Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Die Zukunft der Psychotherapie: Wann ist endlich Schluss mit der Konkurrenz?
Die Zukunft der Psychotherapie: Wann ist endlich Schluss mit der Konkurrenz?
Die Zukunft der Psychotherapie: Wann ist endlich Schluss mit der Konkurrenz?
eBook282 Seiten2 Stunden

Die Zukunft der Psychotherapie: Wann ist endlich Schluss mit der Konkurrenz?

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Die Zukunft der Psychotherapie: von der Diskussion zur Patientenorientierung

Therapieforscher sind sich einig, dass sich innerhalb einer Therapieschule niemals alle Patienten gleichermaßen erfolgreich behandeln lassen. Wegen des Festhaltens am Therapieschulendenken jedoch wurde bisher selten die Frage der selektiven Indikation systematisch geprüft: Könnte es nicht sein, dass jene Patienten, denen eine Therapieform nicht weiter hilft, ein anderes Therapieverfahren mit Erfolg absolvieren könnten?

An der Heidelberger Universität sieht man die schulenübergreifende Notwendigkeit der Veränderung von Therapiekonzepten in Bezug auf die Grundlagenforschung – in dieser Tradition sieht man sich im Dienste der Patienten.

Renommierte Praktiker und Wissenschaftler mit innovativer Integrationsperspektive

Dieses Buch trägt aus verschiedenen Perspektiven einer störungsspezifischen ätiologischen und epidemiologischen Forschung in Psychologie, Psychiatrie und Psychosomatik Ideen zusammen, wie die Psychotherapie der Zukunft aussehen könnte.

- Die Zukunft der Psychotherapie – Perspektiven

- Klinische Psychologie

- Psychopathologie

- Neurobiologie

- Geschlechtsspezifik

- Persönlichkeitspsychologie

- Kindheit und Jugend

- Entwicklungspsychologie des höheren Alters

- Fazit: Blick zurück in die Zukunft.

Die beteiligten Autorinnen und Autoren: Peter Fiedler, Reiner Bastine, Christoph Mundt, Sabine C. Herpertz, Annette Kämmerer, Sven Barnow, Simone Lang, Franz Resch, Elke Ahlsdorf, Gerd Rudolf.

Dabei ist keine Streitschrift entstanden, sondern eine kollegiale Anregung zum Überdenken von therapeutischer Arbeit und zu erforschenden Grundannahmen. Geschrieben für Psychologische und ärztliche Psychotherapeuten, Psychologen, Psychiater, Psychosomatiker, Studierende und Lehrende der Fächer.

Ein gut lesbares, anregendes Lesebuch für psychologischtätige Praktiker

SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer
Erscheinungsdatum12. Juni 2012
ISBN9783642224706
Die Zukunft der Psychotherapie: Wann ist endlich Schluss mit der Konkurrenz?

Ähnlich wie Die Zukunft der Psychotherapie

Ähnliche E-Books

Psychologie für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Die Zukunft der Psychotherapie

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Die Zukunft der Psychotherapie - Peter Fiedler

    Teil 1

    Psychotherapie zwischen Forschung und Praxis: Stiefkind »Integrative Psychotherapie«?

    Peter Fiedler (Hrsg.)Die Zukunft der PsychotherapieWann ist endlich Schluss mit der Konkurrenz?10.1007/978-3-642-22470-6_1© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012

    1. Psychotherapie zwischen Forschung und Praxis: Stiefkind »Integrative Psychotherapie «?

    Peter Fiedler¹

    (1)

    Psychologisches Institut der Universität, Hauptstraße 47–51, 69117 Heidelberg, Deutschland

    1.1 Einführung

    Nach wie vor werden Versuche der Integration therapeutischen Denkens in Therapieschulen mit Zurückhaltung und Skepsis beobachtet und diskutiert. Dabei ist seit Jahren unverändert deutlich, dass die bisher dominierenden, zumeist therapieschulspezifischen Verstehensansätze das Spektrum, psychische Störungen theoretisch zu erklären und therapeutische Entscheidungen zu begründen, gar nicht vollständig erfassen. Es ist aufgrund sorgsamer Analysen vielmehr ebenso klar, dass schulspezifische Verstehensansätze psychischer Störungen – positiv gewendet – eigentlich in einem Ergänzungsverhältnis zueinander stehen, eben weil sie jeweils unterschiedliche Schwerpunkte und Akzente setzen und, wegen ihrer Einseitigkeiten, hochgradig interessante Blickwinkelunterschiede aufweisen.

    Therapieschulen – Ergänzung oder Konkurrenz

    Leider ist es so, dass diese Ergänzungsfunktion bis heute nicht, und wenn ja, dann immer nur sehr unvollkommen, ausgelotet wurde: Die Theoriebildung in diesem Bereich ist eng mit eher konkurrierenden Entwicklungen in den Therapie- und Professionsschulen verbunden (z. B. Verhaltenstherapie versus Psychoanalyse versus Gesprächspsychotherapie versus Systemische Therapien; medizinische Psychiatrie versus medizinische Psychosomatik versus klinische Psychologie). Und in diesem Kontext besteht nach wie vor eine eigentlich völlig überflüssige Konkurrenz und Abgrenzung zwischen den Denktraditionen.

    Abgrenzung zwischen den Denktraditionen

    Natürlich hat es eine Reihe von Vorteilen, wenn angehende Psychotherapeuten zum Erwerb therapeutischer Grundlagen und Kompetenzen in einer Therapieschule zunächst so etwas wie eine »Heimat« finden. Andererseits führt dies in unverantwortlicher Weise dazu, dass innerhalb der Therapieschulen zwecks Reinhaltung der Lehre eine grundlegende Ablehnung und Ignoranz gegenüber Alternativen vorherrscht, die gelegentlich in bissiger Weise nach außen hin vertreten wird.

    Dieser unschöne Umstand lässt sich nicht damit entschuldigen, dass diese Distanz bis hin zur Ablehnung von Alternativen wechselseitiger Natur ist. Leider hat sich dieser immer wieder durchbrechende und polarisierende Omnipotenzanspruch im deutschsprachigen Raum nach Klaus Grawes »Psychotherapie im Wandel« (Grawe, Donati u. Bernauer 1994) und mit Einführung des Psychotherapeutengesetzes nochmals verschärft. Dies ist beispielsweise den Protokollen der Landespsychotherapeuten-Kammern zu entnehmen. Selbst der Wissenschaftliche Beirat, der in Deutschland über die Zulassung von Psychotherapieverfahren befindet, scheint über das Gerangel der Therapieschulen nicht so recht erhaben (Kriz 2009). Im Ringen um Behalt und Erweiterung von Marktanteilen und unter Vernachlässigung überprüfter Erfolgszahlen wird innerhalb der Therapieschulen munter »an Treu und Glauben« festgehalten – nicht gerade selten in unbedachter Verantwortungslosigkeit den Patienten gegenüber.

    Gerangel der Therapieschulen

    1.2 Integration: Bisherige Ansätze und Versuche

    Diese Konkurrenz ist in erheblichem Maße dafür verantwortlich, dass ein wirklicher Fortschritt in der Entwicklung übergreifender Theorieperspektiven für psychotherapeutisches Handeln nur in ersten Ansätzen erkennbar ist. Eine Theorieentwicklung, die in den eigenen Schablonen haften bleibt, kann nicht substanziell vorankommen. Wir haben es hier eher mit einer ungünstigen Stagnation zu tun, in der sich jeder halbherzige Innovationsversuch wegen der abgrenzenden Bevorzugung jeweils einer engen Theorieperspektive verfangen muss.

    Stagnation statt Entwicklung

    Diese Situation zu überwinden, war sicherlich einer der Anlässe, weshalb sich etwas abseits der Psychotherapieschulen-Streitereien eine anhaltende Tradition der Suche nach allgemeinen oder kommunalen Wirkfaktoren in der Psychotherapie etablierte. Die Meinung, dass es eher gemeinsame oder gleichartig wirksame, sogenannte unspezifische Faktoren seien, die den unterschiedlichen Therapieansätzen als eigentliche Wirkaspekte zugrunde lägen, wird seit Beginn der 1970er Jahre vertreten – allen voran von Jerome Frank (1973) oder auch im deutschsprachigen Raum von Reiner Bastine (1978; hierzu auch Bastines erneutes Plädoyer in diese Richtung in Kap. 2). Insbesondere die frühen Metaanalysen von Smith u. Glass (1977) schienen diese Ansicht zu bestätigen, führten sie doch offenkundig zu dem vermeintlich beruhigenden Ergebnis, dass die Wirksamkeit therapeutischer Behandlung relativ unabhängig davon ist, mit welchem Therapieverfahren Patienten behandelt werden.

    Die spätestens zu dieser Zeit einsetzende Common-Factor-Forschung wurde zeitweilig mit der Entwicklung einer wissenschaftlich intendierten sogenannten Eklektischen Psychotherapie verbunden (vgl. Prochaska u. DiClimente 1984). Die an dieser Frage interessierten Forscher, insbesondere Verhaltenstherapeuten, Gesprächspsychotherapeuten und empirisch forschende Psychoanalytiker, hatten sich bereits in den 1960er und 1970er Jahren zu zwei weltweiten Vereinigungen zusammengeschlossen: einerseits der Society for the Exploration of Psychotherapy Integration (SEPI), andererseits der Society for Psychotherapy Research (SPR).

    Common-Factor-Forschung

    Anliegen der SEPI wie der SPR ist bis heute die schulübergreifende Suche nach und Untersuchung von gemeinsamen Wirkfaktoren von Psychotherapie. Übersichten über die Ergebnisse zu diesen Perspektiven werden seither in zwei Zeitschriften (Psychotherapy Research und Journal of Psychotherapy Integration) sowie im regelmäßig neu aufgelegten Handbook of Psychotherapy and Behavior Change von hochgradig renommierten Autoren veröffentlicht (1971; 1978; 1986; 1994; aktuell: Lambert 2004).

    1.2.1 Wirkvariablen

    Die wichtigsten der bereits früh diskutierten und beforschten schulübergreifend relevanten Wirkfaktoren sind (vgl. Garfield 1994; Beutler, Machado u. Neufeldt 1994; Orlinsky, Grawe u. Parks 1994; Strauß u. Wittmann 2005; Castonguay 2011):

    Patientenvariablen wie Veränderungserwartungen, Veränderungsmotivation, Widerstand, Übertragung, Schweregrad der psychischen Störung usw.;

    Therapeutenvariablen wie vor allem Empathie, Kongruenz, Gegenübertragung und Transparenz usw. sowie

    Qualitäts- und Prozessmerkmale der Therapeut-Patient-Beziehung wie z. B. das therapeutische Arbeitsklima oder die Auflösung von therapeutischen Krisen;

    Placebo-Wirkungen, die auf ihre Weise Hinweise auf besondere Wirkfaktoren liefern könnten, wie zum Beispiel Hoffnung auf Heilung durch Behandlungsentschluss, die Ritualisierung therapeutischer Handlungen, das Attributionsverhalten und das Interaktionsgefälle in der Psychotherapie.

    Relevante Wirkfaktoren

    Insbesondere mit den letztgenannten Aspekten hatte Jerome Frank (1973) die Diskussion um unspezifische Wirkungen, die vom »Heiler« in der Psychotherapie ausgehen, eröffnet. Denn vor allem der Nachweis, dass auch Placebobedingungen wirksam sind, legt die Annahme von Wirkfaktoren nahe, die eindeutig unabhängig von den Methoden der Therapieschulen sind. Auch die frühen Metaanalysen ließen den spekulativen Schluss zu, dass die Effekte von Psychotherapie wesentlich auf unspezifische Faktoren zurückgeführt werden könnten. Wäre dies der Fall, würde sich die Frage nach der selektiven und differenziellen Indikation erübrigen.

    1.2.2 Veränderungsprinzipien

    Neben Patienten-, Therapeuten- und Beziehungs- bzw. Prozessvariablen werden neuerlich, ebenfalls schulübergreifend, wichtige Therapie- und Veränderungsprinzipien sowie allgemeine Rahmenbedingungen der Psychotherapie diskutiert, wie z. B. Anregung zum Selbstmanagement, Aktivierung sozialer Stützsysteme, besondere Maßnahmen zur Transfersicherung usw. (vgl. Strauß u. Wittmann 2005).

    Orientierungspunkte bietet zum Beispiel das sogenannte Generic Model der Psychotherapie (Orlinsky, Grawe u. Parks 1994), das den gegenwärtigen Forschungsstand zu günstigen und übergreifend wichtigen Wirkeinflüssen durch Psychotherapie am besten ausdifferenziert. Sie reichen von Aspekten der Therapeut-Patient-Beziehung bis zu kontextuellen Rahmenbedingungen der Psychotherapie. Andererseits haben viele Aussagen in diesem Modell nach wie vor den Charakter plausibler Annahmen und beruhen nicht durchgängig auf gesicherten empirischen Befunden. Dennoch möchten einige Forscher zahlreiche der dort als übergreifend wichtig angesehenen Therapieprinzipien gern einer neu zu entwickelnden Allgemeinen Psychotherapie zugrunde legen.

    Rahmenbedingungen der Psychotherapie

    So vermutete beispielsweise Grawe (1995) aufgrund seiner eigenen, Therapien vergleichenden Metaanalysen (Grawe, Donati u. Bernauer 1994), dass es im Wesentlichen vier allgemeine Wirkprinzipien sind, denen schulübergreifend die größte Bedeutsamkeit für positive Änderungsprozesse in der Psychotherapie zugeschrieben werden müsse:

    Problemaktualisierung: direktes Herangehen an und Fokussierung der Therapie auf die spezifischen Probleme der Patienten;

    Ressourcenaktivierung: Stärkung der Selbstheilungskräfte und Ressourcen der Patienten;

    Problembewältigung: aktive Hilfen und Unterstützung durch die Therapeuten bei der Lösung konkreter Probleme;

    Klärung: eine ausreichende Analyse und sinnstiftende Ausdeutung von Problemursachen und Konflikten.

    Prinzipien positiver Änderungsprozesse

    1.2.3 Probleme und Grenzen

    Die Common-Factor-Forschung wirft andererseits eine Reihe von Problemen auf, die zunehmend einige Begrenzungen gegenwärtiger Integrationsversuche psychotherapeutischer Verfahren verdeutlichen. So kann beispielsweise die Betonung einer grundsätzlichen Wichtigkeit aller oder einzelner allgemeiner Faktoren für Änderungsprozesse bei den unterschiedlichsten psychischen Störungen aufgrund empirischer Befunde wie theoretischer Überlegungen in Zweifel gezogen werden – was ihre differenzielle Bedeutsamkeit keinesfalls schmälert. Viele Vorbehalte ergeben sich jedoch dann, wenn man die bisherigen prinzipiell unterschiedlichen Begründungszusammenhänge verschiedener Therapieverfahren nicht vorschnell aus den Augen verliert. Dazu drei Beispiele:

    Grenzen der Integration

    In einigen Übersichtsarbeiten wird herausgestellt, dass beispielsweise in empirischen Studien zur Therapeutenvariable »Empathie « nicht nur positive, sondern auch unbedeutende oder sogar ungünstige Beziehungen zwischen »Empathie« und »Therapieerfolg« herstellbar waren (vgl. die Übersicht bei Fiedler, Albrecht, Rogge u. Schulte 1994).

    Weiter wird von den Common-Factor-Forschern zu selten beachtet, dass den in der Psychotherapie auftretenden Störungen und Krisen in der Therapeut-Patient-Beziehung (je nach Therapieverfahren konzeptuell begründet) völlig unterschiedliche Bedeutungen beigemessen werden: Von den tiefenpsychologisch bzw. analytisch arbeitenden Forschern werden therapeutische Krisen teilweise als wünschenswert oder notwendig betrachtet, weil Übertragung , Gegenübertragung oder Übertragungsneurosen zu den zentralen Wirkvariablen des therapeutischen Prozesses zählen. Für die Verhaltenstherapeuten sind Störungen der Therapeut-Patient-Beziehung zumeist Ausdruck eines nicht hinreichend realisierten therapeutischen Basisverhaltens. Störungen stehen in diesem Sinne einer positiv-wünschenswerten Änderung eher im Wege.

    Therapeut-Patient-Beziehung

    Schließlich dürfte das in Grawes Wirkprinzipienmodell festgelegte zielorientierte und auf direkte Problembewältigung angelegte Vorgehen z. B. bei den Psychoanalytikern erheblich Vorbehalte auslösen, weil eine psychoedukative Therapie regressive Prozesse bei Patienten vorzeitig unterbricht. Die Ausdeutung und Bearbeitung regressiver Übertragung zählt nun jedoch zu den wesentlichen Wirkprinzipien jedweder psychoanalytischer Langzeittherapie – vorausgesetzt, eine Übertragung kann sich ausreichend entfalten und wird nicht vorschnell unterbrochen.

    Grawes Wirkprinzipienmodell

    Empathie

    Therapeut-Patient-Beziehung

    Grawes Wirkprinzipienmodell

    Diese angedeutete Widersprüchlichkeit ist durchaus positiv zu sehen. Sie macht nämlich unmissverständlich deutlich, dass Psychotherapie keineswegs nur ein einfach handhabbares Mittel zur schnellen Beseitigung seelischen Leidens darstellt. Eines jedoch hat die Common-Factor-Forschung bis heute zweifelsfrei und schulübergreifend belegen können: Wohl immer hängt der Erfolg einer Psychotherapie davon ab, ob es Therapeuten und Patienten gelingt, von Beginn der Behandlung an eine gute Arbeitsbeziehung herzustellen. Wie sich diese Arbeitsbeziehung konkret ausgestalten sollte und wie sich diese im Therapieverlauf entwickelt, das wiederum sieht von Verfahren zu Verfahren recht unterschiedlich aus.

    Arbeitsbeziehung und Therapieverlauf

    1.3 Über dieses Buch

    Auch die Tatsache, dass viele der heute verbreiteten Psychotherapieansätze nicht durch den Wissenscorpus der Psychologie, Psychiatrie und Psychosomatik, sondern häufig durch wissenschaftsfernere Ideen und Konzepte inspiriert sind, erschwert die Möglichkeiten, auf dem Weg zu einer sinnvollen Integration voranzukommen. Im vorliegenden Buch werden daher erneut jene Ansätze stärker in den Mittelpunkt gerückt, die aus klinisch orientierten Forschungszusammenhängen hervorgegangen sind.

    Dabei steht inzwischen wohl zweifelsfrei fest: Die Suche nach adäquateren Modellen für die Entstehung und den Verlauf gestörter Funktionen und Funktionsmuster im Sinne psychischer Störungen ist und bleibt die Schlüsselaufgabe, um zukünftig mit der Entwicklung wirksamer Behandlungskonzepte weiter voranzukommen. Die Autoren dieses Bandes sind sich deshalb einig in der Auffassung, dass dafür eine kontinuierliche und systematische interdisziplinäre Forschungsorientierung unverzichtbar ist. Wie die Beiträge dieses Buches deutlich machen, untersucht die grundlagenorientierte Psychotherapieforschung zwischenzeitlich ein breites Arsenal an Theorien, Methoden und anwendungsorientierten Interventionen für nahezu alle Formen klinisch relevanter psychischer Verhaltens- und Erlebensstörungen. Dies darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass die gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisbasis über psychische Störungen insgesamt noch herausfordernd schmal ist.

    Suche nach adäquateren Modellen

    Bei der genauen Auseinandersetzung mit den Beiträgen in diesem Buch dürfte deutlich werden, dass störungsübergreifende und störungsspezifische Aspekte der Psychotherapie, die in der Forschung häufig unverbunden nebeneinander untersucht werden, unverzichtbar zusammengehören. So ist es denn auch eine Leitidee im Hintergrund, dass in der Ausarbeitung von Kriterien für eine störungsspezifische differenzielle Indikation eine der wesentlichen Möglichkeiten zur Integration therapeutischer Vorgehensweisen gegeben ist. Wie im Schlusskapitel des Buches noch genauer herausgearbeitet wird, rückt im Kontext der Grundlagenorientierung und Grundlagenforschung zunehmend die Orientierung an der Phänomenologie psychischer Störungen in den Vordergrund. Dies gilt besonders, zumal eine Einheitstheorie, wie sie zeitweilig unter der Überschrift »Allgemeine Psychotherapie « gesucht wurde (vgl. Wagner u. Becker 1999), allein wegen der nach wie vor vorhandenen mannigfaltigen anthropologischen Vorverständnisse nicht abzusehen und zur Erhaltung der Vielfalt auch nicht wünschenswert ist.

    Störungsübergreifende und störungsspezifische Aspekte der Psychotherapie

    Insofern sind sich die Autoren dieses Bandes auch darin einig, in der Entwicklung therapeutischer Verfahren nicht nur auf die Wissensbestände der eigenen Disziplin zurückzugreifen. Vielmehr sind darüber hinaus Bezüge zu Erkenntnissen notwendig, die aus der Anwendung empirisch gesicherter Theorien und Methoden der Psychologie, Psychiatrie, Psychosomatik und darüber hinaus auch noch weiterer Nachbarwissenschaften resultieren.

    Die in den Arbeiten dieses Bandes angestellten Überlegungen sind zwar in dieser Hinsicht bei Weitem nicht vollständig, weisen jedoch in eine gemeinsame Richtung: Das bedeutsame Vorgehen und Handeln in der Psychotherapie der Zukunft stellt die Herleitung therapeutischer Ziele, Strategien und Methoden ausdrücklich in einen theoretischen Begründungszusammenhang, der einer empirischen Überprüfung zugänglich sein sollte.

    Bedeutsame Vorgehen und Handeln

    Bezug und Rahmen für therapeutische Maßnahmen ist das breite Spektrum des vorhandenen Grundlagenwissens. Selbst dabei werden nach wie vor große Lücken deutlich, die insbesondere in den nachfolgenden Kapiteln von Reiner Bastine und Christoph Mundt aufgegriffen werden, insbesondere die bis jetzt überhaupt nicht hinreichend erforschten Komorbiditätsphänomene , die im Unterschied zur zumeist monosymptomatisch orientierten Therapieforschung jedoch in der Praxis eher die Regel darstellen. Dies erfordert, dass Therapeuten nach Diagnosestellung und psychopathologischer Phänomenanalyse gezwungen sind, in der Abstimmung mit Patienten weitere induktiv, phänomenologisch oder hermeneutisch zu generierende Konkretisierungen vorzunehmen.

    Genau diesem Anspruch folgend setzt ein grundlagenorientiertes Psychotherapieverständnis Erklärungs- und Behandlungsakzente, die gelegentlich weit über die Zweierbeziehung als Ort der Theoriebildung und Behandlung hinausreichen – dies insbesondere in der Problembehandlung von Kindern, Jugendlichen und älteren Menschen (hierzu ausführlich die Beträge von Franz Resch und Elke Ahlsdorf). Eine weitere Perspektive besteht in einer ausdrücklichen Beachtung und Gewichtung sozialpsychologisch-gesellschaftlicher Phänomene (wie dies von Annette Kämmerer beispielhaft aus Sicht der Gender-Perspektive verdeutlicht wird). Gleichzeitig wird angesichts zunehmender Kenntnisse zukünftig eine differenzierte Beachtung biologischer und persönlichkeitsbedingter Determinanten psychischer Störungen notwendig (wie sie sich in ihrer Perspektivvielfalt in den Arbeiten von Sabine Herpertz, Sven Barnow und Simone Lang andeuten).

    Grundlagenorientiertes Psychotherapieverständnis

    Konsequenterweise fallen auch die allgemeinen und möglicherweise übergreifend wichtigen Konzeptideen für eine Psychotherapie der Zukunft je nach Autor unterschiedlich aus. Zwei dieser möglichen übergreifenden Perspektiven werden in den beiden Schlusskapiteln von Gerd Rudolf (eher psychodynamisch inspiriert) und von Peter Fiedler (eher verhaltenstherapeutisch inspiriert) vorgestellt und ausgearbeitet. Für beide Ausarbeitungen (wie wohl auch für alle anderen Beiträge) dürfte dennoch eine Definition von Psychotherapie jenseits des Therapieschulen-Denkens bindend sein und bleiben, wie sie von Strotzka (1975, also vor mehr als dreißig Jahren) in seinem Buch über »Psychotherapie: Grundlagen, Verfahren, Indikationen« gegeben wurde.

    Psychotherapie nach Strotzka

    Danach ist Psychotherapie:

    ein bewusster und geplanter interaktioneller Prozess

    zur Beeinflussung von Verhaltensstörungen und Leidenszuständen,

    die in einem Konsens (möglichst zwischen Patient, Therapeut und Bezugsgruppe) für behandlungsbedürftig gehalten werden,

    mit psychologischen Mitteln (durch Kommunikation),

    meist verbal, aber auch averbal,

    in Richtung auf ein definiertes, nach Möglichkeit gemeinsam erarbeitetes Ziel (Symptomminimierung und/oder Strukturänderung der Persönlichkeit),

    mittels lehrbarer Technik,

    auf der Basis einer Theorie des normalen und pathologischen Verhaltens.

    In der Regel ist dazu eine tragfähige emotionale Bindung notwendig.

    Schon weil diese Definition von Strotzka seinerzeit programmatisch formuliert und darauf bezogen wurde, wie eine Psychotherapie in der Zukunft sein sollte, ist dieser Definition auch noch aus heutiger Sicht wohl kaum etwas hinzuzufügen.

    Literatur

    Bastine R (1978) Strategien psychotherapeutischen Handelns. In: Reimer F (Hrsg) Möglichkeiten und Grenzen im psychiatrischen Krankenhaus. Thieme Stuttgart, S 59–66

    Beutler LE, Machado PP, Neufeldt SA (1994) Therapist variables. In: Bergin AE, Garfield SL (Eds) Handbook of psychotherapy and behavior change. 4th ed. Wiley, New York, S 229–269

    Castonguay LG (2011) Psychotherapy, psychopathology, research and practice: Pathways of connections and integration. Psychotherapy Research, 21 (2) : 125–140PubMedCrossRef

    Fiedler P, Albrecht M, Rogge KE, Schulte D (1994) Wenn Verhaltenstherapeuten mit ihren phobischen Patienten über Ängste sprechen: Eine Episodenstudie zur prognostischen Relevanz therapeutischer Lenkung und Empathie. Verhaltenstherapie, 4 : 243–253CrossRef

    Frank JD (1973) Persuasion and healing. 2nd ed. John Hopkins University Press, Bulimore [deutsch: Die Heiler. München: Deutscher Taschenbuch Verlag.]

    Garfield SL (1994) Research on client variables. In: Bergin AE, Garfield SL (Eds) Handbook of psychotherapy and behavior change. 4th ed.) Wiley, New York, S 190–228

    Grawe K (1995) Grundriß einer allgemeinen Psychotherapie. Psychotherapeut, 40 : 130–145

    Grawe K, Donati R, Bernauer F (1994) Psychotherapie im Wandel. Von der Konfession zur Profession. Hogrefe, Göttingen

    Kriz J (2009) Wissenschaftliche Regeln, Redlichkeit und Diskursbereitschaft. Ein Blick hinter die Kulissen der politischen Bühne des »Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie«. Interview mit

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1