Lächeln in Bangkok
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Über dieses E-Book
Ich öffne die Augen gerade im richtigen Moment, um noch das kleine eichhörnchenartige Tier zu sehen, das soeben auf den Stamm einer großen Palme klettert.
Der Lärm der Riesenstadt wird durch die vielen Pflanzen und die den Hotelgarten umgebende, von hier fast unsichtbare Bebauung perfekt gefiltert.
Ich atme die unverhoffte Stille mit dem scheinbaren Gewächshausduft.
Leise kommt Vanessa hinter mir durch die Balkontür, legt ihre Arme von hinten um mich und ihren Kopf an meine Schulter. Ihre blonden Haare kitzeln mein Ohr. Ich drehe mich zu ihr und gebe ihr einen Kuss auf die Nasenspitze. Sie sieht müde aber hübsch aus.
"Riechst du das?" fragt sie mich leise und noch etwas verschlafen.
Ich nicke: " Ja, es riecht wie…"
"in unserem botanischen Garten im Gewächshaus", unterbricht sie mich.
Ein Tautropfen nutzt das meterlange nur armbreite Blatt eines spiralförmig gewachsenen Baumes, der sich an die Balkonbrüstung lehnt, als Sprungschanze zur Erde.
Leise plätschert ein kleiner künstlicher Bachlauf.
Es ist noch immer so ruhig-und dieser Duft.
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Buchvorschau
Lächeln in Bangkok - Klaus Heidenreich
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Titel:
Lächeln in Bangkok
Autor:
Klaus Heidenreich
Copyright: © 2014 Klaus Heidenreich
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
ISBN: 978-3-8442-8615-1
Lächeln in Bangkok
Für meine Eltern,
die sich mittlerweile zu alt fühlen für eine doch recht strapaziöse Reise, und denen früher auf Grund der politischen Situation lediglich ein verschwindend kleiner Teil der Welt zugänglich war.
Die „Wende" kam einfach zu spät.
Tolle Stadt – glauben wir.
Wenn wir das nächste Mal auf die Welt kommen, fahren wir auch hin.
So aber warten wir auf Euren ausführlichen mündlichen Bericht.
(Mein Vater Horst - auf unsere per Email geschilderten Eindrücke.)
Sonhha
Wir sehen ein relativ kleines Schild mit der Aufschrift „Gothailand". Nur niemanden, der dazugehört.
Das Gedränge hier in der Ankunftshalle des Flughafens Bangkok ist einfach zu groß. Das Schild bewegt sich weg von uns. Wir rumpeln mit unseren Rollkoffern über Kanten, Gitterroste und jede Menge Füße panisch hinterher. Nur nicht den Kontakt verlieren. Das Schild bewegt sich auf einen anderen Ausgang zu. Jetzt verharrt es an einer Stelle. Der Abstand zwischen uns Kofferrallyefahrern und dem Schild verringert sich. Gleich haben wir’s. Jetzt. Die hellbraune Pappe zeigt zum Ausgang, also genau weg von uns. Es ist unerträglich heiß. Wir kämpfen uns weiter voran und sehen noch immer nicht, zu welchem Körper die Hand, die das Schild hält, gehört. Jetzt. Lange schwarze Haare und dazu eine sehr kleine zierliche Person.
„Gothailand", rufe ich.
Sofort dreht sich die zierliche junge Frau um, klemmt sich die „Gothailand"-Pappe unter den rechten Arm, lächelt uns an, als ob wir uns schon eine Ewigkeit kennen und sie sich wie wild freut, uns endlich wiederzusehen. Sie faltet ihre Hände vorm Kinn und verneigt sich mit den Worten:
„Sawatdeekah… Herlik willkommen. Familie Heidenrei?"
Das ‘ch‘ am Schluss verschluckt sie.
Wir nicken emsig, probieren auch so etwas wie eine Verbeugung und lächeln zurück. Was auch gar nicht anders geht. Zu herzlich war diese Begrüßung.
„Mein Name ist Sonhha."
Die ganze Betonung ihres Namens liegt auf dem ’ha’ am Schluss, das sie in die Höhe schraubt, als wolle sie anfangen, ein Lied zu singen.
„Ik bin euer Bangkok Guide die nächten drei Tage. Bringe eu jetzt in Hotel. Könnt ihr eu frischmahen und wenn ihr habt Lust, mahen wir no eine kleine Spaziergang zu die höchte Tower von Thailand. Is nih so wei von die Hotel."
Sie winkt einen etwa 1975-er Volvo herbei, öffnet die Tür, lächelt uns wieder herzlich an und meint:
„Fahrer bring eu in Hotel. Seid ihr dort etwa sechsen Uhr. Ik komme funf Uhr, okay? Mahen wir so?"
Wir nicken schon wieder, weil wir schon wieder gar nicht anders können. Sonhha macht uns Vorschläge, als wäre es ihr innigster Wunsch, uns die Stadt zu zeigen. Aber waren es nicht wir, die einen Guide gebucht hatten?
Alles läuft schnell und perfekt - wir kommen kaum zum Nachdenken. Sonhha schiebt uns in den tiefgekühlten Volvo, lacht uns schon wieder herzlichst mit gefalteten Händen an: „Sawatdeekah, verneigt sie sich, „Bi gleih.
Vanessa nestelt fast schon zitternd vor Kälte ihre Jacke aus dem Rucksack. Meine hatte ich noch am Gepäckband mit zu Vanessa gerichtetem vorwurfsvollen Blick und den Worten: „In Bangkok eine Jacke?", in den Koffer verbannt.
Der Fahrer wuchtet selbigen soeben in den alten Volvokofferraum, verneigt sich und grüßt uns nicht weniger herzlich als Sonhha:
„Hotel Nai Lert Park, okay?"
Einmal mehr nicken wir geflissentlich.
Ich schaue auf die Uhr. Es ist kurz nach halb vier. Wann werden wir im Hotel sein, hat Sonhha gesagt? Um sechzehn Uhr? Wie soll das gehen? Der Flughafen ist doch mindestens zwanzig Kilometer vom Zentrum entfernt… Oder besser gesagt von unserem Hotel. Denn Zentrum, so werden wir noch erfahren, ist in Bangkok irgendwie fast alles. Und von leeren Straßen in dieser Stadt haben wir bis dato auch noch nie etwas gehört.
Unser Fahrer fährt los. Bereits nach Einlegen des dritten Gangs wird mir klar, warum der Zeitplan funktionieren könnte. Der Wolf im Schafspelz ist hier quasi der Ferrari im Volvokleid. Wir fahren auf die Stadtautobahn.
Nach Ende der Beschleunigungsphase rutsche ich zur Mitte, um einen Blick auf den Tacho zu erhaschen. Leider verdeckt die Schulter des Fahrers den Blick auf den rechten Teil des Tachos. Dort muss die Nadel irgendwo sein. Im für mich einsehbaren Bereich von 0 bis 140 hat sie es sich zumindest nicht bequem gemacht. Auf der Rennpiste stehen leuchtende Schilder: 80.
Naja, dass wir schneller sind, merken wir auch ohne Tacho. Nein, wir sind nicht nur schneller, wir sind die Schnellsten.
Immer wieder geht mein Blick zum Tacho. Ich mache noch eine andere interessante Feststellung. Der Zähler steht bei 999 987 Kilometern. Wenn wir noch dreizehn Kilometer fahren, müsste er wieder auf null springen oder bei 999 999 stehen bleiben. Am liebsten würde ich den Fahrer darauf aufmerksam machen. Passiert ja nicht alle Tage. Ich starre gespannt auf die Ziffern. Mit einer Gefühlsmischung aus Enttäuschung und Respekt muss ich allerdings zur Kenntnis nehmen, dass sich die Million heute wohl nicht mehr voll machen lässt, da sie es vermutlich vor längerer Zeit schon geschafft hat. Der Kilometerzähler bewegt sich einfach nicht weiter. Vielleicht würde er im Funktionsfalle schon an der zweiten Million knabbern. Auch die Sache mit der Tachonadel klärt sich in diesem Zusammenhang. Sie hängt, von mir mit Nichtbeachtung gestraft, mausetot unten links. Weit unter der Null am linken unteren Anschlag. Gefühlt allerdings so weit rechts wie es nur geht.
Wir sind nämlich schon mitten in den gigantischsten Häuserschluchten angekommen. Noch immer auf der Autobahn - mittlerweile fast stehend - an einer Mautstelle. Die Abfertigung geht so zügig wie das Leertrinken von einem Glas Bier nach einem Dreißig-Grad-Tag auf der Baustelle. Schon sind wir im Gewirr, in dem unser Fahrer einige waghalsige Manöver vollführt, und ratzfatz, tatsächlich Punkt sechzehn Uhr stehen wir vorm Hotel Nai Lert Park. Respekt.
Die Türen werden geöffnet, die Pagen wuchten die Koffer aus dem Auto in die Lobby.
Der Fahrer bedankt sich offensichtlich dafür, dass er uns fahren durfte. Ich zücke meine Geldbörse, und sofort merke ich wieder, dass darin nur große Scheine sind. Der Chauffeur erkennt sofort mein Problem und wehrt freundlich lächelnd ab:
„No, no, no! Khop khun khrap." Danke - wie wir noch erfahren werden. Er verneigt sich, winkt, lächelt, faltet die Hände und verneigt sich dabei nochmals.
„Sawatdee khrap." Guten Tag, Schönen Abend, Auf Wiedersehen. Für alles ein Wort. Sawatdee khrap (Sawatdeekah) passt immer.
In unserem Zimmer steht ein Blumenstrauß und eine kleine Torte mit Happy – Honeymoon - Schriftzug. Ja, wir hatten eine Flunkermail versendet, weil wir gelesen hatten, dass es im Hotel auch recht laute Zimmer gibt. Also hatten wir uns zum Jubiläum, das wir aber nicht haben, ein schönes Zimmer erbettelt. Offensichtlich eben auch mit Blumen, Obstschale und Kuchen. Auch gut.
Wir duschen, ziehen uns um und sind kurz vor fünf fertig. Punkt siebzehn Uhr klingelt das Telefon. Verdammt, denken wir, was ist los? Deutsche Pünktlichkeit im chaotischen Bangkok?
„Ja hallo, hier it Sonhha… Ik warte in der Lobby, kommt ihr, wenn ihr so weit seid."
Ja, sind wir. Wir kommen.
Sonhha steht in der Lobby, strahlt uns an und begrüßt uns noch einmal ebenso freundlich wie bei unserem ersten Zusammentreffen.
Sonhha ist sehr hübsch, sie hat für hiesige Verhältnisse sehr große schöne Augen, fast selbstverständlich braun, lange glänzend schwarze Haare und ist, wie die meisten hier, sehr schlank. Nur ein etwas schiefer Schneidezahn könnte ihr an sich selber vielleicht nicht so gut gefallen, hält sie aber nicht davon ab, beinahe unentwegt zu lächeln.
Sie trägt ein lilafarbenes Oberteil, das irgendwie eine Mischung aus Bluse und Poloshirt zu sein scheint, eine lange schwarze Hose und Flipflops.
Fast alle hier tragen lange schwarze Hosen, denke ich. Warum nur? An den Temperaturen wird es wohl nicht liegen. Vielleicht frage ich sie später danach.
„Na, wollen wir auf den Baioke Sky Tower steigen?"
„Steigen?, fragt Vanessa etwas irritiert, „Wie viele Stockwerke sind das?
„Naaaiiin, lacht Sonhha, „war nur eine Spass. Konnen wir nik steigen. Sind dreiundachtzig Stockwerken. Ihr seid schon ausgeschopft, wenn ihr am Tower angekommen seid.
„Erschöpft", verbessere ich sie freundlich.
„Ja, ja", freut sich Sonhha, „ausgeschopft ist die Suppe, ja? I verwechsele imma.
Auf jeden Fall - Bangkok ist schwer. Zum Sky Tower sind nur zwei Kilometer, aber schwer. Ist heiß, laut und gefahrlich."
„Gefährlich?", fragen wir.
„Ja, wir mussen paar Mal die Seite von die Straße verwechselen. Is nik so einfach, aber geht."
„Habt ihr denn keine Ampeln?"
Ich schaue Sonhha verstört an.
„Doh, doh - haben wir viele. Sind aber nur für die Autos. Für Leute keine. Oder nur ganz wenig. Die Autos mahen sonst noh mehr Stau ohne die Ampeln. Leute nich. Aber keine Angst. Die Autofahrer sind ganz gute in Thailand. Passe auf imma."
Vielleicht hat sie recht. Unser Volvochauffeur hat uns immerhin lebend zum Hotel gebracht. Und schnell.
Während wir bei unserem Gespräch die Zufahrt des Hotels bereits verlassen haben und uns nun an einer etwa achtspurigen Straße befinden, deutet Sonhha auf die andere Straßenseite und macht eine Geste, bei der sie ihre Finger mehrmals zum Mund führt.
„Da druben gibt Essen nachher."
Da kommen wir nie rüber, denke ich. Ich zähle nochmals die Spuren. Markiert sind nur drei in jeder Richtung. Aber nebeneinander passen mindestens vier, manchmal fünf Autos. Und ein paar Mopeds. Optimale Ausnutzung der Infrastruktur, denke ich.
Wir laufen weiter. Der ganze Fußweg neben der Straße ist nun ein einziger großer Markt. Neben frittierten Hühnerbeinen liegen gefesselte Krebse. Nebenan gibt es Rolex, Breitling, und - Achtung: Glashütte-Uhren für um-gerechnet zehn bis zwanzig Euro. Weiter geht’s mit Armani- und Lafroge - Hemden, i-Phones, erbärmlich stinkenden getrockneten Fischen, Hugo-Boss-Schlüpfern, gebratenen und rohen Schlangenköpfen, Designerbrillen in allen Stärken, Heimwerkerbedarf, zum Sechserpack gebundene Frösche, Fahrerlaubnisse und Ausweise für alles und jeden, Frühlingsrollen, Fleischspieße in allen erdenklichen Variationen, Adidas-Schuhe, FC-Bayern - Schweinsteiger- und Lazio-Rom-Klose-Shirts, Viagra, Aspirin, einstündige Thai-Massagen mit und ohne Happy-End, lebende und tote Hühner, schlafende Obdachlose, Ananas, Bananen, Bohnen, Straßenmusiker, jede Menge Auto- und Mopedabgase, Lärm und Menschen, Menschen… Menschen. Sogar Bratwurst. Nur keine Original Thüringer. Aber das kommt noch. Da bin ich sicher.
Plötzlich geht’s nicht mehr weiter. Wir stehen mit mindestens hundert Menschen gemeinsam am Straßenrand. Fragend sehen wir Sonhha an. Sie schreit mir etwas ins Ohr.
In diesem Moment donnert ein völlig überladener LKW an uns vorbei, von dem ich meine, dass er mit mindestens zwei Düsentriebwerken angetrieben wird.
Sonhha lacht und probiert es noch einmal: „Wir mussen hier ruba!"
Ich beobachte die Straße. Eine endlose Blechlawine wälzt sich die Straße entlang. Der Abstand zwischen zwei aufeinanderfolgenden Autos ist immer gleich. Maximal fünfzig Zentimeter. Der Strom reißt nicht ab. Eine Minute, zwei Minuten…drei. Jetzt schon vier, schätze ich, und schaue Sonhha an. Sie zeigt zur Ampel, die hundert Meter von uns entfernt steht und in diesem Moment gerade auf Rot springt. Eine gigantische kunterbunte Blechlawine kommt zum Stillstand. Der Abstand der Autos verringert sich nun auf zwanzig bis dreißig Zentimeter. Alles steht.
„Los!, schreit Sonhha, „Jetzt! Aber aufpassen die Moped!
Die inzwischen mindestens zweihundert-köpfige Menschenmenge rennt los, als gäbe es kein Morgen mehr. Zwischen den Stoßstangen ist immer nur Platz für zwei Beine. Überall, wo zwischen zwei Autos genug Raum ist, drängeln, quetschen sich Menschen hindurch. Die kleine Sonhha stößt sich den Kopf am Außenspiegel eines überdimensionalen Jeeps, ich selbst verheddere mich bei dieser irren Hatz mit meinem Rucksack an einem Mopedlenker, der plötzlich hinter einem LKW erscheint. Heiße Auspuffgase grillen meine Waden, als es vor mir plötzlich nicht mehr weiter geht, weil ein weiteres Moped die Schneise des hektischen Fußvolks versperrt. Tragen die Thais trotz der Hitze deshalb alle lange Hosen? Ich will zurückweichen vor Schmerz, aber auch da stehen schon Mopeds. Sonhha und Vanessa habe ich längst aus den Augen verloren. Ich sehe nur, dass ich einer der Letzten in der Schlange meines Fluchtweges bin, und dass die verdammte Ampel mittlerweile auf Grün geschaltet hat. Die Motoren heulen auf. Die Auspuffgase heizen die ohnehin schon stickige Luft um weitere gefühlte zehn Grad auf. In der Ferne erkenne ich, wie sich der Kopf der sechs- oder siebenköpfigen Schlange in Bewegung setzt. Ich denke an Sonhhas Worte: ‘Die Autofahrer sind ganz gute in Thailand. Passe auf immer’.
Ich hoffe, sie behält recht.
Plötzlich löst sich der Menschenstau