Egons Wirklichkeit: Anhand biografisch kommentierten Visualisationen
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Über dieses E-Book
Wenn ein neues Videospiel schon auf dem Cover "noch mehr Gewalt und Sexualität" verspricht, interessieren sich die Leute tendenziell stets für jenes, welche die noch grössere Ablenkung verspricht. Ablenkung von was aber, fragte sich Egon.
In solchen Situationen, und solche, wo eine Wertepriorität vorliegt, gibt es sehr viele im Alltag, wandte sich Egon meistens ab. Er selber hatte nämlich keine Gelegenheit für Ablenkung. Zu stark wurde er gelenkt, zu heftig waren die Manöver. Er musste nach innen, er wurde gewiesen, gedrängt, dahin gezwungen. Von wem?
Je weiter er nach innen ging, desto klarer wusste er: er hatte recht mit seinem persönlichen Vorzug. Denn hier drinnen glich alles immer mehr diesen Videospielen. Er fand das zum Davonreisen! Wohin?
Es gab nur eine Antwort. Für viele war sie missverständlich, unlust- oder sogar angstbesetzt. Für Egon war sie als einzige "verbindlich", "ver-lässlich", und zwar sowohl im Guten, wie im Zweitbesten. Er meinte zu wissen, dass Gott es anders sah. Nach seinem Auge schaute er aus. Wenn er sich darin fand, ja nicht einmal das; wenn er nur schon seinen Blick sah, erhaschte, ganz kurz einmal, neben ihm, dann war er erlöst. Dann war er sich nicht mehr auf den Fersen.
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Buchvorschau
Egons Wirklichkeit - Christoph Weisser
Anstelle einer Einleitung
Eine unsystematische Reflexion über Egons Grundvoraussetzungen
Was war es, was konnte es sein, das Egons Sinn für Wirklichkeit anders machte? Ganz einfach: seine Introversion.
Für wen immer die Introversion zutrifft, der wird seinen Sinn für Wirklichkeit auf die Reflexion der Umgebung auf sein individuelles Innere abstützen.
Egons individuelles Innere: da wird es allerdings schon schwieriger. Zu bestimmen, beispielsweise, ob sein Inneres mit „Seele gleichzusetzen wäre, denn bleibt die „Seele
in ihrem Innern nicht ungerührt, „selig, blind vertrauend und doch „sehend
, bei allen stürmischen Gedanken, Gefühlen und Treiben?
Egons Innere umschloss beide Bereiche: Die Stürme und die Stille. Gleichzeitig über- und hintereinander.
Manchmal fegten Stürme über alles hinweg und liessen scheinbar alles in Fetzen zurück. Und dennoch blieb etwas unangetastet.
Egon fühlte sich ein wenig gefangen zwischen dem Fluch und dem Segen dieses Umstandes. Ein Umstand, den vermutlich jeden traf, aber ihn, wie es ihm schien, am deutlichsten, am „klarsten. Er „litt
darunter und wollte sich befreien. Aber er war doch eigentlich schon frei; er war im Quervergleich mit anderen jedenfalls schon ziemlich frei, wenn es denn wirklich um einen „Befreiungs-Prozess" hinsichtlich dieses Empfindens ging. Nur fühlte er sich seiner nicht mächtig. Er fand nicht, dass er sein Leben meisterte. Das Leben „meisterte" ihn, und dieses letztere kam ihm vor, wie ein verrücktes, schwarzes Pferd; eines, das ausschlug, biss und herumwirbelte, obwohl jeder gesagt hätte, dass kaum einer stiller, ruhiger, vielleicht sogar bedachter wirkte als Egon. Dann sah man allerdings nicht sehr genau hin. Denn ständig war Egon damit beschäftigt, sein aufgeschrecktes Innere zu besänftigen; „spontanen" Anflügen von Ideen und Emotionen Vernunft, Geduld, Hoffnung entgegen zu tragen. Hoffnung worauf? Diese irrationale Angst zu verlieren, diesen Schreck, der ihm die Kraft raubte… Die Kraft wozu?
Nun, dieses Innere formt für alles die Basis, nicht wahr? Sie bildet eine Existenzgrundlage. Und wenn das Innere ständig bebt… Wenn man es nicht merkte, wäre es dann besser? Aber Egon spürte das Innere ständig beben; nichts besänftige dauerhaft sein verrücktes Pferd. Eine Fliege mochte von der Stallluft angezogen werden und schon begann der gewaltige Leib des Tieres zu zittern, so dass die schwere Masse für einen Bruchteil der Sekunde ihr Gewicht verlor, es sie ab Boden hob, die Masse scheinbar fliegen konnte…
In einem solchen Moment war Egon hellwach. Nachdem er sich an die Gegenwart der Fliege gewöhnt hatte, beruhigte er sich wieder, fühlte sich ein wenig flau, und das Herz galoppierte weiter…
Ein solcher Umstand, selbst wenn er hier übertrieben dargestellt wäre – was führte denn zu dieser Übertreibung, wenn nicht die Beschreibung ihrer Ursache? – wirkt natürlich prägend. Es braucht keine grosse Fantasie sich vorzustellen, dass eine Lebens-Einstellung – noch vor jeder Bewältigung – mit solch einer „Basis", ein wenig alternativ ausfallen wird. Ihr werden sich Prioritäten aufzwingen, die sich von anderen Zugängen der Selbstverwirklichung unterscheiden.
Ein Haufen Dinge fallen zum vorne herein weg. Um Statussymbole zu sichern, dazu fühlt sich so einer kaum in der Lage. Was sich eher anbietet ist eine Vogelstrausspolitik, im besten Sinn: man schaut zu, wie die Wirklichkeit unter der Oberfläche aussieht. Und hier gibt’s bei wachem Sinn und offenem Auge einiges zu entdecken, selbst wenn der Sand etwas heiss oder es zu dunkel wäre, um wirkliche Dinge zu erkennen. Als Mensch, solang man lebt, sieht man trotzdem…
Egon nannte seine Sichtaufnahmen „Visualisationen".
Es war nicht so, dass Egon im eigentlichen Sinne „blind" war gegenüber der Weltwirklichkeit. Nur vermochte diese lediglich in Ausnahmeerscheinungen sein Inneres beruhigen. Das meiste, was sie vorwies, scheuchte dieses eher auf. Egon mochte noch so sehr ihre beschaulicheren Anteile für sich herausfiltrieren, sie erwiesen sich in den konkreten Umständen doch als zu wenig essentiell und tragend. Aber just dazu exzerpierte Egon ja eigentlich seine Bildausschnitte. Er bearbeitete sie mit Kniffs und all jenem Werkzeug, das ihm in seiner Schreibbude zur Verfügung stand; er hobelte und verdichtete, um sie gemäss seinen seelischen Bedürfnissen und seinem geistigen Anspruch zu assimilieren…
So fügte sich, in kleinen Stücken, seine Wirklichkeit zusammen.
83 Minidrama
Die Kiste lässt sich nach vier Seiten hin öffnen und offenbart ein Miniaturtheater (hinter Kipptürchen befinden sich Figuren) das von kleinen Spots beleuchtet wird. Hier werden zeitgenössische Stücke in klassischer Manier aufgeführt.
Egon hatte diese Vorstellung des Innern als eine dunkle Kiste. Sie ist nicht ganz so harmlos. Was sich darin findet, das hängt ab von unterschiedlichen Konditionen. In gewissen Zuständen finden sich grässliche Dinge drin. Es mag einem ähnlich gehen mit den Träumen. Aber Egon wusste um die Kiste auch als „Kapital, ohne damit an wirkliche Geldressourcen zu denken. Schätze können daraus geborgen werden, man braucht sie nur vorsichtig zu „liften
.
Egon dachte sich diese Kiste auch gern als Raum und warum nicht als unvoreingenommner, unverzweckter Raum: als Bühne, als leere Fläche? Wäre damit die Ausgangslage nicht sogar doppelt kreativ? Hierauf würde man doch Dinge stellen können – nein, nicht nur Gegenstände; auch Figuren, Atmosphären und „Geschichten – die sich auf noch ganz anderen „Böden
dieser grossen „Innenkiste" befinden.
An diesem Punkt des Gedankenganges angekommen, leuchteten in Egons oft trübem Geist wieder die ersten Lichter wie Funken von Bühneneffekten auf. „Ein Raum, ein kultivierter Raum, sprach er zu sich, „wo alles, ja all dies stattfinden kann, was mich bewegt, nur welches ich in mir selber nicht bewegen kann!
Oh, er hatte manch eine „Geschichte" zu erzählen! Ganze Skriptrollen füllten seine Kisten unter der Bühne. Sie standen geschrieben in einer alten, verschlüsselten, unverständlichen Sprache von Symbolen…
165 Feng Shui für Sportler
Zwei Bodenturner führen in einem Ring mit leuchtend gelber Matte einen rituell wirkenden Kampf aus, indem sie einander als Pferd für Kunstsprünge standhalten.
Egon machte jeden Tag Gymnastik. Diese körperliche Disziplin war für ihn Pflicht. Er musste - er hatte keine Wahl - sich stärken, wenn er bestehen wollte. Und er musste bestehen, denn die Alternative dazu war etwas grob. Er bestand nämlich schon wenig genug; er schaffte grad, mit Ach und Krach, das Minimum.
Kam dazu eine gewisse Eitelkeit, aber das machte einen – wörtlich verstanden – verschwindend kleinen Anteil an der Sache aus. Er wusste: er konnte trainieren, soviel er wollte, er würde keine „Muskeln bilden im eigentlichen Sinn. Dazu waren andere vorbestimmt, die dafür nicht mal gross trainieren mussten. Das einzige, was Egon herausholen konnte, war eine gewisse Haltung. Eine gewisse Körperhaltung, ja, aber auch eine Art innerer Streitbarkeit. Er mochte Streiten ursprünglich nicht besonders; er war sogar traumatisiert von gewissen, scheinbar vollkommen fruchtlosen Kämpfen - wobei „fruchtlos
ein Kosename ist. Das glaubte er zumindest. Und vom Glauben, nicht wahr, hängt so vieles Weitere ab.
In der Tat beging Egon seine körperliche Fitness mit wachsender Zuverlässigkeit. Hätte ihn jemand aufgefordert, dreimal ums Haus zu laufen und fünfmal die Treppe hoch und runter, das wäre wohl eine der wenigen Herausforderungen gewesen, die ihn nicht so leicht in Verlegenheit gebracht hätten. Nach spätestens einer halbe Stunde wäre ja alles wieder vorbei gewesen. Er tat sich in der Tat immer noch schwer genug an allem, selbst wenn er in der Lage war, sich ein paar Mal vom Boden zu stemmen.
Wie immer: ästhetische Vorstellungen, auch im Belang von Sport und Fitness, gehörten zu seinen… Nennen wir sie einmal „innere Animationsbilder". Er mochte sich eine Situation ausdenken wie im kleinen Text hier drüber, und es ging ein bisschen die Sonne in ihm auf. So war er denn mit dem Arrangement, der Ausstattung seines Bildes sehr zufrieden: Waren hier doch nicht nur einfach zwei sportliche Talente bei der Sache; sie fanden sich auch noch in einem quasi spirituellen Dekor vor, in den sie sehr hübsch einpassten. Das war doch nicht unwichtig.
Egon wollte fit sein. Und zwar nicht ausschliesslich zum Leben, vor allem nicht zum Überleben; auch nicht für den Alltag, sondern noch grundsätzlicher: Er wollte es „charakterlich" sein oder erst werden. Selbst wenn