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Caspar rund das Meer spricht Englisch: Caspars Sohn sollte seine erste Amerikareise antreten und wieder tobte ein gewaltiger Krieg auf den Meeren. Auch Caroline schuftete als Kontoristin bei Kock & Konsorten entgegen allen Regeln ...
Caspar rund das Meer spricht Englisch: Caspars Sohn sollte seine erste Amerikareise antreten und wieder tobte ein gewaltiger Krieg auf den Meeren. Auch Caroline schuftete als Kontoristin bei Kock & Konsorten entgegen allen Regeln ...
Caspar rund das Meer spricht Englisch: Caspars Sohn sollte seine erste Amerikareise antreten und wieder tobte ein gewaltiger Krieg auf den Meeren. Auch Caroline schuftete als Kontoristin bei Kock & Konsorten entgegen allen Regeln ...
eBook664 Seiten9 Stunden

Caspar rund das Meer spricht Englisch: Caspars Sohn sollte seine erste Amerikareise antreten und wieder tobte ein gewaltiger Krieg auf den Meeren. Auch Caroline schuftete als Kontoristin bei Kock & Konsorten entgegen allen Regeln ...

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Über dieses E-Book

Nachdem der Reeder und Kaufmann Caspar Kock seinen Kindern Caroline und Cornelius von den tragischen und spannenden Ereignissen berichtete, die seit seiner ersten Walfangfahrt folgten, sollte Cornelius selbst den Atlantik als 1. Offizier eines Amerikaseglers überqueren, um neue Märkte in Übersee zu erschließen, ohne das britische Handelsmonopol in der Neuen Welt zu verletzen. Dabei war Caspar mit seiner Familie uneins, wie die Ziele im Unternehmen erreicht werden können. Das heikle Unterfangen, dass mitten im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg 1777 begann, scheiterte bereits in London bei den Geschäftspartnern von Kock & Konsorten und brachte ihnen zu Hause eine Klage des ewigen Kontrahenten Faltermeier vor dem Hamburger Senat ein. Doch die Kocks entwickelten hartnäckig einen neuen Plan ähnlicher Zielsetzung, ohne rechtliche Konsequenzen der Kolonialmächte heraufzubeschwören. Die Reise begann, doch ein Piratenangriff auf dem Atlantik brachte wiederum die Unternehmung in Gefahr Doch das Ziel wurde weiter verfolgt. Die Kocks wollten eigene Handelswege von Amerika nach Hamburg und es ging deshalb in die Karibik, wo neue Überraschungen auf sie warteten.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum18. Sept. 2014
ISBN9783737508292
Caspar rund das Meer spricht Englisch: Caspars Sohn sollte seine erste Amerikareise antreten und wieder tobte ein gewaltiger Krieg auf den Meeren. Auch Caroline schuftete als Kontoristin bei Kock & Konsorten entgegen allen Regeln ...

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    Buchvorschau

    Caspar rund das Meer spricht Englisch - Carsten Hoop

    Inhaltsverzeichnis

    Caspar und das Meer spricht Englisch

    1. Prolog / Kapriolen der Nacht

    2. Wechselspiel der Generationen

    3. Bruch des Bandes

    4. Der Beschluss

    5. Fishbones Welt

    6. … und das Meer spricht Englisch

    7. Der Waldläufer aus Hamburg

    8. Gegen den Strom

    9. Jacobs Spuren

    10. Die Stunde der Wahrheit

    11. Albtraum

    12. Lautlos übers Meer

    13. Der steinige Weg zu neuen Ufern

    Caspar kehr wieder! – Zweites Buch

    14. Die Vision aus der Distanz

    15. Der Besuch

    16. Wettkampf um die Zukunft

    17. Die dritte Fahrt

    18. Französischer Konvoi

    19. Das Schaf im Wolfspelz

    20. Überraschung in Türkisblau

    21. Rum gekommen

    22. Spuren im Sumpf vergangener Zeit

    23. Rebellion am Mississippi

    24. Phase der Entwicklung

    25. Amerikaner!

    26. Naturgewalten

    27. Die Geduldsprobe

    28. Wiedersehen in Schwarz

    29. Bräsows Vermächtnis und andere Katastrophen

    30. Die Kraft der Liebe

    31. Das verspätete Unglück

    32. Eilige Formalität

    33. Hilfe für Onkel Clemens

    34. Der Besuch in Altona

    35. Winter in La Rochelle

    36. Fata Morgana?

    37. Das Grauen unter uns

    38. Visite für einen Augenblick

    39. Die neue Zeit

    40. Nachwort

    41. Personen der Handlung

    42. Quellenliteratur

    43. Historische Hintergründe

    Abb. B Baumhaus und Hafen. Sicht von der Malerbrücke über den Hamburger Binnenhafen

    Caspar und das Meer spricht Englisch

    Caspar Kock, der jüngste Sohn einer Hamburger Reeder Familie, landet beim Walfang durch den Beschuss der Briten im amerikanischen Kolonialkrieg. Dieses Ereignis (Caspar im Fahrwasser der Geschichte) ist sogleich Wendepunkt einer einstmals glücklichen Familie: Er erzählt seinen Kindern Cornelius und Caroline 22 Jahre später von seinen Amerikareisen und den folgenschweren Begebenheiten und lässt die Zeit bis zur Gegenwart jener Tage aufleben, nachdem er großes Interesse bei ihnen feststellte. Denn nun stand Cornelius` erste Amerikareise an und wieder tobte ein gewaltiger Krieg auf den Meeren. Auch Caroline schuftete, entgegen allen gesellschaftlichen Normen, als Kontoristin bei Kock & Konsorten und hatte als Vertreterin des weiblichen Geschlechts einen erheblichen Anteil am Geschäftserfolg. Mit veränderten Rollen im Familiengefüge und neuen Schwierigkeiten waren sie in der Gegenwart angekommen und der Wind wehte ihnen nicht nur auf den Meeren um die Ohren.

    1. Prolog / Kapriolen der Nacht

    Sie verfolgten uns auf dem verblockten Fluss, der schon alleine ohne ihre mörderischen Absichten ein riskantes Unterfangen für mich darstellte. Mit geübten Paddelschlägen kamen ihre Kanus immer näher. Jean Baptist, der Kundschafter, den man sonst nie hörte, schrie nun aus seinem Baumrindenboot: „Genau dort gehen wir an Land!" Er wies uns unmissverständlich den Weg. Plötzlich zerfetzte die bleihaltige Fracht des Feindes die Schulter von Jean-Claude Aimauld, der durch die enorme Wucht des Geschosses kopfüber in das Kanu fiel und sich fortan nicht mehr rührte. Wen würde es als Nächsten erwischen? Für Hilfe und irgendwelche Regungen blieb keine Zeit. Wir mussten seinen Tod einfach hinnehmen. Als ob die Tat uns nicht bekümmerte, als ob Jean-Claudes Ableben uns überhaupt nicht interessierte, paddelten wir das letzte Stück verbissen weiter, ohne nach links oder rechts zu gucken. Mit großer Mühe und letzter Kraft erreichten wir ein kurzes Stück landungstauglichen Ufers, auf das die Boote rutschten. Es ging ums nackte Überleben. Eilig verließen wir das Vorland. Die Verfolger saßen uns im Nacken. Ich ließ notgedrungen den 1. Offizier unseres Walfängers Konstanze im Kanu liegen, ohne zu wissen, ob er nur verletzt oder bereits tot war. Den Matrosen Peter hatten wir bereits unterwegs auf dem Fluss verloren, nachdem ihn eine Kugel getroffen hatte und sein halber Kopf zerbarst und in alle Richtungen verstreut wurde. Hinter mir brüllte Simon, denn sie waren schon da, bis ihn eine große Kugelkeule zum Schweigen brachte. Ich drehte mich um und zog meine Handfeuerwaffe, die ich mir im geladenen Zustand eigentlich bis zu meinem Ende aufbewahren wollte. Der völlig rot bemalte Indianer, der seine Kriegslust durch die kahl geschorenen Seiten des Kopfes unterstrich, hatte seinen vorsintflutlichen Totschläger – die Kugelkeule – zum letzten Mal geschwungen. Glücklicherweise erwischte ich ihn und er sah bis zuletzt zu dem kleinen Springbrunnen auf seiner Brust, den mein Schuss verursacht hatte. Schließlich brach er mit klagendem Geheul zusammen. Mir lief ein kurzer feuriger Schauer bei seinem Anblick über den Rücken. Dabei war es für die Irokesen ein durchaus ehrenvoller Tod, im Kampf zu sterben. Nicht viel anders als der ehrenvolle Tod auf dem Feld für das Mitglied eines europäischen Offizierskorps. Seine Familie wird stolz auf ihn sein. Aber zum Teufel mit ihm – armer Simon, du hast ein solches Ende nicht verdient!

    Unser Expeditionsleiter Capitaine Maurice Martier hatte seinen gleichrangigen Freund der französischen Armee, Jean-Claude Aimauld, ebenfalls am Fluss liegen lassen müssen. Die Pfeile der Irokesen rauschten immer dichter an unseren Köpfen vorbei, nachdem sie ihre veralteten Flinten abgeschossen hatten und nun ihre bewährten Waffen bemühten, die nicht mit Pulver und Blei nachgeladen werden mussten. Sie kamen nun mit allerlei Kriegsgeschrei immer näher. Die schwirrenden Geräusche der kunstvoll gefertigten Geschosse lösten noch nie da gewesene Panikattacken in mir aus. Meine Beine wollten nicht mehr und die Atemluft wurde knapp. Die Angst verwandelte sich plötzlich in schäumende Wut, die meinen Antrieb neuerlich beflügelte. Es wäre geradezu sinnlos, hier in der Wildnis einfach so zu sterben! Derweil schwor ich mir inständig, mein Schweiß sollte die einzige Flüssigkeit bleiben, die an diesem Tage an mir hinabrann.

    Wir waren mitten in Amerika auf dem Alleghenyfluss in einen Hinterhalt geraten und sahen uns einer gewaltigen Übermacht der britischen Verbündeten, den Irokesen, ausgesetzt. Die Briten selbst zeigten sich heute nicht mit ihren grellen Rotröcken, quakenden Dudelsäcken, großen bunten Bannern und durchdringenden Trommeln. Meine Wegbegleiter verloren sich in der grünen Hölle des allgegenwärtigen Buschwerks. Lediglich unser Waffenmeister Hannes und Strandläufer, der Micmac-Kundschafter, wusste ich neben den Verfolgern in meiner Nähe. Sie griffen im letzten Moment die zusätzlichen Waffen aus unserem Reisegepäck und kamen zuletzt auf der Kuppe des armseligen Hügels an, der nach dem Willen des Kundschafters unsere Trutzburg werden sollte. Enttäuscht schauten die beiden Maurice und mich an, als sie uns von entschlossenen Indianern umstellt sahen. Sofort verschnürten die Irokesen uns, wie es die Spinne im Netz mit ihrer Beute machte. Noch bevor wir begriffen, dass es besser gewesen wäre, im Kampf zu sterben, als ihnen lebend in die Hände zu fallen. Ein muskulöser stämmiger Krieger schrie mich an, als ob ich wie ein frecher Lausbub etwas ausgefressen hätte. Ein Schweißausbruch jagte den nächsten. Ein kleiner dicklicher Krieger machte uns mit bösem Blick unmissverständlich deutlich, dass er eine Unterhaltung zwischen uns nicht duldete. Sein Gewehrkolben streifte prompt meine Wange. Ein anderer mit grell bemaltem kahlen Schädel und einem letzten Haarbüschel, das mit blau gefärbten Vogelfedern verfeinert war, ritzte mit seinem Messer langsam die Kopfhaut von Maurice vor dem Haaransatz der Stirn auf. Der machte darauf keinen Piep. Der Gelbkahlkopf zeigte uns eindrucksvoll, wie die Irokesen mit ihren Feinden umzugehen pflegten und an welchem Gürtel Maurices Skalp bald hängen sollte. Am Fluss fielen jetzt nochmals Schüsse. Zuerst dachte ich, dass Hilfe naht. Doch wahrscheinlicher war, dass unsere verletzten Weggefährten den Gnadenschuss erhielten. Oder konnten sie vielleicht fliehen? Danach blieb es dort ruhig, während wir auf den Abtransport warteten. Wohin wird es jetzt gehen? Unsere Zukunft schien von kurzer Dauer und fragwürdiger Qualität zu sein.

    Die Situation ließ nur einen flüchtigen Gedanken zu. Einen seidenen Hoffnungsschimmer, den ich nun zumindest konkret auszudrücken vermochte. Vielleicht konnte einer unserer Leute fliehen und der übrigen Welt von unserem Schicksal berichten. Das wäre eine Genugtuung. Wenn zumindest Lisa von mir hören würde. Lieber diese Geschichte als gar nichts hören und sein Leben im Ungewissen weiter leben. Wie schrecklich wäre das für die Familie. Was war aus Louis Garant, dem zweiten Kundschafter unserer Expedition geworden? Er kannte sich doch in dieser Wildnis aus und war im Grunde solcher misslichen Lage gewachsen! Es musste einfach irgendjemand entkommen sein. Ich betete insgeheim, wie meine Lisa es tat, wenn etwas schief lief, und dachte eine Zeit lang an nichts anderes mehr. Denn, daran bestand kein Zweifel mehr, Maurice, Strandläufer, Hannes und ich – wir waren so gut wie tot.

    Keiner von uns sah noch einmal den Fluss oder erfuhr etwas von den anderen. Strandläufer, der von unseren französischen Kundschaftern als zusätzlicher Fährtenleser angeheuert worden war, versuchte auf die verzierten Halbnackten einzureden, deren Gesäße lediglich mit Hirschhäuten und Wampungürtel bedeckt waren. Ein dumpfer Schlag beendete seinen Vermittlungsversuch. Dabei war er der Einzige, der sich mit den Irokesen verständigen konnte. So wie sich Indianer untereinander immer verstanden, ohne unbedingt gleichen Sprachfamilien anzugehören. Hannes fluchte fürchterlich, wie es seine Art war, wenn ihm die Worte fehlten. Mit verbundenen Augen trieben sie uns wie Vieh in einem Gewaltmarsch durch den tiefen Wald. Wer nicht parierte, spürte die mit Knoten versehenen Lederriemen der Peiniger. Doch keiner gab ohne weiteres auf. Jeder hing an dem bisschen Leben, das ihm noch blieb, und hoffte irgendwie, dass ein womöglich günstiger Verlauf der Geschehnisse unsere Aussichten verbesserte. Bald war das Rauschen des Flusses nicht mehr zu hören und eine unheimliche Stille breitete sich aus, gepaart mit der Dunkelheit der verdeckten Augen, die nur vom Peitschen der Lederriemen unterbrochen wurde. Ich spürte meine Füße nicht mehr und versuchte, den Gehrhythmus im Takt beizubehalten. Immer wieder stolperte einer von uns über Baumwurzeln oder Felsbrocken und riss den Rest der verknoteten Truppe zu Boden, sodass mein Bestreben immer wieder scheitern musste. Dann fuhren wir mit plump gebauten Kanus aus Ulmenrinden über einen See, der zu den Größeren seiner Art zählte. In der Nacht erreichten wir die Langhaussiedlung der Irokesen. Erst in einem der praktischen Häuser aus Baumrinde, die aus wiederverwendbaren Pfahlgerüsten konstruiert waren, gaben sie uns die Orientierung zurück, nachdem wir an kleinen Pfählen im Langhaus angebunden worden waren. Wir hatten einen geheimen Ort erreicht, wie Strandläufer uns – immer noch benommen von seinem Strafhieb – zuflüsterte. Er hatte von dem heftigen Schlag eine große Beule am Kopf davongetragen. Ich erstarrte vor Schreck, als mein Blick auf Maurice Martier fiel. Der französische Capitaine hatte sich eine klaffende Wunde an der Stirn zugezogen. Scheinbar hatte der Indianer den Schnitt vorhin nicht nur angedeutet, sondern bereits angefangen, ihn zu skalpieren. Das Blut floss in seine Augenhöhlen, über seine Nase und die Wangen entlang. Er zeigte keine weitere Regung und war wohl am Rande der Bewusstlosigkeit. Wie schaffte er nur diesen Gewaltmarsch? „Strandläufer, wo sind wir?, fragte ich den Fährtenleser leise, als die Möglichkeit dazu bestand. „Wir sind mindestens sechs Stunden gelaufen – vom Fluss weg nach Süden und über den See. In der Zeit schafft man in unserem Zustand zwanzig Kilometer zu Fuß und mit dem Kanu vielleicht nochmals zehn Kilometer. Ihn strengte selbst das Sprechen an. „Woher weißt du, dass wir nach Süden gelaufen sind?, fragte Hannes in unbedachter Marktschreier Manier. Schon kam ein wachsamer Krieger vom Eingang des Langhauses mit bösem Blick auf uns zu. Kompromisslos schlug er Hannes mit einem Stock mitten ins Gesicht. Mit vor Schmerz verzerrtem Gesicht fluchte dieser kurz in seinen ergrauten Bart und spukte zwei Zähne aus, während der Schläger mit grinsendem Gesicht das Ergebnis seiner Tat betrachtete. Doch Hannes harrte aus, schaute dem Schläger unverhohlen in die Augen und zeigte – so gut er konnte – keine Reaktion, bis der Wachposten zum Eingang des großen Hauses zurückging. Er hatte sich wie ein tapferer Indianer verhalten. „Das waren meine wichtigsten Zähne!, grummelte er wohlwissend, dass dieser Verlust vermeidbar gewesen wäre.

    „Der Moosbewuchs im Wald ist zum Norden hin am stärksten. Du musst nur Felsen und Bäume abtasten. Selbst im Europa der Weißen müsste das so sein!, antwortete Strandläufer leise. Drei Squaws kamen in das riesige Haus, das mindestens dreißig Meter Länge aufwies und fünf Familien Platz bot. Die Frauen gaben hier scheinbar den Ton an. Sie begutachteten uns, indem sie uns wie Pferde vor dem Verkauf musterten. Maurice sahen sie sogar in den Mund. Immerhin wuschen sie nebenbei sein Blut verschmiertes Gesicht, sodass er wieder etwas sehen konnte und eine dringend notwendige Wiederbelebung durch das kalte Wasser der Squaws erfuhr. „Was willst du, alte Schachtel!, pöbelte Hannes, immer noch giftig, nachdem er zusätzlich einen kräftigen Kniff in seinen Allerwertesten hinnehmen musste. Er spukte ihnen das Blut vor die Füße, dass seine frischen Zahnlücken hergaben. Doch sie bemerkten es nicht, sondern redeten ununterbrochen aufeinander ein und schienen nach wie vor uneins zu sein.

    „Sie suchen Ersatz für ihre gefallenen Söhne", flüsterte Strandläufer.

    „Du machst in dieser Situation Witze?", fragte ich empört.

    „Nein, nein. Sie verhalten sich völlig normal – wie Indianer eben!" Ungläubig schaute ich zu Maurice, der es als langjähriger Frontsoldat wissen musste. Er nickte kurz und schien seinen Blutverlust verkraftet zu haben. Einen Spaß machte der Capitaine in seiner Lage sicher nicht. Dafür jedoch der schlitzäugige Fährtenleser, der mich mit seinem breitbackigem Grinsen an die Inuit auf Grönland erinnerte.

    „Keine Sorge, Caspar, einen bebrillten Hering nehmen sie nicht. Du bist ihnen zu unheimlich! Hannes ist zu alt und mich, einen feindlichen Micmac, sehen sie lieber morgen garen – auf dem Feuerrost!" Bei seinem Galgenhumor drehte sich mein Magen endgültig um. Kompromisslos entleerte er sich und besudelte die Frauen mit dem bitteren Nass meiner Innereien, woraufhin sie schreiend zum Eingang des Langhauses liefen. Womöglich hatte ich nun Maurices Leben auf dem Gewissen, der für eine Adoption bei einer der Squaws infrage kam, wenn Strandläufer die Zeichen richtig gedeutet hatte.

    „Keine Sorge, Caspar. Ich komm darüber hinweg", antwortete der französische Capitaine aus Quebec, ohne gefragt worden zu sein. Er funktionierte wieder wie früher. Sein blutendes Gesicht sah schlimmer aus, als es war. Stillschweigend machte sich jeder von uns Gedanken, was unseren Weggefährten widerfahren sein mochte. Die Wahrheit wollte keiner aussprechen, weil wir die Wirklichkeit verdrängten, so gut wir konnten.

    Sie gaben uns gut zu essen und bald merkten wir, warum sie dies taten. Die Irokesen berauschten uns mit einem Betäubungsmittel, das der Nahrung beigemischt wurde und uns willenlos machte, aber immerhin die Auffassungsgabe nicht einschränkte. Das kleine Fest der Indianer am folgenden Tag sollte möglichst ohne Störung verlaufen. Maurice hatten sie tatsächlich in der Nacht fortgeschafft. Nun machte keiner von uns mehr kleine Witze. Strandläufer kannte sich gut aus, obwohl seine Heimat an der Mündung des Sankt Lorenz ziemlich weit weg lag, und er mit dem Volk der Irokesen bis zu seinem Dienstantritt bei den Franzosen nichts zu tun gehabt hatte.

    Das anfangs beschauliche Dorf nahm im Laufe des Tages gewaltig zu, denn immer mehr indianische Besucher wurden mit Kanus über den See hierher gebracht. Sie ließen sich am Festplatz nieder und widmeten sich den Trommlern und Tänzern, die in der Intensität ihrer Darbietungen immer noch steigerungsfähig schienen. Große Berge von Essbarem wurden herangeschafft und Wild, Geflügel und Fisch an großen Feuerstellen zubereitet. Kürbisse, Bohnen und vor allem Mais ernteten die Irokesen auf naheliegenden, eigenen Feldern, die sie dem Wald abtrotzten. Der Ort glich schließlich einer riesigen Bratküche. Und dann wurden die Logen besetzt …

    Ein wenig abseits vom Tanzplatz und den rings umliegenden Häusern begrenzten stämmige Eichen den dahinter liegenden Mischwald, soweit ich dies vor lauter Qualm sehen konnte. Nachdem wir an den besagten Eichenstämmen gefesselt waren, ließen die Indianer uns zunächst in Ruhe. Sogar eine leise Unterhaltung war möglich. Die Indianer hatten sich an diesem abseits gelegenen Ort auf eine längere Zeit des Verweilens eingerichtet. Strandläufer bestätigte meinen Eindruck. Die Roten hatten ihren ganzen Krempel einschließlich einer großen Kinderschar dabei. Es soll sich bei unseren Gastgebern um die Seneca-Nation handeln, die die westlichsten Siedlungsgebiete des mächtigen Irokesenbundes beanspruchten, die wir beim Befahren des Allegheny tangiert hatten. Strandläufer glaubte des Weiteren zu wissen, dass dieser Ort nur von der Seeseite erreichbar war und ansonsten dank eines Gebirgszugs mit steilen Klippen fernab der Handelswege äußerst geschützt lag. Das erklärte, warum die sonst üblichen Palisaden als Schutzwall fehlten. Da fiel es den Irokesen nicht schwer, sich hier sicher zu fühlen – was wir von uns nicht sagen konnten.

    Zu unserer Überraschung wurden noch drei weitere Gefangene direkt neben uns angebunden. Es handelte sich um zwei Franzosen in Zivil und einen Indianer, der ein paar Brocken Algonkin sprach, wenn er mit seinem Französisch nicht weiterkam. Sofort versuchten wir, Informationen auszutauschen. Doch sie standen leider zu weit von uns weg.

    Alsdann wurde es im Dorf ruhiger und die Trommeln schwiegen für eine Weile. Bald konnten wir die Bewohner und ihre Gäste nicht mehr sehen. Offenbar machten sie sich für das eigentliche Fest in ihren Behausungen zurecht. Selbst die Kinder, die uns mit ihren neugierigen Blicken durchlöchert hatten, waren plötzlich verschwunden. Noch einmal überlegte ich, ob es noch irgendeine Chance gab, unser Leben zu retten. Hilfe von außen war nicht zu erwarten. Wir wussten also, dass wir diese Expedition bis zum Ende auf uns allein gestellt durchstehen mussten.

    Ich dachte an Lisa und an meine Familie. Lisa würde ich nun nie wiedersehen dürfen. Ihre schönen grünen Augen, in denen ich so gern pausenlos versank und alles andere dabei vergaß. Das vertraute Lächeln, das mir, Jahr ein - Jahr aus, so selbstverständlich gewesen war. Und ihre hochgesteckten dunkelblonden Haare, die manchmal eine unbändige Locke freigaben, die dann im leichten Wind tanzte und meinem Spott ausgesetzt war, obwohl eigentlich eine Liebeserklärung gemeint war. Meine geliebte Heimatstadt und den Duft der Elbe, der beim Atmen jedes Mal eine Gänsehaut auslöste, wenn ich elbaufwärts zurück nach Hamburg in den Hafen kam. Nun sollten wir eine Martertortur durchstehen, der wir Europäer sicher noch weniger gewachsen waren, als die Einheimischen. Mit Schmerzen und Erniedrigungen über eine lange Zeit brachen die Indianer ihren Gefangenen den Willen. Einen indianischen Willen, der für Weiße außerhalb der kulturellen und physischen Reichweite lag. Die Europäer allerdings, waren ihrerseits nicht minderbegabt, ihre Mitmenschen mit Verfehlungen europäischer Machart zu quälen. Somit müssen wir unser empörtes Entsetzen über ebenjene Praktiken in Grenzen halten, wenn wir mit unseren Fingern auf die Grausamkeiten anderer Kulturkreise zeigen. So zumindest nach meinem Empfinden und meinem Rechtsverständnis. Grausamkeit wird nicht besser, wenn die Gesellschaft sie reguliert. Verzweifelt und resigniert stellte ich fest, keine Fluchtmöglichkeit zu sehen.

    Bald darauf erwachte das Dorf zu seiner ursprünglichen quirligen Lebendigkeit. Die Feuer wurden größer, die Menschen geschäftiger. Kinder rannten zwischen den Langhäusern hin und her und spielten mit kleinen Bällen, die sie mit Holzschlägern fortschlugen. Der Strom der voll besetzten Kanus auf dem See, die immer neue Clans zum Festplatz brachten, ebbte ab. Die Trommeln wurden immer intensiver geschlagen. Im Rhythmus gesellten sich bunt geschmückte und bemalte Tänzer dazu, die mit Rasseln, Flöten und mir fremden Instrumenten das Konzert verfeinerten und die Freifläche des Dorfes rasant füllten. Nun setzte auch mehrstimmiger Gesang ein, der in meinen Ohren wie Schmerzlaute klang. Auch in der Nähe der Eichen loderten jetzt große Feuer. Eine Gruppe junger Krieger mit Pfeilen und Bögen baute sich vor uns auf, geführt von Älteren mit vielen Federn im Haar, während eine große Schar neugieriger Unbeteiligter jeden Alters und Geschlechts gaffte. Vergleichbar wohl mit heimischen Hinrichtungen, die auf den Marktplätzen in den Städten stattfanden. Nun begann das große Schauspiel: Der Reihe nach schossen sie auf uns. Zunächst kam es wohl darauf an, die Pfeile möglichst dicht neben den angebundenen Körpern zu platzieren. Strandläufer traf es am Unterarm. Er verzog nach indianischer Sitte nicht einmal die Mundwinkel, musste aber Höllenqualen erlitten haben. Kinder kicherten, Squaws lachten und die Krieger stießen Schreie aus, die alleine schon Angst machten, ohne dass man ihnen als Zielscheibe ausgeliefert sein musste. Mein Herz pochte laut. Nun war ich an der Reihe, während Strandläufer von den hübschesten Squaws mit Wasser und Maiskuchen versorgt wurde. Dann schoss der erste Kandidat auf mich und zog mir einen neuen Scheitel. Der Pfeil streifte die Kopfhaut und der Schütze wurde umjubelt. Mir blieb ein Missgeschick des Schützen erspart, sodass ich unverletzt die nächste Runde erreichte. Auch ich wurde nach Irokesenart verwöhnt, indem die jungen Frauen mit Stärkungen zu mir kamen. Doch diesmal war eine Weiße dabei, deren Umrisse im flackernden Licht der großen Feuer nicht gleich erkennbar waren. Man hatte mir wenigstens die Brille gelassen, was mir anfangs als Nachteil erschien. Ich hatte gehört, dass Irokesen auch Weiße in ihre Stämme integrierten. War diese Frau eine von denen, die vielleicht zuvor ein ganz normales Leben in einer gewöhnlichen Stadt Neufrankreichs geführt und viele Kinder und einen treuen Ehemann ihr Eigen genannt hatte? Sie kam näher und schaute mir nur Bruchteile einer Sekunde in die Augen. Nein, das konnte doch nicht wahr sein. Das konnte ich nicht glauben! Dieses Lächeln und die grünen Augen, die unvergleichlich waren? Nun stand sie allein vor mir. Ich sah nur noch in ihr Gesicht. Ihre funkelnden Augen leuchteten mich im Feuerschein an. Das dunkelblonde Haar wehte ihren Lavendelduft im leichten Wind zu mir herüber. Ihr Lächeln jagte mir einen eiskalten Schauer über den schmerzenden Rücken. Dann sagte sie völlig ruhig, wie bei einem Sonntagspaziergang auf dem Stadtwall: „Ich wusste gar nicht, dass du auch eingeladen bist!"

    Es war Lisa! Meine Lisa! – Das konnte doch gar nicht sein!

    Ich versuchte, mich von meinen Fesseln zu befreien. Ich zappelte und zappelte, bis … ich schließlich aus dem Bett fiel!

    Lisa zündete in aller Ruhe eine Kerze an, die immer griffbereit auf ihrem Nachttisch stand, eine von den Mehrfarbigen, die sie regelmäßig zum Geburtstag von Konstanze und Hinrich bekam.

    „Komm zurück ins Bett. Du hast wieder einmal geträumt!"

    Es war eine der traumatisierten Nächte, die mich seit meiner Amerikareise heimsuchten und quälten. Ich konnte den grausam erlebten Krieg, der zwischen den französischen und britischen Kolonien während meiner Amerikaquerung 1755 getobt hatte, nicht vergessen. Immer wieder sah ich die bestialisch zugerichteten Leichen, so als wäre ich gestern noch in Amerika gewesen. Ganz anders war es hier zu leben, zu lieben und zu arbeiten – in einer relativ friedlichen Welt mit einigermaßen geordneten Verhältnissen. So ganz ohne Einschränkungen ging es zwar auch nicht! Aber es war ein anderes Milieu, das in einem höhere Bedürfnisse weckte, die mit den nackten Existenzkämpfen im Indianerland, die den Menschenseelen auf Dauer nur schaden konnten, nicht das Mindeste zu tun hatten. Doch ich bereute fast nie, damals mit einer Handvoll Männer diesen Weg entlang des Grenzlandes gegangen zu sein, anstatt einer langwierigen Überwinterung in Quebec entgegenzusehen, die die Mehrheit der Mannschaft des Walfängers Konstanze bevorzugt hatte. Nach dem Löschen der Ladung war die Mannschaft ungebunden gewesen und hatte über ihren Verbleib selbst bestimmen können. Doch die Konstanze war in den Kolonialkrieg hineingerutscht. Der Kapitän und ich, wir wollten nicht über das Schicksal der Mannschaft bestimmen, weil unsere Reise einen anderen Verlauf nahm, als bei der Schließung der Heuerverträge vorhersehbar wurde.

    Lisa wartete damals auf mich, denn unsere Verlobungsfeier war fest verabredet, und ich wusste, wie sehr sie den Tag meiner Rückkehr herbeisehnte. Doch zu diesem Zeitpunkt befand ich mich Hunderte Seemeilen von Lisa und meiner Heimat entfernt.

    2. Wechselspiel der Generationen

    Bis zuletzt pfiffen die regelmäßigen Brisen in arktischer Manier um die Kehrwiederinsel und damit auch über die roten Dachziegel unseres Backsteinhauses. Doch wie auf Kommando endete dieser letzte winterliche Ansturm. Nun schien der Wind, der „quirlige Freund des Seemanns" ein verspätetes Nachsehen mit allen Zuhausegebliebenen zu haben, die den wahrhaftigen Frühling herbeisehnten und dem unbeständigen Wetter ihre Kehrseiten zeigen wollten. In einem Moment der Stille schaute ich aus dem Dachfenster unseres Hauses hoch über den Landestegen, um das emsige Treiben im Binnenhafen am ersten Frühlingstag zu verfolgen.

    Die Kinder und ich waren heraufgekommen, um nochmals meine Reisen über den Atlantik gemeinsam zu durchleben. Sie hatten inzwischen Durchhaltevermögen gewonnen und ich brauchte so etwas wie eine Eigenbehandlung gegen die nächtlichen Angstzustände, die meine Frau Lisa und mir schwer zu schaffen machten. Nicht, dass uns nach ebenjener Nacht der Schlaf früh morgens fehlte. Gelegentlich hatte Lisa meine geballte Faust gespürt, weil ich in meiner Fantasie gegen sämtliche amerikanische Feinde gleichzeitig kämpfte. Ich musste mich dem Problem stellen. So konnte das nicht weitergehen. Sonst würde womöglich Lisa bald mit einem blauen Auge aufstehen müssen.

    Meine erste Geschichte hatten die Kinder bereits geduldig ertragen, ja sogar mit Begeisterung vernommen, ohne dass ich hier übertreiben wollte. Ich hatte mich gewiss nicht als Held verkauft. Von meinen nächtlichen Störungen wollte ich sie allerdings nicht in Kenntnis setzen.

    Als junger Kerl trieb es mich damals zum Walfang, voll von quälendem Fernweh, tugendhaften Idealen, dem Wunsch nach Anerkennung und mit den dazugehörigen Hummeln im Hintern. Dann die Ernüchterung auf See, der qualvolle Tod der Tiere, das viele Blut durch die Zerstückelung und meine vorsichtige Abkehr von diesem einträglichen Gewerbe, dessen Wert zweifelsohne für die Entwicklung der Menschen nicht geschmälert werden sollte, doch ich wollte nie wieder etwas damit zu tun haben.

    Nun hatte ich selbst einen neugierigen Sohn in diesem Alter, der die Welt in ihrer Unermesslichkeit kennenlernen wollte. Mit den gleichen jugendlichen Hummeln? Ich war mir nicht sicher.

    Leider blieb der Blutzoll der Völker in Form von Kriegen der Welt damals wie heute erhalten. Der 1775 begonnene und fortwährend andauernde Unabhängigkeitskampf der Amerikaner, die mit der englischen Krone gebrochen und sich bereits eigenen Gesetzen verschrieben hatten, sorgte wieder für Kriegszustände, die die Seeleute der neutralen Staaten nicht unberührt ließen. Nun also sollte mein Sohn Cornelius auf verantwortlichem Posten auf das Meer hinaus, wo gleichzeitig dieser weitreichende Konflikt ausgetragen wurde, dessen Ende nach zwei Jahren in keiner Weise absehbar war.

    Derweil meinte ich, meinen Eltern heute mehr Verständnis für ihre Entscheidungen bezüglich meiner Erziehung entgegenzubringen. Anders allerdings vor zweiundzwanzig Jahren, als ich selbst um einen Platz als Seemann auf dem Walfänger kämpfen musste und meinte, meine eigenen Entscheidungen treffen zu dürfen. Damals hatten sie mir die Fahrt zunächst verboten und ich durfte überhaupt nur wegen Hinrichs Unfall an der ersten Walfangfahrt des Familienunternehmens teilnehmen. Deshalb sollte mein Sohn diesen Kampf mit den Eltern nicht ausfechten müssen. Aus Cornelius war ein kluger ansehnlicher junger Mann mit Begeisterung für die Handelsschifffahrt geworden – manchmal in seiner Art noch vorsichtig, zögerlich und nachdenklich, statt kühn und entschlossen. Oder möglicherweise auch behäbig, aber was er tat, hatte Hand und Fuß. Darauf kam es schließlich an, wenn man als Offizier eines Schiffes Verantwortung übernehmen wollte.

    Meine Schwester Josephine hatte ich leider schon vor langer Zeit aus den Augen verloren. Doch ich wusste, dass ich sie irgendwann wiedersehen würde. Meine Tochter Caroline, Cornelius` ältere Schwester, hatte einige Talente mit ihrer Tante Josephine gemeinsam, ohne das Erbe ihrer Eltern in den Schatten stellen zu wollen. Sie beherrschte wie diese die Rechenkunst, die Josephine damals im Kontor von Kock & Konsorten idealerweise ausgelebt hatte. Äußerlich hingegen ähnelte Caroline mehr und mehr ihrer Mutter, mit den täuschend sanften grünen Augen und dem langen dunkelblonden Haar, das sie seit ihrer Jugend genauso hochsteckte, wie Lisa es gern tat, seitdem sie die Modejournale aus Paris las, die Tante Nathalie nimmermüde mitbrachte. Ja, manchmal dachte ich für einen Augenblick, Caroline statt Lisa lächelte mich an. In einem Punkt unterschied sich Lisa jedoch von allen anderen: Sie hatte eine ausnahmslos feinfühlige Intelligenz. Sie konnte mit Hirn und Bauch zugleich denken. Unsichtbare Signale verarbeitete sie mit magischen Schwingungen, die ihre Sinne aus der Umgebung einfingen. Wer weiß das schon genau, wenn es nicht greifbar ist! Zeitgenossen sollten sich davor hüten, in ihrer Nähe zu flunkern. Allein der Versuch löste kleine, rötliche gekräuselte Fältchen auf ihrer Stirn aus. Dadurch las sich allerhand aus ihrem ebenmäßigen zarten Gesicht ab, bevor es in Worte gefasst oder gar gröberes Unterfangen seinen Lauf nahm. Doch das passierte selten, denn eigentlich hatte sie immer ein nach Harmonie strebendes Wesen und Lisa fühlte sich durch ihre Religion allemal verpflichtet, mit ihren Mitmenschen friedlich auszukommen.

    C. Hamburger Hafenviertel um 1755

    Entgegen der üblichen Bauweise hiesiger Kaufmannshäuser fertigten wir den Speicher unterm Dach, auf dem wir uns gerade befanden, zum Wohnraum für besondere Anlässe um. Der himmlische Ausblick auf Elbe, Stadt und Hafen belohnte für die fantasievolle Mühe, die Lisa für die Planung des Objekts aufbrachte. Der dadurch fehlende Lagerraum war deshalb zu verschmerzen. Hier kamen wir nur mit der Familie zusammen. Die Dienste des Personals endeten auf den Lagerböden darunter, die mit erlesenen Waren aus aller Welt gefüllt waren, während die eigentlichen Wohn- und Geschäftsräume zu ebener Erde lagen. Wenn man die Stufen des Hauses betrat, vereinigte sich der ferne Wohlgeruch der Welt im Treppenhaus. Kakao-, Kaffee-, Muskat- und Vanillearomen, als nur einige von vielen anderen, rangen sackweise um duftende Dominanz auf den Lagerböden. Ich putzte die Augengläser mit meinem Taschentuch und war froh, den steten Druck der Kopf umklammernden Metallbügel einen Augenblick nicht spüren zu müssen.

    Es war, wie sich später noch herausstellte, ein bedeutungsvoller freudiger Tag, der einen völlig anderen Durchblick erforderte. Nicht weil sich der Lenz nach vielen Fehlversuchen reichlich Mühe gab, den Winter endgültig zu vertreiben. Nicht weil heute die Christen der Himmelfahrt des Gotteskindes Jesus gedachten oder wir auf dem Dachboden waren und nicht wie gewöhnlich im Kontor arbeiteten, bis der Tag zur Nacht werde. Nein, wohlige Wärme umgab mich und ich atmete tief und tiefer ein, als ob mein Bewusstsein die Anker der Erinnerungen auf ewig festzurren wollte. Ein Kribbeln kroch unter meine alternde Haut, die bald das 44. Lebensjahr erreichen sollte. Berauschende Leichtigkeit steuerte jetzt meine Gedanken, die wie Quellen eines Jungbrunnens in mir sprudelten und mir das hier und jetzt bewusst machten.

    Bedeutungsvolle Anzeichen des Generationswechsels waren zu erkennen und ich setzte meine Brille wieder auf, die mit ziemlicher Sicherheit ein Folterknecht erster Güte erfunden haben musste. Ein Stück Verantwortung übertrug sich wie von Geisterhand auf unsere Kinder Caroline und Cornelius. Sie waren jetzt innerlich bereit. Eigentlich nichts Außergewöhnliches, alles nahm seinen Lauf, wie in anderen Familien auch. Dennoch war es für mich kaum zu glauben und schließlich doch gleichermaßen beruhigend wie normal! Die Kinder positionierten sich unscheinbar wie von selbst und traten ihr unabdingliches Erbe gemächlich an, obwohl sie gestern noch Windelleinen gebraucht hatten. Oder war es etwa vorgestern gewesen?

    Keines meiner Kinder sah heute irgendwie müde oder gelangweilt aus. Sie hatten noch immer das gleiche Leuchten in ihren Augen wie zuvor, als ich ihnen von den dramatischen Ereignissen des Jahres 1755 erzählt hatte. Erstaunlicherweise lauschten sie die ganze Zeit, ohne auch nur einen Mucks von sich zu geben. Wenn nur diese Brillenbügel weniger drückten!

    Inzwischen war Lisa vom Besuch bei Nathalie, Simons Frau, wieder heimgekehrt – nicht zu verwechseln mit Tante Nathalie aus La Rochelle, die sie nicht einmal eben aufgrund der Entfernung besuchen konnte, wenn ihr danach beliebte. Lisa hatte sich kurz hier oben am luftigen Ende des Hauses sehen lassen. Sie horchte eine Weile meinen Erzählungen und war anschließend mit zufriedenem Lächeln nach unten in die Küche gegangen, um das festliche Mahl am Himmelfahrtstag zusammen mit unserer Köchin Kati zuzubereiten, wie sie es die letzten Jahre meistens getan hatte.

    „Erzähl weiter, Vater!", forderte mich Cornelius eindringlich auf, während er an seinem vollen dunkelblonden Zopf spielte, der für gewöhnlich seinen breiten Rücken zierte. Auch Carolines Gesten signalisierten Zustimmung und ich spürte nochmals kurz in kleinen Gesten ihre kindlichen Freuden, obwohl beide längst erwachsen waren.

    „Könnt ihr denn überhaupt noch zuhören?", fragte ich nachdenklich und zugleich provozierend, so wie sie es von mir gewohnt waren.

    „Nun wollen wir auch noch wissen, wann der Walfänger Konstanze aus Amerika zurückkam, sagte Caroline fordernd und Cornelius ergänzte: „Und wie es Onkel Jacob in Neufrankreich erging und den vielen anderen, von denen du eben erzähltest!

    „Caspar, Caro, Cornelius! Das Essen ist fertig. Kommt runter, ihr könnt nachher wieder mit Vater heraufgehen", schallte es aus dem hölzernen Treppenhaus.

    Lisa rief uns genau zur richtigen Zeit. Nicht nur mein leerer Magen, sondern auch meine heisere Stimme brauchte diese Unterbrechung. Noch nie hatten Caro und Cornelius so viel Interesse und Ausdauer für alte Familiengeschichten gezeigt, die allerdings wegweisend waren und bis heute noch sind. An diesen Tagen musste ich mir die Zeit nehmen, die Ereignisse meiner ersten Walfangfahrt und die Folgen der nächsten Generation der Kocks zu schildern. Es war eben ein besonderer Tag!

    Schon bald saßen die Kinder und ich wieder auf dem Dachboden. Lisa hatte eine Armenspeisung nach der Abendmesse in St. Katharinen zu organisieren. Der Anteil der Armen in der Stadt hatte einen neuen Höchststand erreicht, genauso wie die Bevölkerungszahl insgesamt, die annähernd 100.000 Menschen ausmachte. Seit vielen Jahren setzte sie sich für die Bedürftigen des Sankt-Katharinen-Kirchspiels ehrenhalber ein. Sie tat es bestimmt nicht, weil ihr zuhause langweilig war. Lisa hatte ihre Arbeiten für die Kompanie und für die Familie genauso zu erledigen, wie wir alle unseren Teil zum Familienunternehmen beitrugen. Voraussetzung waren ohne Frage Neigung und Vorlieben - selbstverständlich. Wer wird schon Kapitän, wenn die Wasserscheu in einem wühlt? Mit Lisas Rückkehr aus Sankt Katharinen war am späten Abend zu rechnen. Sie diente dort Gott, wie sie sagte, und das tat sie gern und zum Wohle der Allgemeinheit. Wir hatten dementsprechend Zeit, unser Vorhaben auf dem Dachboden fortzuführen. Ich legte neues Holz in den Kamin und wir nahmen unsere Plätze unter dem Dach wieder ein. Wohl gestärkt legte ich los:

    Knapp drei Wochen nach meiner Heimkehr feierten wir mehr oder weniger Weihnachten. Eure Großmutter, Charlotte Kock, erholte sich leider nie wieder von ihrer mysteriösen Krankheit, die ausbrach, während ich auf der Konstanze auf Walfang war. Im Gegenteil, ihr Zustand hatte sich weiter verschlechtert. Die Ärzte waren ratlos. Sie konnte nur stundenweise aufstehen und selbst von ihrem geliebten Gänsebraten rührte sie nichts an. Sie war inzwischen ziemlich kraftlos und wollte meistens nur schlafen, bis sie eines Morgens zu Beginn des Jahres 1756 nicht wieder aufwachte. Ihre unerklärliche Schwäche und der nagende Kummer, der sie zusätzlich durch das Fernbleiben des Walfängers quälte, zerrten an Mutters Lebensmut. Den letzten Kampf gegen die eingenisteten plagenden Geister hatte eure nie klagende Großmutter bald verloren.

    Meine Schwester Josephine machte sich schwere Vorwürfe. Allerdings nicht gerechtfertigt, denn sie nahm Mutter bereits im Vorfeld ihrer Schwäche weitestgehend alle Arbeiten ab.

    Zu allem Übel gab mir später mein großer Bruder Hinrich die Schuld für die Folgen seines Unfalls auf der Schiffswerft, der bekanntermaßen den Verlauf der Dinge auf den Kopf stellte. Er sagte es nie direkt zu mir. Jedoch kam mir zu Ohren, dass der Unfall, kurz vor der Jungfernfahrt unseres Wallfängers Konstanze, von mir verursacht worden sein soll. Das war unfassbar und ungeheuerlich! Die Kopfverletzung, die Hinrich durch den Werftunfall davon trug, führte erst zu meiner Teilnahme statt seiner. Was ihm als Motivation zu dieser fahrlässigen Unterstellung reichte. Ihr wisst es, Onkel Hinrich sollte nach dem Willen unserer Eltern an der ersten Walfangfahrt von unserem Familienunternehmen Kock & Konsorten teilnehmen. Seine Kopfverletzung und seine große Enttäuschung nicht zum Walfang fahren zu können, muss ihm damals die Seele vernebelt haben. Jedenfalls, mich hielten eure Großeltern für zu jung und unerfahren. Zeitlebens blieb ich für Charlotte und Johann-Ludwig Kock der kleinste Spross, der allenfalls behütet werden musste.

    Einen Moment stockte ich. Immer noch wühlten die Ereignisse tief vergrabene Emotionen in mir auf, obwohl Hinrich und ich uns vor langer Zeit ausgesprochen hatten und zudem ein inzwischen sehr gutes Verhältnis pflegten. Cornelius nutzte die kleine Unterbrechung und legte Brennholz nach, denn der arktische Wind pfiff erneut über das Dach und machte alle aufgekommenen Frühlingsfreuden des Maimonats zunichte.

    „Welche Gründe nannte Onkel Hinrich für seine unhaltbaren Vorwürfe, Vater?", wollte Caroline unbedingt wissen, die selbstverständlich wusste, dass wir über den Schnee von gestern sprachen.

    „Er meinte, da ich kurz vor dem Unglück noch auf dem Schiff zur Besichtigung gewesen war und er damals keine Zeit für mich hatte, wäre es möglich gewesen, die Befestigungen der Rampe zu lockern, auf dem der Rumpf des Schiffes ruhte."

    „Warst du denn wirklich auf dem Schiff?", fragte Cornelius.

    „Ja, ich musste Hinrich die Schiffspläne bringen, die er in der Katharinenstraße bei Großvater vergaß."

    „Er ist also nur aufgrund der Gelegenheit, die du gehabt hattest, einer Vermutung aufgesessen!", fügte sie erleichtert an.

    „Ja, so ist es! Ich hörte später, dass er daraufhin sämtliche Schiffshandwerker befragte, die damals auf der Werft dabei gewesen waren. Allerdings ohne belastendes Ergebnis, so wie es aus meiner Sicht zu erwarten war. Niemals hätte ich das Leben meines Bruders oder das der anderen Beteiligten aufs Spiel gesetzt, um doch noch mitfahren zu können. Obwohl ich zugegebenermaßen, einen sehr starken Willen hatte und hart kämpfte, um mit an Bord des Walfängers zu gehen. Ich sah es absolut nicht ein, warum ich als Zweiundzwanzigjähriger dafür ungeeignet sein sollte. Denn das war, ich sagte es bereits, die damalige Meinung eurer Großeltern, die sie aber später grundlegend änderten. Übrigens auch Onkel Hinrich! Nur die Fortschrittlichsten der Familie, Tante Nathalie und Onkel Clemens, trauten mir damals sofort die Walfangfahrt zu. Sonst hätten sie wohl auch ihren einzigen Sohn Jacob nicht mit auf die Fahrt gelassen, oder?"

    „Deshalb lässt du mich schon eher zur See fahren, stimmt es?"

    „Ja, und es hat dir bisher nicht geschadet!"

    „Im Gegenteil, mischte sich Caroline mit spitzer Zunge ein, „es tut ausgesprochen gut, wenn er weg ist!

    „Das sehe ich ausnahmsweise auch so, Caro. Zumindest was dich betrifft!"

    „Schluss mit dem Gezänk! Hoffentlich werdet ihr irgendwann nicht mehr so garstig zueinander sein", beendete ich knapp das kleine Intermezzo unter Geschwistern, denn der Hafen verschaffte rasche Abwechslung, die uns für einen Moment vom Thema ablenken sollte.

    Im Binnenhafen bugsierte ein Lotse mit lauten Kommandos einen großen Segler durch das Labyrinth des Hafenbeckens. Bald würden die Schiffe dieser Größenordnung nicht mehr in das Hafenbecken gelassen, denn die Unfälle und Karambolagen nahmen stetig zu. Die Hochseeschiffe wurden in ihren Ausmaßen größer, doch der Binnenhafen eben nicht. Der Gedanke war noch in meinem Kopf, da hörten wir ein lautes Knirschen. Ein verdächtiges Geräusch, das nur aus dem Hafen kommen konnte. Cornelius und Caroline hatten genauso wie ich das gemütliche Kanapee verlassen, um die Angelegenheit aus dem Dachfenster zu betrachten. Aufgeregt liefen die beteiligten Stauer- und Seeleute durcheinander. Der Dreimaster hatte einen vertäuten kleinen Frachtewer erwischt. Letzterer ist ein vielseitig nutzbares Schiff für die kleinen Transporte der kurzen Wege. Mit nur einem beweglichen Mast ausgestattet, war der Ewer auch in den bebrückten Fleeten einsetzbar. Er wurde gerade entladen, als es zur knirschend durch Mark und Bein gehenden Kollision kam. Ein paar Dutzend Hühner flatterten nun durch den Binnenhafen, weil die Verschläge sich verselbstständigten. Wir konnten uns kaum vor Lachen halten, obwohl ich mich meiner Schadenfreude vor den Kindern sehr bald schämte.

    „Viel besser sind die Komödien auf dem Hamburger Berg auch nicht", pustete Caro und klopfte ihrem Bruder in gespielter Eintracht auf die Schulter.

    „Wartet ab, bis sie versuchen die Federviecher einzufangen, ereiferte sich Cornelius, in nichts seiner Schwester nachstehend.

    „Vielleicht wird diese Havarie die Ratsherrn zum Handeln bewegen?", sagte ich mit nunmehr gefestigter Stimme.

    Nachdem wir das für und wider der dicken Frachtschiffe im Binnenhafen eingehend diskutierten, nahmen wir unsere alten Sitzplätze wieder ein. Ein Vorschlag von Cornelius, der nun richtig aufdrehte, geisterte mir allerdings noch ein wenig im Kopf herum. Seine Vision verriet Fantasie, aber auch beispiellose Rücksichtslosigkeit. Er wollte das große Fleet zur Nikolaikirche verbreitern und fernerhin Häuserzeilen einfach abreißen lassen, um es seeschifftauglich zu machen. Wenn wir noch weiter diskutiert hätten, käme bestimmt noch ein Durchbruch zur Alster dazu. Infolgedessen hätte man beispielsweise Hochseeschiffe im kleinen verträumten Eppendorf beladen können. Doch dazu kam es zum Glück nicht mehr und alles blieb erst mal so, wie es war.

    Im Übrigen diskutierten wir in der Kaufmannschaft mit ernstem Hintergrund das allgegenwärtige wichtige Thema der Hafenerweiterung, dass wohl nie den Zustand der Vollendung erreichen wird. Die meisten Herren vertraten allerdings die Ansicht, dass die Schiffsgrößen aus technischen Gründen nicht beliebig erweitert werden konnten, die Hafenflächen allerdings schon. Doch es entstand schnell Uneinigkeit darüber, ob die Größe der Schiffe für Walfänger genauso gelten sollte, wie für Handelsschiffe oder Kriegsschiffe.

    Zum Thema Schiffsgrößen und Ladung sagte mein Vater immer gerne Finger erhebend, um die Wichtigkeit seines Satzes zu unterstreichen:

    „Die gefühlvolle, meist durch Erfahrungswerte genährte Risikoabwägung des Eigners bestimmt den Erfolg maßgeblich, sowie selbstverständlich das Glück des Tüchtigen."

    Doch dieser Rempler hatte nichts mit Risikoabwägung zu tun. Der Binnenhafen war einfach zu vollgestopft. Es wurde im Hafen langsam wieder ruhiger und wir erinnerten uns flugs, warum wir hier oben versammelt waren.

    Die ersten Monate des Jahres 1756 wurden durch Trauer, Streit, Neid und Missgunst geprägt. Der Tod eurer Großmutter, Charlotte Kock, hatte die Familie schlagartig verändert. Euer Großvater zog sich aus privaten Streitigkeiten zurück, anders als im Geschäftsleben, wo er noch immer seine Tätigkeiten hatte. Sein Verhalten bei Familienangelegenheiten kannten wir bereits, nur dass eure Großmutter sonst intervenierte, und allen Hindernissen trotzte. Josephine zog nicht mehr mit ihren Freunden über den Reesendamm, wie sie es noch im letzten Sommer tat, sondern sie unterstützte eure Mutter in der Kirche und nahm wieder regelmäßig am Gottesdienst teil. Zunächst wohnten wir noch alle unter einem Dach in der Katharinenstraße. Die missliche Lage spitzte sich unaufhörlich zu und die Neuordnung der Familie, sowie des Unternehmens Kock & Konsorten in Hamburg war unausweichlich geworden.

    Während der Ostertage des Jahres setzten wir uns zusammen, damit wir über die Neuverteilung der Arbeit sprechen konnten. Obwohl wir uns in den Wochen in vielen persönlichen Dingen nicht einig waren, erreichte die Familie eine für alle einvernehmliche Lösung für das Familienunternehmen.

    Hinrich und Konstanze hatten Großvater viel Arbeit abgenommen, als es Großmutter so schlecht ging und ich mich auf einem wackligen Postschiff am Mississippi befand. Dessen ungeachtet verstarb gerade erst Onkel Benjamin, der Zeit seines Lebens eine Apotheke am Neuen Wall betrieb, wo Konstanze zuvor ihr zuhause und Arbeit hatte. Konstanze musste ihr alleiniges Erbe antreten und die Apotheke samt Anliegerwohnung verkaufen. Sie verzichtete auf ihr schmuckes Heim und der Apotheke am Neuen Wall, in der sie Onkel Benjamin, ihr letzter lebender Verwandte, bis zu seinem Tod zur Hand ging. Konstanze war inzwischen befähigt die Apotheke allein fortzuführen, doch sie entschied sich, Hinrich und den Schwiegereltern zu helfen, indem sie im Kontor in der Katharinenstraße mitarbeitete. Konstanze arrangierte sich mit den übrigen Kocks in dem großen Haus. Josephine übernahm Mutters Arbeit, ohne dass sie gefragt werden musste. Sie organisierte das Familienleben, sowohl den großen Haushalt. Darüber hinaus erledigte sie ihre Kontoraufgaben und vielerlei Weihnachtsverpflichtungen gegenüber der Stadt und dem Handel.

    Große Anerkennung und den Stolz meiner Eltern erfuhr ich, als ich im Dezember 1755 von der vermeintlichen Walfangfahrt heimkam. Obwohl ich ohne Mannschaft und Schiff dastand, allerdings mit einem kleinen Vermögen aus dem Erlös des Walfangs. Gerade die Anerkennung meiner Eltern vermisste ich in den Jahren meiner Jugend so sehr, dass ich mich schon lange danach gesehnt hatte, endlich als vollwertiger Mensch angesehen zu werden und nicht als jüngster Spross der Familie mit der Narrenfreiheit eines Harlekins gesegnet zu sein. Die Einzelheiten erzählte ich bereits ausführlich.

    Doch nun zum Ergebnis unseres Familientreffens Ostern 1756. Großvater wollte weiter für das Kerngeschäft, den Handel zuständig sein, Hinrich kümmerte sich um die Reederei, während ich für alle überseeischen Unternehmungen zuständig wurde - sozusagen Ressort übergreifend. Insbesondere für die Waren unserer europäischen Nachbarn aus ihren Kolonien, die einen immer größeren Stellenwert bekamen. Ob Kock & Konsorten den Walfang fortführen wollte, stand zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest. Vater hatte sich mit Onkel Clemens aus La Rochelle per Schriftwechsel verständigt. Denn Onkel Clemens redete als Miteigentümer des Konsortiums selbstverständlich mit und zudem war seine Meinung von großem Gewicht. Damals wie heute wurden die Schiffsverbindungen zwischen La Rochelle und Hamburg während des Winters unterbrochen, wenn die Witterungsverhältnisse entsprechend ausfielen. Deshalb bekam euer Großvater, Johann Ludwig Kock, erst kurz vor Ostern die Antwort aus Frankreich, indem Onkel Clemens meinem Vater freie Hand ließ und die Sache nicht weiter verkomplizierte. Onkel Clemens war bekanntermaßen schon viel früher von den Fähigkeiten meiner Geschwister und mir überzeugt gewesen. Somit bedeutete seine Antwort kein großes Wagnis und auch keine Überraschung. Es war eine schwierige Zeit und ein Lernprozess für alle. Für mich war es entscheidend, gleichberechtigt arbeiten zu können und so hatte jeder von uns eine bedeutende wichtige Aufgabe innerhalb von Kock & Konsorten zu erfüllen. Heute bin ich froh, dass wir diesen Teil der Familienchroniken hinter uns haben und in ruhigeres Fahrwasser steuerten und ich mich nicht mehr ständig beweisen musste.

    „Vater, wie wirkte sich Neid und Missgunst unter euch aus", fragte Caroline und erwischte den Punkt, den ich ungern näher ansprechen wollte, weil es bei diesem Thema nur Verlierer gab.

    „Nun gut, ich hatte es erwähnt. Also muss ich es euch auch erklären. Nach meiner Rückkehr fühlte ich mich von Vater akzeptiert, wenngleich das Los des Erstgeborenen an mir haftete. Er behandelte Hinrich und mich gleichermaßen, so wie es nie vorher der Fall gewesen war. Hinrich empfand es als Herabsetzung und sah seine Vorrechte als Erstgeborener beschädigt. Seinen Bruder als gleichwertiges Familienmitglied zu sehen, fiel ihm damals ziemlich schwer. Er war mit dem Ergebnis der Walfangfahrt gar nicht einverstanden. Hinrich sagte jedem, dass er nicht mit der Mannschaft und dem Walfänger in Quebec bei den Franzosen überwintert hätte, sondern mit dem Fang nach Hamburg gesegelt wäre und die Briten in die Flucht geschlagen hätte. Schließlich brauchte man den Waltran in Hamburg. Meinen umständlichen Heimweg, auf dem Ohio und den Mississippi nach Neu Orléans, fand er idiotisch und zudem hätte ich den Erlös des Walfangs aufs Spiel gesetzt. Außerdem warf er mir vor, unsere Mannschaft und das Schiff allein gelassen zu haben. Allerdings war er der Einzige, der diese Ansichten vertrat. Doch mein Zorn wurde deswegen immer wieder durch seine Beschuldigungen genährt. Schließlich wurde die Situation für alle unerträglich und Lisa und ich beschlossen ohne Brimborium kurzerhand zu heiraten. Vor allem aber, ein eigenes Heim zu beziehen. Es ging auch ohne pompöse Feier im Baumhaus, wie sie ursprünglich einmal geplant war. Ihr wisst vielleicht, dass gleich nach der Walfangfahrt im Oktober die Verlobungsfeier im Baumhaus gefeiert werden sollte, die eure Mutter vorbereitet hatte. Ihre Enttäuschung meines Fernbleibens war der Anfang des zermürbenden Wartens. Im Sommer heirateten wir schnörkellos, natürlich in der Katharinenkirche und mieteten die kleine Wohnung, drei Hauseingänge neben unserem heutigen Haus in unserer geliebten Kehrwiederstraße. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir von der Konstanze noch nichts gehört. Frühestens im September rechneten wir mit ihrer Ankunft. Erst in der zweiten Hälfte des Aprils war überhaupt mit dem Aufbrechen des Eises auf dem Sankt-Lorenz-Strom in Kanada zu rechnen. Vorab bedeutete dies, eine wiederum verkürzte Walsaison für die Konstanze und damit ein vielleicht spätes Eintreffen in Hamburg. Der Krieg der Franzosen und Briten in Amerika anno 1756 verstärkte sich indes. Wie eine heimtückische Seuche breitete sich auch in Europa der Krieg weiter aus. Seeblockaden, Kaperfahrer und Handelsbeschränkungen, bis hin zu weitreichenden Handelsverboten machten unsere Arbeit schwierig. Es brodelte in den Königshäusern Europas und die Herrscher überlegten, ob sie die richtigen Verbündeten hatten. Nun zählte auch ich zu den Wartenden und erfuhr die tägliche Qual des Durchlesens der Schiffsregister, die unter anderem die ankommenden Schiffe im Hafen aufführte. Damals könnte man meinen, dass sich die Heimfahrt der Konstanze nicht weniger risikoreich entwickelte, als das was ich zuvor in Neufrankreich erlebte. Im September bilanzierte Großvater die Neuaufteilung der Arbeit bei Kock & Konsorten mit einem zufriedenstellenden Ergebnis. Segensreich! Wir schlossen uns ihm in seinen Ausführungen an. In

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