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Violetta: Vom Wege abgekommen
Violetta: Vom Wege abgekommen
Violetta: Vom Wege abgekommen
eBook265 Seiten3 Stunden

Violetta: Vom Wege abgekommen

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Über dieses E-Book

Wer bin ich? Dieser Frage muss sich Violetta nach einer Testamentseröffnung stellen, die ihr ganzes bisheriges Leben auf den Kopf stellt.
Die alleinerziehende Mutter von Zwillingen ist leidenschaftlich, klug und sehr distanziert. Gerade diese Distanz reizt die Männer, die diese attraktive, anziehende Frau treffen. Sie lässt sich lieben, aber liebt sie auch?
Liebt sie die Männer oder nur den Sex? Nur die Vorstellung von Liebe?
Violetta ist eine Frau auf der Suche nach dem richtigen Weg, nach ihrer Identität! Diese Suche führt sie von Hamburg nach Dresden, nach Wien, und in die Toskana.
Findet sie ihr Glück da, wo sie es niemals gesucht hat?
Wird sie in Lucca, der Stadt der Oper, dem Geburtsort Puccinis, ihrem Schicksal begegnen?
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum31. März 2015
ISBN9783737539173
Violetta: Vom Wege abgekommen

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    Buchvorschau

    Violetta - Ursula Tintelnot

    Violetta

    Vom Wege abgekommen

    Ursula Tintelnot

    Impressum:

    Copyright © 2015 Ursula Tintelnot

    Umschlagsfoto: © Ursula Tintelnot

    Covergestaltung: © Medusa Mabuse

    ISBN 978-3-7375-3917-3

    Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

    Hamburg im September

    „Eine Testamentseröffnung, an der ich teilnehmen soll."

    Violetta hielt den Brief einer Anwaltskanzlei aus Lucca in der Hand und sah ihre Mitarbeiterinnen verunsichert an. „Ich habe keine Verwandten in Italien. Aber ein kleines Erbe würde uns gut tun", seufzte sie.

    „Du musst auf jeden Fall fahren, war Hannahs Kommentar. „Stell dir vor, ein Palast in Lucca, italienisches Essen, Sonne und Glutaugen. Sie grinste heraufordernd.

    Violetta lachte. „Wahrscheinlich stellt sich alles als falsch heraus, als typisch italienische Schlamperei. Der Palast, von dem du träumst, ist, wenn es ihn überhaupt gibt, eine Ruine kurz vor dem endgültigen Zerfall mitten in der Wildnis."

    Sie kannte Lucca und liebte diese Stadt. Auf den Hügeln ringsherum besaßen die reichen und vielleicht auch weniger reichen Italiener Landhäuser, in die sie, wenn die Hitze die Ebene unerträglich machte, flüchteten. Dort oben gab es Kühle und einen immer sanften Wind, der die Glut des Sommers vergessen ließ.

    Wenige Tage später saß sie im Auto und fuhr Richtung Toskana. Die Zwillinge hatte sie bei ihrem Ex untergebracht. Die pubertierenden Halbwüchsigen hatten zwar gemeint, dass sie alleine zurechtkämen, aber das wollte Violetta lieber nicht riskieren.

    Paul freute sich, er liebte seine Söhne und die Jungs liebten ihn. Sein Atelier lag direkt neben der Wohnung, die er mit seiner Freundin bewohnte. Graziella trug Klamotten, zu denen Violetta ihr eher nicht geraten hätte, nun ja... Aber auch sie konnte gut mit ihren Söhnen.

    Wie Paul es mit dieser Frau aushielt, war ihr ein Rätsel. Sie ist nett, oberflächlich und doof, dachte sie.

    Gut, das war sein Problem. Violettas Gedanken wandten sich dem Abenteuer zu, das ihr bevorstand.

    ~~~

    Italien

    „Modena", verkündete das Straßenschild, das Violetta gerade passierte. Sie hatte den Autozug von Hamburg nach München genommen. Das verkürzte die lange Fahrt erheblich. Ihre Buchhandlung konnte sie ohne Probleme Hannah überlassen.

    Sie war kompetent und überaus beliebt bei ihren Kunden. Eigentlich war Hannah überqualifiziert für die Arbeit in einer Buchhandlung. Sie hatte ein vollständiges Literaturstudium hinter sich und war, bevor Violetta sie eingestellt hatte, Leiterin einer großen Bibliothek gewesen. Nach der Geburt ihrer Tochter wollte sie mehr Zeit für die Kleine haben und gab ihre Stellung auf. Ihr Mann, Juraprofessor mit einem gut dotierten Job an der Uni, hatte sie bestärkt in ihrem Wunsch, sich mehr um ihre Tochter kümmern zu können.

    Hannah war einige Jahre lang Violettas liebste Kundin gewesen. Die beiden Frauen hatten sich auf Anhieb verstanden, waren schnell Freundinnen geworden. Als Hannah sie fragte, ob sie bei ihr arbeiten könne, hatte Violetta ja gesagt und diese Entscheidung nie bereut.

    Violetta wollte unbedingt noch heute Lucca erreichen. Sie griff nach ihrem IPod und sah auf das Display.

    „Sonnambula", las sie leise. Eine ihrer Lieblingsopern.

    Allein das Ende Bellinis, des Komponisten, bot Stoff für eine Oper. Sein früher Tod gab Anlass zu Spekulationen. Es wurde von Gift gemunkelt. Sein Liebesleben war legendär gewesen und ebenso legendär die Zahl seiner möglichen Mörder, der gehörnten Ehemänner, Liebhaber, der Brüder und der Väter, die ihn lieber tot als lebendig gesehen hätten. Er hatte es mit den Weibern in Theaterlogen, in Kammern, hinter Wandbehängen und in fremden Ehebetten getrieben.

    Energisch beendete Violetta die Liebesarie. Schließlich fuhr sie in die Heimatstadt Puccinis und es wäre angebracht, sich seine Musik anzuhören.

    Sie hatte Hunger und hielt Ausschau nach einer Pizzeria. Kurz hinter Modena bog sie nach rechts ab. Ein Blick auf die Karte sagte ihr, dass sie noch mindestens drei Stunden Fahrzeit bis Lucca haben würde. Nein, so lange konnte sie nicht mehr warten. Nicht nur der Hunger plagte sie, auch ihre Blase meldete sich.

    Violetta griff nach der Wasserflasche und legte sie wieder zurück auf den Beifahrersitz. Fast hätte sie das kleine Schild übersehen. „Ristorante da Pino". Sie bog in einen schmalen Weg ein, der sie nach wenigen Metern zu einem Haus führte, dessen Anblick ihr Herz höher schlagen ließ.

    Weiß verputzt lag ein hohes Gebäude vor ihr. Über halbhohen Türen, die zwischen rundbögigen Maueröffnungen angebracht waren, sah sie Pferde, deren sanfte Augen ihr neugierig entgegenblickten. Auf dem Parkplatz neben dem Haus standen einige sehr edle Autos. Violetta parkte, stieg aus und streckte sich.

    ~~~

    Drei ziemlich räudige Kiefern, die sich bemühten, dem Namen des Ristorante einen Sinn zu geben, warfen ihre zitternden Schatten über die Hauswand, an der einige Steinstufen zum Eingang führten.

    Schade, dachte Violetta. Sie wäre lieber auf einer Terrasse draußen geblieben. Es war warm und der leichte Wind hätte ihr nach der langen Autofahrt gut getan. Sie stieg die Treppe hinauf und öffnete die Tür, um einen Moment lang verwirrt stehen zu bleiben.

    Der Raum vor ihr war eine Überraschung. Lichtdurchströmt, von blendender Helle führte er direkt auf eine offene große Terrasse hinaus.

    Ein Kellner kam auf sie zu und brachte sie ganz selbstverständlich an weiß gedeckten Tischen vorbei hinaus. Violetta bestellte eine Flasche Wasser. Bevor der Kellner zurück war, stand sie auf, um die Toilette aufzusuchen.

    Das Lokal ist gut besucht, dachte sie. Sie hatte den letzten freien Tisch erwischt. Eine wohltuende Mattigkeit überkam sie, als sie sich wieder auf ihren Stuhl sinken ließ. Sie schloss die Augen.

     „Ah, Signora. Darf ich?"

    Träge blickte Violetta auf. Der Mann, der diese Frage gestellt hatte, wartete ihre Antwort nicht ab. Er zog den zweiten Stuhl vom Tisch und setzte sich.

    Dunkles lockiges Haar, ein vernarbtes Gesicht und ein Lächeln, das Himmel und Hölle in Bewegung setzen konnte. Er sah aus wie ein Pirat. Ein hässlicher Pirat mit breiten Schultern. Wenn da nicht dieses Lächeln gewesen wäre. Seine grauen Augen musterten sie ungeniert.

    „Alessandro Orsini, Signora." Ein Bariton, schmeichelnd.

    Reiß dich zusammen, Violetta, dachte sie. Bass und Bariton verkörpern, zumindest in Opern, immer die Bösen.

    „Sie sind schön, Signora."

    Violettas grüne Augen blitzten kampflustig auf. „Und Sie sind unverschämt, Signore."

    Er grinste.

    „Ah, Sandro." Der Wirt tauchte neben ihrem Tisch auf. Er schien sehr vertraut mit ihrem Gegenüber. Die beiden plauderten leise und benahmen sich, als sei Violetta nicht vorhanden.

    Als sie bestellen wollte, wandte der Wirt sich ab.

    Orsini sagte: „Ich habe für Sie mitbestellt, Signora."

    Violetta verschlug es die Sprache.

    „Ich habe das einzige Gericht ausgesucht, das für Sie an diesem Tag, zu dieser Stunde und bei dieser Temperatur in Frage kommt."

    „Haben Sie auch den Stand des Mondes bedacht, Signore?"

    Er lachte. „Nein, sagte er, „aber da Sie heute noch weiterfahren werden, habe ich etwas Leichtes bestellt.

    Violetta sagte nichts, sie drehte den Stil ihres Glases zwischen den Fingern und sah ihn genau so ungeniert an wie er sie.

    Das Essen, das ihr in diesem Augenblick serviert wurde, war in der Tat leicht und sehr köstlich. Antipasti, die noch frisch und nicht in Öl ertränkt worden waren, offensichtlich selbst gebackenes Brot, dazu ein kühler leichter Weißwein.

    Violetta genoss das Essen und das Schweigen zwischen Orsini und ihr, das sich so selbstverständlich anfühlte.

    „Was veranlasst Sie zu der Annahme, ich führe heute noch weiter?" Violetta legte die Serviette neben ihren Teller und sah Orsini neugierig an.

    „Die Straßenkarte in Ihrem Auto."

    „Bitte?" Sie fuhr hoch. Dieses Lächeln verdammt, damit konnte er ...

    „Sie ist so geknickt, dass man sofort sieht, wohin es Sie zieht", wieder dieses vermaledeite Lächeln.

    „Spionieren Sie mir nach?"

    „Nein, aber ich habe Sie aus einem überaus, er zögerte und suchte die Antwort, indem er seinen Wein konsultierte, „baufälligen Gefährt aussteigen sehen. Wusste diese Frau überhaupt, wie anziehend sie war? Alessandro hob das Glas mit dem Wein hoch, bis er Violetta durch das Getränk betrachten konnte. Grüne Augen, störrisches blondes Haar. „Außerdem gibt es hier weit und breit kein Hotel. Und dass Sie nicht aus dieser Gegend kommen, na ja ..."

    Er hatte sie kommen sehen? Hatte er gewartet, bis sie einen Platz gefunden hatte, um sich dann zu ihr zu setzen?

    „Ich wohne hier, sagte er. „Dies ist mein Rückzugsort, wenn ich Ruhe brauche und gutes Essen. „Kommen Sie. Lassen Sie uns ein Stück gehen." Orsini streckte die Hand nach ihr aus.

    Violetta ignorierte sie, erhob sich aber folgsam.

    Über einige Stufen gelangten sie in einen ausgedehnten Garten, in dem offensichtlich das Gemüse gezogen wurde, das hier auf den Tisch kam. Ein hoher Holzzaun verwehrte den Blick nach außen.

    Orsini zog einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete das Tor. Violetta hielt unwillkürlich die Luft an. Ein atemberaubender Ausblick auf die dahinter liegende Landschaft tat sich auf. Hingerissen blieb Violetta stehen und sah in das Tal, das sich unter ihr ausbreitete. Ihr kamen die ersten Takte einer der schönsten Arien, die sie kannte, in den Sinn. Mit ihr hatte Händel die Schönheit der Platanen in Musik verwandelt.

    „Ombra mai fu"

    einer Pflanze,

    lieblich und angenehm,

    süßer.

    Schöne wachsende Smaragde,

    Blätter zart und schön...>

    Eine endlose Platanenallee öffnete einen dramatischen Blick auf ein Haus von wundervoller Ausgewogenheit.

    „Villa Ombra", murmelte Orsini.

    Säulen bewachten die Eingangstür, zu der man über Stufen, die sich über die gesamte Länge des Hauses hinzogen, hinauf gelangte. Die oben von der Sonne beleuchteten Stämme der gewaltigen Bäume wurden nach unten hin dunkler und endeten im geheimnisvollen Schattenspiel des Weges.

    Violetta sah sich um. Alessandro Orsini war hinter sie getreten. Er hatte eine Hand auf ihre Schulter gelegt. Er zog sie sofort zurück, als er ihren Blick sah.

    „Was ist das?", fragte sie.

    „Sie müssen vorsichtig sein, sagte er, ohne ihre Frage zu beantworten. „Diese Hänge können jederzeit in die Tiefe stürzen.

    Sie machte einen Schritt rückwärts. Obwohl sie ihn nicht berührte, spürte sie seine Nähe auf der Haut.

    „Keine Sorge, heute wird das nicht geschehen."

    „Sind Sie Hellseher?"

    „Ich bin hier aufgewachsen. Nur starke Regenfälle könnten diese Hänge in Bewegung setzen."

    „Hatten Sie nicht gerade „jederzeit gesagt?

    Orsini grinste. Wie ein Wolf, dachte Violetta.

    „Ich brauchte eine Erklärung für meine Hand auf Ihrer Schulter. Ihr Blick war zu beängstigend für eine zarte Seele wie mich."

    Violetta dachte: Dieser Mann bringt mich um den Verstand. Ich sollte mich in mein Auto setzen und mich so weit wie möglich von ihm entfernen.

    Sie hatte sich nicht entfernt, sondern war gegen ihre Vernunft mit Orsini zum da Pino zurück geschlendert.

    Orsini entschuldigte sich und balancierte kurze Zeit später ein Tablett mit Caffe’ macchiato, einem Glas Wasser, Cappuccino, in den er den mitgebrachten Grappa kippte, und zwei Stück Torta Marengo an ihren Tisch.

    „Mit dieser Torte im Magen wollen Sie mich auf die Reise schicken? Das hier kann man kaum als leicht bezeichnen."

    Torta di meringa, dachte Violetta, besteht zu gleichen Teilen aus Zucker, Eiern und Sahne und muss im Himmel kreiert worden sein. Der Teufel soll dich holen, Alessandro!

    Er sah amüsiert ein großes Stück des Halbgefrorenen in ihrem Mund verschwinden, das sie genussvoll auf der Zunge zergehen ließ. Ihre grünen Augen leuchteten, wie die eines kleinen Mädchens angesichts einer neuen Puppe.

    Ich kann nicht aufhören, sie anzusehen, dachte er. Ich möchte, dass sie bleibt. „Vielleicht will ich gar nicht, dass Sie heute noch reisen?" Er langte über den Tisch und wischte mit dem Daumen einen Rest Sahne von ihrer Oberlippe. Während er seinen Daumen ableckte, griff er, ohne sie anzusehen, nach seinem Milchkaffee.

    Dieser Mann gehört eingesperrt, dachte Violetta. Seine Dreistigkeit war kaum zu überbieten.

    Orsini sah zu ihr hinüber und sagte: „Sie sehen auch mit offenem Mund hinreißend aus."

    Violetta schloss ihren Mund, um ihn gleich darauf wieder zu öffnen. „Ich muss fahren. Morgen früh habe ich einen wichtigen Termin in Lucca."

    „Wie schade, Signora, es wäre mir eine Freude, Ihnen bei der Suche nach einer geeigneten Unterkunft behilflich zu sein." Sein Mund zuckte.

    Sie sah ihm in die Augen und fragte sich, was er wohl unter geeignet verstehen mochte. Dann senkte sie den Blick und rief sich zur Ordnung. Sie erhob sich. „Ich muss gehen", wiederholte sie. Meine Stimme wird mich verraten, dachte Violetta. Sie war wütend, ja, aber auch fasziniert. Und das machte sie noch wütender.

    Orsini begleitete sie zum Parkplatz. „Was für ein schreckliches Auto", sagte er.

    „Aber es fährt, knurrte Violetta, jetzt wirklich aufgebracht. „Nicht jeder kann sich solche Wagen ... Sie wies mit dem Kopf angewidert auf die Nobelkarossen.

    Er lachte. „Nein, in der Tat, und manche dieser Karossen, sagte er, „stehen mehr in der Werkstatt als auf der Straße. Aber dieser kleine Dinosaurier wird bald unter Ihnen zusammenbrechen, und dann werde ich Sie blutend auf der Straße finden und mich über Sie werfen und ein Leben lang trauern.

    Violetta dachte, er redet wie ein Opernheld. Sie öffnete die Wagentür. „Leben Sie wohl, Signore." Sie hatte ihn nicht ein einziges Mal mit seinem Namen angeredet. So, als ob dies eine unerlaubte Intimität wäre.

    Oh Gott, er wird mich küssen, dachte sie, als er sich über sie beugte. Und das tat er. Er küsste sie leicht auf beide Wangen.

    „Wenn ich Sie jetzt richtig küsse, werden Sie morgen zu spät in Lucca sein. Aber ich werde Sie finden und nachholen, was wir heute versäumt haben." Sein Blick ließ, trotz aller Ironie, keinen Zweifel daran, dass er es ernst meinte.

    Violetta stieg in ihr Auto. „Sie sind unfassbar ungezogen, Signore. Wir werden uns ganz bestimmt nicht wiedersehen."

    „Oh doch, Violetta Valery, das werden wir!"

    Warum nur hatte er sie mit diesem Namen angesprochen? Aus Verdis wohl berühmtester Oper? Dem Namen einer Kurtisane, die, viel zu jung, am Ende an der Schwindsucht sterben musste. Sie war berühmt gewesen für ihre außergewöhnliche Schönheit, ihre Eleganz und ihren Stil. Gebildet und belesen.

    La Traviata, die vom Wege Abgekommene.

    ~~~

    Jetzt befand sich Violetta auf der Fahrt nach Lucca. Sie lächelte. Fürchtete Orsini wirklich, dass ihr altes Auto sie vom Weg abkommen ließ? Er konnte nicht wissen, dass sie diese Oper ganz besonders liebte und dass ihr zweiter Vorname tatsächlich Valery war. Er konnte nicht einmal wissen, ob sie überhaupt in die Oper ging. Noch viel weniger konnte er wissen, dass ihre Mutter ihr diesen Namen gegeben hatte, weil sie Verdi verehrt und seine Opern geliebt hatte. Orsini hatte Violetta zum Lachen gebracht mit seiner Frechheit, seinem Spott und seiner verrückten Fantasie. In Gedanken war sie noch auf der Terrasse des Ristorante. Bei ihm.

    Jetzt konzentrierte sie sich auf die letzten Kilometer.

    Es wurde bereits dämmrig. Sie wollte, bevor es ganz dunkel wurde, in Lucca sein. Ob es das Hotel in der Altstadt noch gab, in dem sie vor Jahren mit Paul abgestiegen war? Es war nicht gerade preiswert gewesen, aber es lag so günstig, dass man Lucca von hier aus wunderbar zu Fuß erkunden konnte. Und es hatte einen unschätzbaren Vorteil, es gab Parkplätze hinter dem Hotel.

    Nachdem sie in Lucca Est abgefahren war, hatte sie keine Mühe, das Hotel in der Nähe der Via Fillungo, einer schmalen Einkaufsstraße, zu finden.

    ~~~

    Lucca

    Während sie durch die nächtlichen Straßen der alten Stadt schlenderte, fragte sie sich, was sie morgen erwartete. Violetta stand in der Via Sant’Andrea vor dem Guinigi-Turm, dem letzten der zahlreichen Geschlechter und Glockentürme, mit denen die Stadt sich Anfangs des 14. Jahrhundert geschmückt hatte. Lucca war sehr stolz auf ihre große Anzahl.

    Sie war, als sie die Stadt zum ersten Mal mit Paul besuchte, über hohe Steinstufen fünfzig Meter nach oben auf den Turm geklettert. Die letzten Meter hatte sie sich von ihm ziehen lassen müssen. Es war heiß damals und ihre Kondition war, mit den Zwillingen im Bauch, nicht mehr besonders gut gewesen.

    Der Blick über die Dächer der Stadt und die bergige Landschaft rings herum belohnte sie für die Anstrengung. Er war atemberaubend. Auf der Spitze dieses Turmes wuchsen uralte Steineichen. Sie starrte so lange zu den Bäumen hoch, bis sie das Gefühl bekam, sie würden auf sie niederstürzen.

    Lucca war einmal die Hauptstadt der Toskana gewesen. Eine Stadt, deren Reichtum sich auf der Herstellung von kostbaren Stoffen, vor allem Seidenstoffen, gründete. Langsam ging sie durch die belebten Gassen, ließ sich treiben, nahm die Blicke, die ihr folgten, gar nicht wahr. Ihre Gedanken waren noch bei dem gesprenkelten Licht des Nachmittags und dem vernarbten Gesicht eines Mannes, dessen spöttischen Charme sie nicht vergessen konnte

    ~~~

    Antico Caffè di Simo. Violetta erinnerte sich gut daran. Hier war die Zeit stehengeblieben. Die Inneneinrichtung war eine Symphonie aus Gold, Marmor, funkelndem Kristall und glänzend poliertem altem Holz. Kurz entschlossen öffnete sie die Tür.

    Violetta sah sich um und entdeckte einen kleinen Tisch in der Nähe des Einganges.

    „Con permesso?", fragte sie den dunkelhaarigen Mann, der an dem Tisch saß und auf seinen Laptop starrte.

    Er nickte nur ohne aufzusehen. Angenehm, dachte Violetta, so konnte sie weiter ihren Gedanken nachhängen.

    Vor ihr stand das Glas Rotwein, das sie am Tresen bestellt und bezahlt hatte. Sie nahm einen Schluck und zog das Schreiben der Anwaltskanzlei aus ihrer Tasche, um noch einmal in dessen kryptischen Zeilen zu versinken. Der Brief war in perfektem Deutsch geschrieben und forderte sie auf, sich nach Lucca zu begeben, um an einer Testamentseröffnung teilzunehmen. Keine Namen, kein Hinweis auf den Verstorbenen oder das eventuelle Erbe. Beinahe hätte sie laut gelacht, ihre Lippen zuckten und als sie aufschaute, sah sie direkt in die dunklen Augen eines teuflisch gut aussehenden Italieners. Meine Güte, dachte sie, da sind die Glutaugen, die Hannah dir versprochen hat.

    Ihr Gegenüber hatte den Kopf gehoben, den Laptop zugeklappt und sah ihr jetzt neugierig in die Augen. Er sprach Deutsch mit einem ganz leichten italienischen Akzent. „Was ist so komisch?", fragte er lächelnd.

    Violetta lächelte zurück. „Es gibt Dinge, Signore, die ich lieber für mich behalte."

    „Roberto. Mi scusi, Signora." Er erhob sich halb.

    Schlank und groß, dachte sie. Violetta nickte und steckte das Couvert in die Tasche zurück. Sie stellte sich nicht vor.

    „Ich bin ganz sicher, Signora, dass es wundervolle Dinge in Ihrem Leben gibt, die Sie für sich behalten wollen. Aber sollten Sie es auch? Ich bin sehr neugierig."

    Darauf würde ich wetten, dachte sie.

    Er griff nach seinem leeren Glas, hob es hoch und schnippte mit den Fingern. In Sekundenschnelle eilte ein Kellner herbei und brachte

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