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Die AfD – psychologisch betrachtet
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eBook544 Seiten5 Stunden

Die AfD – psychologisch betrachtet

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Über dieses E-Book

Warum wählen Bürgerinnen und Bürger rechte Parteien wie die AfD, deren Politik oftmals sogar ihren eigenen Interessen widerspricht? In diesem Buch werden psychologische Faktoren zur Erklärung dieses Phänomens diskutiert. Hauptthese ist, dass die AfD in drei zentralen Konfliktfeldern (Ökonomie, Identität, Vertrauen) scheinbare Lösungen anbietet. Anhand verschiedenster Quellen wie Sprachanalysen, Wahlstatistiken und Parteiprogrammen wird vor dem Hintergrund aktueller psychologischer Theorien die Wirkung der Partei auf die Wählerschaft analysiert. Schließlich bietet das Buch auch einen pragmatischen Ausblick zu Aufklärung und Prävention, um rechtspopulistischen Tendenzen entgegenzuwirken.
SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer
Erscheinungsdatum5. Juni 2019
ISBN9783658255794
Die AfD – psychologisch betrachtet

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    Buchvorschau

    Die AfD – psychologisch betrachtet - Eva Walther

    Hrsg.

    Eva Walther und Simon D. Isemann

    Die AfD – psychologisch betrachtet

    Mit einem Geleitwort von Claus Leggewie

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    Hrsg.

    Eva Walther

    Fachbereich I – Psychologie, Universität Trier, Trier, Deutschland

    Simon D. Isemann

    Fachbereich I – Psychologie, Universität Trier, Trier, Deutschland

    ISBN 978-3-658-25578-7e-ISBN 978-3-658-25579-4

    https://doi.org/10.1007/978-3-658-25579-4

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019

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    Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

    Geleitwort

    Vor hundert Jahren, als sich die erste deutsche Republik aus ungeheuerlichen Gefühlswirren herauskristallisierte, hielt der Soziologe Max Weber seinen berühmten Vortrag „Politik als Beruf. Darin definierte er Politik als „Streben nach Macht und der „Leitung oder Beeinflussung der Leitung eines politischen Verbandes, heute also: des Staates. Vor bewegtem Zeithintergrund ordnete er das Politische der Sachlogik von Machterhalt und Bürokratie unter, komprimiert in der berühmten Formel: „Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich. Leidenschaft ja, aber für eine Sache, nicht für jene sterile Aufgeregtheit, die heute oft mit Politik verwechselt wird.

    Dann aber fiel ein Satz, der die sachrationale Seite des Politischen überstieg und die „Hingabe der Gehorchenden an das rein persönliche ‚Charisma‘ des ‚Führers‘ ansprach: „Denn hier wurzelt der Gedanke des Berufs in seiner höchsten Ausprägung. Die Hingabe an das Charisma des Propheten oder des Führers im Kriege oder des ganz großen Demagogen in der Ekklesia oder im Parlament bedeutet ja, dass er persönlich als der innerlich berufene Leiter der Menschen gilt, dass diese sich ihm nicht kraft Sitte oder Satzung fügen, sondern weil sie an ihn glauben. ¹

    Das ist hundert Jahre her, klang schon damals rätselhaft und kalkulierte kaum mit einem österreichischen Postmarkenmaler namens Hitler, der damals noch die Zeche im Schwabinger Bierkeller prellen musste, sich aber berufen fühlte, gläubige Hingabe in ganz besonderem Maße auf sich zu ziehen. Damals öffnete sich diese abgründige Dimension des Politischen, die immer wieder Verwirrte und regelrecht Verrückte an die Macht gebracht hat, und zwar oft genug durch demokratische Wahl oder Akklamation durch das Volk.

    Wie schwer es fällt, das einzuräumen, zeigen aktuelle Debatten um Donald Trump. Ein hochrangiges Gremium US-amerikanischer Psychoanalytiker hatte zunächst starke Bedenken, fühlte sich dann aber doch gedrängt, die Amtsfähigkeit des Präsidenten, den sie als bösartigen Narzissten einstuften, in Zweifel zu ziehen. Sie verstießen gegen die eherne Regel, über niemanden eine Ferndiagnose zu stellen, dazu rangen sie sich einzig aus dem Verantwortungsgefühl für die amerikanische Republik durch. (Ich meine, sie hatten Recht). ²

    Zu diagnostizieren ist freilich nicht allein der Geisteszustand des mehr und mehr aus dem Ruder laufenden POTUS, vor allem die zäh anhaltendes Hingabebereitschaft seiner Basis verlangt eine Erklärung. Diesbezüglich wird erst recht gewarnt, politische Haltungen und Einstellungen zu „psychologisieren; stets werden beim AfD-Anhang nachvollziehbare sozialökonomische und – kulturelle Erklärungsmuster und Motive kollektiven Modernisierungs- und Globalisierungsverlusts ins Feld geführt und man hütet sich, kollektiven Leidenschaften „auf die Couch zu legen.

    Auch in diesem Band, der sich ausdrücklich den sozialpsychologischen Motiven und Voraussetzungen des AfD-Erfolgs widmet, bilden soziologische Überlegungen den Rahmen, und ich würde mit Max Weber zusätzlich empfehlen, Politisches aus Politischem zu erklären, also antidemokratische Einstellungen und die aktive Abkehr von der repräsentativen Demokratie als solche herauszustellen, die bei Funktionären, Anhängern und Wählern der Rechtsradikalen überdurchschnittlich stark ausgeprägt sind. Sie wollen eine andere Republik und sagen es auch klar und deutlich, wobei die Ablösung demokratischer durch autokratische Herrschafts- und Lebensformen ebenso gut Modernisierungsgewinner (wie das Gros des AfD-Personals) betreiben können.

    Der vorliegende Band öffnet darüber hinaus den Blick auf den „subjektiven Faktor beim Aufstieg der AfD und analoger völkisch-autoritärer Nationalisten, die für die Wiederherstellung des Phantoms „meiner guten alten BRD (Björn Höcke) ³ bereit sind, sehr viel aufs Spiel zu setzen: außer der Demokratie, wie wir sie kannten, die unbestreitbaren Wohlstandseffekte der Europäischen Union und grenzüberschreitender Wirtschaftskooperation, die Sicherheitsgarantien multilateraler Bündnisse und Netzwerke, den Kreativitätsgewinn offener Grenzen und Gesellschaften. Nicht zufällig sind Rechtswähler überwiegend Leugner des Klimawandels und anderer Umweltgefahren. Wer spielt derart va banque? Wer ist so gegenwartsfixiert und vergangenheitsverliebt, dass er das Schicksal künftiger Generationen aufs Spiel setzt? Eher Männer als Frauen, erfahren wir in dem Band, ansonsten ein Querschnitt der Bevölkerung. Was muss passieren, damit latente Dispositionen zu zugespitzten Handlungen werden? Der vorliegende Band trägt Forschungsansätze und Erklärungsmuster autoritärer Politik und charismatischer Führerschaft zusammen, die für eine Erklärung der Wiederkehr des autoritären Charakters im Zeitalter des Narzissmus nützlich sein können.

    Claus Leggewie

    im Februar 2019

    Vorwort

    Anlass dieses Buches ist die Verschiebung des politischen Koordinatensystems in Deutschland. Alarmiert durch den anhaltenden Rechtstrend in Gesellschaft und Politik und der Erosion demokratischer Strukturen, haben wir uns innerhalb eines Masterseminars an der Universität Trier mit dem Thema AfD beschäftigt.

    Einige der vorliegenden Kap. ( 2 , 5 , 6 , 7 , 9 , 10 ) sind aus dieser Beschäftigung hervorgegangen. Wichtig war es den Studierenden neben der sozialpsychologischen Analyse des Phänomens – des Aufstiegs der AfD (Kap.  2 , 5 , 6 , 7 ) – auch in ganz praktischer Weise zur Aufklärung, zur Gegenwehr, zur Intervention anzuregen (Kap.  9 und 10 ). Sehr glücklich sind wir zu dem Thema Ökologie Frau Götze (Kap.  4 ) und zu dem Thema der historischen und philosophischen Verankerung der (neuen) Rechten Herrn Brumlik (Kap.  3 ) als Autorin bzw. Autor gewonnen zu haben. In Kap.  8 stellen wir uns der Frage wie sich die Radikalisierung von Parteien wissenschaftlich fassen lässt. Das Einführungskapitel 1 dient nicht nur zur Hinführung zu dem Thema, wie der Aufstieg der AfD psychologisch zu erklären ist, sondern stellt vielmehr den gemeinsamen theoretischen Rahmen des Buches dar.

    Anders als viele aktuelle Publikationen zu dieser Thematik stellt das vorliegende Buch die Bevölkerung, oder Teile derselben, nicht unter Generalverdacht. Vielmehr werden – in sozialpsychologisch-aufklärerischer Tradition – diejenigen gesellschaftlichen Randbedingungen identifiziert, die rechtspopulistischen Strömungen Auftrieb verleihen, auch um diesen zukünftig wirksam begegnen zu können. So werden die ökonomischen, sozialen und psychologischen Bedrohungen skizziert, mit denen sich immer größere Teile der Bevölkerung konfrontiert sehen und die rechten Parteien in die Hände spielen. Diese subjektive, psychologische Perspektive ist bisher theoretisch kaum beleuchtet und empirisch weniger gut analysiert worden, aber in ihrer politischen Bedeutung kaum zu überschätzen. Das Buch will deutlich machen, dass es zur Rettung der Demokratie und eines solidarischen Zusammenlebens weder ökonomisch, noch gesellschaftspolitisch ein weiter so geben darf.

    Bedanken möchten wir uns bei Lena Hahn für die umfangreichen und höchst wertvollen editorischen Arbeiten an den Kapiteln sowie bei Christa Willems für die hilfreiche Unterstützung bei der Manuskripterstellung. Michael Erhardt danken wir für zahlreiche inhaltliche Diskussionen und Jörg Wolter für die Vielzahl an kompetenten Anregungen und Ideen in jeder Phase der Bucherstellung. Nicht zuletzt möchten wir Herrn Leggewie für sein Geleitwort herzlich danken.

    Eva Walther

    Simon D. Isemann

    Trier

    im Januar 2019

    Inhaltsverzeichnis

    1 Einleitung:​ Psychologische Erklärungen für den Erfolg der AfD 1

    Eva Walther und Simon D. Isemann

    2 Die AfD:​ Woher sie kommt, wie sie funktioniert, wer sie unterstützt 27

    Sinah Bücker, Sarah Maria Schade und Ulrike Wiegerling

    3 Rassismus in der Gegenwart:​ Diskurse, Dispositionen und die Neue Rechte 57

    Micha Brumlik

    4 Heimat, Boden &​ Natur:​ Warum die AfD für den Tierschutz, aber gegen die Energiewende ist 81

    Susanne Götze

    5 Mann wählt AfD:​ Psychologische Erklärungsansätz​e für den „Radical Right Gender Gap" 105

    Kerstin Berwing, Charlotte Fischer und Juliane Kowalski

    6 Die Sprache der AfD und wie sie sich verändert 121

    Verena Jahnen

    7 Wer wählt AfD?​ Sozialpsychologi​sche Merkmale einer heterogenen Gruppe 139

    Sarah Maria Schade, Ulrike Wiegerling und Sinah Bücker

    8 Wie extrem ist die AfD?​ Die Entwicklung der AfD und deren Wählerschaft als Radikalisierungs​prozess 157

    Simon D. Isemann und Eva Walther

    9 Sozialpsychologi​sche Mechanismen im AfD-Wahlprogramm erkennen:​ Ein Workshop gegen den Rechts-Populismus 179

    Valentin Emslander, Helen Leistikow und Swantje Bolli

    10 Zivilgesellschaf​tliches Engagement gegen die AfD:​ Eine psychologische Analyse von Initiativen und Kampagnen 203

    Anna Dettmann, Sarah Aylin Fakili, Anna Lena Langerbeins und Sara von Zedlitz-Neukirch

    Herausgeber- und Autorenverzeichnis

    Über die Herausgeber

    Simon D. Isemann

    Fachbereich I – Psychologie

    Universität Trier

    Trier, Deutschland

    isemann@uni-trier.de

    Prof. Dr. Eva Walther

    Fachbereich I – Psychologie

    Universität Trier

    Trier, Deutschland

    walther@uni-trier.de

    Autorenverzeichnis

    Kerstin Berwing

    Abteilung Sozialpsychologie

    Universität Trier

    Trier, Deutschland

    Swantje Bolli

    Abteilung Sozialpsychologie

    Universität Trier

    Trier, Deutschland

    Prof. Dr. Micha Brumlik

    Selma Stern Zentrum

    Berlin, Deutschland

    Sinah Bücker

    Abteilung Sozialpsychologie

    Universität Trier

    Trier, Deutschland

    Anna Dettmann

    Abteilung Sozialpsychologie

    Universität Trier

    Trier, Deutschland

    Valentin Emslander

    Abteilung Sozialpsychologie

    Universität Trier

    Trier, Deutschland

    Sarah Aylin Fakili

    Abteilung Sozialpsychologie

    Universität Trier

    Trier, Deutschland

    Charlotte Fischer

    Abteilung Sozialpsychologie

    Universität Trier

    Trier, Deutschland

    Dr. Susanne Götze

    Journalistin

    Berlin, Deutschland

    Verena Jahnen

    Abteilung Sozialpsychologie

    Universität Trier

    Trier, Deutschland

    Juliane Kowalski

    Abteilung Sozialpsychologie

    Universität Trier

    Trier, Deutschland

    Anna Lena Langerbeins

    Abteilung Sozialpsychologie

    Universität Trier

    Trier, Deutschland

    Helen Leistikow

    Abteilung Sozialpsychologie

    Universität Trier

    Trier, Deutschland

    Sarah Maria Schade

    Abteilung Sozialpsychologie

    Universität Trier

    Trier, Deutschland

    Sara von Zedlitz-Neukirch

    Abteilung Sozialpsychologie

    Universität Trier

    Trier, Deutschland

    Ulrike Wiegerling

    Abteilung Sozialpsychologie

    Universität Trier

    Trier, Deutschland

    Fußnoten

    1

    Zit. nach der Reclam-Ausgabe, Stuttgart 1992.

    2

    Bandy Lee (Ed.), The Dangerous Case of Donald Trump: 27 Psychiatrists and Mental Health Experts Assess a President, New York 2017.

    3

    Ausspruch vor der Wiederwahl zum thüringischen Landesvorsitzenden der AfD, 14.10. 2018 in Arnstedt.

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019

    Eva Walther und Simon D. Isemann (Hrsg.)Die AfD – psychologisch betrachtethttps://doi.org/10.1007/978-3-658-25579-4_1

    1. Einleitung: Psychologische Erklärungen für den Erfolg der AfD

    Eva Walther¹   und Simon D. Isemann¹  

    (1)

    Universität Trier, Trier, Deutschland

    Eva Walther (Korrespondenzautor)

    Email: walther@uni-trier.de

    Simon D. Isemann

    Email: isemann@uni-trier.de

    1.1 Einführung: Der Erfolg der AfD

    1.2 Psychologische Grundbedürfnisse

    1.3 Verschiebung des politischen Koordinatensystems durch die AfD

    1.4 Entstehungshintergrund des Buches

    1.5 Die Konfliktlinien

    1.5.1 Ökonomische Konfliktlinie

    1.5.2 Identitätsbezogene Konfliktlinie

    1.5.3 Konfliktlinie: Vertrauen und Kontrolle

    1.6 Ausblick

    Literatur

    Kernhypothese dieses Einleitungskapitels ist, dass sich der Wahlerfolg der AfD anhand dreier psychologischer Konfliktlinien oder Problemkontexte einordnen lässt. Diese Konfliktlinien beziehen sich auf grundlegende menschliche Bedürfnisse, wie Versorgung, Wertschätzung und Vertrauen, die in der aktuellen gesellschaftlichen Situation subjektiv depriviert werden und auf die die AfD – wie keine andere Partei sonst – eine vermeintliche Antwort oder Lösung liefert. Gleichzeitig sind die dargelegten Konfliktlinien als Rahmenmodell zum Gesamtverständnis des Buches von zentraler Bedeutung.

    1.1 Einführung: Der Erfolg der AfD

    Anlass für dieses Buch ist der in der Bundesrepublik beispiellose Aufstieg der AfD (Goerres et al. 2017). So ist die AfD nach anfänglichem Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde nun bereits in allen 16 (Nier 2018) Länderparlamenten vertreten und bildet mit 92 Abgeordneten die stärkste Oppositionspartei im Bundestag (Deutscher Bundestag 2018). Auch hat sie in einigen Bundesländern die SPD als Volkspartei längst überholt (Heimbach und Sturm 2018) und hat sogar zwei Direktmandate in Sachsen geholt. Dieser Erfolg ist weniger unerwartet, betrachtet man die z. B. in der Leipziger Mitte Studie gut dokumentierte lange Tradition rassistischer Tendenzen in Deutschland (Decker und Brähler 2016). Auch aus europäischer Perspektive ist die AfD keine Überraschung und es ist eher verwunderlich, wie lange es gedauert hat, bis sich, wie in vielen anderen europäischen Ländern bspw. in den Niederlanden (Partei für die Freiheit; Partij voor de Vrijheid; PVV), Frankreich (Nationale Sammelbewegung; Rassemblement National; RN; bis Juni 2018 Front National; FN) und Österreich (Freiheitliche Partei Österreichs; FPÖ), eine extrem rechte Partei in den Parlamenten etabliert hat. Dass der Erfolg zwar erheblich ist, aber dennoch bisher kleiner ausfällt als in den Nachbarstaaten, hängt womöglich auch damit zusammen, dass die AfD in Deutschland (noch) keine charismatische Führungsperson wie in Frankreich Marine Le Pen und in den Niederlanden Geert Wilders zu bieten hat.

    Dennoch ist der Erfolg der AfD erstaunlich, gemessen an den bislang objektiv geringen politischen Einflussmöglichkeiten und der eher widersprüchlichen und unausgereiften Programmatik. So offenbarte ein am 12.08.2018 geführtes ZDF- Sommerinterview mit Partei-Bundessprecher Alexander Gauland, dass die AfD auf zahlreiche politische Themen keine wirkliche Antwort hat. Die Wirkung der AfD scheint folglich weniger in einer stringenten und argumentativ überzeugenden Sachpolitik zu wurzeln, als vielmehr in psychologischen Faktoren. Dieses Buch befasst sich mit diesen Faktoren.

    Die Kernhypothese dieses Kapitels ist, dass sich der Wahlerfolg der AfD anhand dreier psychologischer Konfliktlinien oder Problemkontexte einordnen lässt. Diese Konfliktlinien beziehen sich auf grundlegende menschliche Bedürfnisse, die durch die aktuelle gesellschaftliche Situation nicht oder nicht mehr befriedigt werden, und auf welche die AfD – wie keine andere Partei – eine scheinbare Antwort oder Lösung liefert. Um diese Kernhypothese zu untermauern, werden zunächst die für die vorgeschlagene Argumentation zentralen psychologischen Grundbedürfnisse dargestellt.

    1.2 Psychologische Grundbedürfnisse

    Versucht man von psychologischer Seite zu erklären, warum sich Menschen in einer bestimmten Weise verhalten oder von einer Sache attrahiert fühlen, differenziert die Motivationspsychologie verschiedene Bedürfnisse, die allen Menschen innewohnen und deren Befriedigung handlungsleitend ist. Oft werden diese Bedürfnisse als Pyramide (Maslow 1943, 1954) dargestellt.

    Materielle Bedürfnisse

    Die basalsten Bedürfnisse auf unterster Stufe sind die physiologischen Bedürfnisse; Bedürfnisse nach materieller Absicherung und Versorgung. Diese werden auch Grund- oder Existenzbedürfnisse genannt (Maslow 1970). Jeder Mensch muss Essen, Trinken, Kleidung, ein Dach über dem Kopf und medizinische Versorgung haben. Werden diese Bedürfnisse nicht befriedigt oder als gefährdet wahrgenommen, wird dies als existenzielle Bedrohung erlebt. Tatsächlich erlebte oder subjektiv empfundene existenzielle Bedrohung hat direkte Effekte auf das subjektive Empfinden der Menschen und kann somit instrumentell für politische Ziele verwendet werden. So argumentieren beispielsweise Jonas et al. (2014), dass Bedrohung zu erhöhter Aufmerksamkeit und Angst führt.

    Die Terror Management Theorie (TMT) von Greenberg et al. (1986) beschäftigt sich mit der Frage, welchen Einfluss die Wahrnehmung existenzieller Bedrohung auf das Erleben und Verhalten des Menschen hat. Aus der Perspektive der TMT bietet eine Betonung und Verteidigung kultureller Werte (eine Ansammlung von Annahmen über die Welt, die ein geordnetes, beständiges und bedeutungsvolles Bild der Realität zeichnen) einen wirksamen Schutz gegen existenzielle Bedrohung. Die Verteidigung des kulturellen Weltbildes dient der Schaffung einer symbolischen Unsterblichkeit, denn die Kultur besteht über das Leben und Sterben des Einzelnen hinaus. Je größer die subjektiv erlebte existenzielle Bedrohung, desto stärker ist das Bedürfnis nach ordnungs- und bedeutungsvermittelnden kulturellen Werten und Normen und deren Verteidigung. Entsprechend belegen Studien, dass subjektiv empfundene Bedrohung zu einer verstärkten Verteidigung der eigenen Weltansicht führt (Pyszczynski et al. 1999). Im Labor induzierte existenzielle Bedrohung erhöht die Auftretenswahrscheinlichkeit positiver Reaktionen denjenigen Menschen gegenüber, die die eigene kulturelle Weltansicht stützen. Hingegen treten verstärkt negative Reaktionen denjenigen gegenüber auf, die die eigene Weltansicht bedrohen (Greenberg et al. 1990). Vereinfacht ausgedrückt führt die Sorge um die eigene Existenz tendenziell zu einer konservativen Haltung und zu einer Verteidigung des Althergebrachten.

    Sicherheit und Kontrolle

    Auf der nächsten Stufe der Bedürfnishierarchie befinden sich Sicherheits- und Kontrollbedürfnisse (Maslow 1970). Viele kognitive Prozesse stehen im Dienste dieser Bedürfnisse, in einer vorhersagbaren, und – im Idealfall kontrollierbaren – Umgebung zu leben. Die Theorie der sozialen Vergleichsprozesse (Festinger 1954) bezieht sich auf einen dieser kognitiven Prozesse. Durch den sozialen Vergleich mit Anderen überprüfen und korrigieren Personen Auffassungen, Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen bezüglich der Realität, in der sie leben. In vielen, besonders neuen oder überraschenden Situationen empfinden Menschen große Unsicherheit im Hinblick auf das adäquate Verhalten. Was normal und damit akzeptabel ist, wird in diesem Falle durch den Vergleich mit dem Verhalten der Anderen festgestellt. Die Theorie der sozialen Vergleichsprozesse wird beispielsweise herangezogen um zu erklären, warum Menschen in Notsituationen Anderen nicht helfen. Oft herrscht gerade in diesen Situationen Unsicherheit, wie man sich richtig verhalten soll und Menschen vergleichen sich mit Anderen, um zu einer angemessenen Interpretation der Situation zu kommen. Verhalten sich die Anderen abwartend, weil sie selbst noch unsicher sind und auch die Anwesenden beobachten, bleibt es oft bei kollektivem Nichtstun. Diesen Effekt, dass notwendiges Handeln unterbleibt, weil unter Unsicherheit alle denken: „nun, wenn es wichtig wäre, würden die anderen ja schon reagieren", nennt man in der Psychologie Pluralische Ignoranz (Latané und Darley 1969). Die Reaktionen und Meinungen Anderer werden herangezogen, weil die meisten Erfahrungen mehrdeutig sind und interpretiert werden müssen. Unsicherheit wird dabei als aversiver (d. h. als negativ empfundener) Zustand verstanden. Zwar unterscheiden sich Personen in ihrer Toleranz dieser Unsicherheit und der damit einhergehenden Aversion (Schlink und Walther 2007), grundsätzlich versuchen aber alle Menschen aus den Reaktionen Anderer zu verstehen, wie angemessene Reaktionen auf Umweltereignisse aussehen.

    Wie reagiert man beispielsweise darauf, dass eine Partei wie die AfD mit rassistischen ideologischen Facetten in der politischen Agenda in den Bundestag gewählt wurde? Soll man abwarten, dagegen demonstrieren oder sich vielleicht informieren und eine Wahlkampfveranstaltung der Partei besuchen? Je nachdem, welche Personen die nähere Umgebung (Eigengruppe oder Ingroup) bilden, sieht die, durch den Vergleich mit Anderen, erschlossene angemessene Reaktion auf dieses mit Unsicherheit behaftete Ereignis höchst unterschiedlich aus.

    Auch wird aus der Theorie der sozialen Vergleichsprozesse deutlich, dass der Einfluss anderer Personen mit dem Ausmaß an subjektiv empfundener Unsicherheit steigt. Erfolgreiches politisches Marketing, insbesondere konservativer Parteien, besteht häufig darin, Unsicherheit zu schüren (z. B. durch eine Betonung der Kriminalität und Gefährdung der inneren Sicherheit), um dann selbst die Befriedigung des Bedürfnisses nach Sicherheit (z. B. Verschärfung der Polizeigesetze) anbieten zu können.

    Selbstwert und Bedeutung

    Neben diesen bisher genannten elementaren Bedürfnissen gibt es auch solche, die mit dem eigenen Selbst verbunden sind. Nach Tajfel und Turner (1986) streben Personen eine positive soziale Identität an, d. h. Personen sind bestrebt, sich selbst positiv zu bewerten. Psychologisch speist sich der Selbstwert einerseits aus der Wertschätzung, die der Einzelne aus seiner Umwelt erfährt (Harmon-Jones et al. 1997), und andererseits aus der Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen, den Eigengruppen oder Ingroups (Tajfel und Turner 1986). Nach der Sozialen Identitätstheorie (SIT) segmentieren Menschen ihre soziale Umwelt über verfügbare soziale Merkmale wie beispielsweise Geschlecht, Alter oder Ethnizität; ein Prozess, der soziale Kategorisierung genannt wird. Aus der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe wird dann das Selbst-Konzept, die Identität der Person, bestimmt. Über den sozialen Vergleich (Festinger 1954) wird diese Identität immer wieder neu bewertet. Ist beispielsweise der soziale Status von Männern in einer Gesellschaft höher als der von Frauen, ist die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe der Männer ein steter Quell positiver Selbstevaluation. Da sich der eigene Selbstwert aus der Zugehörigkeit zu Ingroups speist und Menschen deshalb ein Interesse haben, die eigene Gruppe möglichst positiv zu bewerten, gibt es eine generelle Tendenz, diese relativ zur Fremdgruppe (oder Outgroup) aufzuwerten: die Eigengruppenfavorisierung (Brewer 1979, 1999).

    Da jeder Mensch das Bedürfnis nach einem positiven Selbstwert hat, ist es besonders wichtig, dass in einer Gesellschaft jeder die Chance auf Wertschätzung bekommt. Werden ganze Gruppen diffamiert und damit der gesellschaftlichen Wertschätzung entzogen, werden sich die Betroffenen andere Gruppen (z. B. extreme, ausgestiegene Gruppen, Parallelgesellschaften) suchen, die diese Möglichkeiten zur positiven Selbstevaluation bieten.

    Zudem kann durch den Mangel an Wertschätzung und Bedeutung ein regelrechter Bedeutungshunger entstehen (quest for significance; Kruglanski et al. 2009). Dieser entsteht aus den vielfältigen sozialen Erfahrungen von Ausgrenzung, relativer Deprivation (z. B. das Gefühl, weniger zu bekommen als die Anderen) und Missachtung. Die Suche nach Bedeutung ist ein tief in den Menschen verwurzeltes Bedürfnis (Becker 1962; Frankl 2000; Maslow 1943, 1967). In der positiven Psychologie wird die Suche nach Bedeutung, die Suche nach etwas, dass größer ist als man selbst, als zentrales Element des individuellen Glücksstrebens betrachtet. Nach Becker (1973) tritt existenzielle Bedrohung nicht nur auf, wenn die physische Existenz bedroht ist (s. o.), sondern vor allem auch bei Bedrohungen der psychischen Existenz.

    Die Forschung zeigt, dass bedeutungsdeprivierte Personen sich besonders jenen Gruppen anschließen, die ihnen helfen, einen Mangel an Bedeutung auszugleichen, d. h. Bedeutungsrestauration zu betreiben. Dies können radikale Gruppen sein (Hogg et al. 2010) oder auch Gruppen, die sich in besonderem Maße mit der Verteidigung der kulturellen Werte befassen (Solomon et al. 1991). Dabei spielt auch die erlebte Selbstwirksamkeit (d. h. das Empfinden, selbst durch Handeln etwas bewegen zu können) eine zentrale Rolle.

    Bei aller Unterschiedlichkeit der einzelnen Bedürfnisse ist entscheidend, dass sie sich keineswegs abstellen oder aufheben lassen. Menschen werden immer Wege suchen, sich zu versorgen und Kontrolle, individuelle Bedeutung und Anerkennung zu erlangen.

    1.3 Verschiebung des politischen Koordinatensystems durch die AfD

    Um die psychologische Wirkungsweise der AfD zu verstehen, ist es hilfreich zu betrachten welche menschlichen Bedürfnisse die AfD anspricht. Um diesen Prozess genauer zu erörtern, soll hier zunächst der gesellschaftliche Kontext skizziert werden, in dem die AfD agiert, und die Veränderung der politischen Landschaft, die die AfD bewirkt (hat). Auf Parteienebene hat die AfD bereits eine Verschiebung nach rechts bewirkt. Der generelle Rechtsruck in Europa zeigt sich nun auch in Deutschland, ein „Rechtsruck von einer historischen Dimension" (Urban 2018). Dass Angela Merkel plötzlich fast als links erscheint, ist ein Symptom dieser Verschiebung.

    Die jüngsten Vorfälle in Chemnitz sind nur die sichtbarsten Zeichen dieses Drifts nach rechtsaußen. Ende August 2018 hetzte – nahezu unbehindert von der Polizei – ein rechter Mob Menschen aller Hautfarben durch die Straßen von Chemnitz. Ein bisher ungeklärter Todesfall mit zwei migrantischen Verdächtigen bot hierfür den Anlass. Es ist – wie die Konfliktforscherin Beate Küpper sagt-, als hätte man „auf so ein Trigger-Ereignis, wie es jetzt passiert ist, geradezu gewartet" (Küpper und Heckmann 2018, para. 4). Politisch legitimiert werden diese Übergriffe durch Bundesinnenminister Horst Seehofers Mär von der „Herrschaft des Unrechts" (Seehofer unterstellt Merkel ‚Herrschaft des Unrechts‘ 2016, para. 6) als Framing für Merkels Flüchtlingspolitik (s. auch Kap. 6). Diese Aussage Seehofers ist brandgefährlich, denn so können sich die Täter von Chemnitz als Opfer fühlen. Auch macht der Begriff Selbstjustiz schnell die Runde, der impliziert, man hätte eigenes Unrecht erfahren. Die Opferrolle, sich gegen selbst erfahrenes Unrecht wehren zu müssen, ist in der gesamten rechten Szene eine wichtige psychologische Selbstinszenierung, die das moralische Rückhaltebecken zivilisatorischer Normvorstellungen – oder wie der Psychoanalytiker Ottomeyer (as cited in Durchbruch der Jagdstimmung 2018) sagt: die „Restbestände des Über-Ichs" (para. 4) – außer Kraft setzt. Man muss sich ja wehren dürfen, wenn einem Unrecht widerfährt. Aus dem gefühlten Unrecht, geschürt und befeuert durch die Parteistrategen der AfD (und rechtsorientierten Vertretern anderer Parteien), ergibt sich die subjektive moralische Legitimation für Eskalationen und Gewaltausbrüche wie in Chemnitz. Zugleich bieten die Selbstviktimisierung (z. B. als Opfer widerfahrenen Unrechts) wie auch die Selbstheroisierung (z. B. als Retter der deutschen Nation), wie sie in rechten Kreisen mit großem Gestus eingeübt wird, lebhafte Gefühle von Selbstwirksamkeit und Bedeutsamkeit. So postulierte AfD-Vize Beatrix von Storch (as cited in AfD Kompakt TV 2017a) auf dem AfD Parteitag am 03.12.2017: Die Strategie der AfD sei es,

    zu tun, was auch immer notwendig ist, um Deutschland zu retten. Den Zustrom stoppen. (…) Die Syrer in die nicht mehr umkämpften Gebiete Syriens zurückbringen. Unsere Strategie ist es, die Islamisierung nicht nur zu stoppen, wir wollen sie zurückdrängen (…) unser Vaterland und unsere Kultur verteidigen und bewahren (0:35–3:03).

    Gefühle, die, wie wir in diesem Kapitel darlegen wollen, von besonderer Bedeutung für den Erfolg der AfD sind. Gerade die Selbst-Heroisierung dient zudem der Restauration angekränkelter Maskulinität (s. Kap. 5). So wird die AfD zur geistigen Brandstifterin der Vorfälle in Chemnitz: „Der Zusammenhang zwischen Tausenden Angriffen auf Muslime und Geflüchtete und dem Aufstieg der AfD ist kaum zu übersehen (Berneis as cited in Partei der Faschisten 2018, para. 12). Im Gegensatz zu den relativ erfolglosen Rechtsaußen-Vorgängern Republikaner, NPD etc. ist der Aufstieg der AfD kontinuierlich wachsend. Ein Anlass wird häufig in der so genannten „Flüchtlingskrise gesehen, die von der AfD politisch inszeniert und instrumentalisiert wird. Anders als bei den zwischen 1989 und 1993 nahezu geräuschlos eingewanderten Spätaussiedlern wird die Migration von 2015 zur Staatskrise erklärt.

    Wie lassen sich die Unterschiede erklären? Ist die AfD nur die parteigewordene logische Konsequenz rassistischer Strömungen und Verortungen in Deutschland, wie sie seit Beginn der 90er Jahre beobachtet werden, oder erleben wir „eine politische Irrationalisierung des Westens?" (Habermas 2016, para. 3), die auch die lange etablierten Volksparteien mitreißt?

    Ziel dieses Buches ist es, psychologische Erklärungsansätze anzubieten, die verstehen helfen, warum die AfD so erfolgreich ist, wie sie es schafft, so zahlreich Wähler*innen zu gewinnen, auch Wähler*innen, die jahrelang keine Wahlkabine mehr von innen gesehen haben. Die Erklärungsversuche in diesem Buch basieren auf psychologischen Theorien und der sozialpsychologischen Prämisse des Situationismus: Menschen werden nicht als Rassisten geboren, sie werden zu solchen gemacht.

    Und wer das ändern will, muss sich um das „Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse" (Marx [1845, para 6]) kümmern, das sie prägt. Dass es weder Sympathie noch Rechtfertigung bedeutet, diese „realen Gründe von „Verbitterung und Empörung als Ansatzpunkte für Gegenstrategien anzuerkennen, sollte nicht weiter begründet werden müssen. (Urban 2018, S. 109).

    So ist es die Aufgabe der Wissenschaft, gerade der Sozialpsychologie mit ihrer konstitutiven Verwurzelung in der Aufarbeitung und Erklärung des Nationalsozialismus, die Gründe für den Erfolg der AfD zu erforschen und eine wie auch immer geneigte Zurückhaltung in dieser Thematik aufzugeben. Jedoch, und dies sollte stets im vordersten Bewusstsein präsent bleiben, ist jede Analyse und sogar die einfache Deskription der Partei AfD und ihrer Anhänger mit kritischster Skepsis zu betrachten, da die selbst ernannte Alternative für Deutschland eine heterogene, sich dynamisch wandelnde Partei ist, die von inneren Flügelkämpfen und Auseinandersetzungen erschüttert wird. Ob sich zukünftig der eher neoliberale Weidel-Flügel oder der sozial-nationale Höcke-Flügel durchsetzen wird, ist aktuell noch unklar. Es muss folglich damit zu rechnen sein, dass dieses Buch eine flüchtige Momentaufnahme darstellt und keineswegs langlebige Schlüsse zulässt.

    Die Informationspolitik der AfD

    Eine weitere Problematik ergibt sich daraus, dass sich das AfD-Umfeld einer genaueren, und vor allem wissenschaftlichen Betrachtung im Wesentlichen entzieht. Zwar gibt es Umfragen zur AfD (z. B. Schwarzbözl und Fatke 2016; Goerres et al. 2017; Kroh und Fetz 2016), aber die ausgeprägte Wissenschaftsfeindlichkeit – laut Aussage des Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft Strohschneider (2017) – vieler AfD- Anhänger verhindert in weiten Teilen eine präzisere Analyse, z. B. weil AfD-Sympathisanten für wissenschaftliche Interviews oder sonstige Datengewinnung kaum zur Verfügung stehen, sodass auf die Daten von Wahlumfragen und anderer allgemeiner Befragungen zurückgegriffen werden muss. Dies kann als Teil der AfD-Strategie betrachtet werden, potenziell missliebige Stimmen aus Presse und Wissenschaft bereits im Vorfeld zu blockieren, um möglichst umfassende Kontrolle über die eigene Berichterstattung zu erhalten. Die sich dadurch ergebenden Informations-Lücken können sodann mühelos mit eigenen Mitteilungen auf Facebook, Twitter aber auch AfD-nahen Printmedien, wie der „jungen Freiheit", gefüllt werden.

    Man könnte die ostentative Wissenschafts- und Pressefeindlichkeit der AfD auch als Aspekte des Bestrebens nach kultureller Hegemonie (Gramsci 1996) begreifen. Nach Gramsci wird Herrschaft nicht allein durch die Staatsgewalt, sondern durch konsensuell etablierte, gesellschaftliche Wirklichkeitsauffassungen erzielt. Eine Veränderung der Gesellschaft basiert demnach auf der Veränderung der öffentlichen Meinung. Da die Gestaltung der öffentlichen Meinung vor allem sozialen Schlüsselrollen, wie Medien, Publizisten, Wissenschaftler*innen, obliegt, ist eine Strategie des rechten kulturellen Hegemoniebestrebens, diese entweder zu vereinnahmen oder zu diskreditieren. Beide Strategien werden von der AfD energisch und mit zunehmender Professionalität verfolgt.

    „Jürgen Elsässer, ein rechter Vordenker und Chefredakteur des Compact Magazins, entwirft in einer Rede am 17.09.2018 in Köthen das Bild einer vornehmlich im Osten agierenden Fünf-Finger-Bewegung, deren parlamentarischer Finger die AfD, der mediale Finger das Compact Magazin, und die außerparlamentarischen Finger Pegida, die Ein- Prozent- und die Identitäre Bewegung darstelle" (Bingener 2018, S. 4). „Einen Finger kann man brechen, aber fünf Finger sind eine Faust (S. 4) sagt Elsässer. Daniele Roi ergänzt, „die Faust solle zwar im Ganzen zu spüren sein, die Gesellschaft soll aber stets nur einzelne Finger zu Gesicht bekommen (S. 4). Nach Pfahl-Traughber ist das Ziel dieser „Kulturrevolution von rechts (de Benoist 1985) die „Delegitimierung der Normen und Regeln einer offenen Gesellschaft und eines demokratischen Verfassungsstaates (Rede in Tutzing 2013). Die sozialen Medien bieten hierfür ungeahnte Möglichkeiten. Das natürliche Bedürfnis des Menschen, vor allem diejenigen Nachrichten aufzusuchen, die die eigene Meinung bestätigen (Snyder und Swann 1978), kann durch Facebook, Twitter etc. optimal befriedigt und von rechten Populisten instrumentell genutzt werden. Mussten in früheren Zeiten Nachrichtenempfänger etwa bei der Durchsicht einer Tageszeitung ggfls. damit rechnen, mit Mitteilungen konfrontiert zu werden, die der eigenen Meinung widersprechen, kann dieses Risiko in den Echoräumen der sozialen Medien nahezu vollständig ausgeschaltet werden. Zudem penetrieren die Rechten die sozialen Medien in stärkerem Ausmaß als andere politische Gruppen. So beschreibt Chloé Colliver vom Institute for Strategic Dialogue (ISD), die sich mit der Analyse von Hashtags und Phrasen zur politischen Einflussnahme befasst:

    Bei ´Chemnitz´ haben wir herausgefunden, dass der Begriff zu 50 Prozent von deutschen oder internationalen Gruppen verwendet wurde, die dem rechten Spektrum zuzuordnen sind. (…) Das ist zwar wenig verwunderlich, aber wenn man bedenkt, dass AfD Wähler eigentlich einen viel geringeren Anteil an der Bevölkerung ausmachen, zeigt es doch, dass Rechte bei diesem Thema den Diskurs in den Sozialen Medien unverhältnismäßig dominieren (Colliver as cited in Die Troll-Beobachter 2018, para. 17).

    Zudem ist die Wahrheitsbindung der sozialen Medien, anders als in der Wissenschaft und bei seriösen Nachrichten, deutlich lockerer und viele Meldungen entziehen sich komplett einer empirischen Substanziierung. Für die Wissenschaft ist diese Aufweichung der Wirklichkeitsgrenzen durch Fake-News und alternative Fakten eine Existenzbedrohung, besteht ihre Daseinsberechtigung doch besonders auch in der Schaffung empirisch belastbarer, intersubjektiver Befunde.

    Wir haben uns trotz dieser erheblichen empirischen Einschränkungen entschieden, ein Buch über die psychologischen Aspekte des Erfolgs der AfD zu verfassen, weil wir denken, dass die Psychologie einen Beitrag zum Verständnis des Phänomens AfD leisten kann und auch sollte. Aufgrund der oben genannten Einschränkungen sollte das vorliegende Buch jedoch vorwiegend als Einladung zur Diskussion und als Anstoß für zukünftige Forschung und keinesfalls als Ersatz für diese verstanden werden.

    1.4 Entstehungshintergrund des Buches

    Dieses Buch basiert zum Teil auf den Ergebnissen eines Masterseminars an der Universität Trier, bei dem wir uns vor allem auf der Basis psychologischer Theorien mit der AfD beschäftigt haben (Kap. 2, 5, 6, 7, 9 und 10 sind aus diesem Seminar hervorgegangen). Ergänzend wurden namhafte Autor*innen gewonnen, zu Themen wie der Ökologie oder der neuen Rechten beizutragen, die in dem Seminar unberührt blieben. Selbstverständlich deckt das Buch nicht das gesamte

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