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Wirtschaftskrieg: Rivalität ökonomisch zu Ende denken
Wirtschaftskrieg: Rivalität ökonomisch zu Ende denken
Wirtschaftskrieg: Rivalität ökonomisch zu Ende denken
eBook2.234 Seiten22 Stunden

Wirtschaftskrieg: Rivalität ökonomisch zu Ende denken

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Über dieses E-Book

Wer die aktuellen Entwicklungen in den internationalen Handelsbeziehungen verstehen will, kommt nicht umhin, sich mit dem Thema „Wirtschaftskrieg“ auseinanderzusetzen. Ulrich Blum untersucht in diesem Buch das Wesen des Wirtschaftskriegs, das zugehörige Menschen- und Ordnungsbild, die Institutionen, den Erklärungsbeitrag der Staatsphilosophien aus der Sicht der modernen Ökonomik und anderer sozialwissenschaftlicher Theorien sowie der Militärwissenschaften. Sodann analysiert er den Wirtschaftskrieg als Führungsaufgabe in komplexen Märkten, die Bedingungen für Erfolg, sowie die Sicht der Unternehmen und des Staats, insbesondere im Blick auf den verbundenen Instrumenteneinsatz.
Eine Vielzahl historischer und aktueller Beispiele untermauert die Ausführungen und verweist auf die Dringlichkeit, sich mit der Abgrenzung zwischen Wettbewerb und Wirtschaftskrieg, beides Teile der Rivalität, zu befassen: Lässt sich intensiver Wettbewerb durch kluge Regelsetzung nachhaltig aufrechterhalten oder tendiert er regelmäßig zur Radikalisierung, wie gerade das letzte Jahrzehnt zeigt? Für den militärischen Konflikt ist seit Clausewitz bekannt, dass bewaffnete Auseinandersetzungen grundsätzlich zur Eskalation neigen – nur die Politik als letztgültiger Zweck kann sie einhegen. Der ökonomische Wettbewerb bedarf ganz analog eines klaren ordnungsökonomischen und politischen Rahmens, um nicht zum Wirtschaftskrieg zu eskalieren, was vor allem angesichts der aktuell beobachtbaren Hybridisierung von Konflikten zunehmend schwerfällt.

SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer Gabler
Erscheinungsdatum27. Nov. 2020
ISBN9783658283643
Wirtschaftskrieg: Rivalität ökonomisch zu Ende denken

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    Buchvorschau

    Wirtschaftskrieg - Ulrich Blum

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020

    U. BlumWirtschaftskrieghttps://doi.org/10.1007/978-3-658-28364-3_1

    1. Wirtschaftskrieg als neues ökonomisches Paradigma

    Ulrich Blum¹  

    (1)

    Halle-Wittenberg, Martin-Luther-Universität, Halle (Saale), Sachsen-Anhalt, Deutschland

    Ulrich Blum

    Email: ulrich.blum@wiwi.uni-halle.de

    „Si vis pacem para bellum"

    („Wenn Du den Frieden willst, bereite den Krieg vor")

    Marius Tullius Cicero

    Lässt sich Wettbewerb auf einem hohen und intensiven Niveau aufrechterhalten – aber sozialverträglich gestalten, um seine Wohlfahrtseffekte zu entfalten – oder tendiert er stets entweder zum Abschlaffen, schlimmstenfalls mittels Kartelle, oder zur Radikalisierung? Das ist eine der zentralen Fragen fast aller Ordnungsökonomen. Für den militärischen Konflikt gibt es eine Antwort: Carl von Clausewitz verweist in seinem Buch Vom Kriege (1832) darauf, dass bewaffnete Konflikte grundsätzlich zur Eskalation neigen – nur die Politik als letztgültiger Zweck kann sie einhegen. René Girard (2007) betont in Achever Clausewitz, dass die Tendenz zum Angleichen der Verhaltensweisen – im Idealfall handeln dann alle „effizient" – zur totalen Eskalation führt. Gibt es hierfür Entsprechungen in der Wirtschaft? Muss deshalb das Denken in ordnungsökonomischen Kategorien eine neue Bedeutung erhalten? Gerät die europäische Errungenschaft des Sozialstaats und einer werterückgebundenen Wirtschaftsordnung – in Deutschland die Soziale Marktwirtschaft nach Ludwig Erhard (1957b) – durch zwei atypische Kapitalismusformen unter Druck: Einmal durch den Marktradikalismus amerikanischer Prägung, der ganz im Sinne von Carl von Clausewitz und René Girard die eskalierte Form des Wettbewerbs ist – genau deshalb muss Wettbewerb bzw. Rivalität bis ans bittere Ende gedacht werden – und zum anderen durch den autoritären asiatischen Staatskapitalismus?

    Rivalität leitet sich aus dem lateinischen rivalitas ab und verweist auf Konflikte bei der gemeinsamen Nutzung eines Wasserlaufs, später im Umgang mit einem Nebenbuhler. Damit sie für die Gesellschaft förderlich abläuft, hat sich die Menschheit schon früh Regelwerke gegeben, die aber auch immer wieder ausgehebelt wurden – teils im Rahmen des Fortschritts, teils im Rahmen unfairen Verhaltens, und beides ist nicht klar zu unterscheiden, zumindest anfangs, wenn das künftige Ergebnis noch unbekannt ist. Denn langfristig sozialverträglich ist nur die Konkurrenz, zu der es des Mitstreiters bedarf, der nicht ultimativ vernichtet wird, wie die lateinische Wurzel concurrere – gemeinsam laufen – nahelegt. Wettlauf soll berührungsfrei sein, Ringen oder Boxen ist körperlich, gelegentlich die Gesundheit des Gegners, manchmal auch die eigene zerstörend. Krieg ist die final zerstörerische Komponente der Rivalität.¹ Früher stand meist der militärische Krieg mit dem Ziel der Zerstörung im Mittelpunkt, der psychologische Krieg (Orakel, Propaganda) oder der Wirtschaftskrieg (Belagerung, Aushungern, Boykott, Sanktionen) waren eher sekundär. Das hat sich gedreht. Heute hingegen stehen sehr häufig wirtschaftliche Rivalitäten am Anfang der Eskalation.

    Die Rivalität der Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme wurde Ende des letzten Jahrhunderts zu Lasten des Sozialismus als dem großen konkurrierenden Gesellschaftsentwurf und zu Gunsten der liberalen Marktwirtschaft entschieden. Als Vorstellung von sozialer Freiheit wurde er desavouiert durch den realen Sozialismus und Kommunismus sowjetischer oder asiatischer Prägung. Dabei entwickelte sich, wie Alexander Honneth (2015, S. 25, 51, 61) in seinem Buch Die Idee des Sozialismus ausführt, die Vorstellung der sozialen Gesellschaft schon früh als Komplement zur Entfesselung der Marktkräfte der Neuzeit. Diese Idee besitzt eine Tradition, die auf die Aufklärung, beispielsweise den Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz, zurückgeht. Der Antagonismus drückt sich möglicherweise auch in der Spaltung des Individuums in den citoyen, den Staatsbürger in der societas, dem Gemeinwesen, und in den bourgeois, den Bürger – im Grenzfall den global verorteten, bindungslosen „global citizen" – aus.

    Nach ihrem offensichtlichen Sieg zum Ausklang des letzten Jahrhunderts, die Francis Fukuyama (1992) folgend ein End of History einleiten sollte, weil die in der marxistischen Theorie postulierte Dialektik der Geschichte nun auf jeden Fall zum Ende gekommen sei, scheint die Strahlkraft der freiheitlichen Ordnung nachzulassen, zumal sie offensichtlich häufig nicht den Bedarf an emotionaler Sinnstiftung in Gestalt von Mythos, Mysterium, Wunder und Autorität befriedigt. Der ökonomischen Theorie folgend existieren Pfadbindungen, die ebenso technologische wie kulturelle Wurzeln haben. Das naturwissenschaftliche Rationalmodell der modernen Gesellschaft prallt auf scheinbare Irrationalität, die dem liberalen Programm als zutiefst widersprechend angesehen und ihre politische Realisierung oft als populistisch eingeordnet wird. Das Rationalitätspostulat steht dem Bedarf nach entsprechenden Narrativen großer Teile der Bevölkerung entgegen. Dies aber wertet solche Ordnungen und politischen Handlungen auf, die sich gerade aus diesen Erzählungen speisen, vor allem solche, die – provokativ gesprochen – im Sinne eines Anknüpfens an große alte Zeiten dem Liberalen als revisionistisch erscheinen: Russland und China wollen ihre Erniedrigungen überwinden und die USA strebt zurück zum globalen Hegemonialstatus. Definiert man die grand strategy eines Lands oder eines Bündnisses als der das Mittel-Ziel-System, das dem Zweck des Überlebens dient, dann wird diese in diesen drei Ländern weit deutlicher als in Europa und seinen Staaten. Gerade in diesen Widersprüchen haben sich die Quellen der neuen Wirtschaftskriege angesiedelt. Historisch gilt dies auch – immer war der Wirtschaftskrieg wie auch der ihn meist begleitende Krieg eine Form der Auseinandersetzung von Identitäten. Für das Überleben in einer rivalen Welt ist das Fehlen von Narrativen ein schwerer Nachteil, weil damit existentielle Fragen der eigenen kollektiven Identität, der Dialektik aus Bewahrung und Weiterentwicklung und damit die Bereitschaft zum Formulieren und ggf. Durchsetzen eigener Interessen ausgeblendet werden. In liberalen Marktwirtschaften wird dies besonders an Unternehmen deutlich, die den Übergang vom Wettbewerb zum Wirtschaftskrieg gestalten wollen, und deshalb in den entsprechenden Abteilungen sorgsam Riten pflegen, die den Zusammenhalt fördern und an das erinnern, was gelegentlich als Kriegskultur bezeichnet wird.

    Wirtschaftskrieg als entgrenzte Rivalität lässt sich klar vom Wettbewerb auf der Grundlage der Innovationstheorie von Joseph Schumpeter (1912) abgrenzen. Beide beschreiben die Zerstörung als Wesensgehalt des Konkurrenzsystems. Die Vernichtung des Konkurrenten ist aber final und nicht schöpferisch. Diese zu verhindern erfordert eine staatliche Ordnung, beispielsweise im Unternehmens- oder im Konkursrecht, die den Wettbewerb überwölbt, damit der im Existenzkampf unterlegene Produktionsfaktor zur Produktivquelle des folgenden Aufschwungs wird. Gelingt das nicht, ergibt sich eine wirtschaftskriegerische, keine schöpferische Zerstörung – militärisch gesprochen: die Triage lohnt nicht, vom Schlachtfeld wird niemand geborgen.

    Militärisches Gedankengut findet sich an vielen Stellen des Wirtschaftslebens: Das liegt zunächst daran, dass mit der Industriellen Revolution Großunternehmen entstanden sind – und die Militärs wussten, wie man diese organisiert und führt. Von dieser Befruchtung hat sich die ökonomische Theorie über lange Jahre entfernt. Erst in der modernen Industrieökonomik und der modernen Institutionenökonomik knüpft sie an diese Tradition an, wenn sie die Interdependenzen des Handelns von Rivalen im Kontext der Spieltheorie und der Prinzipal-Agent-Theorie analysiert, die Bedeutung der Transaktionskosten – der Friktionen in der Sprache von Carl von Clausewitz – aufnimmt oder das Wesen von Signalen betrachtet. Die Konzepte der asymmetrischen Kriegsführung und der hybriden Kriegsführung sind in diesen ökonomischen Disziplinen bisher nur unzureichend etabliert; erstere betreffen konstitutiv und systematisch unterschiedliche Kräfteverhältnisse bzw. Ausgangslagen vor allem im institutionell-organisatorischen Kontext. Guerillakriege sind dafür bekannte militärische Beispiele, flash mobs, die Einzelhandelsgeschäfte lahmlegen, typische Veranstaltungen im Wirtschaftsleben.

    Zorn erscheint Peter Sloterdijk (2008) in Zorn und Zeit als die zentrale anthropologische Triebkraft menschlicher Existenz, welche in der Finanzkrise geboren wurde und die modernen Arten von Populismus und Fundamentalismen treibt. Freiheit hat für ihn nur dann Gehalt, wenn sie aus einem thymotischen Menschenbild hervorgeht, in welchem Zorn, Stolz, Wut und Hass ihren Platz haben. Er fordert, dessen Produktivkraft zu nutzen, aber so zu kanalisieren, dass er in eine ressentimentfreie politische Theorie mündet, anstatt wie bisher die klassischen Auswege des gesellschaftlichen Zornmanagements zu wählen, nämlich Anarchismus, Selbstjustiz und Selbstmordattentate, einschließlich der dazugehörigen Gewaltromantik, oder das Kumulieren des Zorns in einer „Zornbank", um daraus Moral- und Racheprojekte zu speisen.

    In Frankreich hat sich eine école de guerre économique erfolgreich etabliert, die aus den strategischen, operativen und taktischen Konzepten des Militärs Erkenntnisse für einen Wirtschaftskrieg ableitet. Denn Unternehmen riskieren – ebenso wie Staaten – in der Realität stets die Vernichtung des Konkurrenten oder der eigenen Firma – Krösus wurde geweissagt: „Ihr werdet ein großes Reich vernichten!"² – es war das eigene. Das Denken in geopolitischen und geostrategischen Kategorien ist für Großmächte wie die USA, China und Russland Normalität, und für andere Atommächte wie Frankreich oder England, aber für Indien oder Israel gilt dies ebenso. Deutschland tut sich aus historischen Gründen damit schwer, wird sich aber auf Dauer diesem Kalkül nicht entziehen können.

    Tatsächlich orientieren sich Länder, die keine naive Sicht auf die Verhältnisse der Welt haben, an geopolitischen, geostrategischen und geoökonomischen Überlegungen. Jüngstes Beispiel dafür ist die Seidenstraßen-Initiative Chinas, mit der das Land seine historische Position in der Welt zurückgewinnen will – ein Sachverhalt, der den etablierten Mächten ebenso wenig gefällt wie 100 Jahre früher der Aufstieg Deutschlands, der damals übrigens auch mit einer Handelsstraße verbunden war: der Bagdad-Bahn. Wenn sich nun auch noch der Iran als Knotenpunkt dieses Handelswegs neu aufstellt, um zu einer wesentlichen Drehscheibe des Handels im mittleren Osten zu werden, dann bedroht das den bisherigen Status Quo – und Saudi-Arabien antwortet darauf schon seit dem Frühjahr 2016 mit einem Ölpreiskrieg. Auch dessen Aktionen gegen Katar ordnen sich in dieses Bild ein ebenso wie Terrorismus und hybride Kriege in dieser Region. Der Austritt Großbritanniens aus der EU ist schließlich der Versuch, Trittbrettfahren und Souveränität zu Lasten Dritter optimal zu verbinden – tatsächlich ist der BREXIT aber, wie fast alle Analysen zeigen, ein wohlstandsvernichtendes Programm, ein politisch vom Zaun gebrochener Wirtschaftskrieg gegen das eigene Land.

    Derartige großflächige tektonische Verschiebungen werden meist von institutionellen und technologischen Innovationen getrieben. Manche Länder drohen dann, in Subduktionszonen zu gelangen, also unter eine mächtigere Scholle zu geraten. Wo soll unter den Bedingungen der Digitalisierung das Internet der Dinge in den USA ansetzen, wenn diese zwar über die modernste Cyber-Industrie verfügen, aber die industrielle Basis dafür fehlt? Muss sich Großbritannien gegen die Regulierung der EU wehren, wenn man als Schlüsselbranche nur noch die Finanzindustrie besitzt?

    In einer nach dem Prinzip des totalen, agonalen Wettbewerbs organisierten Welt, in der die Werteheterogenität immer größer wird, stellt sich die Frage nach den kulturellen Dächern für Kooperationen, also nach einer international akzeptierten Governance (deutsch: Ordnungsrahmen), besonders dringlich.³ Tatsächlich stellt das militärische Kriegsrecht ein auf jahrtausendelanger Erfahrung aufbauendes, gewachsenes System dar, von dem die globale Ökonomie lernen kann.

    Wie auch der militärische Krieg rekurriert der Wirtschaftskrieg nicht nur auf die technologische Grundlage; er besitzt auch eine Führungslehre und eine politische Philosophie und soll hier drei Perspektiven analysiert werden:

    1.

    Wieentstehen Wirtschaftskriege,wie laufen sie ab und wie endensie? Wirtschaftskrieg ist ein empirisches Phänomen, der deshalb an umfangreichen Beispielen vorgestellt wird mit dem Ziel, die Relevanz der Fragestellungen konkret zu unterfüttern und auch strukturelle Gemeinsamkeiten im Sinne einer positiven Theorie herauszuarbeiten. Was sind also rational von einer Unternehmens- oder Wirtschaftspolitik – als Zweck – zu erfassende Auslöser und was verbleibt im nichtrationalen Bereich – ist damit aber nicht zwingend verrückt? Beispiele werden die Realität des Wirtschaftskriegs verdeutlichen.

    2.

    Welche zusätzliche Erkenntnis bietet die Lehrevom Wirtschaftskrieg?Wirtschaftskrieg als Paradigma erlaubt es, Wettbewerb besser zu verstehen, insbesondere dessen Auswüchse. Dabei ist besonders die kriegerische Härte, die in der Auseinandersetzung liegt, herauszustreichen. Beim Begriff des Kriegs kann man sich an Carl von Clausewitz (1832, S. 25) halten: „Der Kriegist nichts als ein erweiterter Zweikampf", der das Ziel hat „den Gegnerzur Erfüllung unseres Willens zu zwingen" und ihn damit „zu jedemferneren Widerstandunfähig" zu machen. Raymond Aron (1976, S. 19) verweist in seinem Buch Penser la guerre auf das Außergewöhnliche des dialektischen Nebeneinanderstellens von Gewaltund Willen, das sich auch als eine bestimmende Größe des Wirtschaftskriegs erweisen wird. Theoretisches Hintergrundswissen und geschichtliche Zusammenhänge werden deshalb vermittelt, um die Sicht auf den Wirtschaftskrieg zu ordnen.

    3.

    Wie sollein Wirtschaftskrieg (effizient) geführt werden? Eine normative Theorie und auch methodische Kompetenz gewinnen an Bedeutung, die sich einerseits mit den paradigmatischen Aspekten und der ökonomischen Theorie verschränkt, andererseits auch Rekurs auf militärische Wissensbestände nimmt. Der große Stratege Sun Zi und der berühmte Kriegstheoretiker Carl von Clausewitz haben hier Vorlagen geliefert, die sich oft nahtlos auf den Wirtschaftskrieg übertragen lassen. Die erforderliche strategische Kompetenz lässt sich nur durch Bildung und philosophische Erhebung gewinnen (Clausewitz1832, S. 38): „Obgleich sich unser Verstand immer zur Klarheit und Gewißheit hingedrängt fühlt, so fühlt sich doch unser Geist oft von der Ungewißheit angezogen. Statt sich mit dem Verstande auf dem engen Pfade philosophischer Untersuchung und logischer Schlußfolgen durchzuwinden, um, seiner selbst sich kaum bewußt, in Räumen anzukommen, wo er sich fremd fühlt, und wo ihn alle bekannten Gegenstände zu verlassen scheinen, weilt er lieber mit der Einbildungskraft im Reiche der Zufälle und des Glücks." Jedes Kapitel beschließt folglich mit einer erkenntnisleitenden Handlungsempfehlung.

    Ziel dieses Buchs über den Wirtschaftskrieg ist es, ein realistisches Bild der ökonomischen Rivalität zu entwickeln und in Breite und Tiefe zu begründen und damit den an der Front stehenden Entscheidungsträgern die notwendige theoretische und praktische Munition bereitzustellen. Carl von Clausewitz (1832, S. 11) bringt dies in seinem großen Werk Vom Kriege pointiert zum Ausdruck: „Ich hoffe, in diesem Buch manchen Faltenkniff in den Köpfen der Strategen und Staatsmänner auszubügeln und wenigstens überall zu zeigen, um was es sich handelt und was bei einem Krieg eigentlich in Betracht zu ziehen ist."

    Literatur

    Aron, R., 1976, Penser la querre: Clausewitz, Band 1: L’âge européen, Band 2: L’âge planétaire, Gallimard, Paris; zitiert nach: 1986, Den Krieg denken, Propylaen, Frankfurt a. M.

    Clausewitz, C. v., 1832, Vom Kriege, Dümmlers Verlag, Berlin; zitiert nach 1999, Vom Kriege Bände 1–3, Mundus Verlag, Essen.

    Erhard, L., 1957b, Wohlstand für Alle, Econ, Düsseldorf.

    Fukuyama, F., 1992, The End of History and the Last Man, Free Press, New York.

    Girard, R., 2007, Achever Clausewitz, Carnets Nord, Paris.

    Harbulot, C., 2013, Frankreich tut, was es kann, Interview von Gesche Wüpper, Welt am Sonntag, 21. Juli: 31.

    Honneth, A., 2015, Die Idee des Sozialismus, Suhrkamp, Berlin.

    Schumpeter, J., 1912 (1962),Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, August Rabe, Berlin.

    Sloterdijk, P., 2008, Zorn und Zeit Politisch-psychologischer Versuch, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M.

    Smith, A., 1759, The Theory of Moral Sentiments, A. Millar, London; zitiert nach: 2004, Die Theorie ethischer Gefühle, Meiner Verlag, Hamburg.

    Fußnoten

    1

    Man kann diese verschiedenen Synonyme für Rivalität und Konkurrenz entlang einer allerdings unscharfen Skala von den harten zu den weichen Bedeutungen anordnen; hier ein unvollkommener Vorschlag: (Vernichtungs-) Krieg, Blutvergießen (Blutbad), Fehde, Gefecht, Kampf (-handlung), Rivalität, Konkurrenz, Auseinandersetzung, Wettkampf, (Wett-) Streit, Contest, Wettlauf, Turnier, Ringen, Gegnerschaft, Nebenbuhlerschaft, Engagement, Spiel. Dies wird im dritten Kapitel aus sprachwissenschaftlicher Sicht vertieft.

    2

    Diese Ökonomische Kriegsschule bildet Führungskräfte im Wirtschaftskrieg aus. In Deutschland gibt es nichts Vergleichbares. Der Leiter dieser Einrichtung, Christian Harbulot (2013), betont, dass es wichtig ist, gerade vor dem Hintergrund der Snowden-NSA-Affäre des Sommers 2013 nicht in einer „Kultur des Unausgesprochenen zu verharren", sondern die harten Realitäten zur Kenntnis zu nehmen.

    3

    Das Agonalprinzip geht auf das alte Griechenland zurück. Das griechische Wort ἀγών (agon) bedeutet Auseinandersetzung, Streit, Wettkampf, Wettbewerb, Kampfspiel, aber auch Anstrengung. Die Fairness der Wettbewerbsregeln bedarf aber einer akzeptierten Ordnung, die auch in der Antike nicht immer gewährleistet werden konnte. Die grundlegende Idee der einer Ordnung unterliegenden olympischen Spiele – bis hin zur Friedenspflicht – bestand darin, eine Alternative zum lebensbedrohenden militärischen Kampf aufzuzeigen. Gerade hier aber blühte die Korruption besonders, und wer überführt wurde, musste ein überlebensgroßes Zeus-Standbild spenden, das den Namen des Sünders trug; abgeleitet aus dem Plural für Zeus wurden diese auch Zanes genannt. Adam Smith (1759, S. 124) schreibt hierzu: „In dem Wettlauf nach Reichtum, Ehre und Avancement, da mag er rennen, so schnell er kann und jeden Nerv und jeden Muskel anspannen, um all seine Mitbewerber zu überholen. Sollte er aber einen von ihnen niederrennen oder zu Boden werfen, dann wäre es mit der Nachsicht der Zuschauer ganz und gar zu Ende. Das wäre eine Verletzung der ehrlichen Spielregeln, die sie nicht zulassen können."

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020

    U. BlumWirtschaftskrieghttps://doi.org/10.1007/978-3-658-28364-3_2

    2. Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität

    Ulrich Blum¹  

    (1)

    Halle-Wittenberg, Martin-Luther-Universität, Halle (Saale), Sachsen-Anhalt, Deutschland

    Ulrich Blum

    Email: ulrich.blum@wiwi.uni-halle.de

    „In der Wirtschaft geht es nicht gnädiger zu als in der Schlacht im Teutoburger Wald."

    (Friedrich Dürrenmatt)

    Der Wirtschaftskrieg ist der außerhalb der gesellschaftlichen Moral- und ökonomischen Effizienzvorstellungen stehende Zwilling des Wettbewerbs. Beide sind Ausdruck der Rivalität, also des individuellen Vorteilsstrebens. In den folgenden Ausführungen sollen beide, Wettbewerb und Wirtschaftskrieg, voneinander abgegrenzt werden, um zu einer Definition zu gelangen, die dann gleichermaßen empirischen und theoretischen Gehalt besitzt. Die Abgrenzung zwischen beiden ist mit Ethik und mit Religion verbunden, die das Vorteilsstreben der Individuen in gesellschaftlich akzeptierter Form kanalisieren sollen. Damit werden Institutionen und Werthaltungen bedeutsam.

    Militärischer Krieg ebenso wie Wirtschaftskrieg und andere Arten des Auslebens von Rivalität, auf die später noch eingegangen wird, sollen Dominanz durchsetzen. Dabei gab es immer die sich gegenseitig dienenden Kriegsunternehmer und die kriegsbereiten Staaten, wie Graf Helmuth von Moltke (1800–1891) zu Beginn seiner die Geschichte des deutsch-französischen Krieges von 1871–1871 (1891, S. 1–2) beobachtete. „Solange die Nationen ein gesondertes Dasein führen, wird es Streitigkeiten geben, welche nur mit den Waffen geschlichtet werden können, aber im Interesse der Menschheit ist zu hoffen, daß die Kriege seltener werden, wie sie furchtbarer geworden sind." Damit sieht er bereits früh das Erfordernis einer staatenüberwölbenden Ordnung. Auch ist er sehr modern, wenn er zeigt, wie gerade die Zunahme der Zahl der Entscheidungsträger eine Zurechnung erschwert, Verantwortung anonymisiert und Haftung zerstört: „Ueberhaupt ist es nicht mehr der Ehrgeiz der Fürsten, es sind die Stimmungen der Völker, das Unbehagen über innere Zustände, das Treiben der Parteien, besonders ihrer Wortführer, welche den Frieden gefährden. Leichter wird der folgenschwere Entschluß zum Kriege von einer Versammlung gefaßt, in welcher Niemand die volle Verantwortung trägt, als von einem Einzelnen, wie hoch er auch gestellt sein möge, und öfter wird man ein friedliebendes Staatsoberhaupt finden, als eine Volksvertretung von Weisen! Die großen Kämpfe der neueren Zeit sind gegen den Willen der Regierenden entbrannt." Schließlich verweist er auf die treibende Macht der Wirtschaft: „Die Börse hat in unseren Tagen einen Einfluß gewonnen, welcher die bewaffnete Macht für ihre Interessen ins Feld zu rufen vermag. Mexico und Egypten sind von europäischen Heeren heimgesucht worden, um die Forderungen der hohen Finanz zu liquidieren. Weniger kommt es heute darauf an, ob ein Staat die Mittel besitzt, Krieg zu führen, als darauf, ob seine Leitung stark genug ist, ihn zu verhindern."

    Von Thukydides (454–399 v. Chr.) und Xenophon (431–354) über Caius Julius Caesar (100–33 v. Chr.) und Flavius Josephus (37–100), über Luo Guanzhong (1330–1400)¹ bis hin zu oben zitierteJm Graf Helmuth von Moltke haben Historiker, Soldaten oder Romanciers die Realität des Kriegs mit all ihren Verwicklungen geschrieben. Ihren sehr weitsichtigen, aber vor allem praktischen Erkenntnissen, stehen die Theoriegebäude gegenüber, die Sun Zi (544–466 v. Chr.) und Carl von Clausewitz (1780–1831) errichtet haben, um den Krieg einerseits zu erklären, zum anderen seine normativen Grundlagen herauszuarbeiten. Die Interaktion des Theoretischen und Abstrakten mit dem Praktischen und Empirischen verdichtet sich bei Ihnen zur Kriegskunst.

    Diese Kriegskunst wird in diesem Kapitel in den Kontext der ökonomischen Theorie gestellt, angereichert mit Elementen aus den Militärwissenschaften und anderer Wissensgebiete, um die Vielfalt seiner Erscheinungsformen zu zeigen. Eine klare Definition wird herausgearbeitet, ökonomisch fundiert und in den Kontext der Wettbewerbstheorie gestellt, um auch die Anreizstrukturen, die hinter der Bereitschaft stehen, ökonomische Gewalt anzuwenden, zu verdeutlichen. Am Beispiel des von US-Präsident Donald Trump entfachten Handelskriegs wird die Relevanz der Aussagen gestützt.

    2.1 Vom Wesen des Wirtschaftskriegs

    Wirtschaftskriege sind aus ökonomischer Sicht der Ausdruck von Ungleichgewicht und Dominanz. Sie sind eng mit geostrategischen und geopolitischen Ansprüchen verbunden, wie im Buch War by Other Means: Geoeconomics and Statecraft von Robert Blackwill und Jennifer Harris (2016) am Beispiel der USA deutlich wird, die vorgeblich den Einsatz von Markt und Wirtschaft zur Durchsetzung ihrer globalen Vormachtstellung nur ungenügend beherrschen. Genau das hat Donald Trump offensichtlich im Sinne entgrenzter Rivalität, mit der sich dieser Abschnitt befasst, geändert. Dabei ist der (See-) Handelskrieg die typische Waffe maritimer Mächte, die damit versuchen, den Rivalen ökonomisch zu strangulieren, und die militärische Intervention folgt oft erst anschließend, wenn der Widerstand zu groß ist, um die Ziele zu erzwingen. Der militärische Krieg hingegen – seine ökonomische Seite sind Kontrolle von und Verfügbarkeit über Land, Rohstoffe, Arbeitskräfte – ist eher für Landmächte typisch, und die ökonomische Machtübernahme erfolgt nach dem Sieg. Dieser Dualismus der Rivalität – Land gegen See – durchzieht die menschliche Geschichte und wird bei der Darstellung der Konzepte von Alexander Dugin (2014b) im vierten Kapitel thematisiert.

    2.1.1 Rivalität und Kooperation als Treiber der Evolution

    Die Evolution der Welt, auch der menschlichen Zivilisation, vollzog sich immer im Spannungsfeld zwischen Rivalität und Kooperation. Zusammenarbeit bedingt angesichts des eigenen Interesses das des Partners nicht aus den Augen zu verlieren. Aber ein derartiges Verhalten kennt Grenzen: Unbekannte Ergebnisse entstehen oft erst durch Rivalität. Ökonomisches Handeln benötigt meist beides, ausgedrückt im Spannungsverhältnis zwischen Mars – dem Krieger, dem Rivalen – und Merkur – dem Kaufmann, der sich ohne Vertrauen auf kein Geschäft einlässt. Moral wird zu einem Weg, individuelle und gesellschaftliche Kosten zu senken. Daraus aber zu folgern, unmoralisches Verhalten sei individuell oder kollektiv ineffizient, ist nicht möglich, weil die Moral selber auch Gegenstand einer wettbewerblichen Überprüfung werden kann.² Kurz- oder mittelfristig ist unmoralisches Verhalten sogar oft extrem ertragreich.

    Das im Anschluss an das Titelblatt angegebene Zitat Heraklits von Ephesos spricht den Polemos (Poßlemow), also den Krieg, aber auch den Konflikt und den Kampf, als wesentliche Treiber der Veränderung an, der Verkrustungen aufbricht und damit, ganz im Faustischen Sinne, die Kraft ist, „die stets das Gute will und stets das Böse schafft" (Goethe 1832). Krieg bzw. Kampf ist hier zunächst ein anthropologisches Phänomen: Der Polemos wird, wie Christian Stadler (2009) in seinem Buch Krieg schreibt, zur Synthese aus einer Dialektik von Bios, also menschlichen, metaphysischen Bedingungen, und Logos, also einer Rationalität, die sich dann in Rivalität äußert. Diese kann illegale oder illegitime Mittel nutzen, um Veränderungen zu erzwingen, vor allem auch, um zementierte Strukturen aufzubrechen. Die politische, soziale oder wirtschaftliche Dimension ist das durch den Polemos verursachte Zwieträchtige, die kühne Antithese, die häufig den Fortschritt erzwingt, gelegentlich aber auch zur Katastrophe führt, die Planungssicherheiten zerstört, aber auch Neues hervorbringt. Dieter Langewiesche (2019, S. 13–16) sieht in Der Gewaltsame Lehrer den militärischen Krieg gleichermaßen als Durchsetzer von Reformen wie als Methode, alte Strukturen zu bewahren – ökonomisch übersetzt: als Treiber von Innovationen wie als Konservierer verkrusteter Markt- und Wettbewerbsstrukturen.

    Wie Christian Stadler (2009) weiter schreibt, folgen aus dieser Betrachtung drei zentrale Fragestellungen, die später aufgegriffen werden, nämlich die Frage nach den Grenzen des Kriegs und der politischen Moralität, nach der Legalität und der rationalen Rechtlichkeit sowie schließlich nach der Legitimität und der kulturellen Sittlichkeit. Ähnlich ordnet dies Robert Kagan (2003, S. 3, 105–108) in Of Paradise and Power in Bezug auf die Machtfrage: Diese habe drei Fragen zu beantworten, nämlich nach ihrer Effektivität, der zugrunde liegenden Moral und ihrer Erwünschtheit, und er führt aus, dass sich hier Länder – konkret Europa und die USA – in den Bewertungen massiv unterscheiden, was zu unterschiedlichen politischen Ordnungen, verstanden als Vision von der Welt und der Legitimität politischen Handelns, führt. Man kann diese Gedanken auf die Wirtschaft übertragen: Gleiches gilt für die Anwendung von Macht in der Wirtschaft, was sich in der Verschiedenheit von Wirtschaftsordnungen niederschlägt – Macht verstanden im Sinne von Max Weber (1922) „Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen […]." Diese sind alle auch geistesgeschichtlich zuzuordnen und werden hier besonders unter den Bedingungen kooperativer oder – alternativ – konfliktorientierter (agonaler) Philosophien im vierten Kapitel betrachtet. Die griechischen Vorstellungen über Spannung (ἀγών) sind hilfreich, um die Mentalität des Wirtschaftskriegs und der zugrunde liegenden Mentalitäten zu erfassen. Im finalen Zustand folgt die Agonie (ἀγωνία), der Todeskampf, der Kampf um die letztgültige ökonomische Entscheidung. Die philosophische Betrachtung des Kriegs beginnt mit seiner ontologischen, metaphysischen Betrachtung durch Heraklit, aber sie endet bereits im 19. und 20. Jahrhundert mit dem Kampf um einen Platz in der Gesellschaft, wie es beispielsweise Friedrich Nietzsche, Martin Heidegger oder jüngst Peter Sloterdijk formulierten.

    Rivalität drückt die Spannung zwischen dem Streben nach einzelmenschlicher Exzellenz einerseits und der sozialen Organisation und Moral andererseits aus; sie steht zwischen Philosophie und Politik bzw. Ökonomik. Konfliktquellen sind elementare Kräfte der Angst, der Ehre und der Interessenlagen. Dieser Eros im Sinne von Sigmund Freud (1921) geht in der kollektiven Moral nie ganz auf, es verbleibt immer etwas Inkommensurables, was genau diese Spannung im Menschen verfestigt. Im Kontext dieser Befassung mit Rivalität kann sich das Individuum dem Gesellschaftlichen, Politischen und Ökonomischen mit ihren möglichen zivilen aber auch gewaltfähigen Konfliktarten entziehen. Dann wird Ethik im Sinne von Søren Kierkegaard (1844, 1849) in der einzelmenschlichen Vervollkommnung suspendiert, der Einzelne überhöht sich, wie u. a. Friedrich Nietzsche ausführt, und überragt die anderen. Seit Platon (427–347 v. Chr.) und Thukydides existiert dieser Zusammenhang der Spannung aus Entrücken vom Gesellschaftlichen, Politischen, Ökonomischen und dem sich aus diesem Entziehen. Das Spannungsverhältnis hat Thukydides (431–404 v. Chr.) glänzend in seiner Leichenrede des Perikles formuliert, in der er Perikles den gelungenen Ausgleich beider Pole, der geistigen Freiheit der Individuen einerseits und der solidarischen Verbundenheit andererseits, in der attischen Demokratie feiern lässt. Diese unterlief die (falsche) Alternative von Relativismus und totaler Einheit und etablierte eine hierarchisch gestufte Ordnung, in der die Entfaltung der individuellen Kräfte eingebunden wird. Diese lässt eine differenzierte und daher kraftvolle politische Einheit entstehen. Faktisch ist dies das Ziel, das good governance anstrebt, nämlich das Überwinden der Knappheit an Koordinierungsroutinen nach Oliver Williamson (2002, 2005). Dann gelingt ein „e pluribus unum", wie es in der amerikanischen Verfassung heißt. Freilich ist diese Balance höchst fragil; Thukydides folgend ist sie auch in der athenischen Demokratie nach Perikles' Tod alsbald zerbrochen. Auch die Freiheit in der Moderne ist gefährdet, weil partizipative Elemente über digitale Medien eine Bedrohung des Parlamentarismus darstellen und auch schnell Persönlichkeitsrechte tangieren können (Höffe 2015a). Joseph Vogl (2010/2011) fragt mit Recht, ob die moderne Konkurrenzwirtschaft als System in einer Art Oikodizee vergeht. Denn der scheinbar unerschütterliche Glaube der Ökonomen an die Selbstregulierungskräfte der Märkte ging in der Krise verloren, und die Welt befindet sich in einer Situation, die der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz (1710) erstmals in Bezug auf den Gottesglauben als Theodizee bezeichnet hat, also die Rechtfertigung eines allmächtigen Gottes angesichts von Katastrophen und Bösem. In der Folge des Erdbebens von Lissabon im Jahre 1755 postulierten daher Aufklärer wie Voltaire den Tod Gottes. Die Globalisierung setzt demokratische Souveränitätsrechte unter Druck, wie Hans-Peter Martin und Harald Schumann (1996) in ihrem Buch Die Globalisierungsfalle – Der Angriff auf Demokratie und Wohlstand formulieren und insbesondere dabei die kritische Rolle der Weltfinanzmärkte beleuchten. Dani Rodrik fragt Has Globalization Gone too Far? (1997) und beschwört dabei das Risiko der sozialen Desintegration in der entwickelten Welt herauf. Im Globalization Paradox (2011) zweifelt er die Vereinbarkeit von offenen Grenzen und Märkten, Nationalstaat und Demokratie an. Tatsächlich scheinen alle drei unter den Bedingungen der Weltfinanzkrise seit dem Jahr 2008 oder der Flüchtlingskrise seit dem Jahr 2015 inkompatibel zu sein; eines der drei ist zu opfern. Offensichtlich opfert China die Demokratie, die Schweiz mit der Volksabstimmung zur Zuwanderungsbegrenzung oder England mit dem BREXIT opfern die Globalisierung und Europa opfert den Nationalstaat – der dann aber als Retter in der Finanzkrise gebraucht wird. Die ökonomische Theorie stellt hierfür Erklärungen bereit, weshalb auch eine theoriegestützte Krisenprognostik greifbar erscheint.

    Es fehlen große politische Debatten, um diese Entwicklung aufzuarbeiten, zumal die Ökonomie vergessen hat, dass ihre großen Fragen zunächst normativer Natur sind, wie Thomas Sedláček (2012) in seinem Buch Die Ökonomie von Gut und Böse entlang eines kultur- und geschichtswissenschaftlichen Überblicks zeigt, und die formale Analyse als sinnvolle Ergänzung zu sehen ist. Folgt man Thomas Mann (1875–1955) in den Betrachtungen eines Unpolitischen (1918), dann bedingt die Orientierung des Menschen am Unpolitischen eine Entlastung der innerweltlichen Konflikte, weil deren Bedeutung sinkt. Dann aber verlegen die Menschen das Religiöse ins Soziale. Die neuen innerweltlichen Konflikte verschärfen sich, aber nun ohne Aussicht auf Lösung. Der Mensch ist gezwungen, seine Suche nach Verwirklichung konfliktträchtig in die eigene Hand zu nehmen, er kann sie nicht mehr abwälzen. Seine letzte Hilfe besteht darin, robuste Kooperationsstrukturen zum Kanalisieren der Rivalität aufzubauen. Deren Begründung – ein zentrales Thema der Staatsphilosophien – zählt damit zu den Grundlagen der Betrachtung eines Wirtschaftskriegs.

    Jede derartige Kooperationsstruktur ist wiederum selbst Gegenstand des Wettbewerbs der Systeme und Kern des ordnungsökonomischen Denkens. Es zählt zu den wesentlichen Kulturleistungen des Menschen, aus dem Naturrecht und der Religion in Verfassungen oder im Völkerrecht kodifizierte Regeln aufgebaut zu haben.³ Die damit verbundene Begründung in der Entwicklung der Staatsphilosophien, welche die Regeln zwischen Individuum und Gruppe (Staat) festlegen, umspannt zweieinhalb Jahrtausende politischer Kulturgeschichte. Sie trägt auch starke ökonomische Aspekte, beispielsweise in Gestalt der Eigentumsrechte. Damit sind die ökonomische und die politische Ordnung stets verschränkt.

    Dieser Rahmen scheint in Zeiten expansiver Entgrenzung infolge der Globalisierung aus dem Blickfeld zu rücken. Das Individuum lebt seine Rivalität aus, also seine Aggressivität und in bestimmten Bereichen auch sein normwidriges – durchaus rationales – Verhalten. Daher ist zu fragen, welche Schranken noch gültig bzw. neu zu setzen sind. Wenn Regelübertretungen an der Tagesordnung sind – trotz eines angeblich zivilisatorischen Fortschritts – weshalb entstehen dann nicht spontan neue Regeln, wie es gerade die liberale Ökonomik postuliert? Wer tariert die Dialektik zwischen Stabilität einerseits und dem für den Fortschritt notwendigen Austesten der Systemgrenzen und deren Überschreitung andererseits aus? Wo wird Rivalität unerträglich – moralisch und ökonomisch – und was sind die Maßstäbe hierfür und wer konstituiert diese?

    Um dies zu zeigen, soll zunächst geklärt werden, was Krieg ist. Carl von Clausewitz (1832, S. 39) ordnete ihn ein als „ein ernsthaftes Mittel zu einem ernsthaften Zweck". Er sieht ihn als erweiterten Zweikampf mit dem Ziel (Clausewitz 1832, S. 25), „den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen." Damit soll er „zu jedem ferneren Widerstand unfähig" sein. Die Vorstellung des erweiterten Zweikampfs lässt die vieldiskutierte Frage offen, ab welcher Größenordnung des Konflikts von einem Krieg zu sprechen ist. Harald Meller (2015) geht diesem Gedanken in seinem Beitrag Krieg – eine archäologische Spurensuche nach⁴ und zeigt die Breite der Definitionen, die auch der Tatsache geschuldet ist, dass Staaten im modernen Sinne als völkerrechtliche Träger des Kriegs einen vergleichsweise kurzen Teil der Menschheitsgeschichte abdecken.

    Das Dominanzstreben des Menschen, das Sigmund Freud (1905) in den Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie aus psychoanalytischer Sicht auf menschliche Triebe zurückführt, das auch anthropologisch, insbesondere bei Richard Dawkins (1976) in seinem Werk Das egoistische Gen genetisch und bei Irenäus Eibl-Bibesfeldt (1984) in Der Mensch – das riskierte Wesen ethologisch – also kulturübergreifend ähnliche Verhaltensmuster identifizierend – begründet wird, ist ein zentraler Treiber der Rivalität. Dort, wo es im Sinne von „the winner takes it all" nur einen Sieger oder ersten Platz geben kann, sind Entgrenzungen sowie der Griff zu unangemessenen, illegitimen oder sogar illegalen Mitteln sehr wahrscheinlich. Ian Morris (2013, S. 7–10) betont den Selektionsaspekt in War – What it is Good for?, wenn er ausführt, der Sinn des Kriegs bestünde darin, Krieg zu vermeiden, und verweist darauf, dass der Anteil der Opfer an der Gesamtbevölkerung stetig zurückgegangen ist.⁵ Denn die Integration der eroberten Völker sei eine institutionelle Herausforderung, welche intern und schließlich auch extern pazifizierend wirke. Damit gewinnt Krieg eine evolutorische Effizienz und ist in die Komplexität sozialer ebenso wie biologischer Phänomene einzuordnen, wie es bei Gat (2006) deutlich wird.

    Im ökonomischen Wettbewerb wird Pareto-Optimalität angestrebt, die dann gegeben ist, wenn das dominante Unternehmen in mindestens einem Faktor besser als die anderen aufgestellt ist. Offensichtlich müssen die ethnologischen, anthropologischen, psychologischen und medizinischen Grundlagen des rivalen Handelns – über die ökonomischen Überlegungen hinaus – beim Betrachten des Wirtschaftskriegs berücksichtigt werden. Dies wiederum verweist auf die erforderliche Breite des Buchs, insbesondere auch auf die Notwendigkeit eines interdisziplinären Theorierahmens.

    Zukunft braucht Herkunft, Gegenwart verbindet beides, und das dominante Individuum, das dominante Unternehmen und der dominante Staat werden sich daher aus rivaler Sicht fragen, ob ihre bisher herausragende Position möglicherweise auch künftig aufrechtzuerhalten ist. Unterlegene werden ihre aktuelle und künftige Position analog prüfen. Im wirtschaftlichen Wettbewerb könnte es sich lohnen, mit anderen Mitteln als den legitimen oder legalen zuzuschlagen, um das Emporkommen von Rivalen rechtzeitig zu verhindern. Ein intertemporales Kalkül, das den tatsächlichen Status des Wettbewerbs vor dem Hintergrund einer künftig zu erwartenden eigenen bzw. fremden Dominanz bewertet, bietet wichtige Erklärungsgründe für den Ausbruch starker Rivalität. Der Entscheidungsträger vollzieht eine möglichst rationale Lageanalyse, die die eigene wirtschaftliche Position und die der wesentlichen Rivalen über einen als sinnvoll erachteten Zeitraum erfasst. Die Erwartung des Verlusts an Wettbewerbsfähigkeit – von militärischer Macht und technologischer Potenz über institutionelle Faktoren bis hin zu konkreten Branchen und Produkten – kann die Einsicht reifen lassen, dass es günstiger ist, sofort zuzuschlagen als dem eigenen Niedergang entgegenzusehen. Dabei ist nach dem Modell rationaler Erwartungen der Ökonomik, welches die Identität der Vorhersagen und der Realisierungen postuliert (Muth 1961; Lucas 1975; Sargent und Wallace 1976) keine strenge Rationalität erforderlich. Man kann sogar so weit gehen, auch völlig subjektive Einschätzungen im konstruktivistischen Sinne als individuelle Antreiber eines Konflikts zu akzeptieren, wenn sie sich gemäß dem Thomas-Prinzip (Thomas 1972) in realen Tatbeständen äußern, auf die andere real reagieren. Dann drohen Eskalationsspiralen, die wiederum auf die Lageeinschätzung – und die eigenen Maßnahmen – zurückwirken. Die Komplexität möglicher Rivalitätsebenen – militärisch, politisch, ökonomisch – erklärt, weshalb die Hybridisierung der Kriegsführung eine kaum zu vermeidende Folge ist. Der Präventivschlag kann als Folge eines intertemporalen Nutzenkalküls erklärt werden. Im Sport werden derartige Verhaltensweisen durch die sogenannte Positionstheorie, beim Kampf um Spitzenpositionen durch die Turniertheorie erfasst. Beide berücksichtigen auch Regelverstöße wie das Behindern der Zulassung von Wettbewerbern oder die Gabe leistungssteigernder Mittel.

    Ein grundlegendes ebenso individuelles wie gesellschaftliches Problem besteht darin, dass Wettbewerb Anstrengung und – im Vorfeld – Vorbereitung, also Training – bedeutet. Individuen sind ebenso wie Gesellschaften in sehr unterschiedlichem Maße in der Lage, diesen Stress auszuhalten – für manche bedeutet er regelmäßig Überforderung. Solange Wachstum vorhanden ist, lässt er sich ausgleichen, entweder, weil gemäß des Pareto-Prinzips alle bereits kurzfristig bessergestellt sind oder weil den Benachteiligten im Sinne des Kaldor-Hicks-Kompensationsgedankens aus dem Überschuss ein gegeben werden kann, ohne die Tüchtigen zu entmutigen. Ist das nicht mehr ohne Reibungsverluste möglich, entstehen Systemhass, Klassenkampf und Neid. Dann gilt schnell der Spruch von Arthur Schnitzler (1862–1931) in seinem Stück Der grüne Kakadu (1898): „Wenn der Haß feige wird, geht er maskiert in Gesellschaft und nennt sich Gerechtigkeit." In jeder Gleichheits- und Gerechtigkeitsdebatte findet sich schnell ein Kern des Agonalen. Beide Formen der Gerechtigkeit, die auf Thomas von Aquin (1273) zurückgehen, nämlich die ausgleichende Gerechtigkeit (iustitia commutativa) als Instrument der Kompensation von als nicht tragbar angesehenen Unterschieden in der Ausstattung oder in der Beteiligung, und die austeilende Gerechtigkeit (iustitia distributiva) als Tauschgerechtigkeit, können Quellen für Konflikte werden. Im ersten Fall ist beispielsweise der Neid als ebenso sozialisierende wie zerstörende Urkraft zu nennen, im zweiten die Problematik der Markmacht, die diskriminierendes Handeln ermöglicht. Gerechtigkeit erfordert ein Mindestmaß an Wahlfreiheit, womit eine Konkurrenz zur Gleichheit – im schlimmsten Fall Gleichmacherei – bestehen kann, die ebenfalls eine Quelle für Konflikte ist. Schließlich ist Gerechtigkeit nicht mit Recht gleichzusetzen, wie der lateinische Spruch „summum jus, summa iniuria" bezeugt – weil eben nicht alles, was recht ist, auch billig ist, wie der Volksmund sagt. Gerechtigkeit verwirklicht sich normativ-objektiv in formalen Institutionen, vor allem in der Rechtsordnung und positiv-subjektiv im Sittengesetz, also in einem tugendhaften Verhalten.

    Gerechtigkeit soll eine für die Gesellschaft positive Ordnungskraft besitzen – ökonomisch: einen das Individuum in seiner Menschenwürde förderlichen ökonomischen Wettbewerbsrahmen aufspannen, was beispielsweise die Soziale Marktwirtschaft leistet. Das Agonale verwirklicht sich im Wettbewerb dann, wenn dieser zur Zweckrationalität der Gesellschaft degeneriert; nicht umsonst war die Werterückbindung der Wirtschaftsordnung ein zentrales Anliegen der Väter der Sozialen Marktwirtschaft. Erich Fromm (1976, S. 20) schreibt in Haben oder Sein:„Die Entwicklung des Wirtschaftssystems wurde nicht mehr durch die Frage: ‚Was ist gut für den Menschen?‘ bestimmt, sondern durch die Frage: Was ist gut für das Wachstum des Systems?‘ Die Schärfe des Konflikts versucht man zu verschleiern, daß alles, was dem Wachstum des Systems (oder auch nur eines Konzerns) diene, auch das Wohl der Menschen befördere." Georg Nolte (2018) fragt Ist die Welt gerecht? und stellt seine Analyse unter vier Themen: Armut, Sicherheit, Klimaschutz und globale Beziehungen. Dieser Vierklang wird hier intensiv thematisiert werden. Dabei besitzt das Primat des Ökonomischen tatsächlich ein hohes Eskalationspotential– und macht den Wirtschaftskrieg oft unvermeidbar.

    2.1.2 Zweck und Ziel im Kriege sowie die Bedeutung der Signale

    Zu den größten Kriegstheoretikern, die dieses interdependente Konfliktsystem in Bezug auf die zeitliche Dimension, die Handlungsweisen der Akteure und die Analyse der Signale der Kontrahenten aufnahmen, zählen mit Sicherheit Sun Zi und Carl von Clausewitz. Sun Zi war ein Zeitgenosse von Lao Zi (604–531 v. Chr.) und Kong Zi (Konfuzius, 551–479 v. Chr.), wobei der Stil seines Werks Die Kunst des Kriegs den Einfluss der daoistischen Philosophie widerspiegelt. Rund 150 Jahre später wurde diese Arbeit von Sun Bin († 316v. Chr.), einem Urenkel von Sun Zi, in sein Werk Über die Kriegskunst aufgenommen. Lange Zeit ging man von einer Personenidentität von Sun Zi und Sun Bin aus. Dies wurde erst durch den gleichzeitigen archäologischen Fund unterschiedlicher Bambustäfelchen mit beiden Werken im Jahr 1972 aufgeklärt. In die Zwischenzeit ist General Tan Daoji († 436 v. Chr.) einzuordnen, der die 36 Strategeme zusammengeführt hat, die als Teil der chinesischen Allgemeinbildung auf Sun Zi zurückzuführen sind CBL (o. D.). Weitere Grundsätze der militärischen Führung finden sich bei Ch’i Chi-kuang (1528–1588) in dessen Werk Neue Abhandlung über den disziplinierten Dienst (1562). Carl von Clausewitz schließlich war ein brillanter Analytiker der Befreiungskriege und mit seinem Werk Vom Kriege (1832) einer der bis heute bedeutendsten Wegbereiter einer Verwissenschaftlichung der Kriegskunst.

    Sun Zi und Carl von Clausewitz eint vordergründig, dass beide den Krieg vermeiden wollen und ihn nur als Notlösung eines Konflikts sehen. So schreibt Sun Zi (o. D., S.  31): „Die größte Leistung (Kunst) besteht darin, den Widerstand des Feindes ohne einen Kampf zu brechen." Der militärische Sieg besaß für ihn einen nachrangigen Wert, den Sieg durch List als spezielle Form der Kriegskunst sah er als vorrangiges Ziel; dazwischen ordnete er die Diplomatie ein. Dabei spielen Aufklärung (Spionage) und List eine entscheidende Rolle, diese sind also Mittel, die heute in der modernen Signaltheorie angesprochen werden. Carl von Clausewitz (1832, S. 39–40) führt aus: „Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln." Aber es ist nicht das Ziel, die Politik zu ersetzen, „denn die politische Absicht ist der Zweck, der Krieg ist das Mittel, und niemals kann das Mittel ohne Zweck gedacht werden." Das Verständnis von Politik, darauf verweist Lennart Souchon (2012, S. 23, 63–68) in seinem Buch Carl von Clausewitz – Strategie im 21. Jahrhundert, bezieht sich dabei auf die Intelligenz des personifizierten Staats, liegt also nahe am Governancebegriff von Oliver Williamson (2010), der die Knappheit guter Entscheidungsroutinen betont, die zu überwinden ist. Krieg ist Teil der politischen Philosophie und orientiert sich in den Bereichen, in denen es möglich ist, am Prinzip der Vernunft. Der Krieg hat als Referenz den Zweikampf und wird durch den Willen des Angegriffenen, sich zu verteidigen, gekennzeichnet, wie bereits Clausewitz (1832, S. 186) betont. Ohne diese Anstrengung liegt eine einfache Besetzung oder Übernahme vor.

    Harro von Senger (2004) weist in seinem Buch 36 Strategeme für Manager darauf hin, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen Sun Zi und Carl von Clausewitz in der Bedeutung liegt, die sie der List als militärisches Mittel zuordnen. Für Carl von Clausewitz ist sie dann ein Ausweg, wenn die eigene Schwäche dies zeitigt. Eine Konstellation Macht und List existiert nicht. Sie kommt vielmehr erst dann zum Zuge, wenn die Weisheit ausgedient hat. Anders als bei Sun Zi, welcher der List von vornherein eine wesentliche, strategierelevante Bedeutung zubilligt, erscheint sie bei Carl von Clausewitz (1832, S. 174) eher wie eine letzte Chance, das schon verlorene Kriegsglück zu drehen, also ein Teil der Taktik: „Je schwächer aber die Kräfte werden, welche der strategischen Führung unterworfen sind, um so zugänglicher wird diese der List sein, so daß dem ganz Schwachen und Kleinen, für den keine Vorsicht, keine Weisheit mehr ausreicht, auf dem Punkt, wo ihn alle Kunst zu verlassen scheint, die List sich als die letzte Hilfe desselben anbietet. Je hilfloser seine Lage ist, je mehr sich alles in einen einzigen verzweiflungsvollen Schlag zusammendrängt, umso williger tritt die List seiner Kühnheit zur Seite. Von aller weiteren Berechnung loslassend, von aller späteren Entgeltung befreit, dürfen Kühnheit und List einander steigern und so einen unmerklichen Hoffnungsschimmer auf einen einzigen Punkt vereinigen, zu einem einzigen Strahl, der allenfalls noch zu zünden vermag."

    Tatsächlich offenbart sich hier der wesentliche Unterschied zwischen der europäischen und der asiatischen Kriegskultur und -philosophie, wie Zhang Heng (2013) ausführt. Denn die chinesische Philosophie mit ihrer starken Begründung im Harmonischen betont das Kriminelle in jedem Krieg und vertritt die Sicht, dass selten tragfähige Lösungen entstehen, weshalb „Nicht-Krieg" und „Vorsicht angesichts eines Kriegs"(Shen Zhan) von staatsphilosophischer Bedeutung sind. Eine Rechtfertigung für einen gerechten Krieg gibt es allenfalls bei fehlender Bereitschaft, das Herrschaftsprimat des Kaisers anzuerkennen.

    Da die konfuzianische Lehre ihren Schwerpunkt auf das harmonische Zusammenleben der Menschen als wesentlichen Zweck richtet, geht sie sehr vorsichtig mit umfassenden Wahrheitsansprüchen und extremen Positionen um und versucht sich, in die Position der Gegenseite hineinzuversetzen – ganz in einer Tradition des „audiatur et altera pars" aus dem alten Rom; aber zugleich nimmt sie hieraus auch das Kalkül der Finte und des strategischen Handelns. Dann gilt es als Schwäche, wenn man zu früh Verhandlungspositionen räumt statt zu pokern – etwas, das Europa in den Verhandlungen mit China selten begreift. Insofern liegt die Gefahr im Umgang mit China im weitgehend fehlenden Verständnis seiner Verhaltensweisen. Der Westen hat diese Harmonie im 19. Jahrhundert, welches als Jahrhundert der Erniedrigung im Kollektivbewusstsein tief verankert ist, massiv gestört. Im Wirtschaftskrieg zwischen den USA und China der Jahre 2018–2019 bewirkte dies ein geringes Vertrauen in die Bereitschaft des Westens, Verträge einzuhalten; am Ende dieses Kapitels wird dies weiter ausgeführt. Der Rekurs auf die Glanzzeiten des Lands im 18. Jahrhunderts übersetzt sich in den Anspruch, die eigene territoriale Integrität als „Ein China" zu betonen. Zugleich folgt daraus das Bedürfnis, Institutionen zu schaffen, die dem eigenen Kulturkreis nahestehen und nicht Zeichen historischer westlicher Dominanz sind. Dies wird im vierten Kapitel unter dem Stichwort der Mythenbildung vertieft, im achten Kapitel territorial anhand der Seidenstraßeninitiative und im zehnten Kapitel im Beispiel aufgegriffen.

    Führung und Motivationsfragen der Heeresführung finden sich bei Ch’i Chi-kuang (1528–1588). Sein Buch Neue Abhandlung über den disziplinierten Dienst (1562) befasst sich mit Fragen des Rekrutierens, des Ausbildens und Führens von Soldaten sowie der notwendigen Anreize – und damit auch einem klar umrissenen Militärstrafrecht – enthält. Kai Werhahn-Mees (1980, S. 15) hat das chinesische Original ins Deutsche übertragen und kommentiert: „Was nun die kampfnahe Ausbildung betreffe, so sei der Charakter des Menschen von der Art, daß er liebe zu leben und hasse zu sterben. Die Kunst des Generals bestehe nun darin, daß sie liebten zu sterben und haßten zu leben. Das aber widerspräche dem Charakter des Menschen. Deshalb müsse in der Bereitschaft zu sterben, die Möglichkeit zum Überleben liegen. Mit einer solchen Einstellung würden Soldaten den Tod nicht mehr fürchten. Was Belohnung und Bestrafung von Soldaten anbelange, so solle man Lob und Anerkennung nicht immer nur durch Gold oder Silber ausdrücken, ein Wort, eine Geste seien oft viel wichtiger. Ebenso dürfte die Bestrafung nicht nur aus Gefängnis und Prügel bestehen, sondern auch hier könne ein Wort oder Schweigen wirkungsvollere sein." Man mag ökonomisch übersetzen: Erst die Bereitschaft zur Insolvenz macht möglich.

    Der politische Zweck, dem der Krieg nach Carl von Clausewitz als Mittel zu dienen hat und den Raymond Aron in seinem Klassiker Penser la guerre (1976) in die Zeitgeschichte einordnet, wird in der Erwiderung von Fürst Otto von Bismarck (1815–1898) besonders deutlich, der dem Vorwurf, den gefangenen Kaiser Napoleon III. nach dem Sieg bei Sedan (1./2.9.1870) zu rücksichtsvoll zu behandeln, mit Verweis auf die nicht im Irdischen anzusiedelnde Nemesis entgegnete (1870):

    „Allerdings ist die öffentliche Meinung nur zu sehr geneigt … unter anderem zu verlangen, daß bei Konflikten zwischen Staaten der Sieger sich mit dem Moralkodex in der Hand über den Besiegten zu Gericht setze und ihn für das, was er gegen ihn, womöglich auch für das, was er gegen andere begangen, zur Strafe ziehe. Ein solches Verlangen ist aber ungerechtfertigt; es zu stellen, heißt die Natur politischer Dinge, unter welche die Begriffe Strafe, Lohn, Rache nicht gehören, gänzlich mißverstehen; ihm entsprechen, hieße das Wesen der Politik fälschen. Die Politik hat die Bestrafung etwaiger Versündigungen von Fürsten und Völkern gegen das Moralgesetz der göttlichen Vorsehung, dem Lenker der Schlachten zu überlassen. Sie hat weder die Befugnis noch die Pflicht, das Richteramt zu üben. … Die Politik hat nicht zu rächen, was geschehen ist, sondern zu sorgen, daß es nicht wieder geschehe."

    Mit dem in der in der politischen Absicht begründeten Zweck und daraus den durch den Einsatz von Mitteln zu erreichenden, abzuleitenden Zielen folgt Carl von Clausewitz der Philosophie von Immanuel Kant (1785). In dieser wird der Zweck als etwas Absolutes gesehen, der sich nicht entwertet und über den kein anderer Zweck erhaben ist. Während es konkreter Entscheidungen bedarf, Ziele zu setzen, sind die Zwecke gegeben, oft als etwas Existentielles oder als Problemlagen. Ziele dienen der Erfüllung des Zwecks, tun sie es nicht, dann sind sie „ohne Sinn und Zweck". Nur durch das Setzen zweckmäßiger und damit sinnvoller Ziele kann Führung als Motivationsaufgabe dauerhaft funktionieren. Werden Ziele durch den Einsatz von Mitteln erreicht, dann entfallen sie; neue Ziele sind aufzustellen. Der Zweck hingegen bleibt. Damit begründet Carl von Clausewitz (1832, S. 43–55) eine Zweck-Ziel-Mittel-Relation ganz im Sinne der modernen wirtschaftspolitischen Theorie (Blum 2004, S. 499–501).

    Die meisten Autoren, die sich mit dem militärischen Krieg oder dem Wirtschaftskrieg befassen, vollziehen diese durchaus sinnvolle Trennung von Zweck und Ziel nicht explizit nach. Karl-Ferdinand von Willisen (1919, S. 44) argumentiert: „Nur der Staat, das heißt die Leitung der Zivilregierung, kann die Ziele eines Wirtschaftskriegs bestimmen." Zu seiner Zeit erschien die Möglichkeit einzelner Unternehmen, aus Eigeninteresse einen Wirtschaftskrieg anzuzetteln, offensichtlich nicht durchführbar, obwohl man die Beispiele der Konquistadoren, der Handelsgesellschaften Englands und der Niederlande sowie gerade die Monopolisierung der Wirtschaft in Amerika um die Jahrhundertwende vor Augen hatte. Tatsächlich drückt sich hier die inzwischen faktisch überholte Vorstellung aus, der Staat sei in der Lage, die wirtschaftlichen Verhältnisse der Nation zu kontrollieren. Dieser auf den Staat orientierende Zweckgedanke scheint auch bei Georg Brodnitz (1920, S. 1) auf, wenn er als politisches Primat angibt, der Wirtschaftskrieg verfolge drei Ziele, und zwar

    das kriegspolitische Ziel, nämlich das Unterstützen der militärischen Kriegsführung durch wirtschaftliche Maßnahmen;

    das friedenspolitische Ziel, nämlich das Vereinnahmen möglichst vieler Unterpfände mit dem Ziel, bei Friedensverhandlungen die eigene Position zu stärken;

    das wirtschaftspolitische Ziel, nämlich die Wettbewerbsfähigkeit der gegnerischen Volkswirtschaft auf möglichst lange Zeit auszuschalten.

    Damit rücken hier zwei Aspekte in den Vordergrund, nämlich das staatliche Handeln in einem Wirtschaftskrieg, das immer im Kontext des Militärischen zu sehen ist, und zugleich die zeitliche Vorstellung einer möglichst langanhaltenden Schädigung. Dies steht im Einklang mit einer neueren Definition von Harald Pöcher (2005, S. 73): „Economic Warfare is a warfare based on non-military methods and means with the purpose to hit the opponent economy. At the end of the warfare the opponent’s economy should have lost market shares and the own economy should be better off." Diese Definitionen klammern das einzelwirtschaftlich-unternehmerische Handeln aus ebenso wie die Frage, welche Abwägungen den Einstieg in einen Wirtschaftskrieg sinnvoll machen.

    2.1.3 Kriegskunst und wunderliche Dreifaltigkeit

    Sun Zi (o. D., S. 19) folgend zeichnet sich die Kriegskunst durch folgende fünf Konstanten aus, die der gute Führer beherrschen muss:

    „Das Gesetz der Moral veranlaßt die Menschen, mit ihrem Herrscher völlig übereinzustimmen, so daß sie ihm ohne Rücksicht auf ihr Leben folgen und sich durch keine Gefahr erschrecken lassen. Himmel bedeutet Nacht und Tag, Kälte und Hitze, Tageszeit und Jahreszeit. Erde umfaßt große und kleine Entfernungen, Gefahr und Sicherheit, offenes Gelände und schmale Pässe, die Unwägbarkeit von Leben und Tod. Der Befehlshaber (General) steht für die Tugenden der Weisheit, der Aufrichtigkeit, des Wohlwollens, des Mutes und der Strenge. Methode und Disziplin müssen verstanden werden als die Gliederung der Armee in die richtigen Untereinheiten, die Rangordnung unter den Offizieren, die Behauptung der Straßen, auf denen der Nachschub zur Armee kommt, und die Kontrolle der militärischen Ausgaben."

    Im Krieg verwirklicht sich für Carl von Clausewitz die Durchsetzungsmacht durch Angriff und die Verhinderungsmacht durch Verteidigung, wobei der Krieg tatsächlich erst durch das Verteidigen beginnt, was wiederum den Wert der Abschreckung verdeutlicht. Dabei betont er im siebten Kapitel seines ersten Buchs besonders nachdrücklich acht Friktionen, also die Imponderabilien oder modern: die Transaktionskosten, die einen Erfolg verhindern können und an denen der Plan, also die Theorie, scheitern kann. Sie lassen sich problemlos auf Rivalitätsbeziehungen zwischen Personen, Unternehmen oder Staaten übertragen. Er nennt die ungenügende Kenntnis des Gegners, die Zweifel und Unwägbarkeiten auslöst, Gerüchte, einschließlich verwirrender Berichte von Spionen, die Ungewissheit über die eigenen Fähigkeiten und Position, damit verbunden eine Asymmetrie zwischen der Papierlage und der realen Lage, die zu Fehleinschätzungen führen, sowie logistische Probleme. Besonders vermerkt er auch den Verlust an rationaler Kontrolle vor dem Ausbruch des Konflikts infolge starker subjektiver Eindrücke.

    Den Krieg als „ein wahres Chamäleon" (Clausewitz 1832, S. 24) ordnet er entlang von drei Tendenzen auf drei Ebenen der Abstraktion, deren Durchmischung die Dynamik und das Wechselhafte ausmachen. Diese bezeichnet er als „wunderliche Dreifaltigkeit", durch die er das Wechselspiel des Kriegs aus Gewalt, Zufall und politischem Werkzeug in seiner Vielschichtigkeit und Dynamik erfasst. Dabei sieht er drei übergreifende „Tendenzen" des Kriegs am Werk: (1) dessen ursprüngliche Natur, (2) die Friktionen – modern Transaktionskosten – und schließlich (3) die Politik. Diese spiegeln sich an menschlichem Vermögen und institutionellen Trägern, sodass sich Abb. 2.1 ergibt:

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    Abb. 2.1

    Die wundersame Dreifaltigkeit des Kriegs. (Quelle: eigene Darstellung)

    1.

    DieobersteEbeneistdiedeseigentlichenKriegs, welchersichdurchGewalt, HassundFeindschaftauszeichnet – modern möchte man, auch gerade im Kontext des Wirtschaftskriegs, besser von Ehrgeiz bzw. einem emotional vermittelten Anspruchsniveau, also dem „level of",sprechen. Hier muss die Politik bzw. die Unternehmung über ihre Mittel unter Bedingungen der Ungewissheit entscheiden.

    2.

    Die darunter liegende Ebene liefert aus anthropologischer und philosophischer Sicht den notwendigen Begründungszusammenhang. Dieser wird durch die Naturtriebe und, angesichts Ungewissheit bei Entscheidungen, auch von Kreativität, Instinkt, Moral und Intuition, aber auch Feigheit und Lethargie begleitet, die wiederum im Kontrast zu den logisch und verstandesgemäß eingesetzten Werkzeugen stehen.

    3.

    Auf der dritten, der untersten Ebene, sind die gesellschaftlichen Identitäten und Rollen als Treiber des Konflikts zu nennen. Ohne die Leidenschaft der Völker, die sich in den Naturtrieben realisiert, wird die erforderliche Motivation auf übergeordneter Ebene – Hass und Feindschaft – nicht hinreichend ausgeprägt. Hier verwirklicht sich der Genius des Feldherren, der seine Streikraft richtig führt und die notwendigen – harten – Entscheidungen trifft. Ganz im Sinne der Politik als übergeordnetem Zweck übt die Regierung das Primat des Handelns aus.

    Ulrike Kleemeier (2002, S. 217) verweist darauf, dass sich damit eine klare Beziehung ergibt: Gewalt – Naturtrieb – Volk; Friktion – freie Seelentätigkeit – Streitkräfte und Politik – Verstand – Regierung. Mit einer gewissen Vorsicht kann man die drei Ausprägungen dem philosophischen Konzept von Platon zuordnen: Thymos ist eine der Gemütsbewegungen bzw. Grundmotivationen, die mit dem Erregungszustand verbunden ist und verweist auf das Anthropologische: die Feindschaft, die Gewaltbereitschaft und den Hass. Logos umfasst das Prinzip der Vernunft, also die Nutzung des Verstands. Eros schließlich beinhaltet die Lust, die Liebe zu anderen und auch eine Seelenverpflichtung in Verantwortung zu Höherem.⁶ Die Kunst der Rhetorik wird damit zu einer wesentlichen Qualität von Führungspersonen, wollen diese den benannten Dreiklang an ihre Untergebenen – gegebenenfalls auch an ihre Vorgesetzten als Träger des übergeordneten Willens vermitteln. Dabei dient rhetorische Kompetenz häufig auch dem Ziel, fehlendes Wissen zur verschleiern oder sogar Falsches, also fake news, zu vermitteln; diese Schattenseite, auf die insbesondere auch Plato in seiner Kritik der Demokratie hinwies, wird im fünften Kapitel erneut aufgegriffen.

    Carl von Clausewitz (1832, S. 11–12) unterscheidet zwei Kriegsarten:

    Als Krieg der ersten Art bezeichnet er den absoluten Krieg, der Dominanz und Vernichtung bewirkt und ein theoretischer Grenzfall ist, weil dann die Politik zurücktritt, die eigentlich den übergeordneten Zweck darstellt.

    Der Krieg der zweiten Art soll eine Kooperation erzwingen und entspricht der üblichen Realität. Damit verbunden sind als sogenannte Wechselwirkungen das Risiko der Eskalation und das ökonomische Kalkül, dass die Fortsetzung des Kriegs nicht mehr lohnt. Da sich aber die Widerstandskraft als Produkt aus Fähigkeiten und Willen ergibt, ist das Risiko einer maximalen Anstrengung, einen totalen Krieg zu führen, inhärent.

    Insgesamt ergibt sich durch diese dritte Wechselwirkung im Zusammenwirken mit den beiden anderen eine Tendenz zur permanenten Kriegsausweitung (Clausewitz 1832, S. 25–28). In The Direction of War führt daher Hew Strachan (2013, S. 59) aus, dass der Kampf bis zum Ende in der Logik der Wechselwirkungen mit dem politischen Zweckgedanken liegt – und tatsächlich ist diese Vorstellung auch heute vielen Rebellenorganisationen nicht fremd. Adolf Hitler hat ihn in Mein Kampf (1925) und auch kurz vor seinem Selbstmord erwähnt, und auch der Große Vaterländische Krieg Josef Stalins stellte einen Kampf bis zum Ende dar. René Girard (2007, S. 14–18; 108–109) verweist daher in seinem Buch Achever Clausewitz auf die letzte Konsequenz dieses Ansatzes in der Moderne: den Untergang nach totaler Eskalation. Denn vor dem Hintergrund einer zunehmenden Annäherung von Verhalten beim Optimieren effizienter Routinen aufgrund des steten Eliminierens ineffizienter Handlungsweisen ergäbe sich eine totale Reziprozität in der Wahl der Kampfmittel. Im Zweifelsfall sehe jeder seinen Angriff als Verteidigung, könne ihn damit problemlos moralisch begründen und die Eskalation erhöhen.⁷ Erst durch Verbote und durch Opfer – also durch das Abladen aller Schuld auf einen Sündenbock – könne diese Eskalationsspirale durchbrochen werden. Yuval Noah Harari verweist in Homo Deus – a Brief History of Tomorrow (2016, S. 75) darauf, dass ein Verhindern der Eskalation annähernd aussichtslos sei, weil der Eingreifende vor einem Komplexitätsproblem steht, die relevanten Wechselwirkungen nicht abschätzen zu können.

    Weiterhin grenzt Carl von Clausewitz (1832, S. 11–12) den kleinen vom großen Krieg ab:

    Der kleine Krieg besteht meist aus begrenzten Operationen und versteht sich vor allem der Abnutzungs- und Auszehrungskrieg gegen einen überlegenen Gegner. Damit ist er partisanenhaft und entgrenzt und enthält Elemente, die heute als Teile der hybriden Kriegsführung betrachtet werden.

    Der große Krieg hingegen umfasst die reguläre militärische Auseinandersetzung, und er ist im Sinne einer Theorie der Strategie auch Hauptgegenstand des Werks, aber ohne den kleinen Krieg auszuklammern, denn dies stünde auch im Gegensatz zu der postulierten Chamäleongleichheit.

    Der englische Generalstabsoffizier Charles Edward Callwell (1850–1928) hat das Thema des kleinen Kriegs als asymmetrischen Konflikt gegenüber einem Feind, der sich nicht zum offenen Gefecht stellt, vor allem vor dem Hintergrund der Kolonialkriege durchdrungen. In seinem Werk Small Wars – Their Principles and Practice (1896) definiert er diesen Konflikt vor allem über dessen strukturelle Eigenschaften. Es geht nicht um die Größenordnung, sondern die Art, also die Asymmetrie, die bereits von Carl von Clausewitz angesprochen wurde, die er dem regulären Krieg gegenüberstellt. Sie finden als Kampagnen für Eroberung und Annektion, als Vergeltungsmaßnahmen oder zum Niederwerfen eines gefährlichen Feindes statt. Dabei begünstigt die strategische Ebene den irregulär operierenden Feind infolge von dessen erhöhter Beweglichkeit, während die übliche Taktik, wenn sie denn möglich ist, regulären Armeen einen Vorteil bringt. Zentral ist dabei die Informationsüberlegenheit der irregulären Kräfte, weshalb den Aufklärungs- und Informationsabteilungen ein hoher Stellenwert für das erfolgreiche Bestehen von Konflikten zukommt. Ein normaler Sieg reicht in einem solchen Konflikt nicht, weil der Feind sein Besiegtsein nicht anerkennt, weshalb eine Strategie der verbrannten Erde anzuwenden sei, wie die auch Dieter Langewiesche (2019, S. 352–355) ausführt. Sehr gut lassen sich diese Bilder auf den ökonomischen Konflikt zwischen alten, eher unbeweglichen Konzernen und hochmobilen Gründern anwenden.⁸

    Damit werden auch die drei Ebenen deutlich, die seitdem das militärische Handeln leiten (Lütsch 2017, S. 18): Die politische Ebene, also die des Zwecks, die strategische Ebene, also die Gliederung in Gefechte mit dem Ziel, den Gegner zu vernichten, und die taktische Ebene, also die Einzelhandlungen innerhalb der Gefechte. Heinz Guderian (1888–1954) hat deren Bündelung zum Erzielen durchschlagender Effizienz als einer der ersten in den beiden Schriften Achtung – Panzer! Die Entwicklung der Panzerwaffe, ihre Kampftaktik und ihre operativen Möglichkeiten (1937a) und Die Panzertruppen und ihr Zusammenwirken mit den anderen Waffen (1937b) beschrieben.

    Bolko von Oetinger, Thila von Ghyczy und Christopher Bassford (2003, S. 30–36) haben in ihrem Buch Clausewitz – Strategie denken diese wesentlichen Strukturen für das moderne Management aufbereitet und verweisen auf eine Dialektik im Denken dieses Kriegstheoretikers mit dem Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Offensichtlich wird immer ein Prinzip einem anderen gegenübergestellt: Sein-Nichtsein; Konflikt-Chance; Theorie–Genie; Prinzipien-Kreativität; Verstand-Gemüt; Handeln-Denken; Wagemut-Vorsicht. Aber auch: Willen-Gegenwillen; der Feind als plötzlicher Freund. Jedes Prinzip wird durch ein anderes in Schach gehalten. Allerdings geht es Carl von Clausewitz nicht um Synthese, sondern um Balance als Möglichkeit, den Krieg effizient als Mittel der Politik zu führen. Lennert Souchon (2012, S. 67) führt hierzu aus, die Gegenüberstellung diene dem Klären der Unterschiede im Sinngehalt. Einen klaren Sinngehalt gewinnt das kontrastive System, wenn man das der chinesischen Philosophie entlehnte daoistische Prinzip von YIN und YANG bemüht – beispielsweise: in jedem Konflikt liegt eine Chance – jede Chance birgt wiederum Konfliktpotential.

    Wie Carl von Clausewitz (1832) in seinem sechsten und siebten Kapitel schreibt, interagieren diese Prinzipien mit den Handlungsebenen, die in Strategie⁹, Operation und Taktik ihre Ausprägung finden, weshalb Führungsgrundsätze, die sogenannte Kriegskunst, als interne, theoretische Orientierung ebenso bedeutsam sind wie die legalistische externe Ordnung, insbesondere im Völkerrecht. Erfolg bedeutet in einem Krieg, eine konkurrierende Ordnung zerstört zu haben. Der Beginn eines Kriegs verdeutlicht, dass die übergeordneten Normen, wenn sie existierten, die Rivalität nicht eindämmen konnten. Möglicherweise wurden oder werden sie selbst im Rahmen der Auseinandersetzung zerstört. Wesentliche Maßstäbe dafür sind die eigenen rules of engagement. In einem militärischen Krieg werden Waffen eingesetzt, die Folgen davon sind u. a. Zerstörung, Verwundung und Tod. Das Ergebnis kann Sieg, Waffenstillstand oder Niederlage sein. Mäßigung erscheint nicht angebracht, wenn Carl von Clausewitz (1832, S. 26) schreibt, dass „nie … in der Philosophie des Krieges selbst ein Prinzip der Ermäßigung hereingetragen werden [kann], ohne eine Absurdität zu begehen." Diese Aussagen gelten analog für den Wirtschaftskrieg, der hauptsächlich – aber eben nicht nur – wirtschaftliche Instrumente als Waffen nutzt; diese liegen aber im Gegensatz zu einem funktionsfähigen Wettbewerb außerhalb der Ordnungsprinzipien, gelten also als amoralisch; bekannt sind u. a. Boykotte oder das feindliche, gezielte Zerstören der Reputation von Konkurrenten. Wirtschaftskrieger können Individuen, Unternehmen und Staaten sein. Im Angesicht des Feindes ist „die Vernichtung seiner Streitkräfte das Hauptziel des ganzen kriegerischen Aktes" (Clausewitz 1832, S. 583), sodass eine Fortsetzung des Kampfs nicht möglich ist. Analog gilt dies für den Wirtschaftskrieg als wohlstandsgefährdende Handlung. Es kracht und raucht nicht wie bei einem militärischen Konflikt, trotzdem sind materielle Zerstörung, das Verletzen bzw. Zerstören der persönlichen Integrität, möglicherweise Tod (oft Selbstmord gescheiterter Wirtschaftskrieger) die Folge.

    Annähernd gleichzeitig zu Vom Kriege veröffentlichte Antoine-Henri Jomini (1779–1869) sein Werk Précis de L’art de Guerre (1836).¹⁰ Er hatte nie eine soldatische Ausbildung genossen, stieg aber aufgrund seiner Passion für die Analyse historischer Schlachten, deren strukturelle Auswertung und damit der Fähigkeit, Kriegsgeschehen vorherzusagen, in den Armeen der Schweiz, Frankreichs, Russlands und Preußens zu einem wichtigen Generalstabsoffizier auf. Er grenzt die Militärpolitik als konkrete Auseinandersetzung von der Kriegspolitik als staatliche Aufgabe, ganz im Sinne des Zwecks bei Carl von Clausewitz, ab. Weitere Teile der Kriegskunst bestehen aus der Strategie als Fähigkeit, eine Armee effektiv einzusetzen, der großen Taktik – heute würde man Ebene der Operationen sagen – als einer integrierten Schlachtenplanung, der Logistik als Fähigkeit der flexiblen Führung von Armeen in Raum und Zeit, dem Ingenieurwesen, das sich vor allem mit dem Angriff oder der Verteidigung von Festungen zu befassen hat, und schließlich der Taktik im Detail. Der militärische Führer ordnet das große Kriegstheater mit den strategischen Fronten in einzelne Operationsgebiete, die nachgelagerten Operationsfronten und die zugehörigen Operationslinien. Ganz deutlich wird in diesem sehr strukturierten Vorgehen das Erkenntnisziel, eine Abstraktion, also Verallgemeinerung zu erzielen, die Regelbildung und damit das sinnvolle Lernen für konkrete Einzelfälle ermöglicht – was den Erfolg von Antoine-Henri Jomini ausmachte und auch Vorbildcharakter für wirtschaftskriegerisches ökonomisches Denken besitzt.

    2.1.4 Rivalität, Gewalt und die Definition des Wirtschaftskriegs

    Rivalität wird hier im Sinne von Reuven Brenner (1983, 1987) als universelles gesellschaftliches und vor allem anthropologisches Phänomen beschrieben, so wie es bereits Josef Schumpeter (1912, 1942) in seinem Konzept der Wirtschaft und der Demokratie getan hat. Sie hat an Breite und Tiefe zugenommen, weil immer mehr Lebensbereiche dem Primat der Märkte unterworfen wurden, was bereits das Kommunistische Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels (1848) vorhersah, und weil durch die Globalisierung die Wettbewerbsintensität durch die Vielzahl neuer Rivalen anstieg. Dieser Siegeszug des Wettbewerbsprinzips wird an der schöpferischen Zerstörung sichtbar, die dann eben nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine gesamtgesellschaftliche Triage bedingt, wenn Grenzen überschritten wurden; das Brechen von Regeln als Element der Überraschung – das Brechen von Regeln als Regel – zählt zu den wichtigen Erfolgskriterien der Kriegskunst in der Tradition von Carl von Clausewitz (1832). Selektion bedeutet auch Gewalt, die nicht immer als Wirtschaftskrieg bezeichnet werden darf, und dies gilt insbesondere dann, wenn sie Teil eines durch Regeln eingerahmten Wettbewerbs ist – abseits dessen der Wirtschaftskrieg lauert. Deshalb nimmt in der Kriegslehre die Diskussion über die moralische und die rechtliche Kategorisierung der Gewalt einen wichtigen Stellenwert ein. Ihre Bedeutung wird im dritten und vierten Kapitel verdeutlicht. Denn zunehmend herrscht eine Vorstellung vor, die im Sinne von Friedrich Nietzsche (1844–1900) ein Überleben der Schwachen – auch aus Angst vor deren Nihilismus – ablehnt.¹¹ Die Vorstellung, dass sich Menschen an der frontier bewähren müssen, ist nicht nur der amerikanischen Gesellschaft

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