Lieben, glauben und hoffen...
Von Natalia Stuphorn
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Über dieses E-Book
Im Jahr 2001 sucht eine russlanddeutsche Familie nach einer neuen Wohnung in Berlin. Zum Glück — oder ist es eine Ironie des Schicksals? — finden sie eine Traumwohnung. Nach ein paar Monaten erfährt Vera Braun, die 1942 in der Ukraine geboren wurde, dass sie das uneheliche Kind eines deutschen Wehrmachtsoffiziers ist ... und ihre Vermieterin Gerda Mai ihre Tante ...
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Buchvorschau
Lieben, glauben und hoffen... - Natalia Stuphorn
Natalia Stuphorn
Lieben, glauben und hoffen...
Roman
mit Gedichten von
Norma Escobedo de Driever
und Illustrationen von
Natalia Stuphorn
Kurzbeschreibung
„Lieben, glauben und hoffen..." handelt vom Leben zweier junger Frauen: der Ukrainerin Ljuba und der Deutschen Gerda, die im Zweiten Weltkrieg auf entgegengesetzten Seiten der Front lebten. Beide Frauen wurden im Jahr 1925 geboren. Sie und ihre Familien - und natürlich auch die von ihnen geliebten jungen Männer - wurden durch die Kriegszeit schwer gezeichnet. Das Schicksal zwang die Frauen zu hassen und zu lieben. Durch ihre Beziehungen entstand ein Band zu ihrem Gegner, ein Band, das von den damaligen Gesellschaften verurteilt wurde.
Im Jahr 2001 sucht eine russlanddeutsche Familie nach einer neuen Wohnung in Berlin. Zum Glück - oder ist es eine Ironie des Schicksals? - finden sie eine Traumwohnung. Nach ein paar Monaten erfährt Vera Braun, die 1942 in der Ukraine geboren wurde, dass sie das uneheliche Kind eines deutschen Wehrmachtsoffiziers ist... und ihre Vermieterin Gerda Mai ihre Tante...
Impressum
Copyright (c) 2014 Natalia Stuphorn
Landsberger Allee 171c, 10369 Berlin
Die Gedichte: Betrachtungen der Poesie, Die Trauer meiner Verse, Blaue Nacht, Liebesfeuer und Sinnlichkeit des Wortes gehören der Autorin Norma Escobedo de Driever aus ihrem Gedichtband „Mujer y Poesía/Frau und Poesie" Editionen Trilce, Berlin 2007.
Die Gedichte wurden mit freundlicher Genehmigung im Rahmen dieser Geschichte verwendet.
Alle Figuren (Personen) und Geschehnisse dieses Romans sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit zu realen Personen oder Ereignissen aus der Vergangenheit oder Gegenwart ist rein zufällig.
Lektorat: Hannelore Völker, Berlin
Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
ISBN: 978-3-8442-9101-8
Inhaltsverzeichnis
1941. Über Ljuba...
Präambel
Kindheit
Krieg
Erste Begegnung
Tagebuch
Der deutsche Gast
Gespräch mit Mutter und Vater
Ode an die Freude
Eine kritische Situation
Leben und Tod
2001. Gerda...
Die neue Wohnung
Nach dem Umzug
Auf dem Friedhof
Die Einladung
Bei Gerda
Alexanders Geschichte
Nadja
Post
Ljubas Tagebuch
Nachwort
Danksagung
Über die Autorin
Teil 1
1941. Über Ljuba...
Präambel
Das Leben halte in deiner Hand!
Jeder Mensch wählt eigene Wege.
Der mutige Geist ist glücklich im Land
Die Schwächeren sterben.
so dichtete Ljuba im Literaturunterricht in der Schule, als die Biographie und das Schaffen von A.S. Puschkin auf dem Stundenplan standen.
Diese Worte spiegelten Ljubas lebenslange Überzeugung wieder.
Obwohl es ihr Prinzip war, nur sich selbst zu vertrauen, glaubte sie im weitesten Sinne, in der Tiefe ihrer Seele, doch an einen Gott.
Diesen Glauben, genauer gesagt, diese kleine Hoffnung auf Gott hatte Ljuba von ihrer Großmutter, die sie zum Gottesdienst mitnahm. Das änderte sich aber, als sie in die Schule kam.
Die Schule, die Zeit davor, das alles schien ihr in ferner Vergangenheit zu liegen.
Kapitel 1
Kindheit
Nach dem nächtlichen Gewitter war der Sonntagmorgen besonders feierlich. Die Herbstsonne schien hell und die Pfützen, die sich in den Löchern der unbefestigten Straße gebildet hatten, reflektierten ihre Strahlen. Ein Mädchen, ungefähr drei Jahre alt, ging vorsichtig um die Pfützen herum, um seine Schuhe sauber zu halten. Es trug einen roten Mantel und auf dem Kopf saß eine gestrickte Mütze in Form eines Baretts.
Neben dem Mädchen ging eine Frau im grauen Mantel und mit einem Kopftuch aus Wolle. Sie mochte Mitte vierzig sein und grüßte freundlich jeden Menschen, an dem sie vorbeigingen. Scheinbar gab es im Dorf niemanden, den Agafia Petrowna nicht kannte. Sie kamen langsam, ohne Eile, zu der Kirche aus weißem Stein, geschmückt mit goldenen zwiebelförmigen Türmen. Die Glocken läuteten. Sie riefen die Gläubigen zum Gottesdienst.
Agafia Petrowna blieb vor dem Eingang der Kirche stehen und bekreuzigte sich. Das kleine Mädchen neben ihr machte ihre Bewegungen ganz genau nach. Anschließend gingen beide die Stufen hoch und betraten das Gotteshaus.
Wie zauberhaft war es in der Kirche! Besonders bewunderte das Kind die leuchtenden Kerzen und Öllampen. Große Ikonen in goldenen Rahmen glänzten wie im Sonnenschein. Das schillernde Funkeln begeisterte ihre Seele! Die kleine Nase sog den Geruch von Weihrauch ein und die Psalmen umschmeichelten ihre Ohren.
Sie lauschte den Gebeten, während sie auf der Bank an der Wand saß und dabei mit besonderem Vergnügen die Süßigkeiten kaute, die sie von den neben ihr sitzenden alten Frauen bekam. So wie es in der orthodoxen Kirche üblich ist, dauerte der Gottesdienst drei Stunden. Natürlich war das dem kleinen Ljubchen zu viel, so lange konnte sie nicht stehen. Darum hatte sie sich ziemlich schnell einen freien Platz zwischen alten Menschen und schwangeren Frauen gesucht, für die die Bänke in der Kirche aufgestellt waren. Diese Bilder blieben ihr das ganze Leben lang in Erinnerung.
Als die dreißiger Jahre kamen, zog Ljuba zusammen mit ihren Eltern aus dem Dorf in die Nachbarstadt. Dort wurde sie auch eingeschult. Im September 1939 marschierte die Rote Armee ein und befreite den westlichen Teil der Ukraine von den polnischen Imperialisten. Direkt danach wurde eine sowjetische Regierung eingesetzt.
Ljuba war inzwischen 14 Jahre alt und in der Schule wurde ihr gesagt, dass die Religion „Opium für das Volk" sei. Die Menschen müssten ihr Leben selbst in die Hand nehmen und nicht auf Gott und den Himmel hoffen.
Voller Überzeugung band Ljuba stolz ihr rotes Halstuch um – ihren Teil der roten Fahne. Sie trug ihr Pionierhalstuch überall, auch außerhalb der Schule vertrat sie ihre Meinung über die siegreiche Zukunft des Kommunismus. Sogar als sie in den Sommerferien zu ihrer Großmutter fuhr, wurde dieser Talisman, ihr rotes Halstuch, unter den Spitzenkragen des Sommerkleides gebunden.
„Gott sei Dank, dass du da bist!, freute sich ihre Großmutter, als sie ankam, „Wie war es unterwegs, Ljubchen?
„Gut, Oma! Aber wegen Gott, Ljuba überlegte einen Augenblick, „dem brauchst du nicht zu danken. Es gibt keinen Gott! Das habe ich in der Schule gelernt. Du solltest doch wissen, dass der Mensch vom Affen abstammt. Man muss an sich selbst glauben
, Ljuba holte Luft, „und natürlich an Genosse Stalin! Ich bin Pionier und morgen am Sonntag gehe ich nicht mit dir in die Kirche. Das ist nichts für mich."
Die Großmutter schaute auf Ljubas rotes Halstuch und schüttelte betrübt ihren Kopf. „Oh, Ljubchen, wir haben keine Kirche mehr, Oma Petrowna sprach leise und zeigte mit ihrer Hand zur Seite, „schau mal, da!
Ljuba blickte in Richtung der Kirche, konnte aber am Gebäude nichts Besonderes erkennen.
Erst später sah sie, dass kein Kreuz auf dem Turm war. Das überraschte Ljuba.
„Wir haben keine Kirche mehr, heute ist dort die Mühle." Die betagte Frau sprach jetzt noch leiser und mit dem Blick auf das Gotteshaus. Dann sah Ljuba, dass am Eingang der Kirche viele Säcke mit Korn aufgestapelt waren. Das Mädchen war neugierig geworden und lief schnell die Stufen zur geöffneten Tür hoch. Aus der früheren Kirche war die ganze Einrichtung bereits weggeräumt. Nur undeutlich konnte man durch den Mehlstaub noch an den Wänden die Gemälde der Heiligen erkennen. Ljuba wollte zur Ecke gehen, wo früher ihre Bank gestanden hatte.
„Na, du Pionier, was machst du hier? Besuchst du deine Oma?", fragte ein großer Mann mit Akne im Gesicht.
Er sprach sie so überraschend an, dass Ljuba zur Wand zurückwich. Mit ihrem Fuß trat sie auf ein kleines Stück Leinwand, das von einer zerstörten Ikone auf dem Fußboden liegen geblieben war. Verängstigt durch das plötzliche Erscheinen des fremden Mannes hob sie den Fetzen schnell auf und sprang flink durch die geöffnete Tür hinaus.
Oma Petrowna sagte, dass der Mann Onkel Bogdan, der Kolchosvorsitzende sei und sie keine Angst vor ihm zu haben brauche. Er wäre gut und hilfsbereit. Onkel Bogdan versuche sogar den Leuten aus der Stadt zu erklären, dass man die Ikonen in Museen noch benötigen würde. Aber nein, alles wurde ins große Feuer geworfen. Und den Priester, Pater Dimitrij, den haben sie hinter dem Zaun zum Kirchhof erschossen.
Ljuba wischte den Staub von der Leinwand. Auf dem Fragment sah sie in die großen, unvergesslichen Augen eines Mädchens. „Die heilige Vera!", flüsterte Ljuba. Es war ein Stück von ihrer Lieblingsikone, auf der die drei heiligen Mädchen dargestellt waren:
Vera, Nadeschda und Ljubov.
Früher, als Ljuba noch sehr klein war, war sie sehr stolz darauf, dass es auf dieser Ikone drei schöne Mädchen gab, aber das schönste von ihnen war das jüngste: Ljubov.
Den vollen Namen konnte Ljuba damals noch nicht aussprechen, darum zeigte sie mit ihrem Fingerchen darauf und sprach: „Ljuba... Ich bin auch Ljuba!"
Nun hielt sie den Rest mit der Abbildung von Vera in den Händen. Vera, das bedeutet Glauben.
Ljuba fragte sich, ob sie wirklich an sich selbst glauben würde. Sie war doch Pionier, oder glaubte sie tief im Innern doch an Gott? Ihre Gefühle waren zwiespältig und insgeheim spürte sie, dass der Allmächtige das Dorf für die entweihte Kirche bestrafen würde.
Kapitel 2
Krieg
Die ersten Jahre, in denen der Sozialismus aufgebaut wurde, waren für alle sehr schwer. Trotzdem konnten sich die Menschen nicht vorstellen, dass dieser Wandel nicht von Dauer sein sollte und schon gar nicht, dass in der Nacht zum 22. Juni 1941 deutsche Divisionen ohne Kriegserklärung auf breiter Front von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer in die Sowjetunion einmarschieren würden. Tausende Panzer, Artilleriegeschütze und Millionen Soldaten überrannten mit großer Unterstützung der Luftwaffe die Grenze der UdSSR. Viele Grenzsoldaten der Roten Armee versuchten vergeblich ihre Posten dem Feind nicht preiszugeben und ergaben sich somit ihrem Schicksal: entweder Tod, oder Einkesselung. Die deutschen Panzer umfuhren zielstrebig stark bewaffnete Orte, um möglichst schnell strategisch wichtige Punkte einzunehmen und auch Versorgungslinien der Roten Armee zu unterbrechen. Der Plan ging auf und viele Divisionen der Roten Armee verloren dramatisch an Stärke. Tausende Flugzeuge der Luftwaffe bombardierten die großen, strategisch bedeutenden Städte, darunter war auch die sehr schöne, historische Stadt Kiew - die Hauptstadt der Ukrainischen Sowjetrepublik.
Ljuba wurde von einem ungewohnten Brummen in der Luft wach. In der Ferne hörte sie es donnern, als ob ein Gewitter aufziehen würde. Trotzdem konnte sich die junge Frau nicht vorstellen, was vor sich ging. Draußen war es schon hell, durch die zugezogenen Gardinen schienen die ersten Sonnenstrahlen. Als sie die Vorhänge zu Seite zog, strahlte ihr ein wundervoller Morgen entgegen. Von Regen oder Gewitter war weit und breit keine Spur. Ljuba schaute aus dem Fenster. Die Menschen, die draußen auf der Straße unterwegs waren, hatten es sehr eilig. Sie wunderte sich, dass an einem Sonntagmorgen so viele Soldaten und Offiziere auf der Straße waren. Immer wieder hörte man laute Befehle. Fast schien es, dass sich die Armee aus ihrer Stadt zurückziehen würde.
Nina, Ljubas Mutter, stürzte ins Zimmer: „Töchterchen, es ist Krieg! Die Deutschen haben uns überfallen!"
Mit Augen voller Verzweiflung schaute sie ihre Tochter an und suchte ihre Unterstützung: „Was sollen wir bloß machen? Dein Vater ist gestern nach Kiew gefahren, um sich die Eröffnung des neuen Fußballstadions und das Spiel von Dynamo Kiew anzuschauen. Er und sein „historisches Ereignis. Und wir, was sollen wir jetzt machen? Wir bräuchten ihn doch hier, aber statt dessen ist jetzt alles ungewiss. Was ist nur mit ihm und was wird aus uns?
Nina setzte sich auf die Kante von Ljubas Bett. Sie war so verängstigt, dass ihre Knie zitterten und sie nicht mehr stehen konnte.
„Mama, es wird schon gut gehen, bleib ruhig. Vielleicht sind die Deutschen nicht so schlecht, wie du denkst. Und Vater kommt bestimmt zurück, du wirst es sehen. Er lässt uns nicht allein", Ljuba umarmte ihre Mutter fest.
Ljubas Mutter Nina sah sehr jung aus. Sie trug ein leichtes Kleid aus Seide mit kleinen Tupfen und eine dünne Strickjacke, die nur mit drei Knöpfen geschlossen war. Nina war schon fünfunddreißig Jahre alt, aber Mutter und Tochter konnten auch für Geschwister gehalten werden, so ähnlich sahen sie sich. Bekannte sagten oft, dass Ljuba eine Kopie ihrer Mutter sei. Aber anders als ihre Tochter trug Nina keine Zöpfe mehr. Als Stadtfrau wollte sie lieber einen modischen Haarschnitt. Sie arbeitete als Lehrerin in einer Grundschule und hatte jetzt gerade Sommerferien.
Nina trat ans Fenster: „Siehst du, Ljuba, die Rote Armee zieht aus der Stadt ab. Sie ist sogar so in Eile, dass die Offiziersfamilien nicht mitkommen dürfen. Ich habe es selbst gesehen, in der Sowjetskaja Straße, wo sie wohnten, weinten die Frauen und Kinder beim Abschied."
Die Kreisstadt, in der Ljubas Familie wohnte, wurde ohne Kampf aufgegeben. Die vielen Männer, die noch nicht zum Militär einberufen waren, blieben im Ort. Schon am nächsten Tag rollten über die mit Steinen gepflasterten Straßen die Motorräder