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Es ist nicht gut, Wurst in der Sonne liegen zu lassen!
Es ist nicht gut, Wurst in der Sonne liegen zu lassen!
Es ist nicht gut, Wurst in der Sonne liegen zu lassen!
eBook519 Seiten6 Stunden

Es ist nicht gut, Wurst in der Sonne liegen zu lassen!

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Über dieses E-Book

Warum steht John Wayne an der Himmelspforte? Was macht Kapitän Ahab auf der Arche Noah? Warum ist der Urlaub schöner als Weihnachten? Wo finden Sie Poolisten und Strandisten? Wer geht in den Xinger Club? Ist Ihr Arbeitskollege ein Koloskop? Was tun mit einem diffusen Krankheitsbild? Wer ist wirklich der mächtigste Mann der Welt? Gibt es eine Optikbereinigungsaktion nach dem Tod? Warum wird Faust von Tell ermordet? Wer diese und andere Antworten sucht, findet sie in diesem Buch.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum5. Juli 2021
ISBN9783347352094
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    Buchvorschau

    Es ist nicht gut, Wurst in der Sonne liegen zu lassen! - Hermann Oster

    Bolivien und Lamas!

    Weihnachtszeit… Kerzenlicht… Zimtgebäck… Eierlikör… Das Fest der Liebe… Familientreff… Schlittenfahrt… Rudolph the Red Nosed Reindeer… Tannenbaum… Geschenke… Lebkuchen… Spekulatius… Marzipan… Schnee… Glühwein… Spendenmarathon… Adventskalender… Weihnachtsmarkt. Weihnachtsmarkt! Genau da war ich gestern und habe registriert, dass sich auf dem Weihnachtsmarkt das Epizentrum der Spendenfreude befindet. Es riecht so lecker nach Mandeln, Gebäck und Bratwurst. Festlicher Lichterschmuck und liebevoll dekorierte Weihnachtsstände regen die Sinne an. Angefeuert von einem Gläschen Glühwein, vielleicht auch von deren zwei, legt sich eine positive Schwermut auf das Gemüt und wir alle fühlen tief in uns eine Sentimentalität, die ein Jahr lang verloren schien. Ich seufzte, weil auch mich eine Brise Melancholie erfasste.

    Vor einer Bude, in der es selbst gemalte Bilder von bolivianischen Kindern mit ADHS Syndrom und nachgewiesener Rechtschreibschwäche zu kaufen gab, bildete sich ein Stau. Der Menschenauflauf ließ darauf schließen, dass die Bilder sehr begehrt waren. Jeder wollte eines erwerben und Teil der guten Tat werden! Einem Hinweiszettel an der Tür entnahm ich, dass mit dem Verkaufserlös am Fuße des Huayna Potosí eine pädagogische Spezialeinrichtung für die Racker errichtet werden soll. Das überzeugte mich und so holte auch ich mir rasch ein Bild. Es war ein Restposten. Abgebildet war ein Meerschweinchen, das offenbar vor den 3 Heiligen Königen floh. Die Könige waren mit Knüppeln bewaffnet und verfolgten mit grimmiger Miene das verängstigte Tier. Es blutete am Kopf. Ich stutzte und war irritiert, weil das wirklich ein wenig durchgeknallt wirkte. Auch das Weihnachtsmotto war nur nuanciert bedient worden. Entschuldigend blickte mich die Verkäuferin an, das Kind sei erst 6 Jahre alt und wie man sehen könne, sehr talentiert, leider aber auch erheblich traumatisiert, relativierte sie. Ich schämte mich ob meiner Skepsis und fragte mich, mit welchem Recht ich hier über ein Kind urteilte, das in den Anden lebt. Was auch immer das zu bedeuten hat. Ich kaufte das Bild. Engel waren ohnehin ausverkauft und irgendwie war das Bild ja auch auf seine Weise amüsant. Sofern man meinen Humor besitzt. Ich lächelte. Man darf ja auch bei einer guten Tat heiter sein. Eine lustige, andächtige Stimmung ist ja auch ok. Oder? Mir wurde jedenfalls warm ums Herz. Augenblicklich dachte ich an die lachenden Kinder in Bolivien und an das Glück, das sie empfinden werden, sobald die Verkäuferin mit der prall gefüllten Kasse im Dorf erscheint. Irgendwie bedauerte ich, dass die traumatisierte Rasselbande niemals erfahren wird, dass ich maßgeblich daran beteiligt war, sie da rausgeholt zu haben, wo auch immer sie vorher waren oder gerade sind. Ich überlegte, ob ich der Verkaufsdame ein Foto von mir mitgeben sollte oder meine Visitenkarte. Die Schule braucht ja einen Namen! Dann verwarf ich den Gedanken. Es ist schließlich Weihnachten, da steht nicht die Eitelkeit im Vordergrund. Ich ging weiter.

    Am Kinderkarussell stand ein junger Mann. Er verteilte Flyer. Auch mir hielt er einen bunten Zettel vor die Nase. Er war gegen Tierversuche, das merkte man schnell. Er wirkte auf mich extrem aufgedreht und hatte einen leicht fanatischen Einschlag im Blick. So etwas beunruhigt mich immer. Auf dem Flyer waren abschreckende und ekelerregende Fotos aus Forschungslaboren zu sehen. Er schaute mich prüfend an und fragte mich in einer extrem exaltierten Stimmlage, die augenblicklich meine Weihnachtsstimmung trübte, ob ich das gut fände? Ich betrachtete ein Bild mit einem Affen, dem man eine Glühbirne auf die Nase geschraubt hatte. Obwohl die gezeigte Situation widerlich war und ich nicht wusste, was das Forschungsziel sein könnte, sagte ich, weil mich der Typ mit seiner aufgesetzten Betroffenheitsaura extrem nervte: „Der sieht ja aus wie Rudolph! Frohes Fest! Völlig fassungslos taxierte der Tierschützer mich und wurde hysterisch. „Wie Rudolph? Was sind sie denn für ein Arsch, der bei diesem Anblick an Rudolph denkt? Er bekam Schnappatmung und verlor komplett die Contenance. Die umstehenden Weihnachtsmarktbesucher wurden auf uns aufmerksam. Sie sahen mit vorwurfsvollem Blick zu mir herüber. Eine ältere Frau rempelte mich an und zischte: „Darüber macht man keine Witze, junger Mann! Die Sache drohte zu eskalieren. Ich drückte mich am empörten Volk vorbei und verschwand in einer Seitengasse. Dort zündete ich mir eine Zigarette an und atmete tief durch. Ich zitterte. Nach 10 Minuten traute ich mich wieder aus meinem Versteck. Ein Lama kam mir entgegen. Es wurde von einem zauseligen Mann geführt. Dieser hatte eine Blechbüchse in der Hand. „Wir sammeln für das Winterquartier. Ich schaute das Lama an, es schaute zurück. Ich spürte, dass die Situation von eben nicht spurlos an mir vorübergegangen war. Eingeschüchtert gab ich wortlos 10 Euro aus Angst, dass Lama könnte spucken.

    Weiter vorne am Bratwurststand saß ein Obdachloser mit Hund. Er trank Bier. Dosenbier. „Immerhin Krombacher. Premiumbier! So schlecht geht es dem Knaben ja wohl nicht., raunte mir ein älterer Herr zu. „Selber schuld! Irgendwie stört der und versaut die ganze Stimmung hier., meinte der Rentner. „Und sein Aussehen. Ich frage mich, ob der sich absichtlich so schmutzig macht, damit wir denken, es ginge ihm dreckig? So ein Penner! Er schaute mich an. „Aber was kann der Hund dafür?, schwadronierte der Alte munter weiter und legte 2 Euro in den Becher. Er schaute den Mann scharf an und zeigte auf den Hund: „Das ist für den! Der kann ja nix für sein Herrchen!" Der „Penner" bedankte sich und lächelte. „Kennen Sie den?, fragte ich den Alten. „Den Penner? Woher sollte ich einen Penner kennen? „Na, weil sie sagten, er wäre selber schuld." Der Alte schüttelte den Kopf, winkte ab und ging. Ich holte ein Sixpack Bier vom Supermarkt gegenüber, setzte mich zum „Penner" und wir erzählten uns von Bolivien, von Lamas, verfolgten Meerschweinchen und so weiter. „Ja, sagte der „Penner" verträumt. „Südamerika! So schön, doch so weit weg! Ich nickte. Nach einer Weile, kam der Typ mit den Flyern vorbei, sah insbesondere mich an und murmelte deutlich hörbar. „War klar, ein Penner! Ich hatte dem „Penner" die Geschichte zwischen Flyerman und mir erzählt. Wir beide sahen uns mit breitem Grinsen an und fingen laut an zu singen: „Rudolph the Red-Nosed Reindeer had a very shiny nose. And if you ever saw it, you would even say it glows. " Der unentspannte Typ sah uns entsetzt an, schüttelte den Kopf und lief eilig davon.

    Interdisziplinäre Konsultation

    Es fing alles damit an, dass mein Hausarzt mir tief in die Augen sah und sagte: „Herr Wuttich, bei ihrem komplexen Krankheitsbild möchte ich Ihnen ein Krankenhaus empfehlen, das sich auf Differenzialdiagnostik spezialisiert hat. „Differenzialdiagnostik? Um Gottes willen, was ist das denn?, fragte ich erschrocken. „Kennen Sie die Fernsehsendung Dr. House? Da geht das so ähnlich zu. Ein Patient leidet. Keiner weiß warum. Jeder Arzt hat eine Idee und am Ende hat meistens der Chef den richtigen Riecher. Ihre Laborwerte sind grauenhaft und darüber hinaus kann ich die ständig belegte Zunge einfach nicht mit dem Gliederzucken und dem asthmatischen Husten zusammenbringen. „Ja, Herr Doktor, ich frage mich auch immer, zuckt mein Bein nun aufgrund des Hustens, oder huste ich, weil mein Bein zuckt? Zudem ist jetzt auch mein rechter Zehennagel völlig außer Kontrolle geraten. Der wächst im Vierteljahr 5 mm mehr als der linke! „Sehen Sie, Herr Wuttich, das meine ich. Bei Ihnen muss mal eine Grundordnung rein. Da sollen mal ein paar Fachleute drauf schauen. Interdisziplinäre Konsultation! Der Körper macht ja mit Ihnen, was er will!" Um die Kontrolle über meinen Körper zurückzugewinnen, zog ich letzte Woche mit diffusem Krankheitsbild doch voller Optimismus in das Heilig-Kreuz Krankenhaus Oberhausen-Schmachtendorf ein. Vor dem Hauptportal orientierte ich mich kurz und folgte dann den Hinweisschildern zur Aufnahme. Es war komplizierter, als ich dachte und erst nach 20-minütiger Suche stand ich vor einer dunkelbraunen Doppeltür mit der Aufschrift: „Aufnahme". Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und betrat leicht genervt den Saal. Ein gewaltiger Menschenauflauf und dröhnendes Stimmengewirr empfing mich. Unübersehbar ragte in der Mitte des Raumes eine Säule hervor. Um sie herum herrschte hektische Betriebsamkeit. „Sie müssen eine Marke ziehen. Ja, da vorne., raunten mir mindestens 10 Wartende zu. „Da an der Säule! Schnell! Sonst sind sie morgen noch hier. Eine Dame schubste mich in Richtung Pfeiler. „Nun machen Sie schon!, feuerte sie mich an. Unschlüssig stand ich vor einem Automaten an der Säule. Bevor ich endlich tätig werden konnte, rammte mir ein älterer Herr seinen Rollator in die Kniekehle und zischte: „Was ist los mit Ihnen? Ziehen Sie eine Marke oder hauen Sie ab. Augenblicklich drückte er den Rollator fester an meine Beine. Voller Panik nahm ich eine Marke aus dem Apparat und drehte mich rasch zur Seite. Ich suchte einen Platz. Doch es war kein Durchkommen. Immer wieder strömten Massen an die Säule und plötzlich schrie jemand hysterisch auf. „385? Das gibt es doch nicht! Die sind erst bei 265! Sind die wahnsinnig? Er reckte die Faust in Richtung der Aufnahmekabinen: „Was macht ihr da so lange? 120 Leute vor mir! Unfassbar! Er tobte, hatte die Faust geballt, fluchte unflätig und geriet schließlich komplett außer Kontrolle. Rasch herbeigerufene Sicherheitskräfte trugen ihn unverzüglich aus der wogenden Menge hinaus und brachten ihn in eine isolierte Wartekabine ohne Wasserspender. Der Raum war schallisoliert, allerdings einsehbar. Der Bursche lag auf dem Boden und weinte. Ich bekam eine Gänsehaut und schaute auf meinen Bon. Ich hatte die Nummer 296. Also auch noch viel Zeit. Ich sah mich nach einer Sitzgelegenheit um. Schließlich fand ich am Ende des Raumes unter einem Tisch mit allerhand Prospekten eine kleine Nische, in die ich mich verkroch. Mein Platz war strategisch nicht ungünstig, weil ich die Aufnahmekabinen im Blick hatte. Nach einer halben Stunde, in der ich aufmerksam die Szenerie verfolgte, wurde ich Augenzeuge einer infamen Tat. Eine alte Dame stand voller Erwartung mit ihrer Marke vor der Aufnahmekabine, als sich von hinten ein muskulöser junger Mann heranschlich und sich die Marke der Oma schnappte. In Windeseile steckte er im Gegenzug der verblüfften Dame seine eigene Marke in die Hand. Dann, als sich die Tür der Kabine öffnete, sprintete der Halunke kraftvoll nach vorne, sprang mit einem Satz über einen Werbebanner und plumpste schließlich auf den Stuhl im Wartehäuschen. Die Tür hatte sich noch nicht ganz geschlossen, da hörte ich, wie der Kerl stammelte: „Morgen. Sutlizek, Torben. Komme wegen der Bandscheibe. Wird immer schlimmer. Hier meine Einweisung." Die Oma stand noch immer entsetzt vor der Kabine und verlor zudem auch noch die Marke des Schuftes. Noch bevor sie diese aufheben konnte, hatte sich schon ein Pulk um sie herum gebildet. Die Meute suchte die zu Boden gegangene Marke in der kollektiven Hoffnung, eine bessere Zahl als die eigene zu erwischen. Alle lagen auf dem Boden und schlugen aufeinander ein. Angst stieg in mir hoch. Ich hielt meine Marke fest in der Hand umklammert. Zu meinem Verdruss spürte ich Harndrang. Ich sah mich unauffällig um. Die Toilette befand sich exakt am anderen Ende des Wartesaals. Und während ich noch überlegte, ob ich das Wagnis eingehen sollte, leuchtete die Anzeigetafel auf und die 296 erschien. Kabine 4. Ich raffte mich auf. Um nicht auf mich aufmerksam zu machen, ging ich betont lässig und offensichtlich desinteressiert an der Kabine 4 vorbei, um dann urplötzlich mit einer scharfen Kehrtwende in die Aufnahmekabine zu stolpern. Ich saß und grinste. „Nicht mit dem Commander!", dachte ich voller Stolz ob meiner Finte. Die Dame schaute mich an und begann routiniert mit ihrer Aufnahmezeremonie. Nach 15 Minuten war alles erledigt. Station 7 > Zimmer 13 > 8. Stock. Als ich gerade aufstehen wollte, reichte mir die freundliche Dame ein Schild mit der Bitte, dieses am Außenfenster anzubringen. Auf dem Schild stand: „Diese Kabine ist vorübergehend geschlossen. Wir danken für Ihr Verständnis. Ich sah die Dame an, lächelte und sagte: „Nein im Ernst, dieses Schild hänge ich nicht auf, sonst bin ich zuerst in der chirurgischen Ambulanz! Nix für ungut! Ich verließ die Aufnahmekabine und marschierte Richtung WC und danach zum Aufzug.

    Im Zimmer angekommen, lernte ich Kurt kennen. Kurt war Frührentner und ebenso wie ich von einem komplexen Krankheitsbild geplagt. Er schien mir leicht übergewichtig. Er war offenbar sehr sensibel und nahm meinen prüfenden Blick auf seine Taille zum Anlass, gleich sein erstes Krankheitsbild vorzustellen. „Mal ehrlich, meint er „Du denkst doch auch, ich sei zu dick, oder? „Nö!, sagte ich, „Aber kräftig. Kurt schaute kritisch, nahm Luft und sprach: „Ja, das Ganze ist auch so ein Ding. Ich hatte schon mit drei Wachstums-störungen. Da ging nichts. Als ich das erste Mal mit meinen Eltern im Urlaub war, konnte ich aufrecht unter der Limbostange durchgehen. Unterste Stufe! Verstehst du, was das für ein Gelächter war? Da schäme ich mich heute noch. Ja, und nun ist das alles eskaliert. Ich habe zwar nun mein Idealgewicht, aber die Wachstumsstörung macht alles zunichte. Ich müsste bei meinem Gewicht 1,98 m groß sein. Und das war auch eigentlich bei meiner Geburt prognostiziert. Aber dann stagnierte alles bei 1,78 m. Ja, und jetzt suchen die nach meinen Wachstumshormonen. Hoffentlich finden die bald mal was. Kein Bock mehr auf pummelig. Ich war auch schon auf einer Streckbank, seitdem habe ich eine Ganzkörperbänderdehnung. Ich schaute ihn an und sagte: „Und, seit deiner Kindheit hast du das nun? „Ja, zwischendurch hatte sich das mal im wahrsten Sinne des Wortes ausgewachsen, aber mit 32 fing alles wieder an und jetzt ist das Problem ja noch schlimmer. „Ja, aber in dem Alter wächst man doch auch nicht mehr. „Jetzt redest du wie meine Frau, hier geht es um das Prinzip. Der Körper kann doch nicht machen, was er will." Ich staunte, das waren ja quasi meine Worte und augenblicklich fand ich in Kurt einen Bruder im Geiste. Ich bezog das Zimmer am Fenster nicht zuletzt, weil Kurt eine Sonnenallergie hatte, die ihn besonders im Sommer peinigte.

    Rasch legte ich mich aufs Bett und schloss die Augen. Bevor ich einnicken konnte, vernahm ich eine angenehme Stimme an meinem Ohr. „Hallo Herr Wuttich, ich brauch mal ihr Blut. Ich schaute den Vampir an. Schwester Susanne, so stand es auf ihrem Namensschild, lächelte: „Also wo steckt ihr Blut? Schmunzelnd klopfte sie auf meine Venen und nahm voller Tatendrang meinen Oberarm, um den Stauschlauch anzulegen. Ich wollte ihr gerade von meinen nahezu unsichtbaren Venen berichten, da stach sie bereits zu und das Blut floss in Strömen. Kurt schaute interessiert zu und rief: „Na, das ging ja flott. Endlich mal unkompliziert Schwester, gell!?„ Unkompliziert?, dachte ich und wollte aufbegehren. Doch Schwester Susanne hatte alles im Griff. „Unkompliziert kann man da nicht wirklich sagen, diese verzwickte Venenkombination kannte ich zum Glück aus meinem letzten Lehrgang: „Blutleer oder nur versteckt." Sie knipste mir ein Auge zu und verließ den Raum. Ich schaute Kurt jubelnd an. Der nahm sich ein Päckchen Zigaretten und wollte eine rauchen gehen. Als er zurückkam, sah er mich eindringlich an und sprach in verschwörerischem Ton: „Wenn die dich irgendwo hinschicken, nimm den Rasierer und was zu lesen mit. „Rasierer? Warum soll ich einen Rasierer mitnehmen? „Weil du warten wirst. Sehr lange warten wirst. Du wirst warten wie nie in deinem Leben! Ich schwöre es dir! Weiß du eigentlich, wie viele Patienten bereits in diesem Jahr verschwunden sind? Hunderte! Entnervt nach Hause gegangen oder total hysterisch nach einem Tobsuchtsanfall als Psycho ins Irrenhaus verlegt. Es fängt ganz harmlos damit an, dass man dich zum Röntgen schickt. Du gehst ohne Argwohn los, aber dort sitzen bereits 20-30 andere Patienten. Manche seit Stunden, manche seit Tagen. Wer sich beschwert, bekommt zwei Stunden Zuschlag und spürt die volle Missachtung des Personals. Ständig kommen neue Patienten dazu und immer werden andere Personen aufgerufen, nur nicht du. Und wenn du doch irgendwann dran kommst, ist es später Abend. Die Schwester, die dich losgeschickt hat, ist schon lange zu Hause. Die Neue kennt dich nicht und fragt: „Beim Röntgen waren Sie? Wer hat sie denn da hingeschickt? Sie sollten doch zum EKG. Da ist jetzt nichts mehr frei. Haben Sie die Akte mitgebracht? Extrem schlimm ist es, wenn du einen frischen Gips bekommen hast. Am anderen Morgen erwartet man dich dann zur Gipskontrolle in der chirurgischen Ambulanz. Doch du bist kein Notfall mehr. Nahezu jeder, der ankommt, steht in der Bedürftigkeitshierarchie weit über dir. Dann sitzt du Stunden über Stunden im Warteraum und mit viel Dusel kommt irgendwann ein Assistenzarzt vorbei und fragt dich nebenbei, ob der Gips drückt. Du verneinst, er notiert sich das und nach 30 Sekunden intensiver Beratung darfst du wieder gehen. Gipskontrolle ist der ultimative Härtetest für alle Kranke. Nicht selten werden Ärzte in der chirurgischen Ambulanz von extrem genervten Patienten mit dem Gips verprügelt. Kurt schnaubte und legte sich mit einem langen Seufzer auf sein Bett und schwieg ebenso plötzlich, wie er zu sprechen begonnen hatte.

    Um 16:00 Uhr kam mein Abendessen. Auf meine Frage hin, warum das Abendessen so früh serviert wird, wurden logistische Gründe erwähnt. Die Automaten Kantine könnte natürlich bis Mitternacht besucht werden. Ich aß meine zwei Scheiben Graubrot mit einer Scheibe Käse und 6 Stück Butter mit reichlich Appetit und freute mich auf den Fernsehabend. Kurt wollte irgendwas mit Bildung sehen. Bevor ich fragen konnte, was er damit meinte, landeten wir bei NTV, dort wurden gerade die letzten Geheimnisse der Wehrmacht gelüftet und darüber diskutiert, warum wir den Weltkrieg verloren haben. Zwischendurch kam Werbung. Kurt hatte die Kopfhörer auf und rief immer wieder: „Meine Güte! Furchtbar!" Ich nahm mir den „Kicker" und las einen Artikel über Horst-Dieter Höttges. Ich schmunzelte. An den hatte ich lange nicht mehr gedacht. Eisenfuß nannten sie ihn! So einer würde auf die Station passen! Zu meiner Überraschung war ich bereits um 21: 30 Uhr sehr müde und knipste meine Lampe aus.

    Am anderen Morgen sollte ich zur „Lufu". Das ist, wie ich erfuhr, ein Interna. Dahinter versteckt sich die Lungenfunktionsabteilung. Spiroergometrie und eine Blutgasanalyse standen an. Vorher bekam ich eine Salbe auf mein linkes Ohr. Die Schwester legte mit den Worten: „Keine Sorge, das wird gleich heiß, ist aber kein Problem.", noch ein Tupfer drauf, gab mir meine Akte in die Hand und ich marschierte los. Im Aufzug standen bereits 5 Patienten. Nicht ungewöhnlich. Bei näherem Hinsehen bemerkte ich jedoch, dass alle einen Tupfer am Ohr trugen. Ich wurde unruhig. Die werden doch nicht alle zur „Lufu" gehen? Ich dachte augenblicklich an Kurts Prophezeiungen. Wie lange soll ich da warten? Gibt es Termine? Ich hatte jedenfalls keinen mit einer konkreten Uhrzeit. Auch keinen Rasierer. Mein Ohr wurde wie angekündigt heiß. Ich betrachtete meine Gegner. Zwei waren aus meiner Sicht gefährlich. Junge, drahtige Burschen. Weitere zwei saßen im Rollstuhl und der 5. Ohrsalbenträger tat betont desinteressiert. Ich war alarmiert und positionierte mich direkt an der Tür. Die Drahtigen schauten sich an. Die Fahrstuhltür öffnete sich. Beim Herausstürzen prallte ich gegen die linke Aufzugstür, die sich für mein Vorhaben viel zu langsam geöffnet hatte. Die Drahtigen zogen an mir vorbei. Ich raffte mich auf. Meine Schulter tat weh. Unglücklicherweise registrierte ich auf dem Flur drei weitere Ohrtupferträger. Ich geriet in Panik und rannte los. Einer Eingebung folgend, nahm ich den Weg durch die Ambulanz. Als die dort versammelten Menschen mich auf sie zu sprinten sahen, warfen sie kreischend ihre Rasierer fort und verschanzten sich hinter die Wartebänke. Ich nahm weiter Fahrt auf und bog an der Röntgenabteilung links ab und sah im Augenwinkel den betont desinteressierten Typen aus dem Aufzug, wie er den beiden Drahtigen einen Rollstuhl in den Weg stellte. „Nicht schlecht., dachte ich anerkennend. Schwestern mit einem Frischoperierten im Bett kreuzten meinen Weg. Ich versuchte, mit einem Satz das Hindernis zu überwinden, landete aber am Fußende des Bettes. Erstaunlich schnell zog der Operierte seine Beine an und konnte so gerade noch eine Verletzung verhindern. Das Bett erhielt durch meinen Aufsprung einen enormen Schwung und raste, da die Krankenschwestern kreischend das Bett losgelassen hatten, ohne Führung auf die Station 5 - Innere 2 zu. Rasch orientierte ich mich wieder und sprang in einem günstigen Augenblick vom immer schneller werdenden Transportmittel ab. Meine Landung war hart. Ich stolperte, fiel und vernahm ein lautes Krachen. Das Bett hatte die im Stationsflur bereitstehenden Essenwagen getroffen und für ein gigantisches Chaos gesorgt. Der Operierte lag auf dem Boden und wimmerte. Rasch rappelte ich mich auf und stolperte in die nächstbeste geöffnete Tür. Der Zufall meinte es gut mit mir: Es war die Lungenfunktionsabteilung! Eine freundliche Dame erschien, sah mich an und fragte mit einem Blick auf den Flur: „Was ist denn da hinten los? „Keine Ahnung!, sagte ich und gab ihr meine Akte. Sie lächelte mich an. „Guten Morgen Herr Wuttich. Gut in Form? Gleich geht es auf das Fahrrad. Mal schauen, wie fit Sie sind. Wir machen einen kleinen Test. Sie nahm mein Ohr. Den Tupfer musste ich verloren haben und sie stach in das glühende Fleisch. Ich japste. Anschließend wurde ich immer noch schwitzend und nach Luft schnappend auf das Rad gesetzt und sollte 15 Minuten bei gleichbleibender Geschwindigkeit strampeln. Nach 10 Minuten kollabierte ich und wurde mit dem Rollstuhl in mein Zimmer geschoben. Kurt sah mich bei der Ankunft entgeistert an und fragte: „Lufu?" „Genau!", röchelte ich. Abends war Visite. Die Ärzte versammelten sich um mein Bett und der Oberarzt eröffnete mir grinsend, dass meine Performance in und vor der „Lufu" von den Flurkameras eingefangen wurde und nun ein Hit im Internet sei. Was soll ich sagen? Es war ein Segen. Ich war im Handumdrehen der Superstar im Krankenhaus und ließ mich bereitwillig bei einer Darmspiegelung und bei diversen OPs filmen. Wenn Sie in der Apothekerrundschau mal eine entzündete Prostata sehen oder einer Nierensteinentfernung in 6 Bildern beiwohnen, ist das alles von mir. Ich wohne jetzt im Krankenhaus, habe dort eine Festanstellung als Patient und genieße allgemeine Wertschätzung. Mein Buch über den Umgang mit chronischer Nahtoderfahrung verkauft sich bestens. Die Studenten lieben mich, weil ich für alle Fachrichtungen etwas zu bieten habe. Kurt vertritt mich, wenn ich in Reha oder in Kur bin. Wartezeiten kenne ich schon lange nicht mehr und mein Krankheitsbild ist nach wie vor diffus.

    Unter Verdacht

    Was Rolf Emmerich vor gar nicht langer Zeit passiert ist, geht auf keine Kuhhaut. Der Begriff Kuhhaut ist im weitesten Sinne zutreffend, denn die folgende Angelegenheit hat wirklich etwas mit Tieren zu tun. Allerdings nicht mit Kühen, sondern mit Hunden. Ganz konkret mit einer Zuchtdackelhündin. Aber nun der Reihe nach.

    Rolf hatte einen Gebührenbescheid bekommen, in dem stand, dass er für 5 Welpen Unterhalt zu zahlen hätte. Er sei zweifelsfrei mithilfe eines DNA-Nachweises als Vater der kleinen Hunde entlarvt worden. Jetzt wäre die Hundesteuer fällig. Darüber hinaus müsse er auch die erforderlichen tierärztlichen Untersuchungen nachweisen. Rolf saß in seinem Wohnzimmer und weinte. „Hör mal., sagte er zu mir: „Hör mal, ich vergreife mich doch nicht an einem Dackel. Was ist hier los? Ich erwiderte grinsend: „Denk doch noch mal nach, vielleicht war da ja mal ein schwacher Moment bei dir? Erregt baut sich Rolf vor mir auf und zeigt mir den Scheibenwischer. „Was soll die Scheiße hier. Will mich da einer verarschen?

    Nun muss man wissen, dass vor 5 Jahren alle Hunde und deren Besitzer per DNA Abgleich erfasst wurden. Wir hatten in der Stadt und in den Parkanlagen mehr Hundehaufen als gemeldete Hunde. Jeden Tag kamen neue Tretminen hinzu. Natürlich hat sich kein Hundehalter reuig gezeigt und sich zur Notdurftverrichtung seines Hundes bekannt. Alle Appelle liefen ins Leere. Weil es derart ausuferte, erging der Beschluss von Hunden und deren Besitzer, Genmaterial für eine eigene Datenbank zu sammeln. Eine spezielle Kotabteilung im Ordnungsamt fuhr nun täglich aus und nahm die Hinterlassenschaften mit ins Labor. Dort wurde die DNA abgeglichen und dem Hund zugeordnet. Der Hundebesitzer konnte ebenfalls bequem ermittelt werden und bekam obendrein den aufgelesenen Haufen mit einem saftigen Gebührenbescheid nach Hause gesandt. Das funktionierte prima und die Anzahl der Tretminen nahm wirklich ab. Doch just bei Rolf musste etwas schief gegangen sein. Er wurde in der Datei als sein eigener Hund geführt und sein Hund war das Herrchen. Im Grunde stimmte das zwar auch, ist aber für den vorliegenden Fall irrelevant. Frau Brömer, eine vielfach prämierte Dackelzüchterin, hatte nach dem Wurf ihrer Resi einen furchtbaren Schock bekommen. Im Korb lagen 5 Hunde mit Dackelkörper und einem Mopskopf. Die Tiere sahen selbst für überzeugte Tierfreunde schlimm aus. Rolf besaß einen Mops namens Goethe. Rasch ließ Frau Brömer die Datenbank abgleichen und heraus kam als eindeutiger Vater aber eben nicht Goethe, sondern Rolf. Frau Brömer hatte keine Verwendung für die Tiere. Und da nun Rolf als der Vater ermittelt wurde und Goethe sich nicht zum Tatbestand äußerte, solle sich Rolf um die Brut kümmern und eine nicht unerhebliche Summe als Schadenersatz für Resi leisten. Der Fall machte rasch die Runde und die Lokalpresse berichtete vom Sodomie-Fall. Rolf war am Ende. Wenn er einkaufen ging, stellten sich die Hundebesitzer schützend vor ihre Tiere und beschimpften Rolf heftig. Der örtliche Zoo erteilte ein Hausverbot. In seiner Not nahm sich Rolf einen Rechtsanwalt und dieser verwies auf die Ähnlichkeit der Welpen mit Goethe und eben nicht mit Rolf. Wenn Rolf ein Sodomit wäre, müssten die Hunde doch einen Menschenkopf haben. Hätten Sie aber nicht und so folgerte der Advokat, sei klar, dass die Genproben im Ordnungsamt vertauscht wurden. Das Ordnungsamt bestritt einen Fehler vehement. Andere Hundebesitzer witterten ihre Chance und legten Widersprüche gegen die Kotbußgelder ein. Eine eingesetzte Untersuchungskommission ermittelte und brachte zutage, dass es in der Tat zu Verwechselungen bei der DNA Archivierung gekommen sein musste. Nach zähem Ringen und vielen juristischen Auseinandersetzungen wurden die Hunde allesamt freigesprochen und die kassierten Bußgelder zurückgezahlt. Auch Rolf wurde rehabilitiert. Der Zoo hat sich rasch entschuldigt und ihm die Patenschaft für einen Schakal angeboten. Rolf nahm die Patenschaft an, achtete aber darauf, nie mit dem Tier alleine zu sein. Unsere Stadt ist mittlerweile bei Hundehaltern sehr beliebt. Das komplette Stadtgebiet wurde als Freilaufzone deklariert. Täglich halten mehrere Reisebusse am Stadtrand, aus denen dann unzählige Hundebesitzer mit ihren Lieblingen steigen, um unbeschwert Gassi zu gehen. Das Fremdenverkehrsamt hat Werbeflächen angemietet und wirbt im ganzen Lande mit dem Luther-Zitat: „Aus einem verzagten Arsch kommt kein fröhlicher Furz! Das gilt auch für Ihren Hund! Die verdauungsfreundlichste Stadt Deutschlands heißt Sie herzlich willkommen!"

    Die Bude am Stadtgarten hat rasch das Kernsortiment umgestellt und bietet statt Gummibärchen und Eis nur noch Hundenahrung, Bier und wirksame Mittel gegen Verstopfung im Hundedarm an. Es mag so manchen verwundern, doch trotz dieser Wohlfühloase bin ich umgezogen. Ohne Hund fühlt man sich in diesem Milieu total beschissen.

    Elefantenherde (Suchen Teil I)

    In nahezu jeder Familie erkennt man bereits zu Beginn einer Fragestellung den Adressaten. So liegen bei uns zu Hause sämtliche Fragen, die mit „Wo ist…?", beginnen, im Mama Zuständigkeitsbereich. Es ist mir als Papa nicht möglich, auf diese Fragen rasch und präzise zu antworten. „Wo ist…?" Fragen lösen bei mir reine Hilflosigkeit aus und sorgen für Beklemmung. Ich weiß, dass wir den gesuchten Gegenstand besitzen, habe ihn auch kürzlich gesehen, aber jetzt aus dieser Erkenntniskette eine Ortung vorzunehmen, ist unmöglich. Mittlerweile fragen mich meine Kinder nicht mehr, wo etwas sein könnte, sondern fangen in Mamas Abwesenheit selber an zu suchen. Bei meinem Sohn ist das eher Spielerei. Meistens findet er Dinge, denen er schon lange erfolglos nachgespürt hat. Er freut sich über die bereits verloren geglaubte Fundsache und ist glücklich. Dieses Gefühl kenne ich. Meine Tochter entfaltet zur Freude meiner Frau ein Findertalent. „Ich vermisse-suche-finde!", ist ihr neuer Leitsatz. Nicht völlig überraschend entwickeln beide Damen aus ihren Finderqualitäten ein Überlegenheitsgefühl. Es geht bereits so weit, dass „Wo ist…? Fragen" als Scherz an mich gerichtet werden. Meine Irritation wird zum Amüsement. Das schmerzt natürlich. Im Gesamtkontext darf man feststellen, dass unsere Familie wie eine Elefantenherde im Matriarchat lebt. Das hat beim Suchen durchaus Vorteile, denn im Dickhäuterverbund werden „Wo ist…?" Fragen aus dem Effeff beantwortet. Es kann der Fachliteratur entnommen werden, dass speziell die Leitkuh ein sehr gutes Gedächtnis hat und alle ergiebigen Futter- und Wasserplätze der Vergangenheit kennt und präzise wieder orten kann. Zudem gilt die Herde als sicherer Hort für alle Jungtiere, bis zu einem gewissen Alter auch für Jungs. Das ist im übertragenen Sinne gut für meinen Sohn. In dieser perfekt anmutenden Familienallianz spielt der Mann jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Bestenfalls wird er geduldet. Es sieht also nicht wirklich gut aus für die Herren der Schöpfung, zu denen ich nun mal gehöre. Was allerdings bei dieser Betrachtung zu kurz kommt, ist die spezifische Lebensführung der Elefantenbullen. Ausgewachsene Bullen gesellen sich nämlich meist nur zur Begattung zu den Herden. Häufig schließen sich vereinsamte Männchen zu eigenen Junggesellenverbänden zusammen und ziehen ziellos umher. Und was Junggesellenverbände bei derartigem Zeitvertreib anstellen können, ist ja allgemein bekannt. Vielleicht sollte ich das mal bei meiner Herde erwähnen, damit sie mich besser wertschätzen kann. Ich finde zwar nichts, dafür muss man mich nicht suchen!

    Der traurige Vogel

    Im Regelfall ist ein Chatroom ein virtueller Raum, in dem Teilnehmer miteinander kommunizieren können. Es ist ein beliebter Treffpunkt für Gleichgesinnte. Dumm ist es nur, wenn sich niemand im Chatroom einfindet, obwohl man in Plauderlaune ist. Unter anderem handelt diese Geschichte auch davon.

    Der hier zu thematisierende Kommunikationsraum befindet sich im angrenzenden Wald, direkt hinter meinem Haus. Jeden Morgen noch vor Sonnenaufgang, beginnt dort das berühmte Vogelkonzert. Dabei ist der morgendliche Ablauf stets gleich. Der Pfiffeinsatz der Vogelschar folgt einer klaren Regelung, welche von Ornithologen in einer sogenannten Vogeluhr festgehalten wurde.

    Seit Romeo und Julia weiß jeder, dass z. B. die Lerche als sogenannte Tagverkünderin ein besonderer Frühaufsteher ist. Die Nachtigall ist hingegen, wie der Name schon ahnen lässt, ein Nachtschwärmer und trällert sogar in der Dunkelheit. Aber auch der Gartenrotschwanz und die Singdrossel sind bereits vor Sonnenaufgang aktiv. Leider bin ich kein Ornithologe, so kann ich nicht mit letzter Bestimmtheit sagen, wer sich bei mir vor Ort ein Stelldichein gibt. Ich höre nur deutlich, dass es unterschiedliche Vögel sind. Insbesondere am Wochenende, wenn ich ausschlafen könnte, ist das Konzert sehr lebhaft. Offensichtlich werden dann besonders relevante Themen angezwitschert. Schließlich hat man ja 2 Tage frei. Augenscheinlich auch als Vogel. Doch einer der Vögel macht mir Sorgen. Es ist ein eleganter Sänger. Er zwitschert nicht nur. Er singt. Eine kleine Melodie. Laut, aber anmutig. Leider bekommt er keine Antwort. Ich höre ihn jeden Morgen. Er ragt aus der Vogelschar heraus. Warum ich überzeugt bin, dass es ein Männchen ist? Nun, weil er leidet. Und zwar auf eine Weise, wie es nur Männer können. Nach 15 Minuten ohne Echo wird die Melodie immer melancholischer. Ich spüre seine Hoffnungslosigkeit. Die Tonlage verschiebt sich leicht und der Vortrag wechselt von Allegro über ins Adagio. Was geht hier vor? Ist es der letzte überlebende Vogel seiner Art? Vielleicht liegt es am Standort? Ich wohne am Stadtrand. Das könnte ein Kriterium sein, weil hier Landvogel und Stadtvogel aufeinandertreffen. Der Landvogel ist es gewohnt, dass er sein zartes Gezwitscher ohne Kraftanstrengung gemäß der Vogeluhr veröffentlichen kann. Lärm kennt er nur im Ausnahmefall. Jederzeit und auch in der Ferne ist sein Lockruf zu vernehmen. Kontaktprobleme sind auf dem Lande unbekannt. Der Stadtvogel hingegen hat gelernt, schon in aller Frühe seine Stimme deutlich anheben zu müssen, um gehört zu werden. Das urbane Leben beginnt und der Lärmpegel will übertönt werden. So singt der Stadtvogel mitunter früher und lauter als seine Landverwandtschaft und erhöht zusätzlich die Frequenz. Die Vogeluhr verliert die Gültigkeit! Das hat zur Folge, dass der Landvogel die Locksequenz nicht mehr erkennt. Das ist dann so, als wenn „Stille Nacht, Heilige Nacht" von AC/DC intoniert würde. Interessant, aber es kommt keine traditionelle Weihnachtsstimmung auf.

    Das Problem liegt auf der Hand. Das ländliche Federvieh versteht den Städter nicht. Insbesondere der sich feinfühlig und introvertiert gebende Stadtvogel will unnötige Grölerei vermeiden, darum beginnt er mitunter 2 Stunden früher als auf der Vogeluhr vorgesehen, mit seinem Konzert. Noch ist alles ruhig. Ich bin mir sicher, mein Vogel ist ein solcher Stadtvogel. Er kommt aus der Innenstadt. Bestimmt ist

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