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Euphrat: Thriller
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eBook317 Seiten4 Stunden

Euphrat: Thriller

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Über dieses E-Book

Ein junger deutscher Arzt wird aus einem afghanischen Krankenhaus entführt. Kurz darauf rammt in Ottawa ein Lastwagen das Auto eines Ex-Agenten. Bei einer Messerstecherei in einem deutschen Auffanglager stirbt ein syrischer Flüchtling. Die angesehene Archäologin Kathrin Bohm verschwindet mitten in der Nacht aus ihrem Hotel. Deren Nichte Claudia macht sich auf die Suche. Alle Spuren führen nach Rakka, in die Hauptstadt des Islamischen Staates. Dort verfolgt der Geheimdienst ganz eigene Pläne...
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum15. Mai 2017
ISBN9783732372713
Euphrat: Thriller
Autor

Leo M. Friedrich

Leo M. Friedrich veröffentlicht nach einer Reihe von Thrillern seinen ersten historischen Roman. Der Autor studierte Politikwissenschaften und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit ausgewähltenThemen der Zeitgeschichte. Er lebt mit seiner Familie in Mecklenburg.

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    Buchvorschau

    Euphrat - Leo M. Friedrich

    Rakka, Syrien Sommer 2015

    Die Sonne blendete ihn so sehr, dass er für einen Moment die Augen schließen musste und stehen blieb. Sofort bekam er von einer der Wachen, die ihn ins Freie geleiteten, einen Stoß in den Rücken, der ihn lang hinstürzen ließ. Als er sich mühsam aufrichtete, sah er an der gegenüberliegenden Wand die aufgespannte schwarze Fahne des Islamischen Staates. Davor stand auf einem dreibeinigen Stativ eine Kamera. In diesem Moment wurde Professor Khaliq Al Fahad klar, dass er nur noch wenige Minuten zu leben hatte. Er war für diese Schlächter wertlos geworden, denn sie hatten in den letzten Wochen alles, was sie erfahren wollten, aus ihm herausgesogen.

    Die ersten Tage war er noch standhaft geblieben. Man hatte ihn geschlagen und den Kopf in einen Eimer mit Wasser getaucht, bis er glaubte, ertrinken zu müssen. Immer wieder musste er dieselben Fragen beantworten. Professor Al Fahad war Zeit seines Lebens einer der führenden Archäologen Syriens gewesen. Es war im Wesentlichen sein Verdienst, dass die Ruinen von Palmyra, der uralten Karawanenstadt in der Wüste, erforscht, vermessen und vor allem erhalten geblieben waren. Er hatte an diesem Ort mehr als dreißig Jahre seines Lebens verbracht und kannte jeden Stein. Fahad wäre in der Lage gewesen, aus dem Gedächtnis eine genaue Karte der Ruinenstadt zu zeichnen.

    Als vor drei Monaten die Wagenkolonnen mit den schwarzen Fahnen täglich näher an Palmyra heranrückten, packte er mit den letzten verbliebenen Mitarbeitern alles zusammen, was man in der Eile finden konnte, um wenigstens die jahrtausendealten archäologischen Artefakte nach Damaskus in Sicherheit zu bringen. Fieberhaft stopften sie alte Tontafeln, Pergamente und steinerne Skulpturen in Kisten und Bündel, um sie dann auf Lastwagen zu verladen, deren Fahrer es gar nicht erwarten konnten, von hier wegzukommen. Auf den letzten Truck beorderte Al Fahad dann seine Kollegen, fünf Männer und zwei Frauen, mit denen er hier über Jahre zusammengearbeitet hatte. Er selbst weigerte sich, diesen Ort zu verlassen. Ihm war klar, dass er die Ruinen nicht vor den Barbaren des Islamischen Staates schützen konnte. Aber er brachte es nicht über sich, Palmyra zu verlassen. Ihm war klar, dass er hier sterben würde.

    Nur wenige Stunden, nachdem die letzten regulären syrischen Soldaten abgezogen waren, rückte eine Kolonne von sandgrau lackierten Toyota Pickups in die Wüstenstadt ein. Von jedem kletterten zehn bis zwölf schwer bewaffnete junge Männer. Sie traten die Tür des Bürocontainers ein, in dem Al Fahad sie erwartete und zerrten ihn nach draußen. Bevor man ihn auf eines der Fahrzeuge lud, musste er mit ansehen, wie einige der Islamisten begannen, die Ruinen mit Panzerfäusten zu beschießen. Dann zog man ihm einen schwarzen Sack über den Kopf und brachte ihn für immer fort aus Palmyra.

    Die Verhöre in dem Verlies in Rakka bekamen eine neue Wendung, als Al Fahad eines Tages einem Mann gegenübersaß, der nicht wie einer der üblichen brutalen Fanatiker aussah, die die letzten Tage auf ihn eingeprügelt hatten. Sinan Al Omair trug nicht wie die anderen IS-Krieger einen dreckigen, vom Wüstenstaub und der Sonne gezeichneten Kampfanzug. Der Chef des Geheimdienstes des Islamischen Staates legte Wert auf ein gepflegtes, westlich anmutendes Äußeres. Er trug einen leichten, gut geschnittenen Sommeranzug, ein weißes Hemd und eine dunkelblaue Krawatte. In Kontrast dazu stand die Kufya, das arabische Kopftuch auf seinem schwarzen Haar. Al Omairs Gesicht wurde von einem sorgfältig gestutzten Bart umrankt. Er erhob sich sogar, als man Al Fahad in den Raum führte.

    „Professor, ich möchte mich zunächst für die Umstände entschuldigen, die man Ihnen bereitet. Aber Sie müssen verstehen, dass die Männer nicht alle an der Universität studiert haben. Deshalb fehlt ihnen der nötige Respekt vor einem akademischen Grad. Bitte setzen Sie sich und trinken Sie einen Tee mit mir. Sie werden erkennen, dass nicht alles stimmt, was man heute über die Kämpfer Allahs in den Medien hört und sieht. Wir sind nicht die tumben Barbaren, für die man uns immer hält."

    Fahad starrte den Mann gebannt an. Ihm schmerzte noch immer der Rücken von den Schlägen, die er regelmäßig bekam.

    „Was wollen Sie von mir? Ich habe schon alles, was ich weiß, Ihren Männern erzählt."

    Al Omair lachte.

    „Was wollten meine Männer denn von Ihnen wissen?"

    „Ich sollte Ihnen sagen, wo die Schätze von Palmyra versteckt sind."

    „Aha. Und wo sind diese… Schätze?"

    Al Fahad schnaufte.

    „Das wissen Sie doch ganz genau. Alles, was wir evakuieren konnten, befindet sich jetzt in Damaskus. Und viele der eigentlichen Schätze haben Ihre Leute mit Panzerfäusten zerstört."

    Es schüttelte den alten Mann immer noch, wenn er an die Bilder dachte.

    Al Omair trank einen Schluck Tee.

    „Wissen Sie, Professor, mir ist schon klar, dass wir in Palmyra keine Schätze mehr finden werden. Sie hatten Zeit genug, alles Wertvolle wegzuschaffen. Und die besten Stücke sind sowieso seit vielen Jahren in der Hauptstadt. Ich selbst war vor einigen Jahren einmal als Tourist in Ihrer Ruinenstadt. Es war durchaus beeindruckend."

    „So beeindruckend, dass Sie jetzt alles zerstören?"

    „Nein, es ist der Wille Allahs. In Palmyra werden Götzen verehrt. Das können wir nicht zulassen. Es macht auch keinen Sinn, wenn Sie sich jetzt darüber aufregen. Sie können es sowieso nicht mehr verhindern. Niemand kann uns stoppen, denn wir vollstrecken den Willen Allahs und seines Propheten."

    „Wenn Ihnen klar ist, dass in Palmyra nichts mehr zu finden ist, was wollen Sie dann noch von mir?"

    Omair stand auf und begann, durch den Raum zu wandern.

    „Die Verhöre der letzten Tage dienten eigentlich nur dazu, Sie, nun ja, ein wenig weichzuklopfen. Es geht mir nicht um Palmyra. Das ist eine Ansammlung alter Ruinen, die wir in der nächsten Zeit alle sprengen werden. Ich brauche von Ihnen Informationen über etwas anderes, etwas bedeutsameres."

    Der Professor griff nach dem Teeglas und trank vorsichtig einen Schluck. Dann sah er zu Al Omair auf, der nun direkt vor ihm stand.

    „Und das wäre?"

    „Ich suche die Überreste von Akkad."

    Al Fahad wäre beinahe das Teeglas aus den Händen geglitten.

    „Akkad? Danach suchen die Wissenschaftler bereits seit über einhundertfünfzig Jahren. Wie kommen Sie darauf, dass ausgerechnet ich wissen soll, wo die Reste zu finden sind? Und warum ausgerechnet Akkad?"

    Al Omair setzte sich wieder an den Tisch und zog ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus der Innentasche seines Jacketts. Er beugte sich weit über den Tisch, nahe an das Gesicht des Professors.

    „Wir sind bei unseren… Eroberungen auf ein Dokument gestoßen, dass von dem Schatz des Sargon berichtet. Sie wissen schon, dem Sargon, der Akkad zu seiner Hauptstadt machte."

    Er faltete das Blatt auseinander.

    „Dies stand auf einer Tontafel, die wir in einem Museum in Mossul sichergestellt haben."

    „Und wie kommen Sie darauf, dass ausgerechnet ich weiß, wo Akkad und dieser Schatz, wenn er denn existiert, liegen soll?"

    Al Omair stand wieder auf und setzte seine Wanderung fort.

    „Professor, Sie sind jetzt achtzig Jahre alt und einer der bekanntesten Archäologen des Orients. Wenn Sie nicht wissen, wo diese Stadt zu finden ist, wer dann?"

    „Meinen Sie nicht, dass man sie schon längst gefunden hätte, wenn ich es wüsste."

    „Ich weiß, dass Sie kein Freund Saddam Husseins waren und keine Grabungserlaubnis im Irak bekommen hätten. Und den Amerikanern trauen Sie genau so wenig. Ich glaube, Sie wissen wo Akkad zu finden ist. Oder zumindest kennen Sie jemanden, der es weiß. Und entweder Sie oder dieser Jemand wird diesen Schatz für mich finden. Ich lasse Sie jetzt wieder in Ihre Zelle bringen. Sie haben bis morgen Zeit zum Nachdenken. Dann werde ich Sie persönlich vernehmen. Stellen Sie sich das bitte nicht so vor wie das, was man in den letzten Tagen mit Ihnen veranstaltet hat. Meine Methoden sind wesentlich effektiver. Sie müssen wissen, dass ich ein sehr ungeduldiger Mensch sein kann."

    Während man den sichtlich schockierten Professor zurück in den Keller brachte, schleppte ein junger Mann, unbeachtet von den Wachen, einen großen Topf Suppe in den Zellenblock. Gleichmütig öffnete er eine Tür nach der anderen und füllte den Gefangenen eine Kelle der dünnen Plörre in die Blechnäpfe. Als er Al Fahads Zelle erreichte, verharrte er einen kurzen Moment, bis die Wache aus dem dunklen Flur verschwunden war. Dann schlüpfte er in den muffigen, dunklen Raum. Al Fahad kauerte in der Ecke auf dem Boden und blickte nicht einmal auf. Der junge Mann hockte sich direkt vor ihn.

    „Professor Fahad, ich habe Sie gleich erkannt. Sie haben mal eine Vorlesung gehalten. In Damaskus."

    Der alte Mann blickte auf.

    „Mein Junge, ich habe viele Vorlesungen gehalten. Was kann ich für dich tun?"

    „Mein Name ist Sameh Al Kurdi. Ich habe in Damaskus Geschichte studiert und war in einigen Ihrer Vorlesungen."

    „Und was, Sameh Al Kurdi, machst du dann an diesem furchtbaren Ort?"

    „Ich habe meine Mutter in Rakka besucht, als mich der Daesch geschnappt hat. Seitdem muss ich hier arbeiten. Immer noch besser als für sie kämpfen zu müssen. Warum hat man Sie verhaftet? Sie hätten doch bestimmt nach Damaskus fliehen können?"

    „Sicher hätte ich fliehen können. Aber ich bin ein alter Mann. Wem kann ich noch nützlich sein? Ich habe gehofft, dass sie mich in Palmyra töten. Stattdessen hat man mich hierhergebracht."

    „Professor, ich kann Ihnen vielleicht helfen, von hier zu fliehen. Ich kenne einen Weg aus der Stadt. Lassen Sie uns heute Nacht von hier abhauen."

    Al Fahad lächelte und legte dem Jungen die Hand auf die Schulter.

    „Ich bin ein alter Mann. Wahrscheinlich würde ich nicht einmal den Weg aus diesem Gebäude überleben. Aber du kannst mir helfen. Bring mir einen Stift und ein Blatt Papier. Ich muss jemanden warnen. Und du wirst die Nachricht überbringen. Tust du das für mich?"

    Sameh nickte und verschwand aus dem Verlies. Zehn Minuten später war er zurück.

    „Die Wachen sind alle beim Gebet. Niemand hat etwas mitbekommen. Schreiben Sie schnell, Professor. In einer halben Stunde bin ich wieder da."

    Wie Al Fahad befürchtet hatte, konnte er der Folter der IS-Schergen nicht sehr lange standhalten. Sie bearbeiteten seinen ausgezehrten Körper einige Minuten mit Elektroschocks. Der Professor wünschte sich, zu sterben, um den qualvollen Schmerzen endlich ein Ende zu bereiten. Aber immer wieder wies Al Omair, der mit ausdruckslosem Gesicht in einer Ecke des kleinen Raumes saß, seine Männer an, eine kurze Pause einzulegen, um ihr Opfer danach mit noch größerer Intensität weiter zu quälen. Al Fahad hoffte, dass Sameh es geschafft hatte, die Stadt zu verlassen und brach schließlich sein Schweigen. Er flüsterte Al Omair mit letzter Kraft einen Namen ins Ohr, bevor er das Bewusstsein verlor und wieder in seine Zelle geschleppt wurde.

    Das alles war jetzt gut zwei Wochen her. Seitdem hatte man den Professor in seiner Zelle in Ruhe gelassen. Nun stieß man ihn vor die Kamera. Ein gut zwei Meter großer Kerl, der sein Gesicht mit einem Tuch verhüllt hatte, baute sich hinter ihm auf und schwenkte ein großes Messer durch die glühend heiße Luft. Das alles bekam Professor Al Fahad nicht mehr mit. Er hatte sich selbst in eine Art Trance versetzt. Seine Gedanken waren bei dem Menschen, dessen Namen er dem Geheimdienstchef des Islamischen Staates ins Ohr geflüstert hatte. Bevor die Klinge seinen Hals berührte, sprach er ein kurzes Gebet für Kathrin Bohm.

    Nahe Bagdad

    Zur gleichen Zeit, als ein aus Großbritannien stammender Dschihadist Professor Khaliq Al Fahad mit einem Messer den Kopf abtrennte, betrat Sinan Al Omair ein heruntergekommenes Gehöft etwa dreißig Kilometer nördlich von Bagdad. Allerdings hatte sein Äußeres keine Ähnlichkeit mehr mit der Person, die zwei Wochen zuvor im Folterkeller in Rakka das Verhör des alten Wissenschaftlers geleitet hatte.

    Al Omair trug eine zerschlissene Hose, die einmal Teil eines Kampfanzuges gewesen war, dazu eine khakifarbene Jacke, die auch schon bessere Tage erlebt hatte. Sein Gesicht wurde von einem schwarzen Vollbart umrahmt, eine Baseballmütze verdeckte sein kurzgeschnittenes dunkles Haar. Wenige Augenblicke zuvor war er aus dem Fahrerhaus eines klapprigen Kleinlasters geklettert und ohne aufzublicken in den Schatten des Hauses gelaufen. Er wusste um die Gefahr der allgegenwärtigen amerikanischen Drohnen, die bereits viele seiner Mitkämpfer getötet hatten. Und ihm war klar, dass er auf der Liste der meistgesuchten Terroristenführer ziemlich weit oben stand. Deshalb hatte er es sich zum Prinzip gemacht, außerhalb von Gebäuden niemals den Blick in den Himmel zu richten und so einer Drohne oder einem Satelliten die Gelegenheit zu geben, ein erstklassiges Foto von ihm zu schießen.

    Al Omair betrat die Hütte und blieb einen Moment stehen, um seine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. In einer Ecke flammte plötzlich ein Feuerzeug auf. Instinktiv griff er nach der Pistole, die er unter seiner Jacke verbarg.

    „Ganz ruhig, mein Freund. Wir sind hier beide allein. Und ich tue dir nichts."

    Omair atmete auf und steckte die Waffe weg.

    „Burlington, warum sitzt du hier im Dunkeln? Ich hätte dich beinahe erschossen."

    Der Amerikaner lachte trocken und begann im nächsten Moment zu husten. Er zündete eine Kerze an, die den Raum ein wenig erhellte. Im flackernden Schein des Feuers sah Omair eine Maschinenpistole auf dem Tisch liegen. Burlington streichelte mit der Hand darüber.

    „Glaubst du wirklich, ich hätte es soweit kommen lassen? Na los, Sinan, trink einen Tee mit mir. Einfach mal so auf die alten Zeiten."

    Zögernd setzte sich Omair auf einen klapprigen Hocker, den ihm der Amerikaner mit dem Fuß herüberschob.

    „Es ist lange her, Tom."

    „Sehr lange, mein Freund. Viel zu lange. Damals warst du noch ein kleines Licht in Saddams Geheimdienst. Aber inzwischen hast du ja richtig Karriere gemacht bei diesen Kopfabschneidern vom Islamischen Staat."

    „Bitte sprich nicht so über meine Brüder. Sie tun, was Allah ihnen befiehlt."

    Burlington machte eine wegwerfende Handbewegung.

    „Das ist doch Bullshit, mein Freund. Du hast früher nicht dran geglaubt und glaubst es auch heute nicht. Du bist doch ein Profi, nicht wahr?"

    „Ich diene meiner Sache. Wir erfüllen Allahs Willen. Das werdet Ihr Westler nie verstehen."

    „Sinan, mein Freund. Jetzt hör mir mal gut zu. Wir kennen uns jetzt fast zwanzig Jahre. Du warst damals im Irak meine beste Quelle. Und dafür wurdest du von Onkel Sam fürstlich bezahlt. Jetzt haben wir beide eine neue Mission. Mein Boss möchte den bösen Mann in Damaskus weghaben. Und dafür brauchen wir Euch. Kopfabschneiden hin oder her. Und du bist der Schlüssel. Du flüsterst Eurem Kalifen die Meinung ein. Keine Anschläge in den Staaten. Und wir sorgen dafür, dass euch nicht wirklich etwas passiert. Wie findest du das?"

    Ganz langsam fand Omair seine Selbstsicherheit wieder. Burlington war damals in Bagdad wie ein Vater für ihn gewesen. Für die Informationen aus der Zentrale des irakischen Geheimdienstes hatte er stets eine stattliche Geldsumme auf ein Schweizer Bankkonto überwiesen bekommen. Eigentlich könnte er sich mit dem Geld irgendwo auf der Welt zur Ruhe setzen. Aber ihn trieb noch immer diese eine Mission um, die ihn dazu gebracht hatte, sich nach der Niederlage Saddams und seines Regimes dem sunnitischen Widerstand und später dem Islamischen Staat anzuschließen. Seine Fähigkeiten als Geheimdienstoffizier und vor allem seine Skrupellosigkeit ließen ihn dabei schnell in der Hierarchie der Gotteskrieger aufsteigen. Beharrlich und fleißig baute er für das Kalifat einen Sicherheitsdienst aus alten Mitstreitern der Bagdader Zentrale auf. Seine Agenten waren inzwischen überall auf der Welt im Einsatz. In einem Keller in Rakka, vollgestopft mit modernster Computertechnik, liefen alle Fäden zusammen. Dort saß inzwischen ein Heer von Auswertern, den besten, die er in der arabischen Welt bekommen konnte, und sichtete die Flut von Meldungen und Berichten, die täglich hereinströmte. Und Sinan Al Omair war die Spinne in der Mitte des Netzes. Er entschied, welche Meldungen dem Kalifen und seinen Beratern vorgelegt wurden.

    „Die Angriffe der Amerikaner sind nicht das Problem, Burlington. Die Russen machen uns Sorgen. Ihre Bomber und Hubschrauber setzen uns inzwischen massiv zu. Der Kalif wird demnächst in ein anderes Hauptquartier wechseln. Rakka wird inzwischen immer häufiger angegriffen. Und du lässt mich in dieser Frage im Stich."

    Der Amerikaner schüttelte den Kopf.

    „Wir haben leider sehr wenig Einfluss auf die Russen. Die sitzen in ihrem Stützpunkt in Latakia und betreiben eine eigene Aufklärung. Die Air Force hat zwar einen Verbindungsoffizier dort, dem zeigen sie aber auch nicht alles. Tut mir leid, mein Freund. Aber in dieser Sache sind mir die Hände gebunden. Ihr hättet eben nicht ihr Flugzeug über dem Sinai runterholen sollen. Man zieht nicht einem Tiger am Schwanz."

    Omair schaute ihm direkt in die Augen.

    „Burlington, unternimm etwas! Wenn die Russen so weitermachen, gerät unser gesamtes Unternehmen in Gefahr. Dann können wir auch nicht mehr garantieren, dass Assad gestürzt wird. Das ist doch noch immer euer primäres Ziel, oder nicht?"

    „Unser primäres Ziel könnte sich mittelfristig verschieben, wenn eure Leute nicht damit aufhören, Gefangenen die Köpfe abzuschneiden. Die Weltöffentlichkeit verliert so langsam die Geduld mit uns. Die Frage, warum wir euch seit einem Jahr bombardieren, ohne dass sich nennenswerte Ergebnisse zeigen, wird immer lauter. Spätestens seit die Russen mitspielen und euch vor aller Welt den Arsch versohlen, sind wir ganz schön in der Bredouille. Auch wir brauchen mal Erfolgsmeldungen. Liefere mir irgendetwas, Sinan! Ein Ziel, eine Tankerkolonne, eine Panzereinheit oder einen bedeutungslosen Stützpunkt, den wir plattmachen können, um der Welt zu beweisen, dass wir ernsthaft dabei sind, den Islamischen Staat zu stoppen."

    Omair dachte nach. Dann griff er in seine Jacke, holte einen Zettel hervor und strich ihn auf der Tischplatte glatt.

    „Also gut, Burlington. Hier habe ich eine Uhrzeit und ein paar Koordinaten. Dort findet in zwei Tagen ein Treffen einiger Regionalführer unserer Organisation statt. Zwei dieser Männer stehen im Verdacht, mit der Al Nusra zu kooperieren. Vielleicht werden sie mit ihren Einheiten sogar überlaufen. Eigentlich wollte ich die Angelegenheit mit meinen eigenen Leuten regeln. Aber ich gönne euch den Triumph. Dafür möchte ich aber auch etwas haben. Du erinnerst dich doch bestimmt an die Mail, die ich dir vor ein paar Tagen geschickt habe?"

    Der CIA-Agent grinste und schnippte eine SD-Speicherkarte auf den Tisch.

    „Klar doch, Sinan. Ich habe meine Hausaufgaben gemacht. Obwohl ich mich immer noch frage, was das soll."

    Der Iraker griff nach der Speicherkarte und hielt sie gegen das Licht der Kerze, als könne er so erkennen, was sich darauf

    befindet.

    „Gibst du mir eine Kurzfassung?"

    „Kathrin Bohm, geboren 1959 in Ostdeutschland, Doktor der Archäologie. Eine echte Koryphäe in ihrem Fach. Hochangesehen, Professuren an allen bedeutenden Universitäten dieser Welt. Spezialisiert auf die Geschichte Mesopotamiens. Hat etliche Bücher geschrieben."

    Omair ließ die Speicherkarte sinken.

    „Erzähle mir was Neues. Etwas, das ich noch nicht über sie weiß. Googeln kann ich selbst, Burlington."

    „Okay, das war ja auch nur die Einleitung. Derzeit hat sie eine Stelle in Berlin, wird allerdings demnächst wechseln. Wohin ist noch offen, wahrscheinlich hat sie sich noch nicht entschieden. Angebote gibt es wohl genug. Sie ist geschieden, ihr Ex-Mann, ein Arzt, der früher die ganz hohen Tiere der ostdeutschen Regierung behandelt hat, ist vor ein paar Jahren gestorben."

    „Hat sie Kinder?"

    „Einen Sohn, der nach der Scheidung beim Vater aufgewachsen ist. Christoph Schwabe. Der ist ebenfalls Arzt. Hat dem Vernehmen nach kaum Kontakt zu seiner Mutter. Und nun die gute Nachricht: Er arbeitet zurzeit für Ärzte ohne Grenzen in Kunduz. Ist offenbar einer von diesen Weltverbesserern."

    Omair schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Die Kerze wackelte.

    „Das sind doch mal Neuigkeiten! Ich werde…"

    Burlington hob die Hand.

    „Es gibt allerdings auch noch schlechte Nachrichten. Der Bruder unserer Frau Doktor ist Peter Bohm. Ehemaliger Spezialagent beim ostdeutschen Geheimdienst. Und ausgerechnet der war in den letzten Jahren an diversen Aktionen beteiligt, in denen eure Glaubensbrüder ordentlich auf die Fresse gekriegt haben. Und das meistens in privater Mission."

    Omair schaute überrascht auf.

    „Ist mir da was entgangen?"

    Der Amerikaner zuckte mit den Schultern.

    „2011 im Südsudan. Der großangelegte Putsch, den ihr mit Hilfe der Chinesen durchziehen wolltet. Wo quasi der Vorläufer eures islamischen Staates gegründet werden sollte. Peter Bohm gehörte zu den Truppen, die eure Kämpfer bei der Landung auf dem Flughafen empfangen und restlos aufgerieben haben."

    Der Iraker erinnerte sich mit einem leichten Schauer auf dem Rücken an die damalige Aktion. Seinerzeit wurde die Idee eines Allah geweihten Staates im Kugelhagel südsudanesischer Truppen und einer privaten kenianischen Sicherheitstruppe in Blut ertränkt. Diese Niederlage schmerzte noch immer, gab aber gleichzeitig der Gründung der Bewegung des islamischen Staates im Nahen Osten neuen Nachdruck.

    „Der Name sagt mir nichts. Arbeitet er als Söldner?"

    „Nach unseren Erkenntnissen ist er immer mal wieder privat in diese Sachen verwickelt. Er hat in den Neunzigern mit Waffen gehandelt und kennt vor allem in Afrika eine Menge einflussreicher Leute. Und es wird gemunkelt, dass er zum Führungszirkel der African Guards gehört. Dieser Privatarmee in Kenia, die euch im Südsudan in die Suppe gespuckt hat."

    „Du meinst, er könnte Ärger machen, wenn wir Kontakt zu seiner Schwester aufnehmen?"

    „Irrtum, mein Freund. Er könnte keinen Ärger machen. Er wird mit Sicherheit Ärger machen. Dieser Mann ist ein Krieger. Und mit den Kenianern ist ebenfalls nicht zu spaßen. Auf der Speicherkarte findest du noch mehr Informationen. Bohm hat eine ziemlich eindrucksvolle Vita. Und die Agency führt bereits eine ziemlich dicke Akte über seine Aktivitäten. Einige Leute in den Staaten haben auch noch eine Rechnung mit ihm offen. Ganz inoffiziell natürlich."

    „Das heißt, wir müssen uns zuerst um ihn kümmern."

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