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Mysterien der Zeit
Mysterien der Zeit
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eBook297 Seiten4 Stunden

Mysterien der Zeit

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Über dieses E-Book

Das römisch besetzte Pompeji
die Colonia Claudia Ara Agrippinensium
Köln im Jahr 1968 und zu unserer Zeit.

Vier verschiedene Welten ... Und doch sind sie miteinander verknüpft.

Anna glaubt weder an Reinkarnation, noch an die Existenz antiker Gottheiten oder magischer Hexenzirkel. Warum also trifft es ausgerechnet sie? Und wieso wacht sie jeden Morgen mit neuen Verletzungen auf? Ist es wirklich die Vergangenheit, die in ihr Leben greift, oder dreht sie schlichtweg durch?

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SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum1. Dez. 2013
ISBN9783847636878
Mysterien der Zeit

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    Buchvorschau

    Mysterien der Zeit - Regina Mengel

    Qindie

    Qindie steht für qualitativ hochwertige Indie-Publikationen.  Achten Sie also künftig auf das Qindie-Siegel! Für weitere Informationen, News und Veranstaltungen besuchen Sie unsere Website.

    http://www.qindie.de/

    Ein wichtiger Hinweis und ein Dankeschön

    Es gab da mal einen Roman, der hieß „Wunden der Zeit - Auf dem Rücken des Nordwinds". Bei diesem Roman handelte es sich um meinen Debutroman. Ein freundlicher E-book-Verlag hatte sich seiner angenommen und ihn als Serial und Gesamtausgabe herausgebracht.

    Nun habe ich mir das Buch noch einmal gründlich vorgeknöpft und einige Euros in die gelungene Arbeit eines hervorragenden Lektors, Florian Tietgen, investiert. Dank der Hilfe von Florian hat das Buch nun nicht nur ein Facelifting bekommen, sondern wurde quasi runderneuert. Es sind Kapitel hinzugekommen, andere sind weggefallen, einzelne Figuren haben neue Facetten bekommen und natürlich habe ich auch noch einmal tüchtig an Handlung und Spannungsbogen gefeilt.

    Auf das, was bei dieser Überarbeitung herausgekommen ist, bin ich stolz. Aber ein Buch ist immer auch ein Gemeinschaftswerk. Selbstverständlich haben meine Testleser, besonders Dani und Sonja, und viele weitere gute Freunde ihren Anteil daran. Ich danke Mary und Asta für die liebevolle Unterstützung, eure Geduld mit jedem meiner Manuskripte und eure Fähigkeit mir immer wieder Mut zu machen. Ein Riesendank gilt auch meinem Mann, der mein größter Fan und gleichzeitig mein größter Kritiker ist. Und da gibt es noch so viele andere Menschen, vor allem die übrigen Letterratten Oli, Tom, Thomas, Martin, Gerd, Birgit, Sylvia, Brigitte und Birgit. Ohne euch und eure kritischen Anmerkungen gäbe es das tolle Cover nicht.

    Prolog

    „Ich möchte lieber Karos", bat das kleine Mädchen und wies auf ein rot-schwarz gemustertes Kleid, das an einer Puppe im Schaufenster hing. Die Frau an ihrer Seite runzelte die Stirn.

    „Einfältiges Balg, sagte sie schließlich. In ihrer Stimme lag Kälte. „Auch du wirst Schwarz tragen, wie es sich gehört. Sie umfasste die Hand des Kindes mit festem Griff und stieß es durch die Tür in das Kaufhaus.

    An diesem Morgen titelte die Bildzeitung: „Das Drama von Köln! Familienvater stürzte sich vom Kirchturm!"

    Drei Tage später versammelte sich die Trauergesellschaft um die Grabstelle, während der Sarg in das Erdloch abgelassen wurde. Am Rand der Grube stand die Frau. Stumm betrachtete sie die Anwesenden. Ein zufriedener Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Neben ihr starrte das Mädchen in die Dunkelheit des Grabes. Ein schwarzes Kleid umhüllte ihre magere Figur. Vor dem Hintergrund des Sonnentages wirkte sie beinahe wie ein Scherenschnitt.

    Als das Mädchen die Hände vor die Augen schlug, entglitt ihr ein Taschentuch. Langsam schwebte das Tuch zu Boden. Zugleich sackte das Kind in sich zusammen. Ein Schrei durchbrach die Stille. Die Trauergäste scharten sich um die kleine Gestalt. Nur die Frau rührte sich nicht. Niemand bemerkte den Ausdruck, mit dem sie zu ihrer Tochter hinüber blickte - niemand, außer dem Mädchen selbst.

    Als viele Stunden später die Nacht herein brach, schleppte sich das Mädchen allein die Treppe des Hauses hinauf, das sie von nun an nur noch mit ihrer Mutter teilte. Sie trat in ihr Zimmer. Auf der Bettkante sackte sie zusammen. Lange blieb sie so sitzen. Sie hielt eine Spieluhr im Arm, und während die Musik spielte, schaukelte sie mit dem Oberkörper vor und zurück. Immer wieder drehte sie den Schlüssel und immer wieder erklang die vertraute Melodie „Guten Abend, gute Nacht … Wie gern hätte das Mädchen den Vater umarmt, ihm einen Kuss auf die Wange gegeben, aber gleichgültig wie lange sie dort saß, der Vater kam nicht. Er käme nie wieder, das wusste sie und doch verweigerte ihre Seele diese Erkenntnis. Sie flüsterte ein paar Worte, die nur für die Ohren ihres geliebten Papas bestimmt waren. Schließlich stellte sie die Spieldose auf den Nachttisch und kroch unter die Decke. „Morgen früh, wenn Gott will …

    Sie träumte wie so oft in den letzten Nächten. Stets sah sie die gleichen Bilder, die immer gleichen Menschen bei den immer gleichen Verrichtungen, doch was sie sah, verstand sie nicht.

    Eine dunkelhaarige Frau kniete in einer marmornen Halle. Vor ihr standen zwei Sessel, auf denen ein Mann und eine Frau von ebenmäßiger Schönheit Platz genommen hatten. Allein durch die Anwesenheit dieser beiden Personen schien die Halle zu erstrahlen.

    Der Mann winkte die Kniende zu sich. Er sprach auf sie ein, aber die Worte verwehten, bevor das Kind sie hätte verstehen können. Es lauschte angestrengt, und wie zur Belohnung vernahm es das Ende der Rede.

    „Du wirst dich unserer Begegnung niemals erinnern, doch wenn es so weit ist, wirst du deine Aufgabe erkennen. Du wirst keine Fragen stellen, sondern sie bereitwillig unterstützen, sie Gerechtigkeit und Vertrauen lehren. So soll dir unsere ewige Dankbarkeit gewiss sein. Nun gehe in Frieden und behalte alles, was ich dir offenbarte, verborgen in deinem Herzen, bis zu dem Tag, an dem sie zu dir kommt."

    Kurz darauf änderte sich das Bild. Immer noch sah das Mädchen die marmorne Halle und ihre über die Maßen schönen Bewohner. Aber dieses Mal stand eine blonde Frau vor den Sesseln. Sie wirkte trotzig und schien mit den Schönheiten zu argumentieren.

    Das Kind konzentrierte sich auf die Worte, doch auch dieses Mal verstand es sie nicht. Es blieb ihm nur die Szene zu beobachten. Sie stritten, immer wieder schüttelte die blonde Frau mit dem Kopf. Nur nach und nach verebbte ihr Widerstand.

    „Es geht ihr wie mir, dachte das Mädchen. „Sie lassen ihr keine Wahl. Ohne es erklären zu können, fühlte sie sich der blonden Frau nahe. Sie spürte, dass sie ein Schicksal teilten.

    Die Träume vergingen und das Kind fiel in tiefen Schlaf. Als es am Morgen erwachte, waren die Bilder wie stets verblasst. Nur Erinnerungsfetzen blieben zurück.

    Teil 1 - 1. Pompeji

    Herbst des Jahres 90 vor Christi Geburt

    Delia stieg die Stufen hinauf und trat in die Schatten der Säulen. Entlang der Mauern des inneren Bezirks zog sich die Peristasis, ein umlaufender Kranz von weißen Säulen, die den figurengeschmückten Giebel des Tempels trugen. Delia stellte den Blumenkorb ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die Mittagshitze setzte ihr zu, obwohl sie lediglich eine leichte Tunika und Sandalen trug. Sie wartete, dass sie wieder zu Atem kam, nahm den Korb auf und betrat die Vorhalle.

    Seit sie zur obersten Priesterin geweiht worden war, gehörte das Schmücken des Altars nicht mehr zu ihren Aufgaben. Doch es bereitete ihr Freude, und sooft die Zeit es zuließ, brachte sie frische Blumen in den Tempel. Heute war ein besonderer Tag, der Tag der Initiation, dem ein Dutzend Mädchen und Jungen seit Wochen entgegen fieberten. Eine Priesterin nahm Delia den Korb ab, denn dieses Mal blieb ihr keine Zeit, sich selbst um den Schmuck zu kümmern.

    Geistesabwesend grüßte Delia die Statuen der Götter, als sie die Cella, den Hauptraum des Tempels, betrat. Apollon und Artemis empfingen die oberste Priesterin, ein Lächeln hinein gemeißelt in die schönen, marmornen Gesichter, um dort auf ewig zu verharren. Für gewöhnlich errichtete man für jede Gottheit einen eigenen Tempel, doch bei den Zwillingsgöttern hatten die Pompejaner eine Ausnahme gemacht. Diese beiden bildeten eine untrennbare Einheit.

    Genau davon berichtete Delia kaum eine Stunde später den Novizen, die in weiße Leinengewänder gehüllt, mit Blüten im Haar vor ihr auf dem Boden hockten. Die Aufregung, die sich angesichts der bevorstehenden Initiation auf den jungen Gesichtern abzeichnete, ließ ihre Wangen erröten und ihre Augen strahlen.

    „Einst, in längst vergessenen Tagen, stieg Zeus aus dem Olymp und erwählte Leto, die Tochter der Titanen Koios und Phoibe zu seiner Geliebten. Bald darauf gebar ihm Leto auf der Insel Delos, am Fuße des Berges Kynthos, die Zwillinge Artemis und Apollon." Delia unterbrach ihren Vortrag und betrachtete die Anwesenden. Inmitten der jungen Leute saß ihr jüngstes Kind. Nach zwei Jungen hatte sie endlich einem Mädchen das Leben geschenkt, dem sie ihren Namen vererbt hatte.

    Sie fuhr fort. „Hera jedoch war zutiefst erbost über die Untreue ihres Gatten. Sie strebte noch vor der Geburt der Zwillinge mit allen Mitteln nach Letos Tod. So entsandte sie die Drachenschlange Python, den Hüter des Orakels von Delphi. Doch Zeus gelang es, zu verhindern, dass Python Leto etwas zuleide tat. So gebar sie schließlich die Kinder unter dem Schutz der Götter des Olymps. Später, als Apollon zum Mann gereift war, rächte er den schmählichen Mordversuch, indem er Python tötete. Er übernahm die seherischen Fähigkeiten der Drachenschlange und das Orakel von Delphi wurde ihm geweiht."

    Nachdem Delia ihren Vortrag beendet hatte, führte sie die Kinder in den Pronaos, den Raum hinter der Cella, um dort auf die Zeremonie zu warten. Den Altarraum ließ sie für die Ankunft der Zwillingsgötter vorbereiten. Delia wies die Bediensteten an, zwei hohe Sessel hereinzutragen. Die Diener setzten die geschnitzten Stühle auf ein marmornes Podest, das sich vor den Statuen aus dem Boden erhob. Vor jeden Thron platzierten sie ein Fußbänkchen, das den Körper eines Tieres darstellte, für Apollon einen Schwan und für Artemis eine Katze.

    Artemis, die Göttin der Jagd und des Waldes, zugleich die Hüterin der Frauen und Kinder, galt als dem Mond zugeschworen. Apollon, der Gott des Lichts, der Heilung, des Frühlings, der sittlichen Reinheit, Mäßigung, Weissagung sowie der Künste, galt als der Sonne zugeschworen.

    In beiden Göttern wohnten das Gute und das Böse in ewiger Balance. Artemis trug stets Pfeil und Bogen bei sich. Ihre Onkel, die Zyklopen, hatten ihr diese zum Geschenk gemacht. Seither vermochten ihre Pfeile Krankheiten unter die Menschen zu bringen oder Sterbliche niederzustrecken. Auch Apollon zögerte nicht, zu töten, sei es aus Rache oder aus anderen Motiven.

    Seit jeher banden die Jahreszeiten die Zwillingsgötter an einen immerwährenden Kreislauf. Im Herbst und im Winter hielt Artemis die Welt in den Händen. So bestieg Apollon bei Anbruch der kalten Jahreshälfte seinen Wagen. Die Schwäne zogen ihn über den Himmel in das Land der Hyperboreer, dem Land jenseits des Nordwinds. Dort ruhte er während des Winters, doch sobald die ersten Vorboten des Frühlings Einzug hielten, kehrte er zurück. Während des Sommers wachte er mit schützender Hand über die Menschen. Artemis hingegen begab sich zur Ruhe. Sie nahm einen Trank aus Wermutkraut und schlief, geschützt durch die Tiere des Waldes, unter einer Zypresse. Hin und wieder erwachte sie aus ihrem Schlummer. Dann durchstreifte sie in Tiergestalt das Land, denn sie vermochte die Erscheinung einer Katze, eines Skorpions, einer Hirschkuh oder einer Bärin anzunehmen. So hielten die Zwillingsgötter die Welt stets im Gleichgewicht.

    Zu bestimmten Zeiten traten die Götter gemeinsam vor ihre Gläubigen. Immer wenn ein Wechsel bevorstand, hüteten sie einige Tage vereint das Schicksal ihrer Gemeinde. In Pompeji hatte sich über die Jahrhunderte eine große Gemeinschaft gebildet, die Apollon und Artemis treu ergeben diente. Angeführt von Priestern und Priesterinnen kamen sie im Tempel zusammen, feierten Feste und Rituale. Die Initiation, die Einweihung in die Religion der gebunden Zeit, war ein wichtiger dieser Anlässe, eine jährliche Feier, bei der die Priesterinnen im Angesicht der leibhaftigen Götter den Ritus des Todes und der Auferstehung vollzogen. Dieses Ritual galt der Wiedergeburt, der Reinkarnation der Seele, die allen Gläubigen inne wohnte. An diesem Tag erhoben die Zwillingsgötter die versammelten jungen Menschen aus dem Rang eine Kindes, in den eines erwachsenen Gemeindemitglieds. Symbolisch ging die kindliche Seele in das Reich der Hyperboreer ein, um gleich darauf wieder aufzuerstehen.

    Viele Menschen wohnten der Zeremonie bei, und als Delia das Gebet des Todes und der Auferstehung sprach, verneigten sich die Gläubigen ehrfurchtsvoll vor ihren Göttern. So wie sie es seit vielen Jahrhunderten taten, frei in ihren Handlungen und in ihrem Glauben.

    Doch mit der Zeit verlor die griechische Kultur an Einfluss in der Welt, und die römische Republik gewann an Macht und Raum.

    Herbst des Jahres 19 vor Christi Geburt

    Delia zog den Schal vor ihr Gesicht. Sie wollte nicht erkannt werden. Seit die Römer die Stadt erobert hatten, hatte sich vieles verändert. Der Beginn der Besatzung lag nun schon 61 Jahre zurück. Neun Jahre lang hatten die Legionen unter der Führung des Feldherrn Lucius Cornelis Sulla die Stadt belagert. Neun Jahre lang hatte Pompeji standgehalten, doch dann gelang es Sulla, der sich zum Diktator des Römischen Reiches hatte ausrufen lassen, die Stadt zu unterjochen. Die Besatzer hatten Pompeji in Colonia Veneria Cornelia Pompeianorum umbenannt und im Südwesten der Stadt zweitausend Veteranen angesiedelt.

    Bis zum Einmarsch der Römer hatte die pompejanische Oberschicht die Geschicke der Stadt geleitet. Die herrschenden Familien hatten sich nicht mit dem Machtentzug abfinden wollen. So war es unweigerlich zu Konflikten gekommen, die seit Jahrzehnten anhielten. Die Römer fühlten sich von den Pompejanern bedroht. Die Zusammenkünfte im Tempel schienen ihnen ein besonderer Dorn im Auge zu sein.

    Unruhig blickte sich Delia um, sie durfte auf keinen Fall entdeckt werden. Sie war nicht mehr gut zu Fuß. Seit sie das Amt der obersten Priesterin von ihrer Mutter übernommen hatte, waren Jahrzehnte vergangen. Inzwischen hatte sie selbst Kinder geboren und groß gezogen. Die Römer hatten Pläne ersonnen, um die Macht der Pompejaner zu schwächen. So hatten sie gefälschte Berichte über magische Riten und blutige Opfergaben nach Rom gesandt. Der Senat hatte den Berichten Glauben geschenkt und die Anbetung der Zwillingsgötter verboten. Der Tempel war geschlossen worden und diente seitdem als Vorratshaus.

    Zahlreiche Priester und Priesterinnen gehörten zu Pompejis einflussreichsten Familien. Auch Delia entstammte einer solchen. Trotz der Verfolgung durch die Römer hatten die Gläubigen niemals von der Religion der gebundenen Zeit abgelassen. Jetzt wirkten sie im Geheimen. Delia hatte in ihrem Landhaus eine Basilika eingerichtet. Dort, in der Villa der Mysterien, traten die Gläubigen zusammen und huldigten den Göttern. Jeder von ihnen schwebte in großer Gefahr, denn die Römer verfolgten die Gläubigen. Viele Menschen wurden bestraft oder sogar hingerichtet, weil sie bei Riten zu Ehren der Götter beobachtet worden waren. Die Anhänger der Religion der gebundenen Zeit waren stets glückliche Menschen gewesen, die im hellen Licht der Sonne Feste und Rituale gefeiert hatten. Doch nun blieb ihnen nichts als der Schutz der Nacht.

    Delia atmete auf, als sie das Portal der Villa durchschritt. Ungesehen huschte sie in das Innere des Hauses.

    Frühjahr des Jahres 10 nach Christi Geburt

    Als das Feuer verloderte, strich sich Nephele die Tränen aus dem Gesicht. Jeder Tod bot Anlass zur Trauer, doch heute hatten sie die sterblichen Überreste von Delia dem Feuer übergegeben. Nephele trauerte um ihre Mutter, die zugleich die oberste Priesterin der Religion der gebundenen Zeit gewesen war. Aber viel Zeit blieb ihr nicht. Schon in wenigen Stunden sollte Nephele selbst diese Rolle übernehmen und ihrer Mutter als oberste Priesterin nachfolgen.

    Nur wenige Gläubige wagten, die Zeremonie zu besuchen. Als Nephele den Gebetsraum in der Villa der Mysterien betrat, wunderte sie sich nicht. Kaum eine Handvoll Menschen würde dem Ritual beiwohnen. Die Gemeinschaft der Gläubigen nahm im gleichen Maß ab, wie die Gewalt der Römer gegen sie zunahm. Niemand konnte den Menschen die Vorsicht verübeln, denn die Römer verbreiteten Angst und Schrecken unter ihnen. Viele hatten bereits Freunde und Familienangehörige verloren.

    Wie so oft bei wichtigen Anlässen wohnten auch heute Artemis und Apollon persönlich der Zeremonie bei. Nephele hatte den Göttern bisher nur ein einziges Mal gegenübergestanden. Es lag Jahre zurück. Sie beeilte sich ihren Platz einzunehmen. Respektvoll beugte sie die zitternden Knie vor den Zwillingsgöttern.

    Als die Weihezeremonie endete, baten die Götter gegen ihre Gewohnheit die Anwesenden noch einmal um Gehör.

    „Meine Kinder, sprach Artemis. „Wir sehen sehr wohl, was in dieser Welt geschieht. Wir sehen, welche Opfer die Gemeinschaft erbringt, um den Glauben an unsere Göttlichkeit zu erhalten. Wir sehen die Toten und beweinen sie, doch wisset, jene, die die Welt liebten, reiten auf dem Rücken des Nordwinds in das gesegnete Reich der Hyperboreer. Und die Bewundernswerten entscheiden selbst, wann ihre Seele erneut auf Erden wandeln wird. So trauert nicht länger, sondern erfreut euch der Begabungen, mit denen wir, als Dank für die bedingungslose Liebe und Treue, die ihr uns entgegen bringt, heute euer Leben bereichern möchten. Mögen die Gaben euch nutzen und dienen.

    Und Apollon und Artemis teilten die göttlichen Gaben mit ihren sterblichen Anhängern. Apollon schenkte die Begabung des Heilens und die Fähigkeit der Weissagung. Fortan vermochten die Gläubigen der Religion der gebunden Zeit Kranke zu heilen und Ereignisse vorherzusehen. Artemis hingegen gewährte das Talent der Gestaltwandlung, das Wissen um die Kräuter sowie die Gifte von Pflanzen und Tieren. Und alle Gläubigen dieser Stunde vermochten ihre Gestalt, ebenso wie die Göttin, in die eines Tieres zu wandeln, in eine Katze, einen Skorpion, eine Hirschkuh oder eine Bärin. Sie vermochten mit Kräutern Rituale zu wirken und das Gift von Pflanzen und Tieren in ihrem Sinne zu nutzen.

    Voller Freude und Ehrfurcht nahmen die Gläubigen diese Geschenke entgegen. Doch ehe die Zwillingsgötter die Glaubensgemeinschaft an diesem Tag verließen, erteilten sie den Sterblichen eine letzte Anweisung.

    „Achtet darauf die Gaben geheim zu halten, pflegt sie im Stillen und gebt das Wissen um sie an die nachfolgenden Generationen weiter."

    Frühjahr des Jahres 10 nach Christi Geburt

    Donner hallte durch die Wolken, Blitze spritzen zu Boden wie Wasserfontänen. Inmitten dieses Unwetters standen Artemis und Apollon mit hoch erhobenem Haupt. Sie sprachen kein Wort, und es schien auch unmöglich, des Göttervaters Wüten zu unterbrechen. Stundenlang tobte das Gewitter. Zeus ließ seiner Verärgerung freien Lauf. Wie hatten die Zwillingsgötter die göttlichen Gaben, die ihnen gewährt wurden, nur derart leichtherzig den Sterblichen überlassen können? Wieder ging eine Salve von Blitzen neben ihnen nieder. Kein Gott des Olymps hatte jemals zuvor einen solchen Frevel begangen.

    Gebeutelt von gerechtem Zorn verschloss sich Zeus allen Argumenten. Er schien geneigt, seine Kinder aus dem Olymp zu verbannen, lediglich die Fürsprache Letos‘ ließ ihn diese Entscheidung noch einmal überdenken. Doch ohne Strafe sollten sie nicht von dannen ziehen dürfen. So nahm Zeus Artemis und Apollon all jene Gaben, die sie zuvor mit den Gläubigen geteilt hatten. Lediglich die Bindung an den Lauf der Zeit blieb ihnen erhalten. In alle Ewigkeit sollten sie über die Jahreszeiten wachen.

    Tiefe Trauer schüttelte die Herzen der Zwillingsgötter. Sie weinten und flehten ihren Vater an, ihnen zu vergeben und ihnen die Gaben zurückzugewähren. Doch Zeus ließ sich nicht erweichen und als sich Apollon und Artemis schließlich zurückziehen durften, blieb ihnen nichts, als das Gefühl von Leere, das fortan ihre Seele erfüllen sollte.

    Frühjahr des Jahres 10 nach Christi Geburt

    Der Zorn des Zeus erschütterte den Olymp noch Tage danach, und Verzweiflung erfasste die Zwillingsgötter. In ihrer Gram waren sie nicht länger Herr ihrer Sinne, und sie zürnten den Sterblichen. Sie wandten sich an die Priester und Priesterinnen der Religion der gebundenen Zeit und forderten ihre so leichtfertig hingegebenen Geschenke zurück.

    Die Menschen fürchteten sich vor den Göttern. Nur Nephele wagte es, Apollon und Artemis entgegen zu treten. Wie gern hätte sie den Göttern geholfen, doch es stand nicht in ihrer Macht. Dennoch rief sie die Priesterschaft zusammen. Gemeinsam praktizierten sie jegliche Riten und Gebete, die sie kannten, doch es gelang ihnen nicht, die Gaben zurückzugeben. Tagelang saßen sie in der Villa der Mysterien beieinander, berieten sich und suchten nach einer Lösung. Schließlich trat Nephele vor die Götter.

    „Oh Apollon, oh Artemis,, sprach sie. „Geliebte Hüter der Welt und der Zeit, eine Rückgabe Eurer großzügigen Gaben ist uns Sterblichen nicht möglich, bitte vergebt uns. Jedoch wollen wir alle zusammenkommen, um ein Portal zu schaffen, das euch durch die Zeit gehen lässt. So sollt ihr in früheren, glücklicheren Tagen die Mächte vorfinden, die ihr euren treuen Dienern schenktet.

    Artemis und Apollon schöpften Hoffnung. Eines Nachts traten die Gläubigen zusammen und gemeinsam mit der Kraft der Götter schufen sie aus dem Gebet des Todes und der Auferstehung eine strahlende Säulenhalle außerhalb von Zeit und Raum. Durchschritten die Götter die Halle, würden sie zurück in die Zeit gelangen, da sie ihre Fähigkeiten noch besessen hatten. Durchschritt jedoch ein Sterblicher das Portal, würde sein Weg ihn in eine frühere Inkarnation führen, denn nur die menschliche Seele sollte in der Lage sein, die Zeit zu durchwandern.

    Voll des Glücks dankten die Götter der Gemeinde. Doch das Wissen um das Portal und die Säulenhalle durfte den Kreis der Eingeweihten niemals verlassen. Nephele versprach, das Tor zu hüten. Das Wissen sollte von nun an stets von der obersten Priesterin an ihre Nachfolgerin weitergegeben werden. Und so weihten die Götter, ehe sie schieden, Nephele zur Hüterin der Säulenhalle.

    24. August des Jahres 79 nach Christi

    Das Erdbeben, das am 5. Februar im Jahre 62 nach Chr. die Stadt erschüttert hatte, galt als Vorbote des Schicksals. Schon damals musste sich der Schlotpfropfen des Vesuvs gelockert haben. Doch die Erde beruhigte sich und viele Jahre gingen ins Land. Die Bewohner der Stadt dachten nicht mehr an das Beben.

    Siebzehn Jahre vergingen. Am 24. August des Jahres 79 nach Chr., um 10 Uhr morgens stieg der Dampfdruck in der Magmakammer derart an, dass der Innendruck den gelockerten Pfropfen überwand, schlagartig zertrümmerte und in den Himmel hinaus schleuderte. Gleich darauf spuckte der Vesuv Unmengen von Asche, Lava, Gasen und Steinen in die Atmosphäre. Es regnete Bimsstein auf die Bewohner, Dächer stürzten ein und Türen wurden blockiert. Viele Unglückliche wurden in der Stadt eingeschlossen.

    Achtzehn Stunden dauerte das Wüten. Am Ende erlagen die Bewohner der Stadt dem Ausbruch, die meisten fielen den tödlichen Phosphordämpfen zum Opfer, und diejenigen, die diese überlebten, wurden von den Glutlawinen, die dem Ausbruch folgten, getötet. Drei Tage lang verdunkelte die Wolke den Himmel.

    Zurück blieb ödes Land, aber keine Menschenseele, die den Tod vieler Tausender hätten beweinen können.

    2. Köln, 2010 - 4. August bis 16. September

    Mittwoch, 4. August, mitten in der Nacht

    Die Hand schließt sich um Annas Knöchel. Sie hört eine Stimme. Sie kann die

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