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Aus dem Leben eines Unsichtbaren: Missgeschicke
Aus dem Leben eines Unsichtbaren: Missgeschicke
Aus dem Leben eines Unsichtbaren: Missgeschicke
eBook296 Seiten3 Stunden

Aus dem Leben eines Unsichtbaren: Missgeschicke

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Über dieses E-Book

Andy ist ein lebenslustiger junger Mann, der gerne anderen Streiche spielt. Eines Tages erlebt er in der Badewanne einen Stromschlag, und wird unsichtbar. Zuerst hat er damit große Probleme. Er lernt eine Frau kennen, die ebenfalls unsichtbar ist. Er folgt ihr nach Lissabon, wo er in einem Institut gefangengenommen wird, um für sie kriminelle Handlungen zu tätigen. Eines Tages kann er fliehen. Mit seinem Freund Bernd fährt er per Auto zurück nach Deutschland. Unterwegs erleben sie einige Abenteuer, wie auch in Frankfurt - am Ziel ihrer Reise.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum29. März 2022
ISBN9783754963937
Aus dem Leben eines Unsichtbaren: Missgeschicke

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    Buchvorschau

    Aus dem Leben eines Unsichtbaren - Lutz Altmann

    Kapitel 1

    Es war Samstag Vormittag und so wie jede Woche kaufte ich ein. Wie gewohnt schob ich den Einkaufswagen durch die Gänge des Supermarkts, von dem es zwei geteilte Ketten in Deutschland gab – Nord und Süd. Zwischen Stapeln von Babywindeln, Küchenrollen, Sauerkraut und Dosenbohnen manövrierte ich meinen Wagen von Regal zu Regal. Ich bemerkte, wie ich grinsen musste, weil ich an einen Streich dachte, den ich einmal den anderen Mietern des Hauses meines Mietshauses gespielt hatte.

    Und heute wäre es wieder einmal so weit – es war der erste April. Innerlich rieb ich mir schon die Hände.

    Das wird ein Spaß! Vorfreude ist immer noch die schönste Freude.

    Wenn ich an meinen Aprilscherz vom letzten Jahr dachte, kann ich mich heute noch kaum vor Lachen halten. Verstohlen schaute ich mich um. Hat etwa irgendjemand bemerkt, wie ich vor mich hin kicherte?

    Damals hatte ich die Telefonnummer eines Nachbarn herausgefunden und listig bei ihm angerufen. Mit verstellter Stimme plapperte ich gleich darauf los: „Herr Geier. Gut, dass ich Sie zu Hause erreiche. Ich komme gleich bei Ihnen vorbei. Die Fische sind frisch. Ganz frisch. Halten Sie das Geld bitte bereit. Fünfundzwanzig Euro, wie besprochen."

    „Wer sind Sie?" Die Stimme am anderen Ende war alles andere als erfreut und zudem verwirrt. Das machte mir besonders Spaß.

    „Wovon reden Sie? Was für Fische?"

    „Bleib ruhig, sagte ich mir, „er beißt an.

    „Ach Herr Geier. Sie wissen doch genau, wovon ich rede. Sie sind doch Alfred Geier aus der Zinnstraße 19. Ist das korrekt?"

    „Ja, das bin ich", antwortete mir der total verdatterte Geier.

    „Dann bin ich richtig. Sie haben vor zwei Wochen drei Forellen und einen Hecht bei mir für heute bestellt. Für eine Feier wollten Sie ihn besonders frisch haben. Deshalb rufe ich jetzt an. Damit Sie auch da sind, wenn ich liefere."

    „Ich habe keine Fische bestellt, herrjemine!"

    Ich konnte an seiner Stimme hören, wie er sich nur mühsam beherrschte. Das reizte mich noch mehr.

    „Doch. Hier habe ich eine Bestellung von Ihnen vorliegen. Von Geier. Oder war es Ihre Frau?"

    Dann hörte ich, wie Herr Geier seine Frau anschnauzte.

    „Erna. Hast du Fische bestellt? Drei Forellen. Und einen Hecht."

    Ich presste mein Ohr ganz nah an den Hörer. Keinesfalls wollte ich die Antwort seiner Frau verpassen.

    „Ich? Nein. Wieso sollte ich? Wie kommst du nur darauf?"

    Eine Weile diskutierten die beiden hin und her. Jeder warf dem anderen vor, die Fische bestellt zu haben.

    Als ich merkte, dass es in einen Streit ausartete, legte ich auf. Meinen Spaß hatte ich gehabt und ich hoffte, dass die beiden sich wieder beruhigten, sobald ich aus der Leitung war.

    Und der Spaß ging weiter. Einige Tage später sprachen die anderen Hausbewohner mit dem von mir veräppelten Ehepaar im Fahrstuhl über die Fischbestellung, die sie „keinesfalls aufgegeben" hatten, wie sie immer wieder entrüstet versicherten. Auch ich hatte vollkommen entsetzt und empört getan, innerlich jedoch erfüllte mich schelmische Freude. Sogar heute noch hörte ich gelegentlich von meinem gelungenen Streich.


    Für den ersten April dieses Jahres hatte ich mir was Neues einfallen lassen. Etwas, wobei es nicht um Geld ging. Ein plumper Zettel sollte für Ärger sorgen.

    Nach meinem Einkauf brachte ich mein Auto in die Garage und als ich das Treppenhaus betrat, spürte ich sofort, dass das Glück auf meiner Seite war. Drei Nachbarn warteten bereits vor dem Aufzug. Wir begrüßten uns kurz.

    Der Fahrstuhl hielt an und noch bevor sich die Fahrstuhltüren öffneten, hörte man zwei Frauenstimmen keifen, als gäbe es darin einen Wettbewerb zu gewinnen.

    „… kann mir meinen Kaffee verbieten. Niemand! Schon gar nicht in der Früh! Das macht keiner mit mir", schimpfte die eine.

    Die Türen öffneten sich und mit hochrotem Gesicht verließ eine Frau mittleren Alters den Aufzug, ohne uns zu grüßen. Die andere folgte ihr. Sie spuckte die Worte fast aus. Ihre Zähne wirkten dabei wie das gefletschte Gebiss eines Hundes – „Cujo" von Stephen King kam mir dabei in den Sinn.

    „Einen Teufel werde ich tun. Pah, auf meinen Morgenkaffee verzichten – die haben sie doch nicht mehr alle. Ohne Kaffee … da werde ich gar nich’ wach. Sie kniff ihre Lippen zusammen, dass nur noch einen schmalen Strich zu sehen war. Dann presste sie hervor: „Ich beschwere mich beim Hausmeister. … Die können ihren Strom sonst wo einsparen, aber nich’ bei meinem Kaffee. Sollen sie doch an der Beleuchtung sparen. Mir doch egal, wie sie’s machen. Aber nich’ mit mir. Mit mir nich’!

    Verständnislos sahen die wartenden Nachbarn vor dem Fahrstuhl sich an, zuckten vor Unwissenheit die Achseln, betraten die Aufzugskabine und blickten den aufgeregt zeternden Frauen auf ihrem Weg nach draußen nach.

    Zu viert betraten wir den Fahrstuhl. Wie erwartet starrten meine drei Mitbewohner auf ein Schreiben, das ich im Aufzug mit Tesafilm angeheftet hatte. Ich tat so, als ob ich von nichts wüsste.

    Augenblicklich ging es auch schon los: „Das ist ja wohl eine Frechheit, posaunte der junge Mann aus dem fünften Stock. „Jetzt wird uns auch noch verboten, morgens die Kaffeemaschine laufenzulassen.

    Ungläubig linste seine Nachbarin von gegenüber an ihm vorbei auf den Zettel. Sie konnte den Text nicht bis zum Ende gelesen haben, da platzte es schon aus ihr heraus: „Auf keinen Fall verzichte ich auf meinen Kaffee. Sie drehte sich um und tippte sich an die Stirn. „Nur weil morgens der Stromverbrauch so hoch … Sie blies die Backen auf. „Die Sicherung soll herausfallen, wenn alle gleichzeitig Kaffee kochen? Sie lachte gekünstelt auf. „Die spinnen doch. Nee, das machen die nicht – nicht mit mir …

    „Das meinen die aber nicht im Ernst!, sagte wieder der junge Mann aus dem fünften Stock. „Ist ja nun nicht mein Problem – das mit dem Strom. Da beschwere ich mich aber, da können sie Gift drauf nehmen. … Kurt, was sagst’n du dazu?, wandte er sich an unseren dritten Mitfahrer.

    „Ist mir doch egal. Ich trinke keinen Kaffee."

    „Aber doch Tee?", warf sein Kumpel ein.

    „Nein, nur stilles Wasser."

    Ich grinste in mich hinein.

    Der Fahrstuhl hielt im vierten Stockwerk an und ich stieg zufrieden aus, die schimpfenden Nachbarn ließ ich allein.

    Der Streich war gelungen. Es hatte mir gefallen. Zu schade, dass solcherlei Scherzchen nur im April getrieben wurden. Dem wollte ich Abhilfe schaffen und nahm mir vor, mir einige meiner Streiche auch während des Jahres zu erlauben – als Training, damit ich nicht einrosten würde. Meine unzähligen Ideen für Streiche hatte ich mir alle sorgfältig notiert, weshalb ich inzwischen über einen reichen Fundus verfügte. Ich würde hundert Jahre alt werden müssen, um sie alle ausführen zu können. Welch eine Verschwendung der guten Laune wäre es, wenn sie nur in der Schublade vergammeln müssten.

    Ich seufzte auf.

    Kapitel 2

    Seit meinem Aprilscherz mit den Nachbarn war einige Zeit vergangen und als Schalk durch und durch, der ich nun einmal bin, hatte sich meine Ideenschublade weiter gefüllt. Auch Anja konnte mir den Schabernack nicht austreiben.

    Erst seit wenigen Monaten waren wir ein Paar. Jeder besaß den Wohnungsschlüssel des jeweils anderen, dennoch genoss ich es, mich in meine eigene Wohnung zurückziehen zu können, wann immer ich es mir beliebte, um dort tun und lassen zu können, was ich wollte. Anja schien es ebenso zu gehen, denn auch sie plante gelegentlich einen Abend oder ein Wochenende ganz für sich alleine.

    Meine letzte Beziehung war noch nicht lange her, deshalb frage ich mich, ob ich überhaupt schon reif für die nächste war. Anja hingegen schien keine Zweifel zu haben, den sie umgarnte und liebte mich, so wie ich war.


    Bis wir uns treffen wollten, waren es noch einige Stunden. Der Samstagnachmittag gehörte mir ganz allein, den ließ ich mir durch nichts und niemanden verleiden – auch nicht durch Anja. In aller Ruhe würde ich das Fußballspiel im Radio verfolgen. Seit meiner Jugend hatte ich dieses Ritual: Einmal in der Woche hörte ich im Radio die Erste Bundesliga, während ich in der Badewanne lag.

    Hoch oben, auf einem eigens von mir angeschraubten Regal stand mein altes Grundig-Röhrenradio. Es war noch aus den siebziger Jahren und ein Erbstück meines Großvaters. Es war ein schier unverwüstliches Teil. An das deutlich zu kurze Netzteilkabel steckte ich jedes Mal eine Verlängerungsschnur, die bis an die Steckdose am Waschbecken reichte und weit über dem Wasser noch leicht nach schaukelte.

    Ich stieg ins warme Badewasser, entspannte mich, schloss die Augen und ließ den linken Arm über den Wannenrand hängen. Es war herrlich, den Reportern zuzuhören, das Gejohle der Zuschauer im Hintergrund.

    Fünfzehn Uhr dreißig. Die Übertragung ging endlich los. Heute spielte mein Lieblingsverein gegen den unbeliebtesten Verein Deutschlands – oder den beliebtesten, das kam ganz auf die Perspektive an. Jedenfalls den aus dem Süden. Gespannt lauschte ich den ersten Sätzen nach dem Anpfiff.

    Zeitgleich wurde auch in anderen Stadien gekickt und die Moderatoren schalteten regelmäßig hinüber, um einen Überblick über diese Partien zu geben.

    Ich gähnte. Musste das denn sein? Die anderen Spiele ließen einen nicht gerade vor Spannung an den Nägeln kauen.

    „Wir schalten um in das nächste Stadion", sagte der Moderator. Von dort aus klickten sie sich zurück in die bereits laufende Übertragung meines Vereins ein.

    „… setzt sich Meier auf der linken Seite durch und flankt auf Berweg. Der steigt hoch und Tooooooooor – Toooooor!"

    Ich sprang aus dem Wasser auf und jubelte. Mit hoch erhobenen Armen grölte ich zusammen mit den Fans im Stadion: „Ohhh, oh, oh, oh, ohhhohhhhhh! Ich tänzelte vor Glück.

    Dabei berührte ich mit dem Arm das Stromkabel. Noch ehe ich recht realisierte, was geschah, platschte das Röhrenradio in die Badewanne und mich durchzuckte ein Stromschlag.

    Wie in Zeitlupe erlebte ich meinen Fall, denn ich rutschte wie ein nasser Sack ins Wasser. Ich war unfähig zu reagieren.

    In Filmen zischt es und blaue Funken sprühen, sobald Strom mit Wasser in Berührung kommt. Diese wirkungsvollen Effekte fehlen jedoch in der Wirklichkeit. Keine Funken und keine Blitze. Der Strom floss, ohne sichtbar zu sein. Ich zuckte und zitterte – nichts konnte ich dagegen tun, erlebte diese Szene jedoch noch bei vollem Bewusstsein.

    Mich durchzogen fünfzig Milliampere. Zum Sterben zu wenig, dennoch hatte dieses Malheur in meinem Körper einen Schaden angerichtet, dessen Ausmaß mich sprachlos machen würde.

    Kapitel 3

    Mühsam versuchte ich, meine Augen zu öffnen. Es schmerzte. Ich bekam die Lider gar nicht recht auseinander, nur mit größter Anstrengung konnte ich die Augendeckel heben.

    Da erst spürte ich das kalte Badewasser.

    Ich fror.

    Wie lange hatte ich hier schon gelegen? Der Kälte des Wassers nach zu urteilen, muss es schon eine ganze Weile gewesen sein.

    „Hatschi!" Mit dem Handrücken wischte ich mir den Rotz von der Nase.

    Moment mal, was war das?

    Ein Schrecken durchfuhr mich.

    Spielten mir meine Augen einen Streich?

    Das konnte doch nicht wahr sein!

    Ich schielte zu meiner Hand. Doch obwohl ich sie meinem Gefühl nach direkt vor meinen Augen haben musste, sah ich sie nicht.

    Ich griff mir an die Nase. Zwar spürte ich, wie meine Finger meine Nasenspitze berührten, und ich nahm auch wahr, wie ich mir mit dem Handrücken den Rotz wegwischte – sehen konnte ich meine Hand jedoch nicht.

    Meine Augenlider zuckten immer noch, als ständen sie unter Strom.

    Was war hier los?

    Plötzlich war ich hellwach und mein Gehirn arbeitete auf Hochtouren.

    Konzentriert schaute ich an mir hinunter.

    Ich sah nichts.

    Nicht einmal meine Beine, oder das, was dazwischen sein sollte. Rein gar nichts sah ich an Fleisch.

    Das Einzige, was ich erblickte, war verdrängtes Wasser an jenen Stellen, an denen mein Unterkörper zu sehen sein sollte. Wo ich meine Beine wähnte, erkannte ich nur transparente Röhren. Das war ein seltsamer Anblick, skurril und zugleich faszinierend. Mein Körper sah aus wie ein durchsichtiger Tunnel. Alles an mir war unsichtbar.

    Es war nicht nur gespenstisch, eine diffuse Angst kroch im mir empor.

    Verwirrt schüttelte ich den Kopf, kniff die Augen zusammen und riss sie wieder auf.

    Nichts. Keine einzige meiner Gliedmaßen war in fleischlicher Form zu erkennen.

    Lag es an meinen Augen? Spielten sie mir einen Streich?

    Oder was zur Hölle war hier passiert?

    Das Röhrenradio lag noch im Wasser und war vollständig erkennbar.

    Nur ich war nicht zu sehen.

    Langsam erhob ich mich. Dabei beobachtete ich eins: Das Wasser strömte zuerst in Bächen und dann tröpfelte es nur noch herab. Als ich stand, hingen immer noch einzelne Tropfen in der Luft – oder wahrscheinlich an mir. Nur mich konnte man nicht sehen. Ich konnte mich nicht sehen.

    Es war surreal – ich war da und zugleich war ich nicht da.

    Ich stieg aus der Wanne und fischte das Radio samt Kabel aus dem Wasser. Ganz leicht war es zu greifen. Ich konnte es normal und so wie immer berühren.

    Dann wandte ich mich zum Spiegel.

    Nichts.

    Ich sah nichts.

    Aus einem Impuls heraus griff ich nach der Seife und hielt sie vor den Spiegel. Es war gespenstisch: Ich sah, wie ein Stück Seife allein hin und her schwebte. Danach legte ich ein kleines Handtuch auf meinen Kopf. Es schwebte ebenso im Spiegel. Dabei spürte ich es doch auf meinem Haupt.

    Wurde ich verrückt?

    Mir war übel.

    War ich unsichtbar? Alles deutete darauf hin. Nicht einmal im Spiegel sah ich mich selbst.

    Fassungslos starrte ich auf meinen durchsichtigen Körper.

    Dann hatte ich einen Geistesblitz. Ich holte eine Decke, wickelte mich darin ein und blickte in den Spiegel.

    Nichts.

    Ich zog eine Jacke und eine Mütze an.

    Beides konnte ich im Spiegel erkennen, von mir jedoch gab es keine Spur.

    Ein letzter Versuch: Ich setzte meine Skimaske mit Brille auf.

    Doch auch diesmal schwebte die Maske mitsamt der Brille wie auf einem unsichtbaren Kopf, wohl drapiert, von rechts nach links, wenn ich mich seitwärts bewegte.

    Ich selbst blieb unter der Bekleidung nach wie vor unsichtbar.

    Ob ich auch für andere Menschen unsichtbar war? Oder würden sie mich sehen können? Das musste ich herausfinden.

    Mein Experiment würde ich nackt durchführen müssen, denn Kleidungsstücke waren zu sehen, wie ich festgestellt hatte. Ich überlegte, wo ein geeigneter Ort für den Test wäre. Ich sollte mich schnell verstecken können, falls andere mich doch sehen würden.

    Mein Balkon schien mir geeignet. Von den unteren drei Stockwerken aus würde man meinen Unterleib nicht sehen, falls ich für andere nicht unsichtbar sein sollte.

    Mein Herz raste, als ich durch die Tür nach draußen trat. Ich sah mich um.

    Die Balkone ringsherum waren leer, nur auf einem stand eine Frau und goss ihre Blumen. Ich nahm all meinen Mut zusammen. „Hallo, schöne Frau", rief ich laut zu ihr herüber.

    Gespannt beobachtete ich sie. Würde sie mich sehen?

    Ich war darauf vorbereitet, schnell abzutauchen.

    Die Frau sah von ihren Blumen auf. Sie drehte sich um und ließ ihren Blick schweifen. Anscheinend konnte sie niemanden entdecken. Sie zuckte leicht mit den Schultern, dann wandte sie sich wieder ihren Pflanzen zu.

    „Hallo hübsche Frau."

    Wieder blickte sie auf. Sie spähte von Balkon zu Balkon, beugte sich über die Brüstung und betrachtete prüfend auch die Balkone auf ihrer Seite. Verdutzt schüttelte sie den Kopf. Entdecken konnte sie offenbar niemanden, auch mich nicht, als ich aufrecht stand und ihr heftig zuwinkte.

    Ich grinste in mich hinein, als mir der Gedanke kam, das Spielchen noch weiterzutreiben. Aufmerksam sah ich mich nach geeigneten Hilfsmitteln um. Ein kleiner Stein, der in meinen Blumentopf lag, schien mir geeignet für mein Vorhaben. Ich nahm ihn auf, holte aus, zielte und warf.

    Treffer.

    Der Stein landete nur wenige Zentimeter über der Frau an der Wand. Erschrocken zuckte sie zusammen. Sie ließ die Gießkanne fallen und sah sich abermals um. Wieder drehte sie sich neugierig in alle Richtungen und wieder schien sie niemanden zu sehen.

    Dann begann sie zu schimpfen.

    Ich hingegen amüsierte mich königlich, und ich war nun sicher, dass auch andere mich nicht sehen konnten.

    Ich war also unsichtbar.

    Gerade noch enorm belustigt, fühlte ich mich nun betroffen. Schweren Schrittes begab mich in meine Wohnung zurück.

    Was bedeutete das für mich?

    Ich zwang mich, nachzudenken. Das konnte doch alles nicht wahr sein. Was war hier geschehen? War der Stromschlag der Grund dafür, dass ich nicht mehr zu sehen war?

    War dieser Zustand rückgängig zu machen?

    Wie lange hielt die Unsichtbarkeit an?

    Für immer?

    Unsichtbar zu sein war etwas, dass ich aus dem Film kannte. Dass es so etwas wirklich gab, hatte ich bisher nicht einmal in Erwägung gezogen.

    Bisher hatte ich auch angenommen, dass es unmöglich wäre, einen Pudding an die Wand zu nageln. Vielleicht sollte ich es doch einmal versuchen.

    Doch zum Lachen war mir nun wirklich nicht zumute.

    Fragen über Fragen sprudelten in mir auf.

    Ich musste Antworten finden.

    Nackt wie ich war, stürzte ich an meinen PC.

    Er funktionierte nicht. Nochmals drückte ich auf den Schalter.

    Plötzlich fiel es mir wieder ein – die Sicherung hatte ich nach meinem „Unfall" nicht wieder eingeschaltet. Ich rannte in den Flur und drückte auf das kleine Knöpfchen an der Sicherung, dann spurtete ich zurück an den Schreibtisch.

    Viel zu langsam für mich fuhr der Computer hoch. Angespannt starrte ich auf den Bildschirm.

    Schwarz.

    Dann erschien das blaue Fenster-Symbol.

    Die Sanduhr.

    Der Hintergrund mit einer Landschaft.

    Wieder die Sanduhr.

    Endlich – endlich war das Gerät startklar. Ich gab auf Google das Suchwort „unsichtbar" ein.


    Es war bereits dunkel, als ich meine Recherche im Internet müde abbrach, dennoch war ich genauso schlau wie vorher.

    Ich hatte lauter hochwissenschaftliche Erklärungen gelesen, von denen ich nur einen Teil verstanden habe. Auch von einem jahrtausendealten Traum der Menschheit war die Rede gewesen. Nicht nur vom Zwerg Alberich aus der Nibelungensage wurde erzählt, es gab zahllose Geschichten und Legenden. Unsichtbar zu sein galt seit jeher als erstrebenswert für die Menschen. Sogar Alchimisten hatten danach geforscht. Einer von ihnen soll einen Zaubertrank erschaffen haben, der einen für längere Zeit unsichtbar macht.

    Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück. Es schien, als wäre ich nicht der Erste und Einzige, dem dieses Schicksal zuteilwurde, wenn auch bei mir die Ursache eine andere war.

    Auch wenn ich mir schon oft gewünscht hatte, unsichtbar zu sein, so war meine Vorstellung eine völlig andere gewesen. Ich hatte mir ausgemalt, was ich alles anstellen könnte, ohne dabei gesehen zu werden – immer tollkühnere Scherze waren mir in den Sinn gekommen. Nun aber, so völlig unvorbereitet und unwillentlich, war ich immer noch perplex.

    Erneut starrte ich auf den Bildschirm, scrollte weiter nach unten und fand seriösere Artikel über Versuche, die bewiesen, dass man heutzutage schon eine Art Unsichtbarkeit schaffen konnte. Dafür benötigte man viele Spiegel, um eine Lichtablenkung der Metamaterialien herbeizuführen. Denn nur Dinge, auf die Lichtstrahlen treffen, könne man sehen, stand dort geschrieben.

    „Puuuh, dachte ich, „was für ein kompliziertes Zeug. Und aufwendig war es obendrein.

    Bei mir jedoch lag der Fall anders. Ich war unsichtbar, ohne all diesen Klimbim. Der einzige Spiegel, den ich hatte, befindet sich im Badezimmer, und der hatte mit meinem Unsichtbar-Werden nichts zu tun. Doch wie konnte ein Stromschlag dazu führen, dass ich unsichtbar geworden war?

    Es drängte mich, der Sache auf dem Grund zu gehen.

    Martin! Der nervige Martin, der uns in der Mensa früher mit seinen ausschweifenden physikalischen Erklärungen, na ja, genervt hatte. Er würde mir meine rätselhafte Situation vielleicht erklären können. Hastig blätterte ich in meinem Telefonbuch nach seiner Nummer und tippte sie ins Telefon ein. Sogleich war er an der Strippe.

    Nach kurzem Hallo und einem kurzen, holprigen Small Talk fragte ich und tat dabei so, als würde mich dieses Thema rein theoretisch interessieren: „Ist es heutzutage möglich, unsichtbar zu werden?"

    „Du kannst Fragen stellen … Daran experimentieren schon die größten Wissenschaftler der Welt, das kannst du

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