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Die Rosenbergs
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eBook449 Seiten6 Stunden

Die Rosenbergs

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Über dieses E-Book

Als Sohn eines adligen Bankiers und eines schwedischen Kindermädchens kämpft Sven von Rosenberg um die Anerkennung der Familie. Dabei begegnen ihm statt echter Werte nur Macht, Korruption und Gier. Währenddessen steuert die Dynastie unausweichlich auf eine Katastrophe zu ...
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum18. Mai 2018
ISBN9783746021065
Die Rosenbergs
Autor

Gerd Lehner

Gerd Lehner, geboren 1951 in Frankfurt am Main, Diplombetriebswirt, lebt seit über 20 Jahren in der Schweiz und ist dort, nach Führungspositionen in der Finanzbranche, als unabhängiger Vermögensverwalter und Coach tätig. Er ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und vier Enkelkinder. Seine Hobbys sind neben dem Schreiben und Golf sein Collie Joko. Sein Sachbuch "Finanzberater: Die Geheimnisse des Erfolgs aus erster Hand" wurde 2012 auf der Frankfurt Buchmesse vorgestellt. Nach intensivem Studium des Kreativen Schreibens innerhalb einer Roman-Werkstatt veröffentlichte er diesen ersten Roman, der hier mit der 2. Auflage erscheint.

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    Buchvorschau

    Die Rosenbergs - Gerd Lehner

    Buchbeschreibung:

    Als Sohn eines adligen Bankiers und eines schwedischen Kindermädchens kämpft Sven von Rosenberg um die Anerkennung der Familie. Dabei begegnen ihm statt echter Werte nur Macht, Korruption und Gier. Währenddessen steuert die Dynastie unausweichlich auf eine Katastrophe zu ...

    Über den Autor:

    Gerd Lehner, geboren 1951 in Frankfurt am Main, Diplombetriebswirt, lebt seit über 20 Jahren in der Schweiz und ist dort, nach Führungspositionen in der Finanzbranche, als unabhängiger Vermögensverwalter und Coach tätig.

    Er ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und vier Enkelkinder. Seine Hobbys sind neben dem Schreiben und Golf sein Collie Joko.

    Sein Sachbuch Finanzberater: Die Geheimnisse des Erfolgs aus erster Hand wurde 2012 auf der Frankfurt Buchmesse vorgestellt. Nach intensivem Studium des Kreativen Schreibens innerhalb einer Roman-Werkstatt veröffentlichte diesen ersten Roman, der hier mit der 2. Auflage erscheint.

    Inhaltsverzeichnis

    Prolog

    Teil 1

    1. Kapitel

    2. Kapitel

    3. Kapitel

    Teil 2

    4. Kapitel

    5. Kapitel

    6. Kapitel

    7. Kapitel

    8. Kapitel

    9. Kapitel

    Teil 3

    10. Kapitel

    11. Kapitel

    12. Kapitel

    13. Kapitel

    Teil 4

    14. Kapitel

    15. Kapitel

    16. Kapitel

    17. Kapitel

    18. Kapitel

    Epilog

    PROLOG

    Kronberg im Taunus – März 1959

    Nebel verhüllte den Viktoriapark. Letzte Reste von schmutzigem Schnee säumten den Rand der Grünflächen unterhalb der alten Buchen, der nasse Waldboden dünstete den Geruch nach modrigem Holz aus.

    Wilhelm von Rosenberg saß auf einer der Bänke und starrte auf das graue Wasser des Schillerweihers, in dem sich die noch kahlen Baumkronen spiegelten. Vor ein paar Tagen hatte er die Leitung der Familienbank von seinem Vater Johannes übernommen. Eigentlich sei er noch zu jung für den Vorstandsvorsitz, so sein alter Herr, aber Wilhelm war Mitte vierzig und fand sich keinesfalls zu jung. Er traute sich durchaus zu, die Übersicht über die Geschäfte zu behalten, und hatte seine Fähigkeiten mehr als einmal unter Beweis gestellt. Doch der Patriarch schien recht behalten zu haben. Jedenfalls seit gestern Abend.

    Im Leben der Rosenbergs und folglich in seinem Leben hatte immer nur die Bank gezählt. Seriosität, Verschwiegenheit und Verantwortung. Das, was vermögende Kunden von einem Privatbankier eben erwarten. Und Wilhelm fühlte sich diesen Werten verpflichtet und war bisher bedingungslos seinem Vater darin gefolgt ...

    Ich wollte es nicht, Hannerose! Das klingt wie eine Entschuldigung, aber glaub mir, ich wollte es wirklich nicht. Es hat sich ergeben ... es ist einfach so gekommen, ohne dass ... Ich war eben einen Augenblick nicht Herr meiner Sinne.

    Würde er sich so billig aus der Affäre ziehen können?

    Die Entschuldigung war doch eher unglaubwürdig. Er glaubte sich ja selbst nicht. Er, der Überlegene, allen Lebenssituationen Gewachsene, hatte sich in dieser unentschuldbaren Weise plötzlich nicht im Griff gehabt?

    Zehn Jahre waren vergangen, seit er seine Frau auf einem Frühlingsball kennengelernt hatte, zu dem sie für die Betreuung der Rosenbergs zugeteilt war. Sie stammte aus einfachen bürgerlichen Verhältnissen, einer Handwerkerfamilie aus Offenbach, aber ihre vortrefflichen Umgangsformen, zeichneten sie für diese Aufgabe aus. Er hatte sich damals sofort in sie verliebt, in das strahlende Blau ihrer aufgeweckten, klaren Augen und die brünetten, irgendwie strubbeligen Haare. Nachdem sie von ihm schwanger geworden war, heirateten sie wenige Wochen später. Johannes gab ihnen dazu seinen väterlichen Segen und stimmte ohne Widerspruch der Hochzeit zu. Auch Katherina, Wilhelms Mutter, war nicht aus Adelskreisen und dennoch eine geschätzte Baronin von Rosenberg geworden.

    Hannerose war ihm eine gute Ehefrau und den Kindern Alex und Babsi eine liebevolle Mutter geworden. So konnte man es sagen, so musste man es sagen. Sie hatte, mit der Unterstützung seiner Mutter, schnell ihre Rolle in der Gesellschaft angenommen und hatte es wie Katherina zu Beliebtheit und Ansehen gebracht.

    Dann kam diese Nachricht: Gebärmutterkrebs. Mit zweiunddreißig. Mehrere Operationen, Behandlungen – danach immer wieder Hoffnung. Vergeblich.

    Gestern war der grauenvollste Tag! Sie sah so jämmerlich, so bemitleidenswert aus, wie sie halb schlafend, vollgepumpt mit Schmerzmitteln, in ihrem Krankenzimmer lag. Und er fühlte sich hilflos. Er konnte nichts tun. Dann das Gespräch mit dem Chefarzt der Onkologie.

    „Leider können wir für Ihre Frau nichts weiter tun, der Tumor hat schon im ganzen Körper Metastasen gebildet. Eine Operation kommt leider zu spät."

    Keine Rettung mehr für Hannerose!

    Wilhelm zog sich den schwarzen Hut tiefer ins Gesicht. Er war verwirrt, in der letzten Nacht hatte er kein Auge zugemacht.

    Sie hatten sich immer aufeinander verlassen können. Auch wenn er spät nach Hause kam, hatte sie noch auf ihn gewartet, um den abgelaufenen Tag zu besprechen. Nur selten gab es zwischen ihnen Streit. Alle Probleme hatten sie besprochen und gemeinsam gelöst. Sie waren sich einfach einig, in jeder Beziehung ein Paar. Ein solidarisches Paar. Ihm wäre niemals der Gedanke gekommen ... Aber es war doch passiert ... Es tat ihm so leid. Und was würde der alte Herr erst dazu sagen?

    Spät am Abend davor war Wilhelm zerschlagen von der Klinik nach Hause in die Villa gekommen, hatte sich in der Bibliothek einen Whiskey eingeschenkt und war in seinen Ledersessel gesunken. Immer wieder hörte er die Worte des Arztes: „Es gibt leider keine Rettung."

    Plötzlich stand Anne neben ihm, das schwedische Kindermädchen. Vermutlich schliefen Alex und Babsi bereits in ihren Zimmern. Es war ihr wohl nicht entgangen, dass etwas Unfassbares vorgefallen sein musste. Sie setzte sich zu ihm, versuchte, ihn zu trösten, begann von sich zu erzählen, als sie vor drei Jahren, mit sechszehn ihre Eltern bei einem Autounfall verloren hatte und schlagartig auf sich alleine gestellt war. Sie sei froh gewesen, bei den Rosenbergs als Au-pair arbeiten zu dürfen. Damals waren Alex sieben und Babsi vier Jahre alt gewesen.

    Er hatte bislang mit Anne nur wenig zu tun gehabt, da sich Hannerose und seine Mutter, teilweise auch die Haushälterin Maria, um die Kleinen kümmerten. Anne war ihm nur dann und wann unter die Augen gekommen, doch ihre natürliche Schönheit, ihre blonden Haare, wachen blauen Augen und ihre charmante Art war ihm nicht verborgen geblieben.

    Ihre Worte vermittelten ihm das angenehme Gefühl der Vertrautheit. Er fühlte sich plötzlich nicht mehr so allein. Letztlich hatte sie es sogar geschafft, ihn zu beruhigen.

    Sie war erst neunzehn, aber es hatte ihm gutgetan. Er brauchte einfach jemanden – und Anne war da gewesen. Sie hatte sich an ihn geschmiegt. Er hatte dabei die Wärme ihres jungen Körpers gefühlt. Wie von selbst war dann alles geschehen. Sanft hatte er ihr blondes, weiches Haar gestreichelt und hatte sie zärtlich auf die Stirn geküsst. Abrupt hatte sie ihn dabei mit ihren blauen Augen angeschaut, unsicher, womöglich sogar ängstlich ... ihre Lippen hatten sich getroffen ... anfangs vorsichtig, zögernd ... dann leidenschaftlich.

    Wilhelm strich sich über die Bartstoppeln. Plötzlich sprang er von der Bank auf und folgte ohne ein bestimmtes Ziel dem Kiesweg, der unter seinen Füßen knirschte. Hannerose sollte davon nicht das Geringste erfahren dürfen ... und natürlich auch nicht seine Eltern. Das wäre ein Desaster. Und erst recht nicht seine Kinder – sonst müsste er Anne entlassen. Sie würde unter diesen Umständen nicht mehr im Haus bleiben können. In der Nacht hatten sie sich versprochen, dass niemand etwas erfahren dürfte. Auch waren sie sich einig, dass es nie wieder vorkommen wird.

    Wilhelm blieb mitten in einem Feld von Schneeresten stehen. Er wischte sich die Schweißperlen von der Stirn.

    Was wäre, wenn sie schwanger ist? Eine unvorstellbare Katastrophe!

    Hat sie es vielleicht sogar darauf angelegt? Anne?

    Nie! Wir vertrauen ihr doch unsere Kinder an.

    Er ging den Weg zum Weiher zurück, immer wieder blieb er stehen und schüttelte den Kopf.

    Aber sie hätte mich abwehren können, wenn sie es nicht auch gewollt hätte. Oder hat sie es am Ende beabsichtigt? Liebt sie mich vielleicht insgeheim ...

    Wilhelm befand sich in einer verdammt heiklen Lage. Die Folgen waren nicht abzusehen. Alles würde um ihn herum zusammenbrechen: seine Familie, das Vertrauen der Kunden, sein Renommee innerhalb der Gesellschaft.

    ... und für das Amt des Verbandspräsidenten bräuchte er sich erst gar nicht aufstellen lassen.

    Seine Kehle war plötzlich wie ausgetrocknet. Es war noch schlimmer. Wie naiv war er eigentlich? Wäre seine Lage für sie nicht eine einmalige Gelegenheit ...? Er sah schon die Schlagzeilen vor sich:

    Mittelloses schwedisches Au-pair von Bankvorstand vergewaltigt!

    Teil 1

    1. KAPITEL

    Villa Rosenberg, Königstein – 15. Juli 1959

    Es war ein schwüler Sommertag. Das Gewitter zog östlich von Königstein nach Bad Homburg. Der Regen hatte aufgehört. Allmählich leerte sich der überfüllte Friedhof. Scheinbar alle Königsteiner waren gekommen, Prominente aus allen Teilen des Landes hatten an der Beisetzung von Hannerose von Rosenberg teilgenommen. Sie hatten eine große Persönlichkeit verloren, die sich mit unermüdlichem Engagement in der Stiftung für bedürftige Mütter und Frauen eingesetzt habe, eine Dame der Gesellschaft mit großem Herz, waren die Worte des Ministerpräsidenten am Grab gewesen. Jetzt bewegten sich die Limousinen mit den geladenen Gästen die Limburger Straße hinunter zur Villa Rosenberg.

    Der Himmel klarte auf. Durch die Äste der Buchen, die hinter dem Königsteiner Kreisel emporragten, blinkten die ersten Sonnenstrahlen. Wilhelm von Rosenberg bog mit dem schwarzen Mercedes 220 SE von der Bundesstraße in den Johannes-von-Rosenberg-Weg. Die schmale Auffahrt führte durch ein steinernes Tor in den Park, zog in sanftem Bogen an uralten Eichen, Buchen und hohen Tannen vorbei und mündete in einer mit Birken bewachsenen Allee. An deren Ende lag inmitten scheinbar endloser Grünflächen, die ein schmaler Bach bewässerte, nun von der Augustsonne bestrahlt, wie in einem rosa Kleid, die Villa Rosenberg.

    Wilhelm lenkte die schwarze Limousine, in der er seine Eltern chauffierte, vor die Eingangstür. Kein Wort hatten sie auf der Fahrt miteinander gesprochen, zu sehr war Wilhelm in seinen Gedanken noch bei der Grabrede.

    Jeden Tag hatte er sie in den letzten Monaten besucht, im Krankenhaus in Höchst oder in der onkologischen Fachklinik in Bad Homburg, in der dann auch ihr Leidensweg zu Ende war.

    In dieser Zeit hatte sich Anne im Hause um die Kinder gekümmert und darüber hinaus Maria in der Hausarbeit unterstützt. Wilhelm versuchte, zu Anne einen innigen Kontakt zu vermeiden, was sie ihm dadurch erleichterte, da sie alle anstehenden Fragen des Haushalts entweder mit seiner Mutter oder Maria besprach. Ihre Bemerkung vor etwa zwei Monaten veränderte jedoch die scheinbar verhaltene Beziehung zwischen ihnen: Sie fragte ihn, und eben nicht seine Mutter, ob sie einen halben Tag freinehmen könnte, da sie sich genötigt sah, ihren Frauenarzt aufzusuchen ...

    Aber sie hatte sich damals nicht mehr bei ihm gemeldet. Allerdings war Anne auch nicht mehr auf ihn zugekommen. Die gemeinsame Nacht schien, ohne Folgen geblieben zu sein.

    Als er aus dem Wagen stieg und seinen Eltern heraus half, sprang ihm der Deutsche Schäferhund Arcor wedelnd mit angelegten Ohren entgegen, drückte, wie immer, den Kopf zwischen die Beine seines Herrchens, um sich die ersehnten Streicheleinheiten abzuholen.

    Vom Parkplatz eilte Luggi Berger, der Gestütmeister, auf sie zu. Gemeinsam mit Wilhelms Vater hatte er nach dem Krieg in der Nähe von Königstein das Vollblutgestüt Rosenhof aufgebaut. Dieser Besitz erfüllte den Patriarchen der Familie Rosenberg mit Stolz, da seine Pferde zu den besten des Landes zählten.

    „Lassen Sie nur, Herr Baron. Ich nehme Arco mit ins Gestüt. Bitte entschuldigen Sie, dass ich nicht zum Essen bleiben kann. Herr Güskens und sein Stallmeister wollen sich gleich Sirakos ansehen. Ich hoffe, dass er ihn bei seinen großrahmigen Stuten einsetzen kann."

    „Das geht schon in Ordnung, Luggi. Ich weiß Bescheid." Wilhelm und sein Vater sahen in Güskens Engagement in der Pferdezucht Vorteile für ihre Bank, da er mit seiner Stimme innerhalb des Präsidiums des Bankenverbandes bedeutenden Einfluss ausüben kann.

    Als Luggi in seinem Jeep davon fuhr, trafen gerade die ersten Trauergäste ein.

    Hinter verschlossenen Türen tröstete die alte Baronin Katherina von Rosenberg ihre Haushälterin Maria. Der Rote Salon war so genannt, aufgrund seiner roten, mit Samt überzogenen Sitzmöbel und der dunkelrot gemusterten Wandteppiche, die einer der Rosenbergs vor fast hundert Jahren als Geschenk von einem indischen Radschah überreicht bekommen hatte. Zwei Geweihe, die Johannes als Jagdtrophäen von einer Einladung zur Hirschjagd, die sein Freund Baron von Isny jährlich in den Wäldern des Allgäus veranstaltete, zierten die Wände.

    Die Baronin setzte sich als Vorstand der Stiftung seit vielen Jahren für Frauen und Mütter ein, die durch den Krieg in Mitleidenschaft gezogen waren, und erhielt da- bei sogar die Unterstützung vom Bundespräsidenten. Die Frankfurter Gesellschaft würdigte ihre Arbeit besonders, wie sie dies bei jedem öffentlichen Auftreten wohlwollend zur Kenntnis nahm.

    Aufgrund der zahlreichen eingeladenen prominenten Gäste hatte sie ihr elegantes schwarzes Kleid mit dem alten kostbaren Schmuck angelegt sowie ihr langes graues Haar hochgesteckt.

    Vor zwölf Jahren hatte sie Maria eingestellt, seitdem lag ihr die kleine rundliche Hausangestellte am Herzen, die nach dem Krieg aus Ostpreußen nach Frankfurt geflüchtet war, um dort eine Anstellung als Krankenschwester zu erhalten. Katherina lernte sie durch die Stiftung kennen und verpflichtete sie sofort als Haushälterin, um sowohl auch ihre Erfahrung in der Krankenpflege für die Familie zu nutzen.

    Katherina hatte Maria weinend, im schwarzen Rock mit weißer Schürze und schwarz-weißen Rüschen, zur Küche gehen sehen. Sie hielt sie an, nahm sie in den Arm und streichelte ihr über das dunkle Haar, das von ersten grauen Strähnen durchzogen war.

    „Es ist gerade erst ein halbes Jahr her, als uns die gnädige Frau von dem Tumorbefund berichtet hat. Aber viel zu spät. Trotzdem hat sie noch lange vier Monate in Kliniken kämpfen müssen ... sie war doch noch viel zu jung, um zu sterben."

    Auch Katherina musste sich ihrer Tränen erwehren und trocknete Marias Wangen mit einem weißen Taschentuch.

    „Maria, der Herr hat seine Gründe, die wir nicht immer erkennen können."

    „Ja, aber die Kinder, Frau Baronin. Sie sind doch noch zu klein, um das zu verstehen."

    „Ich weiß, Maria. Das ist für unsere Kleinen sehr hart. Gott sei Dank haben sie die Anne. Sie kümmert sich fürsorglich um sie."

    Maria sah mit besorgter Miene ihrer Herrin auf.

    „Was ist, wenn Anne auch nicht mehr da ist? Dann haben die beiden niemand mehr. Ich meine, natürlich sind wir auch noch da, ... aber eine junge ... Entschuldigung, Frau Baronin..."

    „Warum sollte Anne nicht mehr zugegen sein, Maria? Anne verlässt uns nicht. Mittlerweile kann sie fast akzentfreies Deutsch. Ihr geht es doch bei uns sehr gut."

    „Nur, hm ... Ich meine, wenn sie zurück nach Schweden geht - zu ihrem Mann." Verlegen strich Maria über ihre Schürze.

    „Wie ‚zu ihrem Mann‘? Das verstehe ich nicht, Maria. Anne ist doch nicht verheiratet und zudem erst neun- zehn!"

    „... aber schon schwanger!", fügte Maria hinzu, als schienen ihr die Worte herauszurutschen.

    „Was? Schwanger? Unsere Anne? Woher weißt du denn das?"

    Katherina war in dieser Hinsicht nichts aufgefallen, obwohl sie jeden Tag mit Anne zu tun hatte.

    „Ich weiß es nicht ..., aber ich sehe es einfach. Sie versucht es zwar, mit ihren weiten Kleidern zu kaschieren, nur, die sind im Sommer doch viel zu warm ... Trotzdem ist mir die kleine Wölbung nicht entgangen. Ich vermute: vierter oder fünfter Monat. Außerdem hat sie sich auf der Toilette übergeben müssen."

    Maria ereiferte sich bei der Aufzählung ihrer Beobachtungen dermaßen, dass sie ihre Tränen scheinbar vergessen hatte.

    „Hm ... und du meinst, dass der Vater des Kindes in Schweden ...?"

    Sofort hob Maria beide Hände abwehrend in die Höhe.

    „Ich weiß es nicht. Aber sie war doch dieses Jahr über eine Woche in ihrer Heimat. Da könnte doch ...?"

    Das stimmt. Sie war in Schweden ..., überlegte Katherina und antwortete entschlossen:

    „Ich werde noch heute mit ihr reden. Das will ich jetzt genau wissen." Ihren Zeigefinger erhebend ergänzte sie:

    „Und du Maria, sprichst mit niemand darüber! Hast du mich verstanden?"

    Rechts unter dem Giebeldach befanden sich die Räume der Kinder. In Alex‘ Zimmer herrschte wieder einmal das Chaos. Auf der alten Liege sitzend versuchte Anne, beide Kinder zu beruhigen. Quer unter dem Schreibtisch lag ein Reitstiefel, der andere stand noch am Schrank. Ein geöffneter Füller, dessen Tinte vermutlich längst eingetrocknet war, lag neben dem Schulheft, daneben ein Atlas und das aufgeschlagene Lexikon. Nach dem Aufstehen hatte Alex seinen Schlafanzug wieder einfach auf dem Fußboden liegengelassen, scheinbar in Erwartung, dass ihn Anne schon wegräumen würde.

    Alex war ein intelligenter Junge, in seiner Auffassungsgabe weiterentwickelt als andere Neunjährige, wie Anne von seinem Klassenlehrer erfahren hatte. Auch gab es in der Schule sonst keine Probleme. Auch seine Hausaufgaben erledigte er stets korrekt.

    Aber sein Benehmen, vor allem ihr und Babsi gegenüber, war zeitweise respektlos und flegelhaft. Anne hoffte, dass sich das im Laufe der Jahre geben würde. Leider orientierte sich der Kleine zu stark an seinem Großvater, der zurzeit das einzige Vorbild für Alex zu sein schien. Außerdem war seine Handschrift teilweise ein Gekrakel. War das ausreichend, um sich über die Entwicklung seines Charakters zu sorgen?

    Nach der Beerdigung trug Anne ihr langes blondes Haar wieder bequem offen. Auf dieser weichen Liege saß sie unbequem. Sie raffte ihr weites Kleid zusammen.

    Annes Vater hatte sie als Kind oft ihrer schlecht leserlichen Schrift wegen ermahnt und darauf hingewiesen, dass man den Charakter eines Kindes auch an dessen Handschrift erkennen könnte.

    „So wie man denkt, handelt man auch", hörte sie dabei ihren Vater reden.

    Wenn sie nur heute mit ihm sprechen könnte.

    Was würde er ihr raten? Wie sollte sie sich verhalten?

    Babsi weinte. Die 6-Jährige schmiegte sich an sie, um scheinbar ihrem Bruder keine Chance geben zu wollen, etwas von Annes Nähe abzugeben. Daraufhin setzte sich Alex auf die andere Seite. Offenbar hatte er an diesem Tag keine Lust auf Streit.

    Anne tat, als hätte sie sein Getue übersehen, und bat ihn ebenso zu sich. Danach nahm sie beide Kinder in ihre Arme. Babsi hatte zwischenzeitlich aufgehört zu weinen und wischte sich ihr Näschen mit dem Ärmel ihres neuen Pullovers ab. Als Anne ihr ein Taschentuch reichen wollte, nahm es ihr Alex sofort aus der Hand, um sofort kräftig hinein zu schnäuzen.

    Alex‘ Verhalten ignorierend beugte sich Anne zu den Kindern herunter, um mit ihrem Finger nach draußen zu zeigen.

    „Schaut her. Eure Mami ist gar nicht so weit weg. Sie sieht euch von ganz oben, aus dem Himmel, und passt auf euch auf."

    „Wie kann sie uns sehen, Anne? Das geht doch nicht. Da ist doch das Dach dazwischen?", kritisierte sie Alex und zog dabei die Augenbrauen zusammen.

    „Wenn Anne das sagt, dann ist es auch so, gell

    Anne?"

    „Bei uns in Schweden sagt man, dass die Seele eines Verstorbenen überall hingehen kann, und kann so durch Wände und Dächer gucken. Ja, manche behaupten, dass die Seele sogar in eine andere Person hineinschlüpfen kann."

    Anne war stolz, dass sie den Kindern diese schwedische Mystik einigermaßen in deutscher Sprache erklären konnte. Mit ihren neunzehn Jahren hatte sie bereits einige tragische Erlebnisse verarbeiten müssen.

    Annes Eltern lebten nicht mehr. Vor sieben Jahren waren sie bei einem schrecklichen Unfall ums Leben gekommen. Von nun an musste sie danach in einer kleinen winzig kleinen Wohnung bei ihrer Stockholmer Tante leben. Damals hatte sich Anne als Ziel gesetzt, irgendwann einmal in die weite Welt zu reisen und nie mehr von Existenzängsten und Geldsorgen getrieben zu werden. Nie woll- te sie arm und von ihrer Tante abhängig bleiben, oder, falls auch ihr etwas passieren sollte, sogar in ein Heim gesteckt werden. Sie hatte sich geschworen, jede Chance zu nutzen, um das zu verhindern.

    Mit sechszehn war sie als Au-pair-Mädchen nach Hamburg gegangen. Zwei Jahre später wurde sie dann an die Rosenbergs nach Königstein weiterempfohlen. In einer derartig feinen Villa leben zu können, war für Anne immer ein Traum gewesen. Jede Woche wuchs in ihr die Überzeugung, alles zu geben, um sich eine unbeschwerte Zukunft zu sichern - wo immer es sei.

    „Anne, hörst du mich denn nicht?", zupfte Babsi ihr am Ärmel.

    „Was willst du denn wissen, Babsi?"

    „Ich will wissen, ... ob Mami auch in mich hineinschlüpfen kann."

    „Oder vielleicht in mich?", fügte Alex hinzu, als er gerade den Zeigerfinger aus seinem Nasenloch holte. Babsi schaute verärgert zu ihm hinüber.

    „Nein, Alex, das geht gar nicht. Du bist doch ein Junge. Da kann später nur der Opa in dich hineinkriechen. - Der wird aber komisch dreinschauen, wenn du in der Nase bohrst. Dann gibt‘s Zirkus!"

    „Das mit dem Nasenbohren gehört sich für einen Herrn von Rosenberg wirklich nicht, Alex!", tadelte ihn Anne. Dann schob sie beide Kinder schmunzelnd von der Liege.

    „Ihr seid vielleicht schon schwer. Das tut meinem Bauch nicht gut. - Da fällt mir ein, wir haben noch nichts gegessen. Jetzt gehen wir wieder hinunter zu Maria. Sonst ist für uns nichts mehr übrig. So, ab nach unten, ihr beiden!"

    „Halt! Nicht so schnell, liebes Madl."

    Auf dem letzten Treppenabsatz zur Eingangshalle hielt sie Kurt an ihren Schultern und küsste sanft ihre Wange. Anne mochte diese lockere, humorvolle Art des Bayern und hatte für die jungen Reiterinnen im Gestüt Verständnis, die sich in den erfolgreichen und gut aussehenden Jockey verliebten. Wenn seine weißen Zähne unter dem braunen Schnurrbart hervor strahlten, wirkte er auf viele junge Frauen unwiderstehlich. Vollkommen konnte sich Anne Kurts Charme ebenfalls nicht entziehen. Er gehörte einfach zu ihrer Generation, liebte die gleiche Musik. Aber er war doch nur ein Jockey ...

    Im Gestüt war es kein Geheimnis, dass sich wegen ihm oftmals hübsche Mädchen aus der Umgebung um eine Stelle als Aushilfsreiterin bewarben. Anne ärgerte sich manchmal darüber, dass Kurt wohl jedem dahergelaufenen Rock Komplimente machte. Sagte er ihnen das Gleiche wie zu ihr? Wahrscheinlich hatte er nie etwas anbrennen lassen.

    Kurt war zwar kein großer Mann, aber auch kein Winzling. Um als Jockey viele und interessante Ritte annehmen zu können, durfte er nicht mehr als vierundfünfzig Kilo wiegen und das zusammen mit Kleidung, Stiefel und dem kleinen Rennsattel. Ein derart niedriges Gewicht erreichte er in der Rennsaison durch regelmäßige Saunabesuche sowie um die Hälfte reduzierte Mahlzeiten. Trotz alledem verfügte er in den Armen über ausreichende Kraft, um einen Vollbluthengst zu zügeln und ihn im Zielspurt freizulassen. Die Rosenbergs waren mit den Leistungen ihres Stalljockeys sehr zufrieden. Immerhin belegte er in der Jahresrangliste der besten Jockeys Deutschlands zurzeit Rang drei.

    Einmal behauptete Kurt, sie hätte einen ‚offenen Blick‘. Nach ihrem damaligen Unverständnis erklärte er ihr, dass man bei jungen Pferden daran den Charakter ein- schätzen konnte. Anne machte ihm danach deutlich, dass dieser Vergleich nicht gerade schmeichelhaft war und sie für sich eine andere Karriere, als die eines Rennpferdes vorstellte.

    Mit der Zeit hatte sie sich an Kurts flapsige Sprüche gewöhnt und konnte damit gut umgehen. Manche unterhaltsamen Abende hatten sie miteinander erlebt.

    „Ich hab eine Überraschung für dich!", sang er ihr ins Ohr, indem er das ‚r‘ in seiner bayerischen Art besonders lang mit der Zunge rollte.

    „Was denn für eine Überraschung?"

    Anne lächelte über seinen Annäherungsversuch.

    „Rosen ...", sagte er ihr mit geschürzten Lippen.

    „Du sollst mir doch keine Blumen schenken,

    Kurt. Das möchte ich nicht!"

    Weitere Komplikationen konnte Anne nun wirklich nicht gebrauchen.

    „... für den Staatsanwalt. Du musst mi a mal ausreden lassen. Ihr feschen Schwedinnen glaubt, nur weil sie a bisserl Deutsch verstehen, schon nach dem ersten Wort den ganzen Satz zu erkennen. ‚Rosen für den Staatsanwalt‘ ist der Knüller der Kinosaison. I hab zwei Karten - nur für uns zwoa."

    Dabei schaute Kurt sie mit einem verschmitzten Lächeln an, sodass seine Zähne blinkten.

    „Okay. - Das klingt schon besser. Wann gehen wir?"

    Anne versuchte, lässig zur reagieren, obwohl sie sich darüber sehr freute, zumal der Film bereits gute Kritiken erhalten hatte.

    „Wir fahr‘n mit meinem Käfer nach Höchst. Die Karten sind für übermorgen Abend um halbe Neune. Des passt doch hoffentlich?"

    „Morgen ist mir zu kurz nach der Beerdigung. Übermorgen ist besser. Ich muss erst mit der Baronin und Maria reden. Wir können jetzt unmöglich die Kinder alleine lassen. - Sag, wieso kauft sich ein Champion Jockey nicht ein gutes Auto?"

    „He, der Käfer ist a guets Auto. Gefallt er dir net?"

    „Ich meine zum Beispiel einen schwedischen

    Volvo - einer mit Gurte."

    „Was Gurte? Muss man bei euch das Auto wie einen Elch ziehen?"

    „Blödmann. Die sind für die Sicherheit, dass man nicht mit dem Kopf gegen die Scheibe knallt, falls ein Fahrer besser reiten kann als Autofahren. Volvo hat dafür sogar einen Orden gekriegt. Das hat der Käfer bestimmt nicht bekommen."

    „Bis übermorgen ... so schnell liefern selbst die Schweden keine Autos aus. Deshalb müssen wir eben mit meinem Käfer vorliebnehmen, gell?"

    „Wir reden später darüber."

    Wie sie durch die geöffneten Türen des Weißen Salons sehen konnte, begann Baron Johannes offenbar eine Rede zu halten.

    Gleich würde er beginnen. Wilhelm erwartete mit den Kindern die Ansprache des alten Herrn, als er Katherina unauffällig zum freien Stuhl zu seiner Linken beorderte. Sie schlich an den Gästen vorbei, die sich bereits der Sitzordnung entsprechend an der Tafel niedergelassen hatten.

    Der rot gemusterte Teppich unterstrich dem Weißen Salon seine edle Wirkung. Der größte Saal des Hauses wurde nur für große Empfänge oder besondere Anlässe geöffnet. Die Ahnenbilder der Rosenbergs, Urkunden und Fotos siegreicher Pferde dekorierten seine Wände, neben zwei weißen stuckverzierten Säulen, zwischen denen jeder Gast durch die Terrassentür hindurch einen freien Blick in den Park hatte. Bei klarer Sicht waren sogar die ersten Häuser von Frankfurt zu sehen.

    Wilhelm beobachtete seine Mutter und bemerkte ihren kritischen Blick hinüber zu Anne und Kurt, als diese als Letzte den Salon betraten. In dem Moment hievte sein 74-jähriger Vater und Patriarch der Familie seinen massigen Körper vom Stuhl, um mit Klopfen des Kaffeelöffels an ein Weinglas endlich seine Rede zu beginnen.

    Wilhelm ärgerte sich über seinen Vater, zumal nach dem Brauch er, als der Mann der Verstorbenen, eine Rede zu halten hätte und nicht der Schwiegervater. Sein Vater nutzte gerne jede Gelegenheit, auch wenn es sich um eine Beerdigung handelt, sich in Szene zu setzen, vor allem wenn illustre Gäste, wie der hessische Ministerpräsident anwesend war. Nur was wollte er denn heute sagen? Würde er nicht wieder eine seiner oftmals peinlichen politischen Grundsatzreden halten wollen? Jedoch schien er irgendetwas Besonderes vorzuhaben, so förmlich, wie er sich gab.

    Unter den Geladenen befanden sich ebenso die Vorsitzende der Mütterstiftung sowie die Vorstandssprecher der drei Geschäftsbanken Frankfurts. Besonders freute sich Wilhelm über den Besuch seines Freundes und Kollegen aus München, Max von Isny. Der nur vier Jahre ältere Grauhaarige mit dem gebräunten Teint und der sonoren bayerischen Stimme teilte mit ihm die Leidenschaft für die Vollblutzucht. Gelegentlich vertrat er sehr loyal auch seinen Vater in der Funktion als Präsident des Bankenverbandes.

    Den Kölner Bankier Güskens hatte er auf dem Friedhof gesehen, besichtigte aber im Moment im Gestüt Sirakos und wird sich danach wahrscheinlich den Gästen anschließen. Nur der Konkurrent aus Hamburg, Hans Jensen von der Hansa Bank, fehlte. Mit seiner Aufwartung hatte Wilhelm auch nicht gerechnet. Mittels einer schriftlichen Kondolenz hatte er sich für seine Abwesenheit entschuldigt.

    „Mein lieber Sohn, liebe Katherina, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, verehrte Gäste, begann sein Vater mit tiefer Stimme, „es ist für mich ein sehr trauriger Anlass, Sie heute zu begrüßen. Wir danken Ihnen, dass Sie unserer Einladung gefolgt sind. - Für dich Wilhelm ist dieser Tag mit besonderem Schmerz verbunden. In den letzten Monaten hast du sehr leiden müssen, da der Abschied von deiner Frau Hannerose immer wahrscheinlicher wurde ...

    Nach seinen Einführungsworten bat er Wilhelm, zu ihm zu kommen. Da er sowieso bereits neben ihm saß, empfand Wilhelm es als eine Aufforderung, sich von seinem Platz zu erheben.

    Was kam jetzt?

    „Lieber Wilhelm. Du hast nicht nur in diesen schweren Zeiten bewiesen, dass du als Mann wie ein Fels in der Brandung stehst. Deine Familie, wie auch die Bank, hat sich immer auf dich verlassen können. Ich werde in diesem Jahr fünfundsiebzig, Zeit, mich zurückzuziehen. In den letzten Jahren hatte ich sowieso mehr unter dem Regiment meiner lieben Frau gestanden."

    Alle schmunzelten, obwohl der Scherz nicht dem Anlass nach passend war. Wilhelms Mutter beantwortete es mit der Geste des Beschimpfens mittels ihres Zeigefingers.

    „Ich habe mich entschieden. Heute möchte es Ihnen allen mitteilen: Mein Sohn Wilhelm wird mich von heute an als Oberhaupt der Familie Rosenberg ablösen!"

    Wie bitte?

    Wilhelm war darüber sehr überrascht, auch seine Mutter schien davon nichts gewusst zu haben. Sein Vater jedoch genoss seine unerwartete Entscheidung.

    „Lieber Wilhelm, ich übergebe dir als Zeichen des Patrons unserer Familie meinen Rosenring ..." Sein Vater versuchte, ihn vom linken Ringfinger abzustreichen - jedoch ohne Erfolg.

    „Maria, bring mir bitte Wasser und Seife - und dann bereite den Sekt vor. Darauf müssen wir doch anstoßen, nicht wahr, meine Damen und Herren! - Sie sehen, liebe Gäste: Ich trage den Ring so lange, dass er anscheinend ein Teil von mir geworden ist. Wilhelm, hoffentlich geht es bei dir dann leichter, wenn du ihn später einmal unserem Alex übergeben wirst. - Ich möchte den Bankvertretern hier im Saal auch mitteilen, dass ich zur nächsten Versammlung des Bankenverbandes meinen Sohn Wilhelm zu meinem Nachfolger für das Amt des Präsidenten vorschlagen werde."

    Fühlten sich die Herren damit nicht wie vorn den Kopf geschlagen? Wilhelm empfand, dass man mit seinen Präsidiumskollegen nicht so umgehen konnte.

    Alle Gäste applaudierten und erhoben sich von ihren Plätzen. Wilhelm lächelte und bedankte sich höflich für die Zustimmung. Dabei vernahm er die Bemerkung seiner Mutter:

    „Das mit Alex als Nachfolger hättest du dir auch verkneifen können. Der Kleine kommt schon früh genug unter Druck. Außerdem ist heute die Beerdigung deiner Schwiegertochter und keine Sitzung."

    Wilhelm wusste, dass sich sein Vater von seiner Mutter viel gefallen ließ, wenn nicht gerade fremde Menschen anwesend waren. So raunzte er zurück: „Ein Rosenberg spürt keinen Druck. Du kennst meine Einstellung: Ein Guter hält‘s aus - und um einen Schlechten ist‘s nicht schade!"

    Nachdem Maria ihm Seife und Wasser gereicht hatte, gelang es Johannes endlich, den Ring abzustreifen und ihn Wilhelm an seinen linken Ringfinger zu stecken. Danach umarmte ihn sein Vater und wünschte ihm auf die Schulter klopfend alles Gute.

    Alex strahlte seinen Vater an, als er sich wieder neben ihn setzte. Wilhelm streichelte seinem freudestrahlenden Sohn über seine roten Haare, als er neben ihm Platz nahm.

    Wilhelm hoffte, dass die verfrühte Bemerkung seines Vaters auf Alex keinen negativen Einfluss ausübte. Mit seinen erzkonservativen Geschichten beeinflusste der Alte den Kleinen bereits mehr, als für ihn hilfreich wäre.

    Die Türen zum Park wurden geöffnet. Mittlerweile befleckten nur noch vereinzelte Wölkchen den blauen Himmel über Königstein. Die Sonne strahlte mit zurückgewonnener Kraft auf die viereckigen Kacheln der Terrasse. Während Maria die Tabletts mit Sektgläsern zu den Gästen hinausbrachte, spannte das Bedienungspersonal die vier großflächigen weißen Sonnenschirme auf.

    „Alex, gehst du ein Stück mit uns?"

    Freudig sprang er zu seinem Großvater. Die gemeinsamen Spaziergänge mit ihm, ob im Park oder im Taunus, waren immer reich an spannenden Geschichten von früher, vom Adel und manchmal sogar vom Krieg. Heute begleiteten ihn obendrein noch prominente Gäste: der Herr Ministerpräsident, Onkel Max von Isny, der berühmte Rennfahrer Hermann Graf von Eppstein und der dicke Kölner Bankier Güskens.

    Gemessenen Schrittes und versucht den Rhythmus zu halten, ging er unmittelbar neben seinem Großvater her. Ihm war bewusst, dass sein Opa Johannes stolz auf ihn war, denn er hatte es ihm mehrmals gesagt. Zum Beispiel, als sie im Gestüt

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