Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Regina de la Mancia: Der weibliche Don Quijote
Regina de la Mancia: Der weibliche Don Quijote
Regina de la Mancia: Der weibliche Don Quijote
eBook272 Seiten3 Stunden

Regina de la Mancia: Der weibliche Don Quijote

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Dieses Buch handelt von den Abenteuern der Regina de la Mancia, einer Schauspielerin aus der Toskana, der die Filme, die sie sah, den Kopf völlig verdrehten, und ihrer treuen Maskenbildnerin Sandra Wanst. Unsere Heldin besteigt ihren Wagen Rosy, der der beste und zuverlässigste VW-Käfer der Welt ist, und begibt sich auf eine Reise, bei der ihr das Schicksal einen kühnen Auftritt nach dem nächsten zu bestreiten auferlegt. Sandra Wanst steht der Schauspielerin von der traurigen Gestalt in jeder Filmszene als Weggefährtin und Freundin zur Seite und bewahrt sie vor so manchem Unheil.
SpracheDeutsch
HerausgeberSkript-Verlag
Erscheinungsdatum11. Juli 2022
ISBN9783928249942
Regina de la Mancia: Der weibliche Don Quijote
Autor

Jenny Perelli

Jenny Perelli, Jahrgang 1970, geboren in München, lebt seit einiger Zeit in Italien, am Trasimener See. Nach dem Studium der Politikwissenschaft Tätigkeit als Content Creator, Drehbuchautorin, Übersetzerin und Journalistin. Ihr Faible für romantische, dunkle, traurige, aus dem Rahmen fallende Menschen führte sie in die Arme Don Quijotes. Oft lassen sie dessen Abgehobenheit, Naivität, Aufrichtigkeit, Unberechenbarkeit, Integrität, hemmungslose Entschlossenheit und Liebe zu einem erdachten Wesen entweder lachen oder weinen. Es war Miguel de Cervantes Saavedra höchstpersönlich, der sie in langen nächtlichen Unterredungen zum Schreiben dieses Romans ermutigte. Sie selbst definiert ihr Werk als reine Stilübung.

Ähnlich wie Regina de la Mancia

Ähnliche E-Books

Fiktion für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Regina de la Mancia

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Regina de la Mancia - Jenny Perelli

    KAPITEL 1

    Über uns

    Irgendwo in der Toskana lebte vor nicht allzu langer Zeit eine von jenen Frauen, die vor dem wirklichen Leben nicht kampflos kapitulieren, sondern lieber Schauspielerin werden. Eine von jenen Schauspielerinnen, die eine Perlenkette um den Hals tragen, einen alten, eleganten VW-Käfer fahren und stets eine silberne Füllfeder mit sich tragen. Sie aß meist nur einige Scheiben Parmaschinken und einen kleinen gemischten Salat. Abends genügte ein Glas Weißwein oder ein wenig Obst. ¾ ihrer Einkünfte verbrauchte sie für Essen und Kleidung, wobei besonders die Schuhe super wichtig waren . ³ Nur vom Feinsten mussten sie sein und immer up to date. Jimmy Choo, Manolo Blahnik, Acne waren ihre Favoriten. Sie war so an die 50 Jahre alt.

    Ihre beste Freundin und Stilberaterin war Sandra, eine professionelle Maskenbildnerin. Sie hatten sich im Theater kennengelernt, wo Sandra Donatella einige Male für Aufführungen geschminkt hatte. Zum Film, ihrer eigentlichen Leidenschaft, hatte es Donatella dann aber nie geschafft. Sie war hochgewachsen, mit Sanduhrfigur – ein klassischer 50er-Jahre Typ. Eigentlich eine schwanenhafte Schönheit. Fast schon so erhaben wie eine wohlgeformte, griechische Statue. Sie hatte mittellange, ungefärbte, flachsblonde Haare, graue Augen und wunderschöne, feine Hände und Füße, die ihr so manche Werbeshootings für Kosmetika und Schuhmode eingebracht hatten. Sie war eine notorische Spätaufsteherin und Freundin der Musik. Wann immer sie konnte, besuchte sie Konzerte. Von Oper bis Acid Jazz war alles dabei.

    Doch noch mehr liebte sie Filme. So widmete sie jede freie Minute (und Freizeit hatte sie wirklich zur Genüge) der Filmkunst und sah sich so viele Spielfilme an wie nur möglich. Mit so viel Spaß und so oft, dass sie dafür ihr soziales Leben und alle anderen Interessen völlig aufgab. Diese Besessenheit ging so weit, dass sie ihre Eigentumswohnung verkaufte, um Movies in DVD, Bluray, die besten Bildschirme und DVD-Anlagen, Abonnements bei Spielfilmanbietern im Web, Dolby Surround-Ausstattungen der besten Qualität und weiteres filmbezogenes und amüsantes Equipment oder Props zu erwerben. Nicht zufrieden damit, hatte sie es sich in den Kopf gesetzt, alle Locations, in denen ihre Lieblingsfilme spielten, höchstpersönlich zu besichtigen. Deshalb hatte sie bereits richtig viel von der Welt gesehen. Alle bekannten Filmstudios voran: Hollywood, Cinecittà, Warner Bros. Studios, Bavaria Filmstudios … Jedes einzelne Detail hatte sie förmlich aufgesaugt. Vor allem begeisterte sie sich für Fantasy- und Sci-Fi-Filme, doch auch Liebesfilme konnten sie zutiefst bewegen.

    Ach, und sie hatte so viele Lieblingsregisseure: Terry Gilliam, David Lynch, Stanley Kubrick, Clint Eastwood, Alfred Hitchcock … sie war immer auf der Suche nach einer gewissen Abgehobenheit, einer Weltfremdheit und einer abstrakten Realitätsferne. Alle Aufnahmen dieser Art kamen ihr wie Schätze vor. Wenn sie etwa Brazil (Terry Gilliam) sah, verlor sie bei den unlogischsten Szenen beinahe den Verstand und war bis zum Exzess bewegt. Sie interpretierte jede noch so kleine Nuance von Text, Musik, Kameraeinstellung, Fotografie, Kleidung, Besetzung … Auch wusste sie alles über das Privatleben der mitwirkenden Schauspieler. Aller Schauspieler! Nicht nur die Hauptfiguren, nein alle! Jede Anekdote über jeden ihr bekannten Film kannte sie. Irgendwie war sie so eine Art wandelnde Filmpedia. Nicht einmal die berühmtesten noch lebenden oder bereits verstorbenen Filmkritiker wussten so viel wie Donatella, selbst wenn sie zu diesem „Zweck aus dem Grab gestiegen wären".

    Donatella war mit dem Ausgang verschiedener Filme nicht unbedingt einverstanden und hätte so einige Drehbücher gerne eigenhändig umgeschrieben, wenn andere, größere Ideen sie nicht ständig davon abgehalten hätten. Die Frau nebenan (François Truffaut) etwa, hätte ihrer Meinung nach einen ganz anderen Schluss verdient, denn so verrückt die beiden Hauptfiguren auch waren, waren sie doch derart voneinander besessen, dass der Tod wirklich nur eine zu offensichtliche Lösung war. Oft stritt sie mit dem Kartenverkäufer des Kinos ihres Ortes, einem Kommunikationswissenschaftler, der in Sachen Film & Co. durchaus bewandert und auch sonst ein gebildeter Mann war, wer der bessere Regisseur sei, Wim Wenders oder Kurt Fassbinder. Doch Julia, die Friseuse aus dem Ort, sagte, dass keiner Fritz Lang das Wasser reichen könne. Er sei ein Meister der Fotografie und des Szenenbildes.

    Schließlich versenkte sich Donatella so sehr in ihre Filme ⁵, dass sie sich ganze Nächte, aber auch ganze Tage hindurch nur Filme ansah. Vom vielen Starren auf den Bildschirm trockneten ihr das Hirn und die Augen so aus, dass sie zuletzt eine Brille tragen musste und fast den Verstand verlor. Ihre Fantasie war durchdrungen von allem, was sie in den Filmen sah: Liebesgeschichten, Krimis, Horrorfilme, Spionagestorys, Western, Thriller, Fantasy- und Sci-Fi-Movies und und und … Und so setzten sich all diese Handlungen und Geschichten derart in ihrem Kopf fest, dass sie schon bald nicht mehr wusste, wo die Wirklichkeit aufhörte und der Film begann. Für sie waren all diese, eigentlich nur der Fantasie entsprungenen, filmischen Abläufe die volle Wahrheit. Ja mehr noch, eine zweifelsfreiere Wahrheit ⁶ gab es für Donatella nicht.

    Sie erzählte viel Gutes über Holly Golightly (Frühstück bei Tiffany, Blake Edwards), die ja eigentlich nur irgendwie ungewollt in ihr unstetes Partyleben hineingeraten war, und verteidigte auch stets Travis Bickle (Taxi Driver, Martin Scorsese), der für das ganze Malheur doch nun wirklich nichts konnte.

    Zuletzt, da es mit ihrem armen Verstand völlig den Bach hinuntergegangen war, verfiel sie dem närrischen Wunsch ⁷,

    es doch noch einmal mit der Schauspielkarriere zu versuchen. Das, so meinte sie, schuldete sie nicht nur sich selbst, sondern der gesamten Menschheit, damit vielen Filmen, Regisseuren und Drehbüchern die gebührende Ehre erwiesen werde. Sie beschloss all das zu machen, was eine Schauspielerin, wie sie gelesen hatte, so machte: an Castings teilnehmen, Schauspielunterricht nehmen, an Events partizipieren und sich an Orte zu begeben, durch die sie ewigen Ruhm erreichen würde. Naiv wie sie war, sah sie sich schon für ihre schauspielerischen Leistungen mit einem Oscar oder einem Golden Globe gekrönt.

    Vertieft in diesen verlockenden Gedanken und angespornt von der magischen Anziehungskraft, die sie auf sie ausübten, machte sie sich umgehend daran, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Als Erstes holte sie ein altes Buch mit Übungen für die korrekte Aussprache aus dem Keller. Diktion für Anfänger lautete der Titel. Es war noch von ihrer Mutter und hatte seit langen Jahren vergessen und völlig verstaubt im hintersten Winkel gelegen. Es hatte allerdings weder von seiner Autorität noch von seiner Aktualität verloren, weshalb Donatella fleißig anfing, darin zu schmökern und die Sprechübungen nachzusagen. Doch es wurde ihr schnell klar, dass neuere und bessere Ausgaben erschienen waren, mit CDs oder Apps, die man sich auf sein mobiles Gerät herunterladen konnte. Das tat sie denn auch. Das war sehr viel bequemer und sie hatte die richtige Aussprache eines Wortes immer zur Hand.

    Auch Lockerungs- und Improvisationsübungen konnten so immer und überall abgerufen werden. Von diesem Handbuch to go machte sie stets Gebrauch! Im Verkehr, vor der Kasse oder im Wartezimmer beim Arzt. Aber dann wollte sie immer auch gleich erproben, ob sie die Lektionen denn auch richtig begriffen hatte, und konnte es kaum erwarten, das Erlernte sofort umzusetzen. So probte sie ihr neues Fachwissen auch auf der Straße, fragte etwa unbekannte Leute nach dem Weg oder bat den Busfahrer um eine Fahrkarte. Alles in einer Hochsprache, die eigentlich keiner mehr benutzte oder wirklich verstand. Nach einigen Monaten ging sie das Ganze dann doch moderater an. Feilte hier an der Aussprache der Umlaute, betonte das „S" nicht ganz so stimmhaft und fand, dass ihre Modulation der Sprache nun durchaus passabel war. Ohne neue Experimente anstellen zu wollen, erklärte sie ihre Sprache, den Klang ihrer Stimme und wie sie sie nutzte für ganz vortrefflich. Nachdem alles Sprachtechnische also ganz zu ihrer Zufriedenheit aktiviert worden war, wollte sich Donatella einen klangvollen Künstlernamen zulegen, der ihrer Kunst würdig war und sie angemessen charakterisierte. Darüber dachte sie volle acht Tage lang nach. Zuletzt entschied sie sich für Regina de la Mancia. Er sollte nicht nur Hinweis auf eine adelige Abstammung sein – nein! königlich musste er sein!

    Da nun auch der Name gefunden war, brauchte sie nur noch einen Mann, am besten einen Kollegen aus dem Filmgeschäft, in den sie sich verlieben könnte. Eine Schauspielerin ohne Liebe war in ihren Augen wie ein Cappuccino ohne Milchschaum, ein Sommer ohne Sonne, Pünktchen ohne Anton. Sollte sie je den Oscar oder einen Emmy gewinnen, würde es da nicht gut sein, einen liebenden Mann an ihrer Seite zu haben, mit dem sie den Erfolg feiern konnte? Wie sehr freute sich unsere Schauspielerin, als ihr einfiel, wer dies sein könnte. Und das ging so: im Nachbardorf lebte ein ehemaliger, recht gut aussehender Drehbuchautor, in den sie sich bereits vor Jahren verliebt hatte, obwohl er nie etwas davon erfahren hatte. Er hieß Lorenzo Aldonzo und war Alkoholiker. Sie suchte für ihn einen Namen, der von ihrem nicht zu sehr abwich und ebenfalls auf eine adelige Abstammung hindeutete. So kam sie schließlich auf Duccio dal Tosco, weil er Italiener war und aus der Toskana stammte. Ein Name, der ihrer Meinung nach sehr wohlklingend und besonders war, so wie alle, die Regina erfand.


    3 vgl. S.21

    4 S. 22

    5 vgl. S. 23

    6 vgl. S. 23

    7 vgl. S. 23

    KAPITEL 2

    Erste Schauspielabenteuer

    Nach all diesen Vorbereitungen wollte sie mit ihrem Start in die Schauspielkarriere und der Umsetzung ihrer Absichten nicht länger warten. Sie war davon überzeugt, der Welt würde etwas Großartiges entgehen, sollte sie noch weiter zögern und die Realisierung ihres Traumes noch weiter aufschieben. Sie meinte, insbesondere die bekanntesten Spielfilmfiguren perfekt darstellen, ihre Lieblingsrollen selbst spielen und viele Drehbücher und Handlungsabläufe verbessern zu sollen.

    Ohne irgendjemanden zu informieren, brach sie eines Morgens mit Rosy, ihrem Bukephalos, auf – es muss im Frühling gewesen sein, an einem lauen Junitag – wunderte sie sich doch, wie leicht ihr das Verlassen ihres Zuhauses fiel. Einen Koffer nahm sie mit und setzte sich in einem leichten Sommerkleid aus weißem Leinen, einem Burberrymantel und dezent geschminkt hinter das Steuer. Sie fuhr ganz entspannt und summend die Autobahn entlang, als sie ein schrecklicher Gedanke überfiel. Beinahe hätte sie „deshalb das angefangene Unternehmen wieder aufgegeben"⁸ Plötzlich kam ihr nämlich in den Sinn, dass sie zwar bereits zum Fahrenden Volk, zu den sogenannten Vaganten, gehörte, allerdings ohne eine Maske und ohne eine Vorführung mit dieser Maske vor laufender Kamera keine echte Schauspielerin war.

    Diese Erwägung ließ sie in ihrem Vorhaben schwanken, aber da ihre Narrheit größer war als ihre Vernunft, nahm sie sich vor, umgehend online eine Theatermaske, eine Persona, zu bestellen, sie sich zu ihrem ersten Hotel schicken zu lassen, in dem sie übernachten würde, und die Hotelangestellten zum Publikum ihrer ersten Aufführung zu ernennen. Selbstverständlich würde sie einen Videomacher engagieren, der ihre Performance aufnahm. Das beruhigte sie und sie setzte ihren Weg fort, ohne darauf zu achten, wohin. Das ließ sie Rosy entscheiden, als Ausdruck ihrer Überzeugung, gerade darin bestände das rechte Wesen der Vaganten ⁹. Und sie begann ein ernstes Selbstgespräch: Sicher wird schon sehr bald jemand meine Biographie verfassen und darin von meinem Talent und meinen vielen Leinwanderfolgen berichten. Wer immer der Chronist sein und die Ehre haben wird, über mein Leben zu schreiben, wird ganz bestimmt auch über diesen Morgen ein Kapitel verfassen. Vielleicht mit etwa diesen Worten:

    Kaum hatte von Osten noch vor den Morgensendungen der prächtige Sonnengott Apollo die weite Welt mit einem schmeichelnden Lächeln geweckt und kaum trat mit ihm die frische Aurora ¹⁰

    auf den Bildschirm, als die berühmte Diva, Regina de la Mancia, aus den schlafwarmen Federn stieg und mit ihrer liebenswürdigen Rosy ihre legendäre Reise antrat.

    Dann hauchte sie, als sei sie wirklich verliebt: „O Duccio, mein Duccio, Gebieter meines Herzens! Vergiss niemals, dass ich dich liebe und für dich so viel erleiden muss." Dabei bemühte sie sich, die schmachtende Sprache der bekanntesten Liebesfilme nachzuahmen, wie in Love Story (Arthur Hiller), The Crow - Die Krähe (Alex Proyas), Ghost - Nachricht von Sam (Jerry Zucker) … Bei Einbruch der Nacht und nachdem sie den ganzen Tag lang einfach der Nase nach gefahren war, fühlte sie sich dann doch recht erschöpft und mordshungrig. Im gleichen Augenblick sah sie ein Leuchtschild zu einem Motel, bog ab und kam gerade zur Blue Hour dort an. Vor der Rezeption standen zwei Männergestalten mittleren Alters, die nicht unbedingt vertrauenswürdig schienen. Es waren rauchende bulgarische LKW-Fahrer, die sich auf ihrem Weg in den Norden für diese Nacht zufällig in diesem Motel einquartiert hatten.

    Da es Regina so schien, dass alles, was immer sie auch dachte, sah oder sich einbildete, trage sich so zu wie in den Filmen, die sie gesehen hatte, meinte sie, sie sei nicht in einem drittklassigen Motel gelandet, sondern bei einem Casting. Sie dachte doch tatsächlich, sie befände sich im Vorzimmer eines bekannten Agenten und alle Leute draußen seien Schauspieler, die Schlange standen, um für eine begehrte Rolle vorzusprechen. Regina parkte ihren Wagen vor dem Eingang und trat über die Türschwelle, sogleich in Erwartung des typischen Flüsterns und Raunens, das sich beim Erscheinen einer berühmten Persönlichkeit erhebt. Doch da war nichts. Die Umstehenden blieben still und nahmen kaum Notiz von ihr. Da läutete das Handy eines LKW-Fahrers – er hatte es eigentlich leise gestellt, weshalb das Handy nur vibrierte und einen leichten Summton von sich gab. Und zufällig murmelte der Angestellte am Motelempfang im selben Augenblick einer Putzfrau etwas in das Ohr.

    Das hieß für Regina augenblicklich, dass alles so war, wie sie es sich wünschte, weshalb sie sich der Rezeption mit dem höchsten Vergnügen näherte. Als sie mit selbstbewusstem Staccato ihrer Absätze herantrat, schwiegen die Umstehenden. Regina, die aus dieser Stille auf Ängstlichkeit oder gar Ehrfurcht schloss, strich rasch die Haare aus dem müden Gesicht mit dem verlaufenen Make-Up und ließ sanft hören: „Bitte, Sie brauchen nichts zu befürchten. Ich bin hier wegen der Anhörung, wie Sie alle. Und wie Sie alle, werte Künstlerkollegen, möchte ich allein und schonungslos nach meinen schauspielerischen Leistungen beurteilt werden und nicht nach meiner Bekanntheit. Es gelten für alle die gleichen Auswahlbedingungen und wir alle werden einfach vorsprechen und unser Bestes geben. Es möge der Bessere die Rolle erhalten."

    Die Anwesenden blickten sie verlegen an und schwiegen weiter, aber sie konnten das Lachen nicht unterdrücken, waren sie doch als Künstler tituliert worden, ein Wort, das mit ihrem Beruf so gar nichts zu tun hatte. Das brachte Regina derart in Rage, dass sie Folgendes versetzte: „Die Tugendhaften verabscheuen Grobheit – ein derbes Lachen aus trivialen Motiven scheint ihnen zu geistlos. Ich will Sie damit allerdings nicht kränken." Die Trucker verstanden nicht und fanden Regina auch sonst recht schräg und verschroben, weshalb sie noch mehr lachen mussten, was wiederum Reginas Ärger steigerte. Es wäre wohl alles eskaliert, wäre in diesem Moment nicht der Motelleiter gekommen, ein Mann, der sehr mollig und deshalb auch sehr friedliebend war. Als er die seltsam groteske Situation erkannte, hätte er eigentlich lieber den bulgarischen Truckies beigepflichtet, doch da er im Grunde Regina und ihre verquere Sprache fürchtete, entschied er sich dafür, sie höflich zu behandeln.

    „Wenn die gnädige Dame hier ein Zimmer sucht und mit einem sehr schlichten Einbettzimmer ohne eigenes Bad vorliebnehmen kann – denn die Zimmer mit eigenem Bad sind leider alle ausgebucht – so ist sie hier herzlich willkommen. Angesichts des zuvorkommenden Verhaltens des Castingleiters – denn dafür hielt sie den Moteldirektor – antwortete Regina: „Für mich, Herr Direktor, genügt alles. Mein Schmuck sind die Texte und mein Ausruhn ist die Aktion. „Na dann sind Sie hier ja richtig, gnädige Frau. Mit diesen Worten trug er Regina in das Register ein. Sie bat ihn noch, ihr Gepäck aus dem Auto in das Zimmer zu tragen und als der gute Mann den Rosthaufen sah, den sie liebevoll Rosy nannte und als das beste Pferd im Stall präsentierte, dachte er sich seinen Teil, kommentierte aber nicht. Als der Motelleiter mit dem Koffer in der Hand zurückkehrte, fragte er, ob der neue Gast etwas zu essen wünsche. „Ich würde gerne einen kleinen Imbiss zu mir nehmen, antwortete Regina, „was es auch ist - denn ich merke jetzt, wie hungrig ich doch bin."

    Sie hatte inzwischen versucht, ihren Burberry-Regenmantel auszuziehen, doch irgendwie hatte er sich mit dem Kleid darunter verhakt und es gelang ihr einfach nicht, ihn aufzuknöpfen. Man hätte einige Knöpfe abschneiden müssen, um ihn zu öffnen, doch das fand Regina zu schade. Die Bulgaren, die sich bereits mit ihr angefreundet hatten, wollten ihr helfen, doch auch ihnen gelang es nicht, Regina den teuren Mantel über den Kopf abzustreifen. Währenddessen und aufgrund ihrer Einbildung, die LKW-Fahrer seien Schauspieler, die, wie sie selbst, auf das Vorsprechen warteten, wandte sie sich währenddessen mit höchst vornehmem Ausdruck an sie:

    „Niemals ward einer Schauspielerin, wie jetzt Regina de la Mancia, so wohl geholfen von dienlichen Kollegen, wie heute. Sie kam aus ihrer fernen Stadt, doch wertvolle, teure Darsteller bemühten sich um sie." ¹¹

    Die Bulgaren, an solche Reden nicht gewöhnt, schwiegen etwas verlegen. Und so blieb sie den ganzen Abend, auch zu Tisch, in ihrem Burberry-Mantel, obwohl es im Speiseraum ziemlich warm war und sie unter dem gefütterten Popeline heftig schwitzte. Das war ein Bild für die Götter. Man stellte ihr wegen der kühleren Zugluft den Tisch vor die Tür des Restaurants und brachte ihr einen schlecht gebratenen Hamburger mit einem noch schlechteren Discount-Brot, so labbrig und abgestanden wie ihr verschwitzter Regenmantel. Es war trotzdem recht amüsant, zu sehen, wie sie aß, da sie sich in dem großen, irgendwie schief sitzenden Mantel nicht richtig rühren konnte, und es ihr schwer fiel, den Hamburger mit beiden Händen zum Mund zu führen. Sie bat den Kellner, den Hamburger für sie kleinzuschneiden und um einen Strohhalm für ihre Limonade, denn auch das Trinken war mühselig.

    Währenddessen fuhr ein GTI vor das Motel. Selbst durch die Verglasung war die laute Musik zu hören: billiger Street-Hip Hop. Das bestärkte Regina vollends darin, dass sie auf einem bedeutenden Casting sei und der Tonmeister jetzt eingetroffen, sowie dass der Hamburger ein edles Lachsbrötchen, die Limo Evian-Mineralwasser, die Bulgaren Schauspieler und der Motelleiter der Castingleiter seien. Somit fand sie ihren Entschluss wegzufahren mehr als gelungen. Was ihr allerdings noch keine Ruhe ließ, war die Tatsache, noch keine Maske zu besitzen und noch nicht vor laufender Kamera vorgesprochen zu haben – denn sie glaubte, ohne Aufnahme eines Videos mit einer Theatermaske habe sie kein Recht, sich auf kommende Schauspieler-Abenteuer einzulassen.


    8 S. 27

    9 vgl. S. 28

    10 vgl. S. 28

    11 vgl. S. 32

    KAPITEL 3

    Wie Regina de la Mancia zur

    Schauspielerin ernannt wird

    Von diesem Gedanken gepeinigt , beendete sie ihr kärgliches Mahl, rief den Motelleiter und schloss sich mit ihm in der Abstellkammer ein, wo sie vor ihm auf die Knie fiel und sprach: „Werter Herr Agent und Castingleiter! Ich stehe nicht eher wieder auf, bis Sie mir nicht versprechen, mir den Gefallen tun, um den ich Sie jetzt bitten möchte."

    Der Motelleiter, der seinen Gast zu seinen Füßen sah, verwunderte sich sehr bei diesen Worten, schaute auf sie hinunter und wusste nicht, was er tun oder sagen sollte. Er bat sie höflich, sich zu erheben.¹²

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1