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Die katholische Kirche und die Medien: Einblick in ein spannungsreiches Verhältnis
Die katholische Kirche und die Medien: Einblick in ein spannungsreiches Verhältnis
Die katholische Kirche und die Medien: Einblick in ein spannungsreiches Verhältnis
eBook356 Seiten3 Stunden

Die katholische Kirche und die Medien: Einblick in ein spannungsreiches Verhältnis

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Über dieses E-Book

Die katholische Kirche gilt vordergründig mit ihren aufwändigen Liturgien oder einem romantisch anmutenden Klosterleben als ideale Medienreligion. Mit eigenen Zeitungsverlagen, Medienhäusern und einem beachtlichen MitarbeiterInnenstab agiert sie in der deutschen Gesellschaft selbst als Schwergewicht der Medienlandschaft. Und doch findet sie nur mühsam zu einer modernen Offenheit gegenüber einem freien Journalismus und zeitgemäßen Kommunikationsformen. Aus der veränderten gesellschaftlichen Position ergeben sich für die Kirche immer wieder auch Kränkungen. So agiert sie insbesondere in einer von Digitalität geprägten Gesellschaft erkennbar verunsichert.

Dieser Band vermittelt grundlegende Kenntnisse der katholischen Medienarbeit in der Moderne, bietet Grundlagenwissen über das kirchliche Medienengagement und erste Ansätze für eine Theologie der Digitalität.
SpracheDeutsch
HerausgeberEchter Verlag
Erscheinungsdatum1. Feb. 2018
ISBN9783429063887
Die katholische Kirche und die Medien: Einblick in ein spannungsreiches Verhältnis
Autor

Wolfgang Beck

Wolfgang Beck, geb. 1974, Professor für Pastoraltheologie und Homiletik an der Phil.-Theol. Hoschschule Sankt Georgen in Frankfurt a. M., seit 2012 Sprecher des „Wort zum Sonntag“ in der ARD, Mitglied des Sachbereichs I "Theologie, Pastoral  und Ökumene" des ZdK

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    Buchvorschau

    Die katholische Kirche und die Medien - Wolfgang Beck

    Wolfgang Beck

    Die katholische Kirche und die Medien

    Einblick in ein spannungsreiches Verhältnis

    Wolfgang Beck

    Die katholische Kirche

    und die Medien

    Einblick in ein

    spannungsreiches Verhältnis

    Inhalt

    Vorwort

    1.  Einleitung

    2.  Gegenwärtige Wahrnehmungen

    2.1.  Gibt es eine Mediengesellschaft?

    2.1.1.  Medientheorie

    2.1.2.  Das Bild

    2.2.  Wie ticken die „Digital Natives"?

    2.3.  Kirchliches Medien-Engagement

    2.3.1.  Der Pfarrbrief als Beispiel unterschätzter Potenziale

    2.3.2.  „Körperschaft öffentlichen Rechts"

    2.4.  Herausforderungen digitaler Mediennutzung

    2.4.1.  Medienpädagogik

    2.4.2.  Medienethik

    3.  Keine Verkündigung ohne Medien

    3.1.  Biblische Grundlagen

    3.2.  Buchdruck, Reformation und Aufklärung

    3.3.  Massenmediale Aufbrüche

    3.4.  Gesellschaft gestalten und Themen setzen

    3.5.  Freiheit oder Freiheitsverlust?

    3.6.  Weltkirchliche und vatikanische Ebene

    4.  Historische Perspektiven

    4.1.  Die kirchliche Suche nach dem eigenen Medienverständnis

    4.1.1.  Inter Mirifica

    4.1.2.  Communio et Progressio

    4.1.3.  Aetatis novae

    4.1.4.  Chancen und Risiken der Mediengesellschaft

    4.1.5.  Virtualität und Inszenierung

    4.1.6.  Medienbildung und Teilhabegerechtigkeit

    4.2.  Medien als Instrument zur Mobilisierung

    4.3.  Entwicklung des katholischen Zeitungswesens

    4.4.  Katholischer Filmdienst, katholisches Filmwerk, Katholischer Kinder- und Jugendbuchpreis

    5.  Aufbrüche und aktuelle Entwicklungen

    5.1.  Krisenphänomene

    5.2.  Neue Formen der Sozialen Medien

    5.2.1.  Auswahl diverser Social-Media-Formate

    5.2.2.  Digital-Games

    5.2.3.  Storytelling, TED-Talk und Humor

    5.3.  Veränderungen der Arbeits- und Lebenswelt

    5.3.1.  Die Robbe „Paro" und andere Roboter

    5.3.2.  Das Internet der Gegenstände

    5.4.  Fake News, Manipulation, Big Data

    6.  Unterschätzte Medienwirkungen

    6.1.  Erwartung an Partizipation und Nähe

    6.2.  Mehr als Kirchen-Marketing

    6.2.1.  Seelsorge und Gottesdienst im Internet

    6.2.2.  Pastoral im digitalen Terrain?

    6.3.  Demokratisierungseffekte?

    6.3.1.  Kommunikative Beschleunigungen

    6.3.2.  Partizipationsmöglichkeiten

    6.3.3.  Privatheit, Öffentlichkeit und Kontrolle

    6.4.  Tendenz zu neuen Gemeinschaftsformen

    7.  Fazit und Ausblick

    7.1.  Rückgriffe in vormoderne Medienpraxis

    7.2.  Eine Theologie der Digitalität?

    Anmerkungen

    Literaturverzeichnis

    Vorwort

    Die Annahme, nicht die Autor_innen suchten sich ein Thema, sondern das Thema suche sich die Autor_innen, klingt wie eine abgegriffene Phrase. Doch sie entspricht sehr weitgehend meinem Verhältnis als Autor zum Thema dieses Buches. Meine Aufgabe als Sprecher der Sendung „Wort zum Sonntag" in der ARD musste von mir eher autodidaktisch und ohne journalistische Ausbildung erarbeitet werden. Hinzu kam 2015 als Dozent die Zuständigkeit für ein Studienprogramm Medien an der Phil.-Theol. Hochschule Sankt Georgen, mit dem Studierenden der Theologie und anderer geisteswissenschaftlicher Fächer die Grundlagen journalistischer Arbeit und kirchlichen Medienengagements vermittelt werden sollen.

    Das vorliegende Buch ist im Zuge der Erarbeitung eines Beitrags für „Theologie im Fernkurs" entstanden und informiert dementsprechend zunächst über Grundlagen des Verhältnisses von katholischer Kirche und modernen Medien.

    Die genannten Tätigkeitsfelder wurden auch für mich selbst zu einem pastoraltheologischen Lernfeld, in dem gerade auch die kultur- und gesellschaftsübergreifenden Effekte einer „Kultur der Digitalität sichtbar werden. Das Verhältnis zwischen der katholischen Kirche und den Medien erscheint dabei als ein Segment, in dem die Verortung der Kirche in einer modernen Gesellschaft ablesbar wird. Dass dieses Verhältnis auf Seiten der katholischen Kirche über weite Strecken durch Ressentiments gegenüber den Werten und Errungenschaften der Moderne bestimmt ist, lässt nach den markanten Entwicklungen insbesondere der vergangenen 150 Jahre fragen. So wird sichtbar, dass menschliches Leben, insofern es durch Kommunikation geprägt ist, immer mit Medien verbunden ist. Es gibt kein menschliches Leben ohne Kommunikation und ohne die Nutzung von Medien. Deshalb haben sich nicht nur Kommunikations- und Medienwissenschaften, sondern gerade auch die Pastoraltheologie für diese Themen zu interessieren. Wichtige Schritte wurden dazu in den vergangenen Jahren bereits gegangen, etwa mit dem Kongress der deutschsprachigen Pastoraltheolog_innen im Jahr 2017 oder der Profilierung einiger wissenschaftlicher Ansätze. Ich danke vor diesem Hintergrund den Teilnehmer_innen des Rhein-Main-Medienkreises für anregende Gespräche und Impulse. Ich danke dem Team des „Studienprogramms Medien an der Phil.-Theol. Hochschule Sankt Georgen für Anregungen und Impulse und Madeleine Helbig-Londo, Barbara Niemetz und Ansgar Weiß für ihre Hilfe bei den Textkorrekturen. Dem Echter Verlag, insbesondere Herrn Heribert Handwerk, gilt der Dank für die Betreuung der Veröffentlichtung. Der Deutschen Bischofskonferenz wie auch dem Freundeskreis der Hochschule Sankt Georgen gilt der Dank für Druckkostenzuschüsse zur Ermöglichung der Veröffentlichung.

    Wolfgang Beck

    1.  Einleitung

    Der Mensch „kann nicht nicht kommunizieren"¹. Diese Beobachtung geht auf den Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick zurück, der Kommunikation vor allem als Beziehungsgeschehen versteht. Damit wird zugleich das Dilemma beschrieben, vor dem Menschen immer stehen. Menschliches Leben ist durch alle Stadien seiner individuellen Entwicklung in unterschiedlichen Formen und Intensitäten wie auch durch die kulturgeschichtlichen Epochen mit der Kommunikation verbunden. Die Kommunikation bindet sich an Medien, grundsätzlich an den menschlichen Körper und dessen Sinnesorgane. Mediengeschichtliche Reflexionen und Medientheorien können daher nicht von der Menschheitsgeschichte losgelöst werden. Wenngleich einzelnen kulturgeschichtlichen Entwicklungsschritten, wie dem Aufkommen der Schrift und des Bildes, des Buchdrucks und der modernen Massenmedien bis hin zu den digitalen Medien eine markante, Epoche bildende Bedeutung zukommt.

    Auch Religion baut immer als Kommunikation zwischen dem Menschen und dem Göttlich-Transzendenten bis hin zu einem personalen Gottesverständnis auf Kommunikation auf.² Zudem bildet sich Religion mithilfe von generationsübergreifenden Tradierungsprozessen und ist dabei auf zwei grundlegende Funktionen von Medien angewiesen: erstens das Überbrücken von zeitlichen und/oder räumlichen Distanzen wie auch zweitens die Speicherung von Informationen, also das Erinnern. Diese beiden Funktionen markieren die wesentlichen Bedeutungsgehalte aller Medien.

    In besonderer Weise ist in dem Prozess des Zweiten Vatikanischen Konzils und insbesondere in der Erarbeitung der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes" (GS) aus dem Bewusstsein der kommunikativen Grundstruktur des christlichen Glaubens für die katholische Kirche eine grundlegende Struktur abgeleitet worden: als dialogische Verwiesenheit von Kirche und Welt, in der die Kirche zu einer lernenden Haltung (GS 44) findet.³

    Sie sind auch die Grundlage einer Einführung in die theologische Reflexion zum Verhältnis von katholischer Kirche und Medien, die hier im Folgenden unternommen werden soll. Mit ihr wird deutlich, dass sich der Gegenstand der Betrachtung nicht eindeutig abgrenzen lässt: Alles kann zum Bestandteil menschlicher Kommunikation werden. Alles kann Medium sein, sodass der Gegenstand der Untersuchung sich als verwirrend komplex darstellt.

    An kaum einem anderen gesellschaftlichen Phänomen werden zudem die rasanten gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen des 20. und 21. Jahrhunderts so sichtbar wie im Umgang mit den Medien. Daraus ergibt sich eine Vielzahl an Möglichkeiten. Allerdings entsteht für größere Bevölkerungsteile auch Verunsicherung. Dies könnte es nahelegen, für die nachfolgende Beschäftigung ein Vorgehen zu wählen, das den Leser_innen den Eindruck vermittelt, man habe die Thematik nun im Griff. In der Betrachtung des Themas würde dabei ein (scheinbar) neutraler Beobachtungsort aufgesucht, um die komplexe Realität als Einheit zusammenfassen zu können. Dass damit lediglich eine scheinbare Sicherheit und Souveränität entstünde, liegt auf der Hand. Es wäre der Versuch, eine verwirrende Vielfalt durch massive Komplexitätsreduktion handhabbar zu machen. Stattdessen soll die Unübersichtlichkeit der Welt ausgehalten und die Differenz des Vielfältigen sichtbar bleiben.

    Deshalb sollen Aufbau und Gedankengang der folgenden Beschäftigung mit dem Verhältnis von katholischer Kirche und Medien mit Wahrnehmungen der gegenwärtigen Situation beginnen. Erst später folgt dann ein Blick in die geschichtliche und lehramtliche Entwicklung wie auch die Frage nach einer digitalen Theologie. Schon in der Wahl des Vorgehens wird also erkennbar, dass das Anliegen hier nicht in der Entwicklung eines Rasters⁵ besteht, mit dem eine komplexe Wirklichkeit handhabbar werden könnte. Dies entspräche einem vormodernen, sicherheitsorientierten Wissenschaftsverständnis. Stattdessen wird hier ein fragmentarisches Vorgehen⁶ gewählt, das darauf abzielt, durch Irritationen neue Fragen aufzuwerfen.⁷

    2.  Gegenwärtige Wahrnehmungen

    Sich mit Blick auf die Gegenwart mit Medien zu beschäftigen, lädt dazu ein, eigene Erfahrungen, eigenes Medienverhalten und die für die fortschreitende Moderne als dominierend zu beobachtende Präsenz von Medien zu reflektieren. Den Blick auf die gegenwärtige Mediennutzung zu werfen, offenbart eine Willkür, insofern sie auf einer Mediengeschichte aufbaut, die immer durch die Nutzung von Medien bestimmt war. In Orientierung an dem Medienwissenschaftler Jochen Hörisch⁸ erscheint es jedoch vertretbar, nachfolgend den Schwerpunkt der Betrachtungen auf die seit dem 19. Jahrhundert aufkommenden Medienformate zu legen.

    Sowohl in der technologischen Entwicklung, insbesondere in den digitalen Medien, als auch in der Ausbildung einer „Kultur der Digitalität"⁹ können zwei Elemente aufgegriffen werden, die auch in öffentlichen Diskussionen immer wieder benannt werden: Beschleunigungseffekte und Skandalisierungen.

    In jüngerer Vergangenheit wurden gesellschaftliche Beschleunigungseffekte vor allem von dem Soziologen Hartmut Rosa als bestimmendes Element einer nach Wachstums- und Steigerungslogiken funktionierenden Gesellschaft analysiert.¹⁰ Diese scheinen in der Entwicklung neuer Medienformate, im technologischen Fortschritt wie auch in der inhaltlichen Gestaltung digitaler Medien besonders anschaulich zu werden: Wer gestern noch als Nutzer_in eines sozialen Netzwerkes in dem Gefühl lebte, auf der Höhe der Zeit und geradezu gesellschaftlich avantgardistisch zu sein, gilt heute schon zur belächelten Gruppe derer, die die neuesten Entwicklungen nicht mitbekommen haben. Als Beispiel dafür kann Bundeskanzlerin Merkel gelten, die früh als Nutzer_in von Twitter als durchaus technikbegeistert galt und dennoch mit ihrer Aussage, das Internet sei „für uns alle Neuland", im Jahr 2013 eine Welle des Gespötts ausgelöst hat.

    Diese Beschleunigungseffekte durchziehen alle gesellschaftlichen Bereiche, entwickeln sich zu einer „Simultaneität"¹¹ als Lebensform und werden in den Medien besonders anschaulich. Denn die digitalen Medien bilden im 21. Jahrhundert eine beeindruckende Wirkkraft auf öffentliche Diskurse und Meinungsbildungsprozesse aus. Politische Wahlen hängen nicht nur davon ab, ob ein Wahlkampfteam in einem Gesamtkonzept alle aktuellen Medienformate nutzt, sondern auch davon, ob die Prozesse der öffentlichen Debatten wahrgenommen und verstanden werden. Und zunehmend scheinen hier Mechanismen der Skandalisierung an Bedeutung zu gewinnen, an und in denen es fortlaufend zu lernen gilt.¹² Insofern moderne Kulturen sich als lernend verstehen, damit also Wachstum und Steigerung zu ihren Wesensmerkmalen gehören, stellt der Skandal nicht nur ein singuläres Phänomen oder Ärgernis dar, sondern wird zu einem gesellschaftlichen Grundschema: „In dynamischen, also von Ungewissheit durchzogenen Situationen können Gesellschaften nicht anders lernen, als durch Versuch und Irrtum. Gesellschaftliches Lernen setzt voraus, dass Fehler gemacht, akzeptiert, genutzt werden.¹³ Der Skandal ist eine der gesellschaftlich etablierten Lernsituationen. Was zu einem Skandal wird, gegen welche bestehenden und gesellschaftlich akzeptierten Werte also verstoßen wurde, verändert sich mit der Gesellschaft ebenso wie das Ablaufschema innerhalb eines Skandalgeschehens. Und in diesen Prozessen haben digitale Medien eine enorme Bedeutung erlangt, da mit und in ihnen Tendenzen der „Theatralisierung¹⁴ und Inszenierung verstärkt werden.

    Mit der Wahrnehmung aktueller Entwicklungen im Bereich der Medien, die in den nächsten Schritten weiter vorgenommen werden soll, ist immer auch die grundlegende Frage verbunden, welche gesamtgesellschaftlichen Phänomene sich daran ablesen lassen. Entsprechend einem wahrnehmungswissenschaftlichen Verständnis der Pastoraltheologie gehört die Beobachtung des Zeitgeschehens zu ihren konstitutiven Merkmalen, bevor sie zu pastoraltheologischen Reflexionen im engeren Sinn übergeht. Es geht also im Folgenden nicht darum zu klären, was gut oder schlecht sein könnte, sondern darum, zu beobachten, zu verstehen und nach möglichen theologischen und kirchlichen Lernfeldern Ausschau zu halten. Zu diesen Lernfeldern gehört es aber auch, Digitalität nicht bloß als ein weiteres Beispiel in der Kette innovativer Medien zu verorten, mit denen sich nichts Grundlegendes an der Wirklichkeit und dem menschlichen Zugang zu ihr ändern würde, wie dies vielen noch am Ende des 20. Jahrhunderts erschien.¹⁵

    2.1.  Gibt es eine Mediengesellschaft?

    Kaum etwas prägt in den soziologischen Gesellschaftsanalysen des 21. Jahrhunderts die öffentlichen Debatten so stark wie der Begriff der Medien- und Informationsgesellschaft, mit dem ein kultureller Entwicklungsprozess beschrieben wird. Dessen Anfänge liegen im 19. Jahrhundert und münden in eine ausgefaltete „Kultur der Digitalität"¹⁶ des 21. Jahrhunderts.

    Der Begriff der Medien korrespondiert einerseits mit Fragen der Öffentlichkeit, die zeit- und epochenbedingt in unterschiedlicher Verhältnisbestimmung zum Privaten liegen.¹⁷ Andererseits berührt die Frage nach den Medien die technische Entwicklung der Moderne wie auch die gesellschaftlichen Prozesse der Aufklärung.

    Unterschiedliche Ansätze für soziologische und philosophische Medientheorien sind im 20. Jahrhundert entstanden. So beschäftigt sich Umberto Eco (1932–2016)¹⁸ mit der Kritischen Medientheorie der Frankfurter Schule (vor allem Theodor W. Adorno und Max Horkheimer) und setzt sich von deren Interpretation der Medien als Verfallsphänomen ab. Er entwickelt ein positives Verständnis der „Massenkultur"¹⁹, zu der auch die Medien gehören. Eco beobachtet im Umgang mit modernen Medien und Phänomenen der Massenkultur zwei Typen von Haltungen: den Apokalyptiker²⁰, der (die) in einer undifferenzierten Kritik die eigene Sorge vor dem kulturellen Zerfall ausdrückt, und den Integrierten (die Integrierte), der (die) gleich ganz ohne kritische Reflexion der Massenmedien auszukommen scheint.

    Hans Magnus Enzensberger bemüht sich weniger um eine vermittelnde und differenzierende Bewertung von Medien und betrachtet sie vor allem in ihrer Verbindung mit gesellschaftlichen Machtstrukturen, also der Politik. Medien sind bei ihm daher auch als Teil der volkswirtschaftlichen Prozesse zu verstehen, als ein Teil der „ökonomischen Struktur der Gesellschaft"²¹. Ein zentrales Anliegen ist bei ihm im Wissen um die gesellschaftsprägende Kraft der Medien als Inbegriff kommunikativen Handelns²² gerade auch deren demokratische Kontrolle.²³ Enzensberger knüpft hier an Gedanken von Berthold Brecht²⁴ an, der sich als Literat intensiv mit dem Medium Rundfunk beschäftigt hat und schon in den 1920er Jahren dessen propagandistische Potenziale reflektiert.²⁵

    Zu den wiederkehrenden Fragestellungen der Medientheorien gehört ganz maßgeblich das Verhältnis von Technik und Inhalt. Eine weitere, grundlegende Unterscheidung ergibt sich aus der Gegenüberstellung von Kommunikations- und Distributionsmedien: Während Kommunikationsmedien von der Vielfalt unterschiedlicher Sender, der damit einhergehenden Dezentralität und deshalb demokratisierenden Effekten zu bestimmen sind, zeichnen sich Distributionsmedien durch eine monopolartige Stellung der Sender mit eingeschränkter Interaktivität aus. Enzensberger bestimmt Distributionsmedien daher allein aufgrund ihrer technologischen Struktur als „ein undemokratisches, zentralistisches Herrschaftsmodell"²⁶. Alle Medien können nach Enzensberger als Kommunikationsmedien wirken, zielen aber aufgrund ihrer technischen Eigenarten unterschiedlich stark darauf ab und benötigen daher eine demokratische Kontrolle.²⁷ Schon hier wird erkennbar, dass die Rolle des Publikums ausgeprägt als eine aktive verstanden wird, die auf die Kommunikationsverläufe der Medien Einfluss nimmt und dies im Sinne seiner demokratischen Rechte auch tut. Inwiefern dies auf einer allzu optimistischen Sicht von Konsument_innen im Sinne eines „emanzipatorischen Mediengebrauchs"²⁸ beruht, gilt unter Medientheoretiker_innen als umstritten, dürfte aber gerade mit der Verbreitung des Internets und der Etablierung der Social Media realistischer geworden sein.

    Von besonderer Bedeutung ist die philosophische Betrachtung der Medien hinsichtlich des Konzeptes vom „herrschaftsfreien Diskurs bei Jürgen Habermas, wenngleich er sich selbst nur am Rande seiner Theorie mit Massenmedien beschäftigt. Medien gehören für ihn offenbar so sehr zu den Selbstverständlichkeiten menschlicher Kommunikation, dass sie kaum in ihrer Eigenart betrachtet werden müssen. In seiner „Theorie des kommunikativen Handelns wirken Medien lediglich verstärkend, auch weil das emanzipatorische Potenzial jeglicher Kommunikation ihre problematischen Elemente weit übersteigt.²⁹ Hier erweckt der Theorieansatz von Habermas einen ausgesprochen idealistischen Eindruck.

    In der Soziologie hat sich vor allem Niklas Luhmann mit dem Entwurf der Systemtheorie der Bedeutung von Massenmedien³⁰ gewidmet. Sie zeichnet sich einerseits durch einen beeindruckenden Universalitätsanspruch (es gibt keine gesellschaftlichen Phänomene, die nicht systemtheoretisch aufzufassen wären) wie durch eine Inkompatibilität mit anderen Theorieansätzen aus. Für Luhmann besteht die Gesellschaft aus Systemen, die auf sich selbst bezogen und aufgrund ihrer eigenen Instabilität auf den Selbsterhalt ausgerichtet sind (Autopoiesis). Er betrachtet die Funktion der Medien vor dem Hintergrund eines sehr unwahrscheinlichen Gelingens von Kommunikation, zudem verhindern die Medien als „Zwischenschaltung von Technik"³¹ die direkte Kommunikation. Im System der Massenmedien gelten Medien als Techniken zur Ermöglichung von Dialog, wo dessen Unmittelbarkeit unterbrochen ist.

    Die hier lediglich angedeuteten Theorieansätze veranschaulichen die entstandene Vielfalt und Unübersichtlichkeit der Medienreflexionen in den unterschiedlichen Feldern von Medienwissenschaft³², Kommunikationswissenschaft, Philosophie und Soziologie, die einer anwachsenden Notwendigkeit der Medienreflexion geschuldet sind.

    Die zunehmende Innovationsgeschwindigkeit von einer intergenerationalen Entwicklung zu einer intragenerationalen Abfolge von Neuerungen³³ ereignet sich vornehmlich im Bereich moderner Medien. Die mögliche Live-Übertragung von privaten Kameraaufnahmen mit dem Smartphone in den Formaten der Social Media steigert³⁴ diese Beschleunigung³⁵ und kann als Symbol für einen gesamtgesellschaftlichen Trend betrachtet werden, der aufgrund seiner rasanten Entwicklung wie auch seiner umwälzenden Dramatik als umfassend erlebt wird. Diese weitreichenden Dimensionen der Wandlungsprozesse sind für den Soziologen Ulrich Beck Anlass, von einer „Verwandlung³⁶ der Welt zu sprechen, um deren überfordernde³⁷ Dimension auszudrücken. Die bloße Rede von einer „digitalen Revolution erscheint ihm demgegenüber als unzureichend.³⁸ Der Philosoph Christoph Türcke identifiziert vor dem Hintergrund dieser Entwicklung in der „Logik der Sensation³⁹ ein zentrales Merkmal einer als „erregt erfahrenen Mediengesellschaft und verortet sie im Kontext des europäischen Aufbruchs der Neuzeit.⁴⁰ Diese soziologische Analyse verbindet sich häufig mit Forderungen nach einem stärkeren regulativen Eingreifen, etwa in medienpädagogischen Kontexten und einem kulturpessimistischen Habitus.⁴¹ Die gesellschaftlichen Modi von Empörung und Erregung innerhalb öffentlicher Debatten lassen sich dabei als Teil einer durch digitale Medien geprägten politischen Kultur verstehen.⁴²

    Das 20. Jahrhundert kann nicht zuletzt aufgrund der Entstehung von Massenmedien, vor allem von Rundfunk, Film und Fernsehen und in seinem letzten Jahrzehnt des Internets, als wichtige Wendemarke betrachtet werden. Nach einer anfänglichen Phase mit einer Ausrichtung etwa des Rundfunks auf Unterhaltungsprogramme in der Weimarer Republik entsteht erst in den 1930er-Jahren ein Bewusstsein für die politische Relevanz der neuen Massenmedien.⁴³ Das aufkommende Bewusstsein für deren strategische Verwendung im Rahmen der politischen Propaganda wie gerade auch als Instrument wirtschaftlichen Marketings charakterisieren das 20. Jahrhundert als wichtige Umbruchphase. Das Verhältnis von Medien, insbesondere von Presse, Radio und Film zu ihrer propagandistischen Nutzung, wird im Rahmen geschichtswissenschaftlicher Aufarbeitung immer wieder behandelt.⁴⁴ Es wäre aber zu kurz gegriffen, wollte man diese Problematik der Instrumentalisierungen und Manipulationen auf bestimmte Epochen und wenige Akteure begrenzen. Generell gilt, dass es keine weltanschauliche oder politische Neutralität geben kann. Deshalb sind gerade die Pluralität von Akteuren und das Vermeiden von Monopolstellungen zentraler Bestandteil einer demokratischen Medienpolitik.

    2.1.1.  Medientheorie

    Gerade im 20. Jahrhundert hat sich die theoretische Reflexion zum Medienbegriff in eine Vielzahl von Ansätzen und Theorien unterschiedlicher Fachrichtungen ausdifferenziert.⁴⁵

    Der Medienwissenschaftler Marshall McLuhan (1911–1980) entwickelt in der Faszination für das Fernsehen eine Kulturtheorie der Medien⁴⁶ und spricht vom Ende der „Gutenberg-Galaxis"⁴⁷, in dem der Buchdruck zum bestimmenden Medium geworden war. McLuhan analysiert Strukturen moderner Mediengesellschaften⁴⁸, die von ihm zwar an der Beobachtung des Fernsehens (insbesondere in den nordamerikanischen Gesellschaften) festgemacht werden, aber darüber hinaus bis in die Gegenwart für die Einordnung der digitalen Medien als Verstehenshilfe genutzt werden. Dies wird gerade im Blick auf seine drei zentralen Thesen deutlich, die er inspiriert durch den Theologen Pierre Teilhard de Chardin⁴⁹ entwickelt: 1. Medien sind Körperausweitungen, 2. Wir leben in einem globalen Dorf, 3. Das Medium ist die Botschaft.⁵⁰ Gerade die dritte These (und der wohl am häufigsten zitierte Satz McLuhans) bedarf der weitergehenden Beschäftigung, um nicht missverstanden zu werden: Medium und Botschaft sind untrennbar miteinander verbunden und aufeinander verwiesen.⁵¹

    Die Identifikation von Medium und Botschaft kann also durchaus weiter gefasst werden.

    Auch wenn hier keine ausführliche Darstellung der Theorien McLuhans⁵² und seiner Wirkung für die Medienwissenschaft vorgestellt werden kann, wird in den drei genannten Thesen Entscheidendes erkennbar: Die Arbeit mit Medien, insbesondere den modernen Medien des 20. und 21. Jahrhunderts, erweitert den Wirkradius menschlicher Kommunikation massiv und lässt erkennen, dass Medien immer Bestandteil menschlichen Lebens waren (und damit nicht nur sein Instrumentarium!). Indem moderne Medien den Wirkradius menschlichen Handelns erweitern und schrittweise ortsunabhängig zum Einsatz kommen, relativieren sich geographische Gegebenheiten und deren Beschränkungen. Die sich daraus ergebende Vervielfältigung menschlicher Gestaltungsmöglichkeiten geht jedoch einher mit den Eigengesetzlichkeiten der Medien und ihrer Wirkung sowohl auf ihre Nutzer_innen wie auch auf ihre Inhalte. Wie die Herausgeber_innen und Redakteur_innen von Zeitungen den Autor_innen hinsichtlich von Themenwahl, Umfang und inhaltlicher Ausrichtung der Artikel Vorgaben machen, so ergeben sich beim Buchdruck für die inhaltliche Gestaltung Vorgaben der Wirtschaftlichkeit (z. B. für den Umfang von Büchern oder deren Genre). Diese Spezifika von Medien steigern sich bei bildgebenden Formaten des Fernsehens und des Internets noch einmal beträchtlich.⁵³ Zwar erscheint die dritte These McLuhans geradezu „mediendeterministisch⁵⁴, sie richtet dabei jedoch nur das medienwissenschaftliche Interesse am Medium und nicht am Inhalt aus. Es gibt also durchaus eine Reihe von Faktoren, die für Inhalte maßgeblich sind. Die Eigengesetzlichkeit der Medien selbst gehört dabei jedoch zu den sehr einflussreichen Größen gegenüber den Inhalten, die bis in die Gegenwart vielfach unterschätzt werden. Deshalb können die Ansätze McLuhans ihn als „Vordenker des digitalen Computerzeitalters⁵⁵ erscheinen lassen, was seine bleibende Bedeutung für die Medienwissenschaften und seine Wiederentdeckung im 21. Jahrhundert erklärt.

    Gerade die religiöse Prägung McLuhans hat zu einer größeren Rezeption im Raum von Kirche und Theologie beigetragen und er wird vereinzelt als prägende Gestalt eines „katholischen Medienzeitalters"⁵⁶ betrachtet.

    Lässt sich McLuhan als eine der Gründungspersönlichkeiten moderner Medienwissenschaften betrachten, ergibt sich mit deren Entwicklung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine beachtliche Fülle an philosophischen Theorieansätzen.⁵⁷ Sie sind eng verbunden mit soziologischen und philosophischen Theorien der Postmoderne, was insbesondere für die Diskursanalyse von Michel Foucault und die Dekonstruktion von Jaques Derrida bedeutsam ist. Sie gehen bei Frank Hartmann⁵⁸ und Mike Sandbothe⁵⁹ in die Entwicklung eigener Medienphilosophien über.

    Neben McLuhan sei hier auf Vilém Flusser⁶⁰ (1920–1991) verwiesen, der als

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