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Letzter Aufruf Kundenorientierung: Vom Sinn zum Gewinn - warum in einer digitalisierten Welt nur echte Kundenorientierung zu Gewinn führen wird
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eBook658 Seiten6 Stunden

Letzter Aufruf Kundenorientierung: Vom Sinn zum Gewinn - warum in einer digitalisierten Welt nur echte Kundenorientierung zu Gewinn führen wird

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Über dieses E-Book

Dieses Buch provoziert und fordert zum Nachdenken, Vordenken und Handeln heraus. Der Autor rüttelt wach und zeigt, wie der Kunde wieder konsequent als Ausgangspunkt und Ziel des unternehmerischen Erfolgs in den Fokus gerückt werden kann.
Gündling schafft zunächst einen klaren Blick auf die Veränderungen von Märkten und Branchen resultierend aus der Digitalen Transformation, Robotik, sowie Big Data. Pessimisten werden ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt finden; sie werden auch lesen, dass das klassische Marketing keine Antworten auf diese neuen Herausforderungen hat und auch die Customer Journey eine Reise ohne Rückkehr ist. Optimisten lesen weiter und werden Lösungen in einer neuen und zeitgemäß definierten Kundenorientierung finden – unter Einbeziehung der Erkenntnisse der Verhaltensökonomie. Sie werden ein verändertes Verständnis für den Begriff „Qualität“ entwickeln sowie ein praktikables Konzept der Kundenerfahrung entdecken. Anschließend widmet sich der Autor der konkreten Umsetzung. Kundenorientierung ist zunächst einmal Menschenorientierung. Deshalb nehmen Themen wie Wertschätzung, Angst und Vertrauen einen großen Platz ein. Daraus ergeben sich zahlreiche Ansatzpunkte, wie Sie Ihrem Kunden wieder Orientierung geben und Bindung neu herstellen können. 
Nutzen Sie dieses Buch als Fundament für einen neuen und starken Fokus im Marketing und stellen Sie sich öfter mal die ehrliche Frage: „Macht das wirklich für den Kunden Sinn?“
SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer Gabler
Erscheinungsdatum15. Juni 2018
ISBN9783658217730
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    Buchvorschau

    Letzter Aufruf Kundenorientierung - Christian Gündling

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018

    Christian GündlingLetzter Aufruf Kundenorientierunghttps://doi.org/10.1007/978-3-658-21773-0_1

    1. Warum dieses Buch?

    Christian Gündling¹  

    (1)

    FB Management, Information & Technologie, Jade Hochschule, Wilhelmshaven, Deutschland

    Christian Gündling

    Email: guendling@jade-hs.de

    Viele Jahre lang war ich auf der Suche nach Theorien und empirischen Gesetzen, die mir den Erfolg von Unternehmen nicht nur erklären, sondern auch geeignet sein sollten, Erfolg zu prognostizieren. Geblendet von meiner mathematisch-volkswirtschaftlichen Ausbildung und den Erfahrungen mit einem hoch entwickelten Unternehmenscontrolling eines Weltkonzerns, war ich der festen Überzeugung, dass es auch in der Betriebswirtschaftslehre solche Gesetze geben müsse. Gesetze, die es uns nicht nur erlauben, vorherzusagen, wie hoch die Rendite, der Gewinn, der Umsatz in bestimmten Perioden sein werden, sondern die auch den Weg dorthin, die strategischen Pfade beschreiben. Ich suchte das Rezept für unternehmerischen Erfolg und glaubte zeitweise sogar, es gefunden zu haben.

    Nicht erst seit der Finanzkrise müssen wir Wirtschaftswissenschaftler aber konstatieren, dass unsere Arbeiten mit den Zahlen fälschlicherweise den Eindruck erwecken, das wir genau wüssten, was wir tun und was passieren wird. Diese Zahlen dienen sogar als Qualitätsmerkmal. Wir versprechen damit eine Kristallkugelkompetenz. Doch die Verwendung von Zahlen und von mathematischen Berechnungen führt zwar zu wahren Ergebnissen, nicht unbedingt aber zu wahren und (!) nützlichen Erkenntnissen.

    Gesetze gibt es in der Physik und bei den Juristen. Vielleicht auch in der Wirtschaft. Diejenigen in der Wirtschaft kennen wir aber nicht. Wenn eine Wirtschaft nach oktroyierten Gesetzmäßigkeiten funktionieren soll, scheitert sie. Das wurde in vielen Ostblockländern, in Kuba oder Nordkorea auf dramatische Weise bewiesen. Nicht umsonst ist China als totalitärer Staat zur Marktwirtschaft zurückgekehrt. Wirtschaft funktioniert eben anders – anders als Physik.

    Im Unterschied zum Biologen, Ingenieur, Physiker, Techniker können wir Wirtschaftswissenschaftler unsere Erkenntnisse nicht in Laboren und mithilfe von Experimenten überprüfen. Unser Labor ist die Wirklichkeit. Alles andere sind nur Modelle. Deshalb gibt es auch so viele verschiedene Wege zum unternehmerischen Erfolg. Und jeder dieser Wege ist unique. Die Wirtschaftswissenschaften sind oft nichts anderes als Wirtschaftsgeschichte: Im Nachhinein können wir viele Erfolge und Misserfolge erklären. Wir können aber künftige Erfolge und Misserfolge nicht prognostizieren.

    In der Öffentlichkeit werden Unternehmen als Hersteller von Produkten, Anbieter von Dienstleistungen oder Händler wahrgenommen. Unternehmen sind aber auch Produzenten von Entscheidungen und Urteilen. Jede E-Mail an Kunden, jedes Guten Tag im Kundenkontakt, jedes Angebot, das versendet wird, jede Anzeige, die gedruckt, jeder Facebook-Post, der veröffentlicht wird, jede Dienstleistung und jedes Produkt, die erstellt werden … stellen auf Kundenseite Entscheidungsalternativen zur Verfügung. Nicht nur in der Form „Soll ich das Produkt kaufen oder nicht?, sondern auch mittels Fragen wie „Verstehe ich diese E-Mail?, „Ist mir der Schreibstil der Mail sympathisch?, „Ist es eine persönlich an mich gerichtete Mail oder nur eine eines ganzen Bombenteppichs, der auf die Kundschaft hagelt?. Dieses sind nur einige wenige all der Fragen, die sich Kunden bewusst oder unbewusst stellen – und die sie auch beantworten. Kunden treffen in jedem Moment, in dem mit einem Unternehmen in Kontakt stehen, Entscheidungen. Außerdem auch dann, wenn sie keinen Kontakt haben. Doch dazu im Laufe des Buches mehr.

    Ähnlich wie in der Qualitätskontrolle in der Produktion und Logistik müssen Unternehmen auch ihre Entscheidungsprodukte kontinuierlich überprüfen. So wie es ein Prozessmanagement für alle möglichen zu lösenden Probleme gibt, so muss sich das Unternehmen die verschiedenen Elemente, bewusst machen, die bei Kunden zu Entscheidungen führen. Unternehmen müssen wissen, wie die Kunden letztendlich ihre Entscheidungen treffen!

    Dazu muss ein Blick auf die Festplatte namens Gehirn gewagt werden. Dadurch werden wir erkennen, dass Menschen nicht nur von Eigennutz angetrieben werden, dass sie nicht immer rational handeln und dass sie auch nicht über unendlich viel Willenskraft verfügen. Menschen sind Menschen. Das Modell des homo oeconomicus wird zu Geschichte erklärt. Es sind die bahnbrechenden Erkenntnisse der Neuropsychologie und der Verhaltensökonomie, die uns erste Hinweise darauf geben, wie Menschen wirklich entscheiden. Wie dieses faszinierende Wissen auf die Kundenorientierung übertragen werden kann, auch das soll dieses Buch zeigen. Übrigens ist auch der rational agierende Manager eine Wunschvorstellung ohne realen Gehalt.

    Schon 2004 haben Prahalad und Ramaswamy in ihrem wunderbaren Buch Die Zukunft des Wettbewerbs beschrieben, dass dem Wettbewerb

    … keine Grenzen mehr gesetzt (sind), sobald die Manager erkennen, wie viele neue Möglichkeiten sich ihnen eröffnen, wenn sie die Interaktion zwischen Unternehmen und Verbrauchern aus der Perspektive der Verbraucher angehen und die ko-kreative Erfahrung mit Bedacht managen. Unzählige Türen öffnen sich, insbesondere wenn wir uns darauf verlegen, innovative ‚Erfahrungsfelder‘ zu schaffen, die den heterogenen Verbrauchern einen Raum bieten, in dem sie auf vielfältige Weise interagieren können.¹

    Althergebrachte Meinungen zu der Frage, an welchen Stellschrauben der Effizienzsteigerung und Kostenreduzierung noch gedreht werden könnte, werden ihre Wirkungskraft verlieren. Sie werden der Kundenrealität zum Opfer fallen. Und sind Services, Innovationen wirklich die Lösung? Nein. Diese lassen sich schnell kopieren und sind nur zufällig erfolgreich, wenn die Kundenerfahrung nicht im Mittelpunkt ihrer Entwicklung und Bereitstellung steht.

    Noch nie hatte der Kunde so viel Macht wie heute. Noch vor wenigen Jahren waren wir alle von Microsoft abhängig, jetzt entdeckt das Unternehmen den Kunden. Einer der wichtigsten Vertriebskanäle ist ein großer oder kleiner Bildschirm. Mit dem nächsten Tab stehen aktuellste Informationen über Preise und Lieferzeiten der Mitbewerber zur Verfügung. Jede Barriere bei der Suche, der Bestellung, der Nutzung führt dazu, dass der Kunde weg- oder weiterklickt. Der Hype von heute ist des Investors Tod von morgen – können Sie sich noch an StudiVZ oder MySpace erinnern, oder vielleicht an Nokia?

    Wie wir sehen werden, wissen wir nicht genau, was die Zukunft bringen wird. Viele Aussagen stehen auf sehr wackligen Beinen. Nur eines ist gewiss: Es wird sich alles um den Kunden drehen müssen. Dies ist der enormen Komplexität, der Einmaligkeit von Kunden und Unternehmen geschuldet. Die Gegenwart von morgen kann aber trotzdem nicht einfach ignoriert werden. Sie wird für viele Unternehmen eine beängstigende Realität werden. Wenn Unternehmen nicht lernen, die Kundenerfahrung in den Mittelpunkt zu stellen, laufen sie Gefahr, in einen riesen Schlamassel zu geraten.

    Christian Scholz und Joachim Zehntes fordern: „Ein radikales Umdenken aller Wirtschaftsakteure ist gefragt. Unternehmer, egal ob sie produzieren oder verkaufen, müssen die Kontrolle des gesamten Wertschöpfungsprozesses verantworten. … Konsumenten müssen erkennen, dass letztendlich sie das Regulativ in einer Marktwirtschaft sind. … Mitarbeiter sind Teil des Unternehmens und gemeinschaftlich dafür verantwortlich."² Umsatz, Renditen, Shareholder Value sind im Kontext echter Kundenorientierung keine relevanten Ziele der Steuerung, Führung eines Unternehmens. Dies sind die Grundvoraussetzungen für die Existenz der Organisation. Sie sind die Pflicht. Die Kür ist die Kundenorientierung, die Kundenzufriedenheit und auch die Mitarbeiterzufriedenheit.

    Schon zu Beginn meiner Berufsjahre leitete mich die DNA der Kundenorientierung. Es gibt aber niemanden auf der Welt, der belegen kann, dass kundenorientierte Unternehmen erfolgreicher sind als weniger kundenorientierte. Es macht einfach allen Beteiligten mehr Spaß, weil es zu mehr Zufriedenheit führt. Größere Zufriedenheit bei den Kunden, den Lieferanten, den Mitarbeitern und den Inhabern zumindest dann, wenn für die Unternehmen und ihre Menschen Partnerschaft, Nachhaltigkeit, Entwicklung und Innovationsfähigkeit wichtige Werte sind.

    Dieses Buch soll informieren, provozieren, den Wert des Kunden für den unternehmerischen Erfolg wieder ins Zentrum zu rücken. Es will den Blick für Alternativen in Strategie, Marketing und Vertrieb öffnen und es soll helfen, ausgetretene Pfade zu verlassen. Damit richtet es sich an alle heutigen und zukünftigen Entscheider in den Unternehmen. Es ist ein Managementbuch, aber kein Managementratgeber. Kundenorientierung so verstanden räumt mit dem Irrtum auf, dass Unternehmenserfolg nach Modellen und Strategien entwickelt werden kann. Der Erfolg stellt sich oft als Ergebnis unternehmerischen Ergreifens von Gelegenheiten dar. So wie der Zufall Bill Gates half, für IBM das DOS-System zu entwickeln. Allerdings wird der Leser zahlreiche Fragen für sich entdecken, über die es sich lohnt, unternehmensindividuell nachzudenken.

    Dieses Buch soll Orientierung beim Thema Kundenorientierung geben. Wer Theorien und empirische Gesetze sucht, wird nicht fündig werden. Dieses Buch bietet die Möglichkeit zum Innehalten, um über das Tun im eigenen Unternehmen und das Tun des eigenen Unternehmens nachzudenken und neue Kraft und Ideen für mehr Zufriedenheit aller Beteiligten zu schöpfen.

    Werden Sie am Ende des Buches im Besitz des Steins des Weisen sein? Eher nicht. Sie werden auch keine sieben Schritte zum Unternehmenserfolg finden. Und auch keine acht Gesetze des Unternehmenserfolgs. Erfolgsversprechungen und Garantien finden Sie in den zahlreichen Managementklassikern zuhauf. In diesem Buch finden Sie hingegen einen konzeptionellen Rahmen und Anregungen. Beides soll Ihnen aufzeigen, wie Ihre Kunden, Mitarbeiter und auch Sie persönlich durch echte Kundenorientierung mehr Spaß und Zufriedenheit erfahren, wie Sie Nachhaltigkeit mit Inhalt füllen und damit wahrscheinlich einen höheren wirtschaftlichen Erfolg realisieren können. Aber nur wahrscheinlich – und ohne Garantieversprechen.

    Die Informationen, die Sie in diesem Buch erhalten, sollen Reize sein, um bei Ihnen Fragen auszulösen. Diese Fragen werden Ihnen helfen, ausgetretene Pfade der Unternehmensführung und des strategischen Marketing-Managements zu verlassen. Vergleichbar der sokratischen Methode leisten Ihnen die zahlreichen Erkenntnisse und Praxisbeispiele, die Sie in diesem Buch vorfinden werden, „Geburtshilfe". Sie werden die für Ihr Unternehmen wichtigen Sachverhalte erkennen. Diese Einsichten werden Ihnen helfen, neue Möglichkeiten und Chancen für Ihr Unternehmen hervorzubringen.

    Noch ein Hinweis zur Lektüre: Damit Sie Ihren Lesemodus selbst bestimmen können, ist jedes Kapitel in Abschnitte unterteilt, die jeweils einen abgeschlossenen Themenkomplex behandeln. Wenn es Sie zunächst interessiert, welchen Sinn Kundenorientierung ergibt und welche Bedeutung dies für die Mitarbeiter hat, dann beginnen Sie zum Beispiel mit Abschn. 8.​2 (Mitarbeiter) des Kap. 8 (Der neue Sinn des Unternehmens). Obwohl dieses Buch ein Fachbuch sein will, eignet es sich auch als kurzweilige Lektüre im Flugzeug, in der Bahn, am Strand. Egal, ob Sie zwei oder 20 Seiten lesen, Sie werden sich immer zurechtfinden und das Buch, das iPad oder den Kindle mit mindestens einer neuen Frage im Kopf wieder zur Seite legen. Sie bestimmen das Tempo. Trotzdem bleibt es ein Buch, welches Sie auch in klassischer Manier von der ersten bis zur letzten Seite durchlesen können. Sie entscheiden.

    Fußnoten

    1

    Prahalad, Coimbatore K./Venkat Ramaswamy (2004), Die Zukunft des Wettbewerbs. Linde, Wien, S. 90.

    2

    Scholz, Christian/Joachim Zentes (2015). Schizo-Wirtschaft. Campus Verlag, Frankfurt am Main, S. 8.

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018

    Christian GündlingLetzter Aufruf Kundenorientierunghttps://doi.org/10.1007/978-3-658-21773-0_2

    2. Eine neue Bedrohungslage

    Christian Gündling¹  

    (1)

    FB Management, Information & Technologie, Jade Hochschule, Wilhelmshaven, Deutschland

    Christian Gündling

    Email: guendling@jade-hs.de

    2.1 Es drohen schwarze Löcher

    2.1.1 Veränderungen haben die Kraft von Gravitationswellen

    Start-ups ohne jegliche Branchenkompetenz, wie zum Beispiel Airbnb oder Flixbus, nicht eingezwängt in jahrhundertalte Markt- und Branchengesetze, sind die gefeierten Entrepreneure der Börsen und Medien. Tesla hat zeitweilig einen höheren Kapitalisierungswert als GM oder Volkswagen, baut aber noch nicht einmal 10 % so viele Fahrzeuge wie die gerade genannten Marktführer.

    Jahrzehntelang diente das Hemisphären-Modell, welches die linke Gehirnhälfte als rational und die rechte als emotional ansieht, als eine der wichtigsten Grundlagen der psychologischen Marktforschung. Es diente dazu, das Verhalten von Menschen zu erklären. Zu Beginn dieses Jahrtausends dann stellte ein Wirtschaftspsychologe anlässlich der Verleihung des Wirtschaftsnobelpreises seinem Publikum eine relativ einfache mathematische Aufgabe. Die meisten der anwesenden Honoratioren scheiterten. Hatten sie ihre linke Gehirnhälfte nicht dabei?

    In den USA wurde ein erfolgreicher Unternehmer, der dreimal in die Insolvenz ging, zum Präsidenten gewählt. In seinem Wahlkampf diskriminierte er aktiv Frauen. Seit seiner Amtseinführung wurde er täglich mindestens einer Lüge überführt. Gewählt wurde er unter anderen von Christinnen, deren viele mehr als nur eine Tätigkeit ausüben, um den Lebensunterhalt ihrer Familien finanzieren zu können.

    Industrie 4.0 führt dazu, dass die Produktion von Hamburgern automatisiert wird, und dies in Premiumqualität und vollständig individualisiert. Stellen Sie sich also auf die Frage ein „Möchten Sie den Burger lieber englisch oder well done?". Autos erhalten eine andere Fahrwerksabstimmung per Softwareupdate und nicht mehr im Rahmen eines Besuchs der Werkstatt. Die Digitalisierung macht aus Kunden Produzenten. Sie gibt dem Kunden die Kommunikationshoheit, die über viele Jahrhunderte die Unternehmen mit ihrer Werbemaschinerie für sich beansprucht haben. Manager, die noch gestern von der Börse wegen ihrer strategischen Kompetenz gefeiert wurden, werden heute wie im römischen Zirkus von den Fondsmanagern, Medien und Fachleuten mit einem deutlichen Daumen nach unten aus ihrer Verantwortung gejagt. Als Steve Jobs zum zweiten Mal Apple übernahm, ließ er sich mit einem Dollar entlohnen.

    Niemals zuvor standen die Unternehmen vor derart bedeutenden Veränderungen wie heute. Für die Fachpresse ist „Industrie 4.0 das Megathema der deutschen Industrie. Es entscheidet über unsere Zukunft. Auch für die Geschäftsmodelle bedeutet das einen Umbruch."¹ Zudem wird Big Data als einer der Schlüsselfaktoren der Zukunft identifiziert. Der Aufstieg der Roboter sorgt dafür, dass Unternehmen, Produkt, Dienstleistung und Kunde immer mehr miteinander verschmelzen. Die digitale Transformation führt dazu, dass Kunden die Kommunikationshoheit gewinnen, die jahrhundertelang bei den Unternehmen lag. Der Kunde ist aktiver Prosument. Die Austauschbarkeit der Angebote wird weiter forciert, der Preiswettbewerb gewinnt die Markthoheit. In vielen Branchen kommt es zugunsten der Kunden zu einer Machtverschiebung.

    Die Fähigkeit, diese Umweltveränderungen zu antizipieren, wird längst als hinreichende Bedingung für zukünftigen Unternehmenserfolg angesehen. Wachstum und Changemanagement, Industrie 4.0 und Big Data, agile Organisation und Generation Z sind dabei immer gern genutzte Wortpaare. Auf den Punkt gebracht: Unternehmen sollen innovativer, agiler, digitaler werden. Alles gleichzeitig. Diese Veränderungen sind für sich substanziell und für viele Unternehmen dramatisch. Sie haben die Kraft von Gravitationswellen. Durch ihr Zusammentreffen können sie bestehende Markt- und Branchenstrukturen innerhalb weniger Jahre verändern, heutige etablierte Unternehmen in Windeseile entmachten und die Unternehmen zwingen, hinter dem Matchcode Kunde einen Menschen wertzuschätzen. Doch dem ist noch nicht genug. Es entsteht – um im Bild der Physik zu bleiben – ein schwarzes Loch.

    2.1.2 Das zweite schwarze Loch – die Ahnungslosigkeit von Wissenschaft und Praxis

    2007/2008 hat die so überraschende Finanz- und Wirtschaftskrise gezeigt, dass die Wirtschaftswissenschaften ratlos sind, wenn es darum geht, Wachstumsstrategien zu entwickeln, die sich in der Zukunft auch tatsächlich niederschlagen. Mich, als Volkswirt der Freiburger Schule, hat das besonders getroffen.

    Um es auf den Punkt zu bringen: Weder Wissenschaft noch Praxis haben die Kompetenz, Unternehmenserfolge von morgen strategisch zu planen und zu entwickeln. Nokia, Karstadt, ThyssenKrupp und Schlecker sind prominente Beispiele dafür. Es ist an der Zeit, anzuerkennen, dass viele Gesetze und Modelle der Wirtschaftswissenschaften nichts anderes als Glaubenssätze sind, die auch als solche enttarnt werden müssen. Viele ‚Erkenntnisse‘ der klassischen Betriebswirtschaftslehre – hier insbesondere der Marketing- und Vertriebslehre – sind nur geeignet, die Vergangenheit zu erklären. Den unternehmerischen Erfolg von morgen können sie nicht vorhersagen.

    Die Erwartungen der Leser dieses Buches werden auch von ihrer Ausbildung mitbestimmt. Handwerker, Naturwissenschaftler, Controller und Juristen, um nur einige Beispiele zu nennen, sehen sich oft als Vertreter der harten Disziplinen: Auf der Basis von (Natur-)Gesetzmäßigkeiten werden Grenzen zwischen richtig und falsch gezogen. In weichen Fächern, zum Beispiel Marketing, Organisation oder Führung, gibt es weniger Gesetzmäßigkeiten. Die Modelle sind oft so abstrakt, dass sie die Wirklichkeit auch nicht annähernd wiedergeben können. Verwundert es da, dass die wenigsten CEOs, Geschäftsführer, Vertreter der weichen Studienangebote sind? Ingenieure und Juristen beherrschen die obersten Führungsetagen. Sozial- und Geisteswissenschaftler sind eher eine Randgruppe. MINT – Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik – ist in. Tatsächlich ist es mit der Berechenbarkeit der Welt nicht weit her. Bereits die klassische Mechanik versagt, wenn es lediglich darum geht, die Bewegung von drei Körpern zu berechnen. Die entsprechenden Gleichungen sind nicht lösbar. Und in der Quantenphysik sind grundsätzlich nur noch Wahrscheinlichkeitsaussagen möglich. Die meisten Dinge kann man nicht berechnen – selbst in der Physik nicht. Das frustriert und fasziniert zugleich.²

    Als besonders problematisch kann sich zudem der Erfolg vieler Unternehmen erweisen: Die Gleichsetzung von Erfolg und richtigem Handeln muss immer wieder als Begründung dafür herhalten, dass ausgetretene Pfade weiter beschritten werden. Das Radarsystem Wie verändert sich die Welt? Welche Bedürfnisse unserer Kunden können wir nicht befriedigen? wird mit zunehmendem Erfolg außer Kraft gesetzt – wenn es denn überhaupt jemals eingesetzt wurde. Aber aus der Tatsache, dass ein Unternehmen, ein Produkt viele Jahre lang erfolgreich war, folgt nicht, dass ebendieses Unternehmen, ebendieses Produkt auch in den nächsten Jahren erfolgreich sein wird – und es folgt auch nicht, dass es in den nächsten fünf Jahren in die Bedeutungslosigkeit versinken wird. Wir wissen es einfach nicht. Wir stehen vor einem weiteren großen schwarzen Loch.

    Es ist das Zusammentreffen dieser beiden schwarzen Löcher, dieser Gewinn neuer Erkenntnisse, der die Strategieentwicklung und Marketing und Vertrieb in ihren wissenschaftlichen wie auch praktischen Grundsätzen erschüttert. Gleichzeitig ist es das Zusammentreffen dieser Entwicklungen, die gerade den Unternehmen, die echte Kundenorientierung für sich entdecken, nahezu ungeahnte Möglichkeiten der Entwicklung bietet. Damit dies gelingt, müssen wir uns aber aus dem Käfig unseres bisherigen Denkens und Wissens befreien.

    2.1.3 Der Kunde als Quelle unternehmerischen Erfolgs

    Damit ist auch die grundsätzliche Marschroute vorgegeben: Der Kunde soll als Quelle unternehmerischen Erfolgs in den Mittelpunkt unternehmerischer Entscheidungsprozesse und Verhaltensweisen gerückt werden. Dabei soll der Pfad der einseitigen Instrumentalisierung des Kunden verlassen werden. Neue Wege, neue Optionen ergeben sich dann, wenn hinter dem Kunden der Mensch gesehen und sein Verhalten verstanden wird.

    Um diese Wege gehen zu können, müssen wir zunächst einmal erkennen, wie mit den oben genannten Veränderungen bestehende Grenzen überwunden werden. Auch müssen wir lernen, dass viele Gesetze und Modelle der Wirtschaftswissenschaften als Glaubenssätze enttarnt werden bzw. dass diese Gesetze und Modelle nur geeignet sind, die Vergangenheit zu erklären, den unternehmerischen Erfolg von morgen hingegen nicht vorhersagen können.

    Viele Innovationen entstehen durch Zufall oder durch Spiel. Innovationen werden erfolgreich angestoßen, wenn Mängel, Bedürfnisse, Motive beim Kunden entdeckt werden. Das passiert nicht im Labor. Das erfordert die Kommunikation mit dem Kunden. Woher können die Ingenieure in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen wissen, wo Kunden Schwierigkeiten haben, wie diese ihren Alltag bewältigen? In den MINT-Disziplinen lernen die Studierenden, welche Bedeutung die Erdanziehungskraft für das Gewicht, den Verbrauch und die Geschwindigkeit eines Fortbewegungsgerätes hat. Lernen sie auch, in den Schuhen des Kunden zu gehen? Es geht nicht darum, technisch-naturwissenschaftliche Kompetenz abzubauen. Im Gegenteil.

    Viele Jahre hatte ich auf meiner Homepage das folgende Zitat von Albert Einstein: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind." Wer Kundenorientierung wirklich verstehen und als tragfähiges Konzept der Unternehmensführung kennenlernen möchte, muss die Gegenwart und die Vergangenheit kennen. Deshalb zunächst ein Blick zurück.

    2.1.4 Ein Blick zurück

    In vielen Unternehmen scheint der Produktverkauf der Höhepunkt der unternehmerischen Tätigkeit zu sein. Für viele Kunden markiert der Produktkauf aber lediglich den Anfang der Kundenerfahrung. Denken Sie an das Auto, besser den Autokauf, und an das, was danach kommt.

    Die Ursachen für diese unterschiedliche Wahrnehmung und Einordnung eines Vorgangs lassen sich vielleicht am besten mit einem Blick zurück in die volkswirtschaftliche Geschichte erklären:³ Die erste industrielle Revolution wurde durch die Erfindung der Dampfmaschine ausgelöst. Die Logistik erfuhr durch die Dampfschifffahrt und die Eisenbahn einen enormen Geschwindigkeitszuwachs. Arbeitsmaschinen im Kohleabbau und in der Schwerindustrie, bei der Herstellung von Lebensmitteln und Kleidung ermöglichten einen enormen Produktivitätszuwachs. Gesamtgesellschaftlich gesehen hat die erste industrielle Revolution Hungerkatastrophen verhindert.

    Mit der zweiten industriellen Revolution wird der Name Henry Ford verbunden. Die arbeitsteilige Massenproduktion ermöglichte es aufgrund der Skaleneffekte, Produkte sehr günstig herzustellen. Bell schaffte die Voraussetzung dafür, dass die Kommunikationsprozesse enorm beschleunigt werden konnten. Flugzeuge und Schiffe überquerten Ozeane und verbanden Kontinente auf dauerhaften Routen miteinander. Wohlstand für viele entstand.

    Zu Beginn der 1970er Jahre wurde mit Quantensprüngen in der Elektronik und der IT die dritte industrielle Revolution eingeleitet. Der Computer ermöglichte neue Arbeitsweisen und Berufsfelder. Dann sahen viele schon die vierte industrielle Revolution und verbanden diese mit dem Stichwort der Wissensgesellschaft – das war etwas zu früh.

    Die vierte industrielle Revolution ist tatsächlich dadurch gekennzeichnet, dass weitestgehend analog ausgeführte Aufgaben digitalisiert werden können. Aus einer LP wurde eine CD, dann ein mp3-File; heute haben wir es mit einem Streaming-Angebot (in welcher Technologie auch immer) zu tun. Die Unternehmen lernen, auf Nachfrage zu produzieren. Auf einer Produktionslinie können unterschiedliche Varianten hergestellt werden. Die Vernetzung mit dem Kunden ermöglicht eine flexiblere und wesentlich schnellere Produktion. Das Synonym für die vierte industrielle Revolution hierfür ist Dell: PCs wurden zunächst ausschließlich direkt über Telefonkontakte und den Versandhandel vertrieben und erst gebaut, wenn sie bereits verkauft waren. Dieses Build-to-order-Prinzip ermöglichte es Dell, immer die aktuellsten Komponenten zu verbauen, auf Lagerhaltung konnte weitestgehend verzichtet werden, der Kunde bekam seinen individuellen PC – sein Produkt. Heute steht der Dell-Rechner bei Walmart ebenso wie bei Saturn neben dem Lenovo und neben dem HP. Alle Rechner haben den gleichen Prozessor, die gleiche Grafikkarte … sind also austauschbar. Produkte sind austauschbar! Dell hat sich zurückentwickelt.

    Mode zum günstigen Preis. Das ist das Erfolgsrezept von H&M, Zara, Primark und Co. Die teuren Designerlabels haben es immer schwerer, sich dem Wettbewerb zu entziehen. Der scheinbar hybride Kunde kombiniert H&M hemmungslos mit Tom Ford. Oft erkennt man die unterschiedliche Herkunft nicht einmal. Lisa Eißfeld von bento hat sich dazu ein Quiz ausgedacht: Kannst du Designermode von Billigware unterscheiden?

    Auch die Lkws von Volvo, Daimler, Renault werden einander immer ähnlicher. Das Fahrzeug ist nur noch reine Hardware. Es sind heute schon die digitalen Services, mit denen die Unternehmen versuchen, ihr Angebot zu differenzieren. Das ist Software. Im Pkw-Markt gelten Autokäufer in Deutschland als äußerst markenaffin – die erfolgreichste asiatische Importmarke ist übrigens nicht Toyota, auch nicht Honda, sondern Hyundai. Viele Pkw-Hersteller und ihre angeschlossenen Autohäuser – früher waren das bei Mercedes Zuteilungsstellen – konzentrieren sich mit ihren Marketing- und Vertriebsaktivitäten auf die Marke und die Kommunikation, insbesondere mittels Social Media. Auf Dauer kann das aus mehreren Gründen nicht gut gehen: Ein Audi A5 und ein BMW 4 unterscheiden sich bei genauer Betrachtung nur noch in Marginalien. In einem Smart sitzt ein Renault-Motor, und vielleicht einmal abgesehen vom Porsche Macan sind alle SUVs eben relativ eckige Kästen mit Motor und ganz viel Elektronik. Die Auto Zeitung führt auf Facebook regelmäßig ein Quiz durch: Welches Modell bin ich? Bei RP-Online⁵ können Sie Ihr Wissen in einem Bilderrätsel testen: Skoda Fabia oder Kia Cee’d, Opel Astra Sports Tourer oder Citroen C5 Kombi, Peugeot 107 oder Toyota Avgo. Das Spiel hat mich an Memory, eine der Lieblingsbeschäftigungen meines Sohnes im Kindesalter, erinnert: Finde zwei gleiche Bilder – er hat mich immer geschlagen. Opel wirbt gerne mit „Mokka im Sonderangebot". Zudem kommen neue Anbieter auf den Markt – seien es chinesische Anbieter mit Borgward oder IT-Unternehmen wie Apple oder Google oder eben Anbieter rein elektronischer Fahrzeuge wie Tesla. Auch hat sich die Kundenreise geändert: Falls der Kunde überhaupt noch ein Autohaus betritt, dann nur, um sich seine bereits vorher im Internet beschlossene Wahl bestätigen zu lassen und den Kauf abzuschließen. Vielleicht möchte er auch noch hofiert werden. Der Kunde kommt aber immer weniger ins Autohaus, um sich Modelle anzuschauen oder über die Notwendigkeit bestimmter Ausstattungspakete und Extras aufklären zu lassen.

    Revolutionen kennzeichnen die Entwicklungen der Volkswirtschaften, mit Quantensprüngen können die technologischen Fortschritte der letzten beiden Jahrhunderte beschrieben werden. Viele traditionelle Unternehmen sind allerdings noch aufgestellt und agieren noch so wie zu Zeiten der ersten, bestenfalls dritten industriellen Revolution.

    2.1.5 Auch Dienstleister leisten keinen Dienst

    Finanzprodukte sind ebenfalls austauschbar. Dies wird durch die rechtlichen Anforderungen forciert. Austauschbar ist auch die Ausrichtung der Prozesse auf den mobilen Kanal, also insbesondere auf das Smartphone. Selbstzufrieden lehnt sich die Branche trotzdem zurück und spricht von einem Paradigmenwechsel:

    Die Limitierung, dass man nur online oder telefonisch erreichbar ist, wird nicht mehr als Nachteil wahrgenommen. Der Deal war früher: Ich verzichte auf die Filiale und spare dafür 100 Euro. Heute wird Servicequalität online erlebt, und zwar zunehmend mobil. Kann ich meine Kreditkarte per Smartphone sperren lassen? Kann ich darüber meinen Kontostand abfragen? Das sind die Fragen, die deutlich wichtiger werden. Die Zukunft des Bankings findet auf dem Smartphone statt.

    Die Austauschbarkeit bleibt.

    Gerade Retailbanken, wie Sparkassen und Volksbanken, sind aufgrund ihrer Filialnetze eher träge. Immer weniger Filialen arbeiten profitabel. Die Konsequenz: Filialen werden geschlossen oder in erweiterte Bankautomaten umgewandelt – in den Büchern der Finanzinstitute werden solche Bankautomaten übrigens als Selbstbedienungsfilialen geführt. Andererseits ermöglichen genau diese Filialen – also die mit Menschen – unmittelbar eine persönliche Nähe zum Kunden, die die Direktbanken, Fintechs und Plattformen wie Check24 nicht bieten können. Übrigens schenkten im Jahr 2007 noch 58 % der Kunden den Finanzinstituten ihr Vertrauen, 2015 waren es nur noch 40 %. Die Konsequenz: Nur ein Drittel der Bankkunden fühlt sich dem eigenen Institut gegenüber emotional verbunden.⁷ Zusammengefasst: Die vierte industrielle Revolution führt zu immer mehr Konformität und Austauschbarkeit.

    In ihrem Jahresabschluss 2014 berichten die Stadtwerke Hilden über die Entwicklung der Kundenzufriedenheit:

    Eine im Jahr 2013 durch ein unabhängiges Institut durchgeführte Erhebung der Kundenzufriedenheit ergab, dass 58 Prozent unserer Kunden außerordentlich oder sehr zufrieden mit den Stadtwerken Hilden als Stromanbieter sind. Bei der vorigen Untersuchung im Jahr 2011 lag dieser Wert bei 52 Prozent. Im Bereich der Gaskunden waren 57 Prozent der Kunden außerordentlich oder sehr zufrieden. Auch hier konnte der Wert aus dem Jahr 2011 (50 Prozent) deutlich verbessert werden. Im Jahr 2015 soll die Kundenzufriedenheit erneut erhoben werden.

    Diese Zahlen lassen sich auch anders lesen: Im Jahr 2011 war fast die Hälfte aller Kunden der Stadtwerke Hilden maximal zufrieden. Zwei Jahre später war dieser Wert auf 43 % gesunken. Auch wenn die Skala nicht bekannt ist, kann doch daraus geschlossen werden, dass die Zufriedenheit von zwei Fünftel der Kunden mindestens als entwicklungsfähig einzustufen ist. Leider geben die Stadtwerke keine Auskunft darüber, welche Maßnahmen ergriffen wurden, um die Zufriedenheit zu steigern.

    Das mag daran liegen, dass für viele Stadtwerke der Wettbewerb gerade erst begonnen hat. Natürlich gibt es schon viele Jahre lang gelben Strom. Doch dieser wurde von den Verbrauchern zunächst nicht angenommen – in der Hauptsache wegen der enorm hohen vertraglichen Wechselbarrieren und des fehlenden Vertrauens, ob zum Tag X auch wirklich noch Strom aus der Dose kommen würde. Die Zeiten haben sich geändert: Die vertraglichen Wechselbarrieren sind kaum noch wahrnehmbar – Auswahl des Stromtarifs, Postleitzahl eingeben, dann die komplette Adresse, den Namen des bisherigen Anbieters, um den Rest kümmern sich Yello Strom, Mainova und Co. Das Kernprodukt ist identisch, eben Strom – austauschbar, noch nicht einmal greifbar, oder nur sehr schmerzhaft.

    Wenn es den klassischen Anbietern, wie zum Beispiel Stadtwerken oder natürlich auch den großen Sechs, nicht gelingt, ihren Kunden echten Mehrwert zu bieten, wird der Wechselstrom bald in neuen, viel größeren Dimensionen fließen. Die Telekommunikationsanbieter und Provider wissen von solchen leidvollen Erfahrungen zu berichten. Und auch der Gasmarkt wird folgen. Für die Stadtwerke, die Stromgiganten und viele weitere Anbieter genormter und daher austauschbarer Produkte ziehen dunkle Wolken am Horizont auf. Wenn 85 % der von der Stiftung Warentest getesteten Produkte mit „gut" abschneiden, dann sind diese Produkte in ihrer Anwendung gleichwertig – also austauschbar. Die Marketingverantwortlichen sehen das ähnlich: Zwei Drittel sind der Meinung, dass ihre Marken austauschbar seien. Was machen die bloß für einen Job?

    Die vierte industrielle Revolution ist durch die Vernetzung mit dem Kunden, eine flexiblere und eine wesentlich schnellere Produktion gekennzeichnet, an deren Ende immer ähnlichere Leistungsangebote der Unternehmen stehen.

    Einer der Marketing-Gurus schlechthin, dessen Schule ich mich besonders verbunden fühle, ist Philip Kotler. Gemeinsam mit Hermawan Kartajaya und Iwan Setiawan hat er in dem wunderbaren Buch Die neue Dimension des Marketings diese Entwicklungsstufen aus der Sicht des Marketings beschrieben.

    2.1.6 Was Philip Kotler meint

    Philip Kotler beschreibt drei Entwicklungsstadien des Marketings:

    Marketing 1.0 korrespondiert mit der ersten und zweiten industriellen Revolution. Als die wichtigsten Technologien in den Unternehmen die Dampfmaschine und das Fließband waren, ging es im Marketing darum, die Produkte, die in einer Fabrik erzeugt wurden, an alle zu verkaufen, die sie abnehmen würden. Bekannt ist in diesem Zusammenhang die Aussage Henry Fords: „Jeder Kunde kann ein Auto in der Farbe seiner Wahl erhalten – vorausgesetzt sie ist schwarz."

    Marketing 2.0 bildete sich im Informationszeitalter heraus. Heterogene Präferenzen der Verbraucher, die erstklassig informiert sind und verschiedene Angebote direkt miteinander vergleichen können, erfordern Segmentierung und überlegene Produktlösungen. Die Marke hat einen dauerhaften Höhenflug, Verstand und Herz des Kunden sollen angesprochen werden. Der Kunde wird aber implizit als passives Ziel von Kampagnen gesehen. Gerade auch heutzutage noch. Immer noch eine Marionette, jetzt halt eine digitale. Scheinbar genügt es, Reize zu setzen, um Handlungen auszulösen. So die Denkweise vieler Marketingverantwortlicher. Marketing und Verkauf funktionieren nach einem Reiz-Reaktions-Schema: Damit hinten etwas herauskommt (zum Beispiel Umsatz oder Marktanteile) muss vorne mehr hinein – die Marketingmaschine mit Werbung auf allen Kanälen, mit Loyalitätsprogrammen, Kundenkarten und Rabatten wird angeworfen. Letztendlich geht es immer noch um den Produktverkauf.

    Um im aktuellen, wertorientierten Zeitalter bestehen zu können, ist ein Marketing 3.0 notwendig. Die Kunden sind nicht mehr die passiven, einseitig zu beeinflussenden Datensätze, sondern werden

    … als ganze Menschen mit Kopf, Herz und Seele – Human Spirit – angegangen. Verbraucher suchen verstärkt nach Lösungen, die ihnen die Angst davor nehmen, ob und wie die globalisierte Welt eine bessere Welt wird. In einer chaotischen Welt suchen sie nach Unternehmen, deren Mission, Vision und Werte ihren ureigenen Bedürfnissen nach sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Gerechtigkeit entsprechen. Sie wünschen sich von den Produkten und Dienstleistungen, die sie wählen, Erfüllung – nicht nur in funktioneller und emotionaler Hinsicht, sondern auch in seelischer.¹⁰

    Das gilt im B2C, wie im B2B – natürlich im Einzelfall in unterschiedlichen Graden.

    Dieses Zeitalter der Mitwirkung wird maßgeblich durch die Entwicklung der sogenannten New-Wave-Technologie bestimmt: Einzelnen und Gruppen wird Konnektivität und Interaktivität ermöglicht. Menschen konsumieren nicht nur Nachrichten, Ideen und Unterhaltung, sie produzieren sie selber.¹¹ New-Wave-Technologie macht aus Konsumenten Prosumenten. Ein Faktor, der die New-Wave-Technologie erst ermöglichte, war die zunehmende Verbreitung sozialer Medien, also Blogs, Twitter, YouTube, Facebook, Foto-Sharing-Seiten wie Flickr und andere soziale Netzwerkseiten. Auch Wikipedia und Open Street Maps dürfen in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden.

    Viele Unternehmen, viele der heutigen Marketingfachleute praktizieren noch immer Marketing 1.0, manche Marketing 2.0 und wenige steigen auf Marketing 3.0 um, die neue Dimension des Marketings. Diesen Wenigen winken die größten Chancen.

    Nahezu alle bekannten Marken verfolgen heute Strategien der Marktführerschaft, einige wollen Qualitätsführer sein, alle fertigen sie Produkte im Sinne von Hardware oder bieten Dienstleistungen im Sinne von Software an. So wie seit vielen Jahrzehnten. Der fast dauerhafte wirtschaftliche Erfolg scheint das Management in diesem Handeln zu bestätigen. Auch Nokia verfolgte Strategien der Marktführerschaft, sah seine Zukunft in Massenmärkten und war dabei im Elfenbeinturm des mobilen Telefons (=Produktverkauf) gefangen. Die Gleichsetzung von Erfolg mit richtigem Handeln hatte dazu geführt, dass Nokia die ausgetretenen Pfade nicht verlassen konnte. Das nenne ich die Nokia-Falle. „Eine Revolution wird es mit Sicherheit nicht geben"¹² erklärte Nokia-Manager Mads Winblad 2007 anlässlich des Verkaufsstarts des iPhone. Die angepeilten zehn Millionen iPhones bis Ende 2008 ließen den ehemaligen Nokia-Mann ebenfalls wenig beeindruckt: „Das entspricht ziemlich exakt der Menge, die Nokia alle zehn Tage verkauft." Auch zahlreiche Hidden Champions sind vor dieser Falle nicht sicher. Schon 2008 nannte Hermann Simon in einem Fachartikel Beispiele wie Biodata, Clean Concept, Glunz, Goebel, Held, Märklin und Reflecta.¹³

    Solange sich die Unternehmen zum Produktverkauf (=Marketing 1.0) bekennen, werden sie den Elfenbeinturm nicht verlassen und ihnen droht die Nokia-Falle. Das gilt auch für heutige Hidden Champions.

    2.2 Industrie 4.0 und VUKA sind ohne Kundenorientierung nichts

    Eine digitale Transformation, die sich als technische Innovation begreift, wird nur zufällig erfolgreich sein. Kundenorientierung muss zu einem neuen Gen in der DNA werden. Die meisten Geschäftsmodelle der Start-Ups, Transformatoren und Disruptoren sind aus der Perspektive der Kundenerfahrung entwickelt. Kundenorientierung in der DNA eines Unternehmens verankert, ist nicht mehr volatil, sondern dynamisch, ist nicht mehr unsicher, sondern gibt Sicherheit, ist nicht komplex, sondern ein Kompass für die Menschen, ist nicht ambivalent, sondern eindeutig, wegweisend.

    2.2.1 Die digitale Transformation ist unbedeutend

    Im Jahr 2007 kontrollierten sieben Unternehmen 99 % aller Gewinne, die durch den Verkauf von Mobiltelefonen erwirtschaftet wurden. Dazu gehörten Samsung, Nokia, Ericsson und RIM. Im selben Jahr brachte der damals relativ unbedeutende Computerhersteller Apple (der Weltmarktanteil bewegte sich im niedrigen einstelligen Bereich) das erste iPhone auf den Markt. Was folgte, kann nur als brutal beschrieben werden:¹⁴ Von den großen Sieben ist nur Samsung nicht in die Bedeutungslosigkeit versunken; acht Jahre später machte nur ein einziger der einst marktbeherrschenden Anbieter noch einen Gewinn, während das iPhone seit Jahren über 50 % aller auf dem Markt mit Mobiltelefonen erzielten Gewinne erwirtschaftete.¹⁵

    Oftmals wird Apples Erfolg auf den Einsatz neuer Technologien, wie zum Beispiel den Touchscreen oder auf die Apps, zurückgeführt. Im Nachhinein muss aber festgestellt werden, dass Apple der Durchbruch gelang, weil das Unternehmen eine Plattform für Apps geschaffen hatte. Diese Plattform schuf die Grundlage für neue Anwendungen. Nur so konnte aus einem Mobiltelefon, welches Musik abspielte, Fotos schoss und die Möglichkeit bot, im Internet zu surfen, ein Smartphone werden, welches dem User individuelle Nutzungsmöglichkeiten – auf Wunsch und „Knopfdruck" eine neue Kundenerfahrung – bietet. Apple war damit der erste Hersteller eines mobilen Endgeräts, der sich um die Verwendungshäufigkeit kümmerte – auch zum Nutzen der Provider. Die Plattform konnte zur Wachstumsrakete werden. Dritte investieren in die Entwicklung der Apps, Apple stellt die Plattform, die Regularien und die Fakturierung zur Verfügung – natürlich gegen eine angemessene Provision.

    Messenger-Programme wie WhatsApp, Snapchat oder Facebook sind ihrerseits Plattformen, auf denen Videos angeschaut und dazu Popcorn und Bier bestellt werden können. Auch bei diesen Plattformen müssen die Betreiber nicht in die Vermögenswerte investieren. Das machen die Anbieter der jeweiligen Apps bzw. Dienstleistungen. Wieder verändern sich die Regeln der Wirtschaft. Die Hardware ist jetzt schon vorhanden. Milliarden von Anwendern sind über ihre mobilen Geräte mit diversen Cloud-basierten Anwendungen und Diensten verbunden. So können innerhalb weniger Monate neue Geschäftsmodelle weltweite Durchdringung finden. Airbnb, Uber, Check24, booking, TripAdvisor sind die Beispiele, die hier immer wieder genannt werden müssen.

    Klassische Unternehmen, die ihrerseits keine Plattformen mit ausreichend großem Netzwerk aufbauen (können), werden in Zukunft auf diversen Plattformen Dritter Geschäfte machen müssen. Die größte Herausforderung dabei besteht nicht in den Gebühren, die an die Betreiber der Plattformen zu entrichten sind. Viel bedeutender ist, dass die Unternehmen den direkten Kontakt zu ihren Kunden verlieren. Kundenbindung wird so nahezu unmöglich.

    Wie jetzt schon deutlich geworden ist, ist nicht die Technologie selbst die treibende Kraft der Veränderung; die Gefahren der Zukunft entstehen für die Produktverkäufer auch nicht durch die Plattformen. Technologie und Plattformen sind nur Instrumente. Der tatsächliche Treiber ist die Philosophie der meisten Start-ups, Transformatoren und Disruptoren: bedingungslose Kundenorientierung.

    Beispiel Flixbus: Das Geschäftsmodell ist, die Busse nicht selbst zu betreiben, sondern Fremdfirmen fahren zu lassen. Flixbus kümmert sich um das Internet-Buchungssystem und die Werbung – eben eine Plattform. Auf die Frage, ob es nicht von Nachteil gewesen sei, keine Branchenerfahrung zu besitzen, antwortete Mitgründer Jochen Engert:

    … das war eher hilfreich, weil wir nicht mit der Branchenbrille auf das Business geschaut, sondern das Produkt neu gedacht haben. Unser Ansatz war: Was muss die Kundenerfahrung sein, wie muss sich das Produkt für den Kunden anfühlen? Auf welche Weise kann ich die Busreise am leichtesten zugänglich machen, wie vermarkte ich sie am besten? Das war wohl auch der große Unterschied zu unseren Wettbewerbern. … Uns hat geholfen, dass wir sehr viel schneller, sehr viel flexibler waren. Und dass wir uns sehr genau angesehen haben, was der Kunde will. … Wir haben sehr schnell verstanden, dass man möglichst viele Verbindungen anbieten muss, um für den Kunden relevant zu sein.¹⁶

    Der tatsächliche Treiber der digitalen Transformation ist die Kundenerfahrung.

    Auch bei anderen innovativen Geschäftsmodellen oder Zerstörern traditioneller Marktstrukturen ist die Kundenerfahrung der Schlüssel zum Erfolg. Diese Plattformen erschaffen selbst keine Produkte.¹⁷ Sie sind „Dienstleister" für ihre Kunden, haben, gemessen am Umsatz, verhältnismäßig wenige Mitarbeiter, sind aber doch in der Lage, gewachsene, über viele Jahre bewährte Marktstrukturen durch neue Prozesse aufzubrechen.

    Die Priceline Group¹⁸ beispielsweise ist das größte Online-Reisebüro der Welt. In 200 Ländern konnte im Jahr 2016 mit Internetseiten wie agoda.​com, booking.​com oder kayak.​de ein Umsatz von mehr als neun Milliarden Dollar erzielt werden. Nicht von Menschen, sondern Algorithmen, von Datenbanken, die Reiseinteressenten bei der Buchung von Reisen unterstützen. Und dies zum garantiert günstigsten Preis. Die Konsequenz schon heute: Die Priceline-Group, Expedia oder der deutsche Hotelvermittler HRS sind inzwischen die meistgenutzten Vertriebskanäle für Hotelzimmer in Deutschland. Rund 25 % der Zimmerbuchungen werden über eines der großen Portale abgewickelt. Aufgrund des Netzwerkeffekts wird sich einer der großen Player zum wirklich größten entwickeln und damit eine Quasi-Alleinstellung aufbauen können, wie Amazon diese im Buchmarkt entwickelt hat – gegen den ehemaligen Platzhirsch Bertelsmann – oder wie Facebook sie im Social-Media-Bereich innehat. Bei angenommen unveränderten Preisen verlieren die Hotels pro Buchung über booking und Co. zwischen 15 und 25 % an Deckungsbeitrag – so hoch ist nämlich die Provision der Portale.

    Auch hat Uber die Art verändert, wie Taxis arbeiten. Die Firma hat weder Autos noch Fahrer und damit

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