Lügen im Prozess von Kommunikation und Meinungsbildung: eine Übersicht
Von Adalbert Rabich
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Über dieses E-Book
Zwar haben sich mit dem Bewerten des Lügens viele Aufklärer beschäftigt, aber eine große Zahl an Journalisten ist ständig mit der Frage konfrontiert, was in welchem Sinne nützlich ist. Dennoch gibt es Kritiker und Sucher, was unter dem Wust von Nachrichten wirklich real sei, weil manches Vertrauen erschüttert wird, wenn sich herausstellt, dass das Gesagte nicht so ist. Trotzdem werden in der Politik große Anstrengungen gemacht, die Wahrheit zu verschleiern, die Meldung dem Bestreben anzupassen, das Gewollte als wahr erscheinen zu lassen. So ist die Rechtfertigung von Kriegen für den Verursacher von besonderer Bedeutung, was Beispiele bezeugen. Bei den vielen Aspekten des Lügens scheint es manchem sogar als Kunst, ungestraft die Wahrheit zu verdrehen oder unentdeckt zu bleiben, ja, das Recherchieren ist Expertenfach geworden. Aber selbst hier sind Zweifel angebracht, denn es sickern immer wieder werte- und normwidrige Texte in die Öffentlichkeit durch. Damit muss der heutige Mensch wohl anerkennen, dass das Lügen nicht auszurotten ist. Frei vom Lügen zu sein, ist eben eine Tugend mit Seltenheitswert.
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Lügen im Prozess von Kommunikation und Meinungsbildung - Adalbert Rabich
1. Das Lügen, der Lügner
1.1 Lügen als menschliche Verhaltensweise
Der Mensch ist ein biologisches Wesen und er nimmt in der Gemeinschaft mehrerer Menschen bestimmte Verhaltensweisen an, die sich im Evolutionsprozess von anfänglich primitiven, instinktiven zu komplizierteren weiterentwickeln. Erst im Laufe der Herausbildung einer Kultur macht er immer mehr Gebrauch vom Verstand und einer Vernunft. Er fragt sich dabei, welchen Sinn er seinem Dasein geben soll. Kant zieht schlicht die Konsequenz aus der unabweisbaren Einsicht, dass der Mensch nicht schon von Natur aus ein vernünftiges und moralisches Wesen ist. Der Mensch ist 'animal rationabile’, also ein vernunftfähiges Wesen. Wenn das Natur- und Gattungswesen Mensch zur Vernunft und Moralität nur befähigt ist, bedeutet dies, dass der Mensch sich vernünftig und moralisch orientieren kann.⁷
Die Sprache als Kommunikationsmittel wurde in der Frühzeit des Menschen zunächst wohl lediglich für das Aufmerksammachen anderer auf Vorgänge, auf Wahrgenommenes genutzt, oft wohl in Verbindung mit einem Zweck, z.B. der Jagd. Zwangläufig wechselte das Mitteilen über in das Erlernen von zweckgemäßen Verhalten. In der Mythologie der Urgermanen kam dann schon die Lüge vor, besonders deutlich am Gott Loki, dem listenreichen Redner. Sie gehörte nicht in das Reich des Guten. Es ist allerdings offen, ob sich z.B. bereits in der Antike die menschliche Gruppe auf Grund ihrer Erkenntnisse selbst bestimmte Mindest-Forderungen an ihr Verhalten in der Gesellschaft stellte oder ob nur Philosophen sich mit dem „sittlichen Fehlverhalten eines Menschen befassten. So unterschied Platon⁸ (428 – 348 v.Zr.) das Gute und das Böse. Er meint, es sei ungerecht, einem anderen zu schaden. Aber es ist ungewiss, wieweit solche Lehre das gewöhnliche Volk erreichte und sich dort das Streben nach „Ethik
verfestigte. Ob und in wieweit die Philosophen sich bewusst waren, dass gerade der Mensch mit den Möglichkeiten des Verstandes sich des Mittels wie des Lügens, Betrügens und Tricksens/Täuschens bedienen konnte, und dass jeder sich aus Gründen eines vernünftigen Miteinander dessen normativ zu enthalten habe, aber eben nicht unbedingt muss, ist unbekannt.
Es wird sich ein Empfinden von Recht allein schon deswegen herausgebildet haben, weil die Lüge als Folge einen Schaden hervorrufen konnte – und vorteilhaft, wenn man dies konkret am Lügner festmachen konnte. Ahasverus Fritsch (1629-1701) zählte den bewusst Lügenden zu den Betrügern und Gaunern.⁹ Aber im Allgemeinen wurde ethisch korrektes Verhaltens als eine Vorschrift nach dem Sinn des Daseins, so im Mittelalter zumeist entsprechend einem göttlichen Willen gesehen. Der Mensch steht da z.B. zwischen Gut und Böse, wobei das vielfach jeweils von einem Interpreten speziell gedeutet wurde. Der wichtigste Grundsatz der Aufklärung war dann, die Vernunft ist imstande, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Wer also sein Denken und sein Handeln nicht selbstbestimmt verantwortet, ermöglicht es anderen, es für dessen eigene Interessen auszunutzen, Man sollte sich deshalb seines eigenen Verstandes bedienen. Aber hier bestehen enge (natürliche) Grenzen. Die erzielten Ergebnisse der Wissenschaft sind dem Bürger entweder durch eine entsprechende restriktive Informationspolitik und/oder sein eigenes mangelhaftes Wissen nicht zugänglich bzw. nicht mehr verständlich. Deshalb bleibt er in Unmündigkeit und Gläubigkeit, wobei er häufig nur seinem Gefühl nachgeht.¹⁰
Ob es real dem menschlichen Wesen zuzumuten ist, immer die Gebote der Sittlichkeit aus sich heraus zu befolgen, dürfte zweifelhaft sein. Warum sollte er nicht alles praktizieren, was für ihn Erfolg verspricht?¹¹ Oder genügt vielleicht die Einsicht in die Richtigkeit seines Handelns aus praktischen Gründen? Eine ehrliche Lüge ist etwas anderes als Unwahrhaftigkeit, die eine (charakterliche) Haltung ist. Gibt uns die Überlegung, welche Folgen die Haltung hat, das Recht zu lügen oder nicht zu lügen?¹² Das bewusste Lügen gilt heute zwar als verwerflich, aber es wird in vielen Fällen keineswegs geahndet oder ein Politiker gar gebrandmarkt. Nicht geahndet wird im Bundestag, wenn einem Abgeordneten unterstellt wird, er habe die Unwahrheit gesagt, weil dies die Möglichkeit impliziert, er habe sich nur geirrt. Auch der Vorwurf, jemand habe „wissentlich die Unwahrheit" gesagt, zieht gemeinhin keine Ordnungsmaßnahme nach sich.¹³
Das Lügen hat sich einerseits als nützlich und brauchbar erwiesen, andererseits jedoch wird derjenige, der im geeigneten Augenblick nicht lügt, als nicht zeitgemäß, als doof bezeichnet. Wir fordern unsere Mitmenschen auf, bei der Wahrheit zu bleiben, sagen jedermann, wie sehr es heute ‹ums Authentische› gehe, und wenn irgendwer diese Aufforderung dann für eine Wahrheit nimmt, finden wir ihn nicht mehr gesellschaftstauglich. Natürlich kann jeder, der die Wahrheit über das sagen möchte, was er denkt und fühlt, genau das auch immer und überall tun, sobald er spricht. Die Frage ist allein, welche Konsequenzen das nach sich zieht und wie lang sich noch Menschen in seine Nähe wagen. Wahrheit gefährdet nicht nur die Herrschaft der Diktatoren, weshalb sie in ihr auch sofort den Feind erkennen. Lügen ist nur als Ausnahme von der Regel erfolgreich, und wenn wirklich einmal jemand auf die Idee käme, eine Gemeinschaft auf der Pflicht zum Lügen zu begründen, wäre das Resultat allenfalls Dichtung.¹⁴
Auf Grund des menschlichen Lebens vor dem auferlegten Zwang zu moralischem Handeln unterlag der Mensch seinen Triebkräften.¹⁵ Sich fern von Verleumdern zu verhalten, ist also ein Zeichen des kulturellen Niveaus, aber zugleich ein Indiz für die Selbstbeherrschung einer Person. Wer also Unwahres über ein Individuum behauptet oder verbreitet gilt in unserer Gesellschaft und Rechtsordnung als Verleumder, insbesondere dann, wenn er bewusst und gezielt eine Person in seinem Ansehen oder in seiner Ehre herabsetzt. In der Rechtsordnung gilt § 186 StGB als üble Nachrede, insbesondere bei Personen des politischen Lebens § 188 StGB.¹⁶ Das Strafgesetzbuch kennt kein allgemeines Lügeverbot, also logischeerweised auch nicht im Zivilprozess.¹⁷ Der Anwalt selbst hat als Berufspflicht die der Wahrheit. Aber er muss seinen Mandaten als glaubhaft erscheinen lassen; was eine Gewissens-Diskrepanz ist.
In der Sprache kennen wir eine ganze Reihe von Synonymen für diesen Tatbestand wie verunglimpfen, diffamieren, entwürdigen, denunzieren, verdächtigen, schmähen usw. Man könnte das ein Familie von ähnlichem Verhalten bei einem Individuum in der Gesamtheit betrachten. Wesentlich ist das Motiv und das Ziel sowie das Tun wider besseres Wissen oder sogar gerade deshalb, weil man es nicht weiß, dass es anders ist, aber die Vermutung hat, es könnte
so sein oder es passe ins eigene Konzept. Die Gesellschaft hat also ein ganzes Sortiment dafür bereit gestellt, um seine eigene Ordnung ins öffentliche Leben hineinzubringen oder das Vertrauen untereinander zu erschüttern, meist zu eigenem Nutzen oder dem einer Gruppe. Im Arbeitsleben muss der Arbeitgeber einer Anschuldigung nachgehen und sie aus der Welt schaffen, im politischen Leben ist man da nicht so streng, obwohl klar ist, dass „immer etwas hängen bleibt". In den Medien ist die Tatsachenverdrehung nicht selten und man tut das ungestraft oder ohne Rügen, Abmahnungen etc., weil es für die Mehrheit der Bevölkerung nicht nachprüf- oder erkennbar ist.¹⁸ Im Internet verbirgt man sich zuweilen hinter einem Pseudonym¹⁹, man scheut die Identifizierung. Es gibt keinen Abwehrmechanismus, der einen solchen Verstoß gegen die guten Sitten, regulär und automatisch in Gang setzt. An manchen Herabsetzungen ist man schon gewöhnt, weil es Standard geworden ist. Was man nicht unterschätzen darf, ist der Gruppendruck. Aus welchem Grund auch immer ist Russland die Inkarnation des Bösen. Dagegen etwas zu sagen, damit sind Sie von vornherein out. Also müssen Sie sich dagegen wehren. Dazu braucht man Informationen, dazu braucht man Zeit.²⁰ In der Russophobie scheint keine bloße Abneigung durch, sondern eine regelrechte Ideologie, die sich in der Beschreibung alles Russischen äußert – von Geschichte über Politik und Kultur bis hin zum Alltag und Benehmen jedes einzelnen russischen Bürgers. Hier fällt einem nur eine Parallele ein – die zum Antisemitismus. Sie ist nur ein negativer Abdruck der westlichen Bedenken: Alles, was der Westen in sich mag, projiziert er in umgekehrter Weise auf Russland.²¹ Man kann sich dann die Fernsehsendungen (Nachrichten) ansehen und kritisch darauf achten, ob man das bestätigt findet. Manchmal werden Worte eingeflickt wie vermutlich, offenbar, wie man leicht sehen kann usw., aber eine Quelle wird nicht genannt, schon gar nicht eine seriöse, manchmal gibt es gar keine.²² Man kann so eine Rang-Liste für sich selbst aufstellen, welchen Angaben oder Sendern man trauen darf.²³
Es scheint zur Gewohnheit geworden zu sein, im Sprach- und Bildgebrauch Assoziationen herzustellen, beispielsweise. dass man eine Nachricht mit Rechtspopulismus neben eine mit Rechtsextremismus zu stellen²⁴, um psychisch einen (unwillkürlichen) Aha-Effekt auszulösen: also sind sie doch so etwas wie Extremisten, die sich u.a. rechtsbrecherisch benehmen.²⁵ Die Moralität und dazu gehören das „Nichtlügen" und „Nichtverleumden" ist bei anderen kulturellen Umgebungen zwar nicht gleich, aber gleichartig.. Lügen ist im Wesentlichen eine sprachliche Äußerung, und die verbale ebenso wie die nonverbale Kommunikation werden entscheidend von der Kultur geprägt. So lügen zum Beispiel Europäer mit ihrer eher individu-alistischen Sozialisation anders als etwa Afrikaner oder Asiaten, deren Kulturen stärker auf das Kollektiv ausgerichtet sind. ²⁶ Weil die individuelle Meinung durch Wahrnehmung des Dargestellten entsteht. ist sie nur durch ein besonderes Gespür hierfür manipulierbar. Genauso wenig wie jemand seine politische Meinung dadurch ändert, dass er jeden Tag die Abend-schau sich anschaut, wird er seine Meinung unmittelbar dadurch ändern, dass er auf Face-book sich die Nachrichten bezieht. Die Denkträgheit ist von großem Gewicht.
In einen Zwangsmechanismus lässt sich der Mensch nicht versetzen, der immer und überall die Vernunft walten, das Lügen unterlässt. Selbst der die Automaten bedienende Mensch gilt als Unsicherheitsfaktor, der sich nicht einwandfrei berechnen lässt, das ist bewährte Weisheit. Was unsere Zeit heute braucht, sind Advokaten der Wahrheit und Wahrhaftigkeit, Menschen, die Integrität verkörpern und denen man vertrauen kann – ein Megawert unserer Zeit. Dazu braucht es Vorbilder, Menschen mit Rückgrat, mutige Leute, die gegen den Strom schwimmen. Es braucht gelebte Wahrheitszeugen, die sich nicht zu schade sind, für die Wahrheit einzustehen.²⁷
Für Journalisten gilt z.B. ein Verhaltens-Kodex, dessen Einhalten ein Presserat als „moralische Institution" überwacht, aber seine Funktion ist nicht, das Produkt als solches z.B. auf die Ausübung von Wahrheit zu untersuehen, sondern dazu bedarf es einer Meldung/Anzeige, einer Beschwerde (eines Lesers). Die Ahndungen sind maßvoll, z.B.: was bewirkt schon eine öffentliche Rüge, eine Missbilligung? Eine Statistik darüber gibt es nicht.²⁸ Es gibt aber Probleme hinsichtlich der Bewertung in Qualität²⁹, in Kontrolle, in Selbsterziehung, wenn der Wille dazu fehlt. Wie soll man durch Vergleich eine Falschmeldung (FAkeNews mit politischer Absicht) erkennen, wenn es gar keinen Wahrheitsbezug gibt?³⁰ Wenn die Presse, das Fernsehen wie gleichgeschaltet aussieht? Bis zum Ursprungstext kann man das Produkt meistens nicht zurückverfolgen. Wie soll man eine Tatsachenbehauptung von einer Meinungsäußerung korrekt trennen?³¹ Der Erfolg einer Beschwerde ist bislang ungewiß!
Der Presserat gibt eine Statistik über die in seinen Kompetenzbereich fallenden Beschwerden heraus. So waren 2016 von 1851 Beschwerden 1058 von Privatpersonen, 91 von Interessensvertretern, nur 158 gegen überregionale Tageszeitungen. Als begründet wurden vom speziellen Ausschuss des Presserates 416 von 723 angesehen. Über die Inhalte oder die Anlässe wurde keine Statistik geführt, es werden keine Qualitätsklassen gebildet.³² Über die Art der Sanktionen erfährt man 2016: 151 Hinweise, 64 Mißbilligungen, 33 öffentliche Rügen.
Über die Programmbeschwerden³³, die die Verletzung der gesetzlich festgelegten Programm-Grundsätze (Fernsehsender) betreffen³⁴, erfährt man wenig. Herausragend sind diejenigen eines früheren Mitarbeiters³⁵, der wegen tendenziöser Berichterstattung oder Nachrichtenunterdrückung (öffentlich-rechtlicher Sender) rührig ist.³⁶ Beispielsweise bemängelt er massiv die Daten zur Arbeitslosenstatistik.³⁷ Die Tagesschau-Meldung verstößt damit aber evident gegen die Programmrichtlinien des Staatsvertrages. Über eine Statistik dieser Beschwerden und ihre Be- und Verarbeitung erfährt man nichts. Man weiß aber, dass hier eine Art Eigenkontrolle eingreift, die nicht unabhängig und objektiv ist. Die Aufsichtsgremien bestehen aus Vertreterinnen und Vertretern der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Die Rundfunkräte beraten unter anderem über Programmbeschwerden.³⁸ Sind die Beschwerden nur Einzelfälle?³⁹ Über die Medienkritik, z.B. über die Russland- und Ukrainepolitik, erfährt man aus Foren.⁴⁰ Nur eine Statistik wird geführt, die die Anzahl zu einem Inhaltspunkt festhält.⁴¹ Offensichtlich haben einige Zuschauer das Vertrauen in die Inhalte und die Objektivität der Nachrichten verloren.⁴² Allerdings muss der einzelne schon suchen, wenn er eine aufklärende Institution finden will.⁴³
Aber ein Bild darüber, wie es sich mit der Qualität Wahrheit verhält, kann sich hieraus niemand machen. Nach Ansicht eines häufig Beschwerde-Einreicher bleibt sie offensichtlich ohne Konsequenzen, die Medien ändern sich nicht. Es gibt anscheinend keinen Regelkreis. Auffällig ist, dass Journalisten ins Fernsehbild kommen, deren Erfahrungshorizont gering ist und sie trotzdem kommentieren dürfen. Das ist ein Indiz für Qualität.
1.2 Lügen im Evolutionsprozess
Der Mensch als hoch organisiertes und denkendes Wesen stammt genetisch nach dem Stand der Abstammungslehre⁴⁴ von einfacheren Lebewesen ab. Dabei kennt man die weit zurückliegende Vergangenheit des Menschen nur aus archäologischen Funden als Abbild von der Wirklichkeit und mit den gegenständlichen Indizien schafft man sich eine Vorstellung vom Leben der Vorfahren. Offenbar hat sich der Mensch im Laufe seiner Evolutionsgeschichte schon früh mit der Frage beschäftigt, welche Funktion er selbst in der Welt hat und welcher Sinn in der Schöpfung enthalten sein könnte, wobei es unbestimmt ist, durch was der Schöpfungsprozess ausgelöst wurde. Wenn man es bei der unbestimmten Fragestellung belässt, weil keine korrekte endgültige Beantwortung möglich erscheint, dann kann man die Ausdeutung den Philosophen oder Religions- oder Glaubensvertretern überlassen. In der Sprachgeschichte dürfte in diesem Zusammenhang u.a. das Wort Gott entstanden sein, man verband damit zugleich etwas Übernatürliches und Vorbildliches; man dichtete diesem Wesen „göttliche" Eigenschaften zu; meist idealisiert, jedoch genaues über die einstigen Vorstellungen weiß man nicht. In jedem Fall scheint inbegriffen zu sein einerseits eine soziale Funktion des Zusammenlebens der Menschen, die unterschiedlichen Intellekt⁴⁵ aufweisen, und andererseits oberhalb der Ebene der Menschen auch überhöhtes Können, Wissen und ein Gefühl für Gerechtigkeit haben.⁴⁶ Ob etwas einem vorteilhaften Zusammenleben widersprach wie z.B. Betrug, scheint schon früh empfunden worden zu sein, was dann viel später überleitete in den Begriff unrichtig, ungerecht, wofür die reale Konfrontation ider beste Beweis davon ist.
Das Zusammenleben von Menschen in einer Gemeinschaft erfordert wegen der unterschiedlichen Ansichten und Charaktere der einzelnen einen Austausch der Informationsinhalte und darüber selbst. Gleichzeitig ist für einen rationellen Prozess der Beurteilung von Sachverhalten verschiedener Menschen ein Verhalten der Wahrhaftigkeit zueinander notwendig, ein Abweichen davon löst unweigerlich einen Lern- und Erfahrungsprozess aus, aus dem sich nach und nach Gemeinschafts-Regeln für ein Erdulden und Zulassen solchen Fehlverhaltens entwickeln. Zunächst musste der Mensch dafür eine dies ermöglichende Sprache „erfinden" und sowohl anatomisch als auch geistig hinreichend entwickelt sein.⁴⁷ Es ist denkbar, dass die Inhalte zunächst primitiv waren und sich an elementaren einfachen Situationen orientierten. Grundsätzlich verbindet die Sprache alle am Austauschprozess teilnehmenden Menschen, sie ist daher nicht nur ein wichtiges Element der Evolution von Mensch und Sprache, sondern sie ist ein phänomenales Multitelement für Verständigung, zur Vermittlung von Innovationen usw., aber alles basiert auf dem Vertrauen, dass das Gesagte der Tatsächlichkeit vom Sachverhalt und dem Geist des Individuums entspricht.
Richtigkeit und Wahrhaftigkeit dürfte ein Grundzug des Menschen sein.⁴⁸ In dieser Verhaltensweise findet die Philosophie auch das Motiv der Vernunft, des Vernünftigen. Dabei ist die Offenheit nicht nur eine Tugend, die einen rationellen Fortschritt in der Menschheit gewährleistet, sondern sie steht im Gegensatz zum Lügen, weil das Verschleiern und Verdunkeln der Realität gegen anerkannte Verhaltens-Regeln verstößt und zudem, weil so etwas etwas moralisch Verwerfliches ist. Nun wird gegenwärtig behauptet, dass tugendhafte Verhaltensweise in der zivilen Gesellschaft im Wesentlichen aus der Erziehungszeit stamme, aber es werden Neigungen zum Täuschen und Lügen bereits in der Kindheit entdeckt und als Vorteil für sich erkannt. Wir heutigen Menschen können uns nicht mehr vorstellen, in welcher Weise sich eine Ethik⁴⁹ innerhalb der menschlichen Gruppen entwickelt und wonach man Maßstäbe innerhalb von gut und böse angewendet hat. Naheliegend scheint zu sein, dass die Erfahrung hier der Lehrmeister des Individuums bzw. der Gruppe war. Das gilt auch für fremde Gruppen zur eigenen, diese wurden gemessen in der Wertigkeit z.B. im Vergleich. Der Philosoph der Antike Aristoteles sieht hier z.B. die Art der Leistungserbringung als Charakterzug (einer Tugend).⁵⁰ Durch Gewöhnung führt das zu einer Verhaltensregel, die von allen akzeptiert und anerkannt wird, zunächst in der Gruppe und später allgemein in definierter Weise. Verstößt man dagegen, dann ist das von Übel, ist etwas Böses. Hier wirkte das Gefühl mit.
Im ersten deutschen Rechtssammelwerk, dem Sachsenspiegel sind die aus den vielfachen Anwendungen in deutschen Landen, fasst durchweg uralte Gewohnheiten niedergelegt. Dazu gehören eben besonders die Verhaltensweise in Ehrlich- und Wahrhaftigkeit, denn ohne sie ist eine Rechtsprechung kaum denkbar.⁵¹ Man sagt, gerade die Tugenden wie Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit würden als deutsche Tugenden anerzogen; sie seien für den Charakter sogar von höchster Wichtigkeit.⁵² Man soll und will ein guter Mensch sein und dazu gehören bestimmte Tugenden.⁵³ Im Ausland gehören derlei Tugenden nicht immer zum Repertoire, dem man nachzustreben hat⁵⁴ In des Volkes Meinung ist man mit dem typisch deutschen „ehrlich"⁵⁵ in der modernen Auffassung und vielfach nach dem Umgangs-Gebrauch recht skeptisch, offensichtlich nimmt