahmenbedingungen in den letzten Jahren aufgeweicht wurden: Online-Anbieter stehen ihren Kunden jederzeit zur Verfügung, 24 Stunden rund um die Uhr und sieben Tage die Woche und stellen ein scheinbar unbegrenztes Angebot zur Verfügung – mit einer Sortimentsbreite und -tiefe, die der Stationärhandel so nie bieten konnte. Und genau das nutzen die Menschen und kaufen sehr oft genau dann online, wenn Ladengeschäfte geschlossen haben; nachts und am Wochenende, wann immer sie möchten. Und über das mobile Internet heute nicht mehr nur von zu Hause aus, sondern jederzeit auch von unterwegs aus.

    Gleichzeitig ermöglicht es die Digitalisierung auch neuen Unternehmen bei nur geringen Markteintrittsbarrieren mit einem neuen Geschäftsmodell an den Markt zu gehen – häufig werden zum Testen einer neuen Idee nur ein Computer und ein Internetzugang benötigt. So können Start-Ups in kurzer Zeit extrem schnell wachsen und dadurch zu einer zentralen Bedrohung für etablierte Anbieter werden (vgl. Kreutzer und Land 2016, S. 13).

    Entstehung neuer Standards und Gesetzmäßigkeiten: Durch die Digitalisierung ist es in vielen Branchen zu einer Verschiebung gelernter Branchenstandards gekommen. Gerade die erste Welle der Digitalisierung war die Domäne junger Start-Ups, die frei von den Konventionen bisher etablierter oder ‚üblicher‘ Prozesse, mit meist sehr schlanken eigenen Strukturen und ohne den Druck, auf bestehende Organisationen Rücksicht nehmen zu müssen ihre innovativen Ideen sehr unkompliziert verwirklicht haben (Kreutzer und Land 2016, S. 14). So war den klassischen Zeitungsverlagen die Bedrohung aus dem Internet lange Zeit nicht bewusst. Denn nach ihrer Definition war das Geschäftsmodell als ‚Präsentation von Informationen auf Papier‘ beschrieben; das Internet als Informationskanal damit ausgeklammert.

    Und so haben sich gerade auch im Handel komplett neue Angebotsformen und Serviceplattformen entwickelt; häufig von branchenfremden Unternehmen, die sich zu Beginn ihrer Aktivität mehr als Technologie- und Prozess-Provider denn als Händler verstanden haben und ihre Geschäftsmodelle damit deutlich unkonventioneller entwickelt haben als traditionelle Branchenvertreter. Im Ergebnis sind neuartige Angebotsplattformen, Marktplätze oder Preisvergleichs- und Vermittlungsportale entstanden, die den Handel komplett neu interpretieren; Geschäftsmodelle, die teilweise sogar ohne Warenbestände und unter Verzicht auf traditionell übliche Prozesse arbeiten – das war bisher nicht denkbar. Einer der Mitbegründer von Zalando beschreibt die unkonventionelle Herangehensweise: „Wir haben als BWLer angefangen, die keine Ahnung von Mode haben. Die ersten Schuhe, die wir bestellt haben, liegen wahrscheinlich immer noch im Lager" (Friedrich 29. April 2016).

    Merk-Box

    Die ‚neuen‘ Wettbewerber aus der digitalen Welt lassen sich nicht von den üblichen Vorgehensweisen einer Branche beeindrucken. Die jeweiligen Geschäftsmodelle werden konsequent neu aus einem ganzen anderen Blickwinkel heraus gestaltet – mit entsprechender Resonanz bei den Konsumenten.

    Entstehung eines neuen Konsumentenverhaltens: Die Digitalisierung hat – neben den Auswirkungen des Wertewandels – die Entwicklung eines neuen Konsumverhaltens gefördert; denn die über die Entstehung neuer Wettbewerber deutlich erweiterte Auswahl, durch die mit den Smartphones jederzeit und in voller Transparenz vorliegende Information woanders verfügbarer Produkte und Preise und über die sehr schnelle Gewöhnung an neue Services und Standards ist die Loyalität der Konsumenten deutlich rückläufig. Und das wird begünstigt durch die sehr schnelle Verfügbarkeit von Angebotsalternativen im Internet, wonach der nächste Wettbewerber immer ‚nur‘ ‚just-one-click-away‘ ist.

    Aus diesem neuen Selbstverständnis heraus ist bei manchen Einzelhändlern deshalb auch die Befürchtung des sog. ‚Beratungsklaus‘ (engl. auch ‚Showrooming‘) entstanden, wonach viele Kunden sich im stationären Einzelhandel zunächst intensiv beraten lassen, um das jeweilige Produkt dann später – und günstiger – im Internet zu bestellen. Doch selbst wenn in jüngerer Zeit Untersuchungen zeigen, dass diese ‚ROPO‘-Logik (= Research-Offline-Purchase-Online) in der Praxis auch anders herum funktioniert – nämlich über das Phänomen, das andere Konsumenten sich immer erst im Internet vorinformieren, um ein Produkt dann später im stationären Handel zu erwerben (= Research-Online-Purchase-Offline) (Statista 2018) – der Konsument wechselt heute sehr viel schneller als früher seine Einkaufsstätte. Und so kann es sein, dass ein ungeduldiger Konsument auch bei gefühlt schlechten Prozessen wie z. B. langen Warteschlangen seinen Einkauf im Internet erledigt (vgl. Scholz 2017).

    Merk-Box

    Konsumenten wechseln heute deutlich schneller zwischen den verschiedenen Einkaufsstätten doch nicht nur aus einem rationalen Produkt-Preis-Vergleich heraus; auch schlechte Prozesse im stationären Geschäft können den Online-Kauf fördern.

    Entstehung neuer Entwicklungsgeschwindigkeiten: Noch nie haben sich Technologien so schnell durchgesetzt wie aktuell. Die Digitalisierung bringt neue Technologien mit sich, die sich gefühlt fast explosionsartig verbreiten. Das Beispiel für die Verbreitung von Medien zeigt beeindruckend mit welcher Geschwindigkeit neue digitale Anwendungen sich heute durchsetzen: Während das Fernsehen noch 38 Jahre, das Radio 13 Jahre benötigten, um 50 Millionen Nutzer zu gewinnen, gelang das dem Internet in nur vier Jahren. Facebook sammelte 50 Millionen Nutzer in einem Jahr ein, Twitter gelang das bereits nach neun Monaten, während das dem Nachrichtendienst WhatsApp nach knapp zwei Monaten gelungen ist (vgl. Kreutzer und Land 2016, S. 22).

    Amazon hat sich mit seinen hohen Innovationsraten mittlerweile zum ‚Angstgegner für deutsche Kaufleute‘ entwickelt, jede neue Entwicklung wird mit besonderer Aufmerksamkeit beobachtet (o. V. 2016c) (vgl. Abb. 2.2). Während Amazon anfangs vornehmlich Bücher, Spielzeug und Elektronik angeboten hat, vertreibt es heute ein Komplettsortiment von Haushaltswaren bis zur Mode. Das Unternehmen betreibt den größten Marktplatz für kleine Online-Händler und hat sich innerhalb kürzester Zeit in unterschiedlichen Branchen zu einem der größten Anbieter entwickelt.

    ../images/474326_1_De_2_Chapter/474326_1_De_2_Fig2_HTML.png

    Abb. 2.2

    Geschätzte Marktanteile von Amazon im deutschen Einzelhandel nach Kategorien im 1. Quartal 2018.

    (Quelle: Universität St. Gallen via Handelsblatt; wiedergegeben in www.​statista.​com am 7. November 2018)

    Mit seinem neuen Streaming-Angebot für Musik und Filme ist Amazon zudem auf dem Weg zum Mediengiganten. ‚Amazon Prime‘, eine Mischung aus günstigen Medieninhalten, einem fast grenzenlosen Sortiment und privilegierter Zustellung für seine Abonnenten – eines der ganz wenigen Loyalitätsprogramme übrigens, für die ein Kunde zu zahlen bereit ist – gilt als „Geniestreich" (o. V. 2016c). Über die Lebens- und Zahlungsgewohnheiten seiner Kunden weiß Amazon mehr als die gesamte Konkurrenz zusammen – auch mehr als Google oder Facebook. Und Amazon arbeitet weiter an Innovationen; berichtet wird über Drohnen, Roboter oder selbstfahrende Autos, die Pakete innerhalb weniger Stunden ohne große Zusatzkosten liefern. Jeff Bezos von Amazon hat den Anspruch einmal beschrieben als „We don’t sell things. We help people make better purchase decisions.".

    Merk-Box

    Die Grenzen zwischen bisher klar getrennten Branchen verschwimmen zunehmend. Die aktuellen und zukünftigen Wettbewerber stammen nicht mehr nur aus dem Kreis bisher ‚bekannter‘ Herausforderer.

    Gleichzeitig wird ein hohes Ungleichgewicht im Wettbewerb zwischen Amazon und angestammten Anbietern beklagt. Nicht nur, dass Personalkosten bei Amazon tarifvertraglich als Logistikunternehmen abgerechnet werden und damit im Vergleich zum Handel deutlich niedrigere Personalkosten zu tragen sind; auch in der Unternehmensbesteuerung zeigen sich gegenüber angestammten und unter deutschem Steuerrecht stehenden inländischen Anbietern ganz erhebliche Unterschiede: Unternehmen wirtschaften „quasi steuerfrei …, weil sie entsprechende Einzelabkommen mit [anderen] Staaten" abgeschlossen haben (o. V. 2019).

    Merk-Box

    Bedingt durch die strukturellen Vorteile mancher Online-Unternehmen keine Einschränkungen hinsichtlich Ladenöffnungszeiten, deutlich günstigere Personalkostenstrukturen, erhebliche Unterschiede in der Unternehmensbesteuerung müssen stationäre Einzelhändler noch größere Anstrengungen unternehmen, um in dem Wettbewerb mit Online auf Dauer bestehen zu können.

    Neben Amazon sind für den Nutzer auch die vielen Spezialanbieter hoch relevant, zu denen man über das Internet leichten Zugang findet und die ein echtes ‚Long Tail‘-Business ermöglichen: Nämlich die Möglichkeit, Nischenprodukte auch jenseits der üblichen Sortimente schnell und einfach zu finden, für die man im stationären Einzelhandel i. d. R. viel Recherche-Aufwand und die Überwindung großer geografischer Distanzen auf sich nehmen muss.

    Für den Konsumenten spannend ist nicht nur die das zugleich breite wie tiefgefächerte Sortiment; selbst Nischen- oder sog. ‚Long Tail‘-Produkte lassen sich dort schnell finden und bilden allein mit diesem tiefen Angebot eine scharfe Konkurrenz zum traditionellen Fachhandel. Gleichzeitig liefert die Vielzahl begleitender Nutzungstipps, Anwendungs-Tutorials und Verbundangebote wie „wird oft zusammengekauft…" oder „Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch" dem interessierten Besucher einen hoch relevanten Mehrwert. Und schließlich vereinfachen Shop- und Produktbewertungen bzw. Rezensionen anderer Kunden die Einkaufsentscheidung und lassen die neuen Angebotsalternativen für einen immer souveräner agierenden Konsumenten zu einer ganz wichtigen Alternative zu den traditionellen Angeboten des stationären Handels werden.

    Verdeutlicht wird diese wachsende Bedeutung durch Zahlen, wonach mittlerweile ein Viertel der Deutschen mindestens einmal im Monat etwas im Internet bestellt, 9,4 Prozent sogar 20 Mal oder öfter im Jahr. Die hohe Bedeutung des neuen Online-Handels und ihre Fähigkeit mit neuen Angebotsformen und -services die Kunden für sich zu begeistern, zeigt sich besonders plastisch übe die großen Online-Anbieter Amazon und Zalando. Jeder vierte Artikel, den die Deutschen im Netz bestellen, läuft mittlerweile über Amazon, sein Anteil am gesamten deutschen Online-Handel beträgt schon jetzt mehr als 25 Prozent. Der zweitpopulärste Onlineshop ist zalando.​de, rund 19 Prozent der Bevölkerung haben hier bereits Kleidung oder Schuhe gekauft.

    In der Betrachtung der unterschiedlichen Branchen zeigt sich, welche Bedeutung der Onlinehandel zwischenzeitlich gewonnen hat (vgl. Abb. 2.3). Im Bereich Consumer Electronic/Elektro werden mittlerweile 31 % des gesamten Einzelhandelsumsatzes über das Internet erzielt; im Bereich Fashion und Accessoires 27,7 %, im Bereich Freizeit und Hobby 26,4 % und im Büro- und Schreibwaren-Bereich immerhin 22,6 %. Für den stationären Einzelhandel ist das eine echte Herausforderung.

    ../images/474326_1_De_2_Chapter/474326_1_De_2_Fig3_HTML.png

    Abb. 2.3

    Anteil des Onlinehandels am Gesamtumsatz in Deutschland 2018 (in %).

    (*DIY Kernsortimente, ohne Großhandel und Handwerker, ohne Leuchten/Lampen, ohne Deko/Haus/Heimtextilien; Quelle: HDE Online Monitor; wiedergegeben in statista.​com am 21. Mai 2019)

    Ein nicht unerheblicher Treiber für eine zunehmende Akzeptanz des neuen Online-Angebots scheinen aber auch Verkehrssituation und Verhalten örtlicher Behörden und Kommunen zu sein. Je schwieriger es wird, aufgrund von Staus und Baustellen mit dem eigenen Fahrzeug überhaupt in die jeweiligen Einkaufsgebiete oder Innenstädte zu gelangen und dann dort auch noch einen (kostenpflichtigen…) Parkplatz zu finden, umso eher wird der gemütliche Online-Einkauf zu Hause zu einer tatsächlichen Alternative zum Stress von Einkaufsfahrt und Parkplatzsuche. Ein Beleg dazu findet sich in Berichten wie „Parkplätze weg, Kunden weg … Geschäftsleute leiden unter … Umbau …" (Hartung 31. August 2018) oder „In der Altstadt zermürben Renovierung und Auflagen des Denkmalschutzes die Inhaber…" (Wood 18. Februar 2019).

    Die allmähliche Verschiebung der Einkaufspräferenzen wird schließlich auch mit einem Blick auf die Einzelhandelsumsätze im Weihnachtsgeschäft deutlich – traditionell eine der wichtigsten Umsatzphasen im Geschäftsjahr: So zeigen Befragungen, dass das Internet immer stärker als echte Einkaufsalternative gesehen wird und dementsprechend ihren Bedarf immer stärker in der Onlinewelt decken (vgl. Abb. 2.4).

    ../images/474326_1_De_2_Chapter/474326_1_De_2_Fig4_HTML.png

    Abb. 2.4

    Verschiebung der Einkaufspräferenzen im Weihnachtsgeschäft.

    (Basis: 1000 (2015, 2017, 2018)/1500 (2016) Verbraucher (ab 18 Jahren) in Deutschland; Quelle: EY I Valid Research; wiedergegeben in: www.​statista.​com; 5. Dezember 2018; abgerufen am 10.

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1