Industrielle Pulverbeschichtung: Grundlagen, Verfahren, Praxiseinsatz
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Industrielle Pulverbeschichtung - Judith Pietschmann
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
J. PietschmannIndustrielle PulverbeschichtungJOT-Fachbuchhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-25801-6_1
1. Pulverlacke
Judith Pietschmann¹
(1)
RONAL AG, Solothurn, Schweiz
Judith Pietschmann
Email: judith.pietschmann@ronalgroup.com
Pulverlacke sind Beschichtungsmaterialien, die nach der Applikation auf den zu beschichtenden Substraten durch Wärmeeinwirkung geschmolzen oder chemisch vernetzt werden und dadurch geschlossene, gut haftende Überzüge ergeben. Sie haben, wie die meisten Oberflächenbehandlungen, hauptsächlich zwei Funktionen: eine dekorative und/oder eine funktionelle (Tab. 1.1).
Tab. 1.1
Aufgaben einer Pulverlackschicht
1.1 Verschiedene Pulverlacktypen
Im Allgemeinen setzen sich Pulverlacke zusammen aus:
Bindemittel (Harze, Härter, Beschleuniger)
Pigmenten und Farbstoffen
Füllstoffen (Extender)
Additiven
Aufgrund ihres physikalischen und chemischen Verhaltens unterscheidet man bei den Bindemitteln/Filmbildnern zwischen Thermoplasten und Duroplasten.
1.1.1 Filmbildner/Bindemittel
Die Tab. 1.2 gibt einen Überblick über die heute wichtigsten Filmbildnersysteme für Pulverlacke. Bei chemisch härtenden Filmbildnern müssen die Verhältnisse von Glasübergangstemperatur Tg, mittlerer Molmasse Mn, mittlerer Funktionalität fn und Reaktivität genau ausbalanciert sein. Es muss möglich sein, den vorgemischten Pulverlack im Extruder aufzuschmelzen, ohne dass er merklich vernetzt. Das Pulverlackmaterial darf außerdem während der Lagerung nicht zu sehr sintern, soll aber beim Einbrennen so aufschmelzen, dass es zu dem gewünschten Film verläuft, bevor sich durch die Vernetzung dann die erwarteten Filmeigenschaften einstellen. Die Harze sind deshalb meist amorphe Polymere mit genügend hoher Glasübergangstemperatur (von mindestens 40 bis 50 °C) und mit einer Molmasse von einigen tausend g/mol, so dass ein Sintern während der Lagerung unterdrückt wird.
Tab. 1.2
Bindemittelsysteme für Pulverlacke [1]
../images/289045_5_De_1_Chapter/289045_5_De_1_Figa_HTML.png1.1.2 Thermoplast-Bindemittel
Die reversibel schmelzenden Thermoplaste bilden auf dem Substrat durch Erhitzen über den Schmelzpunkt einen Film, der nach dem Abkühlen zu einem porenfreien Überzug erstarrt. An thermoplastische Pulverlackmaterialien werden heute folgende Anforderungen gestellt:
bei Raumtemperatur fest (T = 25 °C)
lagerstabil bei Raumtemperatur (25 °C) und erhöhten Temperaturen bis mind. 40 °C ohne Klumpenbildung
unzersetzt schmelzbar
Schmelztemperatur darf nicht zu hoch sein
Schmelzviskosität muss Filmbildung erlauben
gute Haftung auf verschiedenen Substraten
Überzüge müssen einfärbbar sein
Da Thermoplast-Bindemittel beim Aufschmelzen nicht vernetzen, muss das Makromolekül und dadurch auch das Molekulargewicht bereits vor dem Aufschmelzen ausgebildet sein. Hierdurch besitzen thermoplastische Bindemittel bei den Applikationstemperaturen relativ hohe Schmelzviskositäten , die dann zu hohen Schichtdicken, z. B. >100 μm führen. Weitere Nachteile von Thermoplast-Pulverlacken sind z. B. die durch den Erweichungsbereich des Bindemittels beschränkte Beanspruchungsmöglichkeit in der Wärme (Erweichung) sowie aufwändigere Mahlverfahren, da aufgrund der Duktilität von Thermoplasten im Vergleich zu Duroplasten bei tieferen Temperaturen gemahlen werden muss. Neben den aufwändigeren Mahlverfahren führen besonders auch die im Vergleich zu den Duroplasten höheren Schichtdicken zu höheren Kosten. Ein weiterer Nachteil ist die in den meisten Fällen erforderliche Verwendung von Haftvermittlern. Die Systeme sind nicht lösungsmittelbeständig und haben eine geringe Temperaturstabilität.
1.1.3 Duroplast-Bindemittel
Duroplaste , allgemein auch thermohärtende Pulverlacke genannt, werden nach dem Aufsintern auf den zu beschichtenden Gegenstand durch Einwirkung von Wärme chemisch vernetzt, wodurch sie ihre anfänglichen thermoplastischen Eigenschaften verlieren und durch spätere Wärmeeinwirkung nicht wieder aufgeschmolzen werden. Chemisch gesehen kommen für thermohärtende Pulverlacke zwei Arten von Vernetzungsreaktionen infrage: die Polyaddition und Polykondensation.
Unter Polyaddition versteht man die Bildung von Polymeren oder Netzwerken durch wiederholte Addition von di- oder polyfunktionellen Monomeren oder niedermolekularen Bausteinen ohne Abspaltung von flüchtigen Stoffen. Bei der Polykondensation entstehen Polymere durch Kondensationsreaktionen zwischen di- oder höherfunktionellen Monomeren oder niedermolekularen Bausteinen unter Abspaltung von flüchtigen Stoffen, wie z. B. Wasser oder Alkohol. Eine weitere, in der Polymerchemie bekannte Vernetzungsart, die sogenannte Polymerisationsreaktion spielt in der Pulverlack-Industrie nur bei den UV-härtenden Pulverlacken eine Rolle.
Folgende Anforderungen werden heute an duroplastische Pulverlackmaterialien gestellt:
bei Normaltemperatur fest (Schmelzpunkt > ca. 65 °C)
bei Normaltemperatur gut zu mahlen
schmelzbar ohne Trennung
Schmelztemperatur darf nicht zu hoch sein
niedrige Schmelzviskosität in dem für die Härtung üblichen Temperaturbereich
physikalisch und chemisch lagerstabil bis mind. 40 °C ohne Verklumpung, chemische Vernetzung oder Verschlechterung der Verlaufseigenschaften, in der Regel 28 Tage lagerstabil, Ausnahme: Niedertemperatur-Pulverlacke
genügende Funktionalität, um in Kombination mit entsprechenden Vernetzern zu Duroplasten zu vernetzen
gute Haftung auf verschiedenen Materialien ohne Haftvermittler
gut einzufärben
spez. Durchgangswiderstand 10¹⁰–10¹⁶ Ωcm
relative Dielektrizitätskonstante ca. 2–6.
Die Vorteile duroplastischer Pulverlacke gegenüber thermoplastischen liegen in den relativ günstigen Härtungstemperaturen (ca. 120–200 °C), in einer niedrigen Schmelzviskosität in dem für die Härtung üblichen Temperaturbereich sowie der dadurch bedingten guten Untergrundbenetzung und einer guten Oberflächenbeschaffenheit. Ferner erlauben die im nicht vernetzten Zustand spröden Eigenschaften einfache und wirtschaftliche Mahlprozesse. Es hat bereits sehr viele Bemühungen gegeben, die Härtungstemperatur für Duroplast-Pulverlacke herabzusetzen. Ein wesentliches Hindernis bei diesen Bemühungen ist jedoch der zum Erhalt einer genügenden Lagerstabilität erforderliche Schmelzpunkt sowie die zur Untergrundbenetzung und zur Erreichung guter Verlaufseigenschaften erforderliche niedrige Schmelzviskosität . Tab. 1.3 zeigt eine Übersicht über die heute verwendeten duroplastischen Pulverlacksysteme, die auf einer Additionsreaktion basieren. Die Systeme, denen eine Kondensationsreaktion zugrunde liegt, sind in der Tab. 1.4 zusammengefasst.
Tab. 1.3
Pulverlacksysteme mit einer Polyadditionsreaktion bei der Vernetzung [2]
Tab. 1.4
Pulverlacksysteme mit einer Polykondensationsreaktion bei der Vernetzung [2]
Bisphenol A ist seit Januar 2018 in der REACH-SVHC Kandidatenliste aufgeführt. Somit besteht eine Informationspflicht innerhalb der Lieferkette. Es ist offen zu legen, ob die Erzeugnisse eine Konzentration von 0.1 % überschreiten. [3].
1.1.4 Epoxide
Als Epoxidharze kommen für die Herstellung von Pulverlacken vorwiegend feste Typen mit einem Schmelzbereich nach Kofler zwischen 60 bis ca. 90 °C infrage. Den wichtigsten Epoxidharztyp stellen die aus Bisphenol A (2,2-Bis(4-hydroxyphenyl-propan) und Epichlorhydrin (1-Chlor-2,3-epoxy-propan) in Gegenwart von Natronlauge kondensierten Bisphenol-A-Epichlorhydrin-Harze (kurz: Bis-A-Harze) dar. Abb. 1.1 zeigt die wesentliche Molekülstruktur.
../images/289045_5_De_1_Chapter/289045_5_De_1_Fig1_HTML.pngAbb. 1.1
Idealisierte Struktur eines Bis-A-Harzes [1]
Die Eigenschaften von Epoxidharzpulverlacken werden in entscheidendem Maße von der verwendeten Härterkomponente beeinflusst. Eingesetzt werden bevorzugt modifizierte oder substituierte Dicyandiamide, Polyphenole oder auch niedermolekulare Ester von Polycarbonsäuren. Die Härtung von Epoxidharzen mit Dicyandiamid , besonders auch mit basisch beschleunigten oder modifizierten Typen, ist in erster Linie eine Polyadditionsreaktion unter Bildung von N-Alkylcyanguanidinen (Abb. 1.2).
../images/289045_5_De_1_Chapter/289045_5_De_1_Fig2_HTML.pngAbb. 1.2
Epoxy Beschichtungspulver ; Umsetzung eines Epoxidharzes mit einem stickstoffhaltigen Härter [4]
Neben dieser Polyadditionsreaktion kann besonders bei höheren Temperaturen noch eine anionisch katalysierte Polymerisationsreaktion zwischen noch vorhandenen Epoxidgruppen unter Bildung von Etherbrücken sowie eine Addition von OH-Gruppen an der Nitrildreifachbindung erfolgen. In ähnlicher Weise, das heißt über eine Addition und anionisch katalysierte Polymerisationsreaktion , verläuft auch die Vernetzung mit substituierten Imidazolinen. Die Vernetzung mit Carbonsäureanhydriden verläuft in zwei Stufen. In der ersten Stufe bilden sich durch Anlagerung einer Anhydridgruppe an eine Hydroxylgruppe Halbester, und die dabei entstandene Carboxylgruppe addiert sich dann an eine Epoxidgruppe unter Bildung einer Ester- und Hydroxylgruppe. Durch die während der Vernetzungsreaktion anwesenden Carboxylgruppen und auch relativ hohen Temperaturen, treten als Nebenreaktionen noch eine kationische Polymerisation von Epoxidgruppen sowie die Addition von Hydroxyl- an Epoxidgruppen in Erscheinung.
Die Vernetzung mit Polyphenolen verläuft im Wesentlichen über eine Polyadditionsreaktion. Besonders die so genannten „Tieftemperatur-Härter " sind auf Basis von Polyphenolen aufgebaut.
Epoxidpulverlacke besitzen neben sehr guter Haftung auf verschiedensten Untergründen und aufgrund ihrer sehr niedrigen Schmelzviskosität einen ausgezeichneten Verlauf sowie gute lacktechnische Eigenschaften. Die Härtungsbedingungen reichen von 120 °C/20 min bis 200 °C/5 min.
Als weitere positive Eigenschaften ist die gute Beständigkeit gegen Lösemittel, Säuren und Laugen zu nennen. Negativ zu bewerten sind aufgrund des aromatischen Charakters die schlechte Überbrennbarkeit (Vergilbung ) und die Kreidung unter UV-Belastung .
Epoxidpulverlacke werden deshalb heute fast nur noch im funktionalen Bereich, wie z. B. für Kfz-Teile, in der Elektro- und Elektronikindustrie, für Armaturen und Armierungseisen sowie für die Beschichtung von Rohrleitungen, Pipelines etc. eingesetzt.
1.1.5 Hybrides
Bei der Herstellung von Epoxidharz/Polyester-Mischpulverlacken , sogenannten Hybrides , werden geeignete Polyesterharze verwendet, die im Molekül endständige, freie Carboxylgruppen enthalten, die über die Addition an Epoxidgruppen eine räumliche Vernetzung bewirken. Beim System SP-EP (Hybridsystem) werden COOH-funktionelle Polyesterharze mit einer Molmasse von einigen tausend g/mol eingesetzt. Da ihre Molmasse größer ist als die der verwendeten Epoxidharze, wird es hier als Stammharz bezeichnet. Das Mischungsverhältnis variiert dabei von 60 : 40 bis hin zu 10 : 90 von Epoxidharz zu Polyester. Das genaue Mischungsverhältnis wird durch die speziellen Kundenanforderungen und Anwendungsbereiche festgelegt. Heute vorwiegend eingesetzte Mischungsverhältnisse sind 50 : 50 EP : PES bis zu 30 : 70 EP : PES. Hintergrund sind die steigenden Preise für Epoxy, so dass heute der Trend zu höheren Polyesteranteilen geht (Abb. 1.3).
../images/289045_5_De_1_Chapter/289045_5_De_1_Fig3_HTML.pngAbb. 1.3
Epoxy-Polyester Beschichtungspulver. Umsetzung eines Epoxidharzes mit einem sauren Polyester [4]
Hybrides besitzen ähnliche Eigenschaften wie die Epoxid-Pulverlacke, jedoch eine bessere Vergilbungsstabilität beim Einbrennen und geringere Kreidungstendenz unter UV-Belastung. Ein Nachteil gegenüber Epoxidpulverlacken ist die schlechtere Lösemittelbeständigkeit . Der Härtungsbereich liegt zwischen 130 °C/15 min und 200 °C/5 min. Die Anwendungsgebiete liegen besonders im dekorativen Bereich, beim Laden- und Regalbau, Metall-Büromöbeln, Haushaltsgeräten, Kühl-, Garten- und Campingmöbeln, Deckenelementen und Radiatoren.
1.1.6 Polyester/TGIC
Für die Herstellung witterungsstabiler Pulverlacke haben sich freie Carboxylgruppen enthaltende Polyesterharze in Kombination mit Triglycidylisocyanurat (TGIC ) in der Vergangenheit gut bewährt. TGIC reagiert über seine drei reaktiven Epoxidgruppen mit den Carboxylgruppen des Polyesterharzes und bildet so ein dreidimensionales Netzwerk aus. Polyester/TGIC-Pulverlacke zeichneten sich durch eine sehr gute Witterungs- und Kreidungsbeständigkeit aus. Sie haben eine sehr gute Überbrennstabilität und lacktechnische Eigenschaften. Die Härtungsbedingungen liegen zwischen 160 °C/15 min und 200 °C/5 min. Die Lösemittelbeständigkeit ist gegenüber Epoxiden und Hybrides jedoch geringer.
Heute kommen die TGIC-Polyestersysteme in Europa nicht mehr zur Anwendung. Gründe dafür waren die Kennzeichnung des TGICs als „giftig" und die Verpflichtung Pulverlacke mit einem Anteil von ≥0,1 % TGIC in der Formulierung ebenfalls zu kennzeichnen. TGIC wirkt auf der Haut leicht und am Auge stark reizend. Wie viele andere Glycidylverbindungen auch, zeigt das TGIC eine hautsensibilisierende Wirkung.
1.1.7 Polyester/Hydroxyalkylamid
Als Alternative zum TGIC stehen seit 1990 die Klasse der β-Hydroxyalkylamide zur Verfügung, siehe Tab. 1.5. Im Unterschied zu den anderen Vernetzungsreaktionen sind hier keine Epoxid- oder Isocyanatgruppen an der Reaktion beteiligt. Die Verknüpfung erfolgt über besonders reaktive Hydroxylgruppen. Hydroxyalkylamide sind toxikologisch völlig unbedenklich und die in ß-Stellung zur Amidgruppe stehenden OH-Gruppen besitzen ab ca. 160 °C eine große Reaktivität. Unterhalb dieser Temperatur zeichnen sich Polyester/Hydroxyalkylamid-Pulverlacke durch eine sehr gute chemische Lagerstabilität aus. Bei der Vernetzung zwischen Carboxyl- und ß-Hydroxyalkylgruppen handelt es sich um eine Kondensationsreaktion unter Abspaltung von <1 % Wasser (Abb. 1.4 und 1.5).
../images/289045_5_De_1_Chapter/289045_5_De_1_Fig4_HTML.pngAbb. 1.4
Hydroxyalkylamid, Primid ® XL 552 [5]
../images/289045_5_De_1_Chapter/289045_5_De_1_Fig5_HTML.pngAbb. 1.5
Carboxylgruppenhaltiger Polyester gehärtet mit ß-Hydroxyalkylamid [4]
Durch Zusatz von geeigneten Entgasungsadditiven, die für die Entfernung des während der Reaktion frei werdenden Reaktionswassers sorgen, können auch mit diesem Pulverlacksystem genügend hohe Schichtdicken erreicht werden. Neben sehr guten lacktechnischen Eigenschaften (Härtungsbedingungen 160 °C/20 min bis 200 °C/5 min) besitzen Polyester/Hydroxyalkylamid-Pulverlacke ebenfalls hervorragende Witterungs- und Kreidungsbeständigkeit. Sie sind als Alternative zu Polyester- und Polyurethan-Pulverlacken in Außenanwendungen einsetzbar.
1.1.8 Aromatische Glycidylester
Die Vernetzungsreaktion der Glycidylester mit den Carboxylgruppen der Polyesterharze ist vergleichbar zu der des TGICs. Auch hier erfolgt eine Polyadditionsreaktion ohne Abspaltung von Nebenprodukten. In vielen Eigenschaften sind Glycidylester mit TGIC vergleichbar, wie in der Thermostabilität, Wetterbeständigkeit und der Gasofenbeständigkeit. Die Reaktivität des Araldite PT 910® liegt etwas unterhalb der des TGICs [6].
Als nachteilig ist die begrenzte Lagerstabilität der Lacke und die schlechtere Chemikalienbeständigkeit zu nennen. Pulverlacke mit einem Anteil von ≥0,3 % PT 910® sind kennzeichnungspflichtig, siehe Tab. 1.5.
Bei Lacksystemen mit diesem Härtertyp ist ein höherer Extrusionsaufwand notwendig, da die speziell für diesen Vernetzertyp entwickelten Polyesterharze eine höhere Schmelzviskosität haben.
Um die Nachteile einzelner TGIC -Alternativen zu reduzieren, werden auch Mischungen von β-Hydroxyalkylamid und z. B. PT 910® verwendet, siehe Abb. 1.6. Im Vergleich zu reinen β-Hydroxyalkylamid -Systemen kann so die maximale Schichtdicke ohne Nadelstiche erhöht werden [6].
Ein Vorteil der aromatischen Glycidylester ist, dass sie sich katalysieren lassen und somit die Einbrennbedingungen gesenkt werden können (Abb. 1.6 und 1.7).
../images/289045_5_De_1_Chapter/289045_5_De_1_Fig6_HTML.pngAbb. 1.6
Aromatische Glycidylester, Araldite PT 910®. PT 910® ist eine Mischung von di- und trifunktionellen Diclycidylestern im Verhältnis 75:25 [7]
../images/289045_5_De_1_Chapter/289045_5_De_1_Fig7_HTML.pngAbb. 1.7
Carboxylgruppenhaltiger Polyester gehärtet mit Glycidyl-Ester [4]
1.1.9 Polyurethane
PUR -Pulverlacke basieren auf freien, Hydroxylgruppen enthaltenden Polyesterharzen, die mit Polyisocyanaten durch eine Additionsreaktion vernetzt werden. Derzeit sind zwei Arten von Isocyanat-Härtern verfügbar, zum einen mit Caprolactam verkapptes Isophorondiamin (IPDI), zum anderen ein verkapptes IPDI mit Urethdionstruktur ohne Caprolactam. Aromatische Isocyanate, z. B. auf Methylendianilin (MDI)-Basis haben ein hohes Vergilbungspotenzial und werden deshalb meist nicht verwendet. Zur Abspaltung des Caprolactams bzw. zum Aufbrechen der Urethdionstruktur sind relativ hohe Temperaturen erforderlich. Die Isocyanatgruppen reagieren anschließend mit den Hydroxylgruppen des Polyesters unter Bildung von Urethanbindungen.
Es werden deshalb Einbrenntemperaturen von mindestens 180 °C benötigt. Ein Nachteil der geblockten Systeme ist, dass das Blockierungsreagenz beim Einbrennen abgespalten wird. So kann der VOC-Anfall in Pulverlacken, der mit ε-Caprolactam blockiert ist, durchaus 2 bis 4 % betragen. Es werden heute aber schon zu Uretdionen dimerisierte Isocyanatpräpolymere angeboten, die naturgemäß beim Einbrennen keine Abspaltungsprodukte mehr freisetzen. Um die Einbrenntemperaturen zu senken, werden diese Systeme durch Dibutaylzinndilaurat (DBTDL) oder tertiäre Amine katalysiert (Abb. 1.8).
../images/289045_5_De_1_Chapter/289045_5_De_1_Fig8_HTML.pngAbb. 1.8
Polyurethan Beschichtungspulver. Umsetzung eines hydroxylgruppenhaltigen Polyesters mit einem verkappten Isocyanat [4]
Da mit OH-funktionellen Polyestern formulierte Systeme besser fließen als jene mit COOH-funktionellen, zeigen die SP-PUR-Systeme meist einen besseren Verlauf als die anderen Pulverlacke. AC-PUR-Pulverlacke schließlich zeichnen sich durch ihre hervorragende Wetterbeständigkeit aus.
Nachteilig wirkt sich bei dem caprolactamverkappten IPDI neben der Abspaltung des Verkappungsmittels die ungenügende Kantendeckung aus. Ansonsten zeigen PUR-Pulverlacke ebenfalls sehr gute Witterungs- und Kreidungsbeständigkeit, kombiniert mit sehr guten Verlaufs- und lacktechnischen Eigenschaften. Das Anwendungsgebiet der PUR-Pulverlacke ist deshalb deckungsgleich mit dem der Polyester-Pulverlacke.
1.1.10 Acrylate
Die Produktgruppe der wetterbeständigen Acryl-Pulverlacke basiert auf Acrylharzen, die mit unterschiedlichen Härtern vernetzt werden können. In der Regel werden heute Dicarbonsäuren, Anhydride von Dicarbonsäuren oder Isocyanate eingesetzt. Die weiteren Rezeptkomponenten unterscheiden sich, ebenso wie auch die Herstellverfahren, wenig von konventionellen Pulverlacken.
Aus drei Gründen ist man zu Beginn eher zögerlich mit Acrylpulverlacken umgegangen: Die Rohstoffe haben einen sehr hohen Preis, die fertigen Pulverlacke waren unter normalen Bedingungen nicht lagerstabil und die Verträglichkeit mit anderen Pulverlacken war nicht gegeben. Hier konnten Verbesserungen erzielt werden. Die Lagerstabilität bei max. 20 °C ist angemessen, die Verträglichkeit konnte verbessert werden. Acrylate sind heute gegen Kontaminationen weniger sensibel als z. B. Hybrids. Generell gilt: die Verträglichkeit der Systeme ist zu prüfen. Die Eigenschaften der fertigen Lackierung haben einen Verlauf wie bei lösemittelhaltigen Flüssiglacken, sehr hohe Brillanz und deutlich größere Wetterstabilität.
Die Suche nach emissionsarmen oder -freien Beschichtungen hat insbesondere die Automobilindustrie auf Acryl-Pulverlacke aufmerksam werden lassen. Mit Polyester- oder Polyurethanpulvern konnten die Eigenschaften und Anforderungen der Serienlacke nicht erreicht werden.
Vorteile der Acrylatsysteme:
emissionsfreie und abfallarme Beschichtung
Verlauf vergleichbar mit Serien-Flüssiglacken der Automobilindustrie
sehr klare Beschichtung. Hohe Brillanz der Klarlacke auf Metallic-Basislacken
sehr gute Wetterstabilität (5 Jahre Florida)
rissfreie Klarlacke
Einbrenntemperaturen von 140 °C und darunter sind möglich
Nachteile:
Preis
Lagerstabilität bei Raumtemperatur eingeschränkt, Kühlung notwendig
klimatisierte und gereinigte Zuluft notwendig
Verträglichkeit: auf andere Pulverlacke Wirkung wie Silikon. Trennung von Anlagen mit konventionellen Pulverlacken notwendig.
geeignete Anlagentechnologie notwendig
Der erste Anwender in der Fahrzeugindustrie war Harley-Davidson in den USA. In Deutschland wurden Pulverlacke an der Karosse erstmals bei BMW in Dingolfing eingesetzt, für die Serienlackierung auf wasserverdünnbaren Basislacken. Bei Mercedes Benz in Rastatt wurde Acryl-Pulver als „Pulver-Slurry , d. h. im Wasser dispergiert und konventionell verarbeitet und beim Smart wurde die Stahl-Karosserie mit Acrylpulver in Metallic-Anthrazit und in Silber beschichtet. BMW und Smart setzen heute wieder Flüssigklarlacke an der Karosse ein. Gründe für den „Schritt zurück
waren vor allem die Kosten, aber auch die nicht ausreichende Reparaturfähigkeit und Waschstrassenbeständigkeit. Heute sind die wichtigsten Einsatzbereiche für Acrylate die Fahrradlackierung und die Aluminiumräderindustrie.
Acrylharz wird durch eine Polymerisation von Glycidylmethacrylat (GMA) und anderen Monomerbausteinen hergestellt. Das so erhaltene Glycidylpolyacrylat (GPA) wird mit Dicarbonsäureanhydrid in einer Polyadditionsreaktion ausgehärtet (Abb. 1.9). Diese Systeme zeichnen sich durch eine ausgezeichnete Witterungsbeständigkeit, hohe Abriebfestigkeit , sehr guten Verlauf und eine exzellente Brillanz aus. Sie sind jedoch so hoch reaktiv (Härtung ab T = 130 °C möglich), dass sie unter normalen Bedingungen nicht lagerstabil sind. Es ist eine Kühlung bei Transport und Lagerung notwendig, wie auch eine Klimatisierung der Beschichtungsanlage sinnvoll.
../images/289045_5_De_1_Chapter/289045_5_De_1_Fig9_HTML.pngAbb. 1.9
Vereinfachte Darstellung der Vernetzung von Pulverlacken auf Basis Glycidylmethacrylat (GMA) [4]
Wird die Vernetzung über Hydroxy/Isocyanat-Reaktionen realisiert, liegen die Einbrenntemperaturen aufgrund der Verkappung des Isocyanats bei Objekttemperaturen von T > 180 °C. Diese Systeme sind auch lagerstabiler. Ein weiterer Anwendungsbereich liegt im Bereich matter Lackierungen. Hier werden vielfach Polyester-Acrylate, COOH-Polyester und GMA-Matthärter, eingesetzt. Diese sind relativ gut verträglich mit glänzenden Polyestervarianten.
1.1.11 Methyl-substituiertes TGIC
Eine Alternative im Bereich Vernetzer ist ein Produkt von Nissan, welches der Struktur von TGIC sehr ähnlich ist. Der einzige Unterschied liegt in den Methylgruppen der Glycidylreste. Die technischen Eigenschaften entsprechen deshalb auch weitestgehend denen des TGIC. Nachteilig ist die geringe Reaktivität, vor allem aber die Kennzeichnung des Herstellers mit Gefahr und den entsprechenden H-Sätzen, siehe Tab. 1.5.
1.1.12 Additive
Additive für Pulverlacke umfassen Verlaufsmittel, Entgasungsmittel, Mattierungsadditive, Wachse zur Beeinflussung der Oberflächenhärte, Struktur- und Texturadditive, Katalysatoren und Rieselhilfen .
Speziell die Rieselhilfen, Aluminiumoxide oder pyrogene Kieselsäuren, sind wichtig für eine reibungslose Verarbeitbarkeit der Pulverlacke beim Kunden (Fluidisierung ). Pulverlacke weisen, aufgrund der Abwesenheit von Lösemitteln, im geschmolzenen Zustand eine relativ hohe Oberflächenspannung auf. Dies kann auf ungenügend gereinigten oder vorbehandelten Metalloberflächen zu mangelhafter Benetzung , zu Kantenflucht und zu schlechter Haftung führen. Deshalb enthalten Pulverlacke oft l bis 2 % Verlaufsmittel, meist Polyacrylate, die gleichzeitig die Neigung zu Kraterbildung vermindern. Allerdings kann es bei zu hoher Dosierung zum Orangenhauteffekt kommen. Viele Pulverlacke enthalten zudem 0,1 bis l % Benzoin. Es dient als Entgasungsmittel und wirkt ebenfalls der Kraterbildung entgegen. Hitzestabilisatoren gegen Gilbung, Thermogilbung, verursacht durch nitrose Gase in direkt beheizten Öfen und Stabilisatoren zur Verbesserung der Haftung zu Folgeschichten, finden ebenfalls Anwendung. In Klarlacken werden bei Aussenanwendung immer auch Lichtschutzkombinationen aus HALS und UV-Absorbern eingesetzt. Generell werden Additive in geringen Konzentrationen beigefügt, meist 0,1 bis 1 %, da sich ihre Wirkung bei Überdosierung in das Gegenteil umschlagen kann und negative Auswirkungen auf Applikation oder Filmeigenschaften hat. So wirkt sich eine Überdosierung an Entgasungshilfsmittel negativ aus und führt zu stärkerer Kondensatbildung im Ofen und einer schlechteren Bedruck- und Verklebbarkeit der Lackoberfläche.
1.1.13 Pigmente
Pigmente sorgen für einen deckenden, farbigen Eindruck der Beschichtung. An sie werden in Pulverlacken hohe Anforderungen gestellt:
thermische Stabilität bei der Einbrenntemperatur
möglichst geringe Erhöhung der Schmelzviskosität
keine Reaktion mit anderen Pulverlackbestandteilen und
Stabilität gegenüber den beim Extrudieren und Mahlen auftretenden Scherkräften
Am besten werden diese Kriterien von anorganischen Pigmenten erfüllt. Bei organischen Pigmenten muss auf hochwertige Typen zurückgegriffen werden.
Tab. 1.5
Übersicht über die TGIC-Alternativen [6]
aInternblockierte Typen sind frei von Abspaltprodukten
bMit Hydroxyl-Polyestern, Hydroxylzahl 42
cPolymere müssen nicht angemeldet werden
Obwohl die Pigmentpalette für Pulverlacke aufgrund der hohen Einbrenntemperaturen beschränkt ist, sind nahezu alle Farbtöne herstellbar. Jedoch ist man im Bereich der intensiven Buntfarbtöne (z. B. kräftiges Rot und Gelb) gezwungen, farbstarke und reine organische Pigmente zu verwenden, welche erheblich teurer sind, was sich auch auf den Preis des fertigen Pulverlackes auswirkt. Früher wurden hierfür schwermetallhaltige (anorganische) Pigmente auf der Basis von Blei- und Kadmiumverbindungen eingesetzt. Sie finden heute jedoch wegen ihrer toxikologischen Eigenschaften keine Verwendung mehr. Da organische Pigmente wesentlich feinteiliger sind als anorganische, ist ein erhöhter Aufwand bei der Dispergierung nötig, um die Pigmentagglomerate in ihre Primärteilchengröße zu zerkleinern. Einfacher ist der Umgang mit anorganischen Pigmenten, überwiegend aus der Gruppe der Metalloxide bzw. oxidische Mischphasenpigmente vom Rutil- und Spinelltyp. Diese Pigmentgruppe zeichnet sich durch eine gröbere Teilchengröße und somit leichtere Dispergierbarkeit aus. Die Farbstärke dieser Gruppe ist meist kleiner als bei den organischen Pigmenten, dafür besitzen sie ein größeres Streuvermögen, Deckvermögen und eine überwiegend größere Temperaturbeständigkeit.
Eine besondere Gruppe ist die der funktionellen Pigmente, die überwiegend aus Korrosionsschutzpigmenten besteht. Hier ist weniger der erreichbare Farbeindruck das Ziel, vielmehr zählt die schützende Wirkung für das Substrat. Zinkphosphate und andere, aktiv wirkende Typen finden hier Verwendung.
Farbstoffe sind im Gegensatz zu Pigmenten im Beschichtungsstoff löslich. Dies lässt einen lasierenden, d. h. nicht deckenden Farbeindruck entstehen. Mit Farbstoffen gefärbte Lacke können einen interessanten Effekt darstellen, bei dem aber ein einwandfreier, da sichtbarer Untergrund notwendig ist. Allerdings wird der Farbeindruck bzw. die Intensität stark von der Schichtdicke beeinflusst. Nachteilig beim Einsatz von Farbstoffen sind die geringeren Beständigkeiten, wie z. B. Licht- und Wetterechtheit.
Das Einarbeiten von Glanzpigmenten ist mit einem Extruder nur schwer möglich. Die Plättchen werden hierbei geknickt oder gebrochen. So sind Effektpigmente entweder nur physikalisch untergemischt oder, um Entmischungserscheinungen zu vermeiden, in einem Bonding-Prozess auf den Pulverlackpartikeln fixiert.
1.1.14 Füllstoffe
Als Füllstoffe kommen überwiegend natürliche Mineralien zum Einsatz: Schwerspat, Feldspat, Kreide oder Quarzsand [8].
Jeder Füllstoff hat spezifische Eigenschaften und verleiht somit auch dem Pulverlackfilm seine charakteristischen Eigenschaften. So beeinflussen die Füllstoffe viele makroskopische Phänomene der Lackierung:
Verlauf
Kantendeckung
Kantenablaufverhalten
Flexibilität (Tiefung, Biegung)
Schlagtiefungsbeständigkeit
Glanz
Chemikalienbeständigkeit
Dichte, Ergiebigkeit
1.2 NT- und strahlenhärtende Systeme
Strahlenhärtende Lacke sind Beschichtungssysteme, welche durch energiereiche Strahlen aktiviert und vernetzt werden. Die Formulierung der Systeme, die Strahlenart und -intensität, wie auch die apparative Anordnung der Strahlerquellen müssen auf das zu beschichtende Substrat abgestimmt sein. Die meisten Formulierungen für strahlenhärtbare Systeme bestehen in einer ausgewogenen Mischung aus [9]:
oligomeren Bindemitteln (Harz)
monomeren Reaktionspartnern (Vernetzungskomponente)
Photoinitiatoren (nur für die UV-Härtung)
Hilfsmitteln (diese sind nicht an der Vernetzung beteiligt)
Bewährte Bindemittel sind ungesättigte Polyester, Epoxidharze oder Polyurethane. An die Enden dieser Basismoleküle sind eine oder mehrere Acryl- oder Methacryl-Gruppen angehängt. An solchen Kettenenden mit einer stabilen chemischen Doppelbindung CH2 = CH– greifen die energiereichen Strahlen an. Sie erzeugen freie Radikale und setzen eine chemische Reaktion in Gang.
1.2.1 NT-Pulverlacke
Das NT - (Niedrig-Temperatur-Härtung ) oder „Low Bake "-Härtungsverfahren entspricht dem bekannten thermoreaktiven Vernetzungsprozess auf Basis von Epoxidharz-Pulverlacksystemen, die sich durch einen einstufigen Schmelz- und Härtungsprozess auszeichnen. Schmelzen und Härten können nicht voneinander getrennt werden. Der Energieeintrag in das System erfolgt über Konvektionswärme und/oder mittelwellige IR-Strahlung. Die Wärmeleitung erfolgt dabei immer über den Beschichtungsstoff in das Substrat. Infolge der relativ langen Härtungszeit kann nicht verhindert werden, dass die Masse des Substrates, auch bei MDF und Kunststoffen, vollständig durchwärmt wird (siehe Abb. 1.10).
../images/289045_5_De_1_Chapter/289045_5_De_1_Fig10_HTML.pngAbb. 1.10
Vergleich der Härtungsprinzipen „Low Bake (NT)" und NIR [10]
Eine Vernetzung von Polyestersystemen bei Temperaturen von 100–120 °C gelingt nicht. Somit stehen für den NT-Bereich nur Epoxidharzpulverlacke zur Verfügung, mit den bekannten eingeschränkten Eigenschaften.
Mit speziell ausgewählten Epoxidharz- und Härterkomponenten ist eine chemische Vernetzungsreaktion bereits bei Temperaturen unter 100 °C möglich. Die praktische Umsetzung in Pulverlackformulierungen ist kritisch hinsichtlich der Lagerstabilität (Vermeidung des Verklebens der Pulverpartikel bei normaler Raumtemperatur), was eine weitere Absenkung des Molekulargewichtes nicht erlaubt.
Die heute zur Verfügung stehenden NT-Pulverlacke benötigen immer noch Vernetzungsbedingungen von mindestens 120 bis 130 °C während 10–20 min. Die Gründe dafür sind vielschichtig, wobei die wesentlichsten im Erreichen einer besseren Haftung, im besseren Verlauf und einer widerstandsfähigeren Oberfläche liegen. Die Anwendung dieses speziellen NT-Pulverlackes auf thermisch sensiblen Substraten ist durch die vergleichsweise geringe Temperaturbilanz für den gesamten Schmelz- und Vernetzungsprozess eine sinnvolle Option.
Aufgrund des bekannten Vernetzungsprozesses können nahezu alle Farben bereitgestellt werden.
Der Chemismus zur Mattierung von Epoxidharzsystemen funktioniert erst >160 °C Vernetzungstemperatur, so dass zzt. noch auf die Bereitstellung von Mattprodukten (Glanz < 60) verzichtet werden muss. Epoxidharzsysteme sind nicht licht- bzw. UV-beständig, was den Außeneinsatz dieser Systeme unter direktem Sonnen- und Witterungseinfluss nicht gestattet. Trotz dieser Einschränkungen werden NT-Pulverlacke bereits vielfach für die sehr wirtschaftliche Beschichtung von MDF und Kunststoffen benutzt und erfüllen die vorwiegenden dekorativen Anforderungen der vorher verwendeten Flüssiglacksysteme.
Bei den Hybrid-Systemen sind Temperaturen von 140–160 °C bei einer Haltezeit von ca. 10–15 min möglich. Bei Akrylaten sind heute Temperaturen ab 120 °C möglich. Anwendung finden vorwiegend Formulierungen, die im Temperaturbereich von ca. 150 °C härten. Bei Polyester-Systemen ist eine Objekttemperatur und Haltezeit von 170 °C/15 min heute die unterste Einbrenngrenze. Hier sind Neuentwicklungen im Harzbereich im Gange die eine weitere Absenkung der Temperatur ermöglichen.
1.2.2 NIR-Pulverlacke
Pulverlacke für diese Härtung können theoretisch mit allen bekannten thermoreaktiven Bindemitteln auf Basis von Epoxid- und Polyesterharzen oder Acrylatharzen formuliert werden. Da alle diese Bindemittel jedoch gegenüber der NIR-Strahlung (Wellenlängen zwischen 0,75 und 1,2 μm) Transparenz zeigen, ist eine Umwandlung von Strahlung in Wärme nicht möglich. Um diese Umwandlung zu gewährleisten, müssen die Pulverlacke eine entsprechende Absorptionscharakteristik besitzen. Handelsübliche Pulverlacke sind für die NIR-Härtung ungeeignet, da sie diese Eigenschaften nicht automatisch besitzen. NIR-Pulverlacke dagegen können auch mit den konventionellen Einbrennöfen wie handelsübliche Pulverlacke eingebrannt werden.
Die NIR-Technologie konnte sich bis heute nicht am Markt durchsetzen.
NIR-härtbare Pulverlacke sind speziell für diese Anwendungen optimiert und gewährleisten, dass die maximal mögliche Energiemenge für den Vernetzungsprozess ausgenutzt werden kann. Die elektromagnetische Aktivierung und der strahlungsinduzierte Wärmemechanismus schließen den Schmelz- und Vernetzungsvorgang innerhalb weniger Sekunden ab. Besonders effektiv arbeitet das System auf Metalloberflächen. Der durch die Pulverschicht transmittierende Anteil der Strahlung wird von der Metalloberfläche reflektiert und führt zur Nutzung einer erhöhten Energiedichte in der Beschichtung (siehe Abb. 1.10). Der Aushärtungsprozess, verglichen mit dem von konventionellen Pulverlacken, kann so um den Faktor 100–1000 verkürzt werden [10]. Die NIR-Strahlung bietet die kurzwelligste und energiereichste Infrarotstrahlung mit einer extrem schmalbandigen Energieverteilung.
1.2.3 UV-Pulverlacke
Einem ganz anderen Prozess unterliegt die Filmbildung und Vernetzung von UV-härtenden Pulverlacken .
UV härtende Pulverlacke trennen den Schmelz- und Härtungsprozess (siehe Abb. 1.11). Dies erfordert einerseits ein speziell abgestimmtes Verfahrensmanagement, eröffnet aber andererseits große technologische Vorteile beim Beschichten von z. B. porösen Substraten, die bei höherer thermischer Beanspruchung zur Freisetzung von niedermolekularen und anderen flüchtigen Stoffen aus den Poren neigen. Besonders sind hierzu MDF (Mitteldichte Faserplatte), viele Kunststoffe und auch Zink-, Aluminium - oder Magnesiumdruckguss zu nennen.
../images/289045_5_De_1_Chapter/289045_5_De_1_Fig11_HTML.pngAbb. 1.11
Prinzip der UV-Härtung von Pulverlacken [10]
Setzt bei thermoreaktiven Pulverlacken der Vernetzungsprozess ein, führt das zu Molekülwachstum und zwangsläufig zur Erhöhung der Schmelzviskosität. Entweichende gasförmige Stoffe aus der Substratoberfläche hinterlassen unter diesen Bedingungen kleinste Kanäle (Krater) im Lackfilm, die sich selbstständig nicht mehr schließen können (Nadelstiche, Blasen, Kocher).
Anders verhält es sich beim getrennt von der Härtung ablaufenden Schmelzen eines UV-Pulverlackes. Hier ändert sich die Viskosität der Schmelze bei einer bestimmten Temperatur nicht solange kein UV-Licht einwirkt. So kann die Entgasung kontrolliert beeinflusst werden.
Vorteilhaft ist außerdem, dass zur Erzielung eines guten Verlaufes eine Schmelztemperatur von nur ca. 100–120 °C während 0,5–2 min erforderlich ist. Damit wird ebenfalls das Substrat nur geringer thermischer Belastung ausgesetzt. Im Anschluss werden die beschichteten Teile mit UV-Licht ca. 5–20 s bestrahlt und die Beschichtung ist vollständig vernetzt.
UV-Pulverlacke können auf Basis von Polyester-, Epoxid-, oder Polyurethanacrylaten formuliert werden. Einschränkungen bestehen in der Farbvielfalt und Glanzbereichen. So sind aus physikalischen Gründen der UV-Lichtabsorption keine gelben und gelbhaltigen Farben vernetzungsfähig, besonders nicht in dem typischen Schichtdickenniveau bei Pulverlacken von 70 μm.
Ebenfalls sind Mattprodukte nicht verfügbar, da besonders UV-Pulverlacke anderen Filmbildungsmechanismen unterliegen als Flüssiglacke. Mattprodukte sind eine Schlüsselanforderung für den Einsatz von UV-Pulverlacken zur Beschichtung von MDF in der Möbelindustrie. Im Moment werden zur Erzielung von matten Oberflächen fein strukturierte Pulverlacke eingesetzt.
Heute ist die UV-Pulverlacktechnologie immer noch eine Nischenanwendung. Die erhoffte Marktdurchdringung konnte nicht realisiert werden. Auch auf Seiten der Entwickler (Rohstoff- und Pulverlackhersteller) wird diese Technologie im Moment nur verhalten vorangetrieben.
Tab. 1.6 zeigt einen Vergleich der Eigenschaften der verschiedenen Systeme.
Tab. 1.6
Eigenschaften der Systeme [10]
1.3 Effektlacke
Metall- und Perlglanzeffektpigmente haben eine plättchenförmige Struktur und bestehen bei Metalleffektpigmenten aus metallischen Elementen oder Legierungen wie Aluminium, Kupfer, Messing oder Zink. Perlglanzpigmente bestehen aus synthetischem Glimmer, der mit Metalloxiden hoher optischer Dichte (z. B. TiO2) beschichtet ist [11]. Generell haben Metall- und Perlglanzpigmente in Pulverlacken folgende Vorteile:
metallisches und perlglänzendes Aussehen
polychromatische Farbgestaltung
funktioneller Schutz
Die Effektbildung wird im Wesentlichen durch die Pigmenteigenschaften, Teilchengröße und Pigmentorientierung (leafing oder non-leafing Verhalten) bestimmt. Leafing Pigmente orientieren sich bevorzugt planparallel an der oberen Grenzfläche des Lackfilms, non-leafing Pigmente dagegen verteilen sich gleichmäßig im gesamten Lackfilm. In Pulverlacken haben die non-leafing Pigmente die weitaus größere Bedeutung. Jedoch findet man für Anwendungen im Innenbereich zunehmend auch Formulierungen mit leafing Pigmenten auf Basis von Aluminium .
Man unterscheidet Metalleffekt-Pulverlacke aufgrund der Herstellungsart oder der zu erreichenden Effekte [12]:
Herstellungsart:
einextrudierte Metallpigmente (sind eine Ausnahme)
trocken gemischte Metallpigmente (Dry-Blend )
gebondete Metallpigmente
Metall-Effekte:
Hammerschlag-Effekt : Hier sind Schichtdicken von >100 μm notwendig, um einheitliches Aussehen und entsprechenden Effekt zu erhalten. Die Rückgewinnung der Pulver ist eingeschränkt, da es zu Entmischungen von zugesetztem Metallpigment kommt. Effektschwankungen können auftreten durch unterschiedliche Schichtdicken und Einbrennbedingungen (Unterschiede in der Materialstärke des Werkstückes).
Metallise-Effekt zugemischt: Bei einem nur leicht ausgeprägten Metallise-Effekt sind Bunttöne bedingt kreislaufstabil.
Metallise-Effekt gebondet: Diese Pulver sind kreislaufstabil.
Voll-Metallic zugemischt: Helle, Silber/Chromfarbtöne (z. B. ähnlich RAL 9006). Diese Pulver sind nicht kreislaufstabil und mehr oder weniger kratzempfindlich (Schwarzmarkierungen). Ein Sicherheitsrisiko ist bei einem Anteil von mehr als 5 % Aluminiumpigment gegeben (Verpuffung).
Voll-Metallic gebondet: Helle, Silber/Chromfarbtöne (z. B. ähnlich RAL 9006). Kreislaufstabiles Pulver, wobei der Lackfilm mehr oder weniger kratzempfindlich ist. Daher ist zum Schutz des Metalleffektes oder bei sehr hohen Anforderungen an Optik und Beständigkeit eine Überbeschichtung mit transparenten Lacksystemen zu empfehlen.
Sondereffekte: Perlmutt, Flitter, Glimmer u. a. Hier muss die Formulierbarkeit und Verarbeitung im Einzelfall geprüft werden.
Die gebondeten Pulverlacke zeichnen sich durch eine gute Kreislaufstabilität bei hoher Farbton- und Effektkonstanz und in einer guten Verarbeitbarkeit aus. Ein Nachteil ist der höhere Preis aufgrund des zusätzlichen Veredelungsverfahrens. Üblicherweise liegt der Anteil der Effektpigmente für gebondete Pulverlacke im Bereich von 1 bis 6 % [13].
Nicht gebondete Pulverlacke sind preislich günstiger. Schwierigkeiten ergeben sich hier aber in der Verarbeitung, besonders hinsichtlich Kreislaufstabilität und Farbkonstanz. Mithilfe einer automatischen bzw. regelmäßigen Zudosierung von Frischpulver und der Verwendung von geeigneten Sprühgeräten kann hier aber ebenso ein zufriedenstellendes Ergebnis erzielt werden. Mithilfe eines neu entwickelten Verfahrens soll eine prozesssichere Kreislaufführung von Dry-Blend-Systemen möglich sein [14]. Es wird dabei über die reibungselektrische Aufladung des zu versprühenden Gemenges das Mischungsverhältnis überwacht. Anwendung findet