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Cináed: aus dem Feuer geboren
Cináed: aus dem Feuer geboren
Cináed: aus dem Feuer geboren
eBook326 Seiten4 Stunden

Cináed: aus dem Feuer geboren

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Über dieses E-Book

Was würdest du tun, wenn sich dein Leben von heute auf morgen verändert?
Was würdest du tun, wenn der Grund für dich grundlos erscheint und du herausfinden musst, dass genau dieser über dein Leben bestimmt?
Wenn es ein Stift ist, der dir Verbundenheit signalisiert.
Egal was, du würdest genauso wenig daran glauben wie Daniel, nicht wahr?!

Der erste Band einer Trilogie.

Viel Freude in der Welt von Daniel und Cináed...
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum22. Okt. 2013
ISBN9783847653462
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    Buchvorschau

    Cináed - Tanja Hoefliger

    Startseite

    Cináed – Aus dem Feuer geboren

    Tanja Höfliger

    Cináed

    Aus dem Feuer geboren

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

    detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    © 2013 Tanja Höfliger

    Umschlaggestaltung: Anita Dietrich

    Lektorat: Theresa Berg

    Satz, Herstellung und Verlag: Fabulus-Verlag

    Kapitel eins

    Als ich mein Spiegelbild betrachtete, kam ich mir alles andere als männlich vor. Ich steckte in einer goldbraunen Schuluniform und fühlte mich einfach unglaublich mies. Mein bester Freund Jack meinte, sie würden uns nur in solche Anzüge stecken, um uns zu verdeutlichen, wie klein und unreif wir doch eigentlich noch waren.

    ,,Tschau, bis später", murmelte ich von der Diele aus in Richtung Küche.

    ,,Warte, hier ist noch dein Frühstück!", kam es wie so oft aus dem Esszimmer.

    ,,Hab’s eilig", rief ich über meine Schulter und stürzte aus dem Haus, als würde ich verfolgt.

    Noch bevor ich mich entschlossen hatte, ob ich mit dem Bus oder mit dem Fahrrad zur Schule sollte, wurde auch schon unsere Haustür hinter mir aufgerissen. Oh … es war doch nicht nur so ein Gefühl gewesen ...

    Als ich mich nach dem Verfolger umsah, schaute ich in das Gesicht meiner älteren Schwester Emma. Da stand sie im Türrahmen und hielt mir eine, nein, zwei, nein, halt, vier Lunchboxen entgegen.

    Ich konnte es kaum fassen!

    Seit meiner Geburt wurde ich von drei älteren Schwestern bemuttert. Und jede für sich nahm ihre Pflichten sehr ernst, wie ich in dem Moment mal wieder bestätigt bekam.

    Doch sie vergaßen dabei etwas sehr Entscheidendes.

    Ich war älter geworden!

    Auch wenn meine weiblichen Familienmitglieder es anscheinend nicht bemerkten, war ich fünfzehn, fast sechzehn, und auf dem besten Wege, ein Mann zu werden. Das mussten sie doch endlich mal begreifen!

    Bevor ich Emma hässliche Dinge an den Kopf werfen konnte, erschien Mom.

    Sie sagte nur: „Nicht hier draußen, Emma", nahm die Dosen und verschwand damit im Haus.

    „Aber kauf dir was zu essen, hörst du?", sagte Emma.

    Ich starrte sie an, bis die Tür wieder ins Schloss fiel.

    Der Tag besserte sich nicht im Geringsten. Jack war nicht aufzufinden und Sue beachtete mich – das war leider nichts Neues – überhaupt nicht. Wenn Luft sichtbar gewesen wäre, dann hätte sie die eher wahrgenommen als mich.

    Genervt setzte ich mich auf meinen Platz. Der Stuhl neben mir blieb leer. Selbst als Prof. Zac den Englischunterricht begann, war von Jack noch keine Spur.

    Verdammt, ich konnte mich nicht mal von meinem besten Freund ablenken lassen!

    Ich musste mich irgendwie selbst beruhigen und versuchte es mit Zeichnen. Das konnte ich gut und es brachte mir die nötige Ruhe. Dabei sank ich immer tiefer in eine Art Trance. Sues Gesichtszüge nahmen schnell Form an. Sie war auf meinem Papier fast schon so schön wie im Original, nur zwei Bänke links vor mir. Ich mochte ihr blondes, langes Haar, das sich leicht wellte, und ihre wunderschönen blauen Augen, die von dunklen Wimpern gerahmt wurden.

    Halt!

    Etwas fehlte noch auf meiner Zeichnung, jener Ausdruck in ihren Augen, dem ich fast nicht widerstehen konnte, Tag für Tag. Doch leider nahm sie mich überhaupt nicht wahr.

    Ich war zu sehr mit Sue und ihrem Ebenbild beschäftigt und bemerkte zu spät, dass sich etwas auf dem Boden in meine Richtung bewegte. Die hässlich braunen Wanderstiefel waren unverkennbar die meines Lehrers, der direkt vor meinem Tisch zum Stehen kamen. Ganz langsam sah ich zu ihm auf.

    Mir wurde gleichzeitig heiß und kalt, als die gealterte und faltige Hand des Professors sich dem perfekt gezeichneten Gesicht von Sue näherte.

    Nein! Bitte lass es nicht wahr werden! Wenn Zac dieses Bild erst mal in seinen Händen hält, dann … Oh nein!

    Zacs Hand war nur noch wenige Zentimeter vom Blatt entfernt. Ich war geliefert!

    Plötzlich wurde die Zimmertür so heftig aufgerissen, dass alle Köpfe Richtung Tür flogen. Zum Glück!

    Jack kam zum Vorschein. Lässig und ohne weiter auf Zacs empörtes Gesicht zu achten, lief er mit einem knappen ,,Sorry, ist mir aus der Hand gerutscht" an ihm vorbei.

    Ohne es zu ahnen, hatte mein Freund mir mit seiner lässigen Art das Leben gerettet. Ich nutzte die anhaltende Empörung des Professors und ließ das Bild so schnell wie möglich in meiner Tasche verschwinden. Den tiefen Seufzer der Erleichterung konnte ich nicht mehr unterdrücken, woraufhin der Professor sich wieder mir zuwandte. Unsere Blicke trafen sich. Nie zuvor in meinem Leben hatte ich solch eine Kälte wahrgenommen. Mich fröstelte.

    Als Zac nach einer halben Ewigkeit seinen Blick endlich von meinen Augen löste, durfte ich für einen kurzen Moment erleichtert darüber sein. Dann kehrte er mir den Rücken zu und sagte: „Meyer, Frayne. Beide nachsitzen am Donnerstag!"

    Konnte das denn sein? An solchen Tagen wäre es eigentlich besser gewesen, ich wäre einfach im Bett geblieben. Zu spät! Die Erkenntnis raubte mir fast den Atem.

    Nein! Das kann nicht sein! Bitte nicht! Nicht nachsitzen an meinem so sehr herbeigesehnten sechzehnten Geburtstag!

    Am Nachmittag saßen Jack und ich auf unseren Surfboards in der Caswell Bay.

    Wir suchten händeringend nach einer Möglichkeit, den Professor zu besänftigen. Schnell mussten wir uns jedoch eingestehen, dass Zac nicht umzustimmen war. Ganz im Gegenteil. Je wichtiger wir den Tag erscheinen ließen, desto länger würden wir wohl nachsitzen müssen.

    Und überhaupt: Zac konnte mich nicht leiden. Dessen war ich mir sicher. Ob es daran lag, dass ich eine Klassenstufe übersprungen hatte, als ich im letzten Jahr zu ihm gekommen war, oder ob er meine Nase einfach nicht mochte, hatte ich noch nicht herausfinden können.

    Leider trugen unsere Grübeleien nicht gerade dazu bei, dass unsere Stimmung sich hob. Selbst die genialen Wellen konnten uns nicht ablenken. Somit saßen wir in unseren Neoprenanzügen mit einem Handtuch über den Schultern am Strand und starrten wortlos aufs Meer hinaus.

    Der Horrortag war allerdings noch nicht vorbei. Mir wurde schlagartig schlecht, als ich zwei Gestalten erblickte, die mir nur allzu bekannt vorkamen: Sue schlenderte Händchen haltend mit Ken aus unserer Stufe am Wasser entlang. Sie schien nur noch Augen für ihn zu haben. Dann lachte sie und rannte vor ihm davon. Verdammt, sie kommt direkt auf uns zu!

    Plötzlich sah sie genau zu uns rüber und stoppte ihr Lachen. Ken hatte sie eingeholt und hielt sie von hinten fest, die Arme um ihre Hüften geschlungen. Während Kens Kopf auf ihren Schultern ruhte, suchte Sues Mund sein Ohr. Meine Gedanken spielten bei dem Anblick verrückt. Wie gerne hätte ich jenen Lufthauch an meinem Hals gespürt ...

    Als sie auf uns zugeschritten kamen, spürte ich, wie mein Gesicht heiß wurde, während ein riesiger Kloß meine Kehle zuschnürte.

    „Tag, Jack und ähhmmm …", sagte Sue.

    „Daniel", sagte Jack nach einer peinlich langen Pause.

    „Ja klar, stimmt … Damian … Hört zu, ihr beiden, das mit Ken und mir weiß eigentlich niemand an der Gore School. Wenn ihr versteht, was wir damit meinen?"

    „Na klar, wir sind ja nicht völlig bescheuert. Und wo ist jetzt das Problem?", fragte Jack schlagfertig.

    Nachdem von mir weiterhin nichts kam – ich hatte noch immer mit dem baseballgroßen Kloß im Hals zu kämpfen – meinte Jack weiter: „Na ja, kann uns ja auch egal sein … Er schien kurz etwas zu überlegen, während er Sue anschaute, und fuhr schließlich fort: „Aber noch kurz was anderes: Am Freitag steigt hier ’ne Party. Wie sieht’s aus, hast du Lust zu kommen?

    Was dann geschah, nahm ich nicht mehr aktiv wahr. Erst als ich mich auf dem Nachhauseweg befand, kehrte ich in die reale Welt zurück.

    Mit aller Macht versuchte ich die vergangenen Minuten in mein Gedächtnis zurückzurufen. Doch sie waren wie ausradiert. Keinerlei Erinnerungen mehr daran.

    Zu Hause angekommen starrte ich auf eine offen stehende Haustür. Verwirrt lief ich darauf zu. Ich wusste nichts damit anzufangen. Mir schossen alle möglichen Ursachen durch den Kopf. Einer Sache konnte ich mir jedoch absolut sicher sein: Niemand aus meiner Familie hätte die Tür zufällig offen gelassen. Meinen Eltern war es schon immer ein lebensnotwendiges Anliegen gewesen, unsere Haustür durch zweimaliges Abschließen zu sichern. Das Familienmitglied, das als Letztes das Haus verließ, hatte die Aufgabe zu übernehmen, und eigentlich war um die Uhrzeit niemand zu Hause. Sie hatten mir auch erst nach vielem Drängen und Drohen einen Haustürschlüssel gegeben, als sie mich ein halbes Jahr zuvor endlich als reif genug eingestuft hatten.

    Wieso in aller Welt stand ich also vor einer offenen Haustür, die meine Eltern sogar mit einem Spezialschloss zu der sichersten Haustür von ganz Swansea, ganz Wales, wenn nicht sogar von ganz Großbritannien gemacht hatten?

    Mit einem sehr flauen Gefühl im Magen ging ich ins Haus. Mein Herz hämmerte plötzlich wie verrückt in meiner Brust.

    Zuerst nahm ich mir die Zimmer im Erdgeschoss vor.

    Leer. Keine Menschenseele.

    Ängstlich nahm ich eine Stufe nach der anderen, um die oberen Räume zu inspizieren. Was genau mich erwarten würde, wusste ich nicht. Panisch versuchte ich, alle aufkeimenden Sorgen aus meinem Gehirn zu verbannen, die sich gerade mit blühender Fantasie darin festsetzen wollten. Aber immer wieder dachte ich: „Was, wenn …? Was, wenn …? Was, wenn …?"

    Mit weichen Knien nahm ich mir die Zimmer im oberen Stockwerk vor.

    Doch auch dort war nichts. Nichts und niemand.

    Erst in dem Moment bemerkte ich, dass mein rechter Arm schmerzte. Krampfhaft hielt er nach wie vor das kurze Surfboard umklammert. Erschöpft ließ ich es zu Boden gleiten.

    Warum nur stand die verfluchte Haustür offen? Das konnte doch kein Zufall, kein unachtsames Vergessen gewesen sein. Nie, nie und nochmals nie hätten meine Eltern das Haus ungesichert verlassen!

    Wie ein Geistesblitz fiel mir das letzte Zimmer im Haus ein, in dem ich noch nicht nachgeschaut hatte: das Arbeitszimmer meines Dads.

    Der Schlüssel für die stets verschlossene Tür befand sich in einem Küchenschubfach. Wir durften ihn nur im äußersten Notfall verwenden. An dem Tag war für mich der Fall eingetreten.

    Etwas stank gewaltig und ich musste dem Etwas auf den Grund gehen.

    Ich nahm zwei Stufen auf einmal. Mit dem Schlüssel in meiner Hand lief ich hektisch in Richtung Arbeitszimmer, das am Ende der Diele lag. Ich bog um die Ecke und steckte mit zitternder Hand den Schlüssel ins Schloss. Was genau ich in dem Arbeitszimmer zu suchen hatte, wusste ich selbst nicht.

    Genau in dem Moment vernahm ich Schritte in der Diele.

    Verdammt … ich Idiot!

    Ich hatte ebenfalls vergessen, die Haustür hinter mir zu schließen. So blöde stellte ich mich doch sonst nie an!

    Langsam richtete ich mich aus meiner gebückten Haltung auf. Mein Herz schien kurz stehenzubleiben, nur um dann wild und ungestüm in meiner Brust loszuhämmern. Meine Augen fixierten die Dielenecke. Die Schritte wurden langsamer, bis sie zum Stehen kamen. Ich konnte absolut nichts mehr hören, bis auf den Vorschlaghammer in meinem Körper.

    Bum ... bum ... bum ... bum, dröhnte es.

    Durch das Hämmern drang leise eine Stimme zu mir durch.

    „Daniel, bist du das?"

    Mein Gehirn benötigte mehrere Anläufe, bis die Worte mich erreichten. Plötzlich kam der Kopf meines Dads zum Vorschein.

    Ich musste ihn wohl mit völlig verwirrtem Ausdruck angestarrt haben.

    Sein restlicher Körper folgte und er schien ebenfalls eine Erklärung für jene sonderbare Situation zu suchen. Mit leicht verwirrtem Lächeln sah er mich an.

    „Hallo, Daniel, du bist heute früh zu Hause. Schau nicht so verwirrt. Ich weiß, ich auch. Bei uns in der Firma gab es heute nichts mehr zu tun."

    ,,Aha."

    Mehr brachte ich in dem Moment nicht aus mir heraus, denn erst am Vortag hatte er sich beim Abendessen darüber beklagt, dass Berge von Arbeit auf ihn warten würden und er deshalb in nächster Zeit nicht früh zu Hause sein könnte.

    Na so etwas?

    Natürlich spürte er mein Misstrauen sofort und machte etwas, das er immer sehr gut bei mir beherrschte. Langsam kam er auf mich zugeschritten und säuselte mit einem Lächeln, jedoch mit unverkennbar ironischem Unterton: „Ja, und erlaubst du mir die Frage, was du in meinem Arbeitszimmer wolltest?"

    Wie zum Kuckuck schaffte es Dad immer wieder, mich innerhalb von wenigen Sekunden wie einen kleinen, trotteligen, vierjährigen Jungen dastehen zu lassen?

    Dann erinnerte ich mich an den eigentlichen Grund für den Schlüssel in meiner Hand.

    Als ich mich nach Mom und Emma erkundigte und von der offen stehenden Haustüre erzählte, machte mir das Entsetzen in Dads Augen Angst.

    „Was ist mit Mom?", fragte ich panisch.

    „Nichts. Sie wollte mit Emma nach London fahren und hat mir im Büro Bescheid gegeben, dass es heute später werden könnte. Aber die Haustür stand offen, sagtest du?"

    „Ja, keine Ahnung, was das zu bed…"

    Mein Dad unterbrach mich mit einem knappen: „Stopp, warte!"

    Dabei klopfte er sein Jackett in Brusthöhe ab, als wenn er etwas in der Innentasche ertasten wollte. Ich beobachtete ihn genau, konnte aber noch weniger mit seiner weiteren Reaktion anfangen.

    Fast erleichtert ließ Dad seine Hände sinken, setzte ein strahlendes Lächeln auf und sagte dann wie ausgewechselt:„Mom hat sicherlich vergessen, die Haustür zu schließen, halb so wild. Was soll auch schon wegkommen, hier im Haus?"

    Ja, genau! Die Frage stellte ich mir schon sehr, sehr lange …

    „Was hältst du davon, wenn wir zusammen Pizza essen gehen, bei Tonys? Hier in diesem Haus scheint die Küche heute kalt zu bleiben und ich habe einen Bärenhunger."

    „Klar, können wir machen."

    Im Auto sprachen wir nicht viel miteinander und ich konnte endlich meinen verwirrten Gedanken nachgehen.

    Was hatte all das zu bedeuten?

    Unsere stets gesicherte Haustür stand offen und mein Dad machte sich nicht einmal die Mühe, nach der Ursache zu suchen. Des Weiteren war er noch nie bei Tony gewesen". Das war eigentlich mein Lokal.

    Dort trafen sich häufig welche aus unserer Schule. Dad kannte die Pizzeria, wenn überhaupt, nur vom Vorbeifahren.

    Als wir an einem kleinen Tisch saßen, suchten meine Augen das Lokal ab. Puhhhhh … Glücklicherweise war niemand zu sehen, den ich kannte.

    Nach den ersten Bissen der genialsten Pizza des Landes schoss mein Dad den Vogel ab. Er fragte mich allen Ernstes, und leider genau in dem Moment, in dem ich einen riesigen Bissen von der Pizza in meinem Mund hatte, ob er und Mom auch bei der Geburtstagsparty am Strand erwünscht wären.

    Was zu viel war, war zu viel!

    Sowohl die Menge an Essen in meinem Mund als auch das merkwürdige Verhalten, das mein Dad an den Tag legte. Kein Wunder, dass die Pizza keinen Millimeter meiner Luftröhre mehr freigeben wollte. Ich verschluckte mich fürchterlich.

    Nachdem ich endlich wieder Luft bekam, war es endgültig um meine Fassung geschehen. Noch immer hustend benötigte ich einige Anläufe, um die Frage herauszupressen: „Dad, was soll dieser ganze Scheiß? Sorry, aber ich hab genug für heute! Was ist da in deiner Jackett-Innentasche? Denkst du eigentlich, ich bin blöde und merke nicht, dass ihr seit Jahren bei uns zu Hause etwas versteckt?"

    Bedächtig lehnte Dad sich nach hinten und stützte sein Kinn nachdenklich mit der rechten Hand, den Ellbogen auf der anderen Hand abgestützt.

    Je länger er grübelte, desto unwohler fühlte ich mich in meiner Haut.

    Als ich an dem Punkt angelangt war, an dem ich meine gesagten Worte mehr als bereute, antwortete er mir endlich in einem sehr langsamen und bedächtigen Tonfall.

    „Daniel, erstens haben wir damals im gemeinsamen Familienrat entschieden, dich eine Klassenstufe überspringen zu lassen. Das wirst du noch wissen. So komme ich auch schon zu meinem zweiten Punkt: Mir blieb nicht verborgen, dass du ein sehr cleverer und intelligenter Junge bist."

    Reflexartig funkelte ich ihn böse an. Junge! Das Wort hätte Dad sich sparen können.

    „Entschuldige bitte, du bist ein sehr intelligenter Mann. Das ist mir auch sehr wohl bewusst. Und da mir all das nicht neu ist, möchte ich dir gerne ein paar wichtige Dinge erzählen, die unsere Familie betreffen. Jedoch nicht hier und nicht jetzt in einem Lokal. Lass es uns dann machen, wenn wir zu Hause einen Moment der Ruhe finden. Am besten nach deinem Geburtstag in drei Tagen. Oder besser noch nach deiner Feier in der Caswell Bay, wenn du deinen Kopf dafür wieder freihast."

    Wow! Ich sollte in Familiengeheimnisse eingeweiht werden. Endlich!

    Schlagartig wurde aus der angespannten Atmosphäre ein einigermaßen gemütliches Abendessen, und ich dachte erst wieder an all die seltsamen Dinge des Tages, als wir mit unserem Auto in die Einfahrt der Queensroad bogen und ich das Gesicht von Mom erblickte.

    Mom schien auf uns gewartet zu haben. Sie stand unten an der Einfahrt direkt unter einer Straßenlaterne, die ihr Gesicht erhellte. Blass, mit dunklen Augenringen wartete sie, bis wir den Wagen geparkt hatten.

    Es musste nicht nur mir aufgefallen sein, denn Dad ging schnell auf sie zu und fragte in unüberhörbar besorgtem Ton: „Hallo, Schatz. Was ist los? Ist irgendetwas mit den Mädchen?"

    „Nein, alles in Ordnung. Emma ist oben am Packen. Deine SMS hat mich nur ein wenig nachdenklich gemacht, John."

    Sofort sah Dad sich nach mir um. Dann packte er Mom am Arm und sagte: „Das klären wir gleich. Komm, lass uns noch eine Runde drehen, ich könnte etwas frische Luft vertragen."

    Unter anderen Umständen hätte mich die Geheimniskrämerei extrem genervt. Doch mir schossen Erinnerungen in den Kopf, die unter anderem Sue betrafen. Ich musste alleine sein, und zwar so schnell wie möglich.

    Endlich in meinem Zimmer legte ich mich für einen Moment auf mein Bett und schaltete das Radio des Handys ein. Trotz Musik war meine Stimmung auf dem Nullpunkt. Sue war mit Ken zusammen. Einem arroganten Schönling. Die Gedanken daran brachten mich fast an den Rand des Wahnsinns. Mit einem Satz war ich wieder auf den Beinen.

    Trinken, das war es!

    Ich hatte einen unbändigen Durst. Ein kaltes Getränk würde vielleicht auch meine überhitzten Gedanken abkühlen. Meine Augen suchten das Zimmer ab. Außer einer angebrochenen Dose Coke war dort nichts zu finden. Genervt lief ich nach unten und hoffe inständig, niemandem über den Weg zu laufen. Denn was ich in dem Moment nicht ertragen würde, wäre, jemandem aus meiner Familie zu begegnen.

    Als ich am Arbeitszimmer vorbeikam, hörte ich die Stimme meiner Mom. Sie waren also wieder zurück. Ich wollte schon weitergehen, doch etwas an Moms Tonfall ließ mich aufhorchen.

    „John, das mit Patrick darf sich nicht wiederholen! Ich halte das nicht mehr durch. Wenn es doch nur schon Donnerstag wäre, dann wüssten wir mehr. Aber stell dir nur mal vor, wenn es so weit kommen sollte … Daran mag ich gar nicht erst denken!"

    Stille trat ein, die nur durch einen Seufzer und ein Schniefen hinter der Arbeitszimmertür unterbrochen wurde.

    Dann hörte ich Dad.

    „Ja, Schatz, mir geht es auch nicht viel besser. Wie gut, dass ich ihn in den letzten Tagen nicht mehr hiergelassen habe. Wir dürfen ihn bis Donnerstag nicht mehr aus den Augen lassen, besser gesagt, ich werde ihn immer bei mir tragen. Vielleicht hat es auch keine Bedeutung, aber wir müssen das hier auf jeden Fall zu Ende bringen. Du hast Recht, an Daniels Geburtstag wissen wir mehr, und bis dahin sind es immerhin noch drei Tage. Vielleicht haben wir ja auch Glück und unsere Befürchtungen lösen sich in Luft auf."

    Was verflucht noch mal ging da eigentlich vor sich? Was durfte sich nicht wiederholen? Warum wurden mir Dinge vorenthalten, die ganz ohne Zweifel mich und meinen Geburtstag betrafen?

    Mir war endgültig alles zu viel.

    Meine Gedanken machten aus meinem Gehirn eine Achterbahn. Wie in einer Loopingbahn überschlug sich alles. Ich wollte nur noch eins: so schnell wie möglich in mein Bett, um dem schrecklichen Tag ein Ende zu setzen. Die Bettdecke über den Kopf ziehen und vergessen. Nach Möglichkeit alles.

    Kapitel zwei

    Als ich am Donnerstagmorgen meinen Wecker ausmachte, hörte ich unten schon geschäftiges Treiben. Das hielt mich jedoch nicht davon ab, meiner Gewohnheit nachzugehen und wie jeden Morgen eine Dusche zu nehmen. Meine blonden Haare waren eigentlich zu lang, sodass sich ein paar Wellen formten, die ich aber mithilfe des Föhns und jeder Menge Haargel in den Griff bekam.

    Eigentlich hatte ich gar kein so schlechtes Gefühl mit mir und meinem Selbstbewusstsein. Bis auf die Sache mit Sue und Ken.

    Sofort verdrängte ich den trüben Gedanken und machte mich auf den Weg nach unten, um die ersten Geburtstagsglückwünsche entgegenzunehmen. Selbst meine beiden älteren Schwestern Maggie und Jil, die in Conwy arbeiteten, waren unter den überschwänglichen Gratulanten.

    Als Letzter stand Dad vor mir. Er überreichte mir ein kleines, verpacktes Geschenk.

    ,,Alles Gute zum Geburtstag, Daniel! Mom und ich haben heute für dich ein etwas außergewöhnlicheres Geschenk. Wenn es dich nicht ansprechen sollte, bekommst du natürlich ein anderes."

    Die Worte machten mich zwar neugierig, aber da es in unserer Familie ein Geburtstagsritual war, zum einen während des Frühstücks zu schweigen und zum anderen eins der Geschenke erst am Abend zu öffnen, wählte ich enttäuscht das kleine Päckchen meiner Eltern dafür aus. Denn eins stand mit Sicherheit fest: Ein neues Brett zum Wellenreiten würde ich darin nicht vorfinden. Auch keins zum Zusammenklappen. Nachdem ich die Geschenke meiner Schwestern ausgepackt hatte, stand ich vom Tisch auf, nickte jedem freundlich zu und machte mich auf den Weg zur Schule.

    Draußen blies ein angenehm kühler Wind, doch ich war so in Gedanken, dass ich ihn kaum wahrnahm.

    Na super! Selbst ein materieller Wunsch sollte mir verwehrt bleiben. Kein neues Surfboard. Und in der Schule würde ich mich wieder selbst kasteien. Seit Jack und ich Sue mit Ken gesehen hatten, strafte sie mich mit noch weniger Beachtung als zuvor – wenn das überhaupt möglich war.

    In Gedanken versunken stand ich immer noch auf der Türschwelle. Wieder wurde die Haustür hinter mir aufgerissen. Genervt wollte ich meiner Schwester endgültig die Meinung sagen, aber als ich mich umdrehte, stand nicht Emma im Türrahmen.

    Es war Mom, mit glasigen Augen.

    Zurück in der Diele umarmte sie mich fest und überschwänglich und sagte mit leicht zittriger Stimme: „Danny, ich bin fürchterlich neugierig darauf, ob dir unser Geschenk gefällt, und ich kann einfach nicht bis heute Abend warten."

    Sie streckte mir das kleine Päckchen entgegen. Da ich ihr nur schlecht etwas abschlagen konnte, öffnete ich das letzte Geschenk doch noch am Morgen. Was zum Vorschein kam, konnte ich kaum glauben: Es war ein Stift! Ein stinknormaler Stift! Weder hatte er eine besondere Gravur noch hatte er ein besonderes Aussehen. Es war ein durchsichtiger Stift, in dem eine dicke, rote Mine zu sehen war. Das war aber auch das einzige Außergewöhnliche an ihm.

    Unter dem erwartungsvollen Blick meiner Mom packte ich ihn aus der Plastikhülle. Als ich wieder aufsah, um mich für das „unglaublich supertolle Geschenk" zu bedanken, sah ich ins Leere. Ein Schlag und Mom lag ohnmächtig zu meinen Füßen. Meine restliche Familie war sofort da und kümmerte sich um Mom. Nachdem sie in ihrem Bett wieder zu sich gekommen war, versicherte sie mir, dass ich getrost zur Schule gehen könnte.

    Widerwillig machte ich mich auf den Weg.

    Doch das hätte ich lieber bleiben lassen sollen!

    Prof. Zac hatte die nächste Gelegenheit gefunden, mir eine weitere Extrastunde aufzubrummen. Natürlich schenkte er mir keinen Glauben, als ich ihm in etwas abgewandelter Form von einem Zwischenfall in meiner Familie erzählte.

    Somit konnte ich mich über zwei Stunden mit kniffligen Englischgrammatikaufgaben freuen, die mich nach dem eigentlichen Unterricht am Nachmittag erwarteten. Mit einem Stein im Magen verließ ich dann endlich das Schulgebäude. Sauer und enttäuscht hatte ich nicht die geringste Lust mehr auf meinen Geburtstag, geschweige denn auf den komischen Stift in meiner Jackentasche.

    Ich steuerte auf einen Papierkorb zu und zog das grob wieder eingepackte Geschenk meiner Eltern heraus. Mit Zorn, der ins Unermessliche gestiegen war, betrachtete ich den Stift noch einmal. Dann wickelte ich ihn aus der Folie und donnerte ihn mit voller Wucht in den Papierkorb. Warum ich anschließend tat, was ich tat, wusste ich nicht, doch ich beugte mich sofort über den Abfalleimer, um den Stift zu suchen. Als ich ihn entdeckte hatte und wieder

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