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Verfangen: Im Netz des Bösen
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eBook301 Seiten4 Stunden

Verfangen: Im Netz des Bösen

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Über dieses E-Book

Mareike und Paul genießen das Leben. Das junge Paar hat außer materiellem Wohlstand auch noch eine gut geratene, sehr intelligente kleine Tochter. Sie besitzen Freunde und sind gesellschaftlich anerkannt. Dann taucht eines Tages ein Mann bei ihnen auf, der sich einmal Lukas Roth und dann wieder Lukas Morgen nennt. Ab diesem Zeitpunkt ist nichts mehr so wie es sein sollte. Beide Partner verstricken sich in Lügen und bald bahnt sich eine ungeheuerliche Katastrophe an, bei der nicht nur die Werte des jungen Paares völlig auf den Kopf gestellt werden, sondern bei der es sogar um das Leben ihres Kindes geht…
Wer ist dieser geheimnisvolle Mann? Und wieso steht Mareike mit der Waffe in der Hand vor einer blutüberströmten Leiche?
Wird Paul am Ende seine Familie im Stich lassen und den Weg einer Schwindel erregenden Karriere gehen?
Sie kämpfen einen Kampf, dessen Ausgang so ungewiss ist, wie das Leben selbst…
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum30. Okt. 2012
ISBN9783847622246
Verfangen: Im Netz des Bösen

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    Buchvorschau

    Verfangen - Ingrid Neufeld

    Prolog

    Der Mann am wuchtigen, sorgfältig polierten Mahagoni-Schreibtisch hätte der Chef eines großen Konzerns sein können. Der Nadelstreifen-Anzug saß perfekt. Er hatte das energisch wirkende Kinn und die entschlossenen Augen von karrierebewussten Führernaturen. Das gewisse Etwas des ehemaligen französischen Staatschefs Sarcozy und das Charisma von Barack Obama vereinten sich in seinem Gesicht zu einer optimalen Mischung aus Charme und Entschlossenheit.

    Doch diese Person war mehr als nur der Chef eines großen Unternehmens, er war Chef eines riesigen Imperiums, einer unüberschaubaren Maschinerie, die die Welt mit einem ausgeklügelten System in Atem hielt.

    Ein System das niemand durchschaute und jeder in Abrede stellte. Diejenigen, die mit ihm zu tun hatten, beschrieben ihn als attraktiv, beeindruckend und sehr faszinierend. Niemand hätte ihm Attribute wie skrupellos, hinterhältig, unsympathisch, oder auch nur unzuverlässig zugeschrieben.

    Es war die Art wie er Macht ausstrahlte, seine Art zu gehen, sich zu bewegen, ja mit den Menschen umzugehen. Jeder wurde sofort von ihm eingenommen. Die Leute begegneten ihm mit Sympathie und erhofften sich viel von ihm.

    Professor Dr. Dr. Lukas Morgenroth war eine Kapazität auf den verschiedensten Gebieten. Er brachte sein umfassendes Wissen in vielen Büchern ein, darunter gab es viel beachtete Fachliteratur genauso wie Belletristik. Daneben war er ein brillanter Geschäftsmann und an den unterschiedlichsten Firmen beteiligt. Auch bei bedeutenden Erfindungen stellte er oft genug sein Wissen zur Verfügung. Er beriet Politiker und Medienfachleute. Sein Einfluss reichte bis in die höchsten Kirchenkreise. Kurz, er war jemand, an dem niemand so ohne weiteres vorbei kam. Jemand, der gerne um Rat gefragt und dessen Meinung oft kopiert und immer wieder übernommen wurde.

    Bei all seinem Einfluss liebte es Professor Dr. Dr. Lukas Morgenroth sich im Hintergrund zu halten und sich keinesfalls in den Mittelpunkt zu stellen. Interviews wich er grundsätzlich aus. Es existierten auch keinerlei Fotos von ihm. Er blieb bescheiden und beanspruchte keinen Ruhm für seine Taten.

    Unauffällig und von vielen unbemerkt war sein Imperium über die ganze Welt gewachsen. Seine Leute agierten überall auf der Welt. Kein noch so kleines Fleckchen, das nicht von ihm kontrolliert wurde.

    Gerade schaute er auf die Monitore, die an den Wänden um ihn herum flirrten. So viele Menschen, die in ihren Designeranzügen, Luxuskarossen und Jachten ihren Wohlstand zelebrieren! So viele Menschen, die satte Börsengewinne einstrichen! Er wechselte das Blickfeld: so viele Menschen, die täglich Krieg und Unterdrückung erlitten. So viele Menschen, die nicht wussten, was sie essen sollten und vor lauter Hunger starben.

    Nicht schlecht, freute sich der Professor. Aber nicht gut genug! Es sind noch zu viele, die im scheinbaren Wohlstand leben! Wenn die jetzt abstürzen…

    Da wollen wir doch mal sehen. Der Professor führte ein kurzes Telefonat. Danach lehnte er sich zufrieden in seinen Sessel zurück. Er studierte die aktuellen Börsenkurse und grinste böse.

    Luxusmodekonzern meldet Insolvenz an. LKW-Zulieferer vermeldet einen Kurssturz ins Bodenlose. Staaten wurden kreditunwürdig. Und so weiter, und so fort…

    In der Hand hielt er ein gefülltes Glas mit seinem Lieblingswhiskey. Mit dem prostete er sich selbst zu und lachte genussvoll. Die seit Jahren andauernde Wirtschaftskrise ging einem neuen Höhepunkt entgegen!

    Gleich danach telefonierte er an mehreren Mobilteilen gleichzeitig. Ein Mann seiner Machtbefugnis musste die Fähigkeit haben, sich zu teilen und an mehreren Orten gleichzeitig zu agieren.

    Kaum, dass er eines nach dem anderen auflegte, schellten die Telefone erneut. Wieder alle auf einmal. Lukas Morgenroth war dieses Tempo gewöhnt. Schrillende Telefone nichts Neues für ihn. Er nahm die Anrufe entgegen und redete wieder mit allen zur scheinbar gleichen Zeit.

    Sein Sekretär betrat das Zimmer. Es war Amphion Kerberos und kam aus dem wirtschaftlich angeschlagenen Griechenland. Doch Amphion Kerberos hatte sicherlich seine Schäfchen rechtzeitig ins Trockene gebracht. Lukas Morgenrot vertraute Amphion Kerberos in allen Dingen. Er war nicht nur sein Sekretär, sondern auch sein Freund.

    Amphion setzte sich unaufgefordert auf den Stuhl vor dem großen Schreibtisch. Auch er war von durchaus beeindruckender Gestalt. Durchtrainiert, gut gebaut, mit einem attraktiven Gesicht, braunen Augen und gerader Nase. Er war ein Frauentyp. Die Damen umschwärmten ihn und merkten anscheinend nicht, dass sein charmantes Lächeln die Augen nicht erreichte.

    Lukas Morgenroth drückte sämtliche Anrufer weg und wandte sich Amphion zu.

    Gut, dass du kommst. Es gibt schlechte Nachrichten."

    Amphion schaute seinen Chef fragend an. „Was ist los?"

    Es gibt Krieg!", Lukas Morgenroth schob entschlossen sein Kinn vor.

    Ist das was Neues?", Amphion wirkte nicht beunruhigt.

    Diesmal schon., erwiderte Lukas. Er schaute nicht wirklich besorgt aus. Im Gegenteil. Die neue Bedrohung brachte seine Wichtigkeit erst richtig zur Geltung. „Weil dieser Wahnsinnige die Weltherrschaft für sich alleine beansprucht.

    Amphion nickte. „Verstehe. Langsam setzte er hinzu. „Er will uns also die Macht aus der Hand nehmen?

    Richtig!", bestätigte Lukas und grinste freudlos.

    Doch so einfach ist das nicht. Die Macht über diese Welt wurde mir vor langer Zeit übertragen. Seitdem haben wir unsere Herrschaft immer verteidigt. Und das werden wir weiterhin tun."

    Nach einer Pause fügte er hinzu: „Mir wurde einst von höchster Stelle zugesagt, der Fürst dieser Welt zu sein. Diesen Anspruch gebe ich jetzt nicht auf!"

    Professor Dr. Dr. Lukas Morgenroth stand vom Schreibtisch auf, trat ans riesige Fenster mit der großen Glasfront und der gigantischen Aussicht auf eine pulsierende wohlhabende Großstadt.

    Dies alles will er uns mit seiner Rückkehr streitig machen? er machte eine wirkungsvolle Pause und setzte hinzu. „Ganz bestimmt nicht.

    Amphion kratzte sich am Kinn. Er runzelte die Stirn, so dass seine dunklen Augenbrauen wie eine schwarze Linie wirkten. „So schlimm steht es?"

    Der Professor nickte nur.

    Du weißt schon, dass nach den alten Schriften und Prophezeiungen die Wiederkunft unser Ende bedeutet?"

    Lukas lachte rau und dunkel auf. Sein Lachen rollte wie Donnergrollen durch den Raum und wurde von den Wänden zurückgeworfen. „Das wollen wir doch mal sehen! Er wird erst wiederkommen, wenn er genügend Leute hier hat, die ihn empfangen. Und diese Suppe werden wir ihm gründlich vermasseln. Wenn es nach mir geht, wird er nur wenige, oder besser noch gar keine Anhänger finden."

    Natürlich nicht, stimmte Amphion sofort zu. „Wir haben genug Leute, um Unglauben, Zweifel und Hass zu säen. Die Menschen sind leicht beeinflussbar. Die wenigsten werden wir zwingen müssen. Bei den meisten genügt es, ihren Verstand einzulullen und sie mit Wohlstand zu überhäufen, oder sie mit Armut und Leid zu quälen, ganz wie es uns gefällt! Er lachte finster. „Du wirst schon sehen: Wir halten die Karten in der Hand und wir werden sie auch nicht hergeben!"

    Fast perfekt

    Familie Hübschmann wohnte in einem schmucken Einfamilienhaus in einer netten gewachsenen Siedlung mit gepflegten Gärten. Vor dem Haus parkte ein chices Auto, ein neuer Audi A 4, in Silbermetallic. In der Garage stand ein weiteres Auto, ein VW Golf, den die Frau des Hauses fuhr.

    Die Familie war das was man im Allgemeinen als gut situiert bezeichnet. Eine Bilderbuchfamilie mit Mutter, Vater und Kind. Das Kind war ein herziges fünfjähriges Mädchen, das noch in den Kindergarten ging. Sie zeigte schon in ihren jungen Jahren eine hohe Intelligenz und ihre Eltern erwarteten, dass sie einmal eine steile Karriere machen würde. Deshalb wurde Lisa schon jetzt nicht nur in Englisch und Flöte unterwiesen, sondern erhielt außerdem Klavierunterricht.

    Frau Hübschmann stand mit Jeans und Gummistiefeln bekleidet in ihrem Garten und schnitt mit einer Schere ihre Hecke. Die langen blonden Haare trug sie im Nacken zusammengebunden. Auf dem Kopf saß ein Käppi zum Schutz vor der Sonne. Mareike Hübschmann wirkte durchtrainiert. Sie legte großen Wert auf Bewegung in frischer Luft und hielt sich so oft es ging in freier Natur auf. Sie prüfte die Hecke auf überstehende Zweige und setzte gerade zu einem neuen Schnitt an, als Veronika Meier um die Ecke bog.

    „Hallo Mareike, begrüßte sie Frau Hübschmann. „Denkst Du an unsere Probe heute Abend?

    „Na klar", antwortete Mareike. Seit sie in der Siedlung wohnten, waren sie alle engagierte Mitglieder in der Kirchengemeinde. Frau Hübschmann sang im Kirchenchor und arbeitete außerdem im Kindergottesdienst mit, während sich ihr Mann Paul im Kirchenvorstand einbrachte.

    Beide nahmen ihre Tätigkeiten sehr ernst. Sie waren angesehene Mitglieder ihrer Gemeinde und eine Stütze für ihren Pfarrer.

    „Dann sehen wir uns später!", rief ihr Veronika zu, bevor sie hinter der nächsten Biegung verschwand.

    Mareike winkte ihr noch mit der Schere hinterher, aber das sah Veronika nicht mehr.

    Frau Hübschmann schaute auf die Uhr und seufzte: „Schon so spät."

    Sie packte die Schere und stapfte zielstrebig auf das Haus zu. Drinnen schlüpfte sie aus den Stiefeln, wusch sich die Hände und huschte in ihr Arbeitszimmer. Dort kramte sie ihre Unterlagen aus der Tasche und begann sich auf den nächsten Tag vorzubereiten. Sie war Lehrerin von Beruf und musste täglich Arbeiten korrigieren und sich den Unterricht für den nächsten Tag überlegen. Manche hielten den Beruf einer Lehrerin für einen Halbtagsjob, aber in Wirklichkeit war das eine Knochenarbeit, vor allem, weil es sich um eine Hauptschulklasse handelte, die sie unterrichtete.

    Um vier Uhr legte sie ihre Arbeit zur Seite. Sie zog sich an und machte sich auf den Weg zum Kindergarten. Jetzt hieß es Lisa abholen.

    Als attraktive, moderne, junge Frau war Mareike darauf bedacht, Beruf und Kindererziehung unter einen Hut zu bringen. Die Hausfrauenrolle, die ihre eigene Mutter noch mit Begeisterung ausgeübt hatte, wäre gar nichts für sie gewesen. Jetzt freute sie sich darauf, die Zeit mit Lisa verbringen zu dürfen. Als Paul nach Hause kam, tollten die beiden gerade durch den Garten, wie zwei vergnügte Kinder und gar nicht wie Mutter und Tochter.

    Paul blieb einen Moment stehen und genoss den Anblick seiner kleinen Familie. Die Frühlingssonne zauberte Farbe auf die Wangen seiner Frau. Lisas Zöpfchen lösten sich, die Haare hingen ihr wirr ins Gesicht. Freudestrahlend schoss sie auf ihren Vater zu, als sie ihn entdeckte.

    „Papa! Komm spiel mit uns. Fang mich!", forderte sie ihn auf und sauste schon wieder weg.

    Gerne ging Paul darauf ein. Er rannte hinter ihr her und tat so, als ob er sie niemals einholen könnte. Zum Schein schnaufte er wie eine historische Dampflokomotive.

    Er gab vor, Seitenstechen zu haben. „Du bist mir viel zu schnell. Rennt ihr im Kindergarten alle wie kleine Raketen?"

    „Noch viel schneller!", erklärte Lisa und zischte schon wieder ab, so schnell ihre kleinen Beinchen sie trugen.

    Bevor sie noch mal entwischen konnte, schnappte der Vater sie. „Hab dich!"

    Lachend zappelte Lisa in seinen Armen.

    Auch Paul sah gut aus. Seit kurzem suchte er regelmäßig ein Fitness-Studio auf. Mareike hatte ihm dazu geraten, als sein Arzt Bluthochdruck bei ihm diagnostiziert hatte. Er sei noch zu jung für solche Krankheiten, meinte sie und riet ihm zu einem Sportprogramm.

    Außerdem hatte sie Kuchen und Süßspeisen von seinem Ernährungsplan gestrichen. Das gefiel Paul weniger. Zum Glück ahnte Mareike nichts davon, dass er mittags regelmäßig in der Bäckerei neben seiner Arbeitsstelle Kuchen kaufte.

    Den kleinen Bauchansatz konnte er sich so oder so nicht abtrainieren. Aber er sah auch so attraktiv aus, fand er jedenfalls.

    Doch auch Mareike war mit seinem Aussehen durchaus zufrieden. Neuerdings trug er die Haare ziemlich kurz, was seinem Gesicht einen sehr markanten Ausdruck verlieh. Den Bart rasierte er täglich ab. Stoppeln liebte Mareike gar nicht. Seine Nase war ein wenig breit geraten. Dafür hatte er wunderschöne stahlblaue Augen, in die sich Mareike sofort verliebt hatte. Bergseeblau nannte sie es.

    Im einen Arm die zappelnde Lisa, zog er jetzt mit dem anderen Arm Mareike an sich.

    „Komm, lass uns rein gehen. Ich habe einen Mordshunger. Was gibt’s denn?"

    Mareike machte sich von ihm los. „Das was du kochst."

    „So, so", murmelte Paul. Als moderner Mann war er es gewohnt, beim Kochen selbst Hand anzulegen.

    Mareike und er wechselten sich beim Kochen ab. Ganz nach Lust und Laune. Einen festgelegten Plan hatten sie da nicht.

    „Ich schau mal nach, was wir denn daheim haben", bot sich Paul auch gleich an.

    „Nicht, dass ich erst einkaufen muss."

    „Eingekauft habe ich schon!", nahm ihm Mareike diese Besorgnis.

    Paul öffnete den Kühlschrank und warf einen langen und ausdauernden Blick hinein. Er stöberte im Vorratsschrank und entschied sich dann für Schnitzel mit Pommes.

    Die waren schnell gebraten und serviert.

    Nach dem Essen brachten die Eltern ihre Tochter ins Bett. Paul griff nach der „Sams"-Geschichte und las Lisa daraus vor. Er und seine Tochter lachten gemeinsam über das lustige Sams und den unbeholfenen Herrn Taschenbier. Dann kam auch noch Mareike um Lisa Gute Nacht zu sagen. Die Eltern löschten das Licht und Lisa sollte schlafen. Mareike schnappte sich ihre Jacke und musste gleich los. Sie wollte ja zur Probe in den Kirchenchor.

    Paul hatte vollstes Verständnis dafür. Er stand absolut hinter Mareikes Mitsingen im Kirchenchor. Er war sogar ein klein wenig stolz auf sie. Mareike hatte eine sehr schöne Stimme und Paul hörte sie bei jedem Auftritt des Kirchenchores ganz deutlich heraus. Jedenfalls behauptete er das.

    An diesem Abend blieb Paul bei der kleinen Lisa zu Hause, damit Mareike in aller Ruhe zu ihrer Probe gehen konnte. Am nächsten Tag sollte Mareike dann zu Hause bleiben, damit Paul an der Kirchenvorstandssitzung teilnehmen konnte.

    So hatte jeder der beiden seine Tage, an denen er alleine und ohne Familie unterwegs war und jeder hatte seine Tage, an denen er zu Hause das Kind hütete.

    Als modernes Ehepaar, als zukunftsorientierte Eltern teilten Mareike und Paul alles miteinander, die freie Zeit genauso, wie die Betreuungszeiten für die gemeinsame Tochter. Ihnen war klar, dass Elternschaft gemeinsame Verantwortung bedeutete.

    Paul saß in seinem großen, geschmackvoll eingerichteten Wohnzimmer. Eine moderne Sitzgruppe stand gegenüber einer High-Tech-Wand, in deren Mitte ein überdimensionaler Flachbildschirm prangte. Doch der Fernseher war nicht eingeschaltet.

    Paul hockte stattdessen am Esstisch und bearbeitete seinen Laptop. Er begutachtete gerade die Aktienkurse im Internet. Paul hatte BWL studiert und arbeitete als Betriebswirt in der Finanzabteilung eines größeren Unternehmens. Täglich schob er mehrstellige Beträge hin und her. Gerne hätte er privat auch mal eine größere Summe auf seinem Konto gehabt. Deshalb hatte er in Aktien investiert. Auch die Finanzkrise konnte ihn nicht daran hindern. Es mussten nur die richtigen Aktien sein. Doch irgendwie hatte er aufs falsche Pferd gesetzt. Jedenfalls war jetzt von seinem Depot nicht mehr viel übrig. Aber noch hatte er die Aktien nicht verkauft. Deshalb schaute er täglich nach dem aktuellen Stand. Er wollte nicht wahrhaben, dass er so viel Geld verloren hatte. Geld, das die junge Familie dringend brauchte. Doch das allein, war nicht das Schlimmste. Wirklich schlimm war, dass er mit Geld spekuliert hatte, das Mareike von ihrer Großmutter geerbt hatte. Seine Frau hatte ihm das Geld anvertraut, damit er es in festverzinsliche Wertpapiere anlegte, doch er kaufte Aktien davon. Obwohl seine Frau ausdrücklich eine sichere Anlageform haben wollte. Jetzt saß er in der Patsche und Mareike ahnte nichts davon. Sie wusste nicht, wie viel Geld Paul verspekuliert hatte. Und wenn es nach Paul ging, würde sie auch nie davon erfahren. Nur – wie sollte er die Verluste wieder ausgleichen? Er musste sich was einfallen lassen.

    Gedankenverloren betrachtete er die Aktienkurse. Seufzend klickte er sich aus dem Internet und schloss den Laptop. Irgendetwas würde ihm schon einfallen!

    *

    In seiner Arbeit hatte Paul mit vielen verschiedenen Firmen zu tun, denen sein Arbeitgeber Geld für Dienstleistungen oder Waren schuldete. Er war derjenige, der diese Gelder anzuweisen hatte.

    Seit er wusste, dass die von ihm gekauften Aktien so starke Verluste eingefahren hatten, dachte er pausenlos darüber nach, wie er möglichst schnell zu Geld kommen könnte.

    Seine Misere verschlimmerte sich noch, als Mareike meinte: „Du hast doch mein Geld auf ein Jahr angelegt. Das müsste doch jetzt demnächst fällig werden. Mein Auto gibt in letzter Zeit so komische Geräusche von sich. Wenn ich wieder eine Reparatur habe, trenne ich mich davon. Dann kaufe ich mir ein anderes Auto."

    Paul schluckte. „Du hängst doch so an deinem Auto. Lass es doch noch mal reparieren."

    Mareike wirkte gestresst. Sie wischte sich eine Haarsträhne aus der Stirn. „Na ja, ich lass es erst mal durchchecken. Aber wenn die in der Werkstatt sagen, dass ich wieder so eine teure Reparatur habe, dann ist endgültig Schluss."

    „Bestimmt ist es nicht so schlimm. Bring das Auto erst mal in die Werkstatt." Paul war froh, noch ein wenig Luft zu haben. Wenn Mareike aber das Geld wirklich haben wollte, müsste er Farbe bekennen. Es sei denn, er hätte einen anderen Einfall. Sein schlechtes Gewissen erdrückte ihn fast.

    Er betete in seiner Not. Paul glaubte an Gott. Seit frühester Kindheit betete er zu ihm. Deshalb engagierte er sich auch im Kirchenvorstand. Für ihn war es ganz einfach: er engagierte sich für Gott, also musste Gott jetzt was für ihn tun.

    Er betete immer wieder dasselbe: „Lass ein Wunder geschehen und meine Aktien steigen." Gebetsmühlenhaft, immer wieder leierte er den Satz herunter. Wieder und immer wieder.

    Doch Gott erhörte seine Gebete nicht. Im Gegenteil: Am nächsten Tag brachen die Aktienkurse erneut ein.

    Da setzte sich ein Gedanke in ihm fest. Ein Gedanke, der ihn nicht mehr los ließ. Ein Gedanke ganz anderer Art. Ganz wohl war ihm dabei nicht. Aber hatte er eine Wahl? Gott wollte ihm ja nicht helfen!

    Er könnte doch eine Firma gründen und seinem Arbeitgeber Waren in Rechnung stellen. Niemand würde nachprüfen, ob diese Sachen auch geliefert worden wären. Das müsste doch ganz einfach sein. Er ignorierte die Stimme, die leise in ihm flüsterte, dass das der falsche Weg war.

    Am nächsten Tag ging er zu einer Bank und eröffnete ein Konto für eine Firma namens „Kaufgut". Mit Hilfe des Computers gestaltete er sich Geschäftspapiere und schon schickte er die erste Rechnung an seinen Arbeitgeber.

    Wenige Tage später wies er diese Rechnung mit etlichen anderen zur Bezahlung an. Es ging ganz einfach. Niemand schöpfte Verdacht.

    Am Existenzminimum

    In einem anderen Teil derselben Stadt wohnte Familie Bachmeyer. Ihr Zuhause war eine Drei-Zimmer-Wohnung in einem großen Wohnblock aus den späten Siebzigern. Unten gleich neben dem Eingang gab es eine ganze Wand mit Briefkästen, aus denen reihenweise Werbeblätter hingen, die von niemandem entleert wurden. An der gegenüberliegenden Wand stand völlig verblasst, aber dennoch zu lesen: „Fick deine Mutter." Die Großbuchstaben waren irgendwann einmal vom Hausmeister überstrichen worden. Vielleicht hatte er eine nicht deckende Farbe benutzt, jedenfalls war der Satz noch immer zu entziffern.

    Der ehemals weiße Anstrich schimmerte gräulich und vermittelte einen trostlosen Eindruck. Neben dem Treppenhaus führte ein Lift hinauf bis in die neunte Etage.

    Familie Bachmeyer wohnte im achten Stockwerk. Der Lift hielt dort mit einem geräuschvollen Blong. Sven Bachmeyer war mitte dreißig, zwei Jahre älter als seine Frau Jasmin. Gemeinsam hatten sie zwei Kinder, einen vierzehnjährigen Sohn namens Kevin und eine fünfjährige Tochter, namens Anja. Sven war groß, breitschultrig, muskulös mit einem kantigen Gesicht. Die blonden Haare trug er kurz abrasiert. Seine wässrigen blauen Augen hatten einen Rotstich, so als hätte er eine Bindehautentzündung. Er trug ein ärmelloses Top, damit man seine Drachen-Tätowierungen an den Oberarmen gut sehen konnte. Seine Gesamtausstrahlung war die eines gewalttätigen Menschen, eines Mannes, dem man als Frau nicht so gerne im Dunkeln begegnen würde.

    Bis vor kurzem hatte Sven als LKW-Fahrer gearbeitet. Bei einer Zuliefererfirma für die KFZ-Industrie. Doch dann fehlten Aufträge. Seine Firma musste Insolvenz anmelden und Sven verlor seine Arbeit. Seitdem verbrachte er die meiste Zeit zu Hause vor dem Fernseher und tröstete sich mit einem Kasten Bier.

    Frau Bachmeyer war mit 1,58m nicht gerade besonders groß. Sie trug ihre dunklen Haare kurz und stylte sie vom Kopf abstehend, so dass ihr Haar meist aussah, als sei sie direkt in einen Sturm geraten. Ihre Stupsnase zierte ein Piercing, genauso wie ihre Ohren, die beide drei Piercings aufwiesen. Ihren fülligen Körper kleidete sie in Schlabber-T-shirts über bequeme Jeans mit Gummibund.

    Auch der vierzehnjährige Sohn gelte seine dunklen Haare regelmäßig so, dass sie vom Kopf abstanden. Er zog am liebsten Sporthosen an, mit denen er sogar die Schule besuchte. Falls er hinging, denn er fiel immer wieder durch Schulschwänzen auf.

    Die Tochter war schüchtern, in sich gekehrt und redete für ihr Alter recht wenig. Wenn sie dann doch was sagte, neigte sie zum Stottern und zum Verschlucken von Silben. Sie hatte eine Fehlstellung der Augen, weshalb eines der Augen regelmäßig mit einem Pflaster abgeklebt werden musste. Ihre blonden Haare waren zu dünn für eine längere Frisur, deshalb wurden sie regelmäßig geschnitten, und zwar von der Mutter selbst. Denn sie musste das Geld für den Friseur sparen.

    Jasmin Bachmeyer arbeitete als Regalauffüllerin in mehreren Supermärkten. Sie musste meist schon um sechs Uhr aus dem Haus, da lag der Sohn noch ganz gemütlich unter seiner Decke. Ob er später aufstand, entzog sich ihrer Kontrolle. Jetzt war der Vater zu Hause. Aber der kümmerte sich nicht um seinen Sohn. Auch er stand auf, wann er wollte und dann schaute er nicht, ob der Sohn noch im Bett lag, oder in die Schule gegangen war. Seit Sven seine Arbeit verloren hatte, fühlte er sich nutzlos. Er litt unter dem Geldmangel und versuchte sein Versagen im Alkohol zu ertränken. Gerade, dass er es hinkriegte, die Tochter in den Kindergarten

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