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Rechtssicher in der Kinder- und Jugendarbeit: Aufsichtspflicht, Haftung, Datenschutz und alles rechtlich Relevante
Rechtssicher in der Kinder- und Jugendarbeit: Aufsichtspflicht, Haftung, Datenschutz und alles rechtlich Relevante
Rechtssicher in der Kinder- und Jugendarbeit: Aufsichtspflicht, Haftung, Datenschutz und alles rechtlich Relevante
eBook449 Seiten4 Stunden

Rechtssicher in der Kinder- und Jugendarbeit: Aufsichtspflicht, Haftung, Datenschutz und alles rechtlich Relevante

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Über dieses E-Book

Dieses Sachbuch erklärt anschaulich und ausführlich rechtliche Probleme, die sich bei der Vorbereitung und Durchführung von Klassenfahrten, Ferienlagern, Gruppenstunden oder sportlichen Trainingseinheiten für Kinder und Jugendliche ergeben. Der Autor greift Situationen aus der Praxis auf und zitiert gesetzliche Paragraphen nur ergänzend. Zahlreiche Beispiele sorgen dafür, dass das Buch für Nicht-Juristen gut verständlich ist. Formulierungsvorschläge für Einverständniserklärungen oder Anmeldeformulare im Anhang helfen bei der praktischen Arbeit. Ein umfangreiches Stichwortverzeichnis macht das Buch auch für eilige Leser zum unverzichtbaren Begleiter.


SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer
Erscheinungsdatum7. Nov. 2019
ISBN9783658260873
Rechtssicher in der Kinder- und Jugendarbeit: Aufsichtspflicht, Haftung, Datenschutz und alles rechtlich Relevante

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    Buchvorschau

    Rechtssicher in der Kinder- und Jugendarbeit - Christian Jasper

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019

    C. JasperRechtssicher in der Kinder- und Jugendarbeithttps://doi.org/10.1007/978-3-658-26087-3_1

    1. Einleitung

    Christian Jasper¹ 

    (1)

    Düsseldorf, Deutschland

    Rechtssichere Kinder- und Jugendarbeit macht Freude.

    „Gruppenleiter stehen mit einem Bein im Gefängnis!", so lautet ein verbreitetes Vorurteil. Wer aktuelle Nachrichten verfolgt, kann bisweilen den Eindruck haben, die Jugendarbeit von Kirche und Vereinen sei zuletzt nur noch von Datenschutzbestimmungen, Haftungsrisiken oder Präventionsbemühungen gekennzeichnet. Mancher Jugendgruppenleiter sieht sich dadurch unter Generalverdacht gestellt und verliert gar die Freude an einem ehrenamtlichen Engagement. Solchen Entwicklungen will dieses Buch entgegenwirken, indem es die nötige Sicherheit im Hinblick auf rechtliche Fragen der Kinder- und Jugendarbeit vermittelt.

    Gegen das Vorurteil vom Gruppenleiter im Gefängnis lassen sich zwei Argumente anführen: Zum einen sind rechtliche Risiken überschaubar, solange Gruppenleiter ihre Veranstaltungen gewissenhaft vorbereiten und dabei die Maßgaben des gesunden Menschenverstandes sowie zumindest grundlegende juristische Vorgaben beachten. Diese Regeln kennenzulernen, dabei will das vorliegende Buch helfen. Zum anderen mag zuletzt zwar die Aufmerksamkeit für juristische Bezüge in der Jugendarbeit gewachsen sein, doch bedeutet das nicht, dass sich auch die rechtlichen Risiken in gleichem Maße erhöht hätten. Viele Menschen sind schlicht sensibler für Rechte, die ihnen – zum Teil auch nur angeblich – zustehen, sie drohen eher mit einem Anwalt, doch Verurteilungen von ehrenamtlichen Gruppenleitern oder andere Sanktionen bleiben die äußerst seltene Ausnahme. Man muss auch in Zukunft kein studierter Jurist sein, um sich in seiner Freizeit in Kinder- und Jugendgruppen von Vereinen oder der Kirche zu engagieren.

    Zwei weitere Vorurteile begegnen dem Juristen bisweilen: Es heißt, das Recht sei eine unglaublich trockene Materie und Juristen müssten so viel auswendig lernen. Auch diesem Eindruck will das vorliegende Buch entgegentreten. Zwar stimmt es, dass die Fülle an rechtlichen Vorschriften kaum zu überblicken ist und dass sich darin auch manche Norm findet, die mit der Lebensrealität nicht viel zu tun zu haben scheint. Gerade deswegen kann es allerdings selbst für rechtlich interessierte Menschen nie darum gehen, alle Gesetze und Vorschriften zu kennen. Das Ziel jeder Beschäftigung mit dem Recht muss vielmehr sein, systematische Zusammenhänge zu erkennen und dann anhand dieses Systems Antworten auf konkrete Einzelfragen zu suchen und zu finden. Wer nur Normen oder Gerichtsentscheidungen auswendig lernt, kommt sonst schnell ans Ende seines Lateins.

    Diesem Ansatz fühlt sich auch der Autor des vorliegenden Buches verpflichtet. Deshalb steht zu Beginn nicht etwa schon die Spezialfrage nach der Aufsichtspflicht beim Lagerfeuer auf dem Zeltplatz, sondern viel allgemeiner eine kurze Einführung in das deutsche Recht (2. Kapitel). Sie soll den Leser nicht langweilen, sondern ihm einen Überblick verschaffen, um das System des deutschen Rechts verstehen zu können. Mit diesem Wissen im Hintergrund wird die auf den ersten Blick oft schwer verständliche Argumentationsweise von Juristen hoffentlich nachvollziehbarer. Wer gleichwohl auf der Suche nach Antworten auf ganz spezielle Rechtsfragen ist, mag das folgende Kapitel überschlagen und direkt im spezielleren 3. Kapitel beginnen. Einige Musterformulare im 4. Kapitel runden das Buch ab.

    Die folgenden rechtlichen Ausführungen gelten, soweit nicht anders angegeben, gleichermaßen für haupt- oder ehrenamtliche Mitarbeiter in der Kinder- und Jugendarbeit. Der Gesetzgeber unterscheidet nur an wenigen Stellen zwischen beiden Gruppen. Wenn daher im Folgenden von Mitarbeitern die Rede ist, so sind ehrenamtliche Gruppenleiter, Sporttrainer oder Betreuer von Ferienfreizeiten gleichermaßen gemeint wie hauptamtliche Jugendreferenten, kirchliche Amtsträger oder Verbandsfunktionäre. Der im Alltag übliche Begriff des Betreuers wird dagegen weitgehend vermieden, weil er im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) anders verwendet wird: Danach wird ein Betreuer vom Gericht bestellt, wenn ein Volljähriger auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer Behinderung seine Angelegenheiten nicht selbst regeln kann. Mit dieser Art von Betreuung hat es die übliche Kinder- und Jugendarbeit in der Regel nur selten zu tun.

    Noch ein Hinweis zur Benutzung dieses Buches: Ein gutes juristisches Nachschlagewerk kann nicht ohne Verweise auf Literatur, Rechtsprechung und vor allem auf gesetzliche Normen auskommen. Das gilt auch für das vorliegende Buch, wenngleich die Nachweise bewusst knapp gehalten wurden. Denn es hilft dem interessierten Leser in der Praxis meist wenig, nur Recht zu haben, er will im Zweifel auch vor Gericht Recht bekommen. Dabei helfen Zitate der einschlägigen Gesetze oft ungemein weiter. Wichtige Gesetzestexte werden daher im Folgenden mit abgedruckt; ansonsten sind sie im Internet abrufbar, für Bundesgesetze etwa auf der Seite https://​www.​gesetze-im-internet.​de oder sonst auf den entsprechenden Portalen der Länder. Bei landesrechtlichen Bezügen wird exemplarisch meist das Recht von Nordrhein-Westfalen herangezogen, dessen Aussagen sich aber oft entsprechend auf andere Länder übertragen lassen.

    Um zu erfahren, wie diese Gesetze in der Rechtspraxis angewendet werden, kann auch eine Auseinandersetzung mit Gerichtsentscheidungen zu ähnlich gelagerten Fällen helfen. Sie werden stets mit ihrem Aktenzeichen und gegebenenfalls einer Fundstelle aus juristischen Fachzeitschriften oder amtlichen Sammlungen angegeben; jedenfalls neuere Entscheidungen lassen sich oft auch mit gängigen Suchmaschinen kostenlos im Internet finden.

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019

    C. JasperRechtssicher in der Kinder- und Jugendarbeithttps://doi.org/10.1007/978-3-658-26087-3_2

    2. Einführung in das deutsche Recht

    Christian Jasper¹ 

    (1)

    Düsseldorf, Deutschland

    Jura ist so bunt wie das Leben.

    Die allermeisten Fälle, mit denen sich Juristen beschäftigen, haben diese sich nicht selbst ausgedacht, sondern sie sind im Alltag geschehen. Für die Betroffenen sind sie dann oft verbunden mit vielen Emotionen und einer Reihe von Details, die alle nicht unwichtig erscheinen. Gute Juristen haben indes die Fähigkeit, komplexe Lebenssachverhalte auf den eigentlichen rechtlichen Knackpunkt zu reduzieren. Sie können alles Irrelevante ausblenden, um sich ganz auf die Fragen zu konzentrieren, die für die juristische Streitentscheidung erheblich sind. Dieses juristische Denken führt dazu, dass äußerlich einheitliche Lebenssachverhalte in viele einzelne Aspekte gegliedert werden können. Das sorgt bei Außenstehenden bisweilen für Irritationen, es hilft aber oft, emotionale Diskussionen zu versachlichen und rechtliche Fragen ganz nüchtern zu klären. Möglicherweise lassen sich die Einzelfragen dann sogar unabhängig voneinander beantworten. Was damit gemeint ist, soll folgender Beispielsfall verdeutlichen.

    Beispielsfall: Ein Schnäpschen in Ehren

    Die Messdiener sind stolz: Endlich mal wieder eine Aktion für die etwas Älteren. 25 Oberministranten zwischen 17 und 25 Jahren wollen ein Fun-Wochenende verbringen und fahren dazu auf einen Zeltplatz. Abends beim Lagerfeuer holt Teilnehmer Tobias (23) eine Flasche Schnaps hervor, „weil das ja dazugehört". Alle trinken ein wenig davon, auch der 17-jährige Kevin sowie Lagerleiter Leo (25). Bei der anschließenden Nachtwanderung wird ein anderer Teilnehmer, der 18-jährige Otto, übermütig und läuft mitten auf der Straße. Dort wird er von einem Auto angefahren. Bei dem Unfall bricht sich Otto einen Arm, außerdem wird das Auto beschädigt. Wie ist die Rechtslage?

    Der Fall scheint nicht gänzlich unrealistisch und wirft eine ganze Fülle von Rechtsfragen auf. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit könnte man sich etwa folgende Fragen stellen:

    1.

    Hat der Autofahrer einen Anspruch auf Schadensersatz, weil sein Auto bei dem Unfall beschädigt wurde? Richtet sich ein solcher Anspruch gegen das Unfallopfer Otto, gegen den Lagerleiter Leo oder etwa gegen die Kirchengemeinde als Veranstalter des Fun-Wochenendes? Trifft den Autofahrer eine Mitschuld an dem Unfall?

    2.

    Hat Otto als Unfallopfer einen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld für seinen gebrochenen Arm? Richtet sich ein solcher Anspruch gegen den Autofahrer, gegen den Lagerleiter Leo oder etwa gegen die Kirchengemeinde als Veranstalter des Fun-Wochenendes? Trifft ihn eine Mitschuld, weil auch er zum Unfallzeitpunkt angetrunken war?

    3.

    Durfte der Teilnehmer Tobias dem 17-jährigen Kevin alkoholische Getränke anbieten? Falls nein, welche Konsequenzen hat er zu befürchten?

    4.

    Hat sich der Lagerleiter Leo strafbar gemacht, indem er mit den angetrunkenen Teilnehmern eine Nachtwanderung auf einer öffentlichen Straße durchgeführt hat?

    5.

    Hat sich der Autofahrer strafbar gemacht, indem er den Otto angefahren hat?

    Weitere Fragen ließen sich stellen, auch wenn der vorliegende Sachverhalt dafür keine besonderen Anhaltspunkte liefert.

    Fast jede Situation im Leben lässt sich juristisch aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten. Je nach Fragestellung können die Antworten unterschiedlich sein oder gar widersprüchlich erscheinen. Das gilt auch für den vorliegenden Fall. Denkbar ist beispielsweise, dass sich zwar niemand strafbar gemacht, dass aber trotzdem bestimmte Verhaltensweisen verboten waren und zum Schadensersatz verpflichten. Erklären lässt sich dieses Phänomen damit, dass Juristen verschiedene Rechtsgebiete unterscheiden: das Zivilrecht, das öffentliche Recht und als dessen verselbstständigte Unterkategorie das Strafrecht. Vorschriften aus diesen drei Gebieten dürfen einander zwar nicht widersprechen, sie können aber durchaus einzelne Fragen unterschiedlich beantworten.

    Deswegen sollte man sich zunächst für eine klare Fragestellung und damit verbunden meistens auch für ein Rechtsgebiet entscheiden, wenn man sich einem Fall wie dem oben Geschilderten rechtlich nähern möchte. Dementsprechend werden auch im Folgenden nacheinander zunächst das Öffentliche Recht (I.), dann das Strafrecht (II.) und schließlich das Zivilrecht (III.) kurz vorgestellt.

    Auch die oben zum Beispielsfall aufgeworfenen Fragen lassen sich diesen drei Rechtsgebieten zuordnen: So stammen die Fragen 1 und 2 nach möglichen Schadensersatzansprüchen aus dem Zivilrecht, das hier die finanziellen Folgen des Verkehrsunfalls regelt. Die Frage 3 gehört zum Öffentlichen Recht, das einseitige Verbote oder Kompetenzen des Staates gegenüber den ihm untergeordneten Bürgern enthält. Neben den Verboten im Jugendschutzgesetz zählen dazu vor allem die Polizeigesetze oder das Versammlungsrecht, wo der Staat dem Bürger hoheitlich gegenübertritt und bestimmte Verhaltensweisen reglementiert. Schließlich zählen die Fragen 4 und 5 nach einer Strafbarkeit zum Strafrecht. Systematisch ist dies ein spezieller Bereich des Öffentlichen Rechts, weil das Strafrecht bestimmte Taten wie die fahrlässige Körperverletzung nicht nur verbietet, sondern dem Täter sogar hoheitlich eine Strafe im engeren Sinne (Geld- oder Freiheitsstrafe) androht.

    Die aufgeworfenen Fragen lassen sich übrigens auf der Grundlage des knappen Sachverhalts nicht alle abschließend beantworten. Gewonnen ist aber schon viel, wenn man die einzelnen Fragen auseinanderhält und nicht etwa pauschal behauptet, die Leiter hätten „rechtswidrig gehandelt oder der Autofahrer sei „schuld.

    Vor diesem Hintergrund nur folgende kurze Hinweise zur Beantwortung in der Reihenfolge der Fragen: Ein Schadensersatzanspruch des Autofahrers könnte vor allem gegen Otto bestehen gemäß § 823 Abs. 1 BGB, weil dieser nachts mitten auf der Straße gegangen ist. Wenn ein Autofahrer einen Fußgänger anfährt, ist ihm aber grundsätzlich wegen der Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs ein Mitverschulden anzurechnen. Deswegen kommt im Gegenzug auch ein Schadensersatz- und Schmerzensgeldanspruch des Otto gegen den Autofahrer in Betracht, der aber seinerseits um Ottos Mitverschulden zu kürzen wäre. Ein solcher Anspruch besteht zugleich auch gegen die Haftpflichtversicherung des Autofahrers. Dass Lagerleiter Leo oder die Kirchengemeinde den Unfall mitverursacht hätten, ist nicht ersichtlich; das bloße Veranstalten einer Nachtwanderung dürfte als Anknüpfungspunkt für einen Schadensersatzanspruch nicht ausreichen. Strafbar gemacht haben dürfte sich allenfalls der Autofahrer wegen fahrlässiger Körperverletzung. Das setzt voraus, dass er objektiv sorgfaltswidrig (beispielsweise nicht mit angepasster Geschwindigkeit) gefahren ist und er nach seinen persönlichen Fähigkeiten das Risiko erkennen und vermeiden konnte, nachts auf einer öffentlichen Straße umherlaufende, angetrunkene Fußgänger anzufahren. Zu klären bleibt, wer dem minderjährigen Kevin hochprozentigen Alkohol gegeben hat. In der Öffentlichkeit verstößt dies gegen das Jugendschutzgesetz; die Ordnungswidrigkeit kann mit einem Bußgeld von bis zu 50.000 Euro geahndet werden, doch wäre im vorliegenden Fall wohl allenfalls ein dreistelliger Betrag verhältnismäßig.

    Im Folgenden werden das Öffentliche Recht, das Strafrecht und das Zivilrecht jeweils kurz und mit besonderem Blick auf die Kinder- und Jugendarbeit vorgestellt.

    2.1 Öffentliches Recht

    Das Öffentliche Recht ist das Sonderrecht des Staates und anderer Hoheitsträger. Es regelt also nicht die Rechtsbeziehungen, die Private untereinander begründen können. Vielmehr geht es darum, wie sich sogenannte Hoheitsträger, etwa staatliche Behörden, zueinander oder gegenüber den Bürgern verhalten dürfen. Mit Blick auf die Fragestellung dieses Buches ist vor allem das Verhältnis des Staates zu den Bürgern relevant. Dieses ist nicht durch Gleichordnung und Privatautonomie gekennzeichnet, sondern oft durch ein Verhältnis der Über- und Unterordnung. Staatliche Stellen besitzen hoheitliche Gewalt und können Privatleute durch Vollstreckungsmittel zu einem bestimmten Verhalten zwingen. Im äußersten Fall darf die Polizei als Teil des Staates – und meistens nur sie – körperliche Gewalt einsetzen, und auf die Entscheidung eines staatlichen Gerichts hin können Menschen lebenslang eingesperrt werden.

    Im Gegenzug sind die Hoheitsträger allerdings in einem Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Deutschland an Recht und Gesetz gebunden. Sie können sich – anders als Private – nicht auf die Grundrechte berufen, sondern bedürfen für jeden hoheitlichen Akt einer gesetzlichen Ermächtigung. Deswegen unterscheiden sich öffentlich-rechtliche Fragestellungen grundlegend von denen des Zivilrechts. Öffentliches Recht und Zivilrecht gedanklich zu unterscheiden, ist wesentlich, um zahlreiche Fragen rund um die Jugendarbeit seriös beantworten zu können (Abb. 2.1).

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    Abb. 2.1

    Schaubild: Öffentliches Recht

    Klassische Fragestellungen aus dem öffentlichen Recht lauten beispielsweise:

    Wer darf unter welchen Voraussetzungen ein Kraftfahrzeug führen und wie erwirbt man den dazu nötigen Führerschein als Fahrerlaubnis?

    Unter welchen Voraussetzungen kann der Führerschein wieder entzogen werden, wenn man unter Alkoholeinfluss am Straßenverkehr teilnimmt?

    Unter welchen Voraussetzungen darf man sich auf einer öffentlichen Straße oder in einem Park versammeln oder solche Flächen für eine Veranstaltung nutzen?

    Welche Lärmgrenzen gelten für Partyveranstaltungen?

    Bei all diesen Fragen stehen sich nicht zwei Bürger gegenüber. Vielmehr wird einem Privaten ein bestimmtes Verhalten vom Staat hoheitlich verboten oder erlaubt. Bestimmte staatliche Behörden sind dafür zuständig, die maßgeblichen Normen von sich aus durchzusetzen und Verstöße gegebenenfalls zu ahnden.

    Kernbestandteil des öffentlichen Rechts ist das Verfassungsrecht. Auf Bundesebene regelt in Deutschland das Grundgesetz (GG) von 1949 die rechtliche Grundordnung des Staates. Neben der Organisation der Bundesorgane und der Gesetzgebung geht es dort maßgeblich um das Verhältnis des Einzelnen zur Staatsgewalt. Dieses Verhältnis des Staates zum Bürger ist insbesondere durch die Grundrechte geprägt. Im Grundgesetz dominieren sogenannte Abwehrrechte, die es dem Einzelnen ermöglichen, bestimmte Grundrechtseingriffe durch die Staatsgewalt abzuwenden. Zugleich strahlen die Grundrechte auf das Verhältnis der Bürger untereinander aus und prägen dieses jedenfalls mittelbar. Für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen können insbesondere folgende Grundrechte relevant werden.

    Grundrechte des Grundgesetzes (Auswahl):

    Recht auf Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG)

    Allgemeines Persönlichkeitsrecht einschließlich des Schutzes der Privatsphäre, des Rechts am eigenen Bild und Wort, des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und auf Gewährleistung der Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG)

    Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG)

    Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG)

    Religions- und Weltanschauungsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) sowie auf Religionsunterricht in der staatlichen Schule (Art. 7 Abs. 3 GG)

    Meinungs- und Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG)

    Erziehungsrecht der Eltern (Art. 6 Abs. 2 GG)

    Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG)

    Recht, Vereine und Gewerkschaften zu gründen und sich dort zu betätigen (Art. 9 GG)

    Briefgeheimnis (Art. 10 GG)

    Eigentumsrecht (Art. 14 GG)

    als subsidiäres Auffanggrundrecht die allgemeine Verhaltensfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG)

    Recht auf Gleichbehandlung einschließlich des Rechts, nicht wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung und Rasse, seiner Sprache, seiner religiösen oder politischen Anschauungen oder wegen einer Behinderung benachteiligt zu werden (Art. 3 GG)

    Die Grundrechte gelten zum Teil für alle Menschen – dann spricht man von Menschenrechten –, teilweise nur für Deutsche – dann spricht man von Bürgerrechten. Alle Rechte kommen auch Kindern und Jugendlichen zu. Selbst vor der Geburt, im sogenannten im pränatalen Stadium ist der Mensch Grundrechtssubjekt und Träger der Menschenwürde. Neben diesen natürlichen Personen können auch juristische Personen Träger von Grundrechten sein, wenn die fraglichen Grundrechte ihrem Wesen nach auch auf Organisationen anwendbar sind.

    Beispiele

    Als juristische Personen können sich die christlichen Kirchen unter anderem auf die Religionsfreiheit berufen, Vereine auf die Vereinigungsfreiheit oder eine Universität auf die Wissenschaftsfreiheit.

    Allerdings gelten die Grundrechte nicht grenzenlos. Insbesondere wenn die Grundrechte verschiedener Personen miteinander kollidieren, obliegt es der Staatsgewalt, einen verhältnismäßigen Ausgleich zu schaffen. Diesem Ausgleich widerstreitender Interessen dient nicht zuletzt das ausdifferenzierte System einfachgesetzlicher Vorschriften. Im Einzelnen ist die Vielzahl öffentlich-rechtlicher Vorschriften allerdings kaum zu überschauen. Deswegen können diese hier nicht im Detail dargestellt werden. Besonders relevante Fragen werden später im dritten Teil dieses Buches (Kap. 3) wieder aufgegriffen.

    Von besonderer Bedeutung für die Kinder- und Jugendarbeit ist das verfassungsrechtlich geschützte Erziehungsrecht der Eltern (Art. 6 Abs. 2 GG). Auch dieses ist ein Grundrecht, mit dessen Hilfe die Eltern staatliche Eingriffe in das Erziehungsgeschehen abwehren können. Zugleich enthält das Grundrecht allerdings die Verpflichtung der Eltern, ihrem Erziehungsauftrag nachzukommen. Die Eltern müssen ihr Grundrecht zum Wohle des Kindes wahrnehmen. Sie dürfen das Kindeswohl nicht gefährden, sondern sollen die Existenz ihrer Kinder schützen und sie zu mündigen und entscheidungsfähigen Persönlichkeiten erziehen. Wer sein Kind vernachlässigt, kann dafür keinen Grundrechtsschutz in Anspruch nehmen.

    Die Kirchen oder Jugendgruppen sind jedenfalls nicht Träger des Erziehungsrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG. Kommen die Eltern ihrem Erziehungsauftrag nach, so hat daneben allein die Schule ein eigenständiges Erziehungsrecht. Alle anderen Akteure dürfen dann in die Erziehung nur mit Zustimmung der Eltern eingreifen.¹ Grundsätzlich steht es allein den Eltern zu, treuhänderisch Entscheidungen für ihr Kind zu treffen, solange dadurch nicht die Grundrechte des Minderjährigen verletzt werden. Diesbezüglich kommt dem Staat bloß ein „Wächteramt" zu. Außerhalb der engen staatlichen Wächterbefugnisse sind die Eltern dagegen frei, zu entscheiden, mit welchen Zielen und Mitteln sie ihre Kinder erziehen. Nur wenn die Eltern ihren Erziehungsauftrag verletzen oder ihnen gar das Sorgerecht entzogen worden ist, dürfen ihnen Maßnahmen der Jugendhilfe aufgedrängt werden. Dieser Vorrang des Elternrechts gilt beispielsweise auch für Kindergärten. Dies bestimmt für Nordrhein-Westfalen das Gesetz zur frühen Bildung und Förderung von Kindern (Kinderbildungsgesetz).

    § 2 Kinderbildungsgesetz NRW: Allgemeine Grundsätze

    ¹Jedes Kind hat einen Anspruch auf Bildung und auf Förderung seiner Persönlichkeit. ²Seine Erziehung liegt in der vorrangigen Verantwortung seiner Eltern. ³Die Familie ist der erste und bleibt ein wichtiger Lern- und Bildungsort des Kindes. ⁴Die Bildungs- und Erziehungsarbeit in den Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege ergänzt die Förderung des Kindes in der Familie und steht damit in der Kontinuität des kindlichen Bildungsprozesses. ⁵Sie orientiert sich am Wohl des Kindes. Ziel ist es, jedes Kind individuell zu fördern.

    Diese Grundsätze lassen sich entsprechend auf die freie Kinder- und Jugendarbeit übertragen. Auch dort sind alle Maßnahmen grundsätzlich eng mit den Eltern abzustimmen.

    2.1.1 Kinder- und Jugendhilfe

    Grundlegende Aussagen zur Kinder- und Jugendarbeit enthält das Sozialgesetzbuch – Achtes Buch (SGB VIII). Zu Beginn werden dort einige Maßgaben konkretisiert, die sich schon aus dem Grundgesetz ableiten lassen. Danach hat jeder junge Mensch ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. Pflege und Erziehung der Kinder obliegen vor allem den Eltern. Dass diese ihrem Erziehungsrecht und der korrespondierenden -pflicht nachkommen, wird von der staatlichen Gemeinschaft überwacht. Darüber hinausgehend ergänzen der Staat und gesellschaftliche Akteure die Erziehung durch die Eltern. Dem dient neben der Schule die sogenannte Jugendhilfe . Sie soll junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern und dazu beitragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen, Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der Erziehung beraten und unterstützen, Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl schützen und dazu beitragen, positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen.

    Im Bereich der Jugendhilfe sind öffentliche und freie Träger tätig. Örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe sind meist auf der kommunalen Ebene angesiedelt. In Nordrhein-Westfalen sind dies grundsätzlich die Kreise und die kreisfreien Städte, die dazu Jugendämter einrichten.² Eine wichtige Rolle spielen daneben die Träger der freien Jugendhilfe wie Kirchen, Wohlfahrtsverbände oder Vereine. Ausdrücklich betont der Gesetzgeber, dass die Jugendhilfe durch eine Vielfalt von Trägern unterschiedlicher Wertorientierungen und eine Vielfalt von Inhalten, Methoden und Arbeitsformen gekennzeichnet ist. Soweit die freie Jugendhilfe geeignete Maßnahmen durchführt oder entsprechende Einrichtungen betreibt, soll die öffentliche Jugendhilfe von eigenen Maßnahmen absehen.

    Als freie Träger der Jugendhilfe anerkannt sind die Kirchen und Religionsgemeinschaften, die als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisiert sind, sowie die auf Bundesebene zusammengeschlossenen Verbände der freien Wohlfahrtspflege. Kirchliche oder verbandliche Jugendgruppen sollen dagegen nicht stets ohne Weiteres anerkannt sein, so die Auffassung der Obersten Landesjugendbehörden.³ Insoweit wird man berücksichtigen müssen, ob solche Gruppen rechtlich und organisatorisch eigenständig sind – dann ist in jedem Fall eine eigene Anerkennung notwendig. Andernfalls spricht viel dafür, dass rechtlich unselbstständige Untergliederungen eines anerkannten Trägers der freien Jugendhilfe an dessen Status teilhaben.

    Unabhängig davon hebt das Gesetz die eigenverantwortliche Tätigkeit der Jugendverbände und Jugendgruppen besonders hervor. In ihnen wird Jugendarbeit von jungen Menschen selbst organisiert, gemeinschaftlich gestaltet und mitverantwortet. So bringen sie Anliegen und Interessen junger Menschen zum Ausdruck und vertreten sie. Deswegen sind Jugendverbände und -gruppen unter Wahrung ihres satzungsgemäßen Eigenlebens zu fördern.

    Unter näher bestimmten Voraussetzungen können auch weitere Organisation neu als Träger der freien Jugendhilfe anerkannt werden. Dazu müssen sie:

    auf dem Gebiet der Jugendhilfe tätig sein,

    gemeinnützige Ziele (Abschn. 2.1.3) verfolgen,

    auf Grund ihrer fachlichen und personellen Voraussetzungen erwarten lassen, dass sie imstande sind, einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Erfüllung der Aufgaben der Jugendhilfe zu leisten, und

    die Gewähr dafür bieten, eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit zu leisten (§ 75 SGB VIII).

    Will sich eine Organisation um die Anerkennung bewerben, so sollte die Tätigkeit auf dem Gebiet der Jugendhilfe satzungsrechtlich verankert sein. Diese muss sowohl nach der Satzung beziehungsweise nach dem Gesellschaftsvertrag des Trägers als auch in der praktischen Arbeit als ein genügend gewichtiger, von anderen Aufgaben abgegrenzter Schwerpunkt erscheinen. Nicht anerkannt werden können dagegen Jugendorganisationen politischer Parteien. Ebenso wenig anerkannt werden können Vereinigungen, die ihre Angebote ohne jugendspezifische Zielsetzung sowohl an Erwachsene als auch an Jugendliche richten oder kommerzielle Zwecke verfolgen.

    Beispiel: Jugendgruppe im Erwachsenenverband

    Ein Sportverein, der sich gleichermaßen an alle Altersgruppen richtet, kann als solcher nicht als Träger der freien Jugendhilfe anerkannt werden. Allerdings kann innerhalb des Sportverbandes eine Jugendgruppe gegründet werden, die sich spezifisch um die Jugendförderung kümmert. Eine solche Jugendgruppe kann anerkannt werden, wenn ihr Selbstverwaltungsrecht in der Satzung des Erwachsenenverbandes gewährleistet wird, sie mindestens eine eigene Jugendordnung hat, demokratisch aufgebaut ist und selbst gewählte Organe besitzt und eigenverantwortlich über die finanziellen Mittel verfügen kann, die für die Jugendarbeit bereitgestellt werden.

    Eine Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe bringt Vorteile bei der Mitwirkung in Jugendhilfeausschüssen und weiteren Beteiligungsmöglichkeiten mit sich. Dagegen wird die Anerkennung bei der Beantragung finanzieller Fördermittel grundsätzlich nicht mehr vorausgesetzt, sie mag aber praktisch gleichwohl vertrauensbildend und damit hilfreich sein. Zuständig ist das Jugendamt auf der Organisationsebene, auf der ein Träger tätig werden möchte.

    Für die Ausgestaltung von Angeboten der Jugendhilfe macht der Gesetzgeber unterschiedliche Vorgaben (§ 9 SGB VIII):

    Beachtung der Grundrichtung der Erziehung einschließlich der religiösen Erziehung, wie sie von den Personensorgeberechtigten vorgegeben wird,

    Berücksichtigung der wachsenden Fähigkeit und des wachsenden Bedürfnisses Minderjähriger zu selbstständigem, verantwortungsbewusstem Handeln sowie der jeweiligen besonderen sozialen und kulturellen Bedürfnisse und Eigenarten junger Menschen und ihrer Familien,

    Berücksichtigung der unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen und Jungen, Abbau von geschlechtsspezifischen Benachteiligungen und Förderung der Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen.

    Ein wichtiger Bereich der Jugendhilfe ist die sogenannte Jugendarbeit. Gerade in diesem Feld spielt sich die klassische Kinder- und Jugendarbeit ab, die Gegenstand dieses Buches ist. Anerkanntermaßen können Angebote der Jugendarbeit die Entwicklung junger Menschen fördern. Dazu sollen solche Angebote an den Interessen junger Menschen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden. Sie sollen sie zur Selbstbestimmung befähigen und zu gesellschaftlicher Mitverantwortung und zu sozialem Engagement anregen und hinführen.

    Folgende Schwerpunkte sieht der Gesetzgeber für die Jugendarbeit:

    außerschulische Jugendbildung in allgemeinen, politischen, sozialen, gesundheitlichen, kulturellen, naturkundlichen und technischen Fragen,

    Jugendarbeit in Sport, Spiel und Geselligkeit,

    arbeitswelt-, schul- und familienbezogene Jugendarbeit,

    internationale Jugendarbeit,

    Kinder- und Jugenderholung, wozu nicht zuletzt die zahlreichen Ferienlager zählen, sowie

    Jugendberatung.

    Als Zielgruppe

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