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Gefängnistagebuch 1944
Gefängnistagebuch 1944
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eBook296 Seiten4 Stunden

Gefängnistagebuch 1944

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Über dieses E-Book

An einem Januartag des Jahres 1933 saßen mein guter Verleger Rowohlt und ich in den Weinstuben von Schlichter zu Berlin bei einem heiteren Abendmahl. Unsere Ehegesponsten und einige gute Flaschen Steinwein leisteten uns Gesellschaft. Wir waren, wie es in der Schrift heißt, des guten Weines voll, und er hatte dieses Mal bei uns auch eine gute Wirkung getan. Bei mir war man dessen nicht immer sicher. Es war ganz unberechenbar, wie der Wein auf mich wirkte, meistens machte er mich streitsüchtig, rechthaberisch und prahlerisch. An diesem Abend hatte er das aber nicht getan, er hatte mich mit einer fröhlichen, leicht spottlustigen Laune erfüllt, und so gab ich den besten Gefährten für Rowohlt ab, den Alkohol immer mehr in einen riesigen, zwei Zentner schweren Säugling verwandelt. Er saß, gewissermaßen Alkohol aus jeder Pore seines Leibes verdampfend, wie ein feuergesichtiger Moloch am Tisch, aber ein zufriedener, satter Moloch, während ich meine Späße und Geschichtchen zum Besten gab, über die sogar mein braves Eheweib herzlich lachte, obwohl sie diese Dönekens schon mindestens hundertmal gehört hatte. Rowohlt war in jenem Zustand angelangt, in dem ihm sein Gewissen manchmal befiehlt, auch einen Beitrag zur Belustigung der Anwesenden zu leisten: er ließ sich dann manchmal von dem Kellner einen Sektkelch geben, den er dann Stück für Stück bis auf den Stiel mit seinen Zähnen zermalmte und völlig verzehrte – zum Entsetzen der Damen, die sich nicht genug darüber verwundern konnten, daß er sich kein bißchen dabei schnitt. Einmal habe ich es allerdings erlebt, daß Rowohlt bei dieser fast kannibalisch anmutenden Glasfresserei seinen Meister fand. Er ließ sich einen Sektkelch bringen, ein stiller sanfter Herr in der Gesellschaft tat desgleichen. Rowohlt verzehrte ihn, der Sanfte dito. Rowohlt sprach behaglich: "So! Das hat mir gut getan!" Faltete die Hände über dem Bauch und sah sich triumphierend in der Runde um, der Sanfte wandte sich an ihn. Er deutete mit dem Finger auf …
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum2. Juni 2018
ISBN9783746729947
Gefängnistagebuch 1944
Autor

Hans Fallada

Hans Fallada, eigentlich Rudolf Wilhelm Friedrich Ditzen (* 21. Juli 1893 in Greifswald; † 5. Februar 1947 in Berlin) war ein deutscher Schriftsteller. Bereits mit dem ersten, 1920 veröffentlichten Roman Der junge Goedeschal verwendete Rudolf Ditzen das Pseudonym Hans Fallada. Es entstand in Anlehnung an zwei Märchen der Brüder Grimm. Der Vorname bezieht sich auf den Protagonisten von Hans im Glück und der Nachname auf das sprechende Pferd Falada aus Die Gänsemagd: Der abgeschlagene Kopf des Pferdes verkündet so lange die Wahrheit, bis die betrogene Prinzessin zu ihrem Recht kommt. Fallada wandte sich spätestens 1931 mit Bauern, Bonzen und Bomben gesellschaftskritischen Themen zu. Fortan prägten ein objektiv-nüchterner Stil, anschauliche Milieustudien und eine überzeugende Charakterzeichnung seine Werke. Der Welterfolg Kleiner Mann – was nun?, der vom sozialen Abstieg eines Angestellten am Ende der Weimarer Republik handelt, sowie die späteren Werke Wolf unter Wölfen, Jeder stirbt für sich allein und der postum erschienene Roman Der Trinker werden der sogenannten Neuen Sachlichkeit zugerechnet. (Wikipedia)

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    Buchvorschau

    Gefängnistagebuch 1944 - Hans Fallada

    Hans Fallada

    GEFÄNGNIS-

    TAGEBUCH

    1944

    23.IX.44

    An einem Januartag des Jahres 1933 saßen mein guter Verleger Rowohlt und ich in den Weinstuben von Schlichter zu Berlin bei einem heiteren Abendmahl. Unsere Ehegesponsten und einige gute Flaschen Steinwein leisteten uns Gesellschaft. Wir waren, wie es in der Schrift heißt, des guten Weines voll, und er hatte dieses Mal bei uns auch eine gute Wirkung getan. Bei mir war man dessen nicht immer sicher. Es war ganz unberechenbar, wie der Wein auf mich wirkte, meistens machte er mich streitsüchtig, rechthaberisch und prahlerisch. An diesem Abend hatte er das aber nicht getan, er hatte mich mit einer fröhlichen, leicht spottlustigen Laune erfüllt, und so gab ich den besten Gefährten für Rowohlt ab, den Alkohol immer mehr in einen riesigen, zwei Zentner schweren Säugling verwandelt. Er saß, gewissermaßen Alkohol aus jeder Pore seines Leibes verdampfend, wie ein feuergesichtiger Moloch am Tisch, aber ein zufriedener, satter Moloch, während ich meine Späße und Geschichtchen zum Besten gab, über die sogar mein braves Eheweib herzlich lachte, obwohl sie diese Dönekens schon mindestens hundertmal gehört hatte. Rowohlt war in jenem Zustand angelangt, in dem ihm sein Gewissen manchmal befiehlt, auch einen Beitrag zur Belustigung der Anwesenden zu leisten: er ließ sich dann manchmal von dem Kellner einen Sektkelch geben, den er dann Stück für Stück bis auf den Stiel mit seinen Zähnen zermalmte und völlig verzehrte – zum Entsetzen der Damen, die sich nicht genug darüber verwundern konnten, daß er sich kein bißchen dabei schnitt. Einmal habe ich es allerdings erlebt, daß Rowohlt bei dieser fast kannibalisch anmutenden Glasfresserei seinen Meister fand. Er ließ sich einen Sektkelch bringen, ein stiller sanfter Herr in der Gesellschaft tat desgleichen. Rowohlt verzehrte ihn, der Sanfte dito. Rowohlt sprach behaglich: »So! Das hat mir gut getan!« Faltete die Hände über dem Bauch und sah sich triumphierend in der Runde um, der Sanfte wandte sich an ihn. Er deutete mit dem Finger auf den nackten Glasstiel, der vor Rowohlt stand. Vorwurfsvoll fragte er: »Und den Stengel essen Sie nicht, Herr Rowohlt? Das ist doch das Beste!« Sprach’s und fraß ihn, beim unauslöschlichen Gelächter der Runde. Rowohlt aber, um seinen Triumph gebracht, war stinkwütend und verzieh dem Sanften diese Niederlage nie!

    Übrigens durfte man sich in Rowohlt nicht täuschen: wenn er auch der sanfteste Säugling war und kaum aus seinen Augenschlitzen mehr schauen zu können schien, war er doch hellwach, und vor allem rechnen konnte er, daß es ein Grausen war! Ich habe ihn einmal in Unkenntnis dieses Zustandes und in einiger Geldklemme – bei diesem Säuglingszustand ein wenig über den Löffel balbieren und einen besonders günstigen Vertrag mit ihm schließen wollen. Ich sehe uns noch beide dasitzen und Speisekarten mit endlosen Zahlenkolonnen bedecken. Schließlich wurde der Vertrag in feuchtfröhlicher Stimmung abgeschlossen, und ich lachte mir ins Fäustchen über den endlich einmal reingelegten smarten Geschäftsmann, das Ergebnis war natürlich, daß ich der Hereingefallene war, und wie hereingefallen! Rowohlt war selbst hinterher so erschrocken über diesen Vertrag, daß er mir den größten Teil seines Raubes freiwillig wieder heraus gab.

    Aber an diesem Abend kam es weder zu Glasfressen, noch zu Geschäften. An diesem Abend herrschte eine behagliche, gesättigte Stimmung vor. Wir hatten die herrlichen eisgekühlten Salate Schlichters hinter uns, seine Bouillabaisse, seine Filets Stroganoff, seinen unübertrefflichen, alten Holländer Käse, wir hatten uns dann und wann zum Wein mit etwas Himbeergeist den Magen erwärmt und sahen nun den Spiritusflämmchen unter unseren vier Kaffeemaschinen zu, die uns unseren Mokka wärmten, während wir ab und zu noch gelassen, aber genußreich einen Mundvoll Wein nahmen. Wir hatten auch allen Anlaß, mit uns und unseren Leistungen zufrieden zu sein. Wohl lag nun schon der »Welterfolg« des »Kleinen Mannes« hinter uns, wie alle Welterfolge immer bereits von einem noch größeren abgelöst werden, ich weiß es nicht mehr, war es »die gute Erde« von der Pearl Buck, oder das »Vom Winde verweht« der Mitchell. Ich hatte seitdem »Wir hatten mal ein Kind« geschrieben, was den Leuten nicht gefiel, obwohl es dem Autor sehr gefiel, und saß nun über dem »Blechnapf«. Vielleicht würde auch der »Blechnapf« kein neuer Welterfolg werden, das hatte Zeit, alles hatte Zeit. Es war die leichteste Sache von der Welt, einen Welterfolg zu erzielen, man mußte es nur wollen. Augenblicklich war ich mit anderen Dingen beschäftigt, die mich sehr interessierten: würde es mich eines Tages interessieren, einen Welterfolg zu haben, so würde mir auch das ohne Schwierigkeit gelingen.

    Rowohlt hörte diesen mehr betrunkenen, als ernst gemeinten Ausführungen mit einem fast pagodenhaften Kopfnicken zu und bestätigte meine Worte mit einem gelegentlichen »So ist es« oder »Sie haben vollkommen recht, Väterchen«. Unsere braven Weiber waren es ein wenig überdrüssig geworden, ständig an den Lippen des berühmten Autors und seines berühmten Verlegers zu hängen und Worte purer Weisheit zu vernehmen, sie hatten sich Wirtschafts- und Kinder-Erziehungs-Fragen gewidmet und tuschelten mit gesenkten Stimmen am anderen Ende des Tisches. Langsam und schwer duftend fielen die ersten Tropfen des Mokka in die unter die Tüllen gestellten Tässchen … In diese völlig behagliche Situation stürmte ein aufgeregter Kellner herein und erinnerte uns daran, daß es außerhalb unserer vollkommen geordneten Privatwelt noch eine sehr viel größere Außenwelt gab, in der es zur Zeit recht turbulent zuging. Mit dem Rufe: »der Reichstag brennt! der Reichstag brennt! die Kommunisten haben ihn angesteckt!« stürzte er von Raum zu Raum des Lokals. Das brachte nun doch Leben in uns beide. Wir sprangen von unseren Sitzen auf, wir sahen uns mit verständnisvollen Augen an, wir schrieen nach einem Kellner. »Ganymed« schrieen wir diesen Jünger des Lukullus an. »Besorgen Sie uns auf der Stelle eine Autodroschke! Wir wollen zum Reichstag! Wir wollen Göring kokeln helfen!« Unsere guten Frauen erbleichten vor Schreck. Göring war wohl erst ein paar Tage an der Regierung und die Konzentrationslager noch nicht in die Erscheinung getreten, aber der Ruf, der den Herren, die jetzt das Ruder in Deutschland ergriffen hatten, vorausging, war nicht gerade so, daß man sie für sanfte Lämmer halten konnte. Ich sehe noch die verwirrte, ängstliche und doch lächerliche Situation vor mir: wir beide von einem wahren furor teutonicus erfaßt, uns gegenseitig in die Augen schauend und anbrüllend, daß wir unbedingt mitkokeln wollen; unsere schreckensbleichen Frauen, die uns zu beschwichtigen suchten und unbedingt aus diesem Lokal forthaben wollten, das in dem Rufe stand, nationalsozialistisch-freundlich zu sein, und ein Kellner in der Tür, der eilig etwas auf seinen Abrechnungsblock schrieb, wie wir aus erheitertem Beifall annahmen: einen Extrakt unserer mannhaften Reden. Schließlich ist es unseren Frauen doch gelungen, uns aus der Tür, auf die Straße und in ein Auto zu bugsieren, ich nehme an, unter dem Vorwand, mit uns zusammen das brennende Reichstagsgebäude anzusehen. Wir fuhren aber nicht gemeinsam dorthin sondern zuerst setzten wir Rowohlt und seine Frau in ihrer Wohnung ab, dann machte sich unser Wagen auf die weite Fahrt nach dem Osten, wo ich damals mit meiner Frau und unserem noch einzigen Sohn in einem kleinen Dorf an der Spree wohnte. Die sanften Worte meiner Frau hatten mich unterdes so weit beruhigt, daß ich beim Vorbeifahren ohne alle eigenen Brandstiftergelüste in die feurigen Flammen der Reichstagskuppel sehen konnte, dieses unheimliche Fanal, das am Anfang des Weges ins Dritte Reich stand. Es ist gut, daß wir an diesem Abend unsere Frauen bei uns hatten, sonst hätte unsere Tätigkeit und wohl auch unser Leben an diesem Januartage 1933 ihr Ende gefunden, und dieses Buch wäre nie geschrieben worden. Auch der eifrig notierende Oberkellner, der uns noch ein paar Tage lang als Schreckgespenst ängstigte, ließ nichts wieder von sich hören: er hatte wohl nur eilig die Rechnungen für seine allesamt aufbrechenden Tischgäste notiert.

    24.IX.44

    Dieses kleine Erlebnis ist bezeichnend für die Einstellung, mit der viele brave Deutsche dem Regiment der Nationalsozialisten entgegensahen. Wir hatten in unseren deutschnationalen oder demokratischen oder sozialdemokratischen oder gar kommunistischen Gazetten doch schon einiges von der Brutalität gelesen, mit der diese Herren ihre Absichten zu verwirklichen pflegten, und doch dachten wir: »Es wird so schlimm schon nicht werden! Jetzt, wo sie an der Macht sind, werden sie schon merken, welch Abstand zwischen einem Parteiprogramm und seiner Verwirklichung liegt! Sie werden auch einen Pflock zurückstecken – wie alle. Sie werden sogar viele Pflöcke zurückstecken!« Von der Sturheit dieser Leute, von ihrer unmenschlichen Härte, die wortwörtlich vor Leichen, vor Bergen von Leichen nicht zurückschreckte, machten wir uns noch nicht den geringsten Begriff. Manchmal wollten wir wach werden, wenn wir zum Beispiel hörten, daß ein Sohn des Hauses Ullstein bei seiner Verhaftung auf die vielleicht etwas überheblich vorgetragene Bitte, sich doch erst noch die Zähne putzen zu dürfen, stracks mit dem Gummiknüppel niedergeschlagen und als halbe Leiche fortgeschafft worden war. Es regnete nur so Verhaftungen, und reichlich viele von diesen Verhafteten wurden »auf der Flucht« erschossen. Aber gleich sagten wir uns wieder: »Das betrifft ja nicht uns. Wir sind friedliebende Bürger, wir haben uns nie politisch betätigt.« Wir waren wirklich reichlich töricht, gerade weil wir uns nicht politisch betätigt hatten, das heißt nicht in die allein selig machende Partei eingetreten waren und es auch jetzt nicht taten, machten wir uns stark verdächtig. Wir hätten es so leicht gehabt; gerade in den Monaten von Januar bis März dreiunddreißig setzte jener Massensturm auf die Partei ein, der den damals Aufgenommenen den Übernamen »Märzgefallene« eingetragen hat. Ab März sperrte die Partei dann die Aufnahme, machte sie von einer sorgfältigen Prüfung und Siebung abhängig. Lange wurden »die Märzgefallenen« auch als Parteigenossen zweiter Klasse behandelt; mit den Jahren verwischte sich aber der Unterschied, und die Märzgefallenen taten schon von sich aus alles, um ihre Zuverlässigkeit und Treue zu beweisen. Aus ihren Reihen besonders gingen jene Nationalsozialisten hervor, die man später als die 150%igen bezeichnete: sie suchten übereifrig noch die alten Parteimitglieder bei der Durchführung aller Maßnahmen an bedingungsloser Härte noch zu übertreffen – so weit es natürlich nicht ihre eigene Person betraf. Auf einige dieser besonders duftigen Blüten, deren Bekanntschaft ich machen sollte, werde ich bald zu sprechen kommen.

    An sich hatten Rowohlt und ich alle Ursache sehr vorsichtig zu sein: wir waren beide kompromittiert, er mehr, ich weniger, aber kompromittiert jedenfalls, und das genügte den regierenden Herren vollkommen, auf feinere Unterschiede wurde kein Wert gelegt. Sie haben ja überhaupt stets mit der rohen Gewalt regiert, vor allem mit der brutalen Drohung der nackten Gewalt, erst das eigene dann manches andere Volk eingeschüchtert und versklavt, für die Feinheiten einer sanft, aber stahlharten führenden Hand haben sie nie ein Organ gehabt, das lag weit über ihrem Begriffsvermögen. Drohen, immer nur Drohen. Tue das oder: Kopf ab! Tue das nicht oder: Galgen! In diesen primitivsten Begriffen erging sich ihre ganze Regierungsweisheit, vom Anfang bis zum hoffentlich nahen Ende.

    Also, Rowohlt und ich, wir waren beide kompromittiert. Er war als ein »Judenfreund« bekannt, sein Verlag wurde einmal von einer nationalsozialistischen Zeitung als »Synagogen-Ableger« bezeichnet. Er hatte die Werke Emil Ludwigs verlegt, den die »Kampfblätter« mit Hartnäckigkeit Emil Ludwig Cohn nannten, obwohl er nicht einen Tag seines Lebens den Namen »Cohn« geführt hatte. Rowohlt war auch der Verleger Tucholskys, der in seiner »Weltbühne« einen verbissenen Kampf gegen die geheimen Extratänze der Reichswehr geführt hatte. Weiter hatte Rowohlt das »Tagebuch« begründet, eine wirtschafts-politische Wochenschrift, die für Völkerbund und Weltwirtschaft eintrat, die geheimen Machenschaften der »Schlotbarone« aufdeckte und allen autarken Bestrebungen abhold war. Er hatte auch – die Liste seiner Verbrechen ist wahrhaft erschreckend – Knickerbocker verlegt, diesen amerikanischen Journalisten, der so packend über den roten Handel und über den Faschismus in Europa zu berichten wußte, und dem auf Herrn Görings höchstpersönliches Eingreifen die Pressekarte zu der Eröffnungssitzung des Reichstages unter der Aegide der Nationalsozialisten verweigert worden war. Schließlich hatte Rowohlt noch eine Broschüre »Adolf Hitler Wilhelm III« herausgebracht, die auf überraschende Ähnlichkeit in Charakter und Temperament dieser beiden Herren hinwies; er hatte ein Büchlein veröffentlicht »Kommt das Dritte Reich?«, das diesem Kommen nicht gerade freundlich gesinnt war, und er hatte vor allem eine »Geschichte des Nationalsozialismus« gedruckt und verlegt, in der alle Widersprüche, Schandtaten und Dummheiten dieser noch so jungen Partei erbarmungslos aufgedeckt waren. Dieses Buch ist dann unter dem Ladentisch zu phantastischen Preisen verhökert worden – offiziell verfiel es natürlich sofort einem jener Scheiterhaufen, die zur Zeit der Machtübernahme überall in Deutschland lohten, und auf denen im allgemeinen ziemlich wahllos alles verbrannt wurde, was einen jüdischen Namensklang hatte. (Mit der literarischen Bildung der nationalsozialistischen Henker sah es ziemlich faul aus, wie übrigens mit ihrer Bildung überhaupt.) Daß Rowohlt daneben noch unendlich viele schöngeistige jüdische Autoren hatte, und daß es noch genug jüdische Angestellte in seinem Verlag gab. Genug? Viel zuviel! (Eine dieser jüdischen Angestellten sollte ihm übrigens später – wenigstens offiziell – den Hals brechen, davon wird noch zu reden sein.) Politisch war Rowohlt ganz indifferent, er bezeichnete sich selbst in guter Stimmung als »Pan-Chaotiker«, und wirklich war und ist er wohl noch heute ein Mensch, der in etwas turbulenten und wirren Zeiten den meisten Auftrieb hat. Die Blüte hat sein Verlag in den schlimmen Jahren ausgangs der Revolution und zu Beginn der Einführung der Rentenmark erlebt.

    Über mein Sündenregister brauche ich kaum ähnlich ausführlich zu berichten, auf den folgenden Blättern wird zu lesen sein, wie sehr man mich liebte, wie eifrig man meine Arbeit förderte und was für freudige Jahre ich ab 1933 mit den meinen erlebte. Es genügt wohl, wenn ich erwähne, daß führende, »repräsentative« nationalsozialistische Zeitungen und Zeitschriften mich als »den Paradegoi sämtlicher Juden des Kurfürstendamms« bezeichneten, daß sie mich zu dem »berüchtigten Pornographen« machten und mir bis auf die letzten Tage jede Existenz- und Schreibberechtigung in Deutschland bestritten.

    Man hat es mir von der anderen Seite sehr verdacht und vorgeworfen, daß ich aus diesen feindlichen Einstellungen nicht meine Konsequenzen gezogen und wie andere Emigranten Deutschland verlassen habe. Es hat mir nicht an großzügigen Angeboten gefehlt. Noch in den Tagen der Besetzung der Tschechoslowakei ist mir vorgeschlagen worden, dem drohenden Kriege zu entfliehen und mit den meinen in ein nahes Land zu fahren, wo mir eine behagliche Häuslichkeit, die beste Arbeitsmöglichkeit, ein sorgenloses Leben bereit gehalten wurde, wo ich sofort eingebürgert worden wäre. Und wieder habe ich, mit all meinen schlimmen Erfahrungen seit 1933 »Nein« gesagt, wieder habe ich, in meiner Produktion gehemmt, habe ich ständig befeindet, als Bürger zweiter Klasse behandelt, von dem nahen Schatten eines notwendigen Krieges bedroht, »Nein« gesagt, habe lieber mich, meine Frau und meine Kinder allen Gefahren ausgesetzt, als aus der Heimat zu gehen, denn ich bin ein Deutscher, ich sage es heute noch mit Stolz und Trauer, ich liebe Deutschland, ich möchte nirgendwo auf der Welt leben und arbeiten als in Deutschland. Ich könnte es wahrscheinlich nirgendwoanders. Was wäre ich wohl für ein Deutscher, wenn ich mich in den Stunden der Not und Schmach davon gestohlen hätte zu einem leichten Leben? Denn ich liebe dieses Volk, das der Welt unvergängliche Klänge geschenkt hat und weiter schenken wird. Hier sind Lieder gesungen wie in keinem Lande der Welt, hier in Deutschland erklangen Töne, die man nicht wieder hören wird, wenn dieses Volk untergeht! So treu, so geduldig, so standhaft dieses Volk – und so leicht zu verführen! Weil es so gläubig ist – jedem Scharlatan glaubt es.

    Und ich sage es hier rückhaltlos: es sind nicht die Deutschen gewesen, die dem Nationalsozialismus am meisten den Weg bereitet haben, das haben die Franzosen, die Engländer getan. Seit 1918 hat es manche Regierung gegeben, die den besten Willen zu guter Zusammenarbeit hatte – man hat ihnen nie eine Chance gegeben. Immer wieder hat man vergessen, daß sie nicht nur die Vollzieher fremder Gewaltmaßnahmen, sondern auch die Vertreter eines verelendeten, verhungerten Volkes waren, das sie liebten! Sie haben uns in den Abgrund, in die Hölle gestoßen, in der wir heute leben!

    Ja, ich bin geblieben und mit mir mancher andere. Wir haben uns gegenseitig Mut gemacht, und wir sind etwas in Deutschland geworden, es sei ohne alle Überheblichkeit, nein, mit aller Bescheidenheit sei es gesagt: wir sind das Salz geblieben, es ist nicht alles dumpf und dumm geworden. Es ließ sich ja nicht vermeiden, daß es bekannt wurde in meiner Gegend, daß ich ein schwarzes Schaf war, in meinem Hause ist nie »Heil Hitler« gesagt worden, und für solche Dinge schärften sich die Ohren der Leute in Deutschland mit den Jahren merkwürdig. Mancher hat mit mir geredet, wie ihm um’s Herz war, das gab uns gegenseitig Kraft, weiter auszuhalten. Wir haben nichts so Lächerliches getan wie Verschwörungen zu schmieden und Putsche anzuzetteln, was man in völliger Verkennung der ernsten Lage im Ausland immer von uns erwartet hat. Wir waren nämlich keine Selbstmörder, deren Tod niemandem genutzt hätte. Aber wir waren das Salz der Erde – und wenn nun das Salz dumm wird, womit soll man’s salzen?

    Ich will hier, obwohl es eigentlich gar nicht an diese Stelle gehört, eine kleine Geschichte erzählen, die ich in meinen ersten Jahren der Machtergreifung erlebte, und die vielleicht einen kleinen Begriff davon gibt, wie die Atmosphäre meines Hauses Gleichgesinnte sofort aus ihrem sonst ängstlich gewahrten Schweigen hervorlockte. Eines Tages kam zu uns aus Berlin ein Monteur, um irgendeine Maschine zu reparieren. Er war ein richtiger Berliner, helle genug, und er hatte sofort erfaßt, in was für ein Haus er gekommen war. Bei Tisch – wir essen immer alle gemeinsam – taute er immer mehr auf und gab nun folgende ergötzliche und lehrreiche Geschichte zum Besten, aus der man ersehen kann, daß es in Deutschland auch in der schwersten Zeit aufrechte, unerschütterliche Männer gegeben hat (und geben wird), in allen Berufen und in allen Ständen. Also dieser Monteur erzählt im unverfälschten Berlinisch: »Also, da klingelt det an meine Tür, und als ick uffmache, steht da doch eener von die Bettler des Kanzlers vor mir, mit ’ne Liste in die Flosse. ›Ick komm von’t WHW‹, sagt der Mann, ›und det is nu mächtig uffjefallen, det Sie noch nie ’n Beitrag zu det große Opferwerk von det deutsche Volk jejeben haben. Det Winterhilfswerk nämlich …‹ Und nu red’t er los; ick laß ihn sabbeln, und wie er fertig is, sare ick zu ihm: ›Männecken, sare ick, sparen Se Ihre Puste, ick gebe doch nischt!‹

    ›Ja‹, sagt er da, ›wenn Sie aber jetzt wieder nischt jeben, trotzdem ick Ihnen persönlich besucht habe, dann muß ick uff diese Hausliste eenen Kreis hinter Ihren Namen machen, und det kann doch sehr unanjehme Foljen for Ihnen haben.‹

    ›Männecken‹, sare ich wieder, ›wat Sie for geometrische Figuren hinter meenem Namen malen, det is mir völlig schnurz, ick gebe doch nischt!‹

    ›Mann!‹ drängelt er nu. ›Seien Se doch nich so, stürzen Se sich doch nich mit wissenden Oojen in den Abgrund! Sie jeben mir ’nen Fuffzjer, und ick mache keenen Kreis – klappt der Laden gleich!‹

    ›Det denken Sie!‹ sare ick. ›Aber een Fuffzjer, det is een janzet Brot, und een Brot, det zählt schon bei mir: ick habe nämlich fünf Kinder.‹

    ›Wat!‹ ruft der Kerl janz begeistert. ›Sie haben fünf Kinder? Da haben Sie ja janz im Sinne unseres Führers jehandelt.‹

    ›Jawoll!‹ sare ich, ›bloß, ick mache Ihnen dadruff aufmerksam: all diese Kinder sind vor der Machtergreifung gemacht worden!‹

    ›Mann‹, sagt er, ›Sie werden ooch im Leben kein juter Nationalsozialist!‹

    ›Sie haben’s erfaßt, Männecken!‹ antworte ich ihm. ›Ick werde nich mal ’n schlechter Nationalsozialist!‹«

    Ich muß es gestehen, diese kleine Geschichte hat einen bleibenden Eindruck auf mich gemacht, und das Wort vom schlechten Nationalsozialisten, der man auch nicht werden soll, hat mir in mancher Lage der kommenden Tage geholfen.

    Und wenn ich mich heute frage, ob ich recht oder falsch gehandelt habe, daß ich in Deutschland geblieben bin, so sage ich noch heute: »Ich habe recht gehandelt!« Ich bin wahrhaftig nicht, wie man mir auch vorgeworfen hat, aus Angst um meinen Besitz oder aus Feigheit hier geblieben. Im Auslande hätte ich mehr und leichter Geld verdienen können, hätte ich sicherer gelebt. Hier habe ich unendlich viel Schweres erlebt, viele Stunden habe ich in Berlin im Bombenkeller gesessen, habe die Fenster rot werden sehen und habe, schlicht deutsch gesagt, oft richtig Angst gehabt. Mein Besitz ist jede Stunde bedroht, für meine Bücher wird seit einem Jahr kein Papier bewilligt – und ich schreibe diese Zeilen unter der Drohung des Stranges im festen Hause in Strelitz, in dem mich die Güte des Oberstaatsanwaltes als »gemeingefährlichen Geisteskranken« untergebracht hat, im September 1944. Alle zehn Minuten etwa kommt ein Wachtmeister in meine Zelle, sieht neugierig auf mein Gekritzel und fragt mich, was ich schreibe? Ich sage: »Eine Geschichte für Kinder« und schreibe weiter. Ich verscheuche jeden Gedanken an das, was aus mir wird, wenn jemand diese Zeilen liest. Ich muß sie schreiben. Ich ahne das nahe Ende des Krieges, und vorher noch will ich niedergeschrieben haben, was ich erlebte: nach dem Kriege werden’s Hunderte tun. Nein, lieber jetzt – wenn auch unter Lebensgefahr. Ich hause mit vierundachtzig größtenteils völlig geisteskranken Männern zusammen, die fast alle als Mörder, Diebe oder Sittlichkeitsverbrecher sich strafbar gemacht haben. Aber selbst unter diesen Umständen sage ich: »Ich habe recht getan, in Deutschland zu bleiben. Ich bin ein Deutscher und lieber will ich mit diesem unselig-seligen Volk untergehen, als in der Fremde falsches Glück genießen!«

    Ich kehre zu Rowohlt und mir und zu den noch so ahnungslosen Tagen des Januar 1933 zurück. Ja, wir waren arg kompromittiert, und manchmal gestanden wir uns das ein. Aber wir beruhigten uns immer wieder mit dem törichten Satz: »So schlimm wird es schon nicht kommen – jedenfalls für uns nicht.« Wir schwankten haltlos zwischen äußerstem Leichtsinn und einer behutsamen Vorsicht. Eben noch hatte Rowohlt seiner Frau den neuesten Witz über Göring erzählt, und schon brüllte er sie zornerfüllt an, weil sie denselben Witz meiner Frau erzählt hatte. Ob sie das ganze Haus ruinieren wolle? Ob sie alle in ein Konzentrationslager bringen wolle? Ob sie denn ganz wahnsinnig und von allen guten Geistern verlassen sei?! Und dann ging dieser selbe Rowohlt hin und leistete sich das folgende Stückchen: Seine Frau war nämlich eigentlich die viel Vorsichtigere, und da sie gut wußte, daß ihr Hausstand in ihrer dortigen Gegend nicht gerade den besten nationalsozialistischen Ruf genoß, achtete sie darauf, jedermann besonders korrekt mit dem »Deutschen Gruß«, mit »Heil Hitler« zu grüßen. Neben ihr ging dann ihr kleines, wohl vierjähriges Töchterchen, nur »Baby« genannt und grüßte ebenso korrekt wie die Mutter.

    Der gute Vater aber, der Rowohlt, der immer voll von Einfällen steckte und der gar zu gerne seiner Frau einen Streich spielte, nahm sich die Baby beiseite, und richtete sie ab und dressierte sie, und als die Mutter das nächste Mal mit ihr auf der Straße ging und brav mit »Heil Hitler« grüßte, hob Baby die linke Faust und sagte mit ihrem hellen Stimmchen: »Rot Front! Ein Arsch ist blond!« Ach, was hat das der Mutter für Tränen, für Verzweiflungsausbrüche gekostet, um dem Kind diesen wirklich nicht ganz zeitgemäßen Gruß wieder abzugewöhnen! Rowohlt aber, der Überängstliche, der Vorsichtige, lachte nur dazu; das Vergnügen über den ausgezeichneten Witz überwog bei weitem die Furcht vor der wirklich großen Gefahr. Denn schon der Gruß »Rot Front« bedeutete mindestens KZ, wahrscheinlich noch sehr viel Schlimmeres.

    Oder Rowohlt rief mich in meinem Dörfchen an, wo die junge Dame des Postamtes aus Beschäftigungsmangel immer sehr neugierig auf die Telefongespräche des »berühmten« Schriftstellers war, und begrüßte mich mit einem schallenden: »Hallo, Väterchen! Heil Hitler!«

    »Nanu, Rowohlt?« fragte ich dagegen. »Sind Sie jetzt auch in die Partei eingetreten?«

    »Aber, Mensch!« rief

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