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Ein Priesterleben, zwischen Sünde und Kreuz
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eBook669 Seiten9 Stunden

Ein Priesterleben, zwischen Sünde und Kreuz

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Über dieses E-Book

Ein katholischer Priester, aus einer Kleinstadt am Rhein, lernt einen jungen Mann aus der DDR, Sachsen, während eines Urlaubes in Rumänien kennen. Sie sind homosexuell veranlagt und wollen sich unbedingt wieder sehen. Diese Freundschaft wird beiden zum Verhängnis, da die Staatssicherheit der DDR operative Maßnahmen gegen sie einleitet.
Mit hinterhältigen und erpresserischen Operationen versucht der ostdeutsche Geheimdienst beide für ihre Zwecke zu missbrauchen, aber …
Durch zahlreiche authentische Episoden aus dem sozialistischem Alltagsleben erhält der Leser detaillierte Einblicke über den allgegenwärtigen diktatorischen Machtapparat und die Propagandamaschinerie der SED.
Die ostalgische Meinung vieler DDR-Bürger in der Nachwendezeit, 'das Leben in der DDR war gar nicht so schlecht, wir hatten alle Arbeit, viele eine Neubauwohnung in der Plattensiedlung, einen Garten mit Datsche, einen Trabi mit Garage … ' Der Inhalt dieses Buches belegt nachweislich das Leben der Andersdenkenden: so war die DDR auch!
Die Handlung beginnt in den 1970er Jahren und endet 20 Jahre nach dem Untergang des kommunistischen Systems in der DDR.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum30. Jan. 2015
ISBN9783732321537
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    Buchvorschau

    Ein Priesterleben, zwischen Sünde und Kreuz - Richard Rucks

    Michael hatte ein ungutes Gefühl, als er an einem trüben Freitagnachmittag im November, einen Tag nach seinem siebenundzwanzigsten Geburtstag, zum Hauptgebäude der Firma ging. Er grübelte ständig, warum hat mich der Betriebsdirektor schon wieder zu einem Gespräch geladen. Normalerweise werden die betrieblichen Organisationsstrukturen bzw. Hierarchiestufen eingehalten und der zuständige Abteilungsleiter Herr Meisner informiert über die Anweisungen des Direktors. Aber der Anruf kam vor 3 Tagen direkt vom Büro des Direktors. Er bat bzw. er forderte mich auf, an diesem Tag in das J ugendzimmer, T reffpunkt der betrieblichen FDJ-Gruppe, zu kommen.

    In den letzten zwei Wochen hatte Michael schon zweimal ‘das Vergnügen’ gehabt, mit dem Direktor zu sprechen. Dieser hatte vergeblich versucht, Michael zu überzeugen seinen geplanten Westbesuch abzusagen. Aber diese Mühe war umsonst, obwohl er ihn eindringlich gewarnt hatte, es könnte für Michael unangenehme Folgen haben. Doch Michael konnte sehr stur sein, wenn ihm die Argumente des Anderen nicht überzeugten. Deshalb ließ er sich auch nicht von seinem Direktor belehren und lud den Bekannten vom Rheinland nicht aus.

    Die eingeleitete angebliche Ost-West-Entspannungspolitik von Willy Brandt führte zu einer massiven innenpolitischen Beschnüffelung.

    Die Mitarbeiter der Firma wurden verpflichtet, jeden Kontakt zu Bürgern aus kapitalistischen Ländern der Kaderleitung des Betriebes zu melden und selbstverständlich informierte diese das MfS. Dieser Informationspflicht war Michael nachgekommen und hatte letzte Woche seinen Besuch empfangen.

    Inzwischen stand er bereits vor dem alten grauen Industriebau und ging entschlossen die Stufen in den 1. Stock hinauf, klopfte an der Tür. Diese wurde sofort aufgerissen, ein kleiner korpulenter Herr, etwa Mitte dreißig stand mit gezückten Ausweis vor ihm und sagte: „ Ministerium für Staatssicherheit, kommen Sie rein und nehmen Sie Platz." Michael war schockiert und ging langsam um den vor ihm stehenden Tisch herum und setzte sich ohne Worte. Er schaute den Mann direkt in die Augen und versuchte seine Aufregung und Angst zu unterdrücken.

    Er bemühte sich krampfhaft einen klaren Gedanken zu fassen, was ist hier los, was habe ich verbrochen?

    Nie wäre er vorher auf die Idee gekommen, dass er jemals ein Verhör mit der Stasi erleben würde. Der Offizier ließ Michael nicht viel Zeit zum Nachdenken:

    „Sie hatten vor einer Woche Besuch aus der Bundesrepublik?

    Wann und wo haben Sie den Herrn kennengelernt und warum haben Sie ihn eingeladen?"

    Es war sicherlich Taktik, ihn mit diesen Fragen zu überrumpeln, damit er keine Zeit hatte sich innerlich auf diese Vernehmung einzustellen. Aber er wirkte äußerlich ganz ruhig und begann zu berichten,

    „Ich habe Johannes Hallmann zufällig in einem Café am Alexanderplatz in Berlin getroffen. Wir saßen am gleichen Tisch, kamen ins Gespräch und sprachen allgemein über Gott und die Welt. Seitdem haben wir einen regen, freundschaftlichen Briefwechsel. Da er Rheinländer und katholischer Priester ist, wollte er gern Sachsen und die Leute kennen lernen, deshalb der Besuch bei mir."

    „Sie haben fast jeden Monat ein Geschenkpaket mit Garderobe, Kosmetika, Genussmittel usw. erhalten. Gibt es dafür eine Erklärung?"

    Er schaute Michael mit finsterer Miene fragend an und machte eine Pause. „Haben Sie sich für Sex bezahlen lassen? Sie sind ein junger attraktiver Mann und Herr Hallmann ist 20 Jahre älter als Sie!

    Wir wissen von ihrer sexuellen Neigung. Ist der Priester auch schwul? Oder, und hier blickte er Michael angriffslustig von oben herab an, will er Sie anwerben, die Republik illegal zu verlassen?"

    Er machte eine Pause, um seine Worte Nachdruck zu verleihen. Dann redete er mit einem drohenden Unterton weiter:

    „Unsere Ermittlungen haben ergeben, dass der saubere Herr ein Helfer eines westlichen imperialistischen Geheimdienstes ist und studierte Mitarbeiter unserer sozialistischen Industrie zum Verrat an unseren Arbeiter und Bauern Staat verführen will. Sie sind Diplomingenieur und haben als Softwareentwickler einen guten Ruf in der Firma. Diese Menschen werden von westlichen Geheimdiensten gern angeworben, illegal und häufig unter sehr großer Gefahr aus der DDR ausgeschleust, um unsere Wirtschaft zu schädigen.

    Viele sind in diesen Containern bereits erstickt!

    Wollen Sie das?"

    Michael wusste sofort, dass er vermutlich die letzten Monate unter der Beobachtung der Staatssicherheit gestanden hatte. Deshalb versuchte er wahrheitsgemäß zu antworten, aber nicht alles zu erzählen, denn er hatte sich seine eigene Meinung über Johannes gebildet. Er entschied sich über das sexuelle Verhältnis zu sprechen und nicht auf die Anschuldigungen der Republikflucht einzugehen. Da viele Mitarbeiter im Betrieb von seiner sexuellen Neigung wussten, hatte er jetzt kein Problem, darüber zu reden. Dieser MfS-Mitarbeiter konnte ihn mit diesem Vorwurf nicht einschüchtern.

    Er reagierte deshalb sehr schnell und gefasst, dadurch trat er sicher und ehrlich auf. Dies beeindruckte den Offizier des MfS und er wusste, dass er mit Drohungen oder nicht beweisbaren Verdächtigungen sein Ziel vermutlich nicht erreichen würde.

    „Ich glaube nicht, dass Sie das Leben und die sexuellen Beziehungen von Homosexuellen so exakt und absolut einschätzen können. Die Stammtischmeinung, dass schwule Männer immer nur junge Knaben sexuell aufreizend finden ist dumm und einfallslos. Wenn Sie denken, dass Johannes meine Zuneigung mit Geschenken kaufen wollte, dann habe ich nicht die Absicht Sie vom Gegenteil zu überzeugen, warum auch?

    Ja, wir mögen uns und es ist gut so!

    Und unsere Republik nimmt daran keinen Schaden, deshalb weiß ich nicht, was das hier soll. Sicherlich haben wir über das Leben hier und in der Bundesrepublik gesprochen. Ich habe erwähnt, dass ich als Christ keine Chance habe eine berufliche Bilderbuchkarriere zu erreichen. Dies bedeutet aber nicht, dass ich plane, die DDR illegal zu verlassen. Ihre Ermittlungsergebnisse über Herrn Hallmann kenne ich nicht, deshalb kann ich dazu nichts sagen."

    Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück, verschränkte die Arme um anzudeuten, mehr sage ich nicht. Es vergingen einige Minuten. Michael dachte, wie geht es jetzt weiter? Wenn das MfS etwas gegen mich in der Hand hätte, dann würde dieses Gespräch nicht hier, sondern in den Räumen der Stasizentrale stattfinden. Dadurch versuchte er sich zu beruhigen, denn Nervosität ist bei einer Vernehmung verräterisch.

    „Sooooooo …" sagte der Offizier sehr gedehnt und dabei öffnete er seine Aktentasche, holte Schreibblock und Kugelschreiber heraus, legte es vor Michael hin.

    „Sie schreiben jetzt auf, wann, wo und wie Sie den Priester kennengelernt haben, möglichst detailgetreu. Denn für uns ist es wichtig, alles über diesen Herrn zu erfahren. Falls Sie auf die Idee kommen sollten uns zu belügen, dann wird es sehr brenzlig für Sie.

    Ist das klar?" Dabei beugte er sich über den Tisch und sah Michael wütend an.

    „Und was soll ich als Überschrift schreiben?"

    „Überschrift …?, schreiben Sie, Kontakt zu Hallmann".

    Er spielte mit dem Kugelschreiber in der Hand und überlegte, wie er beginnen sollte.

    Für Michael zogen die Erinnerungen wie ein Film vorbei, er sah die einzelnen Bilder exakt vor sich. Jedoch selektierte er diese und erzählte bzw. beschrieb nur die, die der Offizier wissen sollte.

    Alles binde ich dir nicht auf die Nase, grollte er innerlich.

    Während er über das Kennenlernen und die Besuche von Johannes berichtete, fragte er immer zwischendurch, was er schreiben soll oder nicht. „Natürlich nur das Wichtigste!"

    „Woher soll ich wissen, was für Sie das Wichtigste ist …, Sie müssen mir schon sagen oder am besten gleich diktieren, was ich schreiben soll."

    Natürlich stellte sich Michael dümmer, als er war, aber ich protokolliere nur, was er will – falls es der Wahrheit entspricht.

    Michael beschrieb seine Erlebnisse mit Johannes sehr ausführlich, aber nicht alles, was für die Stasi von Interesses war.

    Es war im März dieses Jahres. Michael war in den rumänischen Karpaten im Winterurlaub, so begann seine Geschichte.

    Er befand sich gerade in der Seilbahngondel, die zum höchsten Gipfel des Wintersportortes fuhr, dabei blickte er auf ein herrliches Bergpanaroma, verschneite Wälder, ein idyllisches Dorf im Tal, wobei man nur einige kleine Häuschen erkennen konnte, der größte Teil des Ortes wurde von Bäumen verdeckt.. Kein Vergleich zum heimatlichen Erzgebirge und vor allem herrschte hier eine internationale Atmosphäre, interessant und erlebnisreich. Er hatte noch nie eine solche herrliche Bergwelt gesehen. Die Gondel hatte fast den Gipfel erreicht, als ein Mann von der anderen Gondelseite zu ihm herüberschaute. Michael schaute kurz weg und dann langsam wieder in diese Richtung, aber der Kerl dachte überhaupt nicht daran den Blick von ihm abzuwenden.

    Michael drehte sich in Richtung Gondeltür und stieg aus ohne sich umzudrehen, schnallte gerade die Skier an als er angesprochen wurde.

    „Tolles Wetter heute, Sonne und Pulverschnee, so macht das Skifahren Laune", sagte der fremde Mann aus der Gondel zu ihm.

    „Ja, schön, hoffentlich bleibt die Wetterlage in den nächsten Tagen weiterhin so" erwiderte Michael.

    Er erkannte sofort am Dialekt des Fremden, der kommt nicht aus der DDR. Unbeirrt redete der Mann weiter, „ich habe Sie gestern Abend schon beim Essen gesehen. Sie sind mit einer Jugendgruppe hier. „Dann speisen Sie abends auch in der Drakerstube? fragte Michael.

    „Na klar".

    „So klar ist das für mich nicht, denn Sie kommen bestimmt aus der Bundesrepublik und ich aus Sachsen. In der Regel essen wir Reisenden von Jugendtouristik nicht mit dem Klassenfeind zusammen, da achtet die politische Führung des Reisebüros schon darauf."

    Der Mann lachte: „Ich kenne keinen Klassenfeind, wer soll das sein"?

    Michael wollte schon erwidern typisch Wessi, aber politische Diskussionen am Skihang bringen nichts. Er schob sich mit den Skistöcken ab

    „Erkläre ich Ihnen vielleicht heute Abend, tschüss ", und schon sauste er den Hang hinab.

    Der Fremde schaute hinterher und lächelte, na hoffentlich sehe ich dich Bursche bald wieder, du gefällst mir, aber gesprächig bist du nicht gerade, dachte er.

    Die beiden begegneten sich tagsüber nicht mehr und Michael überlegte, wie wird die Begegnung heute Abend ablaufen. Denn es gab in den Reisegruppen häufig Aufpasser, die die Kontakte von Mitgliedern der Gruppe mit Menschen aus dem kapitalistischen Ausland registrierten. Deshalb wollte er etwas vorsichtig sein.

    Als er zusammen mit Jürgen aus der Reisegruppe das Lokal betrat, schaute er sich um, ob der Wessi irgendwo zu sehen war. Nach einer Weile – das Essen war gerade serviert wurden – kam lächelnd der Mann von der Gondel auf beide zu, gab Jürgen und Michael die Hand und fragte freundlich: „Sehen wir uns nach dem Essen?"

    Jürgen bejahte und so ging er in den hinteren Teil des Restaurants wo die Leute aus dem Westen bedient wurden.

    Michael war überrascht als Jürgen plötzlich erläuterte: „Als ich heute Nachmittag vom Eislaufen kam, hat der mich angesprochen. Er wollte wissen wo wir herkommen usw. Danach hatte er mich noch in ein Café eingeladen, ein sehr netter Mann." Michael erzählte nichts vom zufälligen Treffen am Skihang und dachte, der spricht wohl jeden Kerl an, der ihm gerade über den Weg läuft, ganz schön aufdringlich.

    Zum Abschluss des Essens verkündete der rumänische Reiseleiter, dass es zum Dessert etwas Besonderes gibt, Weintrauben. Die jungen Leute schauten etwas ungläubig, lächelten und waren sehr skeptisch, was wohl serviert werden wird.

    „Diese Trauben werden im Herbst bei einer bestimmten Temperatur und Luftfeuchtigkeit in einem Raum aufbewahrt, so bleiben Sie bis zum Frühjahr frisch. erläuterte er. Tatsächlich schmeckten sie noch saftig und süß. „Und was machen wir jetzt? , fragte Michael Jürgen, nachdem sie das besondere Dessert verspeist hatten. „Bleiben wir hier noch sitzen oder warten draußen?"

    „Wir bleiben noch etwa 10 Minuten hier und dann gehen wir raus ", erwiderte Jürgen.

    Die beiden Jungs wollten gerade aufstehen, als der Wessi sich von seinem Tisch erhob und auf sie zukam. „Los, komm Jürgen, wir warten draußen", flüsterte Michael ihm zu. Beide verließen schnell das Restaurant und stellten sich etwas abseits der Eingangstür hinter eine kleine Fichte.

    Als er aus der Tür kam gingen sie beide auf ihn zu. Da Jürgen gern und viel redete fragte er sofort: „Wo gehen wir hin und was machen wir?"

    „Ich möchte mich erst einmal vorstellen, das ist ja so üblich", erwiderte der Tourist aus der Bundesrepublik.

    „Mein Name ist Johannes Hallmann, komme aus einer Kleinstadt am Rhein und bin katholischer Priester."

    Die beiden jungen Männer aus Sachsen schauten sich an und überlegten, was sie antworten sollten. Michael fand zuerst die Worte, stellte sich auch kurz vor, im Anschluss redete Jürgen weiter: „Ich heiße Jürgen Mehnert und komme aus einer Kleinstadt in Westsachsen. Zurzeit arbeite ich im Verkaufsbüro einer großen Stofffabrik. Da ich gern Büroleiter werden möchte, absolviere ich die Abendschule, um Textilingenieur zu werden." Hoppla, dachte Michael ein kleiner Karrierist, warum nicht, es schwimmen die meisten Leute mit dem Strom.

    Johannes nahm dies alles zur Kenntnis, ergriff die Initiative und sagte: „Wir können zur Seilbahnstation laufen, kurz vorher gibt es eine gemütlich Après-Ski Bar mit alkoholischen und süßen Getränken, z.B. Williams-Birne, Wodka mit Feige oder eine Mischung aus Wodka mit Schlehdornfrucht – und Sauerkirschgeschmack. Außerdem Jagertee und Glühwein usw.

    Na, habe ich Euch Appetit gemacht?"

    „Also, ich kenne nur Glühwein, die anderen Getränke sind für mich Fantasieprodukte.

    Aber probieren würde ich diese süßen hochprozentigen Sachen schon", erwiderte Michael und in Gedanken war er schon in der Bar. Er fühlte sich bei seiner Antwort aber etwas unwohl, normalerweise trank er mal ein Glas Bier, Schnaps kaum. Doch er wollte kein Spaßverderber sein. Jürgen nickte und lächelte nur. Er wollte natürlich auch etwas zur Unterhaltung beisteuern und fragte Johannes

    „Gab es bei euch heute Abend auch frische Weintrauben?"

    „Also frische Weintrauben sehen und schmecken anders, diese waren schon etwas angetrocknet, aber essen konnte man sie noch", antwortete Johannes. Jürgen erläuterte ausführlich die Prozedur, wie die Trauben konserviert werden und erklärte dann, dass die Trauben noch einen sehr guten saftigen Geschmack hatten.

    „Bei uns gibt es im Winter keine frischen Weintrauben", betonte Jürgen.

    „Ich kaufe im Winter oder Frühjahr die kernlosen Trauben aus Südafrika oder Südamerika, die sind wirklich frisch geerntet", fügte Johannes hinzu.

    Michael mischte sich mit der Bemerkung ein: „Also, mir schmeckt das Essen hier, die Leute geben sich große Mühe, und Südfrüchte sind nun mal sowohl im Sommer als auch Winter Mangelware, genauso wie bei uns, aber es geht auch so. Manchmal gibt es bei uns im Sommer kaum einheimisches Gemüse, wie Gurken und Tomaten, oder Obst, das ist dann schon traurig. Jürgen korrigierte sofort: „Also bei uns gibt es im Sommer immer Tomaten und Gurken.

    „Na ja, du wohnst in einer ländlichen Gegend, da schaffen die Menschen aus ihren Gärten das Gemüse in die Geschäfte, erhalten dort für ihre Ware einen guten Preis, anschließend gehen sie in die gleiche Verkaufsstelle, kaufen einen Teil des Gemüses zurück, bezahlen aber viel weniger, da Lebensmittel staatlich subventioniert werden und haben ein gutes Geschäft gemacht."

    „Also, das gibt es doch gar nicht, was ist denn das für ein System, ist doch lächerlich", empörte sich Johannes.

    „Ganz einfach, man nennt dies, sozialistische Planwirtschaft", erklärte Michael.

    „Aber wir sind im Urlaub und ich möchte deshalb nicht an die Planwirtschaft denken".

    Er wandte sich an Johannes, und fragte: „Wir sind bald an der Seilbahnstation, wo ist die Bar? Johannes zeigte mit dem Finger die Straße entlang und erklärte: „Da vorn biegt ein schmaler Weg nach rechts ab und dann sind es noch ca. 100 m. Während sie die restliche Strecke auf der Straße liefen stockte die Unterhaltung und es hing jeder etwas seinen Gedanken nach. Politische Diskussionen führen häufig zu überflüssigem Streit und dies wollte Michael vermeiden.

    Aber welches Thema passt, nur vom Wetter reden ist auch langweilig und Sex ist bestimmt auch kein Thema für einen katholischen Priester, grübelte er.

    Die Bar war gut gefüllt und es war kein freier Tisch in Sicht, aber auf uns kam ein junger Kellner zu, begrüßte Johannes mit Handschlag: „Hallo Johannes, schön dich zu sehen, wie geht es dir?", dann wandte er sich den beiden anderen Gästen zu, lächelte sie an und gab ihnen die Hand.

    Der angesprochene erwiderte das Lächeln des jungen Rumänen: „Wenn ich dich treffe, geht es mir immer gut, dabei legte er vertrauensvoll seinen Arm auf die Schulter von Alka, so hieß der Kellner, und beide lachten herzlich. „Kommt mit, ich habe natürlich für Euch noch einen freien Tisch, und führte sie zu einer kleinen Nische, sehr gemütlich, dachten alle drei.

    „Hier ist die Getränkekarte, denn gespeist habt ihr bestimmt schon. Schaut Euch mal das Angebot an, wenn Ihr etwas nicht versteht, kein Problem, ich kann alles übersetzen."

    Michael hatte den interessanten Kellner während er sprach genau gemustert und dachte, ist das ein toller rassischer Kerl, dunkle Augen, lockige schwarze Haare und ein kleiner schwarzer Oberlippenbart., sportlicher Körper, Mann o Mann. Vielleicht hatte er Michaels verstohlene Blicke registriert, als er vom Tisch wegging, lächelte er ihn an. Natürlich hatte Johannes diesen Blickkontakt ebenfalls zur Kenntnis genommen, ohne darüber erfreut zu sein.

    Michael war jetzt etwas in Schwung gekommen und sagte, ohne lange darüber Nachzudenken: „Ich nehme Wodka mit Schlehdorn und Ihr?" Jürgen entschied sich für Glühwein, der ist ja bieder und zurückhaltend, dachte Michael. Johannes bestellte einen französischen Cognac.

    Passt zu ihm, waren Michaels Gedanken.

    Nachdem sie die Bestellung aufgegeben hatten, ergriff Johannes die Gelegenheit: „Ihr seid natürlich heute meine Gäste."

    Michael und Jürgen schauten ihn etwas verlegen an und schwiegen.

    Alka kam mit einem voll beladenen Tablett, stellte die gewünschten Getränke auf den Tisch und mit einem freundlichen Lächeln ging er zu den Gästen am Nachbartisch.

    Johannes ergriff sein Glas, hob es hoch: „Auf….., er stockte, doch dann redete er weiter, „ich möchte gern mit euch Brüderschaft trinken, dass ‚Sie‘ gefällt mir nicht, auch wenn ich einige Jahre älter bin als Ihr.

    Ältere Menschen, vor allem Single, neigen häufig dazu, von jungen Leute mit ‚Du‘ angesprochen zu werden. Dadurch fühlt man sich enger mit der Jugend verbunden und verdrängt etwas sein Alter. Jungen Männer fällt es bedeutend schwerer einen älteren Herrn sofort zu duzen, es ist eine gewisse Distanz vorhanden, aber beide ließen sich dies jetzt nicht anmerken.

    Da Michael vermeiden wollte, dass Jürgen von den tollen Stoffen erzählt, die im VEB Textilfabrik produziert werden, ergriff er die Initiative und fragte Johannes: „Weißt du, wo Alka die deutsche Sprache gelernt hat, er spricht ausgezeichnet?"

    Johannes erwiderte: „Hier in Siebenbürgen gibt es viele deutsche Nachfahren der Siedler, die im Mittelalter aus dem Maas-Mosel-Raum, Flandern und dem Gebiet der damaligen Erzbistümer Trier und Lüttich hier nach Transsilvanien kamen."

    „Ach so, das bedeutet, Alka ist ein Deutscher?", fügte Michael hinzu.

    Johannes verbesserte: „Seine Familie hat deutsche Wurzeln, aber er ist jetzt Rumäne. Ihm gefällt es hier und sein Job macht ihm richtig Spaß. Er lernt viele Leute kennen und hat dadurch eine Menge Freunde."

    Jürgen konnte seine Neugier nicht mehr unterdrücken und wollte von Johannes wissen, warum er allein nach Rumänien gefahren ist. Johannes war von der Frage weder überrascht, noch verlegen. Er erzählte, dass er normalerweise mit seinem Zahnarzt nach Südtirol fahren wollte, aber die Mutter von seinem Bekannten war krank geworden. Deshalb hatte dieser abgesagt und die Dame vom Reisebüro erwähnte dieses Angebot. Sicherlich hat Südtirol höhere Berge, mehr interessante Wintersportgebiete, zahlreiche Schwebebahnen, Skilifts und viel mehr Skihänge, aber es gefällt mir hier ganz gut und 600, – DM für 14 Tage mit Halbpension und Einzelzimmer ist okay. Die Preise in den Restaurants sind wegen des Umtauschkurses sehr günstig ", fügte er noch hinzu.

    „Wir bezahlen für die gleiche Reise 880,- Mark im Doppelzimmer, das ist für uns erschwinglich, entspricht etwa einem Nettomonatslohn, sagte Michael. „Diesen Preis bezahlt man aber nur, wenn man mit dem staatlichen Jugendreiseveranstalter fährt, sonst kostet die gleiche Reise etwa 1200,- Mark. Normalerweise können auch nur Jugendliche diese Reisen buchen, aber eine direkte Altersbeschränkung gibt es nicht, so dass vereinzelt auch 40-Jährige mitfahren dürfen., ergänzte Jürgen.

    Das Gespräch verlief ohne besondere Höhepunkte, meistens wurde über die Unterschiede zwischen der DDR und der Bundesrepublik debattiert.

    Michael suchte immer den Blickkontakt zu Alka, vereinzelt hatte er Glück, sie lächelten sich zu. Kurz vor Mitternacht bat Johannes um die Rechnung, bezahlte, wobei er Alka auffallend viel Trinkgeld gab. Dieser bedankte sich, indem er Johannes die Hand drückte und sich strahlend verabschiedete. Er fragte Johannes noch, wann sein Urlaub zu Ende geht. Im Stillen hoffte er noch auf viele Tage, aber leider waren es nur noch drei.

    Als Michael draußen vor der Bartür stand, merkte er, dass er einen Schwips hatte und es fiel ihm sichtlich schwerer den Weg durch den tiefen Schnee zu bewältigen, denn es hatte den ganzen Abend stark geschneit. Sie redeten noch über das Wetter der kommenden Tage und Michael war froh, als er endlich die Unterkunft erreicht hatte. Er wollte auch nicht mehr viel mit Jürgen über Johannes reden, sondern nur noch schlafen.

    Am letzten Abend vor Johannes Heimreise wollten sie noch einmal in die Bar gehen, aber eine Bekannte aus Jürgens Heimatort wollte nicht allein zur Disco gehen und überredete ihn.

    Deshalb gingen Michael und Johannes allein in die Bar, aber nur für kurze Zeit, anschließend suchten sie die Skihütte von Johannes auf.

    Er hatte noch keinen Koffer gepackt, deshalb lagen viele Kleidungsstücke überall verstreut auf dem Bett, Stuhl, Tisch oder Fußboden. Johannes bemerkte den vorwurfsvollen Blick von Michael und sagte als Entschuldigung: „Zu Hause habe ich eine Haushälterin, die räumt alles auf. Wenn ich dusche werfe ich die getragene Wäsche auf den Fußboden und nehme frische Sachen aus dem Schrank , – er zuckte mit den Schultern und murmelte, „bin es halt so gewöhnt!

    „Schön für dich, aber jetzt schaffen wir hier erst einmal Ordnung, packen schnell deinen Koffer und anschließend trinken wir gemütlich noch ein Glas Rotwein", sagte Michael energisch.

    Johannes schaute ihn etwas enttäuscht an, „dann machen wir es halt

    so ", erwiderte er kleinlaut.

    „Na, dann mal los, du reichst mir die Sachen und ich verstaue sie im Koffer", er steckte zügig die Schuhe in Plastiktüten, legte Hosen, Pullover, Hemden zusammen und verstaute alles strukturiert im Koffer. Johannes war total überrascht, wie zügig die Arbeit voran ging und tatsächlich war nach einer knappen halben Stunde das Zimmer aufgeräumt, und Johannes brauchte am nächsten Morgen nur noch Pyjama und die Toilettenartikel in den Koffer legen.

    „Also, wie du das machst!", sagte Johannes und schüttelte dabei den Kopf. „Es ist ganz einfach, man darf nicht ständig erzählen, was man noch alles machen muss, das verbraucht unnötige Energie, sondern einfach anfangen und meistens geht danach alles schnell von der Hand.

    Dies ist eine alte Binsenwahrheit", belehrte Michael den erfahrenen Priester aus der Bundesrepublik.

    Johannes nickte bejahend, nahm die schmutzigen Gläser vom Tisch und ging in das Bad um sie zu reinigen. In der Zwischenzeit entkorkte Michael die Flasche, studierte das Etikett, aber er kannte diesen Wein nicht. Nachdem Michael vom Wein gekostet sagte er: „Lecker, schmeckt mir."

    Statt einer Antwort, lächelte Johannes und fragte Michael: „Du hast bestimmt noch keinen Wein aus meiner Heimat getrunken? Michael reagierte prompt: „Natürlich nicht, woher auch? Diese Weine gibt es bei uns nicht und wenn, dann könnte ich mir diese auch nicht leisten. Aber darauf kann ich schon verzichten, ist nicht lebensnotwendig.

    „Du hast Recht", erwiderte Johannes.

    „Welchen Wunsch könnte ich dir denn erfüllen, ich möchte dir gern ein Päckchen schicken?"

    Mit dieser Frage hatte Michael nicht gerechnet. Er wusste zwar sofort einen Wunsch, aber er wollte dies auf keinen Fall sagen.

    „Es wäre schön, wenn wir in Kontakt bleiben", lenkte Michael von der heiklen Frage ab und trank schnell einen Schluck Wein, um seine Verlegenheit etwas zu verbergen.

    Plötzlich und unerwartet kam von Johannes eine sehr persönliche Frage: „Du bist allein in den Urlaub gefahren, hast du keine feste Freundin? Michael überlegte nicht lange und antwortete: „Nein, habe ich nicht, kein Bedarf. Damit hatte er seine homosexuelle Neigung nicht direkt offen dargelegt, aber angedeutet. Dieses Thema wurde nicht ausgeweitet, beide tranken weiter und jeder überlegte, wie es jetzt wohl weitergeht. Michael wollte aber auf keinen Fall mit Zärtlichkeiten beginnen, obwohl er nicht abgeneigt war.

    Johannes lenkte vom Thema ab und sagte ganz allgemein: „Erzähle etwas aus deinem Leben, über deine Familie, Hobbys und was du beruflich machst."

    Das ist ja ein abendfüllendes Programm, dachte Michael. Aber ein anderes Thema fiel ihm auch nicht ein, deshalb erklärte, dass er in einem großen Rechenzentrum als EDV-Projektant arbeitet, aber, das ist nicht mein Traumberuf."

    „Was ist ein EDV-Projektant bzw. was machst du? ", fragte Johannes und schaute etwas ungläubig.

    Michael wollte keine detaillierte technische Erläuterung geben, deshalb versuchte er mit einfachen Erläuterungen das Wesentliche seiner Tätigkeit darzulegen.

    „EDV heißt elektronische Datenverarbeitung und mittels eines Projektes werden die unterschiedlichsten EDV-Aufgaben gelöst. Wenn man z.B. statistische Auswertung erstellen will, werden die notwendigen Daten erfasst, durch EDV-Programme entsprechend aufbereitet und anschließend Listen erstellt und das ist z.B. ein einfaches EDV-Projekt. Du weißt doch, bei politischen Wahlen fallen enorme Datenmengen, sprich Wählerstimmen an und mittels großer Computer werden durch EDV-Programme die prozentualen Wahlergebnisse errechnet und schnell bekannt gegeben. Also, bei uns sind diese Projekte eigentlich überflüssig, denn wir werfen den vorgefertigten Wahlbogen einfach in die Urne, da werden keine Leute ausgewählt, wer auf der Liste steht, kommt garantiert in die Volkskammer der DDR und die Prozentzahlen sind ebenfalls bekannt. Die Vorgaben liegen zwischen 99 – und 100 Prozent und etwas ist am Wahltag ganz wichtig, du musst in den Morgenstunden bereits wählen gehen", als er das sagte, lachte er laut los.

    „Wieso das denn?", fragte Johannes und schüttelte mit dem Kopf. „Zählen denn die in den Morgenstunden abgegebenen Stimmen

    mehr …, also, ich glaube, du verarschst mich jetzt?"

    „Keinesfalls, bei der letzten Wahl bin ich gegen Mittag ins benachbarte Wahllokal gegangen, denn anschließend hatte ich mir vorgenommen, essen zu gehen. Ich war gerade im Begriff meinen Wahlzettel in die Urne zu werfen, plötzlich beschimpfte mich eine alte bekloppte Wahlhelferin, – sie war auch noch meine Nachbarin, eine Stalinistin durch und durch."

    ‚Sie mit ihrer Intelligenz haben auf Staatskosten studiert, deshalb müssten Sie aus Dankbarkeit gleich morgens zum Wahllokal kommen, dadurch zeigen Sie ihre Verbundenheit zu unserer Partei – und Staatsführung‘. Alle Menschen in diesem Raum verharrten, schauten mich an und keiner – ich auch nicht – sagte eine Wort. Ich hätte ihr am liebsten den Wahlzettel vor die Füße geworfen, aber dann wäre die Situation wahrscheinlich eskaliert und man hätte mich inhaftiert. Mit solchen Leuten kann man sich in der Öffentlichkeit nicht anlegen, die hätten mir sofort einen Strick gedreht, traurig, aber leider war."

    „So etwas kann man einfach nicht glauben!", erwiderte Johannes und schüttelte den Kopf.

    „Du sagtest soeben, dass dies aber nicht der Beruf ist, der dich ausfüllt, was würdest du gerne tun?"

    Michael erklärte, dass er gerne Arzt geworden wäre, obwohl er jetzt froh ist, dass er nach vielen Schwierigkeiten überhaupt einen Hochschulabschluss als Diplomingenieur besitzt.

    „Na ja, bei uns werden auch nicht alle zum Medizinstudium zugelassen, es existiert der Numerus Clausus, d.h. nur die mit den besten Noten erhalten einen Studienplatz für dieses Fachgebiet." unterbrach Johannes.

    „Das verstehe ich, aber bei uns gibt es einen politischen Numerus Clausus. Ich kann dir ja erzählen, wie es mir ergangen ist, weil ich kirchlich konfirmiert wurde – falls es dich nicht langweilt."

    „Nein, nein, es interessiert mich sehr, wie die Menschen bei Euch leben und denken."

    Michael dachte zwar, vielleicht sagt er dies nur aus Höflichkeit und hätte lieber Sex, trotzdem werde ich weitererzählen, denn es bewegt mich immer noch, wenn ich an die Schulzeit denke.

    „Zu Beginn des letzten Grundschuljahres diskutierte das Lehrekollegium, welche Schüler auf die erweiterte Oberschule delegiert werden. Da ich sehr gute schulische Leistungen vorweisen konnte, plante ich das Abitur zu machen. Aber es gab diesbezüglich keine Reaktion von meinem Klassenlehrer und deshalb bat meine Mutter um ein Gespräch – der Stiefvater kümmerte sich nicht um die Erziehung – mit dem Direktor der Grundschule, ein junger, überzeugter, kommunistischer Neulehrer. Die DDR hatte viele Lehrer, die in der Nazizeit unterrichtet hatten aus dem Schuldienst entfernt. Um trotz drastischem Lehrermangel den Unterricht in den Schulen gewährleisten zu können, wurden geeignete junge Männer und Frauen in Schnellkursen zu ‘Lehrern‘ ausgebildet. Meist waren diese ihren Schülern im Stoff nur ein paar Schulstunden voraus und hatten fast keine pädagogischen Kenntnisse. Viele von ihnen erwarben sie dann später (im Fernstudium).

    Sie erkundigte sich zunächst über die schulischen Leistungen ihres Sohnes. ‚Dass Michael einen sehr guten Notendurchschnitt hat, wissen Sie bereits, aber er ist häufig vorlaut im Unterricht und hat oft wenig Respekt vor den Lehren, deshalb wird er vom Kollegium nicht besonders geschätzt‘.

    Meine Mutter zögerte nicht lange und fragte den Direktor unmissverständlich, wird mein Sohn auf die Oberschule delegiert oder nicht?

    ‚Das hängt von der politischen Reife ihres Kindes ab‘, erwiderte er.

    ‚Was meinen Sie mit politischer Reife‘?

    ‚Ganz einfach, wenn ihr Sohn die sozialistische Jugendweihe ablegt, ist er reif, das Abitur zu erlangen‘. Diese eindeutige Verurteilung christlich erzogener Kinder überraschte und schockierte sie.

    Der Schulleiter fügte noch einen entscheidenden Satz hinzu:

    ‚Ich delegiere lieber ein Kind mit Jugendweiheabschluss und einem befriedigendem Notendurchschnitt, als ein christliches mit sehr guten schulischen Leistungen, denn unsere künftige Intelligenz soll treu zu unserem Arbeiter- und Bauernstaat stehen‘.

    Nun reichte es meiner Mutter, sie konterte laut und energisch: ‚Dann verzichte ich auf eine Delegierung meines Sohnes zur Erweiterten Oberschulen, denn alle meine Kinder werden christlich erzogen und konfirmiert. Es ist beschämend, dass wir Christen so diskriminiert werden‘. Sie wandte sich vom Schulleiter ab, ohne sich zu verabschieden und verlies zornig und aufgeregt die Schule.

    Auf dem Nachhauseweg zweifelte sie an ihrer Entscheidung, denn es stand die berufliche Entwicklung ihres Sohnes auf dem Spiel. Hatte sie überhaupt das Recht, ihrem Sohn die Konfirmation vorzuschreiben, denn die Kinder wollten eigentlich lieber an den sozialistischen Jugendstunden mit interessanten Ausflügen teilnehmen, als in der düsteren Kirche den langweiligen Predigen des Pfarrers zu folgen. Sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass es vielleicht noch andere Wege gibt, den Abiturabschluss zu erlangen. Deshalb blieb sie standhaft und zweifelte ihre getroffene Entscheidung nicht mehr an.

    Ich konnte nach Abschluss der achten Klasse, die 10-klapsige polytechnische Oberschule in der benachbarten Kreisstadt besuchen, eine Delegierung der Grundschule war nicht erforderlich. Als ich am 1.September 1959 auf dem Schulhofplatz stand und meine neuen Mitschüler kennenlernte traute ich meinen Augen nicht, als ich plötzlich den Schuldirektor wieder sah, der mir den Weg zum Abitur durchgekreuzt hatte.

    Natürlich, der stalinistische Neulehrer war die Karriereleiter höher geklettert und war der neue Leiter dieser Schule in der Kreisstadt. Er stellte sich dem Lehrerkollegium und den Schülern vor und schwafelte hohle politische Phrasen

    Das darf doch nicht wahr sein, dachte ich und war verzweifelt. Da wird die Diskriminierung gegen mich bestimmt fortgesetzt werden, dies war der einzige Gedanke, den ich hatte, und niedergeschlagen ging ich mit den anderen in das neue Klassenzimmer.

    Und so kam es dann auch. Nach 2 Jahren beendete ich sehr erfolgreich die zehnte Klasse, auf dem Zeugnis stand Gesamtprädikat ‚Sehr gut‘. Die große Freude war leider getrübt, denn als Einziger hatte ich noch keine Lehrstelle, von allen Firmen kam eine Absage. Meine Mutter und ich wussten keinen Rat, wie es jetzt weitergehen soll und fanden auch keine Erklärung für die vielen Firmenabsagen. Während dieser Zeit bewarb ich mich als Schauspieler an der Theaterhochschule in Berlin, natürlich kam nach der Eignungsprüfung die Absage mit den Bewerbungsunterlagen. Dieser Brief enthielt jedoch eine faustdicke Überraschung, denn es war eine Beurteilung der Schule darin, von der ich nichts wusste. Man hatte sie von der Schule angefordert, das war eine übliche Methode, ohne Wissen der Schüler bzw. Eltern heimlich eine politische Einschätzung zu bekommen. Natürlich hatte diese der Direktor geschrieben und der Text war für meinen beruflichen Lebensweg vernichtend. Diesen Satz konnte ich nie mehr vergessen ‘Michael ist ein überzeugter, reaktionär eingestellter Schüler, der nicht auf der Seite unseres Arbeiter – und Bauernstaates steht‘.

    Wir waren entsetzt, denn ich hatte nie reaktionäre Äußerungen gemacht, um nicht in Verruf zu kommen, denn ich wusste, dass der stalinistische Direktor mich hasste. Diese Beurteilung hatten alle staatlichen Betriebe erhalten, bei denen ich mich um eine Lehrestelle beworben und deshalb keine einzige Zusage bekommen hatte. Es war sinnlos den Direktor zur Rede zu stellen und meine Mutter und ich waren ratlos, wie es weitergehen sollte.

    Kurz vor der Schulabschlussfeier erhielt ich und noch weitere 5 Schüler eine Einladung zu einem Gespräch mit dem Kreisschulrat. Ich dachte mir nichts dabei und nahm ohne besondere Neugier daran teil. Was ich nicht wissen konnte, war, dass der Vorsitzende des Kreisschulrates über die angebliche reaktionäre politische Einstellung von mir informiert und nach diesem Gespräch, eine abschließende politische Beurteilung fällen sollte.

    Diese zwanglose Unterhaltung verlief in einer aufgeschlossenen freundlichen Atmosphäre und ich redete wie immer, ehrlich und aufrichtig, ohne abfällige Bemerkungen über die DDR.

    Nach einigen Tagen erhielt ich plötzlich von allen Betrieben, bei denen ich mich um eine Lehrstelle beworben hatte, eine Zusage, sogar meine Traumlehre, Mechaniker mit Abitur, d.h. mein Wunsch ging in Erfüllung, ich konnte das Abitur machen und eventuell auch studieren.

    Innerlich war ich freudig erregt und stellte mir dir Frage, vielleicht hat meine Mutter Unrecht, denn für sie war dieser Staat eine Diktatur, der die Persönlichkeit des Einzelnen unterdrückt und diese Menschen verfolgt. Ich war nicht davon überzeugt, denn ich sah die Ursache dieser Geschichte in der Person begründet, es gab für mich den bösen und den guten Kommunisten und davon wollte ich meine Mutter überzeugen. Es ist oft ein Glückspiel an welche Person man gerät, vielleicht ist der Sozialismus gar nicht so schlecht, dachte ich.

    Aber meine Argumente ließ sie nicht gelten, das System ist die Ursache, nicht die verschiedenen menschlichen Charaktere.

    Eigenartigerweise erkannte sie das diktatorische System der Nazizeit nicht so klar, es fehlte ihr die Einsicht und die Distanz. Sie meinte immer ‚na ja, Hitler hat die Autobahnen gebaut und meine Brüder bekamen plötzlich alle Arbeit. Und für uns Arbeiter hat er auch mehr Urlaubstage eingeführt, das war etwas Großartiges. Die Nationalsozialisten verlängerten den Urlaub auf zwei bis drei Wochen pro Jahr. Außerdem versprach die Naziregierung den Arbeitnehmern eine Verkürzung der Arbeitszeit, dadurch konnten sie einen Teil der vormals marxistisch oder sozialdemokratisch gesinnten Arbeiterschaft umstimmen‘.

    Ich sah dies anders und stritt auch häufig mit ihr darüber.

    Aber meine Freude über diesen Ausbildungsplatz ließ die politische Diskussion mit meiner Mutter unwichtig erscheinen.

    In der neuen Berufsschule hatte ich keine Konflikte, weder mit den Lehren noch mit politischen Organisationen. Ich erinnere mich aber an ein Gespräch mit dem damaligen Klassenlehrer in dieser Schule, der viel über das Leben, die Liebe, allgemein über die Menschen sprach. Wir mochten ihn sehr. Er war ein älterer erfahrener Lehrer, der bereits vor dem Krieg Deutsch – und Biologieunterricht erteilt hatte. Eines Tages erhielten wir von ihm eine Hausaufgabe, wir sollten uns selbst einschätzen, d. h. welche Stärken und menschliche Schwächen wir haben. Diese Aufgabe fanden wir einfach blöd, aber ich hatte keine Schwierigkeit damit, da ich sowohl meine Stärken kenne und zu meinen Schwächen stehe. Als die Schüler ihren Vortrag über ihren Charakter schilderten, war es plötzlich interessant, wir hatten Spaß dabei und lange danach diskutierten wir noch über diesen und jenen. Dieser Lehrer war ein ausgezeichneter Pädagoge.

    Ich schilderte unter anderem, dass ich sehr viel von Gerechtigkeit halte. Er hörte mir ruhig zu, unterbrach und widersprach mir nicht. Anschließend erwiderte er mit einem nachdenklichen Gesicht, ‚Ich weiß, dass du ein Gerechtigkeitsapostel bist, aber du wirst es im Leben oft sehr schwer haben, manchmal ist besser die Ungerechtigkeit zu ertragen und zu schweigen’. Ich erinnere mich sehr oft an diesen gutgemeinten Rat, aber leider habe ich ihn bisher zu wenig befolgt.

    Nach der Abiturprüfung nahm ich das Studium an der Technischen Hochschule in Karl-Marx-Stadt auf, denn wir hatten an der technischen Berufsschule kein Lateinunterricht, so dass ich mich auch nicht an einer Medizinischen Hochschule bewerben konnte.

    Und nun bin ich EDV-Projektant im Bezirksrechenzentum und bin im großen Ganzen auch zufrieden mit meiner Tätigkeit."

    Michael schloss seine Erzählung mit dem Satz: „Nun weißt du fast alles über mich und jetzt bist du dran."

    „Von mir gibt es wirklich nicht viel zu erzählen , erwiderte Johannes. „ Als Jugendlicher musste ich noch in den Krieg, dann geriet ich in die amerikanische Kriegsgefangenschaft, wurde aber nach einem Jahr entlassen und entschloss mich Priester zu werden.

    Michael wollte eigentlich nachfragen, warum er Priester geworden ist, wartete aber, vielleicht erzählt er es noch. Aber Johannes beendete schon seinen Lebenslauf, kein Wort zur Begründung seiner Priesterwahl. Michael empfand diesen Bericht als kurz, oberflächlich und emotionslos, keine aufrichtigen Worte.

    Völlig überraschend fragte Johannes: „Von wem hast du deine Schönheit geerbt, von der Mutter oder eher vom Vater? Du hast sehr fein geschnittene Gesichtszüge und ausdrucksvolle Augen."

    Michael lächelte nur und meinte: „So ein Quatsch, das mag ich nicht, fügte aber trotzdem noch verlegen hinzu „meine Mutter war in ihrer Jugend sehr schön, wenn ich mir ihre Fotos von damals ansehe.

    Michael legte eine kurze Pause ein, schaute dann Johannes an und sagte: „Aber jetzt ist es Zeit für mich schlafen zu gehen, wir haben den ganzen Abend viel gesprochen, vielleicht sehen wir uns einmal wieder. Meine Adresse hast du, würde mich über einen Brief freuen."

    Bei den letzten Worten hatte er sich bereits erhoben, ging auf Johannes zu und umarmte ihn kurz. Er dachte zwar an mehr Zärtlichkeit, aber durch das lange Gespräch hatte er kein Bedürfnis mehr, irgendwie war dies zerredet wurden. Dieses Gefühl kannte Michael bereits, denn er hatte es schon oft erlebt, dass sexuelles Verlangen nach endlosen Gesprächen sich auflöste. Er wollte lieber erst Sex und dann Gespräche, wenn man noch nackt und umschlungen zusammen ist. Johannes wollte die Umarmung nicht trennen, aber er merkte, dass Michael kein Interesse an mehr hatte. Er ließ die Arme sinken und seine Enttäuschung konnte man ihm ansehen. Deshalb wollte Michael auch schnell aus dem Zimmer verschwinden, ohne noch weitere Erläuterungen geben zu müssen, warum es ihm nicht nach Zärtlichkeit zu Mute war, aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

    Als er in dem Jugendhotel ankam, war Jürgen noch nicht da, prima, dachte er, denn er hatte absolut jetzt keinen Bock auf ein weiteres Gespräch, vor allem nicht mit dieser Quasselstrippe. Als Jürgen nachts kam, wurde er zwar munter, stellte sich aber schlafend.

    Die restlichen Urlaubstage verliefen in diesem schönen Wintersportort etwas eintönig, Skilaufen – wobei das Wetter nicht dazu einlud, Wind und Regen im Ort, Sturm und starker Schneefall auf dem Berg – essen und schlafen. Michael ging noch einmal in die Après-Ski Bar in der Hoffnung Alka, den hübschen sympathischen Kellner, näher kennenzulernen. Aber leider ging dieser Wunsch nicht in Erfüllung, ein nettes Wort, ein Lächeln und tschüss.

    Als sie auf dem Rückflug waren, bat Jürgen um die Adresse von Johannes. Michael zögerte etwas und wunderte sich, dass die beiden die Adressen nicht getauscht hatten. Aber er konnte Jürgens Bitte auch nicht abschlagen, Johannes wird dies schon verstehen.

    „So haben wir uns kennengelernt", sagte Michael und legte den Stift beiseite, um zu unterstreichen, das ist alles. Er hatte eine Kurzfassung niedergeschrieben und war erleichtert.

    „Sie haben mich also angelogen, erregte sich der Offizier von der Staatssicherheit und sagte scharf: „Ich denke, Sie haben sich in Berlin auf dem Alexanderplatz kennengelernt, warum diese Lügen?

    Michael ließ sich nicht einschüchtern und erwiderte ruhig: „In Berlin haben wir uns wiedergesehen, ist doch unwichtig, ob Rumänien oder Berlin das erste Treffen war."

    „Das ist unwichtig meinen Sie, wir bestimmen was wichtig ist! Sie haben gelogen und damit verstehen wir keinen Spaß!"

    Er redete weiter auf Michael ein, aber dieser schwieg und dachte, es hat keinen Sinn dieses Streitgespräch durch unvorsichtige Bemerkungen anzuheizen.

    Plötzlich lenkte er versöhnlicher ein und forderte Michael auf weiter zu erzählen.

    „Aber ich warne Sie, noch weitere Lügen und wir setzen diese Unterredung an einem anderen Ort fort!"

    Was er meinte, konnte sich Michael denken.

    Natürlich erinnerte er sich an jedes Detail und an alle Unterhaltungen und sah alles bildhaft vor seinen Augen, als er weiter berichtete.

    Du kannst mir noch so viel drohen, einige Bilder sind für dich geschwärzt und damit unsichtbar, sagte er zu sich. Die Geschichte war somit lückenhaft, aber Michael verstand es sehr gut, sie glaubwürdig darzustellen. Und Hellsehen konnte auch die Stasi nicht.

    Nach seiner Rückkehr aus Rumänien vergingen nur wenige Tage und er hatte einen Brief von Johannes erhalten. Dieser schrieb allgemein, dass er sich freue, Michael kennengelernt zu haben und auf ein baldiges Wiedersehen hoffe. Außerdem erwähnte er, dass er gleichzeitig mit dem Brief ein Paket für Michael zur Post gebracht hat. Dies war schon eine sehr freudige Überraschung und Michael wartete deshalb jeden Tag auf das ‘Westpaket‘ – ein Wort, das fast jeder in der DDR kannte und sehnsüchtig darauf hoffte. Nach einigen Tagen kam die ersehnte Postsendung, ziemlich groß und schwer. Michael nahm sich viel Zeit mit dem Auspacken und schaute sich jedes Stück genau an, Cordhose, Hemd mit passendem Schlips und Pullunder, alles farblich genau aufeinander abgestimmt, einfach wunderschön. Aftershave und Eau de Toilette, sehr angenehmer Duft, für Michael tat sich die große weite Welt auf. Er hatte alle Geschenke auf den Tisch gelegt, setzte sich auf die Couch und konnte sich nicht satt sehen. Es dauerte eine ganze Weile bis er es fassen konnte und anschließend probierte er die schicken Kleidungsstücke an, dabei stand er sehr lange vor dem Spiegel, er war einfach sehr glücklich. Er musste unbedingt dieses neue Outfit heute noch tragen, deshalb entschloss er sich in ein bekanntes Café zu gehen, um seinen Freunden bzw. Bekannten alles vorzuführen. Das Restaurant war gut besucht und Michael ging geradewegs auf einen Tisch zu, wo er von den anderen freudig begrüßt wurde. Man registrierte natürlich sofort den neuen Westschick und stellte neugierige Fragen, die er jedoch nicht beantwortete. Michael strahlte den ganzen Abend und freute sich riesig über die Geschenke. Er nahm sich vor, gleich am nächsten Abend einen Brief an Johannes zu schreiben, um ihm zu sagen, wie überrascht und dankbar er für die Geschenke war.

    Michael konnte es kaum fassen, aber Johannes setzte die Geschenksendungen fort. Deshalb entschloss er sich, ihn so schnell wie möglich zu treffen. Er lud ihn zu einem Besuch ein, wohl wissend, dass er in einer sehr schäbigen alten Wohnung lebte, ohne fließende Wasser, Toilette eine halbe Treppe tiefer, einfach nur schlimm, diese Behausung. Es bestand in absehbarer Zeit auch keine Aussicht eine andere Wohnung zu bekommen. Eine Mitarbeiterin vom staatlichen Wohnungsamt hat ihn immer mit den Worten abgewiesen: „Für Single haben wir keine anderen Wohnungen, unser Staat bevorzugt Familien mit Kinder, damit müssen Sie sich abfinden. Wenn Sie eine Frau und Kinder haben, können Sie einen Antrag auf bessere Wohnverhältnisse stellen.

    Sie sind doch jung, gründen Sie ein Familie, kann ja wohl nicht so schwer sein!", bei diesen Worten musterte sie Michael aufdringlich.

    Blöde Kuh, dachte er.

    Johannes bedankte sich für die Einladung und war begeistert, Michael wieder zu sehen, aber er machte den Gegenvorschlag, sich in Berlin zu treffen. Er kann jederzeit von Westberlin einen Tagesausflug nach Ostberlin unternehmen, alles unkompliziert. Dieser Vorschlag war für beide akzeptabel und jederzeit realisierbar, darüber freue ich mich, dachte Michael.

    Trotzdem dauerte es noch fast 2 Monate bis Johannes einen freien Termin einplanen konnte, aber Anfang Juni fuhr Michael nach Berlin. Er hatte für 4 Tage ein Zimmer im ‘Hotel Stadt Berlin’ am Alexanderplatz gebucht. Die Lobby dieses großen Komplexes war nicht sofort überschaubar, d.h. er konnte ungesehen einen Gast mit auf sein Zimmer nehmen, dies war die Voraussetzung für die beiden.

    Johannes hatte geschrieben, dass er gegen 11:00 Uhr den Grenzübergang Heinrich Heine Straße benutzen muss, da er unbedingt mit dem Wagen einreisen wollte. Prima, dachte Michael, dann können wir auch eine Stadtrundfahrt machen, aber erst einmal schauen, wie sich der Tagesablauf gestaltet.

    Michael wartete ungefähr 20 Minuten am Grenzübergang als plötzlich ein schicker dunkelblauer BMW vor ihm anhielt, das Fenster und dann die Tür geöffnet wurde und endlich sahen sie sich wieder. Im Wagen gab es gleich eine herzliche Umarmung und beide sagten fast gleichzeitig: „Schön, dich zu sehen!" Natürlich hatte Michael die schicken Westklamotten an, Johannes hatte ihn ja förmlich mit Garderobe überschüttet.

    Sie schauten sich immer noch an, als Johannes fragte: „Und wo fahren wir jetzt hin?"

    „Mein Hotel ist nicht weit von hier, etwa 10 Minuten mit dem Auto", antwortete Michael und fasste Johannes Hand, die auf dem Steuer lag, er wollte jetzt einfach zärtlich sein.

    „Warst du schon einmal in Ostberlin?", wollte er wissen.

    „Nein, noch nie. Hatte es mir schon oft vorgenommen, aber nie realisiert. Ich kenne auch niemanden in dieser Stadt."

    „Okay, dann zeige ich dir den Ostteil.

    Westberlin kenne ich auch etwas, denn vor dem Bau der Mauer war ich in den Schulferien oft bei meiner Tante zu Besuch. Sie hat mir sehr viel von ganz Berlin gezeigt, aber Ende Juli 1961 ist sie abgehauen und zu ihrem Freund nach Kreuzberg gezogen. Die Berliner ahnten damals, dass der Westteil abgeriegelt werden sollte, aber die Mauer konnte sich keiner so richtig vorstellen.", erklärte Michael.

    Sie waren inzwischen am Hotel angekommen, den Wagen parkten sie vor dem Gebäude und ohne Hindernisse hatten sie das Zimmer erreicht. Sie standen sich gegenüber, schauten sich in die Augen und jetzt ergriff Michael die Initiative und wollte Johannes umarmen. Doch dieser drückte ihn mit beiden Händen von sich weg und murmelte leise: „Hier nicht …, ich möchte nicht in einem Hotelzimmer."

    Damit hatte Michael nicht gerechnet, warum denn nicht in einem Hotel, es schaut doch keiner zu, dachte er und blickte Johannes nur fragend an, direkt ansprechen wollte er ihn nicht. Immerhin war er katholischer Priester und für seine Kirche war es Sünde, dass ein Mann bei einem Mann liegt.

    Und was machen wir jetzt, wollte er ihn fragen, aber er vermied es, diese Frage auszusprechen.

    „Nimm bitte Platz, Johannes …, und war die Fahrt nach Berlin anstrengend? Für mich sind lange Autofahrten immer eine Belastung, ich fahre lieber mit dem Zug.

    Du bist doch bestimmt gestern schon in Westberlin eingetroffen?"

    „Ja, ich bin gestern angekommen und wohne in einem kleinen Hotel in der Nähe vom Bahnhof Zoo", erwiderte er betont freundlich.

    „Dann schlage ich vor, dass wir einen kleinen Stadtbummel machen, gemütlich essen gehen."

    „Aber du hast meine Geschenke für dich noch nicht ausgepackt …, es sind nur ein paar Kleinigkeiten, ich wollte an der Grenze keine Schwierigkeiten bekommen. "

    „Johannes, du hast schon so viele Sachen geschickt, hast mich komplett eingekleidet, du musst mich nicht ständig mit Geschenken überhäufen."

    „Das ist doch nicht der Rede wert, kostet ja alles nicht viel", beschwichtigte er.

    „Das sehe ich anders, du hast bisher sehr viel Geld ausgegeben. Wie soll ich mich jemals dafür erkenntlich zeigen?" Diese Bemerkung sollte eine kleine Anspielung auf den abgelehnten Sex sein, aber er reagierte nicht.

    Michael überlegte, ob er überhaupt schon einmal Sex mit einem Mann hatte …, ich denke in der Jugend, vielleicht im Priesterseminar gab es bestimmt sexuelle Handlungen unter Gleichgesinnten. Denn schwul ist er auf alle Fälle, da bin ich mir sicher.

    Nebenbei öffnete er die liebevoll eingepackten Geschenke und staunend erklärte er: „Das hellblaue Cordhemd sieht ja toll aus, so eines habe ich mir immer gewünscht!

    Danke …, du hast voll meinen Geschmack getroffen", stürmisch ging er zu Johannes und umarmte ihn, natürlich ohne Kuss.

    In den zurückliegenden Monaten waren häufig Kleidungsstücke dabei, die oft seriös waren, aber Michael war jung und wollte jugendliche Mode tragen.

    Diese Cordhemd war von der Firma ‘Levis’ und passte sehr gut zu Jeans. Er zog es schnell an und bestaunte es im Spiegel im Badezimmer. Mit nacktem Oberkörper ging er zu Johannes zurück, natürlich wollte er etwas provozieren. Johannes lächelte als er sagte: „Das freut mich, wenn dir das Geschenk gefällt, es kleidet dich auch, siehst hübsch aus. Obwohl du in jedem Hemd gut aussiehst."

    „Bitte, bring mich nicht in Verlegenheit, ich höre nicht gern Komplimente."

    Michael freute sich auch über die Kosmetikartikel und Schokolade.

    „Johannes, vielen Dank für alles …, und dann sagst du, es sind nur Kleinigkeiten, es ist für mich, als wenn Weihnachten und Ostern auf einen Tag fallen."

    Michael wunderte sich sehr über diese vielen Geschenke, warum macht er das wirklich, es ist kaum zu glauben?

    Da er Johannes nicht noch einmal sexuell berühren wollte, sagte er mehr zu sich:

    „Dann lass uns einen Stadtbummel machen, doch zunächst gehen wir Mittagessen."

    Das Einverständnis von seinem Westbesucher setzte er einfach voraus, wir können ja uns nicht stundenlang im Hotelzimmer anschauen, ohne Sex.

    Johannes nickte nur und machte ein nachdenkliches Gesicht, was Michael

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