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Faith und Leathan: Tanz auf dem Vulkan
Faith und Leathan: Tanz auf dem Vulkan
Faith und Leathan: Tanz auf dem Vulkan
eBook545 Seiten6 Stunden

Faith und Leathan: Tanz auf dem Vulkan

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Über dieses E-Book

Seit Leathan, der dunkelste der Schattenfürsten, von der Herrscherin der Lichten Welt Magalie auf die Lebenden Steine verbannt wurde, ist das Leben für die Bewohner der Schattenwelt deutlich leichter. Faith und Richard haben nach ihrem Studium die Anderswelt zu ihrer Heimat gemacht und fühlen sich dort mit ihren Kindern sicher. Doch Leathan kann den Lebenden Steinen entfliehen und nimmt seinen Platz als Fürst der Schattenwelt wieder ein. Er verfällt nach und nach dem Wahnsinn. Mit seiner Rückkehr und der seines grausamen Elfen heers versinkt nicht nur sein Fürstentum immer mehr im Chaos, auch
andere Reiche der Anderswelt drohen unterzugehen. Noch einmal müssen sich Faith und Richard dem machthungrigen Fürsten stellen. Wird es ihnen dieses Mal gelingen, die Dunkle Welt von ihm zu befreien?
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum9. Mai 2020
ISBN9783752949940
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    Buchvorschau

    Faith und Leathan - Ursula Tintelnot

    Ka­pi­tel 1

    Die Rü­ck­kehr

    Aus der Fer­ne eine Ru­i­ne, glich das Bau­werk beim Nä­her­kom­men ei­ner düs­te­ren, pracht­vol­len Ka­the­dra­le. Der Wind, der sich hier nie­mals leg­te, wein­te wie ein un­tröst­li­ches, ver­las­se­nes Kind um Tür­me und Pfei­ler.

    Her­risch auf­stre­ben­de Säu­len stie­gen schein­bar bis in den Him­mel. Im­mer noch wuch­sen Mau­ern und Pfei­ler. Hun­der­te von ab­schre­cken­den moos­be­wach­se­nen Sta­tu­en und grau­si­gen, grin­sen­den Skulp­tu­ren be­setz­ten Wän­de und Ni­schen der Fas­sa­de. Die Stein­to­ten. Gräss­lich ver­zerr­te Ge­sich­ter starr­ten auf die Be­schau­er her­un­ter. Sie be­weg­ten sich, kau­er­ten auf Sim­sen und tanz­ten in Ni­schen ihre ob­szö­nen Tän­ze. Schwa­r­ze haa­ri­ge Spin­nen wo­ben ihre Net­ze in je­dem Win­kel. Un­zäh­li­ge Vö­gel nis­te­ten in dem Ge­mäu­er, über­zo­gen mit ih­rem Kot die Mau­ern mit wei­ßem Pelz. Die Tore der Au­ßen­mau­ern wa­ren mit ei­ser­nen Git­tern ver­schlos­sen.

    Die Moor­wei­ber, be­zau­bernd schö­ne Ge­stal­ten, nä­her­ten sich neu­gie­rig den Le­ben­den Steinen. Ihr Tanz im Wind war be­tö­rend. Sü­ßer Blü­ten­duft weck­te die Sin­ne, ihr sil­ber­nes La­chen, ein nicht zu be­zwin­gen­des Be­geh­ren. Das Letz­te al­ler­dings, das die Män­ner er­blick­ten, die ih­rer Be­gier­de folg­ten, war ihre wah­re Ge­stalt.

    Das sil­ber­ne La­chen wur­de zum Krei­s­chen aus zahn­lo­sen Mün­dern. Das eben noch lo­cki­ge Haar, ein Nest sich win­den­der Schlan­gen. Pu­res Grau­en. Wenn sie die Wahl ge­habt hät­ten, wä­ren ihre Op­fer lie­ber im Moor ver­sun­ken, als in den Ar­men die­ser gräss­lich stin­ken­den Schreck­ge­stal­ten jäm­mer­lich zu ver­en­den.

    Auch die Moor­wei­ber wuss­ten von der Le­gen­de: Ei­nes Ta­ges soll­ten die Stein­to­ten wie­der zum Le­ben er­wa­chen. Sie wür­den her­ab­stei­gen aus ih­rer stei­ner­nen Ge­fan­gen­schaft.

    End­lich tat sich et­was. Nach so vie­len Jah­ren, wäh­rend de­rer sich die Frat­zen und Skulp­tu­ren nur auf den Mau­ern be­wegt hat­ten, ver­schwand eine nach der an­de­ren aus den Mau­e­r­ver­tie­fun­gen, von Sim­sen und Tür­men. Ei­ni­ge be­völ­ker­ten be­reits den Park. Im­mer mehr die­ser Ge­stal­ten be­weg­ten sich um den See her­um und er­grif­fen ganz selbst­ver­ständ­lich Be­sitz von der Ebe­ne. Lea­thans dunk­le El­fen er­wach­ten zum Le­ben.

    Es schien den Moor­wei­bern, als ob die Mau­ern lang­sa­mer at­me­ten, sie stöhn­ten und keuch­ten wie eine Grei­sin mit ei­ner al­ters­schwa­chen Lun­ge. Noch im­mer ver­än­der­ten die Stei­ne ihr Aus­se­hen. Mau­ern ver­schwan­den, um wo­an­ders wie­der zu wach­sen. Lea­than und Si­be­ria wa­ren nicht mehr zu se­hen. Auch auf den Vor­sprün­gen, Tür­men und in den Er­kern konn­ten die Wei­ber sie nicht ent­de­cken.

    Er­schro­cken wi­chen sie zu­rück, als sie zor­ni­ges Ge­brüll aus dem In­ne­ren der An­la­ge ver­nah­men. Gleich dar­auf hör­ten sie das schril­le Krei­s­chen der Hexe. Kein Zwei­fel, der Fürst der Schat­ten­welt und die schwa­rz­ma­gi­sche Hexe wa­ren zu­rück. Es hör­te sich nicht so an, als habe der jah­re­lan­ge stei­ner­ne Tanz den Dun­kel­alb und Si­be­ria ver­söhnt.

    »Du hast un­se­ren Sohn ge­tö­tet, und da­für wirst du bü­ßen.«

    »Du hät­test die­sen Ver­rä­ter nie­mals aus­tra­gen dür­fen.«

    Das Ge­schrei brach ab­rupt ab.

    Die Moor­wei­ber zo­gen sich zu­rück. Sie hat­ten schon zu viel ge­hört und woll­ten nicht von Lea­than über­rascht wer­den. Vie­le Jah­re lang wa­ren das Moor und die wil­de Ge­gend um die Le­ben­den Stei­ne ver­waist ge­we­sen. Nur die Moor­wei­ber mit Her­den ver­wil­der­ter Pfer­de und den stöh­nen­den Un­to­ten auf der un­wirt­li­chen Ebe­ne. Hier­her wag­ten sich nur we­ni­ge Be­woh­ner der Schat­ten­welt, und oft ge­nug be­zahl­ten sie ih­ren Wa­ge­mut mit dem Le­ben.

    Die Mo­ri­tu­ri war­te­ten gie­rig auf le­ben­di­ge See­len, die sie um­fan­gen und in ih­ren Um­ar­mun­gen er­sti­cken konn­ten. Die­se We­sen, die so­gar den Feen und El­fen ge­fähr­lich wer­den konn­ten, be­stan­den aus ne­bel­haf­ten, stin­ken­den Häu­ten, in die sie ihre Op­fer hüll­ten, um ih­nen die See­len aus den Lei­bern zu sau­gen.

    Flie­gen

    Ma­ga­lie sah amü­siert Os­kars ver­geb­li­chen Ver­su­chen zu. Der grü­ne Glit­ter hat­te es sich in den Kopf ge­setzt, den bei­den klei­nen rot­haa­ri­gen Mäd­chen, die be­wun­dernd zu ihm auf­sa­hen, das Flie­gen bei­zu­brin­gen. Im­mer wie­der flog er auf und nie­der, in der Hoff­nung, dass Faith’s Töch­ter es ihm ir­gend­wann nach­tun wür­den. Klein Lisa konn­te auf ih­ren kur­z­en Bein­chen ge­ra­de mal ein paar Schrit­te tun, ohne hin­zu­fal­len, Lot­te war noch im Krab­bel­al­ter. Ob sie es je lern­ten? Nicht sehr wahr­schein­lich, dach­te Ma­ga­lie.

    Faith und Ri­chard wa­ren bei­de Hal­bel­fen, also tru­gen auch ihre Kin­der ein mensch­li­ches Gen in sich. Sie wand­te sich um, als sie das ver­trau­te Rau­schen hör­te.

    »Ah, Flug­stun­den, Os­kar gibt nicht auf, was?« El­sa­be grins­te. »Sei­ne Be­mü­hun­gen wer­den ja wohl eher ver­geb­lich blei­ben. Es gibt Ge­re­de, Ma­ga­lie«, sag­te sie ernst ge­wor­den und wand­te sich der Fürs­tin zu.

    »Ge­re­de?«

    Jah­re wa­ren ver­gan­gen, seit die bö­sen Ge­rüch­te über Ru­fus und sei­ne Ma­chen­schaf­ten in Um­lauf ge­kom­men wa­ren. Der Sohn Lea­thans und Si­be­ri­as hat­te ver­sucht, sich ge­gen sei­nen Va­ter zu stel­len. Lea­than hat­te nicht ge­zö­gert, den ei­ge­nen Sohn zu tö­ten.

    Si­be­ria be­schwor der Höl­le Ra­che.

    Sie­ben­ein­halb Jah­re wa­ren ver­gan­gen, seit­dem Lea­than auf den Mau­ern der Ka­the­dra­le im Moor sei­nen stei­ner­nen Tanz mit Si­be­ria ge­tanzt hat­te. Ma­ga­lie spür­te noch im­mer die Kraft des Me­dail­lons, mit des­sen Hil­fe sie den Fürs­ten der Schat­ten­welt und die schwa­rz­ma­gi­sche Hexe auf den höchs­ten Turm der Le­ben­den Stei­ne ka­ta­pul­tiert hat­te. Hier muss­te das Paar, das sich bis aufs Blut hass­te, sei­nen bi­zar­ren Tanz tan­zen. Jetzt gab es also neue Ge­rüch­te?

    »Was hast du ge­hört, El­sa­be?«

    »Du kennst die Le­gen­de, nach der die Le­ben­den Stei­ne ihre stei­ner­nen Be­woh­ner wie­der ent­las­sen?«

    »Ich habe da­von ge­hört.« Alar­miert sah Ma­ga­lie der Hexe in die blau­en Au­gen.

    »Man hört von merk­wür­di­gen Din­gen, die sich im Moor ab­spie­len. Die Mau­ern lee­ren sich, im Park und auf der Ebe­ne sind El­fen ge­se­hen wor­den. El­fen in schwa­r­zem Le­der, der Uni­form Lea­thans. Und noch et­was.« El­sa­be hielt einen Mo­ment inne. »Lea­than und Si­be­ria tan­zen nicht mehr, sie sind ver­schwun­den.«

    Blut­ro­te Wän­de

    Ri­chard hat­te es ab­ge­lehnt, in den dunk­len Räu­men sei­nes Va­ters zu re­si­die­ren. Er hielt sich lie­ber in den Räu­men auf, die er seit Kin­der­ta­gen be­wohn­te. Nach dem Stu­di­um war er in die Schat­ten­welt zu­rück­ge­kehrt, um sein Erbe an­zu­tre­ten. Er hat­te die Ver­ant­wor­tung für die dunk­le Welt nur mit sehr zwie­späl­ti­gen Ge­füh­len über­nom­men. Die blut­ro­ten Wän­de in den Räu­men sei­nes Va­ters, die fast schwa­rz wirk­ten und das we­ni­ge Licht schluck­ten, das der matt­vi­o­let­te Him­mels­kör­per über die Schat­ten­welt goss, moch­te er nicht. Nur sein Pflicht­ge­fühl zwang ihn, über die dunk­le Welt zu wa­chen.

    Maia, sei­ne Groß­mut­ter, hat­te wäh­rend sei­nes Stu­di­ums in der Wirk­lich­keit die dunk­le Welt ge­lenkt. So­lan­ge Lea­than ein Ge­fan­ge­ner sei­ner ei­ge­nen Schöp­fung, den Le­ben­den Stei­nen, war, gab es nur Ri­chard, der sei­ne Nach­fol­ge an­tre­ten konn­te.

    Seit er die Lich­te Welt Ma­ga­lies ken­nen­ge­lernt und in der Welt der Sterb­li­chen ge­lebt hat­te, fehl­ten ihm Son­ne, Fa­r­ben und Licht. Sei­ne Wur­zeln la­gen in bei­den Wel­ten, der An­ders­welt und der Welt sei­ner Mut­ter, Agnes, ei­ner Sterb­li­chen. Er war zu klein ge­we­sen, um sich an sie zu er­in­nern.

    Nach ih­rer Flucht mit ihm aus der Schat­ten­welt war sie ge­stor­ben. Lea­than hat­te ihn aus der Ob­hut sei­ner Groß­mut­ter ent­führt und mit­ge­nom­men in sei­ne dunk­le Welt.

    Der graue Wolf, der ne­ben sei­nem Ar­beit­s­tisch lag, sah ihn aus un­er­gründ­lich bern­stein­fa­r­be­nen Au­gen an und war im Bruch­teil ei­ner Se­kun­de ver­schwun­den. Be­un­ru­higt sprang Ri­chard auf. Mu­rat war oft an sei­ner Sei­te. Seit Ri­chard sei­ner Pflicht nach­ge­kom­men war, über die Schat­ten­welt zu wa­chen, war Mu­rat sein Schat­ten. Nie­mals wür­de er sich frei­wil­lig auf die­se Wei­se ent­fer­nen.

    Das konn­te nur ei­nes be­deu­ten: Der Graue muss­te dem Ruf sei­nes Herrn ge­folgt sein, und sein ei­gent­li­cher, wenn auch un­ge­lieb­ter Herr war Lea­than, Ri­chards Va­ter. An ihn war das Tier ge­bun­den, ihm muss­te es fol­gen, wann im­mer er den grau­en Wolf rief. Ein schma­les gol­de­nes Band, in sei­nem dich­ten Fell kaum wahr­nehm­bar, war das äu­ße­re Zei­chen sei­ner Un­frei­heit. So­lan­ge Lea­than ihn nicht selbst aus sei­nen Diens­ten entließ, war er ihm aus­ge­lie­fert. Kein Zwei­fel, Lea­than war zu­rück. Die Le­gen­de, schoss es Ri­chard durch den Kopf.

    In ihm strit­ten sich die wi­der­sprüch­lichs­ten Ge­füh­le. Sein Va­ter wür­de die Macht über die Schat­ten­welt wie­der be­an­spru­chen, zu Recht.

    In den Jah­ren ohne ihn war al­ler­dings ei­ni­ges an­ders ge­wor­den, bes­ser, wie Ri­chard fand. Ob Lea­than das auch so sähe? Ziem­lich un­wahr­schein­lich. Ri­chard mach­te sich Sor­gen um die Be­woh­ner sei­ner Welt, die jetzt ein we­nig sorg­lo­ser leb­ten als un­ter Lea­thans Schre­ckens­herr­schaft. Vie­le von ih­nen wa­ren nach dem gro­ßen Brand, den Ru­fus zu ver­ant­wor­ten hat­te, in die Stadt zu­rück­ge­kehrt.

    Maia und Na­than war es zu ver­dan­ken, dass die ur­al­ten Pa­läs­te der Un­ter­stadt wie­der be­wohn­bar wa­ren. Einst wa­ren sie pracht­voll ge­we­sen, jetzt wa­ren sie pas­sa­bel und im­mer­hin kom­for­t­a­bler als die elen­den Be­hau­sun­gen, die dem Brand zum Op­fer ge­fal­len wa­ren. Aber es gab auch wie­der die ärm­li­chen Hüt­ten rund um die Pa­läs­te der Un­ter­stadt.

    Vie­le wa­ren zu­rück­ge­kehrt aus den Ka­ta­kom­ben, in die Ru­fus sie ge­trie­ben hat­te, um sie an Waf­fen aus­zu­bil­den und ge­gen Lea­than zu füh­ren. Die­je­ni­gen, die sich nicht von Ru­fus hat­ten pres­sen las­sen, ka­men aus den Wäl­dern und Moo­ren, in die sie vor ihm ge­flüch­tet wa­ren.

    Da wa­ren sie wie­der, die Ar­men, die sich im Schutz der al­ten Pa­läs­te am Fuß der Fel­sen­stadt nie­der­lie­ßen. Nie­mand ver­wehr­te es ih­nen. Für Ri­chard ge­hör­ten sie zu dem Stadt­bild, das er kann­te und ak­zep­tier­te. Nie wäre er auf die Idee ge­kom­men, wie Ru­fus, die Hüt­ten nie­der­zu­bren­nen.

    Ru­fus, sein Halb­bru­der, von Lea­than, dem ei­ge­nen Va­ter um­ge­bracht. Ri­chard setz­te sich, ließ sich in sei­nem Stuhl zu­rück­sin­ken und leg­te den Kopf in bei­de Hän­de. Ihn gru­sel­te es, wenn er dar­an dach­te. Und jetzt war Lea­than zu­rück? Es konn­te kei­nen an­de­ren Grund ge­ben, war­um Mu­rat so plötz­lich ver­schwun­den war. Lea­than muss­te ihn ge­ru­fen ha­ben.

    Die Le­gen­de be­sag­te: Ei­nes Ta­ges soll­ten die Le­ben­den Stei­ne die Stein­to­ten wie­der ent­las­sen. Die­se wür­den von den Mau­ern her­un­ter­stei­gen und das alte Ge­mäu­er ver­las­sen. Um was zu tun? Ri­chard rief nach Ju­li­an. Ju­li­an war, wie auch sein Bru­der Jes­se, in der Un­ter­stadt groß ge­wor­den.

    Jah­re wa­ren ver­gan­gen, seit Maia und Na­than die Brü­der un­ter ihre Fit­ti­che ge­nom­men hat­ten. Na­than hat­te Ju­li­an zu ei­nem groß­ar­ti­gen Kämp­fer aus­ge­bil­det. Er ritt, als habe er nie et­was an­de­res ge­tan, und war ein eben­so gu­ter Schüt­ze wie Ri­chard. Ju­li­an war zu ei­nem ver­ant­wor­tungs­be­wuss­ten, in­tel­li­gen­ten jun­gen Mann ge­wor­den. Dass er aus der Un­ter­stadt kam und sein Le­ben in größ­ter Ar­mut in ei­ner der Hüt­ten dort ver­bracht hat­te, war ein Vor­teil. Er be­saß Ein­füh­lungs­ver­mö­gen und kann­te die bun­te Kli­en­tel, die sich aus Ge­setz­lo­sen, Bit­ter­ar­men, Trin­kern, Gauk­lern, Zu­häl­tern und Hu­ren zu­sam­men­setz­te. Er war, nach Na­than, der Stell­ver­tre­ter Ri­chards, wenn Ri­chard eine sei­ner zahl­lo­sen Rei­sen in die Lich­te Welt un­ter­nahm, um Faith und sei­ne Töch­ter zu se­hen.

    »Ri­chard, du hast mich ru­fen las­sen?«

    Ju­li­an war lei­se ein­ge­tre­ten. Die­se Art, ohne Ge­räusch ir­gend­wo auf­zu­t­au­chen, hat­te er Na­than ab­ge­schaut. Auch sein al­ter Lehr­meis­ter, war, trotz sei­ner Grö­ße, in der Lage, un­hör­bar zu er­schei­nen. Ju­li­an war zu ei­nem rie­si­gen Elf her­an­ge­wach­sen. Fast so groß wie Na­than, dach­te Ri­chard. Schön war nicht der rich­ti­ge Aus­druck, be­ein­dru­ckend traf es eher. Aber trotz sei­ner im­po­san­ten Sta­tur wirk­te Ju­li­an nie ge­walt­tä­tig.

    »Setz dich, Ju­li­an, wir müs­sen re­den.«

    Ju­li­an setz­te sich. »Wo ist der Graue?«

    Ri­chard teil­te sei­nem Freund sei­ne Be­fürch­tung mit, dass Lea­than den Wolf ge­ru­fen ha­ben könn­te. »Du weißt, dass Mu­rat ihm ge­hor­chen muss.«

    »Er ist ver­schwun­den, wie in den al­ten Zei­ten, in de­nen Lea­than noch nicht auf den Mau­ern sei­ner Ka­the­dra­le fest­saß. Das kann nur ei­nes be­deu­ten, mein Freund: Die Le­ben­den Stei­ne ha­ben mei­nen Va­ter ent­las­sen.«

    Ju­li­an sah be­sorgt aus. »Kei­ne gu­ten Neu­ig­kei­ten. Dem Fürs­ten wird es nicht ge­fal­len, Jes­se und mich hier vor­zu­fin­den.«

    Ri­chards La­chen klang nicht fröh­lich. »Auch ich wer­de ihm nicht ge­fal­len und noch we­ni­ger die Ver­än­de­run­gen in sei­nem Reich.«

    »Wir soll­ten erst her­aus­fin­den, ob stimmt, was du ver­mu­test, und dazu müs­sen wir …«

    »… ins Moor auf­bre­chen.« Ri­chard er­gänz­te den Satz sei­nes Freun­des.

    Ate­na

    Wie aufs Stich­wort er­schien in der Öff­nung des Licht­schachts eine wei­ße Eule. Sie trip­pel­te seit­wärts, hüpf­te auf den Bo­den und schüt­tel­te sich.

    »Sehr un­kom­for­ta­bel, die­ser Ein­stieg.« Mit run­den Au­gen fi­xier­te sie die bei­den Män­ner.

    »Gu­ten Abend, Ate­na. Es gibt hier auch so et­was wie Tü­ren.« Ri­chard grins­te.

    Die Ver­wand­lung dau­er­te kaum eine Se­kun­de. Jetzt stand sie in ih­rer wah­ren Ge­stalt vor ih­nen. Wie im­mer wirk­te sie leicht zer­zaust. Wir­res hel­les Haar, leicht ge­bo­ge­ne Nase. Ihr Ge­wand war zer­knit­tert. Klu­ger Blick aus son­nen­gel­ben Au­gen. »Gu­ten Abend, Ri­chard.« Sie nick­te Ju­li­an zu. »Maia schickt mich, sie spürt Ver­än­de­run­gen.« Wie im­mer kam sie gleich zum Punkt, ohne sich mit län­ge­ren Vor­re­den auf­zu­hal­ten. »Sie glaubt, Lea­than kommt zu­rück.«

    Die Oh­ren der Ko­bol­de vor der Tür be­weg­ten sich hek­tisch. Hier war man im­mer in Ge­fahr, be­lauscht zu wer­den. Ri­chard stand auf und schloss die Tür.

    Die ho­hen Wohn­tür­me wa­ren nach wie vor be­völ­kert von al­len We­sen der Schat­ten­welt, die sei­nem Va­ter ge­dient hat­ten. Es brumm­te wie in ei­nem Bie­nen­stock.

    Fa­ckel­tra­gen­de, un­ge­schlach­te Trol­le eil­ten durch lan­ge, nacht­schwa­r­ze Flu­re. Sie sorg­ten da­für, dass die Krea­tu­ren, die nicht, wie die Dun­kel­al­ben, mit Kat­ze­n­au­gen ge­bo­ren wor­den wa­ren, ih­ren Weg durch die­se Düs­ter­nis fan­den.

    Es gab Zwer­ge und Ko­bol­de.

    Es wa­ren nicht die Zwer­ge der Lich­ten Welt, die un­ter der Erde nach leuch­ten­den Edel­stei­nen gru­ben. Hier wa­ren sie Die­ner der He­xen und Feen, wie auch die Ko­bol­de und Trol­le. Mit ih­ren spit­zen be­haar­ten Oh­ren, den run­den wim­pern­lo­sen Au­gen und den stark aus­ge­präg­ten O-Bei­nen, die in pel­zi­gen Fü­ßen mit Kral­len en­de­ten, sa­hen die Ko­bol­de aus wie selt­sa­me Tie­re.

    Ri­chard hat­te nicht ein­mal die He­xen, die der schwa­r­zen Ma­gie mäch­tig wa­ren, hin­aus­ge­wor­fen.

    »Be­hal­te sie in der Fel­sen­burg«, hat­te Maia ihm ge­ra­ten, »dann hast du sie im Blick. Du kannst sie len­ken und kon­trol­lie­ren.« Sei­ne Groß­mut­ter war ein klu­ges Weib.

    Als er die Herr­schaft über­nahm, bat er die schwa­r­ze Eter­ni­ta, Si­be­ri­as Nach­fol­ge­rin, zu sich. »Du und dei­ne Schwes­tern kön­nen blei­ben. In Zu­kunft wird eure Auf­ga­be sein, Kran­ke zu hei­len und ver­letz­te El­fen zu ver­sor­gen.«

    »Das war im­mer un­se­re Auf­ga­be.«

    »Rich­tig, aber jetzt wer­det ihr auch den Kran­ken au­ßer­halb der Fel­sen­burg hel­fen.«

    Fra­gend hob die Hexe die Brau­en. »Al­len?«

    »Al­len, die Hil­fe brau­chen. Das schließt auch die Ar­men der Un­ter­stadt ein.«

    Eter­ni­ta hat­te ihn lan­ge an­ge­se­hen und dann zu­rück­hal­tend ge­nickt.

    Ri­chard ver­schloss sei­ne Ge­dan­ken vor der Hexe. Er dach­te: Je mehr sie zu tun hät­te, des­to we­ni­ger Zeit blie­be ihr für ihre schwa­r­ze Ma­gie.

    Ate­na riss ihn aus sei­nen Ge­dan­ken. »Ri­chard?«

    Ihr Plan war, die Le­ben­den Stei­ne auf­zu­su­chen. Nur Ri­chard, Ju­li­an und sie, Ate­na, mit ein paar El­fen. »Ich ken­ne mich aus, war schon ein­mal da und kann euch auf Ge­fah­ren aus der Luft schnell auf­merk­sam ma­chen.«

    Sie dach­te an die Tot­ge­weih­ten, die in ih­ren pa­pier­dün­nen Häu­ten den Le­ben­den nach­stell­ten, um ih­ren Atem zu trin­ken, ih­nen die See­len zu steh­len. An die gräss­li­chen Moor­wei­ber, de­ren Lock­ru­fen nur die Stärks­ten wi­der­ste­hen konn­ten. Die Sümp­fe und Moo­re wa­ren für die Rei­ter eine zu­sätz­li­che Ge­fahr. Ein Fehl­tritt, und sie ver­san­ken in schmat­zen­dem Mo­rast. Das Moor hol­te sich sei­ne Op­fer und ließ sie nie wie­der los. Un­wi­der­steh­lich sog der Sumpf und schloss sich er­bar­mungs­los über ih­nen. Schwa­r­ze Ma­den in schwa­r­zem Was­ser.

    Ri­chard dach­te nach. Nichts zog ihn zu­rück in die­se un­wirt­li­che Ge­gend. Dort hat­te er eine sei­ner schlimms­ten Er­fah­run­gen ge­macht. Ihn schau­der­te, wenn er an die Schmer­zen dach­te, die sein Va­ter ihm am Ende des Mas­ken­fes­tes zu­ge­fügt hat­te.

    Da­mals hat­te Ma­ga­lie ihn ge­ret­tet und Lea­than mit Si­be­ria und sei­nen krie­ge­ri­schen El­fen zu Stein­to­ten wer­den las­sen.

    Und nun schien es, als ob … Er moch­te nicht dar­an den­ken, dass Lea­than sei­ne Schre­ckens­herr­schaft wie­der an­tre­ten und Ra­che an all je­nen üben wür­de, die mit sei­ner mehr als sie­ben Jah­re an­dau­ern­den Ver­ban­nung zu tun hat­ten.

    Om­bra

    Der Him­mel über ihr bil­de­te einen azur­blau­en, schim­mern­den Bo­gen.

    Die Stu­te flog mit Faith da­hin. Ihre hel­le Mäh­ne flat­ter­te im Wind wie die ro­ten Haa­re ih­rer Rei­te­rin. Sie hat­te die Stu­te Om­bra ge­tauft, was so viel be­deu­te­te wie Schat­ten oder auch Schutz. Das Tier war ein Ge­schenk Ma­ga­lies, un­fass­bar schnell. Die Stu­te be­herrsch­te die Kunst, sich mit sei­ner Rei­te­rin dem Auge des Be­trach­ters zu ent­zie­hen wie ein zer­rin­nen­der Ne­bel­streif. Wenn sie Om­bra rief, er­schien die Stu­te, egal wo sie sich auf­hielt.

    »Falls du in Ge­fahr ge­rätst, wird sie dir nütz­lich sein.«

    Faith lä­chel­te. Ihre Mut­ter hör­te nie auf, sich Sor­gen zu ma­chen, ob­wohl sie wuss­te, dass Faith’s ma­gi­sche Fä­hig­kei­ten in­zwi­schen ge­wach­sen wa­ren. Sie konn­te ganz gut auf sich selbst auf­pas­sen.

    Aber sie lieb­te Om­bra, die ihre Wün­sche zu er­ra­ten schien. Pferd und Rei­te­rin wirk­ten wie eine un­trenn­ba­re Ein­heit. Seit Lea­than nicht mehr sei­nem Ehr­geiz frö­nen konn­te, Fürst der ge­sam­ten An­ders­welt zu wer­den, war das Le­ben ru­hi­ger ge­wor­den. Ihre Ge­dan­ken wan­der­ten zu Ri­chard. Sie ver­miss­te ihn.

    Faith wuss­te, wie schwer es ihm fiel, in der dunk­len Welt sei­nes Va­ters zu le­ben.

    Om­bra trab­te mun­ter in der Son­ne an den Rän­dern der Obst­plan­ta­gen ent­lang. Sie hör­te das Ge­läch­ter und die Rufe der Feen und Glit­ter, die bei der Ern­te ha­l­fen. Faith hät­te den An­blick des Lichts und die Fa­r­ben, die sich vor ihr aus­brei­te­ten, ger­ne mit ih­rem Mann ge­teilt.

    Sie konn­te Ri­chard vor sich se­hen, in sei­ner düs­te­ren Fel­sen­burg, im schwa­chen Schein ei­nes vi­o­let­ten Him­mels­kör­pers. Statt der über­vol­len Obst­bäu­me gab es dort un­ten nur grau­en Stein und die­ses schreck­li­che La­by­rinth mit sei­nen töd­li­chen Schling­pflan­zen und den ab­sto­ßen­den Klap­pe­rern, die sich in die Oh­ren ih­rer Op­fer bohr­ten, um ih­nen das Ge­hirn aus­zusau­gen.

    Ri­chard war es nicht ge­lun­gen, die­sen grau­en­vol­len Gar­ten, dem Frem­de nie­mals le­bend ent­ka­men, zu ent­fer­nen. Das La­by­rinth war ei­ner von Lea­thans bö­sen Strei­chen, und nur er konn­te es zum Ver­schwin­den brin­gen.

    Um die­sem teuf­li­schen Gar­ten die Macht zu neh­men, ließ Ri­chard in den Näch­ten hel­le Feu­er bren­nen. Licht wehr­te die Klap­pe­rer ab und nahm den Gift­pflan­zen die Kraft.

    Faith hat­te ein leich­tes Knacken ge­hört. Sie horch­te. Nein, jetzt blieb al­les still, nichts reg­te sich. Ei­ner der klei­nen Glit­ter, der sich einen Spaß mit ihr mach­te? Die­se grü­nen Ge­sel­len wa­ren ver­spielt, im­mer auf Spaß aus, und sie klau­ten al­les, was ih­nen in die Fin­ger fiel. Glit­ter wa­ren ein fröh­li­ches Volk von Die­ben.

    Es lag ih­nen im Blut, al­les zu neh­men, was ih­nen ge­fiel. Aber sie be­hiel­ten nichts. Al­les, was sie stahlen, ga­ben sie wie­der her oder ver­schenk­ten es groß­zü­gig. Die­se klei­ne­re Art von El­fen be­weg­te sich in der Luft und konn­te fast un­sicht­bar wer­den.

    Lang­sam ritt sie wei­ter. Aber sie blieb auf der Hut. In den letz­ten Jah­ren hat­te sich ihr In­stinkt ge­schärft. Ein Glit­ter hät­te sich längst ki­chernd be­merk­bar ge­macht. Im Azur­blau des Him­mels schie­nen graue Schlie­ren auf, ver­weh­ten und er­schie­nen an an­de­ren Stel­len er­neut. Die He­xen flie­gen, dach­te sie. War­um?

    Sie sah hin­über zum Eis­see. Dort­hin war sie un­ter­wegs. Alle Feen lie­fen be­geis­tert Schlitt­schuh. Auch sie selbst. Sie zog die Zü­gel an und lausch­te.

    Der See im Bir­ken­wäld­chen vor ihr war zu al­len Jah­res­zei­ten eine spie­gel­glat­te Flä­che. Jetzt hör­te sie es wie­der, die­ses lei­se Knacken. Wie ein schnell wach­sen­des Spin­nen­netz über­zo­gen scha­r­fe Ris­se die ma­kel­lo­se Spie­gel­flä­che. Kein Zwei­fel, das Eis brach. Aus den Spal­ten quoll eine dunk­le Mas­se, dick wie Blut, von dunk­lem Rot. Die Eis­flä­che ver­wan­del­te sich vor ih­ren Au­gen in einen mo­ras­ti­gen Sumpf. Köp­fe ho­ben und senk­ten sich, blin­de Au­gen­höh­len, auf­ge­ris­se­ne zahn­lo­se Mün­der.

    Sie schna­lz­te mit der Zun­ge. Om­bra setz­te sich wie­der in Be­we­gung. Am Ran­de des Sees stieg Faith ab. Sie knie­te nie­der und streck­te die Hand aus. Et­was sag­te ihr, dass das, was sie sah, nicht mit der Wirk­lich­keit über­ein­stimm­te. Sie hat­te das Ge­fühl, von au­ßen ma­ni­pu­liert zu wer­den. Das hat­te schon ein­mal je­mand ver­sucht. Da­mals war sie ge­wapp­net ge­we­sen. Lea­than hat­te es nicht ge­schafft, in ihre Ge­dan­ken ein­zu­drin­gen.

    Aber jetzt, nach­dem von dem Dun­kel­al­ben lan­ge Jah­re kei­ne Ge­fahr mehr aus­ge­gan­gen war, war sie nach­läs­sig ge­wor­den. Sie be­rühr­te die Ober­flä­che vor ihr und spür­te … ei­si­ge Käl­te. Gleich­zei­tig ge­wann die Eis­flä­che ihre Fes­tig­keit wie­der, vom blut­ro­ten Mo­rast war nichts mehr zu se­hen.

    Faith er­hob sich.

    Ihr war kalt, aber nicht von der Be­rüh­rung mit der ei­si­gen Flä­che vor ihr. War Lea­than zu­rück?

    Sie sah hin­auf zum Him­mel. Sie ahn­te, dass der Flug der He­xen mit der Rü­ck­kehr des dunk­len Fürs­ten zu tun hat­te. Mei­ne Kin­der wer­den nicht mehr si­cher sein, dach­te sie. Wir alle wer­den nicht mehr si­cher sein.

    Om­bra, flieg. Die Stu­te flog da­hin. Vor­bei an den Plan­ta­gen, über ab­ge­ern­te­te Äcker, Wei­den und grü­ne Wie­sen. Sie setz­te über Zäu­ne, ge­fal­le­ne Baum­stäm­me und klei­ne Bä­che. Faith ge­noss die­sen Ritt, trotz der Furcht, die sie emp­fand.

    End­lich tauch­te die ver­wa­sche­ne, zart­ro­sa ge­stri­che­ne Fas­sa­de vor ihr auf. Leuch­tend in der Son­ne wie die Mor­gen­rö­te.

    Den lang ge­zo­ge­nen Mit­tel­teil des drei­stö­cki­gen Haupt­ge­bäu­des flan­kier­ten links und rechts zwei nied­ri­ge­re Sei­ten­flü­gel, de­ren Mau­ern hin­ter zar­ten Ro­sen­ran­ken so gut wie un­sicht­bar wa­ren.

    Ihr neu­es Zu­hau­se war wun­der­schön. Sie hör­te die hel­len Stimm­chen ih­rer Töch­ter, be­vor sie die bei­den er­blick­te. Die Fon­tä­nen der Brun­nen vor den Sei­ten­flü­geln plät­scher­ten. Aus der Kü­che kam Ge­läch­ter.

    Sie such­te am Him­mel nach ei­nem Zei­chen. Aber er zeig­te sich in strah­len­dem Blau. Hat­te sie sich ge­irrt? Be­deu­te­te es, von El­sa­be nichts zu hö­ren, dass al­les in Ord­nung war? Sie zit­ter­te.

    Faith sprang vom Pferd und warf die Zü­gel ei­nem vor­bei­lau­fen­den Elf zu, der sie ge­schickt, aber auch er­staunt auf­fing. Faith küm­mer­te sich nach dem Rei­ten grund­sätz­lich selbst um ihre Stu­te.

    Sie eil­te in die Rich­tung, aus der Lot­tes und Li­sas Stim­men ka­men. Als sie sah, mit wem Ma­ga­lie sprach, wur­de ihr klar, dass sie sich nicht ge­täuscht hat­te. El­sa­be sah ihr ernst ent­ge­gen.

    »Du weißt es schon, nicht wahr?«

    »Ich fürch­te es. Ist Lea­than zu­rück?«

    »Alle Zei­chen spre­chen da­für. Aber Ge­wiss­heit ha­ben wir erst, wenn Ri­chard …«

    »Nein! Ich will nicht, dass er ins Moor geht.« Faith hob Lot­te auf die Hüf­te und drück­te sie an sich.

    »Er ist schon ge­gan­gen.«

    Ma­ga­lie be­trach­te­te ihre Toch­ter. Sie frag­te sich nicht zum ers­ten Mal, ob ihre Ent­schei­dung, in der An­ders­welt zu le­ben, rich­tig war. War sie stark ge­nug, hier zu le­ben? In der Men­schen­welt bei ih­rem Va­ter auf­ge­wach­sen, ge­hör­te Faith ei­gent­lich nicht hier­her.

    Ich wür­de furcht­bar lei­den, wenn sie in ihre Welt zu­rück­kehr­te, dach­te sie. Auch auf mei­ne En­kel­töch­ter müss­te ich ver­zich­ten.

    Sie fing El­sa­bes mit­füh­len­den Blick auf. Die Hexe hat­te ihre Ge­dan­ken ge­le­sen.

    Sie sag­te: »Wir müs­sen wach­sam sein.«

    Ma­ga­lie sah ihr nach, bis die zar­ten grau­en Schlie­ren am Him­mel nicht mehr zu se­hen wa­ren.

    Dunk­les Moor

    Ri­chard sah sich nach sei­nen Ge­fähr­ten um. Un­durch­dring­li­che, sta­che­li­ge Weiß­dorn­he­cken, Rie­sen­blät­ter­knol­len­pil­ze, schwa­r­ze gif­ti­ge Toll­kir­sche, tote Stäm­me, um die sich Baum­schlan­gen wan­den, gif­ti­ge Mam­bas im Däm­mer­licht. Der Schrei der Käuz­chen im Dun­keln war un­heim­lich. Dies war sei­ne Welt, die Welt sei­ner Kind­heit, die er eben­so we­nig lieb­te wie sei­nen Va­ter.

    Er war so oft von ihm ge­zwun­gen wor­den, Din­ge zu tun, die er nicht woll­te, die er ver­ab­scheu­te. Er dach­te an die Bä­ren­hatz, an Aus­peit­schun­gen, die aus ei­nem klei­nen Jun­gen einen Mann ma­chen soll­ten. Der kal­te Fürst die­ses dunk­len Rei­ches, ein Elf von gro­ßer ma­gi­scher Kraft, war ge­walt­tä­tig und si­cher ei­ner der am we­nigs­ten ge­lieb­ten, ja, ei­ner der grau­sams­ten Herr­scher der letz­ten Jahr­hun­der­te.

    Ei­ni­ge der El­fen, die ihn ins Moor be­glei­te­ten, hat­ten schon Lea­than ge­dient. Aber die Mehr­zahl der Män­ner sei­nes Va­ters war nach dem Mas­ken­fest zu­sam­men mit ihm von Ma­ga­lie auf die Le­ben­den Stei­ne ge­bannt wor­den. Auch Kas­tor, ihr An­füh­rer.

    Ri­chard fürch­te­te die Rü­ck­kehr Lea­thans nicht so sehr für sich selbst, er fürch­te­te für das, was er ge­schaf­fen hat­te. Die Dun­kel­welt war in Ab­we­sen­heit des Fürs­ten ein we­nig bes­ser ge­wor­den. Das wür­de sei­nem Va­ter ganz und gar nicht ge­fal­len.

    Co­ro­ne, sei­ne Stu­te war ner­vös. Die Rei­ter hiel­ten sich dicht hin­ter ihm. Er hat­te sie ge­warnt: »Ein falscher Tritt kann für je­den von uns das Ende be­deu­ten. Und hal­tet nie­mals an, wenn die Moor­wei­ber euch lo­cken. Auch sie tra­gen den Tod in sich. Ihr wür­det ster­ben.«

    Ri­chard ritt ans Ende der Ka­val­ka­de. Bis jetzt hat­ten sie Glück ge­habt. Ei­ni­ge sei­ner Be­glei­ter wa­ren noch nie hier ge­we­sen. Er woll­te si­cher­ge­hen, dass sie sich an die Vor­schrif­ten hiel­ten. Es war ab­so­lut not­wen­dig, kei­nen Schritt von die­sem Weg ab­zu­wei­chen. Das Stöh­nen der To­ten im Moor be­glei­te­te die Rei­ter kla­gend und schau­e­r­lich zu­gleich. Hier war kei­ner, der sich nicht wünsch­te, wo­an­ders zu sein. Ri­chard spür­te die An­we­sen­heit der Tod­ge­weih­ten, die in ih­ren pa­pier­dün­nen Häu­ten den Le­ben­den nach­stell­ten, um ih­ren Atem zu trin­ken. Das we­ni­ge Licht ver­lor sich im Schlamm.

    Der fast un­hör­ba­re Flug der wei­ßen Eule über ihm ließ ihn auf­bli­cken. Ate­na lan­de­te auf ei­nem ab­ge­stor­be­nen Baum am Ran­de des Weges.

    »Ihr müsst vor­sich­tig sein. Ich habe die Mo­ri­tu­ri ge­ro­chen. Sie sind in der Nähe.«

    Er nick­te und sah nach vor­ne, wo Eter­ni­ta mit zwei ih­rer Schwes­tern zwi­schen den El­fen ritt. Er hat­te die He­xen we­gen ih­rer Heil­küns­te mit­ge­nom­men, re­de­te er sich ein. In Wahr­heit mach­te er sich Sor­gen, dass sei­ne ei­ge­nen Fä­hig­kei­ten nicht aus­reich­ten, sich und sei­ne Män­ner zu schüt­zen.

    »Schnel­ler, be­eilt euch.«

    Ri­chard trieb Co­ro­ne vor­wärts, ga­lop­pier­te an sei­nem Tross vor­bei wie­der an die Spit­ze des Zu­ges. Aber er blieb wach­sam, ach­te­te auf den Weg.

    Der Ge­stank der Tod­ge­weih­ten stieg jetzt al­len in die Nase. Einen der jün­ge­ren El­fen pack­te das Grau­en. Er über­hol­te Ri­chard und zwang den Rap­pen, der vol­ler Furcht nach hin­ten aus­trat, vor­wärts. Der Jun­ge stürz­te und lan­de­te im Mo­rast.

    Ri­chard zü­gel­te Co­ro­ne. In ei­ner flie­ßen­den Be­we­gung sprang er vom Pferd, schnapp­te sich einen der her­um­lie­gen­den Äste und warf sich mit weit vor­ge­streck­ten Ar­men auf den Bauch. Der Bur­sche steck­te bis zu den Hüf­ten im Moor. Er starr­te wie pa­ra­ly­siert ins Lee­re. Ri­chard brüll­te. »Nimm den Stock, ver­dammt noch mal. Wach auf.«

    Un­ter ihm blub­ber­te es, der stin­ken­de Tüm­pel leck­te be­reits an sei­nen Ar­men. Ate­na sah Ri­chards Not. Er woll­te nicht los­las­sen, sei­nen Ge­fähr­ten ret­ten. Welch ein Idi­ot, dach­te die Eu­le­nel­fe. Ri­chard wird mit ihm un­ter­ge­hen.

    In we­ni­gen Mi­nu­ten wäre der jun­ge Elf im Mo­rast ver­sun­ken. Sie flog schnell und tief, schlug dem Kerl ihre Flü­gel um die Oh­ren.

    »Be­weg dich, du Pin­sel«, kreisch­te sie. »Oder willst du, dass dein Fürst mit dir im Moor ver­sinkt?«

    End­lich griff der Jun­ge zu. Mit letz­ter Kraft zog Ri­chard den Ast zu sich her­an. Ver­schlammt, aber am Le­ben, zerr­te er den Jun­gen aus dem Sumpf.

    »Du hast gut dar­an ge­tan, Eter­ni­ta mit­zu­neh­men«, hör­te er Ate­n­as raue Stim­me, als er wie­der zu Atem kam. Sie hat die Mo­ri­tu­ri ab­ge­wehrt. Das nächs­te Mal lässt du den Kerl im Moor. Es ist un­nö­tig, sich in Ge­fahr zu brin­gen.«

    »Dan­ke, Ate­na, für dei­ne Hil­fe.« Er grins­te.

    Sie brum­mel­te un­wil­lig. Er hör­te Wor­te wie, er­sau­fen las­sen und un­be­lehr­bar.

    Wie alle We­sen der An­ders­welt war auch sie der An­sicht, dass man dem Moor las­sen soll­te, was sich dort hin­ein ver­irr­te. Wer so dumm war, je­man­den ret­ten zu wol­len, wur­de meist selbst ein Op­fer.

    Aber es war un­ge­schrie­be­nes Ge­setz, dass der Ge­ret­te­te und der Ret­ter für im­mer für­ein­an­der ver­ant­wort­lich wa­ren. Von nun an war es Ri­chards Pflicht, das Le­ben des Jün­ge­ren zu schüt­zen und um­ge­kehrt. Sie wa­ren von nun an un­um­kehr­bar Brü­der.

    Von den Moor­wei­bern war nichts zu se­hen.

    Die Ru­i­ne, die sie Tage spä­ter aus der Fer­ne er­blick­ten, wuchs schein­bar mit je­dem Me­ter, den sie zu­rück­leg­ten. Eine lan­ge Rei­he schnee­wei­ßer Bö­gen bil­de­te die äu­ße­re Mau­er. Ei­ner nach dem an­de­ren wölb­te sich vor ih­ren un­gläu­bi­gen Bli­cken em­por. Je nä­her sie ka­men, des­to mehr wur­de die Ru­i­ne zu ei­nem prot­zi­gen Pa­last. Aus brö­ckeln­den Stei­nen scho­ben sich acht schlan­ke Tür­me. Am Ran­de des Wal­des hob Ri­chard die Hand.

    Nur noch die Ebe­ne lag zwi­schen ihm und dem ge­wal­ti­gen Bau. Der Weg war un­eben und ge­fähr­lich. Tie­fe Lö­cher wech­sel­ten mit manns­ho­hen Fels­bro­cken und feuch­ten Mul­den. Die Tie­re konn­ten je­der­zeit stür­zen.

    »Ihr bleibt hier. Ich wer­de …«

    »Nein, Ri­chard. Ich ken­ne den Park, der den Pa­last um­gibt. Und jetzt am Abend wird sich nie­mand über eine Eule wun­dern.«

    Ohne auf sei­ne Ant­wort zu war­ten, flog Ate­na hoch. Nach we­ni­gen Au­gen­bli­cken war sie in der Däm­me­rung ver­schwun­den.

    Ka­pi­tel 2

    Moor­wei­ber

    In dem gro­ßen Raum, des­sen Fens­ter­tü­ren zum Park hin­aus führ­ten, lärm­ten die Dun­kel­al­ben Lea­thans.

    Sie ge­nos­sen die ge­won­ne­ne Frei­heit. Kas­tor, ihr An­füh­rer, brüs­te­te sich da­mit, dass er mehr Wild­p­fer­de ein­ge­fan­gen hat­te, als je­der an­de­re der El­fen. Es wa­ren raue, im­mer in Schwa­rz ge­klei­de­te Ge­sel­len mit selt­sam to­ten Au­gen, gut aus­ge­bil­de­te El­fen, die sich ohne Skru­pel nah­men, was sie be­gehr­ten. Sie tran­ken mehr, als ih­nen gut tat. Aber ih­nen fehl­ten die Wei­ber.

    Ma­ga­lie hat­te, au­ßer der Hexe Si­be­ria, kei­ne der Feen zum Stein­tod ver­dammt. Die Wei­ber wa­ren alle mit Na­than und Maia in die Fel­sen­burg zu­rück­ge­kehrt.

    Die Feen wa­ren schön, ver­füh­re­risch, in­tri­gant und ver­wöhnt. Köst­li­che Be­loh­nung für die Män­ner, die nach der Jagd oder wäh­rend der durch­zech­ten Näch­te Ent­span­nung such­ten. Sie fehl­ten jetzt den Män­nern.

    Ate­na über­flog die Um­ge­bung. Sie sah Wild­p­fer­de, die ein­ge­pfercht hin­ter dem Pa­last stan­den. So schön wie die durch­weg schwa­r­zen Pfer­de, die Lea­than nor­ma­le­r­wei­se be­vor­zug­te, wa­ren sie nicht. Ge­schieht euch recht, dach­te sie. Vier ge­lang­weil­te Wa­chen um­run­de­ten den Pferch.

    Kei­ner nahm die wei­ße Eule wahr, die sich un­hör­bar auf ei­ner Mau­er im Park nie­der­ließ. Sie leg­te die Flü­gel an, trip­pel­te ein we­nig hin und her und leg­te den Kopf schief, um bes­ser in den hell er­leuch­te­ten Saal hin­ein­schau­en zu kön­nen. »War­um braucht ihr Fle­gel so viel Licht«, grum­mel­te sie. »Wäre bes­ser, man könn­te euch Ker­le gar nicht se­hen. Ver­bre­cher­vi­sa­gen.«

    Aber ei­ner er­spür­te sie doch. Mu­rat lag un­ter Lea­thans Stuhl. Der graue Wolf ver­schmolz bei­na­he mit dem Stein des Bo­dens. In Lea­thans Ge­gen­wart mach­te er sich so un­auf­fäl­lig wie mög­lich. Sein Herr war un­be­re­chen­bar, jäh­zor­nig und grau­sam. Da drau­ßen war Ri­chard. Er hat­te ihn längst ge­wit­tert. Mu­rat be­ob­ach­te­te die Eule. Sie hüpf­te auf den Weg, dann war sie nicht mehr zu se­hen.

    Das Licht aus den Fens­tern mal­te un­re­gel­mä­ßi­ge Mus­ter auf die von me­tal­le­nen Feu­er­kör­ben ge­säum­ten Wege, Kör­be, in de­nen dun­kel­ro­te Glut glomm. Das kleb­rig süße Pa­r­fum lack­schwa­r­zer Li­li­en ver­gif­te­te die Luft.

    Der See lag still und dun­kel da. Eine di­cke Schicht fau­li­ger Blät­ter wa­ber­te auf dem Was­ser. Hier hat­te sich we­nig ver­än­dert. Sie er­kann­te, war­um die Moor­wei­ber auf ih­rem Weg hier­her nicht zu se­hen ge­we­sen wa­ren. In den Bü­schen rund um den See, im Wald da­hin­ter hör­te sie die neu­gie­ri­gen Wei­ber. Mit ih­ren Eu­le­noh­ren hör­te Ate­na je­des noch so lei­se Ge­räusch, und ihre scha­r­fen Au­gen er­kann­ten sie in ih­ren Ver­ste­cken. Sie wür­den sich an die El­fen her­an­ma­chen, wenn sie die Chan­ce dazu be­kä­men. Mit ih­rem zau­ber­haf­ten Aus­se­hen wür­den sie einen der Ker­le ver­füh­ren, einen gab es im­mer, der sich nicht be­herr­schen konn­te. Him­mel, wa­ren die­se Bur­schen dumm. Die Eule roll­te mit den Au­gen, wenn sie dar­an dach­te, wie scheuß­lich ob­szön die­se Schlam­pen aus­sa­hen, wenn sie tö­te­ten.

    Ate­na dreh­te in der Nähe ei­ner ge­öff­ne­ten Tür den Kopf um hun­dert­acht­zig Grad. Sie woll­te hö­ren und se­hen, was Lea­than und sei­ne An­hän­ger aus­heck­ten. Aber vor­läu­fig hör­te sie nur ihr Ge­grö­le und das ty­pi­sche Ge­ha­be, mit dem ei­ner den an­de­ren über­trump­fen woll­te. Als ei­ner der El­fen die Tür schloss, um­gab sie eine un­heim­li­che Stil­le.

    Sie frag­te sich, wo Si­be­ria war. Vor ihr muss­te sie sich in Acht neh­men. Die Hexe könn­te er­ken­nen, dass sie es nicht mit ei­ner ge­wöhn­li­chen Eule zu tun hat­te.

    Plötz­lich wuchs ein Laut em­por, schwoll an zu ei­nem bes­ti­a­li­schen, ge­quäl­ten Schrei. Der Schrei ei­nes zu Tode ge­pei­nig­ten, ver­letz­ten Tie­res. Wer ihn hör­te, wür­de ihn nie mehr ver­ges­sen. Ate­na er­kann­te in ihm ein Fle­hen um Er­bar­men, um Er­lö­sung. Sie hat­te ge­hofft, ihn nie mehr wie­der zu hö­ren. Sie flog hoch und nahm Kurs in sei­ne Rich­tung.

    Sie ahn­te, was ge­ra­de ge­sche­hen war.

    Einen gab es im­mer, dach­te sie wie­der.

    Sie schweb­te über dem Ge­he­ge der Wild­p­fer­de, das von den vier El­fen be­wacht wor­den war. Drei von ih­nen stan­den in ei­ner Art Schock­star­re und blick­ten hin­über zum Moor.

    Sie lan­de­te in ei­nem Er­ker, als das Ei­sen­git­ter des Pa­las­tes sich äch­zend hob.

    Si­be­ria war noch vor Lea­than und sei­nen Dun­kel­al­ben am Pferch.

    »Sie wer­den dir nicht mehr nütz­lich sein«, sag­te sie. »Sie ha­ben zu viel ge­se­hen.«

    Ri­chard hat­te ein Ver­steck ge­fun­den. Weit ge­nug ent­fernt, aber nah ge­nug, um das Ge­sche­hen vor dem Pa­last zu be­ob­ach­ten und zu be­lau­schen. In ei­ner grau­en Wol­ke er­schien sein Va­ter. Hin­ter ihm die El­fen. Sie sind alle wie­der da, dach­te er. Auch Kas­tor. Der bul­li­ge Kerl war nicht zu über­se­hen.

    Drei­mal hin­ter­ein­an­der blitz­te es in der Dun­kel­heit auf. Drei­mal hob sich sil­ber­ner Staub. Lea­than wisch­te das Sti­lett an sei­nem Stie­fel ab, schob es zu­rück in sei­nen Gür­tel und wand­te sich zu den El­fen um.

    »Du und ihr drei wer­det die Pfer­de be­wa­chen. Und wenn ihr so dumm seid, wie eure Kum­pa­ne«, er klopf­te ge­gen das sil­ber­ne Sti­lett, »wer­det ihr den glei­chen Weg ge­hen, wie die, die ge­ra­de von uns ge­gan­gen sind.«

    Er ging da­von, ohne sich noch ein­mal um­zu­dre­hen. Aber Si­be­ria be­weg­te sich nicht. So geh doch, fleh­te Ri­chard in­ner­lich, bit­te geh! Er fürch­te­te ih­ren In­stinkt. End­lich dreh­te sie sich um und folg­te den an­de­ren. Sie hat­te in sei­ne Rich­tung ge­schaut. Hat­te sie ihn wahr­ge­nom­men? Wenn ja, war­um hat­te sie ihn nicht ver­ra­ten?

    Sein Va­ter war zu al­lem fä­hig. Eine alte kind­li­che Furcht stieg in ihm hoch. Er hat­te ge­glaubt, sie über­wun­den zu ha­ben. Ohne zu zö­gern, hat­te Lea­than wie­der ge­tö­tet, mit die­ser von den Ar­ti­sa­nen her­ge­stell­ten Stich­waf­fe. Durch den Fluch der He­xen war sie zu ei­ner töd­li­chen Waf­fe ge­wor­den, für alle, au­ßer für die He­xen selbst.

    Buße

    Si­be­ria lä­chel­te. Ein bö­ses Lä­cheln. Nein, sie wür­de Lea­than nicht sa­gen, dass Ri­chard in der Nähe war und si­cher al­les ge­hört und ge­se­hen hat­te. Sie wuss­te, dass er ein un­ge­wöhn­lich gu­tes Ge­hör be­saß. Der Sohn des Fürs­ten konn­te über Ki­lo­me­ter hin­weg Ge­räu­sche ver­neh­men. Sie dach­te an ih­ren ei­ge­nen Sohn, Ru­fus. Ri­chards Halb­bru­der.

    Ihr ge­mein­sa­mer Sohn muss­te ster­ben, ge­tö­tet vom ei­ge­nen Va­ter. Wenn be­kannt ge­wor­den wäre, dass Lea­than sich mit ei­ner schwa­rz­ma­gi­schen Hexe ein­ge­las­sen hat­te, ein ab­so­lu­ter Ta­bu­bruch, wäre er aus­ge­schlos­sen wor­den aus der Ge­mein­schaft, hät­te al­les ver­lo­ren. Am Ende wa­ren sie bei­de be­straft wor­den, mit vie­len Jah­ren als Stein­to­te auf dem Ge­mäu­er, auf das sie jetzt wie­der zu­schritt. Im Ver­hält­nis zu mei­nem bei­na­he end­lo­sen Le­ben, dach­te sie, kei­ne wirk­lich lan­ge Zeit, aber eine un­er­träg­li­che De­mü­ti­gung.

    Für den Mord an ih­rem Sohn muss­te Lea­than noch bü­ßen. Er soll­te auch Ri­chard tö­ten, da­für woll­te sie sor­gen. Ihre Ra­che wür­de fürch­ter­lich sein. Sie hass­te Ri­chard nicht, den­noch wür­de sie ihn op­fern für ihre Ra­che an Lea­than.

    »Wir soll­ten auf­bre­chen«, sag­te sie, »wenn du nicht alle dei­ne Män­ner auf die­se Wei­se ver­lie­ren willst. Den Ker­len feh­len die Wei­ber.« Sie lach­te auf. »Und dir ver­mut­lich auch.«

    Lea­than sah sie ver­ächt­lich an. Aber es stimm­te. Er woll­te Aglaia, die schöns­te un­ter den Feen. Milch­wei­ße Haut, dich­tes glat­tes Haar, glän­zend schwa­rz wie Ra­ben­flü­gel, mit ver­schie­den­fa­r­bi­gen Au­gen, die ihr Ge­gen­über nie­mals rich­tig wahr­zu­neh­men schie­nen. Sie ge­stat­te­te kei­nem der dunk­len El­fen au­ßer ihm, sich ihr zu nä­hern. Un­ter­wür­fig war sie, eine leich­te Beu­te. Und sie war schwan­ger von ihm ge­we­sen. Was war aus die­sem Kind ge­wor­den?, frag­te er sich mit mä­ßi­gem In­ter­es­se.

    In Wahr­heit gab es nur eine, die für ihn zu ei­ner Ob­ses­si­on ge­wor­den war, Ma­ga­lie. Ihre Zu­rück­wei­sung war eine schwä­ren­de Wun­de, die nicht hei­len woll­te. Er muss­te einen Weg fin­den, die Fürs­tin der Lich­ten Welt an sich zu bin­den. Und war sie nicht wil­lig … Ihm fie­le es nicht schwer, Ge­walt an­zu­wen­den. Aber die Fürs­tin war al­les an­de­rer als eine leich­te Beu­te.

    Ja, er muss­te zu­rück­keh­ren, sei­nen Platz als Fürst der Dunk­len Welt wie­der ein­neh­men und neue Plä­ne schmie­den.

    »Mor­gen«, sag­te Lea­than, »ab mor­gen wird es wie­der einen Fürs­ten ge­ben, der die­sen Na­men ver­dient.«

    Amei­sen

    Ri­chard hat­te ge­nug ge­hört. Er ver­ließ sei­nen Pos­ten und schlich zu­rück zu den El­fen, die am Wald­rand auf ihn war­te­ten.

    Ate­na lan­de­te ne­ben ihm und nahm ihre El­fen­ge­stalt an. »Ihr müsst hier weg«, sag­te sie.

    Ri­chard nick­te. »Lea­than wird sich mor­gen auf den Weg ma­chen. Wenn wir vor ihm in der Fel­sen­burg sein wol­len, müs­sen wir so­fort auf­bre­chen.«

    Adam, der jun­ge Elf, den Ri­chard ge­ret­tet hat­te, strie­gel­te Co­ro­ne. Die an­de­ren la­ger­ten auf ei­ner klei­nen be­moos­ten Flä­che.

    »Aber die Pfer­de brau­chen Ruhe«, murr­te ei­ner.

    »Ruhe kön­nen sie ha­ben, wenn wir zu­rück sind.« Sei­ne Stim­me klang scha­rf. Köp­fe ruck­ten her­um.

    Oho, das ist ein an­de­rer Ri­chard, dach­te Ate­na. Ein ath­le­ti­scher, schö­ner Elf mit

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