Die Evolutionsmaschine
Von Manfred Weinland und W. K. Giesa
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Über dieses E-Book
Das interstellare Raumschiff COLUMBUS kehrt nach dreißig Jahren von ihrer durch die Weltraumtiefen führende Forschungsreise zur Erde zurück.
Doch dort ist nichts mehr, wie es einst war. Terra ist fremder als der fremdeste Planet geworden.Und wo sind bloß all die Menschen geblieben?
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Die Evolutionsmaschine - Manfred Weinland
Die Evolutionsmaschine
von W.K. Giesa & Manfred Weinland
Der Umfang dieses Buchs entspricht 142 Taschenbuchseiten.
Drei Stockwerke über ihm meldete Janos Skodvik in diesem Augenblick: »Durchstoßen gerade die Transpluto-Schale! Geschwindigkeit nahe Licht. Kein Funkverkehr mehr möglich ..."
Das interstellare Raumschiff COLUMBUS kehrt nach dreißig Jahren von seiner durch die Weltraumtiefen führende Forschungsreise zur Erde zurück.
Doch dort ist nichts mehr, wie es einst war. Terra ist fremder als der fremdeste Planet geworden. Und wo sind bloß all die Menschen geblieben?
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author / Titelbild: 3000AD/123RF mit Steve Mayer, 2020
© dieser Ausgabe 2020 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
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1
In der Weltraumschwärze funkelte ein Diamant.
Blaugrün und weiß schimmerte der Planet vor dem schwarzen Samttuch des sternenübersäten Alls. Die Bildwiedergabe holte ihn mit abertausendfacher Vergrößerung in die Zentrale des Raumschiffs. Dreidimensional und gestochen scharf erschien die Projektion eines Planeten, der so nahe schien und doch noch so unendlich fern war.
Torre Perr atmete tief durch, beugte sich kaum merklich vor und streckte einen Arm aus. Die Fingerkuppen berührten Steuerschalter und brachten sie in andere Positionen. Die Verzögerung der COLUMBUS wurde stärker, war aber nur an den Anzeigen der Instrumente erkennbar. Hier draußen, an den Grenzen der Unendlichkeit, gab es kaum Bezugspunkte.
Perr, mit 30 Jahren einer der jüngsten Raumkapitäne, lächelte. Fast zehn Jahre hatte ihre Reise gedauert, und über zwanzig auf der Erde, der sie sich jetzt wieder näherten. Zwei Zusatzschirme zeigten die Feldlinien des Sol-Systems und mittels Falschfarbenprojektion auch die Stellung der Planeten zueinander. Starke Taststrahlen griffen in die Unendlichkeit hinaus, verglichen die tatsächlichen Konstellationen der solaren Weltenkugeln mit den errechneten Positionen und nahmen anhand der Resultate die letzten Zeitkorrekturen vor.
Die Anzeige der Dilatationsuhr war erloschen. Sie würde erst wieder aufleuchten, wenn die exakten Angaben feststanden.
Vor Captain Perr flammte ein Holo-Feld auf. Das Brustbild eines jungen Mannes mit asiatischen Zügen stabilisierte sich.
»Transpluto-Schale wird in fünfzehn Sekunden durchschnitten, Captain ... dreizehn ... zwölf ...«
Gleichzeitig zeigten es ihm seine Instrumente an. Die COLUMBUS erreichte den Rand des heimatlichen Sonnensystems und stieß schräg in die Einflusssphäre vor. Die elliptische Planetenbahn des Transpluto, der so weit von der lebensspendenden Sonne kreiste, dass ihre Strahlen ihn nur noch wie die eines fernen Fixsterns erreichten, wurde in Form einer Ellipsoid-Schale projiziert; schräg von ›oben‹ der Ekliptik des Sonnensystems entgegenfallend, durchstieß die COLUMBUS jetzt die Schale und damit den äußersten Rand der Heimat.
»Heimat ...«
Erst als er den fragenden Blick seines Ersten Offiziers bemerkte, erkannte Torre Perr, dass er wieder einmal laut gedacht hatte.
»Heimat«, wiederholte er bewusst. »Ist das da hinten, dieser Planet drei in Sol-System, eigentlich noch unsere Heimat?«
»Meine schon«, brummte der Erste Offizier.
Torre Perr starrte die blaugrüne Kugel in der Vergrößerung an. Die Erde ... zehn Jahre sind eine lange Zeit. Zehn Jahre, davon die meiste Zeit Flug. Dann die anderen Planeten, harte Erforschungstätigkeit, Menschen, die gestorben waren, weil sie die Eigenheiten einer fremden Natur zu spät begriffen ...
Und das Schiff.
Die COLUMBUS.
Torre Perr war förmlich mit diesem Schiff gewachsen. Riesig in seinen Ausmaßen, ungewöhnlich in seiner skurrilen Zweckformgebung und superschnell, bot es Lebensraum für fast hundert Menschen, um die zehn Jahre und nötigenfalls etwas länger zu ertragen. Zum ersten Mal hatten Menschen die ihnen von der Natur gegebenen Grenzen gesprengt und ihr Sonnensystem verlassen.
Hinaus zu den Sternen.
Hinaus in die Schwärze, in die eisige Kälte der ewigen Weltraumnacht. Hinaus in das prachtvolle Funkeln von Myriaden Sternen, deren Anblick Torre Perr immer noch berauschen konnte. Er war eins mit dem Schiff geworden. Die COLUMBUS und der Weltraum – sie waren seine Heimat.
Auf ihn warteten keine Menschen auf der Erde, die hofften und bangten. Er hatte nichts zurückgelassen, als er damals mit seiner hundertköpfigen Crew und dem modernsten und größten Fernraumer aufbrach.
Warteten andere noch auf seine Mannschaft? Gab es nach über zwanzig Jahren noch Menschen, die warteten?
Wie lange schon gab es keine Nachricht mehr? Die COLUMBUS war schneller als jeder Funkspruch. Sie flog mit annähernd Lichtgeschwindigkeit.
Und jetzt – waren sie wieder da ...
Plötzlich richtete sich Torre Perr vor dem Kommandopult auf. Seinem Ersten Offizier legte er die Hand auf die Schulter.
»Übernimm, Janos ... Du weißt ja, was du zu tun hast.«
Und dann verließ er den Leitstand. Janos Skodvik sah ihm nachdenklich hinterher.
Warum verließ der Captain in diesen Stunden die Zentrale?
Ertrug er die Nähe der Erde nicht mehr?
Skodvik verdrängte diese Gedanken und glitt in den Pilotensitz hinüber. Das noch warme Kunstleder schmiegte sich an seinen Körper.
»Eins-O an Tronik. Exakte Kursberechnung für möglichst lineare Flugbahn Erde. Momentangeschwindigkeit null-Punkt-neun-acht fallend. Position ...«
*
Anya Syran in der Funk-Zentrale schüttelte den Kopf. »Himmel, gibt es denn so etwas?«, beschwerte sie sich. »Auf irgendeiner Welle muss doch was zu finden sein!«
Stan Magnussen, ihr Kollege, grinste. »Klappt die Technik mal wieder nicht so, wie sie eigentlich soll? Du musst mal den richtigen Mann ‘ranlassen.«
Anya legte die Stirn in Falten.
»Ich hoffe, du meinst damit nicht dich«, gab sie spitz zurück und konzentrierte sich wieder auf ihre Arbeit. Der Filter wurde getauscht, aber auch jetzt kam nur das Rauschen der Statik in den Empfang.
Stan beugte sich vor und beobachtete die schlanke Gestalt der Cheffunkerin. Die schlichte Bordkombination hatte sie mit Nadel, Faden und sehr viel Geschick ein wenig umgearbeitet, sodass sie jetzt wie eine zweite Haut an ihrem Körper lag und auch einige dezente Verzierungen aufwies.
Anya war eine Schönheit, was mit ihren beruflichen Fähigkeiten durchaus harmonierte; Nichtskönner hatten niemals die Chance, auf ein Raumschiff zu kommen. Und für die Crew der COLUMBUS war extrem gesiebt worden. Hundert Raumfahrer aus über zehntausend Bewerbern hatten es geschafft, an diesem größten Abenteuer der Menschheit teilzunehmen, wie es geheißen hatte.
Abenteuerlich war es selten gewesen. Die Routine hatte viel geschluckt.
Schluckte sie jetzt auch Funkwellen?
Anya produzierte etwas, das einem undamenhaften Fluch glich, und schaltete erneut um. Jetzt hingen gleich drei Empfangsverstärker mit Maximalleistung an den Antennen.
»Nichts ... nichts ... als ob das ganze System funktot wäre ...«
Stan Magnussen stutzte. »Das ist doch nicht möglich!«
Ihre schmale Hand wies auf die Anzeigen der Instrumente. »Da, Stan ... und da ... siehst du auch nur einen einzigen Funkblip? Kein UKW, keine Langwellen, kein Lichtspruch ...«
»Das muss der Captain wissen«, schlug Stan vor. »Vielleicht hat sich unser großartiger Antrieb vertan, und es sind auf der Erde nicht zwanzig, sondern zwanzigtausend Jahre vergangen ...«
Sie tippte sich an die Stirn, schaltete aber eine Sichtsprechverbindung zur Zentrale durch.
»Torre?«
»Hat Urlaub«, ertönte die raue Stimme Skodviks. »Hier murmelt der Vizekönig. Was liegt an?«
»Das Sol-System schweigt auf allen Frequenzen!«
Das Holografie-Bild zeigte die Veränderung, die mit dem Ersten Offizier vor sich ging. Janos Skodvik straffte sich leicht, die Brauen hoben sich.
»Vielleicht sind deine Geräte defekt?«
»Kein einziges, Janos ...«
»Hast du die Erde schon direkt angefunkt? Vielleicht hat man die interplanetarische Raumfahrt mittlerweile eingestellt. Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit.«
»Okay, ich rufe durch und melde unsere Ankunft ... aber hoffentlich hört uns jemand ...«
Die Verbindung zum Leitstand erlosch. Anya Syran bereitete den kodierten Lichtspruch vor. Ein paar Minuten später begann das Band zu laufen. Die Sendeantennen der COLUMBUS knisterten schwach. Aber die Erde antwortete nicht.
*
In seiner geräumigen Kabine hatte sich Torre Perr auf sein Lager geworfen, die Arme unter den Kopf gelegt, und gestattete sich zu träumen.
Über ihm glomm ein Bildschirm, der ihm das Sternenmeer in all seiner Pracht zeigte. Mit ihrem Glitzern und Funkeln riefen ihm die Leuchtpunkte zu, zu ihnen zu kommen. So war es immer gewesen, und so war es auch jetzt. Die Sterne lockten ihn, riefen nach ihm.
Einmal hatte er es geschafft, diesem Ruf zu folgen, mit der COLUMBUS! Torre Perr, jüngster Kapitän der Raumflotte und weltraumsüchtig, war Kommandant des größten und modernsten Raumschiffes geworden, das jemals von Menschenhand erbaut worden war.
»Erde, ich komme nur, um Pause zu machen, dann geht es weiter«, flüsterte er dem künstlichen Sternenhimmel über sich zu.
Proxima Centauri war der Anfang gewesen. Viel hatte sich der junge Kommandant vorgenommen, den seine Kollegen schon damals in der Akademie als weltraumsüchtig bezeichnet hatten.
Es gab doch so viel zu entdecken in den Weltraumtiefen! Dass Proxima Centauri dabei ein paar Opfer gekostet hatte, bedrückte ihn, aber menschlicher Forschungsdrang hatte immer seinen Preis gefordert, und es würde auch in zehn Millionen Jahren noch so sein.
Torre Perr schloss die Augen, und hinter geschlossenen Lidern sah er am Sternenhimmel ganze Flotten von riesigen Schiffen in den Weltraum aufbrechen, anderen Systemen und anderen Planeten entgegen, um sie zu erforschen und zu besiedeln. Jahrzehnte, Jahrhunderte, Jahrtausende würden vergehen, und je tiefer die Raumschiffe in die Galaxis vorstießen, desto länger würden sie benötigen, um wieder zurückzukehren. Vielleicht würden tausend Jahre auf der Erde vergehen, aber es musste sich lohnen.
Der Raum gehört uns!, dachte Perr. Wir werden ihn erobern! Erobern mit unseren Schiffen ... nicht mit Waffen. Die brauchen wir dort draußen nicht. Diese Zeit ist vorbei ...
Der Summton störte.
Torre Perr sprang wieder auf und ging zum Sichtsprechgerät. Das holografische Bild seines Ersten entstand.
»Torre ... halte dich fest ... die Erde schweigt!«
*
Caryna Arret schwang mit ihrem Kontursessel herum. »Nichts zu machen, Janos, wir müssen einen weiten Bogen fliegen. Auf jedem Linearkurs, beginnend zwischen hier und der Neptun-Schale, liegt irgendein Brocken in der Flugbahn.«
Janos Skodvik presste die Lippen zusammen. Er entsann sich, dass er die Anweisung gegeben hatte, einen Linearkurs zur Erde zu errechnen. Caryna Arret erhob sich jetzt und kam mit einem ausgedruckten Tronik-Band zum Steuerpult.