Der heilige Berg: Gefangen in der Gottesburg 1958-1964
Von Martin Mathias
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Über dieses E-Book
Der Autor war Klosterschüler im Missionhaus St. Wendel. In teils amüsanten, teils spannenden aber auch beklemmenden Geschichten entführt er uns in den Zeitgeist der 50er Jahre. Die absolute Macht der Kirche samt ihrer Verteufelung der Sexualität wurde für den braven Klosterschüler zu einer psychischen Qual, unter der er fast zusmmenbrach. Wird es ihm im Laufe seines Lebens gelingen, sich aus diesem moralischen Käfig zu befreien?
Martin Mathias
Martin Mathias Jahrgang 1947 Diplom Sportlehrer: 40 Jahre an verschiedenen Schulsystemen, 10 Jahre Moderator für Grundschulsport, 2006: Gesundheitspreis des Saarlandes Musiker: 25 Jahre Schlagzeuger und Conferencier der Tanz- und Showband PEGASUS Zauberkünstler: mehrfacher Deutscher Meister im Zaubern für Kinder
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Buchvorschau
Der heilige Berg - Martin Mathias
„Schwäche zu zeigen ist Stärke,
Nichts ist entwaffnender
als rückhaltlose Offenheit."
- Dietmar Hansch
Inhaltsverzeichnis
VORBEMERKUNG
KAPITEL I
Einleitung
Der „Pater Hof"
Der „Heilige Berg"
Die Zeugnisausgabe
Pater Stier
Griechisch
Pater Chlosta
Pater Martin
Musik
Bruder Frankus
Pater Köhler
Pater Funk
Pater Maldener
Hygiene
Keuschheit und Schamhaftigkeit
Das Essen
Hochdeutsch
KAPITEL II
Die Jungfrau und Gottesmutter Maria
Die Hölle
Die religiösen Schriften
Zensur
Die Erbsünde
Die Beichte
KAPITEL III
Damals - Heute
Theologiestudium
Eine Runde Mitleid, bitte!
Die Schulhefte
Die Fremdsprachen
KAPITEL IV
Zauberei in heiligen Hallen
Beschämendes Geheimnis
KAPITEL V
Exitus
Feldarbeit
So ein Tag
Tatort: Missionshaus-Kirche
The Wall
Die heilige Familie
Die Feste
Die Blasmusik
Großes Theater
Fasching
Adventszeit
Rauchen
Versöhnliches Ende
VORBEMERKUNG
„Gefangen in der Gottesburg"
hört sich nach „Knast", nach Gefängnis an.
Nein, so war das nicht.
Auch wenn unsere Bewegungsräume streng begrenzt waren, die Gefangenschaft bezieht sich auf unseren Geist, auf unsere Gedanken, auf unsere Gefühle.
Es war der Zeitgeist der 50er Jahre, es war die Macht der katholischen Kirche, die uns knebelte und knechtete. Wer hätte es auch nur gewagt, sonntags nicht in die Kirche zu gehen. Das galt als schweres Vergehen, als schwere Sünde gegen Gott.
Das Leben in einem Kloster war die Steigerung dieses geistigen und moralischen Korsetts. Für uns Klosterschüler waren am Sonntag nicht nur einer, sondern sechs Kirchgänge verpflichtend.. Neben dem Gesangund Gebetbuch des Bistums Trier für alle Katholiken gab es für uns noch ein zusätzliches Regelbüchlein, in dem jegliches Verhalten detailliert vorgegeben war. Zwanzig Jahre danach, 1982 - ich bin zu diesem Zeitpunkt 35 Jahr alt - steht in meinem Tagebuch:
„Regelbüchlein für die Missionszöglinge der Gesellschaft des göttlichen Wortes"
Das Buch von Orson Welles:„1984" ist in der Darstellung des total kontrollierten Menschen ein billiges Machwerk gegen dieses kleine Büchlein. Die Kontrollinstanzen sind geschickt versteckt:
über die Reglementierung aller erfassbaren Lebenssituationen
über das Gewissen, mit Androhung sozialer Ächtung
unter Berufung auf den Willen Gottes, der bei schwersten inneren Strafen nicht angezweifelt werden durfte.
Echte menschliche Werte sind geschickt an die Bedingungen der Regeln gebunden und tausende Vertrauensselige haben mit bestem Gewissen nach diesen Satzungen gelebt, so damit beschäftigt, den Regeln zu genügen, dass für andere Gedanken kein Platz mehr sein konnte und durfte. Und wenn mich die Sexualität nicht gewaltsam herausgerissen hätte, ich wäre vielleicht selbst ein glückliches Schaf geworden unter der Obhut des „Guten Hirten".
KAPITEL I
Einleitung
Meine Zeit im Missionshaus St. Wendel von 1958 – 1964
Wenn es etwas gab, das mein Leben geprägt hat, war es meine Zeit auf der Klosterschule. Von 1958 bis 1964 war ich Zögling im Missionshaus in Sankt Wendel. Das Missionshaus war eine Klosterschule der Gesellschaft des Göttlichen Wortes (SVD = Societas Verbi Divini). Gründer war der inzwischen heiliggesprochene Pater Arnold Janssen. An dieser Schule blieb ich bis zur mittleren Reife. Das damalige Ziel der Schule war die Heranbildung des Klosternachwuchses zwecks Missionierung der „Heiden", also Verbreitung des Christentums, der katholischen Kirche in aller Welt.
Die wichtigsten Missionsgebiete dieser Gesellschaft waren die Philippinen, Neuguinea, Südamerika, Kongo, Indonesien, die Inseln Bali und Timor. Der biblische Auftrag: „Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes" war auch der Auftrag, der hier weitergegeben werden sollte. Wir hatten in unserem Ort noch zwei andere Gymnasien, die von den eher gut situierten Schülern besucht wurden. Handwerkerkinder, wie ich eines war, gingen nicht auf dieselbe Schule wie die Kinder von Ärzten, Lehrern oder Kaufleuten. Ich stamme aus einer sehr katholischen armen Familie und war der Älteste von sechs Geschwistern. Mein Opa war Schmiedemeister, mein Papa arbeitete als Schmied auf der Eisenhütte in Neunkirchen. Meine Mama war die Tochter des genauso armen Schmiedemeisters Nikolaus Kunz aus Urexweiler.
Rufen wir uns kurz den Zeitgeist der 50er Jahre auf dem Land in Erinnerung: Der Katholizismus war eine Macht, an der es nicht den geringsten Zweifel gab. Der feste Glaube an Gott und an alles, was mit ihm zusammenhing, war für mich als Kind keine Frage des Glaubens, es war eine Selbstverständlichkeit. Man ordnete sich einfach unter. Eine Abweichung oder gar ein Ausbruch hatte zur Folge, dass man in Schande ausgestoßen wurde und damit sein Ansehen verlor. Ich erinnere mich, dass es in Urexweiler eine Frau gab, die ein uneheliches Kind hatte. Das war eine schwerwiegende Verfehlung gegen die katholische Sexualmoral. Diese bedauernswerte Frau war ihr Leben lang gebrandmarkt.
Für eine Mutter in der damaligen noch kinderreichen Zeit war es eine große Ehre, wenn einer ihrer Söhne das Priesteramt anstrebte. Ich wurde allerdings nicht in die Klosterschule geschickt, ich wollte selbst dorthin. Die vierzig D-Mark monatliches Pensionsgeld waren für meine Familie viel Geld und mussten an anderen Stellen wieder eingespart werden. Aber was tat man nicht alles für solch ein „hehres, gottgefälliges Ziel"…
Ich wollte Priester werden, aber ehrlich gesagt, wusste ich gar nicht, um was es eigentlich ging. Auch wenn ich jährlich nach den großen Ferien am Ende der dreitägigen Exerzitien schriftlich Armut, Keuschheit und Gehorsam gelobt hatte, mit dem Ziel, Pater zu werden und dann in die Mission geschickt zu werden. Ich konnte mir noch gar kein Bild machen von dem, was ich da anstrebte. Armut und Gehorsam waren ja kein Problem - und was es mit dieser Keuschheit auf sich hatte, davon hatte ich als Zehnjähriger noch keine Ahnung.
Der „Pater Hof"
Mein Opa, mein Onkel und mein Papa spielten als Verstärkung in der Musikkapelle vom „Pater Hof-dem hauseigenen Blasorchester des Klosters. In unserer Familie machten alle Familienmitglieder Musik. Irgendwann später in den 70er Jahren machten wir sogar Auftritte auf Veranstaltungen und wurden „Die Sankt Wendeler Trapp Familie
– in Anlehnung an die musikalische, amerikanische Auswandererfamilie – genannt. Auf diesem Weg bin ich also in die Klosterschule gekommen. Wie der genaue Kontakt meiner Familie zum Pater Hof entstanden ist, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls war dort jeden Sonntagnachmittag Musikprobe. Wir wurden mit einem VW-Bus zu Hause abgeholt und ich als kleiner Steppke durfte mitfahren. Opa hatte seine Trompete dabei, Onkel Toni sein Tenorhorn, mit dem er immer so wunderschöne Nebenmelodien spielte, und Papa die dicke Tuba, die damals nur „de Bass" hieß. Ich durfte dabei sein, war mittendrin im Geschehen - und das war schön!
Nach der Probe wurden wir in ein kleines Zimmer gegenüber der Hauskapelle geführt und bekamen dort einen köstlichen Nachmittagskaffee, mit Rosinenbrot und Kuchen, den wir auf saarländisch „Kremmelkuche nannten. Für mich gab es sogar einen Kakao. Die Ordensbrüder auf dem Hof waren alle gut zu mir und hatten einen „salbungsvollen
Ton, wenn sie mit ruhiger Stimme sprachen. Die „Großen", also mein Papa, mein Opa und mein Onkel, die ich sonst nur in schmutzigen Schaffanzügen, hektisch und mit dreckigen Händen erlebte, waren auf einmal gut gelaunt. Sie hatten Zeit zum Reden und konnten sogar mit mir Quatsch machen. Das gab es zu Hause nicht ...
Ich erinnere mich, dass ich einmal so einen Lachflash, wie man heute sagen würde, bekam, dass ich den ganzen Weg nach Hause nicht mehr aufhören konnte, laut zu „giggele", also zu lachen. Wenn die Großen so gut gelaunt von dort zurückkamen und die Ordensbrüder mir außerdem noch Kakao anboten, dann wusste ich, was ich wollte: Ich wollte ein Klosterschüler werden! Meiner Mama war das aus oben genannten Gründen recht und Papa hatte sowieso nichts zu sagen.