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Essays: Realitäten
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eBook212 Seiten1 Stunde

Essays: Realitäten

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Über dieses E-Book

Essays und Kurzgeschichten – ein bunter Strauß an Beschreibungen der Realität: Kleine Beobachtungen, Begegnungen, Anmerkungen. Ironisch, kritisch, unterhaltsam. Die Geschichten und Beobachtungen stammen beispielsweise aus Südtirol und Schottland oder befassen sich mit alltäglichen Ereignissen. Sie beschreiben, berichten, hinterfragen oder sind fast schon unwirklich.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum30. Nov. 2016
ISBN9783741871894
Essays: Realitäten

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    Buchvorschau

    Essays - Matthias Sprißler

    Ähnlichkeiten

    Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig.

    Dieser Satz findet sich, meist klein gedruckt, in vielen Büchern. Mal ganz vorn, mal im Nachwort. Und dennoch suchen die Leser regelmäßig fast verzweifelt und akribisch nach Ähnlichkeiten. Wer konnte der Figur Pate gestanden haben? Wer hat den Autor inspiriert? Wer könnte Modell gesessen sein? Kenne ich sie oder ihn? Oder will sich der Schreiber gar mit einer prominenten Person beschäftigen? Hat er den Satz nur drucken lassen, um sich vor denen zu schützen, die sich gern beschrieben sehen würden? Oder will er sich nur formal vor denen absichern, die er ganz bewusst ausgesucht und etwas verfremdet hat?

    Die Antwort ist einfach: Nichts ist unmöglich, alles ist denkbar. Wer meint, sich oder einen anderen zu erkennen, sei es als Inspiration, sei es als Abbild einer Romanfigur, wird immer eine Gemeinsamkeit finden. Wer über seine Mitmenschen gut denkt, wird sich geehrt fühlen: Der Autor denkt an ihn und er sieht ihn als einen Menschen mit Ecken und Kanten, mit Licht und Schatten, nicht als eine von vielen grauen Mäusen. Wer dagegen ohnehin bereits mit sich und der Welt hadert, für den mag es Anlass zu neuem Ärger sein, auf den es dann aber auch nicht mehr ankommt.

    Wer aber ganz sicher sein möchte, dass er sich an keiner Stelle meint erkennen zu müssen, der belässt es am besten beim Blick auf das Cover und stellt das Buch ins Regal zurück. Neugierde ist für ihn ohnehin ein Fremdwort.

    Sollte auch nach diesen Sätzen noch Unsicherheit bestehen, so sei zur

    Entscheidungsfindung folgendes verraten: Die Phantasie des Autors reicht nicht zur

    Schaffung reiner Phantasiefiguren. Er möchte auch gar nicht über Aliens im Ufoanflug auf

    Mutter Erde schreiben. So gibt es zwei Typen: Zum einen der Protagonist, der einer realen Figur in einigen Bereichen und Wesensarten nachempfunden ist und zum andern die primär der Phantasie entsprungene Figur, die - für den Leser kaum erkennbar -  mit einzelnen Erscheinungsformen oder Charakterzügen dem Autor bekannter Menschen versehen ist, wobei die Person selbst mit der Geschichte aber nichts gemein hat.

    Also - fast - alles - fast - zufällig.

    Affe

    Wer in Straßburg das Münster sucht, muss entweder den Besucherströmen oder seinem Stadtplan folgen. „Auf Sicht" geht nicht. Erst wenige Meter vor dem Portal wird die Fassade sichtbar, als Bollwerk am Ende der Straße. Unzählige Versuche, die Fassade in ihrer Gesamtheit unverzerrt aufs Celluloid zu bannen oder in Pixel zu verwandeln, sind zum Scheitern verurteilt.

    Ganz anders: Salisbury, das mittelalterliche Sarum, im Süden Englands. Auch hier führen die Straßen zur Kathedrale. Nach Passieren des letzten Hauses weitet sich der Blick: Die Kathedrale ruht im Grünen, vom Portal bis zur Turmspitze, von der Eingangsrosette bis zur Apsis in ihrer Ganzheit wahrnehmbar. Umgeben von grünem Rasen und alten Bäumen, ein Kontrast aus spitzen Bögen und Stein. Ein zum Himmel strebendes, harmonisch-geformtes Bauwerk, errichtet vor bald 1000 Jahren auf den Säulen der Erde. Umgeben von einem vielfach größeren cathedral close, einer Klosterbezirk genannten grünen Oase, der Domfreiheit. Das Gotteshaus im Paradies.

    Im Paradies lebten die ersten Tiere. Zumindest ein Affenpärchen überlebte auch die Sintflut. Und nach der Beschreibung soll ein mit britischem Humor gesegneter Baumeister einen solchen Affen in der Kirche angebracht haben. Mit einer typischen Handbewegung: Kokosnusswerfen. Doch er hat sich im paradiesischen Dschungel gut versteckt, zwischen Heiligen und Helden, Säulen und Bögen. Erst eine freundliche Mitarbeiterin der Kirche kann den Besucher ans Ziel führen: Über dem Eingang zur Sakristei, vielleicht drei oder vier Meter über dem Boden, sitzt er tatsächlich, vor der Messe, in der Messe und nach der Messe: Der Affe mit der Kokosnuss. (2014)

    Allerseelen

    Die Dämmerung kriecht ins Tal. Erst langsam, dann immer schneller, unaufhaltbar. Berge und Tal verschmelzen zur Dunkelheit. In den Fenstern der Häuser gehen die Lichter an, Lichter im Leben. Orange Strahler werden eingeschaltet und langsam heller. Dann erstrahlen Fassaden von Burg und Kirche. Die Kirche selbst ist dunkel. Nur ein ewiges Licht schimmert durch das Fenster.

    Vor der Kirche Kieswege. Dazwischen weiße Grabsteine. Steine mit Namen, Zahlen, Bildern. Steine als Bericht über verflossenes Leben. Steine der Erinnerung.

    Hinter der Kirche nachtgrüner Rasen. Dazwischen zahllose Kreuze. Schwarze Kreuze aus Metall. Im Feuer geschmiedet für die Nachwelt, für die Ewigkeit. Kreuze in unterschiedlichen Kreuzformen. Kreuze in Strahlenform. Verzierte Kreuze, scharf gezeichnet vor dem nachtblauen Himmel. Himmel mit der Resthelligkeit der Vergangenheit, Resthelligkeit der hier schon untergegangenen Sonne. Einer Sonne, die nicht untergeht. Die morgen wieder aufgehen wird. Die untergeht und zugleich aufgeht. Die die Dunkelheit wieder durch Licht ersetzt. Tod durch Leben.

    Den ganzen Tag zuvor waren die Lebenden bei den Toten. Haben am Grab gearbeitet. Für irdische Ordnung am Tor zum Jenseits. Für Schmuck gesorgt für diejenigen, die ihn nicht mehr benötigen. Aber die Lebenden brauchen ihn, zum Zeichen des Gedenkens, zum Ausdruck von Dankbarkeit.

    Sie haben kleine und große Lichter aufgestellt, Kerzen in weißen und roten Gläsern. Zum Abschluss ihrer sorgenden Mühe haben sie die Kerzen angezündet. Ohne ihren Schein zu sehen, bei Tageslicht, zeitig vor dem Vesper, dem Besuch des Gasthofs, der ruhelosen Rückkehr ins rastlose Reich der Lebenden.

    Doch nun ist es dunkel. Außerhalb des Friedhofs. Denn dort leuchten sie nun, hunderte Kerzenlichter in weißem und rötlichem Licht. Vier, fünf oder mehr Lichter auf jeder der kleinen Grabstätten. Jedes Licht eine Verbindung des Toten zu einem noch Lebenden. Sie leuchten in die Nacht, machen die Kreuze sichtbar. Sie leuchten allein, die Lebenden sind schon weg. Sie haben keine Zeit, das Zeichen der Hoffnung, das helle Licht in der dunklen Nacht zu sehen. In der Nacht von Allerheiligen auf Allerseelen.

    (2013)

    Arbeiter im Weinberg

    Ein Vater hatte zwei Söhne und besaß einen Weinberg. Vor Jahren schon hatten die Söhne den Gutshof verlassen. Früher jedoch, als sie noch jung waren, mussten beide mitarbeiten, wenn es darum ging, für die Zukunft einen neuen Weinberg anzulegen. Er hatte die Söhne seinerzeit gerecht entlohnt. Unterschiedlich, aber doch gerecht. Zumindest wollte er sie gerecht bezahlen.

    Wenn der Vater viele Jahre später, nun schon als weiser Greis, auf die Zeit zurückblickte, in der beide Söhne im Weinberg gearbeitet hatten, vermeinte er jedoch ein Rumoren in seinem Gewissen zu verspüren.

    Nun, im hohen Alter, gestand er sich ein, dass beide mit ihrer Arbeit die Grundlage für gute Weinlesen gelegt hatten. Er konnte, wenn er das Etikett auf den Flaschen, die ihm der Kellermeister brachte, nicht betrachtete, selbst nicht mehr unterscheiden, aus wessen Sohnes Pflanzungen der gleichermaßen edle Tropfen stammte. Die Arbeit der Söhne hatte, wie er nun erkannte, denselben Wert gehabt.

    Die Arbeit des Jüngeren, der nicht schnell genug beginnen konnte, der seine Arbeit schnell erledigen wollte und der immer noch, letztlich wertlos, ein bisschen mehr um die Pflanze herumgehäckelt hatte, noch ein Drähtchen mehr verbaut hatte, damit die Pflanze noch zwei Grad senkrechter stand. Er hatte sich von dieser Arbeitsweise damals beeindrucken lassen und hatte die von ihm als sehr gut erachtete Arbeit fürstlich entlohnt.

    Die Arbeit des Älteren dagegen empfand er zeitweise als Zumutung. Spät begonnen, gerade noch rechtzeitig und immer nur das Nötigste. Es war ausreichend, was er vollbrachte, manchmal auch recht gut und insgesamt schon zufriedenstellend. Aber er hatte hierfür ein perfides Lohnsystem erfunden: Empfand er die Arbeit sehr gut, addierte er Lohn auf, empfand er sie nur ausreichend, zog er wieder ab, für zufriedenstellende Arbeit verrechnete er vorsorglich nichts.

    Als er sich dann bei der zweiten Verkostungsrunde an das Resultat seiner Lohnordnung erinnerte, hätte er sich fast gar verschluckt: Gerade ein Zehntel hatte er dem duldsamen Älteren gewährt. Und doch war, wie ein weiteres Glas bestätigte, die Arbeit nachhaltig betrachtet, gleichwertig gewesen.

    Als er sich dies eingestanden hatte, waren ihm sogar Gewissensbisse gekommen. Nein, er war immer ehrlich, hatte sein Wort gehalten. Keiner konnte sich beklagen. Seine Regeln waren bekannt, er hatte nie dagegen verstoßen. Und dennoch: War es richtig, dem jüngeren Sohn dank seines selbst formulierten Regelwerks den vielfachen Lohn zu geben?

    Ausführen

    Wer hat sie nicht schon gesehen! Zuhause in den meisten Städten, Besitzerin eines Fahrrades. Tierlieb. Man sieht sie meist bei gutem Wetter. Einige Exemplare lassen sich auch von schlechtem Wetter nicht beeinträchtigen. Genüsslich, nicht gemütlich radeln sie über den Asphalt. Nur Asphalt ist gut genug für Reifen und Federung. Sie fühlen sich vorbildlich. Ohne Helm, natürlich an der Schule vorbei. Auf dem Fußweg („er läuft doch und ich muss doch dabei sein). Bewegung an der frischen Luft. Und der oder die Kleine soll doch auch raus. Braucht doch Auslauf. Will sich bewegen. Und genau dies darf er oder sie, manchmal sieht man das nicht genau, auch. Stets bei Fuß, im Rhythmus der Pedale. David gegen Goliath im Kampf um Rollwiderstand, Gegenwind, Hitze, harten Asphaltbelag. Ausruhen? Aber nein, wir müssen uns doch bewegen. An manchen Tagen nimmt sie etwas Wasser für ihn mit. Solange es nicht zu heiß ist. Sie schwitzt nicht gern. Kürzlich überholte sie einen Kollegen. Kein guter Herr. Läuft selbst mit. Und die Kleine bei Fuß japst nicht einmal. Kein gutes Training. Hat sie beim Überholen richtig gehört? Spricht er etwa mit dem Kleinen? Unglaublich. Sie spricht nicht („bin ich denn Franz von Assisi?), sie pfeift. Ja, sie pfeift. Laut und durchdringend. Mit ihrer Pfeife. Mehr braucht sie nicht. Die Pfeife, ja sie, die Pfeife. Die Pfeife macht den Mann aus ihr. Den Rudelführer, das alpha-Tier. Sie führt, der Kleine spurtet. Japst nach Luft, kann nicht einen einzigen Gang zurückschalten. Am Berg. Mit

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