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Führen und Managen in der digitalen Transformation: Trends, Best Practices und Herausforderungen
Führen und Managen in der digitalen Transformation: Trends, Best Practices und Herausforderungen
Führen und Managen in der digitalen Transformation: Trends, Best Practices und Herausforderungen
eBook881 Seiten8 Stunden

Führen und Managen in der digitalen Transformation: Trends, Best Practices und Herausforderungen

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Über dieses E-Book

Die Herausgeber vermitteln anwendungsnah und praxisorientiert die Anforderungen an Führungspersönlichkeiten im digitalen Zeitalter. Renommierte Experten diskutieren aus unterschiedlichen Perspektiven den digitalen Wandel und geben aktuelle Einblicke und konkrete Handlungsempfehlungen.

●     Der Umbruch: Digitalisierung in Deutschland, Trends, Mythen & Konsequenzen

●     Die Führung: Leadership in der digitalen Welt

●     Der Wandel: Die digitale Transformation bewältigen

●     Der Durchbruch: Organisationsdesign, Recruiting, Lernen, Marketing und digitales Wachstum
SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer Gabler
Erscheinungsdatum7. Mai 2020
ISBN9783658286705
Führen und Managen in der digitalen Transformation: Trends, Best Practices und Herausforderungen

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    Buchvorschau

    Führen und Managen in der digitalen Transformation - Mark Harwardt

    Teil IDer Umbruch

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020

    M. Harwardt et al. (Hrsg.)Führen und Managen in der digitalen Transformationhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-28670-5_1

    1. Die Welt verändert sich rapide – „Industrie 4.0" und die digitale Transformation

    Mark Harwardt¹   und Andre M. Schmutte²  

    (1)

    E-Commerce und Marketing, Hochschule für angewandtes Management, Unna, Deutschland

    (2)

    Unternehmensführung & Team Leadership, Hochschule für angewandtes Management, Ismaning, Deutschland

    Mark Harwardt

    Email: mark.harwardt@fham.de

    Andre M. Schmutte (Korrespondenzautor)

    Email: andre.schmutte@institut-mkm.com

    „In the digital age of ‘overnight’ success stories such as Facebook, the hard slog is easily overlooked." (Sir James Dyson)

    Neue Technologien erobern unseren Alltag, und neue Erlebnisse aus virtuellen Welten beeinflussen die Kunden, ihre Bedürfnisse und Erwartungen, Das hat gravierende Auswirkungen auf die Unternehmen. Während die erste industrielle Revolution Wasser und Dampfkraft nutzte, um die Produktion zu mechanisieren, ermöglichte die Elektrizität in der zweiten Phase die Massenproduktion. In der Dritten führten Elektronik und Informationstechnologie zur ausgedehnten Automatisierung. Dabei ging es zunächst nur um die Überführung analoger in digitale Formate, die den Weg zu tief greifenden Rationalisierungs- und Optimierungseffekten frei machte. Was man heute, im Sinne einer Fortführung und Verschärfung der „digitalen Revolution, als „Industrie 4.0 bezeichnet, ist die Verschmelzung der Technologien mit Geschäftsprozessen und physischen Gegenständen in einer Art und Weise, die die Grenzen zwischen der physikalischen, der digitalen und der biologischen Welt verschwimmen lässt. Der Computer ist nicht mehr die zentrale Technologie, sondern das Internet mit seiner weltweiten Vernetzung über Unternehmens- oder Ländergrenzen hinweg. Und es gibt einen großen Unterschied zu den früheren Entwicklungen: Die ersten industriellen Revolutionen verliefen langsam, man konnte sich über Jahre hinweg darauf einstellen.

    Bedingt durch die Schnelligkeit digitaler Entwicklungen verläuft der aktuelle Umbruch exponentiell (Abb. 1.1). Was heute noch nicht perfekt ist, ist morgen bereits Standard. Ausgelöst durch moderne Technologien wie das Internet of Things (IoT) über Rapid Technologien bis Cloud-Computing, die sich abzeichnenden Durchbrüche in Bereichen wie Big Data Analytics, künstlicher Intelligenz oder Blockchain und die Kombination all dieser Technologien potenzieren sich die Effekte. Die Digitalisierung in ihrer heutigen Form setzt völlig neue Spielregeln, und die Auswirkungen sind disruptiv.

    ../images/485117_1_De_1_Chapter/485117_1_De_1_Fig1_HTML.png

    Abb. 1.1

    Exponentielles Wachstum der digitalen Entwicklung (Globale Trendstudie des Roland Berger Instituts, Krys und Fuest 2017, S. 24)

    1.1 Ein weitreichender Umbruch für die Unternehmen!

    Die Dynamik und die massiven Auswirkungen der Umwälzungen bringen die Organisationen ins Schwitzen. 92 % der von McKinsey befragten Unternehmen sind überzeugt, dass ihr Geschäftsmodell nicht rentabel bleibt, wenn sie mit der Digitalisierung so weiter machen wie bisher (Bughin et al. 2018, S. 6). Mit gutem Grund. Michael Porter von der Harvard Business School spekuliert, dass die neue Welt der intelligenten, vernetzten Geräte die Dynamik des Wettbewerbs fundamental verändert (Porter et al. 2014, 2015). Das Internet of Things ist für ihn nicht nur ein einfacher Wettbewerbsvorteil. Es ist existenziell. Und eine große Herausforderung mit unsicherem Ausgang. Porter verweist etwa auf John Chambers von Cisco Systems, der prognostiziert, dass 40 % der heutigen Unternehmen beim Versuch, sich digital zu transformieren, scheitern werden. Auch der Silicon Valley Veteran Tom Siebel betont nachdrücklich die Radikalität der Veränderungen, um die es bei der digitalen Transformation geht. Wie Produkte entworfen, hergestellt, verkauft, geliefert und gewartet werden – die Unternehmen sind gezwungen, ihre Kundenbeziehungen, ihre Strukturen und Geschäftsprozesse, die Art und Weise der Führung, letztlich ihre ganzen Managementpraktiken zu überdenken (siehe auch Kap. 3 zu den Trends der Digitalisierung und den Konsequenzen für das Management oder Kap. 8, Kap. 9 zu Transformations- und Bewertungsmodellen).

    „Wenn Unternehmen ihre Hoffnungen auf relevante Umsatzsteigerungen wahr machen wollen, müssen sie sich von den Regeln bestehender Geschäftsmodelle gedanklich lösen und völlig neu denken." (Rainer Zierhofer, Horváth & Partners)

    Das Bewusstsein für die notwendigen Konsequenzen sieht Siebel noch nicht bei allen Entscheidern angekommen: „Yet I’m shocked by – even fearful for – the many CEOs I know who seem to be asleep at the switch. They just don’t see the massive disruption headed their way from digital threats, seen or unseen, and they don’t seem to understand it will happen very quickly" (Siebel 2017, S. 6). Wir machen ganz ähnliche Beobachtungen. Auch wenn traditionelle Industriekonzerne ihre Managementteams auf Pilgerreise zu den Start-up Hotspots dieser Welt schicken, in das Silicon Valley, nach Tel Aviv, Singapur oder Berlin – viele Manager stellen die Frage nach dem „Wie" immer noch nicht konsequent genug. Deshalb fehlen ihnen auch die Antworten für die Herausforderungen der neuen, der digitalen Zeit. Denn die sieht anders aus als heute.

    Die digitalen Technologien haben die Eigenschaften von Innovationen verändert (Abb. 1.2, OECD 2018, S. 76 ff.). Digitale Prozesse und Produkte sind fluid, weil Daten in jedem Umfang und zu geringen Kosten schnell zirkulieren und geteilt werden können. Gegenüber rein materiellen Gütern, die physischen Produktions- und Vertriebsbeschränkungen unterliegen, haben digitale Produkte den Vorteil der schnellen und fast unbeschränkten Skalierbarkeit.

    ../images/485117_1_De_1_Chapter/485117_1_De_1_Fig2_HTML.png

    Abb. 1.2

    Innovationsmerkmale im digitalen Zeitalter (übersetzt nach OECD 2018, S. 77)

    Dass die beiden Welten zusammenwachsen, sehen wir in der zunehmenden Verankerung digitaler Technologien in tangiblen Produkten. Die Digitalisierung verwandelt sie in intelligente, vernetzte Produkte, die Daten über ihren Status, ihre Leistung und die Umgebungsbedingungen generieren und austauschen können. Die Verfügbarkeit solcher Daten ist ein entscheidender Faktor für kommende Innovationen, für fundierte Einblicke in Markttrends und das Kundenverhalten und um schnell auf Trends und Marktveränderungen reagieren zu können. Sie sind der Schlüssel für völlig neue Geschäftsmodelle. Prozesse werden zu Produkten und können dank Software- und Datenfunktionen an die spezifischen Bedürfnisse jedes Kunden angepasst werden. Mobilitätsdienste wie Uber etwa beruhen auf unmittelbaren Informationen zu Angebot und Nachfrage, um den Transport zu organisieren. Die Lagerbedingungen von Lebensmitteln können mithilfe von IoT-Anwendungen in der gesamten Lieferkette in Echtzeit verfolgt werden. Und der Einsatz künstlicher Intelligenz erhöht den Wert der Daten weiter, weil maschinelles Lernen eine große Anzahl von Beobachtungen („Big Data") erfordert, bevor die Programme die Aufgaben überhaupt ausführen können.

    Die Innovationstätigkeit vieler produzierender Unternehmen folgt jetzt dem „3 S"-Modell: Sensoren, Software und Service. So haben Zulieferfirmen wie Bosch an vielen ihrer Autoteile Sensoren installiert, die es ermöglichen, den Kunden einen besseren Wartungsservice anzubieten (Predictive-Maintenance-Dienste). Eine solche Servitisierung wirkt sich disruptiv aus, weil sie die Grenzen zwischen Produktion und Dienstleistung aufhebt. Produzierende Unternehmen werden in Teilen zu Softwarefirmen, während gleichzeitig Dienstleistungsunternehmen wie Amazon und Google in die verarbeitende Industrie vordringen.

    In gleichem Maße, wie sich die Geschäftspraktiken wandeln, ändert sich auch die Produktentwicklung. Digitale Technologien wie die virtuelle Simulation und 3D-Druck sorgen für deutlich kürzere Innovationszyklen und niedrigere Kosten. Software kann täglich über das Internet aktualisiert werden, auch wenn wie im Fall der Automobilhersteller die Hardware (das Auto selbst) jahrelang unverändert bleibt. Viele dieser Verbesserungen sind inkrementell, also eher klein. Das heißt, der technische Fortschritt ist nicht unbedingt schneller geworden, aber kontinuierlicher. Das wiederum kommt den Endverbrauchern zugute, weil sie stetigen und direkten Zugang zu den aktuellen Versionen haben.

    Der Innovationsprozess wird gleichzeitig kollaborativer. Die Unternehmen arbeiten heute zunehmend mit einer Vielzahl an Partnern in einem Innovationsecosystem zusammen, um die Herausforderungen bewältigen zu können. Diese Kooperation kann unterschiedliche Formen annehmen und unterschiedliche Wege einschlagen: vom einfachen Austausch von Daten über Plattformen bis hin zu strategischen Partnerschaften mit globalen Wertschöpfungsketten. In diesem Fall müssen die verschiedenen Technologien zu kohärenten Systemen kombiniert werden. Offene Formen wie Open Innovation und Crowdsourcing ermöglichen eine viel aktivere Zusammenarbeit mit großen Experten- und Verbrauchergemeinschaften als bisher. Manche dieser Maßnahmen, die Inspirationen von Kunden und Startups für die Entwicklung neuer Lösungen aufgreifen sollen, sind dauerhaft, andere nur einmalig angelegt oder finden in größeren Zeitabständen statt. Beispiele sind etwa die BMW Innovation Labs, IBM’s InnovationJam oder Dell’s IdeaStorm.

    1.2 Die Herausforderungen der digitalen Transformation

    Die digitale Umwälzung der „Industrie 4.0" bedeutet also nicht nur neue Eigenschaften von Produkten. Sie verändert die Art und Weise, wie wir arbeiten, und sie verlangt andere, auf die neuen Verhältnisse zugeschnittene Geschäftsmodelle, Strukturen und Prozesse, Führungsstile und Unternehmenskulturen. Der Veränderungsprozess ist gravierend, und der Weg lang und anspruchsvoll (siehe auch Abschn. 3.​4 zu den Bausteinen der digitalen Transformation und Kap. 10 zu Aspekten des Change). Gerade große, komplexe Unternehmen sehen sich nicht nur mit klassischen, sondern mit spezifischen, neuen Herausforderungen konfrontiert, die sich aus den Besonderheiten der Digitalisierung ergeben. Dazu führte die Drucker School of Management der Claremont Graduate University eine Reihe von Interviews mit oberen Führungskräften aus sechs großen globalen Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen durch. Als Ergebnis dieser qualitativen Studie lassen sich die Herausforderungen der digitalen Transformation in neun – nicht ganz trennscharfe – Kategorien ordnen:¹

    1.2.1 Das Vermächtnis

    Große, etablierte Unternehmen haben Jahre und viel Geld aufgewandt, ihre bisherige digitale Technologie für inkrementelle Veränderungen zu nutzen: die Integration der IT, Straffung interner Prozesse, Verbesserung des Kundenerlebnisses, Integration neuer digitaler Funktionen in Produkte und Dienstleistungen. Weil dadurch aber ein infrastruktureller Flickenteppich entstand, haben sie jetzt einen Nachteil gegenüber neuen, kleinen und wendigen Start-ups, die das Innovationstempo vorgeben und hochhalten.

    1.2.2 Agil über Grenzen hinweg

    Moderne Organisationen erfordern neuartige Architekturen, um flexibel, beweglich und schnell zu sein. Klassische Hierarchien und funktionale Zuordnungen funktionieren nicht mehr. Es ist ja schon ein Mantra der digitalen Welt: Unternehmen müssen „agil" werden:

    Agile Denkweisen.

    Radikale Kunden- statt Produktorientierung! Mut zum Risiko mit hoher Eigenverantwortung.

    Agile Teams.

    Cross-funktional und zeitlich befristet zusammengesetzte, sich selbst steuernde Teams (siehe dazu Kap. 5).

    Agile Methoden.

    Flexibler, schneller, konsequenter mit Lean, Design Thinking, Scrum & Co.

    ‚Try fast – Fail fast – Learn fast!‘

    Agile Organisation.

    Partnerschaftliche, plattformgestützte Netzwerke von Unternehmen und Stakeholdern mit offenen Innovationsarchitekturen.

    1.2.3 Der Start

    Im Bestreben, ein Gegenmittel für ihre langsamen und schwerfälligen Betriebsmodelle zu finden und ein Stück der dynamischen Gründerkultur wieder zu finden, investieren große Unternehmen strategisch in Start-ups und bauen Digital Innovation Units (DIU) in Form von Netzwerkeinheiten auf, die Freiraum für Innovationen geben sollen. Einer Infront-Studie zufolge (siehe Sindemann und v. Buttlar 2018) sind solche DIUs meist organisiert als

    Innovation Labs (46 %):Kollaborative Ideengenerierung und Prototyping mit agilen Methoden. Interne Brutstätten vor allem für radikale bis disruptive Innovationen.

    Digital Business Units (15 %):Eigenständige Geschäftseinheit. Bringt Start-ups, Mittelständler, Forschungseinrichtungen und Entwicklungsabteilungen von Konzernen an einem neuen Standort zusammen.

    Acceleratoren (13 %):Veredelung von Ideen bis zur Umsetzungsreife. Impulse von außen durch passgenaue Startup-Programme. Sollen radikale Innovationen für bestehende und neue Zielgruppen hervorbringen.

    Company Builder (4 %):Entrepreneure auf dem Weg zu neuen Micro-Geschäftsfeldern. Sollen Geschäftsideen mit dem höchsten Innovationsgrad hervorbringen. Aufbau von Start-ups mit eigenen Ressourcen.

    Mischformen (22 %)

    Deiser (2018) steht solchen Innovationseinheiten kritisch gegenüber. Zum einen sieht er nur begrenzte positive Auswirkungen auf die Mainstream-Organisation, gleichzeitig aber das Risiko struktureller Konflikte. Diese Skepsis können wir so undifferenziert nicht teilen. Im zweiten Punkt, dem Konfliktrisiko, hat Deiser recht. Das Risiko ist vorhanden, wie bei allen großen Veränderungs- oder Merger-Initiativen. Aber nur weil manche Manager in ihrer Führungsfunktion überfordert und nicht in der Lage sind, tief greifende Change-Projekte professionell und erfolgreich voranzutreiben, heißt es nicht, dass die Idee von Digital Innovation Units die falsche ist. Dann liegt es an den Fähigkeiten der Führungskräfte. Die Integration alter und neuer Strukturen und Abläufe ist nun einmal das Wesen der digitalen Transformation, wenn man nicht ausschließlich auf neue Geschäftsmodelle, neue Portfolios oder gleich ganz neue Unternehmungen setzt.

    Zum ersten Punkt, den begrenzten Auswirkungen, können wir heute noch gar nicht viel sagen, hier ist Deiser mit seiner Einschätzung schlicht zu früh dran. Qualitativ äußern sich die allermeisten Unternehmen bisher positiv (90 % der von Infront 2017 untersuchten Unternehmen sind mit ihrer DIU alles in allem sehr zufrieden, 80 % aller DIUs haben einen sehr hohen Nutzen für das Trägerunternehmen und 97 % aller DIUs einen Effekt auf die digitale Transformation des Unternehmens).

    Dass die wirtschaftliche Relevanz der Digital Innovation Units bisher noch gering ausfällt, ist nicht verwunderlich. Immerhin sind die Innovationseinheiten deutscher Konzerne und Mittelständler mit einem durchschnittlichen Alter von 3 Jahren sehr jung und bewegen sich noch weitgehend in den frühen Phasen des Innovationsprozesses. Der Infront-Studie 2019 zufolge (Sindemann und v. Buttlar 2019) sind nahezu alle DIUs in den Phasen Innovation Discovery (Generierung von Ideen und ersten Konzepten) und Innovation Development (Testen von Prototypen und Weiterentwicklung bis zu Marktreife) aktiv. Aber erst 46 % beschäftigen sich auch mit der Skalierung von Innovationen, d. h. mit der kommerziellen Markteinführung.

    1.2.4 Ambidextrie im Spannungsfeld von Exploration und Exploitation

    Die DNA erfolgreicher Innovatoren basiert auf einer mutigen Denkweise, die sich der Konvention widersetzt. Zu ihrem Kern gehört die Exploration, d. h. das Erforschen von Neuem, das Experimentieren und Iterieren und die Bereitschaft, Fehler zu akzeptieren und daraus zu lernen. Digitale Innovation heißt also, Risiken einzugehen. Gleichzeitig brauchen wir stabile, verlässliche Strukturen und Abläufe, die ein profitables Kerngeschäft ermöglichen (Exploitation) und die nur behutsam verfeinert und optimiert werden. Das wiederum spricht für eine eher risikoaverse Denkweise. Mit diesem Konflikt sich widersprechender Paradigmen sehen sich alle etablierten Unternehmen konfrontiert, und er kann nicht mit der binären Logik von Entweder-Oder gelöst werden. Die Suche nach einer Lösung mündet in Portfolios mehrerer Betriebsmodelle und verschiedenen Arten von Mikroorganisationen innerhalb und außerhalb des Unternehmens.

    1.2.5 Die Ressourcenzuweisung

    Schon Projekte zur Aufrüstung von Altsystemen verlangen nach erheblichen personellen und finanziellen Ressourcen. Dabei stellen sie noch gar keine Transformation im Sinne von Produkt- oder Geschäftsmodellinnovationen dar. Das macht sie aber nicht weniger wichtig, schließlich bilden sie die Grundlage für die größeren, weitreichenderen Innovationen. Sie sind ein Muss, wenn Unternehmen nicht hoffnungslos zurückfallen wollen. Um die verfügbaren Mittel den unterschiedlichen Maßnahmen zuzuordnen, nutzte beispielweise Siemens Power Generation Services ein einfaches Framework, das die Maßnahmen zur digitalen Transformation in drei Zielkategorien einteilt (Abb. 1.3). Laut Tim Holt, dem damaligen CEO der Business Unit, werden rund 60 % des Transformationsbudgets für „Geld sparen, 30 % für „Mehr Geld verdienen und 10 % für „Neues Geld verdienen" bereitgestellt:

    Save Money.

    Digitale Technologien optimieren vorhandene Prozesse mit dem Ziel, Kosten zu sparen und die Gesamteffizienz und -effektivität zu verbessern.

    Make More Money.

    Digitale Technologien verbessern das bestehende Produktportfolio mit dem Ziel, den Wert für die Kunden zu steigern.

    Make New Money.

    Mit neuartigen Werteversprechen für die Kunden, die häufig mit neuen Geschäftsmodellen einhergehen, schaffen digitale Technologien neue Umsatzmöglichkeiten und Markträume.

    ../images/485117_1_De_1_Chapter/485117_1_De_1_Fig3_HTML.png

    Abb. 1.3

    Arenen der digitalen Transformation (Deiser 2018, S. 12)

    1.2.6 Vernetzung und Selbststeuerung

    Grenzen sind wesentliche Bausteine sozialer Systeme. Sie spielen eine wichtige Rolle für die Identität und Orientierung der verschiedenen Organisationseinheiten. Die digitale Transformation stellt diese gewachsenen Grenzen etablierter Unternehmen in Frage, sie rüttelt an den traditionellen Rollen und etablierten Markt- und Stakeholder-Beziehungen. Plattform-Geschäftsmodelle erfordern kollaborative Strukturen, die nicht nur funktionale und divisionale Silos überbrücken, sondern auch das externe Ecosystem als wertschöpfendes Netzwerk einbindet. Die vertikale hierarchische Führung und Kontrolle weichen einer verantwortungsvollen Selbststeuerung peripherer Einheiten, die sich an übergreifenden Grundsätzen orientiert (siehe dazu Kap. 5).

    1.2.7 Die Governance

    Im Zusammenhang mit dem Bemühen, die zahlreichen Maßnahmen zur digitalen Transformation zu koordinieren, hat in den letzten Jahren die Position des „Chief Digital Officer mit einem breiten Spektrum von Verantwortlichkeiten an Popularität gewonnen. Wie wir (siehe unser „Mythos 2 in Abschn. 3.​2) sieht auch Deiser in der CDO-Rolle ein Risiko, weil der meist große Verantwortungsbereich und das breite Aufgabenspektrum strukturelle Konflikte mit jenen Funktionen implizieren, die traditionell die Verantwortung für den jeweiligen Bereich tragen. Nichtsdestotrotz beobachten wir in der Praxis eine Erosion traditioneller funktionaler Rollen und Identitäten.

    1.2.8 Funktionale Identitäten

    Die Rollenbeschreibung eines typischen C DO ist ein gutes Zeugnis für den multidisziplinären Charakter der digitalen Transformation. C IOs beklagen beispielsweise häufig, dass es Geschäftsleuten an digitalem Scharfsinn mangelt, während die IT zum Schlüssel für die Wertschöpfung in der digitalen Welt wird. IT-Abteilungen rücken näher an das Geschäft und werden wichtige Akteure bei der Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen.

    Die Strategen im Unternehmen müssen die traditionelle Praxis strategischer Planung mit ihren jährlichen Zyklen durch einen fortlaufenden strategischen Lernprozess ersetzen. Sie sind gefordert, ihre gewohnten Grenzen zu überschreiten und radikale Geschäftsmodellinnovationen zu fördern, die den Kern des bisherigen Geschäfts zerstören können. HR als eine weitere Schlüsselfunktion muss sein enges Modell formeller Arbeitgeberverträge verlassen und sich stärker für freie Mitarbeiter öffnen, die möglicherweise niemals bei einem großen Unternehmen anheuern.

    1.2.9 Talentknappheit und Mindset-Probleme

    Mit der Digitalisierung ändert sich die Struktur der Arbeit erheblich. Manche der Arbeitsplätze in ihrer heutigen Form werden hinfällig, dafür sind neue Fähigkeiten gefragt. Das hohe Tempo des Wandels und der massive Umfang der Transformation erfordern einen Paradigmenwechsel in der Lern- und Entwicklungspraxis des Personals, z. B. die Schaffung einer lernorientierten Kultur und die Einführung des selbstgesteuerten (semi-) virtuellen Lernens (siehe dazu Kap. 11 und 17).

    Gleichzeitig ist der Wettbewerb um die knappen digitalen Top-Talente bereits groß und wird sich weiter verschärfen. Experten für Softwareentwicklung, Datenwissenschaft, künstliche Intelligenz, Robotik usw. sind Mangelware und schließen sich eher Start-ups oder großen digitalen Arbeitgebermarken wie Google, Amazon oder Facebook an als den Megakonzernen der alten Wirtschaft. Gestandene, bisher erfolgreiche Führungskräfte müssen ihre Mentalität und Verhalten ändern, um mit ihrer Organisation wieder attraktiv zu werden für die neue Generation. Hier stehen Unternehmen vor einer nicht einfachen Aufgabe, weil Kultur, Struktur und Denkweise einen sich selbst verstärkenden Teufelskreis bilden.

    1.3 Das Risiko Datensicherheit

    Eine weitere, von Deiser noch nicht erfasste Herausforderung ist die Datensicherheit. Nicht nur wurden die regulatorischen Rahmenbedingungen durch die Einführung der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verschärft. Digitale Ecosysteme mit komplexen Netzwerkstrukturen bieten Angriffsflächen, die von allen Orten der Welt aus genutzt werden können, mit beträchtlichem Schadenspotenzial in Form von (vgl. etwa Bartsch et al. 2018, S. 25):

    Imageschaden

    Patentrechtsverletzungen

    Schädigung von Informations- und Produktionssystemen oder Betriebsabläufen

    Umsatzeinbußen durch Verlust von Wettbewerbsvorteilen

    Umsatzeinbußen durch nachgemachte Produkte (Plagiate)

    Kosten für Rechtsstreitigkeiten

    etc.

    Obwohl sich die erfolgreichen Angriffe auf Unternehmensnetze und -rechner seit einigen Jahren massiv häufen, fehlt vielen Managern immer noch das Bewusstsein für die Risiken der digitalen Kriminalität. Die Zahlen dazu sind nicht eindeutig. In einer KPMG-Studie zu e-Crime in der deutschen Wirtschaft gaben 39 % der befragten Firmen an, dass sie in den vergangenen zwei Jahren von Hackerattacken betroffen waren (Sauermann und Geschonneck 2019, S. 7). Eine Bitkom-Studie nennt dagegen schon 68 % der Industrieunternehmen, die in den vergangenen zwei Jahren Opfer von Datendiebstahl, Industriespionage oder Sabotage gewesen sind, und weitere 19 Prozent, die vermutlich betroffen waren, bei denen sich der Erfolg der Übergriffe aber nicht zweifelsfrei feststellen ließ (Bartsch et al. 2018, S. 14). Dabei stand vor allem der in Deutschland besonders innovative und stark in die Lieferketten von großen Konzernen eingebundene Mittelstand im Fokus der Angreifer. Laut Bitkom waren drei von vier Unternehmen mit 100 bis unter 500 Mitarbeitern betroffen.

    Zu den meist gezählten Faktoren, die e-Crime begünstigen, gehören den Studien zufolge neben Unachtsamkeit und schlecht geschulten Mitarbeitern zumeist eine mangelnde Sicherheitskultur, verbunden mit einem unzureichenden Risikoverständnis. KPMG zufolge nimmt der Stellenwert vorbeugender Maßnahmen wie Schulung von Mitarbeitern und die Verschlüsselung von Daten und Datenträgern zwar wieder zu, allerdings ist die Investitionsbereitschaft nach wie vor insgesamt gering. Vor allem fehlt es an geeigneten Detektions- und Reaktionskompetenzen, also der Fähigkeit, Angriffe frühzeitig zu erkennen und schnell und angemessen reagieren zu können. In vielen Unternehmen scheint noch der Grundsatz zu herrschen: „Functionality first, cybersecurity later". Weil sich aber Informationen zum wichtigsten Rohstoff entwickeln und immer mehr Geschäftsprozesse vernetzt werden, sollten Unternehmen den Aufbau einer sicheren Infrastruktur nicht als Hindernis und Innovationsbremse betrachten, sondern als potenziellen Wettbewerbsvorteil beim Aufbau vertrauensvoller Kunden- oder Lieferantenbeziehungen.

    1.4 Zielstrebig ins Rennen gehen!

    Möchte man als Unternehmen langfristig erfolgreich sein, so gilt es mehr denn je, die Herausforderungen der digitalen Transformation und ihrer Technologien anzunehmen. Amazon, Airbnb oder Uber verdeutlichen eindrucksvoll, wie schnell junge Unternehmen wachsen, ehemals übermächtig erscheinende Konkurrenten überholen oder komplett vom Markt verdrängen.

    Dabei geht es für Unternehmen nicht nur darum, aktuelle Trends wie Cloud Computing, künstliche Intelligenz, virtuelle Realität oder das Internet der Dinge auszutesten. Unternehmen müssen verstehen, dass die digitalen Technologien die Spielregeln von Gesellschaft und Wirtschaft maßgeblich verändert haben. Nur wer sich diesen (digitalen) Spielregeln anpasst, wird auf Dauer eine Überlebenschance haben. Es überrascht in Zeiten des radikalen und schnellen Wandels nicht, dass die durchschnittliche Verweildauer in den Fortune 500 mittlerweile bei 15 Jahren liegt – und nicht mehr bei 75 Jahren wie in der Mitte des abgelaufenen Jahrhunderts. Traditionelle Unternehmen müssen ihre DNA deshalb grundlegend verändern. Was das konkret bedeutet, beschreiben wir mit vielen weiteren Experten in diesem Buch.

    Der Megatrend Digitalisierung ist nicht mehr aufzuhalten. Kunden und Mitarbeiter erwarten mittlerweile gleichermaßen, dass Unternehmen sich dieser Entwicklung stellen. Im Grunde scheint das vielen Unternehmen und Führungskräften bekannt zu sein. Umso erschreckender ist es, dass viele von ihnen keine schlüssige, aus der Unternehmensstrategie abgeleitete Digitalisierungsstrategie vorweisen können. Möchte man jedoch langfristig als Unternehmen überleben, so gibt es nur einen Weg: Die digitale Transformation zielstrebig angehen. Heute!

    Literatur

    Bartsch, M., Gentemann, L., Kob, T., Krösmann, C., Mille, M., Petri, A., Ritter, T., Rost, P., Schmidt, S., Schulz, M., Trapp, D., Wittmaack, L., & Wunderlich, T. (2018). Spionage Sabotage und Datendiebstahl: Wirtschaftsschutz in der Industrie. Bitkom-Studie. https://​www.​bitkom.​org/​sites/​default/​files/​file/​import/​181008-Bitkom-Studie-Wirtschaftsschut​z-2018-NEU.​pdf. Zugegeriffen am 04.07.2019.

    Bughin, J., Catlin, T., Hirt, M., & Willmott, P. (January 2018). Why digital strategies fail. McKinsey Insights. https://​www.​mckinsey.​com/​business-functions/​digital-mckinsey/​our-insights/​why-digital-strategies-fail. Zugegeriffen am 30.06.2019.

    Deiser, R. (2018). Digital transformation challenges in large and complex organizations. White paper. Claremont: CFFO Press.

    Krys, C., & Fuest, K. (2017) Roland Berger Trend Compendium 2030. Megatrend 5: Dynamic technology & innovation. Global trend study compiled by Roland Berger Institute. https://​www.​rolandberger.​com/​en/​Insights/​Global-Topics/​Trend-Compendium.​html. Zugegeriffen am 04.10.2018.

    OECD. (2018). OECD science, technology and innovation outlook 2018: Adapting to technological and societal disruption. Paris: OECD Publishing. https://​doi.​org/​10.​1787/​sti_​in_​outlook-2018-en. Zugegeriffen am 21.06.2019.

    Porter, M. E., James, E., & Heppelmann, J. E. (2014). How smart, connected products are transforming competition. Harvard Business Review, 92(11), 64–88.

    Porter, M. E., James, E., & Heppelmann, J. E. (2015). How smart, connected products are transforming companies. Harvard Business Review, 93(10), 97–114.

    Sauermann, M., & Geschonneck, A. (2019). e-Crime in der deutschen Wirtschaft: Computerkriminalität im Blick. KPMG-Studie. https://​hub.​kpmg.​de/​studie-e-crime-in-der-deutschen-wirtschaft-2019. Zugegeriffen am 18.07.2019.

    Siebel, T. (December 2017). Why digital transformation is now on the CEO’s shoulders. McKinsey Quarterly. https://​www.​mckinsey.​com/​business-functions/​digital-mckinsey/​our-insights/​Why-digital-transformation-is-now-on-the-CEOs-shoulders. Zugegeriffen am 21.06.2019.

    Sindemann, T., & Buttlar, H. v. (2018). Konzerne auf den Spuren von Startups – Wie etablierte Unternehmen Acceleratoren, Company Builder, und Innovation Labs als Instrumente der digitalen Transformation nutzen. Studie von Infront & Capital (2. Aufl.). https://​www.​infront-consulting.​com/​relaunch/​wp-content/​uploads/​2018/​06/​20180620_​Online_​final_​komp.​pdf. Zugegeriffen am 18.07.2019.

    Sindemann, T., & Buttlar, H. v. (2019). Konzerne auf den Spuren von Startups – Der steinige Weg zu substantieller digitaler Innovation. Studie von Infront & Capital (3. Aufl.). https://​www.​infront-consulting.​com/​publikationen/​#studie. Zugegeriffen am 18.07.2019.

    Fußnoten

    1

    Die folgenden Erläuterungen erfolgen in Anlehnung an Deiser 2018, kommentiert und aktualisiert durch die Befunde weiterer empirischer Studien.

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020

    M. Harwardt et al. (Hrsg.)Führen und Managen in der digitalen Transformationhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-28670-5_2

    2. Digitalisierung in Deutschland – Der aktuelle Stand

    Mark Harwardt¹  

    (1)

    E-Commerce und Marketing, Hochschule für angewandtes Management, Unna, Deutschland

    Mark Harwardt

    Email: mark.harwardt@fham.de

    „Das Internet ist für uns alle Neuland." (Angela Merkel)

    Der oben genannte Ausspruch verfolgt Angela Merkel, seitdem sie ihn im Rahmen einer Pressekonferenz mit Barack Obama im Jahre 2013 getätigt hat. Insbesondere im „Neuland" musste sie dafür viel Kritik einstecken, denn bereits zu dieser Zeit war das Internet in der Gesellschaft fest verankert. Aktuell wird geschätzt, dass mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung das Internet nutzt (Rabe 2018).

    Beim Lesen dieses Zitats von Angela Merkel kommen unweigerlich mindestens zwei Fragen auf:

    1.

    Hat die politische Landschaft in Deutschland die Bedeutung der Digitalisierung wirklich erfasst?

    2.

    Wie steht es um die Digitalisierung in Deutschland, wenn die Bundeskanzlerin im Jahre 2013 das Internet für „Neuland" hält?

    In diesem Beitrag wird daher diesen beiden Fragen nachgegangen. Dazu wird zunächst versucht, mit Hilfe von ländervergleichenden Indizes ein Bild von der Digitalisierung in Deutschland zu zeichnen. Anschließend wird dargelegt, wie die Politik aktuell mit dem Thema Digitalisierung umgeht.

    2.1 Digitalisierung

    Bevor jedoch diesen Fragen nachgegangen werden kann, sollten einige wichtige Grundlagen dargelegt werden. Dazu gehört die Definition des Begriffs Digitalisierung sowie eine Abgrenzung der Digitalisierung zum Begriff der digitalen Transformation. Dies ist nötig, da beide Begriffe oftmals synonym verwendet werden (Harwardt 2020, S. 13). Zusätzlich wird die Bedeutung der Digitalisierung herausgearbeitet. Diese wird mittlerweile auch als vierte industrielle Revolution und als Megatrend bezeichnet.

    2.1.1 Definition Digitalisierung

    Die Digitalisierung wird oftmals mit dem Siegeszug des Internets oder dem Einsatz von Computern gleichgesetzt. Dies ist jedoch nicht korrekt, denn Digitalisierung im engeren Sinne ist die Umwandlung von bisher analogen Daten in digitale Daten, z. B. ein Ölgemälde, das auch als Bild-Datei verfügbar gemacht wird. Diese Umwandlung von analogen Informationen bietet einige Vorteile (Kröhling 2017, S. 24):

    Die geringen Reproduktionskosten bei nahezu unbegrenzten Reproduktionsmöglichkeiten,

    die Möglichkeit der schnellen und weltweiten Verteilung, sowie

    die maschinelle Auswertung und Weiterverarbeitung.

    Digitalisierung im weiteren Sinne bedeutet, dass sogar analoge Vorgänge und Handlungen in eine Sprache übersetzt werden, die von Maschinen gelesen werden kann (Rürup und Jung 2017, S. 5). Etwas anschaulicher formuliert kann man sagen, dass der Begriff Digitalisierung auch dann zum Einsatz kommt, wenn analoge Prozesse durch den Einsatz von Technologie abgelöst oder verändert werden, z. B. die Ablösung von manueller Datenerfassung in der Auftragsbearbeitung (Deeken und Fuchs 2018, S. 9).

    In Übereinstimmung mit diesen Definitionen wird der Beginn der Digitalisierung weit vor die Entstehung des Internets gelegt. So wird der Beginn der Digitalisierung oftmals mit der Präsentation des Dualsystems und der Binärzahlen durch Gottfried Wilhelm Leibnitz (1646–1716), mit dem von Samuel F. B. Morse entwickelten ersten Telegrafen (ab dem Jahre 1933) oder mit der Einführung der ersten Großrechner (ab den 1960er-Jahren) gleichgesetzt (Anderie 2018, S. 16; Botzkowski 2018, S. 22).

    2.1.2 Abgrenzung Digitalisierung und digitale Transformation

    Die zunehmende Digitalisierung ist für die meisten Unternehmen deutlich spürbar (Henriette et al. 2016, S. 439–440):

    Die neuen digitalen Technologien haben viele Unternehmen verwundbar gemacht, weil die Markteintrittsbarrieren für neue Unternehmen wie z. B. Uber, Airbnb und Netflix deutlich gesenkt wurden.

    Zusätzlich hat die Digitalisierung dafür gesorgt, dass sich die Erwartungshaltung der Kunden gegenüber den Unternehmen verändert hat (siehe auch Abschn. 3.​3.​3). Viele Kunden erwarten z. B. mittlerweile von den Unternehmen, dass sie im Internet präsent und erreichbar sind. Leider können die Erwartungen der Kunden dabei auch höchst unterschiedlich ausfallen: So könnte sich eine Hälfte der Kunden eines Onlineshops wünschen, dass möglichst viele Daten gesammelt und ausgewertet werden, um personalisierte Angebote präsentiert zu bekommen. Die andere Hälfte hingegen lehnt genau dieses ab und möchte möglichst anonym im Webshop einkaufen können.

    Die zunehmende Digitalisierung hat aber auch gute Seiten, denn es ergeben sich auch neue Chancen. Es ist beispielsweise noch nie so einfach gewesen, mit Hilfe des Internets in andere Länder zu expandieren oder die eigenen Kunden rund um die Uhr zu erreichen und ihnen Einkaufsmöglichkeiten zu bieten.

    Aus diesen Ausführungen kann man schließen, dass es Unternehmen nicht einfach nur darum gehen sollte, die neusten Technologien bedenkenlos einzusetzen. Unternehmen sollten vielmehr die neuen Technologien eingehend analysieren und die mit diesen Technologien verbundenen Chancen und Risiken erfassen. Das Ziel der Unternehmen sollte es sein, eine angemessene Reaktion und den richtigen Umgang mit digitalen Technologien zu identifizieren. (Harwardt 2020, S. 9).

    Die digitale Transformation, und das unterscheidet sie somit grundlegend von der Digitalisierung, verfolgt somit nicht das bloße Ziel, digitale Technologien in Unternehmen einzuführen (Biesel und Hame 2018, S. 2). Natürlich wird bei der digitalen Transformation neue Technologie eingeführt, aber es werden damit auch immer bestimmte Ziele verfolgt, z. B. die Erhöhung der Produktivität oder die Einführung neuer Kommunikationsinfrastrukturen (Ebert und Duarte 2018, S. 16). Weitere mögliche Zielsetzungen der digitalen Transformation finden sich in Tab. 2.1.

    Tab. 2.1

    Mögliche Zielsetzungen der digitalen Transformation. (Quelle: in Anlehnung an Ebert und Duarte 2018, S. 16)

    Man kann somit festhalten, dass es sich bei der digitalen Transformation um einen Prozess handelt, der mit Hilfe digitaler Technologien bewusst Veränderungen herbeiführt und dabei bestimmte Ziele verfolgt (Harwardt 2020, S. 10).

    2.1.3 Digitalisierung als vierte industrielle Revolution und Megatrend

    Die Erfindung des mechanischen Webstuhls und die damit beginnende Einführung von mechanischen Produktionsanlagen wird heute als erste industrielle Revolution bezeichnet, die große Veränderungen für die Wirtschaft, aber auch für die Gesellschaft gebracht hat (Abb. 2.1). Analog dazu wird die Digitalisierung mittlerweile als vierte industrielle Revolution bezeichnet, weil sich aus den digitalen Technologien unzählige Möglichkeiten und Veränderungen für Unternehmen und Menschen ergeben haben und noch ergeben werden (Anderie 2018, S. 17; Hermanni 2017, S. 13).

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    Abb. 2.1

    Die vier Phasen der industriellen Revolution. (Quelle: Becker et al. 2017, S. 8)

    Ein wesentlicher Treiber der vierten industriellen Revolution ist das Internet, das mittlerweile zur zentralen Kommunikations- und Informationsinfrastruktur weltweit geworden ist (Kröhling 2017, S. 24). Mehr als 3,5 Milliarden Menschen nutzen aktuell das Internet (Ternès 2018, S. 3). Dabei produzieren und konsumieren sie große Mengen an Daten. So werden in 60 Sekunden beispielsweise 65.000 Bilder auf Instagram hochgeladen oder 1,5 Millionen Songs auf Spotify gehört (Brandt 2018). Zusätzlich gehen Schätzungen für das Jahr 2020 davon aus, dass bis dahin 100 Milliarden verschiedene Geräte wie z. B. Amazons Echo, Google Home oder die Apple Watch an das Internet angeschlossen sein werden.

    Diese Zahlen zeigen recht eindrucksvoll, dass es sich bei der Digitalisierung um einen Megatrend handelt. Ein Megatrend zeichnet sich u. a. dadurch aus, dass er zunächst nur sehr langsam beginnt, dann aber mindestens Jahrzehnte andauert und global ein großes Veränderungspotenzial mit sich bringt, das nahezu alle Lebensbereiche betrifft (Horx 2011, S. 72–77; Naisbitt und Aburdene 1992, S. 9–10).

    Streibich (2015) hält sogar fest: „Die Digitalisierung ist heute mehr als ein weltweiter Megatrend. Die Digitalisierung treibt disruptive Veränderungen in jeder Branche, zu jeder Zeit, überall auf der Welt. Deshalb ist sie kein technologisches Konzept, sondern eine umwälzende Veränderung unserer Gesellschaft, die alle Lebensbereiche der Menschen erfasst. Doch warum ist die Digitalisierung so einflussreich? Sie verändert unser Leben jeden Tag, indem sie die Welt informierter, transparenter, effizienter, objektiver und damit besser macht – und das nicht nur im Konsumenten-Bereich, sondern gerade auch bei Themen wie Innovationskraft, Chancengleichheit und Umweltschonung. Insgesamt treibt die Digitalisierung Wachstum und Wohlstand an wie keine andere Veränderung unserer Zeit" (S. 15).

    Bei aller Euphorie bezüglich der Digitalisierung und ihrer Möglichkeiten soll jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass die zunehmende Digitalisierung natürlich auch ihre Schattenseiten hat. Zwar werden z. B. durch die Digitalisierung durchaus neue Stellen geschaffen, jedoch werden durch den verstärkten Einsatz von digitalen Technologien auch viele Stellen wegfallen und das Personal nicht einfach innerhalb der Unternehmen umplatziert werden (Harwardt 2020, S. 123–124). Wenn sich große Teile des Lebens im Internet abspielen, dann bieten sich dort auch Angriffsflächen. Prinzipiell jedes internetfähige Gerät kann gehackt und für Spionage, Datendiebstahl oder anderen Missbrauch genutzt werden. Aus den USA sind bereits Fälle bekannt, bei denen Autos Ziel eines solchen Angriffs wurden (Bewarder 2016). Die Liste der Gefahren und Risiken der Digitalisierung ließe sich fortführen, für eine kurze Verdeutlichung sollen diese zwei Beispiele jedoch ausreichen.

    2.2 Status der Digitalisierung in Deutschland

    Nachdem die wichtigsten Grundlagen dargelegt worden sind, wird es Zeit, sich dem eigentlichen Thema dieses Beitrags, nämlich der Digitalisierung in Deutschland zu widmen. Um es gleich vorwegzunehmen: Eine eindeutige Beurteilung des digitalen Status in Deutschland wird leider nicht möglich sein. Zwar gibt es verschiedene Indizes, die die Digitalisierung in einem Land zu erfassen versuchen, jedoch weichen diese zum Teil erheblich voneinander ab.

    Dennoch sollen nachfolgend vier der bekannteren Digital-Indizes vorgestellt werden, da sich hier interessante Erkenntnisse ableiten lassen. Zwei davon versuchen den Grad der Digitalisierung in unterschiedlichen Ländern zu messen: der Index für digitale Wirtschaft und Gesellschaft sowie der Networked Readiness Index. Der Wirtschaftsindex DIGITAL befasst sich ausschließlich mit der Digitalisierung in Deutschland. Der vierte Index, der Standortindex Digital, bewertet die Rahmenbedingungen für die digitale Wirtschaft in unterschiedlichen Ländern.

    2.2.1 Der Index für digitale Wirtschaft und Gesellschaft

    Der Index für digitale Wirtschaft und Gesellschaft (Digital Economy and Society Index, DESI) wird von der Europäischen Kommission erstellt. Der Index misst auf einer Skala von 0 bis 100 den Grad der Digitalisierung in jedem einzelnen EU-Land, wobei 100 das bestmögliche Ergebnis darstellt. Der Index wird gebildet, indem fünf Schwerpunktbereiche eingehender analysiert werden: Konnektivität, Humankapital, Internetnutzung, Integration der Digitaltechnik und digitale öffentliche Dienste (Tab. 2.2). Jeder Schwerpunktbereich besteht wiederum aus sogenannten Bausteinen, die zusammen eine Beurteilung der Schwerpunktbereiche ermöglichen.

    Tab. 2.2

    Schwerpunktbereiche und Bausteine von DESI 2018. (Quelle: in Anlehnung an European Commission 2018a)

    Für die gesamte Europäische Union wurde beim DESI im Jahre 2018 ein Durchschnittswert von 54 ermittelt. Deutschland liegt mit seinem Indexwert von 55,6 also über dem Durchschnitt und hat sich im Vergleich zu dem Jahr 2017 sogar verbessert (Indexwert von 52,7). Dennoch sind diese Werte kein Grund für große Zufriedenheit: Zum einen hat sich Deutschland im Vergleich zum EU-Durchschnitt in den letzten Jahren weniger weit entwickelt (im Jahr 2017 ein Wert von 50,8 für den EU-Durchschnitt). Zum anderen belegt Deutschland Platz 14 von 28 Ländern.¹ Damit landet Deutschland zwar vor Slowenien, Portugal oder Tschechien, jedoch auch hinter Ländern wie Litauen, Malta oder Estland (Abb. 2.2). Der Spitzenreiter Dänemark kommt auf einen Wert von 73,7 (European Commission 2018a, b).

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    Abb. 2.2

    Rangfolge nach DESI 2018. (Quelle: European Commission 2018a, S. 1)

    Im Bericht für Deutschland wird kritisch festgehalten: „Deutschland nimmt unter den 28 EU-Mitgliedsstaaten den 14. Platz ein. Insgesamt hat das Land im vergangenen Jahr Fortschritte gemacht. Deutschland ist bei der Festnetzbreitbandnutzung und den diesbezüglichen Preisen gut aufgestellt. Die digitale Kluft zwischen Stadt und Land bezüglich der Versorgung mit schnellen Internetanschlüssen ist jedoch nach wie vor offensichtlich, und der Anteil der Glasfaseranschlüsse ist im ganzen Land sehr niedrig. Die Deutschen verfügen über gute digitale Kompetenzen (Rang 7), der Fachkräftemangel im IKT-Bereich könnte das Entwicklungspotenzial der deutschen Wirtschaft allerdings ausbremsen. Beim Online-Einkauf sind die Deutschen besonders aktiv und deutsche Unternehmen nutzen die Möglichkeiten des Internet-Handels. Den größten digitalen Nachholbedarf gibt es bei der Online-Interaktion zwischen Behörden und Bürgern. Nur 39 % der Bevölkerung nutzen elektronische Behördendienste. Damit liegt Deutschland unter den Mitgliedstaaten auf Platz 25" (European Commission 2018a, S. 2).

    2.2.2 Der Networked Readiness Index

    Der Grad der Digitalisierung in einem Land kann auch mit Hilfe des Networked Readiness Index (NRI) bestimmt werden. Der NRI wird vom Weltwirtschaftsforum ermittelt, das wohl für die Ausrichtung der gleichnamigen Veranstaltung in Davos am bekanntesten sein dürfte. Anders als der DESI setzt der der NRI auf lediglich vier Schwerpunktbereiche, die hier Subindizes genannt werden: Umfeld, Bereitschaft, Anwendung und Auswirkung. Auch hier werden den Schwerpunktbereichen wieder Bausteine zugeordnet, die eine genaue Beurteilung ermöglichen sollen (Tab. 2.3). Der Subindex Umfeld misst, in welchem Ausmaß Unternehmen und Verwaltung neue Technologien und Startups fördern. Der Subindex Bereitschaft ermittelt, inwieweit die Gesellschaft eines Landes auf die Nutzung digitaler Technologien vorbereitet ist. Die tatsächliche Nutzung dieser Technologien wird über den Subindex Anwendung bestimmt. Die Auswirkungen des Technologieeinsatzes werden mit dem Subindex Auswirkung ermittelt.

    Tab. 2.3

    Schwerpunktbereiche und Bausteine des NRI. (Quelle: in Anlehnung an Weltwirtschaftsforum 2016)

    Der NRI ermittelt für jeden Baustein einen Wert zwischen 1 und 7, wobei 7 das Optimum darstellt. Mit einem Wert von 5,6 landet Deutschland auf Platz 15 (Abb. 2.3). Der Median für alle 139 untersuchten Länder liegt bei 4,83. Zum Vergleich: Der Spitzenreiter des vorherigen Index, Dänemark, kommt beim NRI punktgleich mit Deutschland auf Platz 11. Auch der NRI kritisiert einige Punkte an der Digitalisierung in Deutschland:

    Mangelnde Ausschöpfung der E-Government-Potenziale,

    Hohe Preise für Breitbandinternet, sowie

    Unzureichende Förderung für Startups.

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    Abb. 2.3

    Networked Readiness Index 2016 für Deutschland. (Quelle: in Anlehnung an Weltwirtschaftsforum 2016)

    Eine größere Überraschung ist jedoch die Bewertung der digitalen Infrastruktur. Wurde diese im DESI noch umfassend kritisiert, so sieht das der NRI völlig anders. Mit einem Wert von 6,6 landet Deutschland hier auf dem zwölften Platz.

    2.2.3 Der Wirtschaftsindex DIGITAL

    Bereits seit einigen Jahren veröffentlicht das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie den Monitoring-Report Wirtschaft DIGITAL mit dem dazugehörigen Wirtschaftsindex DIGITAL. Der Wirtschaftsindex DIGITAL soll die Digitalisierung in deutschen Unternehmen erfassen und basiert auf einer Befragung von 1061 Entscheidern. Der Index kann Werte zwischen 0 und 100 annehmen, wobei 100 den besten Wert darstellt (BMWi 2018a, S. 8). Der Wirtschaftsindex DIGITAL berücksichtigt drei Schwerpunktbereiche: die Nutzung digitaler Geräte und Infrastrukturen, die digitale Entwicklung der Unternehmen sowie die Geschäftserfolge durch die Digitalisierung (Tab. 2.4). Auch hier sind den Schwerpunktbereichen wieder verschiedene Bausteine zugeordnet worden.

    Tab. 2.4

    Schwerpunktbereiche und Bausteine des Wirtschaftsindex DIGITAL. (Quelle: in Anlehnung an BMWi 2018a, S. 8)

    Für das Jahr 2018 wurde ein Index von 54 Punkten ermittelt. Dies zeigt auf der einen Seite, dass großes Verbesserungspotenzial besteht, wenn der Index bis 100 Punkte reicht. Auf der anderen Seite geben die Vergangenheitswerte Grund zur Besorgnis: Für das Jahr 2017 wurde der gleiche Wert ermittelt, für das Jahr 2016 sogar mit 55 Punkten ein leicht höherer Wert. Gemäß dem Index hat sich die deutsche Wirtschaft im Bereich der Digitalisierung nicht verbessert, sondern sich insgesamt sogar leicht verschlechtert (Abb. 2.4).

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    Abb. 2.4

    Entwicklung der Digitalisierung nach dem Wirtschaftsindex DIGITAL. (Quelle: BMWi 2018a, S. 10)

    Auch die Prognose des Wirtschaftsindex DIGITAL gibt kaum Anlass davon auszugehen, dass die Digitalisierung in den Unternehmen weiter vorangetrieben wird. So wird für das Jahr 2023 ein Wert von 56 vorausgesagt, was sogar zwei Punkte unter den Prognosen der Jahre 2016 und 2016 liegt. Man kann also davon ausgehen, dass die Unternehmen die Erwartungen in Hinblick auf die weitere Digitalisierung gesenkt haben (BMWi 2018a, S. 10). Dies kann man auch an den geplanten Investitionen in Digitalisierungsprojekten ablesen, die sich im dazugehörigen Report finden. Zwar erkennen nahezu fast alle Branchen die Wichtigkeit der Digitalisierung an (BMWi 2018a, S. 17), dennoch planen weniger als die Hälfte der befragten Unternehmen mittlere oder größere Investitionen in Digitalisierungsprojekten (Abb. 2.5).

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    Abb. 2.5

    Geplante Investitionen in Digitalisierungsprojekte. (Quelle: BMWi 2018a, S. 24)

    Dazu passt weniger, dass 71 % aller befragten Entscheider der Unternehmen der Digitalisierung einen hohen Stellenwert einräumen und sogar angeben, dass sie ihr starken oder sehr starken Einfluss auf den Unternehmenserfolg zuschreiben. Im Vorjahr waren dies nur 58 % aller Befragten. Ebenso verwunderlich ist, dass sich der Umfang an digitalen Diensten und Angeboten verringert habe. Gaben im Jahr 2017 noch 61 % der Unternehmen an, dass sie einen hohen oder sehr hohen Anteil an digitalen Diensten und Angeboten haben, so waren es im Jahr 2018 nur noch 58 % aller befragten Unternehmen (BMWi 2018a, S. 26–29).

    Tab. 2.5 fasst die Ergebnisse der Untersuchung zusammen, die das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie als „Kernpunkte" bezeichnet. Diese liefern zunächst ein recht positives Bild der Digitalisierung in deutschen Unternehmen. Bei der Interpretation dieser Kernpunkte sollte man sich jedoch einiger Aspekte bewusst sein:

    1.

    Der Wirtschaftsindex DIGITAL hat sich in den letzten Jahren nicht positiv entwickelt. Er ist sogar leicht gesunken. Zusätzlich wurde lediglich ein Wert von 54 von 100 möglichen Punkten ermittelt.

    2.

    Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ist mit Sicherheit daran interessiert, den aktuellen Stand der Digitalisierung zu ermitteln – bloßstellen möchte man sich selbst aber vermutlich auch nicht.

    3.

    Bei einem Thema wie Digitalisierung kann es schnell zu Verzerrungen aufgrund von sozialer Erwünschtheit kommen, d. h. die Teilnehmer nehmen ein Antwortverhalten ein, bei dem sie vermuten, dass es auf allgemeine Zustimmung treffen wird. Dies würde erklären, warum viele der Digitalisierung mindestens einen hohen Stellenwert einräumen und dennoch nicht in die Digitalisierung investieren.

    Tab. 2.5

    Kernpunkte des Monitoring-Reports Wirtschaft DIGITAL. (Quelle: in Anlehnung an BMWi 2018a, S. 14–15)

    2.2.4 Der Standortindex DIGITAL

    Der Standortindex DIGITAL wird ebenfalls vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie erhoben und gehört auch zum Monitoring-Report Wirtschaft DIGITAL. Der Index bewertet die digitalen Rahmenbedingungen in Deutschland und vergleicht sie mit anderen Ländern: „Wie hoch die künftigen Wachstumschancen der Digitalen Wirtschaft eines Landes sind, hängt entscheidend von den Voraussetzungen ab, die Unternehmen dort vorfinden. Diese Rahmenbedingungen fasst der Standortindex DIGITAL jeweils zu einem Wert für die globale Leistungsfähigkeit zusammen" (BMWi 2018b, S. 30).

    Als Vergleichsländer für die digitalen Rahmenbedingungen werden im Standortindex DIGITAL die folgenden herangezogen (BMWi 2018b, S. 30):

    Weltmarktführer: USA und Südkorea,

    europäische Marktführer: Großbritannien und Finnland,

    weitere europäische Länder: Frankreich und Spanien,

    asiatische Wachstumsmärkte: Indien, China und Japan.

    Der Standortindex DIGITAL kennt drei Schwerpunktbereiche. Diese werde mit Hilfe von bis zu 17 verschiedenen Bausteinen analysiert (Tab. 2.6). Die drei Schwerpunktbereiche sind Marktstärke, infrastrukturelle und sonstige Rahmenbedingungen sowie die Nutzung von Technologie und Anwendungen. Analog zum Wirtschaftsindex DIGITAL kann auch der Standortindex DIGITAL Werte zwischen 0 und 100 annehmen, wobei 100 das Optimum darstellt.

    Tab. 2.6

    Schwerpunktbereiche des Standortindex DIGITAL. (Quelle: in Anlehnung an BMWi 2018b, S. 31–50)

    Für das Jahr 2017 erreicht Deutschland einen Standortindex DIGITAL von 65 Punkten, was eine Verbesserung um einen Punkt im Vergleich zum Vorjahr darstellt. Im Ländervergleich belegt Deutschland damit Platz fünf von zehn untersuchten Ländern (Abb. 2.6). Das Ranking wird von den USA mit 85 Punkten angeführt, was einen deutlichen Vorsprung auf Deutschland darstellt. Bei der Marktstärke kommt Deutschland auf 41 Punkte. Das macht Platz sieben im Ländervergleich und 38 Punkte hinter den erstplatzierten USA. Dies liegt vor allem am geringen ITK-Umsatz und dem geringen Umsatzwachstum. Auch die ITK-Exporte fallen äußerst gering aus (BMWi 2018b, S. 31–40).

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    Abb. 2.6

    Gesamt-Ranking des Standortindex DIGITAL. (Quelle: BMWi 2018b, S. 30)

    Bei den infrastrukturellen und sonstigen Rahmenbedingungen erreicht Deutschland 81 Punkte und liegt damit nur vier Punkte hinter dem führenden Finnland. Im Ländervergleich macht das einen vierten Platz. Eine bessere Platzierung u. a. verhindert durch die geringe Tablet-Verbreitung, die geringe Smart-Phone-Abdeckung, dem Anteil der ITK-Patente, die geringe Bereitschaft zur digitalen Transformation in den Unternehmen und die naturwissenschaftliche Schulbildung. Bei der Bereitschaft für digitale Transformation in Unternehmen belegt Deutschland sogar den letzten Platz. Führend ist Deutschland hingegen bei der Innovationsfähigkeit, was sich in der Anzahl der Patente, den wissenschaftlichen Veröffentlichungen und der Zufriedenheit mit deutschen Produkten ausdrückt (BMWi 2018b, S. 42–49).

    Im Schwerpunktbereich Nutzung von Technologien und Anwendungen kommt Deutschland auf Platz sechs mit 77 Punkten. Der Gesamtführende ist wieder die USA mit 92 Punkten. Ein Grund für den sechsten Platz sind die geringe mobile Internetnutzung, die geringe Nutzung sozialer Netzwerke, die geringe App-Nutzung, die geringe Nutzung des Online-Bankings, die Nutzung digitaler Technologien in Unternehmen und das unzureichende E-Government-Angebot (BMWi 2018b, S. 51–56).

    Auch wenn sich ein fünfter Platz mit 65 Punkten im Gesamtranking zunächst recht positiv anhört, so sollte man auch bei der Interpretation des Standortindex DIGITAL kritisch bleiben:

    Auch hier symbolisieren 65 Punkte beim

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