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Der Würger von Hietzing: Die Gnä' Frau ermittelt
Der Würger von Hietzing: Die Gnä' Frau ermittelt
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eBook297 Seiten3 Stunden

Der Würger von Hietzing: Die Gnä' Frau ermittelt

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Über dieses E-Book

Eine vornehme Dame auf Mörderjagd? Warum denn nicht?, denkt sich Frau Ehrenstein, als die Tante ihres Dienstmädchens Bianca erdrosselt aufgefunden wird. Schließlich wünscht sich Frau Ehrenstein schon lange etwas Abwechslung von ihrem gleichförmigen Wirken als Hausherrin im exklusiven Wiener Stadtteil Hietzing, das sich eigentlich schon in der morgendlichen Inspek­tion der Dienerschaft erschöpft. Gelegentliche Ausflüge in den Tierpark Schönbrunn mit ihrem Sohn Willi oder Abende in der Oper sind zwar schön, aber eben auch nicht wirklich tagesfül­lend. Man könnte glatt meinen, Frau Ehrenstein lebe im 19. Jahrhundert und nicht in den 1970er Jahren, in Zeiten von Glamrock, LSD und Blu­ menkindern. Weil sich die gnä' Frau in Stöckel­ schuhen schlecht ins Verbrechermilieu begeben kann, bittet sie kurzerhand ihr neues Hausmäd­chen Marie um Hilfe, mit der sie nicht nur die Leidenschaft für Filme und Whiskey verbindet. Die gemeinsame Suche nach dem Würger von Hietzing gestaltet sich deutlich abenteuerlicher, als Frau Ehrenstein sich das hat träumen lassen.
SpracheDeutsch
HerausgeberOKTOPUS by Kampa
Erscheinungsdatum26. Aug. 2021
ISBN9783311703013
Der Würger von Hietzing: Die Gnä' Frau ermittelt
Autor

Constanze Scheib

Constanze Scheib wurde 1979 in Wien geboren, wo sie auch aufgewachsen ist. Das merke man, sagt sie: an der Färbung ihrer Sprache, an ihrer »manchmal bisserl ruppigen Liebenswürdigkeit« und an ihrem speziellen schwarzen Humor. Nach der Schule absolvierte sie eine Schauspielausbildung und stand in den folgenden Jahren auf diversen österreichischen Bühnen. Schon in dieser Zeit begann sie – »zum Amüsement meiner Lieben« –, Kurzgeschichten und Theaterstücke zu schreiben. Seit 2014 werden ihre Erzählungen veröffentlicht, seit 2019 ist sie Mitglied der »Mörderischen Schwestern«, einem Netzwerk zur Förderung der deutschsprachigen Kriminalliteratur von Frauen. Constanze Scheib lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Wien.

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    Buchvorschau

    Der Würger von Hietzing - Constanze Scheib

    Ich möchte Ihnen raten, Miss Marple, weniger Kriminalgeschichten zu lesen. Ein hübscher Liebesroman wäre viel beruhigender.

    Der Wachsblumenstrauß (1963, Regie: George Pollock)

    1

    Ein verwortakelter Morgen

    Das Geräusch von zersplitterndem Geschirr ließ Frau Ehrenstein zusammenzucken. Der feine Pinsel zog eine dunkelbraune Linie quer über ihre Stirn. Missbilligend betrachtete sie das Malheur im Spiegel. Auf der rechten Seite eine perfekt geschwungene Augenbraue, links ein verwortakeltes Konstrukt, das an eine Zeichnung Picassos erinnerte. Sie hörte aufgebrachtes Geschnatter im Erdgeschoss, bis die strenge Stimme von Frau Berkovics die anderen zum Schweigen brachte. Frau Ehrenstein seufzte und tupfte ihre Stirn mit einem Wattebausch ab. Selbstverständlich müsste sie dort unten nach dem Rechten sehen, das wurde von ihr als Hausherrin erwartet. Doch sie würde sich hüten, mit einer unfertigen Augenbraue vor ihren Bediensteten zu erscheinen. Wenn sie sich schon mit so etwas befassen musste, dann wenigstens mit Stil.

    Nachdem sie ihre Braue wieder hergestellt hatte, ging sie die breite Treppe hinunter. In der Eingangshalle wäre sie fast über Marie gestolpert. Mit Kehrblech und Besen in der Hand hockte das Dienstmädchen auf dem grauen Marmor und suchte konzentriert den Boden ab. Ihr dunkelbraunes Haar war zu einem strengen Dutt zurückgebunden, über dunklem Rock und Bluse trug sie eine weiße Schürze. Frau Ehrenstein hatte ihrem Mann gegenüber erst kürzlich wieder angemerkt, dass diese Uniform für Hausangestellte im Jahr 1972 antiquiert wirkte. Ohne von seiner Zeitung aufzusehen, hatte Oskar einen tiefen Seufzer ausgestoßen, enerviert den Kopf geschüttelt und ihr erklärt, dass dies in diesem Haus seit jeher Usus sei. Es sei ihre gemeinsame Pflicht, die Traditionen zu wahren und das letzte Bollwerk gegen die Hippies da draußen zu sein. Außerdem müsse man die Dienerschaft von den Herrschaften unterscheiden können.

    Marie richtete sich aus der Hocke auf und machte einen Knicks, nur um sich gleich wieder auf den Boden zu begeben.

    »Gnä’ Frau.«

    Frau Ehrenstein verschränkte die Arme vor ihrer Brust und hob eine perfekt geschwungene Augenbraue.

    »Der Bianca san die Tassen vom Tablett g’rutscht. Dann is sie heulend wegg’rennt, wie die Berkovics sie ang’keift hat. Und dreimal dürfen’S raten, wer die Wirtschaft hat wegmachen dürfen!«

    »Was hat’s leicht? Die Bianca? Sonst ist sie ja auch nicht so ungeschickt!«

    Ohne aufzusehen, murmelte die junge Frau: »Was waaß i?«

    Der Duft von frischem Kaffee wehte Frau Ehrenstein entgegen, als sie das Esszimmer betrat. Ihr Mann Oskar war in die Morgenausgabe der Presse vertieft und aß dabei eine Eierspeis mit einer Semmel. Ihr Sohn, den sie Willi rief, während ihr Mann auf das vollständige Wilhelm bestand, hatte sich hinter einem Comicbuch mit dem Titel Silberpfeil verschanzt. Sie saßen morgens immer an einem Ende der langen Tafel, um die sich an manchen Abenden die einflussreichsten Wiener zu Gesellschaften versammelten.

    »Guten Morgen!«

    Sie setzte sich neben ihren Mann und nahm vorsichtig einen Schluck vom Kaffee. Sie konnte am Geschmack feststellen, ob er vom Koch oder von Frau Berkovics aufgebrüht worden war. Der von ihrer böhmischen Haushälterin ließ Frau Ehrensteins Hände zittern und ihr Herz mit zehnfacher Geschwindigkeit hämmern.

    »Guten Morgen, Mama!« Willi winkte kurz in ihre Richtung.

    »Guten Morgen!«, murmelte ihr Mann. Brösel fingen sich in seinem kurz getrimmten Schnauzer.

    Frau Ehrenstein köpfte mit einem präzisen Schlag das weich gekochte Ei, das vor ihr in einem silbernen Becher stand.

    Früher hatte sie noch versucht, angeregte Gespräche am Frühstückstisch zu führen. Ihre beiden Männer zu fragen, was sie für den Tag geplant hatten, oder zu erzählen, welchen Film sie am Vorabend gesehen hatte. Doch Willi war es immer wichtiger geworden, vor der Schule noch etwas zu lesen, was ihm Freude machte. Und Oskar hatte selten anders als mit einer abfälligen Bemerkung reagiert – über ihre Kleidung, ihre Filmbegeisterung, ihr Interesse an Musik und Whisky. Ihr moderner Geschmack löste bei ihm nur Unmut aus. Außerdem wollte er in Ruhe seine Zeitung lesen. All das hatte Frau Ehrenstein resignieren lassen. Nun verbrachte die Familie ihre Morgen schweigend an diesem viel zu großen Tisch. Nur Willis Schlürfen und das Klirren von Oskars Löffel waren zu hören.

    Schließlich erhoben sich beide gleichzeitig wie auf ein unausgesprochenes Stichwort. Ihr Mann verließ geschäftig das Zimmer, und ihr Sohn drückte Frau Ehrenstein einen milchfeuchten Kuss auf die Wange.

    Sie strich ihm übers Haar und richtete seine blaue Uniform. »Lern brav, Willi.« Sie küsste ihn auf die Stirn, und er trottete hinaus.

    Frau Ehrenstein trank in großen Schlucken die Tasse leer und betrachtete Oskars hingeworfene Zeitung. Ein Foto auf der Titelseite zeigte den Skiläufer Karl Schranz und eine Menschenmenge am Heldenplatz. Sie verzog den Mund und schüttelte den Kopf. Nur in Österreich war es möglich, dass einem Sportler ein Staatsempfang bereitet wurde, weil er nicht bei den Olympischen Spielen antreten durfte. Auf der Suche nach dem Kinoprogramm blätterte sie zügig durch den Lokalteil – etwas über Diebstähle von Autoteilen, der Bezirksvorsteher hatte ein Bäumchen gepflanzt, eine Frau war erwürgt worden. Frau Ehrenstein hielt kurz inne, denn das erinnerte sie an einen alten Edgar-Wallace-Film mit Bela Lugosi, Der Würger von London oder so ähnlich. An den Inhalt erinnerte sie sich kaum noch, nur an die gruselige Fratze des Mörders und die stets perfekt liegende Frisur der Heldin.

    Heute Abend gab es nichts Interessantes im Parkkino, also blieb ihr der Fernseher oder ein Buch. Frau Ehrenstein betastete ihr Haar, um den Zustand ihrer Hochsteckfrisur zu überprüfen, und strich ihre Stoffhosen glatt. Ihre einzigen Aufgaben als Hausherrin bestanden darin, sich den Regeln des Hauses unterzuordnen und dabei hübsch auszusehen. Wenigstens von Zweiterem war sie nie gelangweilt, und so war es fast schon zum Tick geworden, ständig den Zustand ihres Aussehens zu überprüfen.

    »Heute wird’s spät, ich bleib sicher bis elf im Büro.«

    Im Vorzimmer half Marie Oskar in den Kamelhaarmantel und reichte ihm Hut und Aktentasche.

    »Spät werden« war in gehobenen Kreisen die Chiffre für: »Ich verbringe Zeit mit meiner Geliebten.« Das erschütterte Frau Ehrenstein nicht weiter. Im Gegenteil, da sie das Haus für sich haben würde, wusste sie schon ganz genau, was sie heute Abend machen wollte. Doch zuvor musste sie eine weitere Pflicht hinter sich bringen.

    Die morgendliche Inspektion der Dienerschaft war ein lästiges Übel, außerdem wirkte es auf die Dame lächerlich, wie die Angestellten in einer Reihe auf ihre Billigung warteten. Dennoch bemühte sich Frau Ehrenstein um einen betont seriösen Gesichtsausdruck und widmete ihre Aufmerksamkeit der Haushälterin Frau Berkovics. Diese baute ihren fülligen Körper zur vollen Größe auf und verkündete in militärischer Manier:

    »Gnä’ Frau, heute keine Ausfälle, keiner krank, keiner verhindert. Am Nachmittag hat sich der Glaser ang’meldt, für die Fenster im oberen Stock. Ansonsten alles wie gehabt.«

    Früher hatte Frau Ehrenstein die Bediensteten nach ihrem Befinden befragt und auf lose Fäden an den Schürzen oder nicht ausreichend polierte Schuhe hingewiesen. Doch anstatt ihren Einsatz zu würdigen, hatte Frau Berkovics pikiert und gereizt reagiert. Frau Ehrenstein erkannte rasch, dass von ihr nicht mehr erwartet wurde, als einfach anwesend zu sein und alles abzunicken, was das Hausfaktotum penibel vorbereitet hatte. Das war ihre Rolle jeden Morgen in diesem Schauspiel.

    Der Erste in der Reihe war der Koch, der eine Karikatur seines Berufsstandes war. Ein dicker, rotgesichtiger Mann mit einer viel zu kleinen Kochhaube, unter der zerfranste graue Haarbüschel herausragten. Um ihn schwirrte ein faszinierendes Geruchspotpourri aus Knoblauch, Zwiebel, etwas Rosmarin und ein paar Noten, die sie nicht zuordnen konnte. Es gab noch ein Aroma, so dezent, dass jemand anderes es nicht bemerkt hätte, aber Frau Ehrenstein entging so etwas nicht. Außerdem war ihr der süßliche Duft von Sherry wohlbekannt.

    Die Nächste in der Reihe war Marie, ihr Blick leicht nach unten gerichtet und, wie immer, tadellos in Aufmachung und Haltung. Daneben stand Bianca, das zweite Dienstmädchen. Sie wirkte wie ein Häuflein Elend. Blonde Haarsträhnen standen aus ihrem Dutt, ihre Augen waren rot und geschwollen, ihre Schürze zerknittert. Hinter Frau Ehrenstein sog die Haushälterin die Luft durch die Nase lautstark ein. Es grenzte an ein Wunder, dass Frau Berkovics ihr das Mädchen in diesem Zustand vor die Nase gestellt hatte. Außer natürlich die Alte legte es darauf an, dass Bianca von der Dame des Hauses eine Rüge bekam.

    Frau Ehrenstein missfiel es, als Werkzeug für Frau Berkovics’ Spielereien zu dienen. Sie verzog keine Miene und ging weiter, um sich dem Küchenmädchen zu widmen. Ihre Gedanken schweiften dabei aber zu dem zerzausten Dienstmädchen, und sie fragte sich, was die ganze Aufregung zu bedeuten hatte.

    2

    Whisky zum Polieren

    Der Kronleuchter tauchte das untere Stockwerk in ein mattes Licht, das dem alten Haus einen noch ehrwürdigeren Charakter verlieh. Frau Ehrenstein schritt die breite, geschwungene Treppe in die Eingangshalle hinunter. Wenn man das antike Interieur und die vorbeihuschenden Dienstmädchen mit ihren Schürzen sah, konnte man sich in einem Haushalt rund um die Jahrhundertwende wähnen, dachte sie. Wieder einmal überkam sie das Gefühl, in dieser Umgebung fehl am Platz zu sein. Ihr Tag war voll und gleichzeitig ereignislos gewesen. Nach der Inspektion hatte sie noch die Arbeits- und Küchenpläne abgenickt. Dann ein Spaziergang mit ihrer Mutter in Schönbrunn, ein Gespräch mit dem Glaser und Betthupferl schauen mit ihrem Sohn Willi. Doch nun lag der Abend vor ihr, und sie freute sich darauf.

    Bianca trippelte ins Vorzimmer. Sie hatte ihre schwarzen flachen Arbeitsschuhe gegen beige Pumps getauscht. Frau Ehrenstein hatte einen Blick für gehobene Garderobe. Die sehen aber nicht billig aus, stellte sie verwundert fest.

    Frau Berkovics kam, fest eingehüllt in einen Wollmantel, einen dunklen Hut mit ein paar wackelnden Federn auf dem Kopf, schweren Schrittes hereingestapft. Hinter ihr folgte Marie, die sich gerade ihre Handschuhe überstreifte. Frau Berkovics nickte Frau Ehrenstein knapp zu.

    »Gnä’ Frau, wir sind fertig für den Tag, falls Sie nix mehr brauchen.«

    Ein Routinesatz, der jeden Abend dieselbe Antwort von der Dame des Hauses zur Folge hatte:

    »Danke, Frau Berkovics. Wir sehen uns morgen!«

    Nun, fast jeden Abend.

    »Da wär noch was …«, sagte Frau Ehrenstein.

    »Mit Verlaub, gnä’ Frau?«

    »Mein Gatte bemerkte heute beim Frühstück, dass das Silber nicht tadellos poliert war. Ich wäre untröstlich, wenn das morgen früh noch immer der Fall wäre.«

    »Selbstverständlich, gnä’ Frau! Welch ein Jammer, dass Ihnen das erst jetzt einfällt. So kurz vor Feierabend …«

    »Welch ein Jammer«, entgegnete die Hausherrin, »dass Ihnen das nicht schon früher aufgefallen ist, Frau Berkovics. Oder sagen’S, ist es meine Pflicht, auf den Zustand des Bestecks achtzugeben?«

    Die Haushälterin krallte die Finger in den Stoff ihres Mantels, doch auf ihrem Gesicht entfaltete sich ein ehrerbietiges Lächeln.

    »Selbstverständlich nicht, gnä’ Frau! Bitte vielmals um Verzeihung.«

    »Nun, wer soll sich dieser Arbeit annehmen?«, fragte Frau Ehrenstein, die es sich in den letzten Jahren zum Hobby gemacht hatte, Frau Berkovics zu provozieren.

    Frau Ehrenstein sah, dass Marie konzentriert den Plafond musterte, um nicht loszuprusten.

    »Scho recht, Frau Berkovics. I mach des scho«, verkündete sie hastig.

    Die beiden anderen atmeten unisono auf und verabschiedeten sich rasch. Als die Haustür ins Schloss gefallen war, zog Marie den Mantel wieder aus.

    »Also, wirklich, gnä’ Frau! Hat des jetzt sein müssen?«

    »Ach, gehn’S, Marie! Ein Glaserl wird Sie schon nicht umbringen!«

    Sie betraten das vom Kaminfeuer wohlig warme Wohnzimmer, und Frau Ehrenstein schenkte beiden bernsteinfarbenen Whisky ein, während sich Marie in einen der Ohrensessel fallen ließ.

    Zwei Monate war es nun her, dass die beiden zum ersten Mal hier gesessen hatten. Marie hatte eines Abends an der Tür geläutet und sich um die vakante Stelle als Dienstmädchen beworben. Auch da war Frau Ehrenstein allein zu Hause gewesen und hatte sich fadisiert, also hatte sie die junge Frau hereingebeten. Anfangs sprachen sie über die Anstellung und Maries hervorragende Zeugnisse. Sie hatte bereits in sehr jungen Jahren zu arbeiten begonnen. Das interessierte Frau Ehrenstein, deren Jugend so ganz anders verlaufen war, und bald unterhielten sie sich angeregt über ihre Herkunft, ihre Erziehung, dann auch ihre Vorlieben und Lieblingsbeschäftigungen. Sie entdeckten, dass sie die Leidenschaft für Musik und Filme teilten. Die Kriminalfilme, die Frau Ehrenstein so sehr schätzte, fand Marie zu aufreibend, doch dafür liebte sie Komödien. Beide waren sich einig, dass Marianne Mendts jazzige Stimme zum Besten gehörte, was Österreich zu bieten hatte, und dass sie beim Songcontest einen weit besseren als den sechzehnten Platz verdient hätte. Als es immer später wurde und sie bereits das dritte Glas Whisky getrunken hatten, begann Marie von ihrem verstorbenen Vater zu erzählen und von ihrer Mutter, die sie seitdem versorgen musste. Von ihrer Arbeit als Dienstmädchen, die ihr viel abverlangte, aber wenigstens eine anständige war. Von dem alten ungarischen Ehepaar, das selbst kaum noch Geld gehabt hatte und sie deswegen wenige Tage zuvor entlassen musste. Da war Frau Ehrenstein zweierlei bewusst geworden: erstens, dass diese junge Frau mit ihren zweiundzwanzig Jahren mindestens doppelt so viel erlebt hatte wie sie selbst, die zehn Jahre älter war. Und zweitens, dass sie sich nicht erinnern konnte, wann sie zum letzten Mal ein so tiefgründiges Gespräch geführt hatte.

    Seitdem hatten die beiden sich immer wieder zum Plaudern und Whiskytrinken hierher zurückgezogen. Heimlich, denn Marie fürchtete einen schlechten Stand bei den anderen Dienstboten – sie wollte nicht gleich als Liebling der Herrschaft gelten. Als Frau Ehrenstein sie einmal gefragt hatte, warum sie sich zu den Treffen bereit erklärte, hatte Marie geantwortet:

    »Wissen’S, i hackel den ganzen Tag, und danach braucht mich halt mei Mutter. Hier, mit Ihnen, kann i afoch nur sein.«

    Marie nahm einen Schluck und schloss die Augen.

    »Gut, nicht?« Frau Ehrensteins Freude war unüberhörbar.

    »Sehr. Des is a Neuer, net woahr?«

    »Gut erkannt! Den hab ich von meinem italienischen Importeur. Ein 15-jähriger Laphroaig. Die Brennerei wird von einer Frau geleitet, können Sie sich das vorstellen? Ein Schotte wieder, aber viel rauchiger als der andere, nicht?«

    »Da meint man richtig, man würd eine Zigarre rauchen!«

    »Wann haben wir den Letzten ausprobiert? Vor zwei Wochen?«

    »Vor einer, gnä’ Frau. Da ham’S g’meint, die Hemden vom gnädigen Herrn wär’n net g’scheit bügelt.«

    Dann erzählte Marie von einer Komödie von Franz Antel, in der ein Affe die Hauptrolle spielte. Der Film war erwartungsgemäß etwas seicht, zeigte dafür schöne Bilder von Wien. Frau Ehrenstein berichtete von dem neuen Tony-Christie-Album, das sie sich unbedingt zulegen wollte. Sie unterhielten sich gerade lachend über ein Rülpskonzert von Willi, nachdem er ein halbes Dutzend Kracherl getrunken hatte, als Marie aufstand.

    »Wollen’S noch ein Glaserl?«, fragte Frau Ehrenstein eifrig.

    »Na. Dank’schön, gnä’ Frau.«

    Die junge Frau verließ das Zimmer mit dem Glas in der Hand durch eine Seitentür. Frau Ehrenstein dämmerte, was sie vorhatte. Sie schnappte sich die Whiskyflasche von der hölzernen Anrichte, die als Hausbar fungierte, bevor sie dem Dienstmädchen in die Küche folgte.

    »Ach, kann das nicht noch ein wengerl warten?«

    »Gnä’ Frau, die Berkovics wird morgen als Erstes schauen, ob ich des Silber a g’scheit poliert hab. Des schaut sonst a bissl deppat aus, wissen’S?«

    Marie platzierte Putzmittel und die Besteckschublade auf dem alten Küchentisch, zog sich helle Stoffhandschuhe über und begann mit ihrer Arbeit.

    Frau Ehrenstein vergaß gerne, dass ihre kleinen Lügen, um Marie länger dazubehalten, für das Dienstmädchen auch Konsequenzen hatten. Marie war viel zu vernünftig, um ihre Pflichten zu vernachlässigen. Frau Ehrenstein kam sich dumm vor, und in ihr regte sich ein schlechtes Gewissen.

    »Na, setzen’S sich her, gnä’ Frau!«, sagte Marie beschwichtigend. »Und schenken’S Ihnen noch was ein. Ich weiß jetzt nämlich, was mit der Bianca los is.«

    Ihr Ton verhieß Spannendes, also beeilte sich die Dame, der Einladung zu folgen.

    »Sein’S halt net so streng mit ihr, gnä’ Frau. Wenigstens grad im Moment. Der Bianca ihre Tante is hamdraht worden. So a Nachricht würd a jede mitnehmen.«

    »Was meinen’S jetzt mit hamdraht?«

    »Na, die Tant von der Bianca wurde umgebracht.«

    »Das hab ich verstanden. Aber wie? Und wieso?«

    »Erdrosselt, hat die Bianca g’sagt. Und wieso? Wer kann des scho sagen? Allerdings gab’s da scho paar Theorien von den andern.«

    Behutsam legte Marie eine Gabel auf ein Geschirrtuch und nahm eine neue. Frau Ehrenstein ertrug die Spannung kaum und war kurz davor, die junge Frau anzuherrschen, dass sie endlich Tacheles reden solle. Der alltägliche Klatsch in ihren Kreisen über fremdgehende Ehepartner, Unterschlagungen oder Konkurserklärungen langweilte sie nur noch. Doch ein Mord in ihrer unmittelbaren Umgebung – das war etwas Neues.

    »Welche Theorien?«

    »Ich weiß ja net, inwieweit Sie den Lokalteil lesen, aber die letzt’n Monat hat’s an Hauf’n solcher Morde geb’n.«

    »Einen Haufen?«

    »Drei oder vier, glaub ich. Immer ältere alleinstehende Frauen. Immer z’Haus. Erdrosselt und ausg’raubt.«

    Frau Ehrenstein erinnerte sich an die kurze Meldung in der Zeitung, die sie an Bela Lugosi und Edgar Wallace hatte denken lassen. Konnte es sein, dass es sich bei der Erwürgten, von der die Rede gewesen war, um Biancas Tante gehandelt hatte?

    »Und morgen muss zur Polizei deswegen. Um eine Aussage zmach’n, hat’s g’sagt. Grausliche G’schicht.«

    »Sagen’S bloß!«

    »Ja, und ihr geht a bissl der Reis, weil’s da allein hinmuss, die arme Seel!«

    Frau Ehrensteins Herz schlug schneller, und sie trommelte unruhig mit ihren roten Fingernägeln auf die Arbeitsplatte.

    »Tatsächlich? Angst hat’s, die arme Seel …«

    3

    Frau Ehrenstein greift dem Hascherl unter die Arme

    Am späten Vormittag war Oskar in der Arbeit und Willi in der Schule. Das Personal war an seinem Platz und verrichtete seine Arbeiten. Als Frau Ehrenstein die Küche betrat und den Anwesenden einen schönen Tag wünschte, zuckten alle zusammen.

    Eigentlich sollte sie bei einem Spaziergang mit ihrer Mutter bei der Gloriette sein. Doch als Marie in der Nacht zuvor schließlich die Villa verlassen hatte, war die Dame viel zu aufgekratzt gewesen, um zu Bett zu gehen. Sie hatte den Artikel über die erwürgte Frau noch einmal genauer gelesen.

    Am Dienstagnachmittag wurde eine 73-jährige Frau von ihrer Nachbarin tot in ihrem Haus in der Wittegasse aufgefunden. Laut Polizei wies der Leichnam Würgemale auf, Bargeld sowie Wertgegenstände wurden entwendet. Vom Täter fehlt jede Spur.

    Doch das hatte ihre Neugier nicht befriedigt, also hatte sie die älteren Zeitungen, die neben dem Kamin als Anheizer aufbewahrt wurden, durchstöbert. Die Presse war eine konservative Zeitung, die sich zwar mehr um Politik und Wirtschaft kümmerte als um Kriminalfälle, aber dennoch hatte Frau Ehrenstein ein paar Informationen finden können. In ihrem eigenen Grätzel, nur ein paar Straßen von ihrer Haustür entfernt, waren in den letzten Monaten offenbar mehrere Raubmorde verübt worden. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass im feinen, verschlafenen Hietzing, das für Frau Ehrenstein immer eine Insel der Seligkeit gewesen war, etwas derart Brutales geschehen konnte. Vielleicht ein paar B’soffene, ein bissl ein Vandalismus oder ein Taschendiebstahl – es war ja eine gute Gegend … Aber dass ein Mörder sein Unwesen trieb, noch dazu einer, der Frauen erwürgte!

    Frau Ehrenstein empfand keine Besorgnis oder gar Angst. Schon lange wünschte sie sich, dass sich in ihrem Leben etwas Abenteuerliches ereignete. Und das hier war sogar noch spannender als die Filme, die sie so mochte, denn es war zum Greifen nah.

    Neun Jahre war es her, dass die gnä’ Frau in die Ehrenstein’sche Villa gekommen war. Von einem Tag auf den anderen war sie vom Mädchen Helene zur Dame Frau Ehrenstein geworden. Sie stammte aus gut situiertem Elternhaus und hatte eine hervorragende Bildung erhalten, war also keine schlechte Partie. Doch die Familie Ehrenstein gehörte zu den reichsten, angesehensten und traditionsreichsten Familien Wiens. Durch ihre Heirat war Helene zwar in höhere Kreise aufgestiegen, aber sie gehörte nicht recht dazu. In ihrem Elternhaus hatten Ungezwungenheit und Herzlichkeit geherrscht, einen so großen und alteingesessen Haushalt mit zahlreichen Angestellten wie die Villa Ehrenstein kannte

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