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Noir & Blanc
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eBook275 Seiten3 Stunden

Noir & Blanc

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Über dieses E-Book

"Das Buch ist eine Melodie aus Wörtern, glaube ich."

Es ist Vertrauen, das Bleuenn ein neues Leben in Paris beginnen lässt. Sie hat den Eindruck, dass Gott sie genau hier möchte. Es begegnen ihr nicht nur die Buchhandlung von Madame Blanc und philosophische Gespräche in Cafés, sondern auch Menschen, welche ihre eignen Nachbarn ignorieren, und zudem eine Gemeinde, die den Weg zum Gottesdienst nur aus Gewohnheit weitergeht. Wer sind die Menschen von Paris? Es scheint Bleuenn, als sei sie hier die Einzige, die noch an Gott glaubt. Gerade Lance, ihr Mitbewohner, spielt zwar wunderschön Piano, streitet Gottes Existenz jedoch stur ab. Zwischen den beiden jungen Menschen entsteht dennoch eine Freundschaft, die sie tief verändern wird...
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum21. März 2020
ISBN9783750229525
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    Buchvorschau

    Noir & Blanc - Kathrin Sereße

    Noir et Blanc

    1. Kapitel

    Es war eine lange Zugfahrt nach Paris, die Stadt war fern, so ließ mir dies die Zeit für zahlreiche Gedanken, jedoch sorgte ich mich nicht.

    Zwar ließ ich alles, was man sah, zurück, in Wahrheit aber nahm ich mit, was die Vergangenheit in mir bereitet, was mich selbst geschaffen und geformt und ausgerüstet hatte. Ich war offen, dachte ich, bereit, zu tun, was ich tun sollte.

    Ich beobachtete aufmerksam. –

    Sicherlich kannte auch ich Angst und Zweifel zur Genüge, doch ich wusste, dass sie unbegründet waren, wie oft stellten sie sich nur als Oberflächlichkeit und Imagination heraus. Ich hatte Zeit, zu denken und zu schauen, um letztendlich einzusehen, dass die Wahrheit ganz woanders liegen mochte. Zwar war mir die Zukunft gänzlich unbekannt, doch war mir immerzu bewusst, dass ihr ein Plan, ein guter Wille, Zuneigung zugrunde lagen, und dass sie aus diesem Grund gelingen konnte. Paris war eine große und mir gänzlich fremde Stadt, die ich erst würde finden und begreifen müssen, es war die Verantwortung, die mich bedrückte, nicht die Angst, und dennoch war auch Freude spürbar, denn ich war und würde sein. –

    So glaubte ich und darauf wollte ich vertrauen. An dem Entschluss, herzukommen, zweifelte ich keineswegs, denn schließlich hatte mich die Stadt schon längst gerufen, nur war mir noch nicht ganz klar, in welcher Tonart. Und so fremd sie mir mitunter scheinen mochten, gab es dennoch Anknüpfpunkte zu den Menschen, die dort lebten, denn das waren sie doch, Menschen! Und dort lag wohl auch die Kunst, die ersten Brücken zu entdecken, die verbanden.

    Naiv war ich sicher nicht, zumindest nicht in dieser Hinsicht. –

    Paris, das sei eine verdorbene Stadt, in der nur Leid und boshafte Gefühle herrschten, keine Stadt für mich, der mir dies abscheulich erscheinen sollte und auch tat; kein Ort für unsereins, sagte mir mancher, bleib doch lieber hier, du schadest dir und uns mit diesem irren Schritt. Ich lächelte und meinte, dass ich eben gehe, weil die Stadt so sei; wie feige, anzunehmen, dies sei Grund genug, es gar nicht zu versuchen!

    Die Entscheidung, die ich traf, war weder falsch noch recht zu nennen, ja sie prägte wohl mein Leben und mein Sein, doch wusste ich, dass Gott mit allen meine Plänen etwas Gutes schaffen konnte, und ich hoffte, dass Ihm dieser Plan gefiel. Es war ein Plan! Es war nicht nichts, es war ein Schritt, und meine Eltern unterstützten mich mit voller Hingabe, sie teilten mein Vertrauen und versicherten, dass es geprüft und auch erprobt werden würde, doch nicht enttäuscht.

    Paris, das sei die Stadt der Liebe, sagte man. –

    „Ob Sie mich kennen lernen mögen, Mademoiselle?", fragte der Herr, der mir im TGV bereits seit Stunden gegenübersaß. Wir hatten uns recht neugierig beobachtet, beim Lesen und beim langen Blicken aus dem Fenster, mit der Neugier, die man Mitreisenden gern entgegenbringt und die nur selten gestillt wird.

    „Sie glauben, dass dies in der uns verbleibenden wenigen Zeit möglich sein wird?", erwiderte ich bedacht.

    „Was meinen Sie, wie viel wir bräuchten?" –

    „Nun, wann kennen sich zwei Menschen?"

    Er saß ruhig und lächelnd da, wir waren beinah allein, der Zug war leer, er glitt gemächlich in der Mittagshitze über weites Land, leicht widerstrebend, schien es mir, als wolle er Paris in Wahrheit nicht erreichen, da die sommerliche Landschaft vor dem Fenster deutlich liebenswerter wirkte.

    „Man lernt sich doch wohl nicht kennen ohne Grund, fuhr ich nun fort, „wer tut das, wer findet den Mut?

    „Wir haben keinen Grund, da liegen Sie wohl richtig, unsre Wege werden sich in der Minute bereits trennen, in der wir den Zug verlassen, doch wer weiß, wann diese eintrifft? – Es gibt mehr Gründe, als wir oftmals annehmen."

    „Wer sagt mir, ob es funktionieren würde? Es ist möglich, dass wir uns ganz fürchterlich verstehen werden, warf ich ein. „Ja, angesichts Ihres Gepäckes, Ihrer Kleidung, erscheint es sogar wahrscheinlich, dass keinem von uns Bekanntschaft mit dem anderen gefiele.

    „Folglich meinen Sie, dass Sie mich bereits kennen?"

    „Nein, Monsieur, doch kann man sagen, dass die Welten, in denen wir beide leben, sich nicht kennen, was nicht böse gemeint ist, ich sage es ohne zu werten. Wir könnten uns schlicht nicht über eine Sache unterhalten, ohne ihr Grundsätzliches abzugewinnen, das sich scheidet, sodass unsere Worte sich voneinander trennen würden, ohne Hoffnung, sich jemals wieder zu finden, geschweige denn, als eine Einheit fortzuschreiten."

    „In der Tat, ich nehme an, Ihren Beruf bereits zu kennen, denn Sie lesen und Sie lesen auf eine besondere Weise."

    „Und ist meine Vermutung genauso richtig wie die Ihre?"

    „Ja, das ist sie, meine Welt ist tatsächlich von Büchern meilenweit entfernt. Er strich sich seinen Anzug gerade. „Keine Wertung, auch von mir nicht! Aber können Sie erahnen, ob ich mich dazu entschloss oder ob mir das Leben zuflog? – Abgesehen davon glaube ich ganz fest, dass Wille und auch Zeit dem guten Vertragen den Weg bereiten, auf dass es im Erfolg münde. – Man muss sich kennen lernen wollen, Mademoiselle!

    „Doch warum will man es?"

    „Die Frage ist zu einfältig! – Erscheine ich Ihnen nicht wenigstens sympathisch?"

    „Und was sagt die Sympathie?"

    „Sie glauben nicht an sie? Er lachte nun ein wenig. „Sie werden erkennen müssen, dass sie oftmals klugen Rat gibt.

    „Wie stünde es in der Welt, wenn man nur jene Menschen kennen lernen müsste, die man mag? – Ich habe wenig Vorurteile, sage ich Ihnen ganz ehrlich, doch glaube ich zudem, dass sich Freundschaft bald von selbst ergibt oder auch nicht."

    Leicht neigte er den Kopf. „Gewollt von wem? Von Ihnen?"

    „Nicht zwangsläufig, doch auch nicht unbedingt von dem Gegenüber."

    „Dennoch können Sie sich mir nicht mehr entziehen, da ich längst beschlossen habe, mich mit Ihnen auszutauschen, was geschieht."

    „Doch hätten Sie dies nicht beschlossen, wenn wir nicht zufällig heute zu der Uhrzeit diesen Zug genommen hätten und uns so begegnet wären."

    „Das ist wohl wahr, wir sind nicht ohne ein Schicksal, doch darf man es als ein solches akzeptieren und infolgedessen nutzen! Die Aktion ist etwas, was wir nur schwer lernen, stets glauben wir, dass nur Reaktion uns vorherbestimmt sei, auch ich war lange Zeit der Meinung. Man steckte mich in den Beruf, der günstig schien, und ich gab nach, es sei das Schicksal, dachte ich. Wie falsch! In Wahrheit steht die halbe Welt uns offen! Die Kunst ist es, nicht zu bedauern, sondern das Agieren rechtzeitig zu lernen, und so mögen Sie nun wissen, dass ich tagtäglich bemüht bin, alles Gutes aus diesem Beruf und seinen Vorteilen zu schöpfen und es ist sehr vieles, wenn man danach sucht. Aktion ist stets beschränkt in einem weiten Rahmen, der nicht lähmt, obwohl so viele es annehmen, woraufhin sie gar nicht anfangen, zu handeln. Es ist jedoch nicht verwerflich, dass wir Grenzen haben, es kommt uns entgegen!" –

    Ich erzählte ihm, ich ziehe nach Paris.

    „Das verdient Hochachtung und Neid zu gleichen Teilen. – Nun, vielleicht werden wir zwei uns doch begegnen in der Stadt."

    „Diese ist groß…"

    „Aber das Licht in ihr begrenzt. – Sind Sie allein?"

    „Noch bin ich es, doch werde ich in einer Wohngemeinschaft leben."

    „Welche Chance! Diese Brücke ist gebaut, denn es ist unumstößlich, eine Wohngemeinschaft sorgt dafür, dass man sich näher kommt, als einem lieb ist, und dabei ist man gezwungen, auch zu sehen, was man im Vorübergehen ignoriert. Sie werden vieles sehen in Paris, doch gleichsam wird Paris Sie sehen, Mademoiselle."

    „Man muss sich wohl sehr gut verstehen, wenn man keine tiefe Abneigung bezüglich seiner eigenen vier Wände spüren möchte?"

    „Kennen und verstehen wollen! Beides kostet Kraft und Mut, weil es auch immer heißt, die eigne Überzeugung einer Probe auszuliefern. – Ich wünsche Ihnen, dass Paris seine Augen Ihnen nicht verschließen wird, es ist ein Miteinander, vergessen Sie das nicht."

    Als wir in den Bahnhof rollten und uns Lärm und heiße Luft entgegenschlugen, stand er auf und reichte mir voller Ermunterung eine Hand. „Ein wenig Aktion nur von meiner Seite machte uns zu Reisebekanntschaften. So bleibt der Mensch nicht lange alleine, Mademoiselle."

    „Ich habe gerne reagiert", meinte ich da.

    „Paris erfordert eben beides, Mut zur Aktion und zur Reaktion. Im Nichtstun kann niemandem Hilfe kommen."

    Als er freundlich lächelnd seinen Koffer nahm, sah ich das kleine goldne Kreuz, das unter seinem hellen Hemd durchschimmerte.

    2. Kapitel

    Weder die Aktion noch die Reaktion erschien mir leicht umsetzbar, als ich später die Bekanntschaft mit Juliette Luxanche und Bradford Seamon machte, ich war freundlich, so wie sie, doch mehr war mir zunächst nicht möglich, denn der erste Eindruck von Paris nahm alle meine Sinne in Beschlag, die lauten Straßen, hohen Häuser, und dann jenes Appartement im Quartier Latin, im vierten Stock, das fortan mein Zuhause heißen sollte. –

    Noch sah ich nicht viel, denn alles wirkte gleich, all die Gefühle und Gerüche, Farben, Formen, ich suchte Besonderheiten, um den Überblick zu wahren, doch letztendlich rauschte alles geballt weiter. –

    Was sagte man jemandem, dem man in Zukunft näher kam als einem lieb war?

    „Fühlen Sie sich hier willkommen, falls Sie Schwierigkeiten haben, helfen wir Ihnen sehr gerne."

    Dabei war es merkwürdig, gleich einem Fremdkörper in diesem Haus zu leben, in das Zimmer einzuziehen, in dem kurz vor mir ein anderer gelebt, geschlafen und gedacht, das Knarren dunkler Dielen gespürt hatte und die Bücher in das schmale Regal an der Wand gestellt. Doch nahm ich Juliettes nette Worte durchaus ernst und stellte fest, dass sie mir Hoffnung und Heimat vermittelten, ja das Gefühl, zumindest wahrgenommen zu sein. Es hieß warten auf die Zeit, dass ich verstand, wer ich hier war und wer ich sein würde und wie nah man sich kam.

    In Paris stand die Luft, selbst wenn man alle Fenster zugleich aufriss, zog kein Windzug durch den Raum, nur der Gestank nach Autos und nach Stadt erfüllte ihn sogleich. Es war ein warmer Sommer, in Paris ein Graus. –

    „Sie haben ja kein Meer, bemerkte ich, als Lance Leprince am Fenster stand und einsam rauchte, „deshalb ist die Luft so stickig und verbraucht.

    „Es fehlt mir nicht, meinte er nur. „Die Hitze ist durchaus erträglich, wenn man sich genügend Ablenkung verschafft. – Es gibt ganz anderes, das Sie verwundern dürfte.

    Was er meinte, war die Hitze in der Nacht, in der noch immer Autos unten auf der Straße übers Kopfsteinpflaster rollten und der Schweiß auf meinem ganzen Körper stand, er meinte die Geräusche einer fremden Welt, die niemals ruhte, denn es gingen ständig Schritte durch das Haus, und etwas schabte, und Juliette besaß unglaublich viel Parfum, und Bradford kam am Morgen gegen ein Uhr heim. –

    Was mich am meisten staunen ließ, war jedoch, dass ich mich nicht hilflos noch alleine fühlte, sondern neugierig und beinahe erfreut.

    3. Kapitel

    Noir & Blanc, dies war der Name jener Buchhandlung im Herzen von Montmartre, die mich fortan einstellte. Auf diese Weise, denn sie lag ein paar Stationen mit der Metro vom Quartier Latin entfernt, fuhr ich tagtäglich durch Paris, und so erlebte ich auf jeder Fahrt mehr und mehr von der Stadt. Der künstlerisch-dörfliche Flair Montmartres faszinierte mich, ich staunte über die vergangene Ästhetik, die das Viertel präsentierte. –

    Die Buchhandlung war anders, sie war anders als Paris, sie war die ehrwürdige Stätte großer Werke, wahre Literatur bot die Inhaberin, Madame Blanc, den Kunden feil. Die Klientel war gut betucht und kam nicht zufällig vorbei, man schlenderte nicht ohne Grund durch die strahlend geputzte Glastür.

    „Buchhändler ist kein Beruf wie jeder andere, belehrte Madame Blanc, „es ist vielmehr eine Berufung, denn wir tragen mehr Verantwortung, als man allgemein denkt. Die wenigsten von uns begreifen das! Ich aber bin der Ansicht, dass wir wahres Schriftgut konservieren sollten, auf dass niemand versucht wird, es zu vergessen.

    Das Gebäude war verwinkelt und recht dunkel ob der Bücher, die sich vom Boden bis in die höchsten Höhen stapelten. Man roch sie auch, sobald man eintrat, alte Tinte und die Worte und das Wissen, und alles besaß eine penible Ordnung, die Madame Blanc festlegte und ständig pflegte. Sie sortierte Folianten, eilte dann durch den Raum, sie einzuordnen, und ich suchte nach den altbekannten Titeln jener Klassiker, die mir von klein auf bereits vertraut waren.

    „Viele meinen, dass sie Buchhändler sind – doch sie sind es nicht! Dem Anschein nach, dem Titel, aber in Wahrheit kann nicht einer von ihnen wahre Dichtkunst von Banalitäten unterscheiden! Es liegt daran, dass keiner sie leiden kann in diesen Zeiten, man bevorzugt hohles Zeug, das leicht verdaulich ist, und jene Buchhändler, sie wissen wohl, dass nur auf diese Weise Geld zu machen ist, als ginge es beim Buchhandel nur um Profit! So ist es nicht, sage ich Ihnen."

    „Meine Meinung ist sehr ähnlich, aber glauben Sie nicht auch, dass Bücher stark genug sind, mit der Zeit zu gehen? Wessen Geschmack hat den Vorrang, der der Kunden oder Ihrer? – Erlauben Sie mir die Frage, wie wird man ein wahrer Buchhändler, der dennoch Freunde hat in dieser Welt?"

    Sie sah mich an. „Das Buchhändlersein kenne ich. Es fängt mit konsequenter Disziplin an und endet mit solcher, Sie dürfen Ziel und Anfang dabei nicht vergessen, Sie müssen alles beherrschen, jede Quintessenz und Logik, doch ist dies nicht möglich ohne Leidenschaft. Wir schulden unseren Kunden starke Kompetenz, die es verhindert, dass man ihnen falsche Lehre unterjubelt. Vertrauen ist stets endlich; wir müssen es wertschätzen und sicher bewahren, nicht zuletzt dadurch, dass auch wir schlechten Büchern nicht verfallen."

    „Ob wir uns einigen würden, Sie und ich, was schlecht ist, was nicht?"

    „Ich kann darin keine Schwierigkeit erkennen, denn die Ehrfurcht vor den Büchern sehe ich bereits in Ihnen, und Sie ahnen, was sie bergen und was sie von uns erfordern."

    „Ich habe mich zu der Ausbildung entschieden. Nun bin ich bereit, Madame." –

    Sie war ein Individuum, so manchen Welten fern und anderen auf Herzlichste verbunden, und ich konnte von ihr lernen, weiter lernen, und ich wusste, dass ich nicht alleine war. – Sie lebte mit der Tochter in der Wohnung über dem Geschäft, und von mir wollte sie nicht viel mehr als nur meinen Namen erfahren, und dann, was ich bereits las und was mir unverständlich blieb. Als ich Madame Blanc kennenlernte, sah ich, dass es Menschen gab, die unaustauschbar waren, deren Wesen ihre Umwelt deutlich prägte. Für sie war die Arbeit weder Pflicht noch Job, es war ihr Leben und der Traum, für den sie lebte. Meine Hochachtung gebührte ihr deshalb, aber ich fürchtete bisweilen, dass ihrer Art von Buchhandlung ein Martyrium bevorstand.

    Aber noch gab sie nicht auf: „Wir brauchen gute Unterstützung, unsere Mission ist groß, Paris ist größer. Wir sind sehr froh, dass Sie hier sind, Mademoiselle."

    Gleich am ersten Tag gab sie mir eine Liste mit den Büchern, die sie mich zu lesen wünschte, sie war voller Zuversicht und guter Hoffnung, gleichwohl fürchtete ich leise, dass mein Wissen ihrem Anspruch nicht genüge. –

    „Seien Sie nur aufmerksam, sagte sie mir, „und Sie werden überleben.

    Buchhandlungen waren für mich Orte von tiefster Schönheit und die Orte größten Schreckens gleichsam, denn sie bargen Sehnsüchte und Ängste, Kraft und Offenbarung meiner selbst, Antworten, Fragen und auch Rätsel, die wir niemals lösen würden. Ein jeder Mensch sollte lesen, dachte ich manchmal wehmütig, ganz besonders jene Menschen, die es pflegten, einen weiten Bogen um jeglichen Text zu machen. Gerade diese würden eines Tages hart von ihrer Wahrheit eingeholt, glaubte ich fest. Es war beängstigend und unbegreiflich, dass es Bücher in unsrer Welt gab, welch Wagnis, welch Geschenk, all die mächtigen Worte voller Wahrheit! – Sie waren keine Fiktionen aus einer antiken Zeit, sondern von einer Bedeutung, die in mir Ehrfurcht und Aufregung erweckte. Wer wollte dies nicht ermessen, es nicht sehen, dieses Wunder!

    „Wir sind Hüter, sagte Madame Blanc, „diejenigen, die andere mit der Begeisterung anstecken müssen. Die Erkenntnis können wir ihnen nicht schenken, doch den Weg hin zu ihr ebnen. Fehler und Nachlässigkeit sind unter uns wohl kaum zu dulden, denn wir formen unter anderem Gedächtnis und Esprit dieser Gesellschaft.

    Ihre Worte sorgsam prüfend hielt ich sie auf dem Nachhauseweg für wahr; tatsächlich las man selten etwas, das so prägte wie ein Stück Literatur, zweifellos war nichts auf der Welt, zu dem die Bücher keine Weisheit darboten. Die Zeit verging und nur die Bücher konnten in dem, was geschah, Fäden erkennen, nicht die temporären Zeilen, die man auf den Blättern an den Zeitungsbuden der Boulevards ersteigern konnte. Was der kleine Mensch, wie ich es einer war, auch denken mochte, sobald er es niederschrieb wurde es das: ein Buch, das wiederum von anderen gelesen werden konnte, die daraufhin eigene Worte verfassten und begriffen, nach denen sie die Welt neu gestalteten. Jawohl, sie waren von Bedeutung, diese Bücher, Einzelner und auch Gesellschaft wurden fest durch ihren Einfluss! Sie wog schwer auf meinen Schultern, die Verantwortung, denn letztlich waren wir es, die Buchhändler, die nun Schuld waren am Unglück einer Tat, der das falsche Werk zu falscher Zeit zugrunde liegen mochte. Das mochte man so behaupten! – Aber ich war überzeugt, dass ohne das helfende Handeln der Buchhändler sich die Unglücke noch mehrten. –

    „Wie wenig verstehen wir, sodass die falschen Dinge oft unterschätzt werden", sagte ich. Mir gegenüber saß die als solche bezeichnete Freundin von Bradford Seamon und ich zweifelte, ob ihre Gegenwart ihn glücklich oder auch nur nicht unglücklich machte. –

    „Könnten Sie das noch erläutern?", fragte sie.

    „Buchhändler! – Viele unterschätzen den Beruf."

    Das Essen schien ihr wichtiger. „Und wenn ich nun einfach nicht lese?", meinte sie.

    „So würden Sie bald überhaupt nichts mehr verstehen, denn wie vieles gründet sich auf das Geschriebene, ohne dass man dies merkt."

    „Meinen Sie nicht die Schriftsteller, Bleuenn, als solche, die die Welt beeinflussen?", warf Juliette ein.

    „Es scheint mir logischer, sagte auch Lance Leprince und sah mich an. „Sie haben uns so fest im Griff ihrer Gedanken und auch Fähigkeiten, denkt doch nur, dass eine Gesellschaft nie klüger sein wird als diejenigen, die schreiben und das Privileg genießen, ihre Tage mit dem Denken und dem Abwägen zu leben, die sich nicht gehindert sehen von Beschränktheiten des Alltags. Sie bestimmen unser Schicksal, welche Macht! Denn Bücher bleiben ewiglich, viel länger als die einflusslosen Gedanken des einzelnen, den man niemals hineinlässt in die Welt der Schreibenden, er ist zu laienhaft, zu uninteressant und nicht gemacht für diese Herrschaft! – Doch ich glaube, dass die Macht der Schriftsteller letztendlich nur erfunden ist, ein Privileg vielleicht, aber was schaffen sie in ihrer irren Weltfremdheit? Nur Fiktionales, das die Wahrheit niemals kennt und das dem Bürger gar nichts bringt, höchstens Amüsement, kein Geld und keine Nahrung, unbrauchbar! Und wer weiß denn, was mit der Literatur fünfzig, hundert Jahre später noch geschehen mag, wer ahnt denn, welche Einflüsse sie dann entfaltet? Vieles wurde zur Gefahr, ohne dass der Verfasser dies erahnen konnte. Doch bleibt man stetig dabei, die alten Werke zu bewahren, immer wieder, dabei nützen sie uns nichts. Ein arg beschränkter Aberglaube, sage ich.

    „Was schlagen Sie daraufhin vor? Sollte man besser gar nicht schreiben oder lesen, alle Bücher rasch und konsequent verbrennen, nur da Sie, Monsieur Leprince, der Meinung sind, sie würden lügen? Was ist mit all jenen positiven Einflussnahmen und Bequemlichkeiten, die sie täglich unabdingbar ausüben?"

    „Zwar haben wir es uns, das Lesen und das Schreiben, angewöhnt und die Abhängigkeit wächst weiter, doch ist sie nicht absolut. Noch ist die Zeit, um umzukehren, und es würde Kriege sparen und auch Menschenleben retten, Mademoiselle."

    „So spricht nur einer, der davon nicht viel versteht, verzeihen Sie."

    „Man lasse jedem seine Meinung, warf Bradfords Freundin nun ein, „der Friede ist viel wichtiger als das Rechthaben und man glaube mir, es sind letztlich nur Bücher.

    „Und Sie schreiben selbst, Bleuenn?", bemerkte Lance.

    „Voll Überzeugung", sagte ich. –

    „Meinen Respekt, meinte Juliette, „ich selbst besitze nicht genügend Phantasie, um lange Texte zu verfassen, und auch keine Zeit dafür.

    „Zeit kann man durchaus investieren und es sei Ihnen gesagt, dass Phantasie mit Schreiben schlichtweg nichts zu tun hat, wenn der Schriftsteller ein solcher wahrhaft ist."

    „Ich habe viel gelesen, dessen Ursprung weder Phantasie noch sonst etwas zu sein schien, sondern reine Unzulänglichkeit des armen

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