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Achter Stock - Endstation
Achter Stock - Endstation
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eBook330 Seiten3 Stunden

Achter Stock - Endstation

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Über dieses E-Book

Leon Walters, Chefredakteur des Koblenzer Tageskuriers, ein unverbesserlicher Morgenmuffel, ansonsten gutmütig, hilfsbereit und voller Engagement stolpert in seinem ersten Fall mitten hinein ins pralle Seniorenleben, denn sein Boss, Alexander Paffrath, bittet ihn, einen Artikel über die Seniorenresidenz Moselblick zu verfassen.
Wie gewohnt recherchiert Leon Walters überaus gründlich. Was er bei seinen Recherchen herausfindet, übersteigt jegliches Maß an Menschlichkeit und Ethik.
Wird es Leon Walters gelingen, die Machenschaften zu unterbinden und die Schuldigen ihrer gerechten Strafe zuzuführen?
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum20. Nov. 2016
ISBN9783741868771
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    Buchvorschau

    Achter Stock - Endstation - Hans-Jürgen Setzer

    Achter Stock - Endstation

    Hans-Jürgen Setzer

    Copyright © 2016 Hans-Jürgen Setzer, Kirchweg 13, 56244 Maxsain

    Lektorat: Autorenteam Ellen Heil und Karin Kuretschka

    All rights reserved.

    ISBN-13: 978-3-7418-6877-1

    Der Auftrag

    Leon Walters kam nach einer kurzen Nacht in die Nachrichtenredaktion des Koblenzer Tageskuriers, holte sich einen Kaffee aus dem Automaten und ging, noch etwas verträumt wirkend, zu seinem Platz im Großraumbüro. Er merkte selbst, dass es für jeden eine Zumutung sein musste, der versuchen würde, ihn jetzt anzusprechen. Schon als Kind war er ein Morgenmuffel. Vielleicht hielt es deshalb auch keine Frau lange mit ihm aus. Abends konnte beinahe jeder problemlos Spaß mit ihm haben, bis in die tiefe Nacht, aber morgens nach dem Aufstehen wurde er ein anderer. Er brauchte einfach seine Anlaufzeit. Die älteren Kollegen in der Redaktion wussten dies nach der Erfahrung der letzten Jahre. Leon Walters arbeitete bereits neun Jahre für den Koblenzer Tageskurier.

    Meist war er für die Abendveranstaltungen im Glamourbereich zuständig, für den Klatsch und Tratsch in der Koblenzer High Society oder über diejenigen, die sich dafür hielten. Die Artikel schrieb er in der Nacht noch in seinen Rechner und meist wurden sie gerne gelesen und brachten viel Lob.

    An einem Montagmorgen aber, so wie heute, war es immer besonders schlimm. Zum einen war da in der Regel ein hartes Wochenende vorüber, das meist zwar viel Spaß gebracht, aber auch viel Kraft gekostet hatte. Und zum zweiten musste er wieder auf die Arbeit, an seinen Schreibtisch oder auch raus in die Kälte. Auch hier war Leon Walters gespalten, zumindest montagmorgens. Sein Beruf machte ihm sehr viel Spaß, aber Freizeit, Urlaub, schlafen, feiern, das war doch das wirkliche Leben. Und wenn sich das verbinden ließ, umso besser.

    Arbeiten, um zu leben, so war es richtig. Doch auch Leon gelang das oft nicht. Sein Beruf forderte vollen Einsatz und bei einer so richtig packenden Geschichte vergaß er auch schon mal sich selbst und seine Bedürfnisse.

    Er setzte sich wie immer an seinen Platz, las das in der Nacht gedruckte frische Exemplar des Lokalblattes und trank in aller Ruhe seinen Kaffee. Er schaltete seinen Rechner ein und schaute sich die eingegangenen Emails an. Die meisten davon warf er direkt in den virtuellen Papierkorb.

    „Alles Müll, und das schon am frühen Morgen."

    Eine Email jedoch konnte er nicht so einfach entsorgen. Sie war vom Chef. Der Zeitungsverleger, Alexander Paffrath, regierte seine Zeitungsredaktion mit strenger Hand. Zeitweise behandelte er seine Angestellten wie kleine Kinder oder er wurde einfach cholerisch und tobte. Auch ein Chefredakteur hatte bei ihm nicht viel zu sagen. Diese liebenswürdige Person hatte Leon Walters beim Lesen der geöffneten Mail vor Augen.

    „Mal sehen, was der Alte will. Der hing bestimmt wieder die ganze Nacht hier im Hause herum und hat sich nette, kleine Gemeinheiten für den Morgen ausgeheckt", dachte Leon.

    „Email von Paffrath an Walters: Seniorenresidenz Moselblick bietet heute eine Führung für die Presse an. Ihr Kollege, Tintzmann, ist krankheitsbedingt wieder mal ausgefallen. Übernehmen Sie den Auftrag. Ich erwarte einen zweispaltigen Artikel, etwa eine viertel Seite, für die morgige Ausgabe. Fühle mich Frau Liebenstein, der Leiterin der Einrichtung, sehr verpflichtet. Bitte beachten Sie das im Ergebnis. Termin heute 9:30 Uhr, Moselblick in Koblenz-Güls.

    Paffrath."

    „Na toll, das klingt ja echt spannend – ein Artikel über eine Seniorenresidenz. Da schlafen mir ja schon beim Thema die Füße ein. So ein Mist. Und Fotos sind wahrscheinlich auch nicht drin, von wegen Datenschutz und so. Ich brauche bald einen anderen Job, wenn das so weitergeht. Und das nennt sich dann Pressefreiheit. Für diese Dinge werde ich langsam zu alt. Das kann er doch einen Praktikanten machen lassen." Leon Walters grummelte so noch eine Weile vor sich hin. Dabei wurde er still und unkommentiert vom Kollegen nebenan beobachtet.

    „Es nützt ja nichts. Wenn der Chef seiner Freundin einen Artikel versprochen hat, dann muss der Walters sich eben etwas einfallen lassen. Also, Leon auf, fahr mal deine grauen Zellen hoch. Schauen wir mal, was das Internet über die Seniorenresidenz so hergibt", sagte die innere Stimme von Chefredakteur Leon Walters.

    Überlebenswichtig erschien ihm zunächst einmal die Verbindung von Paffrath zu Liebenstein. Der Hinweis in der Email bedeutete ja schließlich mehr oder weniger verklausuliert:

    „Walters fahr mal da hin und schreib einen netten Artikel, der die Freundin Liebenstein über den grünen Klee lobt, sodass sie den alten Kumpel Paffrath auch liebhat, kostenlos in unserem Blatt werben kann und dafür bald wieder eine kostenpflichtige Anzeige schaltet."

    Und wie lieb, dass wollte Leon gerne möglichst genau vorher wissen.

    Im Archiv fand er einige Vorlagen, von dem, was der Chef wohl gemeint hatte. Die Seniorenresidenz wurde vom Koblenzer Tageskurier für ihre mustergültige Altenpflege mit wegweisenden neuen Modellen gelobt. Natürlich war diese besonders herausgehobene und qualitativ einmalige Arbeit besonders einer Person zu verdanken: Anna Liebenstein, kaufmännische Direktorin der Seniorenstiftgruppe Gartenparadies.

    Leon musste schmunzeln.

    „Die Frau muss ja echt der Kracher sein. Freundin vom alten Paffrath und revolutionär in der Altenpflege. Was soll das heißen? Wird hier das Klopapier mehrfach verwendet und damit werden Millionen eingespart?"

    Der Kaffee wirkte jetzt langsam. Er sagte zu sich selbst:

    „Leon, reiß dich jetzt mal zusammen, sonst wirst du nie fertig mit diesem tollen Auftrag. Also weg mit dem Sarkasmus und fang endlich an mit seriöser Journalistenarbeit."

    „Hast du was gesagt?", fragte sein Tischnachbar, der bisherige stille Beobachter des kleinen Schauspiels und ein Leidensgenosse aus der Sportredaktion.

    „Nein, nein, hab nur laut gedacht. Für einen Moment dachte Leon, er würde verrückt. „Jetzt rede ich schon mit mir selbst oder meinem inneren Kumpel wie ein Schizophrener. Da wird wohl bald mal wieder ein Urlaub fällig.

    Er sammelte noch einige Daten zum Lebenslauf von Anna Liebenstein, suchte Daten zur Seniorenresidenz und vergeblich nach einem Zusammenhang zu Alexander Paffrath.

    „Ich komm schon noch dahinter. Warts nur ab. – So, dann machen wir uns mal langsam auf den Weg. Vor Ort gibt es vielleicht die besten Informationen oder die leckersten Häppchen, wenn noch niemand da ist oder schon wieder alle weg sind. Alte Journalistenweisheit", sagte Leon laut hörbar.

    „Machen wir uns mal auf den Weg? Redest du mit deinem unsichtbaren Vogel auf der Schulter, Leon?" Der Sportredakteur am Nachbarschreibtisch grinste Leon an.

    „Du hast recht, das Ding werde ich wohl alleine schaukeln müssen. Aber meinen kleinen Vogel nehme ich mit. Komm, Hansi. Dann wünsch ich dir viele Tore und viel Spaß bei dem schönen Wetter im Oberwerther Stadion, lieber Kollege. Steigt der TUS denn irgendwann wieder auf?"

    „Keine Ahnung, Leon. Wenn ich es weiß, bist du der Erste, der es erfährt, denn dann kriege ich endlich den Schreibtisch dahinten am Fenster in der Sonne", sagte der Sportreporter.

    „Träum weiter", entgegnete Leon und ging gemächlich mit seiner alten Lederaktentasche unter dem Arm zum Fahrstuhl.

    Durch die gläserne Wand am und um den Aufzug sah er den Verleger unten warten, offensichtlich, um in sein Büro ins oberste Stockwerk zu fahren. Er hatte seine Morgenrunde gedreht, wie jeden Morgen, um zu demonstrieren: „Schafft was, ich sehe alles."

    „Och, nee, nicht den am frühen Morgen." Leon flüchtete geistesgegenwärtig auf die Toilette und fuhr dann ein wenig später mit dem Fahrstuhl in die Eingangshalle.

    Nach einem kurzen Gespräch mit der netten Dame am Empfangstresen ging er die Treppe hinunter in die Tiefgarage. Er fuhr mit seinem Dienstfahrzeug mit der Beschriftung „Koblenzer Tageskurier – Wir bringen es morgens und auf den Punkt" durch den Montagmorgenverkehr von Koblenz. Dabei musste er über die Brücken der Stadt über Rhein und Mosel nach Güls. Er suchte sich einen Parkplatz, um sich zunächst einmal einen Überblick über die Anlage zu verschaffen. So machte er es immer: vom Allgemeinen zum Speziellen. So hatte er gelernt. Aus seiner Thermoskanne nahm er sich einen zweiten Morgenkaffee und grübelte, wie er am besten herangehen sollte. Ein Blick auf die Uhr zeigte: 8:30, also noch genügend Zeit.

    Besuch im Moselblick

    Leon setzte sich auf eine Bank in die Sonne vor der Residenz. Dort hatten es sich auch viele Bewohner der Einrichtung gemütlich gemacht. Einige hatten es eigenständig bis hierhin geschafft. Andere waren in ihren Rollstühlen hergebracht worden und wirkten wie abgestellt. Zumeist hielten sie ihre geschlossenen Augen in die Sonne.

    „Tot oder lebendig?, fragte sich Leon. „Nein, bestellt und nicht abgeholt, dachte er. „Hm, könnte ja eine spannende Geschichte daraus werden. Aber irgendwie auch nicht, wenn es nur nett und kostenlose Werbung für diese Liebenstein werden sollte. Vielleicht mache ich einfach zwei Geschichten. Die für den Chef und eine auf Reserve für die nachrichtenarme Zeit."

    „Na, junger Mann, besuchen Sie einen Verwandten bei uns? Einen schönen Tag haben Sie sich dafür ausgesucht", sagte eine weißhaarige Dame im Rollstuhl, die zu den abgestellt Wirkenden gehörte.

    „Ja, ein sehr schöner Sonnentag. Das tut gut, nach der verregneten letzten Zeit. Wohnen Sie schon lange hier?" Leon dachte durch eine neue Frage, die Beantwortung der an ihn gestellten Frage umschiffen zu können. Aber weit gefehlt.

    „Sind Sie der Sohn von Frau Moritz im zweiten Stock? Sie sehen ihr ja so ähnlich."

    „Nein, junge Frau, ich wollte mich hier nur informieren."

    „So, na dann", antwortete sie fast ein wenig beleidigt klingend.

    „Ist es denn aus Ihrer Sicht empfehlenswert, einen lieben Verwandten hierher zu bringen?" Das war doch eine gute Richtung dachte Leon. Quellenarbeit.

    Doch dann näherte sich eine junge Dame in Weiß. „So, Frau Lesinsky, jetzt müssen wir aber zu Ihrem Friseurtermin. Dann machen wir Sie schick für unsere Tanzparty."

    Die nette junge Pflegerin holte die Dame ab und unterbrach somit das kaum begonnene Gespräch.

    Jetzt fühlte sich Leon ein wenig wie bestellt und nicht abgeholt. „Das fing ja gut an. Vielleicht sollte ich einfach mal die Veranstaltung abwarten und hinterher weiterschauen. Es ist ja auch schon fast halb zehn. Auf ins Gefecht", dachte er und stand auf.

    Die Führung

    Die Eingangshalle des Seniorenstifts wirkte von der Ausstattung her gar nicht wie ein Krankenhaus oder ein Altenheim, mehr wie die Lobby in einem Hotel. Einige Kolleginnen und Kollegen standen schon mit ihren Diktiergeräten und Notizblöcken bereit. Alle schauten gespannt hin und her. Offensichtlich war noch nicht klar, wo die Attraktion des Tages zu finden sein würde.

    Auf einigen Tischen standen kleine Häppchen, Kekse, Kaffee, Tee, alles schön arrangiert und Pressemappen mit Hochglanzprospekten der Einrichtung und ihrer Leitsätze.

    Pünktlich um 9:30 Uhr kam eine Dame im Hosenanzug zielstrebig auf die größte Menschentraube in der Empfangshalle zu. Schätzungsweise war sie etwa 165 Zentimeter groß, dürfte vielleicht 50 Kilogramm schwer oder leicht sein und schien mit sportlich durchtrainierter Figur Durchsetzungswillen, Gesundheit und Leistungsfähigkeit demonstrieren zu wollen. Ihre sexy Brille und das lange, gelockte blonde Haar, das zurückgebunden streng wirkte, sorgten ebenfalls dafür.

    „Guten Morgen meine Damen und Herren, mein Name ist Anna Liebenstein, kaufmännische Direktorin der Seniorenstiftgruppe Gartenparadies und aktuell auch Leiterin des Seniorenstiftes Moselblick.

    Ich freue mich, Sie heute hier so zahlreich begrüßen zu können und danke Ihnen für das Interesse an diesem sehr wichtigen Thema. Wir behandeln heute auch Ihre Zukunft und interessante Lösungsansätze, die ich Ihnen gerne vorstellen möchte. Im Laufe unseres Rundganges wird ausreichend Gelegenheit sein, Fragen zu stellen und diese natürlich, wenn möglich, auch zu beantworten. Ich bitte Sie, nicht zu vergessen, dass wir uns in einem Seniorenstift mit dort lebenden Bewohnern befinden. Bitte respektieren Sie weitestgehend die Privatsphäre und den Datenschutz. Bleiben Sie bei der Gruppe und halten Sie sich an Anweisungen unseres Personals. Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass an dieser Führung nur geladene Gäste der Presse mit Einladungsschreiben teilnehmen dürfen. Ich danke Ihnen. Bitte folgen Sie mir."

    Leon war zufällig an der Spitze der etwa 20 Personen umfassenden Gruppe. Sie gingen einen langen Korridor entlang. Überall an den hellen Wänden hingen freundliche Bilder mit bunten Farben und fast ins Kitschige gehenden Motiven. Blumen, spielende Kinder, schmusende Katzen, tollende Hunde, Landschaften am Meer und in den Bergen.

    „Heile-Welt-Bilder", dachte Leon.

    „So, meine Damen und Herren, unsere erste Station. Bilden Sie bitte einen Halbkreis, damit jeder etwas sehen kann. Hier sehen Sie den sogenannten AWA 3000, den Altenwaschautomaten mit computer- und sensorgesteuerter Waschstraße."

    Fotoapparate blitzten und Diktiergeräte wurden mit langgestrecktem Arm entgegengehalten.

    „Was Sie früher nur Ihrem liebsten Spielzeug, Ihrem Porsche oder Ferrari gönnten, dürfen heute auch unsere Senioren hier genießen. Schon bei Autos war ja klar, dass Waschstraßen viel schonender mit dem Lack umgehen, als eine Handwäsche. Und haben Sie einmal einen ganzen Tag lang im Minutentakt alte Menschen gewaschen? Das macht keine Altenpflegerin oder eine Krankenschwester länger als ein paar Jahre, dann ist der Rücken kaputt und die Senioren beschweren sich auch über die Waschaktion. Im AWA 3000 wird das Waschen zum reinsten Vergnügen. Sehen Sie hier unseren Holger."

    Ein junger, schlanker Mann mit verkehrt herum aufgesetzter Baseballkappe stand kurz auf und nickte.

    „Mühelos kann er am Computerbildschirm jeden einzelnen Schritt verfolgen und könnte notfalls auch eingreifen. Über Lautsprecher und Mikrofon sind beide miteinander verbunden. Bewohnerorientiert kann die Lieblingsmusik eingespielt und die Intensität der Waschbürsten reguliert oder sogar das Lieblingsshampoo eingestellt werden. Das ist alles in einer Datenbank aus langjährigen Erfahrungen mit den Bewohnern gespeichert. „AWA und – Alles-wird-angenehmer, früher hieß es Anneliese wäscht Anton."

    Alle lachten.

    „Doch, das mag auch nicht jeder. Beim AWA wird auch die Intimsphäre besser gewahrt. Die Waschaktion wird zwar aus juristischen Gründen auf Film mitgeschnitten, doch damit erklären sich alle Bewohner schriftlich im Aufnahmevertrag einverstanden. Es gibt also keine versteckte Datensammlung und es ist ja auch zu ihrer Sicherheit. Und medizinisch ist der AWA individuell einsetzbar. Fehlt ein Bein, erkennt das der Sensor. Gibt es Läuse- oder Pilzbefall wird automatisch das richtige Medikament im Waschschaum appliziert. Hierfür haben die Bewohner natürlich vorher ihr Einverständnis schriftlich gegeben. Bei uns läuft nichts hinten herum. Ist das nicht Fortschritt? Sie sehen, Sie können sich auf Ihren eigenen Seniorenstiftaufenthalt freuen."

    Leon spürte zwar eine gewisse Faszination von dem Gerät und der sprühenden Energie von Anna Liebenstein ausgehen, aber er entwickelte das Bedürfnis, einen Satz mit einem Aber am Anfang einzustreuen. Und wenn es einfach nur als Gegenpol für die fast schon euphorische Stimmung in der Journalistengruppe formuliert werden musste. Und er wollte gerne die Spontaneität von Anna Liebenstein testen. Das wirkte doch alles sehr auswendig gelernt und künstlich.

    „Aber fehlt den älteren Menschen damit denn nicht die Zuwendung? Sind sie wirklich zufrieden mit so etwas?", hörte er sich selbst sagen.

    Ein strenger Blick von Frau Liebenstein fiel zu ihm.

    „Dürfte ich Ihren Namen wissen, junger Mann? Einfach, damit ich Sie alle bei der Gelegenheit mal kennenlernen kann."

    „Gerne, Leon Walters, Frau Liebenstein, Koblenzer Tageskurier."

    „Schön, Sie kennenzulernen, Herr Walters. Ihr Chef, Herr Paffrath, sprach in höchsten Tönen von Ihnen. Eben noch habe ich mit ihm telefoniert", entgegnete Frau Liebenstein.

    Leon wechselte ein wenig die Farbe. Damit hatte er nicht gerechnet. „Gerissenes Biest", dachte er.

    „Auf diese Frage habe ich gewartet. Sie wird immer wieder gestellt. Gleich werden Sie die Antwort sehen. Wir haben natürlich das ebenfalls computergesteuerte Haustier, nach Wahl des Bewohners, Katze, Hund, Vogel und garantiert keim- und flohfrei."

    Wieder ging ein Lachen durch die Besuchergruppe.

    „Haben die auch eine Körpertemperierung, Frau Liebenstein", schob Leon Walters schnell die Frage ein.

    „Aber selbstverständlich, Herr Walters, außer den Hausfröschen und den Fischen haben alle 37 Grad, sodass es sich auch wirklich kuschelig anfühlt. Möchten Sie mal fühlen?"

    „Wow, gut gekontert, dachte Leon. „Danke, später vielleicht. Das scheint ja wirklich bis in die Details durchdacht zu sein, antwortete er mit einem Lächeln auf den Lippen.

    „Jetzt passen Sie einmal ganz genau auf. Es kommt noch besser. Hier sehen Sie Frau Müller, 78 Jahre alt. Einen kleinen Applaus für Frau Müller, die sich für diese Demonstration zur Verfügung gestellt hat."

    Die Menge applaudierte.

    „Sie leidet seit 20 Jahren an Diabetes und muss deshalb im Blutzucker überwacht werden. Ihre Schmusekatze übernimmt das. Achtung, wir haben jetzt eine Minute vor zehn Uhr. Schauen Sie einmal ganz genau hin."

    Frau Müller streichelte ihre Katze und es schien beiden zu gefallen. Plötzlich fauchte die Katze und haute mit ausgefahrenen Krallen in den Arm.

    „So, das war die Blutentnahme, und hier am Display können Sie ablesen: Blutzucker Müller 90 um 10 Uhr. Ist das nicht toll?"

    Frau Liebenstein überschlug sich dabei fast in ihrer eigenen Begeisterung. Die Menge raunte und murmelte.

    „Und nicht zu vergessen unseren ASS, fuhr sie fort und fügte hinzu: „Früher war das die Revolution einer Kopfschmerztablette. Heute ist das die modernste, sensibelste Schmusemaschine auf dem Markt. Ebenfalls von der innovativen MMF, der Medizinischen Maschinenfabrik in Dresden wurde der Alten-Schmuse-Sessel, kurz ASS oder für den weltweiten Einsatz in Englisch OPC, old people´s chair, entwickelt. Sie werden ihn gleich sicher irgendwo in Aktion sehen, denn irgendwo schmust irgendwer immer.

    Neuerliches Lachen.

    „Und ich sage Ihnen, der kann sogar noch mehr als schmusen, denn jeder hat ja so seine Bedürfnisse, nicht wahr, meine Damen und Herren? Das könnte dann sogar den Enkel interessieren, was der Sessel so alles draufhat. Aber das lassen wir heute."

    „Schade, jetzt wo es doch spannend wird", warf Leon ein.

    Ein letztes Lachen ging durch die Menge.

    Anna Liebenstein warf ihm ein Augenzwinkern zu. „Ein anderes Mal vielleicht, Herr Walters. So, damit wären wir am Ende unserer heutigen Presseführung. Weitere Fragen stellen Sie bitte schriftlich mit Ihrem vorläufigen Artikelentwurf, den ich, wie immer bis morgen früh, um sieben Uhr, in meinem Email-Postfach erwarte, denn ich habe heute leider noch sehr viel zu tun. Wir erwarten zehn neue Heimbewohner, die ja alle gerne individuell begrüßt werden möchten. Auf Wiedersehen, meine Damen und Herren – spätestens mit 70." Anna Liebenstein verschwand mit einem Lächeln auf den Lippen im Aufzug. Ein paar Kameras und Blitzlichter klickten und weg war sie.

    Lust oder Frust?

    Leon Walters spürte eine Mischung aus ganz tief im Bauch empfundenem Ärger und gleichzeitig auch Faszination. So elegant und charmant war er schon lange nicht mehr abgekanzelt worden. Die Mischung aus Wut und Erregung wurde zu einem innerlichen Beben, das seinen Ausgang suchte.

    „So eine arrogante Gans, lässt uns einfach hier so stehen, entfuhr es ihm. Das milderte seine Unruhe nur minimal. „Blöde Kuh! Schon besser. „Na, der werde ich es zeigen. Gut, das war der Impuls, der weiterführen könnte. „Ich werde einen Artikel schreiben, über den sie noch lange nachdenken wird, diese Schnepfe. Er wusste aber auch schon wenige Augenblicke später, dass durch den Auftrag seines Chefs der Spielraum gegen null ging. Den Ärger würde er also runterschlucken müssen.

    Leon Walters erfuhr Respekt und Aufmerksamkeit bei Veranstaltungen, die er besuchte. Jeder wollte eine gute Presse. So etwas wie heute war ihm noch nie widerfahren. Dabei wäre Anna Liebenstein sogar so etwas wie sein Typ, wenn man das so ausdrücken konnte. Sie hatte etwa sein Alter. Er schätzte sie so um Ende 30, Anfang 40. Im Laufe der Jahre hatte er so seine Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht gemacht. Er wirkte auf Frauen, sicher einerseits aufgrund seines Charmes und des Intellektes, den er zweifelsfrei hatte.

    Schon im Studium der Germanistik und im Nebenfach des Journalismus bemerkte er oft die Blicke der Mitstudentinnen. Auf Partys hatte er immer sehr schnell Kontakt, der auch meist bis zum nächsten Morgen dauerte. Äußerlich bevorzugte er eher den sportlich-legeren Stil in seinen Klamotten. Nur sehr selten sah man ihn in Anzug und Krawatte. Und das war bis heute so geblieben. Er hasste Verkleidungen, wie er sie nannte. Andere konnten machen, was sie wollten, aber er wollte durch sein Inneres überzeugen, nicht durch seine Fassade. Obwohl, manchmal war er sich da nicht ganz so sicher. Warum schauten ihm alle hinterher? Sein Inneres kannten sie dann ja wohl noch nicht.

    Und trotz der Beliebtheit bei den Damen war Leon immer solo gewesen. Mehr als ein kurzer Flirt, höchstens über einige Wochen, war nicht drin. Dann brauchte er seine Freiheit zurück. Dann störte plötzlich die Nähe der anderen Person. Er fühlte sich eingeengt und fast erdrückt.

    „Wie kriege ich eine spannende Geschichte über den Moselblick hin?" Klar, einen kurzen Artikel über Moselblick und Frau Liebenstein für

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