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Ruf des Himmels
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eBook366 Seiten4 Stunden

Ruf des Himmels

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Über dieses E-Book

Genau genommen hat Grace alles richtig gemacht. Nach mehreren Studienjahren im Ausland, beschließt sie endlich zurück nach New York zu kehren. Die McCannans, bei denen Grace ihre Kindheit verbracht hat, empfangen sie sofort mit offenen Armen. Auch ihr bester Freund Bill freut sich über Rückkehr. Schon bald erkennen die beiden, dass sie mehr füreinander empfinden, als nur Freundschaft. Alles läuft nach Plan, doch schon bald treten erste Probleme auf. Logan, der älteste Sohn der McCannans, kann Grace im Kreise seiner Familie nicht akzeptieren und zeigt ihr das deutlich. Fortan muss sie sich nicht nur mit ihm auseinandersetzen, denn auch zwischen Bill und ihr gibt es erste Streitereien. Sie muss feststellen, dass es Dinge im Leben gibt, die sich nicht steuern lassen. Schließlich zwingt sie ein tragischer Zwischenfall dazu, ihre Sichtweise zu überdenken und alles ändert sich.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum11. Sept. 2014
ISBN9783849594763
Ruf des Himmels
Autor

Tina Mücher

Tina Mücher, geb. Eisleben, wurde am 2. Februar 1982 in Remscheid geboren und wuchs mit ihrem jüngeren Bruder in Hückeswagen auf. Im Alter von 24 Jahren zog sie nach Schleiden-Dreiborn in die Eifel, wo sie noch heute mit ihrem Mann und den drei gemeinsamen Kindern lebt. Bereits während ihrer Schulzeit schrieb Tina unzählige Kurzgeschichten, doch erst im Jahr 2013 veröffentlichte sie ihr erstes Buch. Der Roman handelt von der Liebe und den unvorhersehbaren Ereignissen, die das Leben prägen.

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    Buchvorschau

    Ruf des Himmels - Tina Mücher

    -1-

    Wie in jedem Jahr legte sich der Zauber der Weihnachtszeit wie ein magisches Band über New York City. Dicke Schneeflocken fielen lautlos von Himmel und überzogen die Wolkenkratzer mit einem Hauch von Weiß. Es war eine Welt überzogen mit Puderzucker. In den beleuchteten Straßen pulsierte das Leben rund um die Uhr. Menschen, vermummt mit Mützen und wärmenden Mänteln, durchströmten die vereisten Bürgersteige der Stadt auf der Suche nach den letzten Weihnachtsgeschenken. In den dutzenden Cafés gab es heiße Schokolade und Glühwein.

    Graces kalte Hände umklammerten die Tasse mit dem heißen Kakao darin. Ihr Blick ging aus dem Fenster und sie sah die Stadt, die sie so liebte. Ein Lächeln schlich sich in ihr Gesicht. Wieder zurück zu sein an diesem Ort, um Weihnachten mit den Menschen verbringen zu können, die sie so in ihr Herz geschlossen hatte, ließ ihr Herz einen Takt schneller schlagen.

    Die vergangenen Jahre hatte sie in einer anderen Welt verbracht, weit weg von ihren Freunden und ihrer Familie. Sie hatte jeden Augenblick dieses aufregenden Abenteuers genossen, war erwachsen geworden und hatte sich weiter entwickelt. Mit denen, die sie zurück lassen musste, hatte sie via E-Mail und Telefon Kontakt gehalten. Eine ganz lange Zeit war das gut gegangen. Ihr stressiger und arbeitsreicher Alltag hatte sie abgelenkt und ihr keine Möglichkeit gegeben über das nachzudenken, was sie verpassen würde.

    Erst die vergangenen Wochen waren ihr schwer gefallen. Sie hatte immer mehr mit Heimweh und Sehnsucht zu kämpfen gehabt. Sie wollte nach Hause.

    Nun saß sie in einem völlig überfüllten Café und sah sich die Welt da draußen an. Grace übersah den Schmutz, überhörte den Lärm und ignorierte die Schnelllebigkeit an diesem Ort. Sie liebte die Stadt und fühlte die Magie, die von ihr ausging.

    Erschrocken merkte sie wie Tränen in ihre Augen traten. Natürlich freute sie sich auf die überraschten Gesichter ihrer Familie, da sie nichts von ihrer Rückkehr wussten. Sie hatte aber auch Angst, dass sie nicht mit den offenen Armen empfangen wurde, die sie erwartete.

    Ihre Eltern würden ihr niemals Steine in ihren Weg legen, dessen war sie sich sicher.

    Als Grace ihnen aber verkündet hatte, dass sie im Ausland studieren wollte, waren sie alles andere als begeistert gewesen. Ihrer Mutter Mary war die Enttäuschung im Gesicht abzulesen. Sie hatte Grace immer ihr „Wunder Gottes, ihr „Geschenk des Himmels genannt. Nach drei Söhnen hatte sie sich stets eine Tochter gewünscht, doch ihr Wunsch war ihr unerfüllt geblieben. Stattdessen hatte eine Familie in Not ausgerechnet ihr ein kleines Mädchen überlassen, um es groß zu ziehen und ihr Liebe zu schenken. Als dieses Mädchen erwachsen wurde und den Wunsch hegte im Ausland zu studieren, hatte es ihrer Pflegemutter beinahe das Herz gebrochen.

    Genau dieser Gesichtsausdruck hatte sich in Graces Gedächtnis gebrannt.

    Nicht nur ihre Eltern hatte sie enttäuscht und traurig zurück gelassen. Grace hatte viele enge Freunde gehabt, bevor sie ins Ausland gegangen war. Für niemanden war es leicht gewesen, sie ziehen zu lassen. Vor allem weil klar war, dass sie nicht innerhalb von zwei Wochen heimkehren würde. Hinzu kam die Tatsache, dass Europa nicht gerade um die Ecke war. Es lagen mehrere Flugstunden und über sechstausend Kilometer zwischen den beiden Kontinenten. Ein spontaner Besuch und ein Wiedersehen waren somit beinahe unmöglich.

    Grace erinnerte sich nicht gerne an die traurigen Gesichter ihrer Freunde.

    Die junge Frau erhob sich räuspernd und zahlte ihr Getränk. Sie merkte, wie der bekannte Kloß in ihrem Hals dicke Tränen ankündigten. Es war an der Zeit das Café zu verlassen und ihren ersten Besuch seit ihrer Heimkehr zu absolvieren. In diesem Moment gab es nur einen Menschen, den sie unbedingt sehen wollte. Er hatte es bisher immer geschafft ihre Tränen zu trocknen und ihre schlechten Gedanken zu vertreiben.

    Mit einer lässigen Handbewegung rief sie sich eins der berühmten New Yorker Taxen – das Yellow Cab – und ließ sich in einen Stadtteil der Metropole bringen. Hell’s Kitchen… Der Vorhof der Hölle einer Stadt, die Träume erfüllen aber auch schnell zum Verhängnis werden konnte.

    Seufzend stand sie vor der Haustüre und wollte gerade den Klingelknopf betätigen, als jemand Anderes die Türe von innen öffnete und ohne sie zu beachten an ihr vorbei ging. Bevor die Türe wieder schwer ins Schloss fallen konnte, hielt Grace sie auf und huschte ins Haus. Langsam stieg sie die Stufen hinauf bis ins oberste Geschoss. Vor einer Wohnungstüre blieb sie stehen und zögerte kurz. Dann lächelte sie und klopfte mit zittrigen Fingern.

    Aus dem Inneren der Wohnung waren Schritte zu vernehmen. Als sich die Türe öffnete stand Grace einem hellblonden, jungen Mann gegenüber und lächelte zaghaft. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er sie an.

    „Grace!, rief er überrascht aus und schloss sie in die Arme. „Ich…Du… Wahnsinn!!

    Er stammelte und lachte. „Wie sehr du dich verändert hast!"

    Sie knuffte ihn vor die Schulter. „Es wäre schlimm, wenn ich immer noch das kleine Mädchen von vor fünf Jahren wäre!"

    Erneut drückte er sie an sich und hielt sie fest.

    „Bill?", tönte eine weibliche Stimme aus dem Inneren der Wohnung.

    Der hellblonde Mann drehte sich kurz um.

    „Du hast Besuch?, fragte Grace, die für einen kurzen Moment dachte, ihr Magen würde sich umdrehen. „Ich will dich nicht stören!

    Bill legte seinen Arm um ihre Schultern. „Du störst mich nie", murmelte er und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn, bevor er sie mit in seine kleine Wohnung nahm. Im Wohnzimmer saßen zwei Personen, die Grace sehr gut kannte. Die beiden musterten den Gast mit ebenso überraschten Gesichtern wie Bill es kurz zuvor getan hatte.

    „Oh mein Gott!, entfuhr es Grace. „Sandy und Michael! Mit Tränen in den Augen warf sie sich in die Arme ihrer besten Freundin. Sandy drückte sie ein Stück weit von sich und legte ihre Hand sanft auf Graces Wange.

    „Du bist wieder zu Hause!"

    „Ja, endlich!", flüsterte Grace und wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln.

    „Warum hast du nicht angerufen?, fragte Bill und in seiner Stimme klang ein vorwurfsvoller Ton mit. „Einer von uns hätte dich vom Flughafen abholen können! Er half ihr aus der Jacke und alle setzten sich auf die Couch.

    „Bill, antwortete Grace langsam. „Ich brauchte einfach noch einen Moment, um anzukommen und um zu entscheiden, wo ich zuerst hinfahre!

    Sie musterte das Paar ihr gegenüber. Sandy und Michael waren gemeinsam mit ihr und Bill in die gleiche Schule gegangen. Die vier hatten beinahe ihre gesamte Kindheit miteinander verbracht. Anfangs in unterschiedlichen Cliquen, da Sandy und Grace keinerlei Interesse am männlichen Geschlecht gehegt hatten. Doch irgendwann hatten die Gruppen sich vermischt und so wie es nun aussah, hatte es bei Michael und Sandy offensichtlich gefunkt.

    „Wie lange seid ihr beiden zusammen?, wollte Grace von den beiden wissen. „Und überhaupt, ich will alles wissen. Alles!!!

    Ein Abend mit Freunden stand auf Graces Liste der Dinge, die sie am meisten vermisst hatte, ganz weit oben. Üblicherweise hatte sie den Tag alleine ausklingen lassen. Natürlich hatte sie vor allem in Frankreich neue Bekanntschaften schließen können, doch es war immer oberflächlich geblieben. Sie hatte sich ihrem neuen Bekanntenkreis nie so öffnen können, wie sie es bei Sandy, Michael oder Bill konnte. An diesem Abend bekam sie die Möglichkeit einen Punkt ihrer Liste abhaken zu können. Bei einer Familienpizza und viel Rotwein tauschten sie sich aus, waren sich wieder so nah, als sei Grace nicht eine Minute weg gewesen. Obwohl sich vieles geändert und viel Zeit ins Land gezogen war, gab es Dinge, die sich ein Leben lang nicht ändern würden.

    Die Vertrautheit blieb.

    Während Grace von ihrer Zeit in Europa berichtete, hatten auch ihre Freunde viel zu erzählen.

    Sandy und Michael waren seit nunmehr vier Jahren ein Liebespaar. Angefangen mit einer guten Freundschaft hatte sich daraus Liebe entwickelt und waren seitdem glücklich miteinander. Graces Blick ging immer wieder hinüber zu Bill, zu ihrem besten Freund, zu ihrem Seelenverwandten. Es wunderte sie nicht, dass er in ihrer Abwesenheit keine Freundin gefunden hatte. In all den Jahren, die sie sich kannten, hatte sie von seinen Gefühlen für sie gewusst, jedoch hatte sie diese nie erwidern können. An diesem Abend sah sie eine Veränderung an ihm. Seine lustige Art war noch immer dieselbe, aber optisch war er ein völlig anderer Mann geworden. Er trug keine Brille mehr und das tiefrote Haar war erblondet. Dank der Zahnspange, die er zu Schulzeiten getragen hatte, präsentierte sich nun ein perfektes Lächeln. Grace konnte sich gut vorstellen, dass er die Herzen der Frauen reihenweise brach. Auch sein Blick landete immer wieder bei ihr. Wenn sie ihn dabei ertappte wusste sie einfach, dass sich an seinen Gefühlen nichts geändert hatte. Sie schenkte ihm dann ein kurzes Lächeln und widmete sich wieder den interessanten Gesprächen. Es gab jede Menge zu erzählen und Grace freute sich schon auf die Zeit, die noch vor ihnen lag. Sie waren wieder zusammen und das war ihr die Hauptsache!

    Bis tief in die Nacht saßen sie zusammen. Irgendwann verabschiedeten sich Sandy und Michael.

    „Versprich mir, dass du dich bald wieder melden wirst!", sagte Sandy und schloss ihre Freundin fest in die Arme. Grace strich ihr über den Rücken.

    „Sandy, erwiderte sie lachend. „Ich bin wieder zu Hause! Ich werde nicht mehr weggehen!

    „Nie wieder?", fragte Sandy.

    Grace lachte ausgelassen. „Ich will keine Versprechen geben, die ich nicht halten kann!"

    Auch Michael nahm sie in den Arm.

    „Es ist so unglaublich toll wieder hier zu sein", meinte sie strahlend.

    Michael nickte. „Endlich wieder zu Hause", ergänzte er.

    „Warst du schon bei den McCannans?, wollte Sandy von ihrer besten Freundin wissen. Die schüttelte den Kopf. Sie sah kurz zu Bill. „Ich hatte erst einmal Sehnsucht nach meinen Freunden. Meine Eltern werden sich morgen auch noch freuen.

    „Da bin ich mir sicher!" Sandy fiel es sichtlich schwer, ihre Freundin nach so langer Abwesenheit zurück zu lassen. Schließlich war es Michael, der zum Aufbruch drängte. Als die beiden weg waren, schloss Bill die Türe und drehte sich zu seinem Besuch um.

    Er lächelte vorsichtig.

    „Wo wirst du die Nacht verbringen, Grace Coleman?, wollte er von ihr wissen und nahm sie in den Arm. Sie legte ihre Hände in seinen Nacken. „Mmh, machte sie leise und legte den Kopf schief. „Ich hatte eigentlich vorgehabt, mir ein kleines schnuckeliges Hotelzimmer zu suchen. Sie deutete auf die Uhr. „Immerhin kann ich jetzt schlecht bei meinen Eltern klingeln.

    Bill lachte.

    „Nein, antwortete er. „Das würde ich dir auch nicht empfehlen. Er zögerte kurz. „Du könntest hier übernachten. In meinem Bett. Ich würde natürlich auf der Couch übernachten."

    Grace löste sich aus der Umarmung.

    „Du musst nicht auf der Couch schlafen", sagte sie mit fester Stimme.

    Er strich ihr über die Wange. „Wir sind keine Kinder mehr, Gracie. Es hat sich viel geändert."

    „Nicht genug, als dass ich Angst davor haben müsste, mit meinem besten Freund in einem Bett zu schlafen." Sie hob eine Augenbraue und musterte ihn kurz, bevor sie sich ihrem Gepäck widmete und kurz darauf mit einem Schlafanzug und ihrem Kulturbeutel im Badezimmer verschwand.

    Sie war etwas verwirrt und mit der Situation überfordert als sie einen Blick in den Spiegel warf. Während ihrer Reise nach Amerika hatte sie sich ausgemalt, wie es sein würde, Bill wiederzusehen. Sie hatte sich überlegt, wie er sich ihr gegenüber verhalten würde, was sie sagen sollte und wie er auf sie reagieren würde. Allerdings hatte sie bei all diesen Plänen vergessen, dass sich nicht nur sie sondern auch Bill sich weiter entwickelt hatte. Er hatte Recht und sie wusste das.

    Die beiden waren keine Kinder mehr und sie hatte sich vor Sehnsucht nach ihm verzehrt. Nichts wünschte sie sich mehr, als in dieser Nacht bei ihm zu bleiben. Auch wenn sie ihm gegenüber so getan hatte, als sei sie selbstbewusst und stark, so schlug ihr Herz doch bis zum Hals vor Nervosität. Bei dem Wunsch nach Geborgenheit und Zärtlichkeit wollte sie jedoch eins auf keinen Fall verlieren: seine hingebungsvolle Freundschaft zu ihr.

    Grace musste einen klaren Kopf bewahren und duschte kalt bevor sie sich für die Nacht zurechtmachte.

    Es war fast Morgen als die beiden sich ins Bett begaben. Die Sonne ging mit schwachem Schein am Horizont auf und tauchte die Wände von Bills Schlafzimmer in ein zartes Rosa. Die beiden lagen auf der Seite und sahen sich an.

    „Du hast mir gefehlt, Billy Boy!, murmelte Grace und lächelte. Er betrachtete sie eindringlich. „Du mir auch!, erwiderte er. „Ich kann kaum glauben, dass die Zeit deiner Abwesenheit nun endlich vorbei sein soll." Seine Hand tastete sich langsam hervor und mit kühlen Fingern berührte er die zarte Haut in ihrem Gesicht.

    Sie schloss die Augen.

    „Ich habe dir versprochen, dass ich eines Tages vor deiner Türe stehen werde", murmelte sie leise, beinahe lautlos.

    Der Flug in die vereinigten Staaten war lang gewesen und die Reise hatte sie erschöpft. Warm spürte sie seine Lippen auf ihrer Stirn.

    „Schlaf schön, Grace, sagte er leise „Morgen ist auch noch ein Tag.

    Sie lächelte noch einmal, bevor sie in einen langen, tiefen Schlaf fiel.

    -2-

    Die Bronx war laut. Die Bronx war schmutzig. Dieser Teil New Yorks war die unterste Schublade dieser berühmt berüchtigten Stadt, während in Manhattan die High Society untergebracht war. Brennende Tonnen standen am Straßenrand und Menschen standen darum, um sich zu wärmen.

    Der Stadtteil wurde von den verschiedensten Gangs beherrscht und Kriminalität stand ganz oben auf der Tagesordnung.

    Am Rande des Bronx Parks stand ein kleines Autohaus, wo sich die Mitglieder der Gangs ihre Autos tunten. Es war ein recht kleiner aber doch sehr erfolgreicher Betrieb mit wenigen Mitarbeitern.

    „Ist ein Logan McCannan zu sprechen?", hörte Logan die tiefe Stimme eines Mannes. Er blickte auf die Uhr und grinste. Kurze Zeit später öffnete sich die Türe zu seinem Büro und ein beleibter Herr trat ein.

    „Henry!, rief Logan aus und stand auf, um dem Gast die Hand zu schütteln. „Pünktlichkeit ist nicht gerade deine Stärke. Henry lachte laut auf.

    „Tja, mein Freund, was soll ich sagen?, entgegnete er. „Deine Freundin hat mich den ganzen Tag in Beschlag genommen. Du weißt doch wie sie ist. Logan nickte langsam. Ja, er wusste wie Alicia war.

    „Wo hast du sie getroffen?", wollte er von ihm wissen.

    „Irgendwo auf der 5th Avenue", murmelte er beiläufig. Das war Logan Antwort genug. Alicia ging nicht arbeiten. Sie bediente sich auf dem Geld ihres Freundes und freute sich über die kleinen Finanzspritzen ihres Vaters. Ihre liebste Beschäftigung war das Shoppen. Sie besaß hunderte Paar Schuhe und ihr Ankleidezimmer platzte aus allen Nähten.

    „Na gut, sagte er seufzend. „Du bist nicht gekommen, um über Alicia zu plaudern. Er sah auf und Henry wurde ernst.

    „Das stimmt, Logan", entgegnete der Gast auf der anderen Seite des Schreibtisches.

    „Wir kennen uns schon lange Jahre, begann er und beugte sich ein Stück weit nach vorne. „Ich hoffe, du weißt, dass ich hauptsächlich dein Freund bin und nicht dein Steuerberater.

    „Du brauchst nicht um den heißen Brei herum zu reden, murmelte Logan. „Wo drückt der Schuh?

    „Das kann ich dir sagen, erwiderte Henry. „Wenn du dir nicht langsam aber sicher mehr Angestellte zulegst, wird es irgendwann auffallen, dass du eigentlich mehr Arbeit leistest, als du mit zwei Mitarbeitern schaffen kannst.

    Logan wurde still.

    Er hatte nur zwei seiner Angestellten angemeldet, da er sich die Kosten sparen wollte, die ein fest angestellter Arbeiter an Geld verschlang. Zu Beginn war die Werkstatt ein Ein-Mann-Betrieb. Mittlerweile war der Auftragsstatus aber so gut, dass er sich Angestellte leisten konnte. Dass diese Vorgehensweise nicht legal war, wusste er. Er lebte jedoch bewusst mit diesem Risiko aus Angst in Konkurs gehen zu müssen. Dann würde er wieder ohne Job da stehen. Auf keinen Fall wollte er seine Eltern um Hilfe bitten, da sie zurzeit ein schwieriges Verhältnis hatten.

    „Ok, seufzte er und raufte sich das zerzauste Haar. „Ich werde mich darum kümmern, dass ich zumindest eine Bürokraft bekomme. Er deutete auf die Papiere, die sich auf den Regalen und Tischen türmten. „Wenn ich mich hier so umsehe, wäre das eine sinnvolle Investition", sagte er schmunzelnd.

    „Das ist eine hervorragende Idee, Logan, meinte Henry und sah auf die Uhr. „Ich habe leider noch Termine, bemerkte er. „Schließlich bist du zwar mein einzig wahrer Freund, aber nicht mein einziger Kunde." Logan nickte und begleitete Henry zur Türe. Einen Moment lang sah er ihm noch hinterher, dann schüttelte er den Kopf.

    „Freund… murmelte er zu sich selbst. „Du meinst wohl eher Geier.

    Er kannte Henry tatsächlich schon lange Jahre, was ihn aber nicht automatisch zu einem Freund machte. Die Beziehung zu Alicia machte eine enge Freundschaft auch nicht gerade leicht. Sie war eine sehr einnehmende Person und mochte es gar nicht, wenn Logan seine wertvolle Zeit außerhalb des Betriebs mit anderen Menschen verbrachte, als mit ihr.

    Kurz bevor Logan Feierabend hatte, kam seine hellblonde Freundin mit unzähligen Taschen in sein Büro gestürmt.

    „Hey Honey, flötete sie lächelnd und küsste ihn übermütig auf den Mund. Er musterte ihren schlanken Körper und fragte: „Hattest du einen schönen Tag?

    Alicia seufzte leise. Sie stellte die Taschen ab und ließ sich auf seinen Schoß fallen.

    „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie kaputt ich bin", erwiderte sie und lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter. Auf einmal hob sie den Kopf und sah ihm ins Gesicht.

    „Was wollte Henry von dir?"

    Logan zuckte lässig mit den Schultern.

    „Ist nicht wichtig", antwortete er und strich über ihre Wange. Er wollte sie küssen, doch Alicia wich ihm aus.

    „Hast du Geheimnisse vor mir?, fragte sie ihn und ihre Augen verengten sich. Er hob die Augenbrauen. „Nein?!

    Logan hatte sich an Alicias Eifersucht gewöhnt. Sie liebte ihn sehr und wollte ihn nicht teilen. Hin und wieder konnte er ihre Gefühle aber nicht nachvollziehen. So wie in diesem Moment. Alicia hatte keine Ahnung von seinem Geschäft. Es gab absolut keinen Grund, auf einen Menschen wie Henry eifersüchtig zu sein.

    „Hör zu, Honey, sagte Alicia auf einmal. „Ich habe noch mal über die Sache mit deinen Eltern nachgedacht. Lass uns die beiden doch mal in unsere neue Wohnung einladen.

    Logans Laune sank sofort auf den Gefrierpunkt.

    Seine Eltern waren normalerweise ein Tabuthema. Er wusste, dass sie seine Freundin niemals akzeptieren würden und dass ihre gemeinsame Zukunft ein Dorn in ihren Augen war.

    „Ich kann ja verstehen, dass das nicht einfach für dich ist. Alicia sprach nun sehr sanft, da sie um das angespannte Verhältnis wusste. „Aber sie sind nun mal deine Eltern und sie gehören zu deinem Leben wie ich!

    „Alicia! brummte er, der eigentlich nicht darüber sprechen wollte. „Meine Eltern mögen dich nicht sonderlich. Was glaubst du, wie sie wohl reagieren werden, wenn ich sie auf einmal zu uns zum Essen einlade? Er hob die Augenbrauen und sah sie an. Ihr Lächeln haftete nach wie vor in ihrem Gesicht.

    „Sie werden wahrscheinlich nicht begeistert sein, gab sie zu. „Wir hatten allerdings auch nie die Gelegenheit uns richtig kennen zu lernen. Ich kann deine Eltern sogar ein Stück weit verstehen. Für sie bin ich diejenige, die Schuld daran ist, dass ihr ältester Sohn ausgezogen ist. Sie strich über seine rauen Hände und er antwortete: „Sie geben uns aber auch keine Chance, dass sie dich besser kennen lernen können."

    „Geben sie uns keine Chance oder sorgst du dafür, dass sich erst gar nicht die Gelegenheit ergibt?, fragte Alicia spitz und erhob sich. Sie raffte ihre Sachen zusammen. „Kommst du mit nach Hause?

    Logan nickte matt.

    Gemeinsam löschten sie das Licht im Autohaus, schlossen ab und machten sich dann zusammen auf den Weg zu ihrer Wohnung.

    Es war Alicias Wunsch gewesen ein Appartement in einem der berühmten Wolkenkratzern New Yorks zu kaufen. Sie war die einzige Tochter eines Aktionärs und einer Juristin. Geldprobleme kannte sie nicht und sie war es gewohnt ein Luxusleben zu führen. Logan konnte einfach nicht nachvollziehen, warum seine Eltern Alicia nicht mochten. Sie hatte gute Manieren, auch wenn sie hin und wieder einen unbedachten Kommentar abließ. Sie konnte ein intaktes Elternhaus vorweisen und war vor allem rein optisch eine Augenweide. Logan war stolz, dass sie ihn liebte. Immerhin war er ein Mann aus einfachen Verhältnissen, der ihr am Anfang der Beziehung nichts hatte bieten können.

    Ihre gemeinsame Wohnung war in einem der oberen Stockwerke des gläsernen Hochhauses. Sie dominierte mit großen Fensterflächen, die aus jedem Zimmer einen beeindruckenden Blick auf das Financial District Manhattans gewährten. Aus den Fenstern des Schlafzimmers konnte man auf den Ground Zero blicken. Der Ort, an dem einst das World Trade Center gestanden hatte. Hier konnte man am besten beobachten, wie sich die Stadt veränderte.

    Da Alicia keine gute Köchin war, ließen sie sich an diesem Abend, wie an jedem anderen Abend auch, etwas zu Essen aus einem Restaurant kommen. Logan bildete sich ein, dass er besser lebte als seine Eltern, die zwar nicht arm waren aber sich solchen Luxus sicher nicht erlauben konnten. Wahrscheinlich hätten sie es auch nicht gewollt.

    Seine Kindheit war geprägt von einem Leben in Demut und Frömmigkeit. Sie waren stets nur „Kinder Gottes" gewesen, glücklich darüber gesund zu sein. Das war der einzige Reichtum, nach dem seine Eltern Zeit ihres Lebens strebten. Ihm selbst war das nicht genug. Er wollte die Welt bereisen, wollte sich Dinge leisten, die sich andere nicht leisten konnten und er wollte allen zeigen, wie gut es ihm ging. Obwohl er auch in kleinen Schritten angefangen hatte, baute er sich nach und nach eine Existenz auf.

    „Vielleicht sollten wir Weihnachten als Gelegenheit nutzen, uns noch einmal mit deinen Eltern zusammen zu setzen, schlug Alicia nach dem Abendessen vor. Sie vermied es dabei Logan anzusehen, denn auch wenn er ihr selten widersprach, konnte er durchaus unangenehm werden. Er jedoch war zu müde als dass er sich auf eine Diskussion hätte einlassen wollen und zuckte mit den Achseln. „Ich werde sie anrufen und sie fragen, wann es ihnen recht ist.

    Ein Lächeln der Genugtuung breitete sich auf ihren Lippen aus. Sie lehnte sich zufrieden zurück.

    Logan war schlecht gelaunt. Er ärgerte sich darüber, dass seine Angestellten ständig zu spät zur Arbeit kamen. Er hatte keine Lust dazu, seine Buchhaltung selber zu bewältigen und war frustriert, weil er es sich einfacher vorgestellt hatte, eine Bürokraft zu finden. Das zuständige Amt konnte ihm niemanden vermitteln und die arbeitssuchenden Personen, die in der Zeitung und im Internet inseriert hatten, lehnten dankend ab. Sie scheuten die Arbeit in der Bronx.

    Die Entscheidung in die Bronx zu gehen war eigentlich eine einfache gewesen. Hier schätzte man seine Arbeit. Er hatte genug Aufträge und eine ganze Gang, die ihre Wagen nur bei ihm reparieren und tunen ließen. Die Lage war ruhig und sie hatten mit der bekannt hohen Kriminalitätsrate nichts zu tun. Dennoch hatte dieser Stadtteil nach wie vor einen schlechten Ruf und das machte die Suche nach einer geeigneten Bürokraft schwieriger als er gedacht hatte.

    Logan massierte seine Schläfen mit beiden Händen. Er hatte Kopfschmerzen und sein Vorhaben, seine Eltern um einen Termin zu bitten, machte die Sache nicht besser. Als er gerade nach dem Telefonhörer griff, öffnete sich seine Bürotür und einer seiner Angestellten trat ein. Logan sog scharf Luft ein.

    „Erstens, rief er erbost. „Ist das hier mein Büro! Ich erwarte, dass ihr zumindest anklopft, wenn ihr etwas von mir wollt. Zweitens habe ich im Moment keine Zeit und keinen Nerv! Er deutete mit einem Nicken zur Türe. Sein Angestellter war so verblüfft, dass er wortlos den Raum wieder verließ. Unter normalen Umständen kam Logan als Vorgesetzter gut mit seinen Mitarbeitern zurecht. Sie hatten ein beinahe freundschaftliches Verhältnis zueinander und konnten sogar nach Feierabend ein Bier zusammen trinken. In anderen Situationen sollte man Logan besser aus dem Weg gehen und ihn möglichst nicht ansprechen. Dieser Moment war eine solche Situation und Logan war sich, wie sonst auch, keinerlei Schuld bewusst. Leicht gereizt wählte er die Nummer seiner Eltern und wartete darauf, dass jemand abhob.

    Nach nur wenigen Augenblicken nahm Mary McCannan das Gespräch entgegen. Obwohl Logan darauf bestand ein schlechtes Verhältnis zu seinen Eltern zu haben musste er sich eingestehen, dass er den Klang ihrer Stimme vermisst hatte. Ihre Schwierigkeiten gingen klar von seinem Vater Douglas aus. Doch er nahm es seiner Mutter nicht minder übel, dass sie nichts dagegen unternahm.

    „Hey Mom", sagte er leise und wartete auf eine Reaktion. Die kam sofort.

    „Logan!, entfuhr es Mary überrascht. „Es ist ja so schön von dir zu hören. Wie geht es dir, mein Sohn?

    Logan seufzte. Er wollte und konnte seiner Mutter nicht böse sein. „Mir geht es gut, Mom. Ich wollte fragen, ob ich Weihnachten zu euch kommen kann?"

    Mary lachte auf.

    „Aber natürlich!, rief sie. „Das hier ist dein Zuhause. Ich wäre enttäuscht, wenn du nicht kommen würdest. Er zögerte einen Moment.

    Dann erst erwiderte er: „Aber ich werde Alicia mitbringen." Nun vernahm auch er ein kurzes Schweigen am anderen Ende der Leitung.

    „Dann ist es eben so!" konstatierte Mary. Erst nachdem Logan aufgelegt hatte empfand er so etwas wie Erleichterung. Ihm fiel ein Stein vom Herzen. Er war einen Schritt auf seine Eltern zugegangen und hatte vor allem Alicia einen Gefallen damit getan. Selbst wenn er es nicht zugeben wollte, hatte er zum ersten Mal den Eindruck, dass sich vielleicht doch alles wieder einrenken würde. Er hoffte auf die Akzeptanz seines Vaters.

    -3-

    Mit klopfendem Herzen betätigte Grace die Klingel und wartete gespannt auf eine Reaktion.

    Nervös spielte sie mit ihren Händen und trat

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