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DER DRACHENTÖTER: Der Roman zum Film
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eBook341 Seiten4 Stunden

DER DRACHENTÖTER: Der Roman zum Film

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Über dieses E-Book

»Zu jener Zeit... war die Magie noch eine Waffe, die Liebe noch ein Mysterium, das Abenteuer überall, und die Drachen waren in der Welt...«

Vermithrax, der letzte aus dem Geschlecht der Drachen, hatte endlich das Königreich Urland erreicht – und ließ seinen feurigen Atem darüber hinwegfegen. Die schwarze Einöde war nun genau nach seinem Geschmack, und er entschloss sich zu einem langen Aufenthalt.

Verzweifelt machten sich die Urländer auf die Suche nach Ulrich, dem letzten lebenden Zauberer. Doch Ulrich war zu alt, zu schwach. Nur sein Gehilfe Galen konnte gegen den Schrecken und die Stärke des todbringenden Drachen bestehen.

Aber Galen war noch jung, von Waffen verstand er gar nichts – und über die alte Macht der Magie hatte er seine Zweifel.

Der Drachentöter von Wayland Drew ist die atemberaubend spannende Roman-Adaption des gleichnamigen, ebenso bahnbrechenden wie düsteren Fantasy-Films aus dem Jahr 1981 (Regie: Matthew Robbins) – mit Peter MacNicol als Galen, Caitlin Clarke als Valerian, Sir Ralph Richardson als Ulrich und Peter Eyre als Casiodorus Rex.

»Zauberhaft...« (New York Times)

»Die alte Macht der Magie ist vergangen, aber hier wird sie in strahlendem Glanz wieder hervorgeholt...« (Penthouse - US-Ausgabe)

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum24. Juli 2019
ISBN9783748710691
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    Buchvorschau

    DER DRACHENTÖTER - Wayland Drew

    Das Buch

    »Zu jener Zeit... war die Magie noch eine Waffe, die Liebe noch ein Mysterium, das Abenteuer überall, und die Drachen waren in der Welt...«

    Vermithrax, der letzte aus dem Geschlecht der Drachen, hatte endlich das Königreich Urland erreicht – und ließ seinen feurigen Atem darüber hinwegfegen. Die schwarze Einöde war nun genau nach seinem Geschmack, und er entschloss sich zu einem langen Aufenthalt.

    Verzweifelt machten sich die Urländer auf die Suche nach Ulrich, dem letzten lebenden Zauberer. Doch Ulrich war zu alt, zu schwach. Nur sein Gehilfe Galen konnte gegen den Schrecken und die Stärke des todbringenden Drachen bestehen.

    Aber Galen war noch jung, von Waffen verstand er gar nichts – und über die alte Macht der Magie hatte er seine Zweifel.

    Der Drachentöter von Wayland Drew ist die atemberaubend spannende Roman-Adaption des gleichnamigen, ebenso bahnbrechenden wie düsteren Fantasy-Films aus dem Jahr 1981 (Regie: Matthew Robbins) –  mit Peter MacNicol als Galen, Caitlin Clarke als Valerian, Sir Ralph Richardson als Ulrich und Peter Eyre als Casiodorus Rex.

    »Zauberhaft...« (New York Times)

    »Die alte Macht der Magie ist vergangen, aber hier wird sie in strahlendem Glanz wieder hervorgeholt...«  (Penthouse - US-Ausgabe)

    DER DRACHENTÖTER

    Erstes Kapitel: GRAGGANMORE

    Trutzig stand der Turm auf dem Hügel. Die schmalen Fenster und Schießscharten in den dicken Mauern blickten wie erblindete Augen nach Norden und Süden, nach Osten und Westen. Einst war der Turm der Bergfried einer stolzen Burg gewesen; jetzt lagen Mauern und Gebäude rundum in Trümmern, und er selbst war zu unausweichlichem Verfall verdammt. Jahrhundertelang hatten Regen und Kälte an seinem Mauerwerk genagt. Teile des Dachs und des Zinnenkranzes waren eingestürzt. Das Holz der Schwellen und Balken war morsch.

    Windstilles Schweigen umhüllte den Turm und erfüllte die weite Mulde des Tals zu Füßen des Hügels, auf dem er stand. Letztes Sonnenlicht schimmerte auf dem halbzerstörten Dach, doch das Land rundum lag schon unter den Schleiern des Abends, und der silbern blitzende Fluss hatte sich verdunkelt und war hinter den Bäumen, die ihn säumten, nicht mehr zu sehen.

    Widerstrebend ging die Sonne unter. Sie berührte den Horizont, schien noch einmal aufzuflammen und sank dann langsam tiefer.

    Es war der Vorabend der frühjährlichen Tagundnachtgleiche; der folgende Tag würde halb dem Licht, halb der Dunkelheit gehören.

    An der rauen Rinde einer Eiche hing reglos eine kleine braune Fledermaus und beobachtete den Untergang vieler Sonnen. Sie alle spiegelten sich im Facettenauge eines dicken Käfers, der keine Handbreit entfernt war. Satt und schläfrig blickte der Käfer in die Sonne; er wusste nicht, dass er gleich sterben würde.

    Er war unvorsichtig gewesen. So reglos verhielt sich die Fledermaus, so vollendet verschmolz ihre Färbung mit dem moosigen Braun der Baumrinde, dass der Käfer sie gar nicht bemerkt hatte.

    Beide waren sie ohne Bewegung, sowohl das Opfer wie der Räuber. Erst als das letzte Licht der Sonne verglühte, spannte die Fledermaus mit einem feinen Wispern wie von Seide ihren linken Flügel aus, schlug ihn über den schläfrigen Käfer, hüllte ihn ein. Das Insekt schrie. Nur die Fledermaus hörte es. Unter der Flughaut eingeschlossen war sein Kampf nur kurz; dann wurde er gegen die Baumrinde gedrückt und zerquetscht. Als das gierige Maul der Fledermaus ihn verschlang, zuckte er noch, obwohl er bereits tot war.

    Die Fledermaus gierte nach Nahrung. Zwei Tage und zwei Nächte lang hatte sie nichts gefressen. Bei Tag hatte sie den Schlaf der Erschöpfung geschlafen, bei Nacht hatte sie in langem, einsamem Flug das dunkle Land überquert.

    Sie wusste nicht, warum sie ihr Heim verlassen hatte. Sie verspürte keinen Anlass, sich der Dinge zu erinnern, die sie auf ihrem langen Flug gesehen hatte. An einige Dinge jedoch erinnerte sie sich ganz deutlich. Die winzigen Sonnen im Auge des unglücklichen Käfers gemahnten sie an andere rotglühende Sonnen - die Feuer abgeschiedener Dörfer und Lager, die in der endlosen Finsternis des gewellten Landes flackerten. Manche waren größer gewesen als andere, Dörfer, die in Flammen standen. Und die Todesschreie des Käfers hatten andere Schreie wieder laut werden lassen, das Brüllen gequälter Tiere, die Hilferufe von Männern, die von den Ruinen verstreut liegender Felder zu ihr nach oben drangen, hier und dort die gellenden Schreie von Frauen. Und der zerquetschte Kadaver des Käfers hatte an andere Kadaver erinnert, die die Schlachtfelder bedeckten, über die die Fledermaus auf lautlosen Schwingen hinweggetragen worden war. Während die Fledermaus jetzt durch die dichter werdende Dunkelheit des Abends zum silbernen Band eines Flusses hinunterblickte, stieg vor ihr das Bild anderer Flüsse auf, manche belebt von seltsamen Gestalten, die sich auf und in ihnen bewegten; andere leer und still.

    Nun, da der schlimmste Hunger gestillt war, begann die Fledermaus zu schreien, stieß die klagenden Schreie eines Geschöpfes aus, das ein Wesen seiner eigenen Art herbeisehnt. Nichts antwortete ihm. Die zuckenden Ohren der Fledermaus fingen nur das Summen einer Vielzahl nächtlicher Insekten auf. Sie gähnte, ihre Krallen schlugen sich in die Eichenborke und ihr Rücken wölbte sich wie der einer Katze. Mit einem feinen Knistern wie von sich kräuselnder Seide entfalteten sich erneut die Flughäute und breiteten sich aus. Mit einer trägen Bewegung ließ die Fledermaus sich fallen und schwebte durch das Geäst der Eiche in den Abend hinaus. Vor ihr erhob sich der steinerne Turm, an dem, wie ihre Instinkte ihr sagten, wohlschmeckende Beute wartete - Würmer, die bleiche Köpfe vom schlammigen Grund des Burggrabens hoben, einfältige, dicke Leuchtkäfer, feinste Salamander, die durch die Spalten feuchten Mauerwerks huschten.

    Sie irrte sich nicht. Als sie sich dem Turm näherte, wehte ihr ein köstlicher Geruch nach Verfall und Fäulnis entgegen, so kräftig und voll, dass ihr ganz schwach wurde, während sie die Flughäute über ihrem Bauch faltete und sich von einem leichten Aufwind tragen ließ. Es war ein Duft, der uralte, in den Tiefen ihres Hirns vergrabene Erinnerungen kitzelte, ein Geruch nach dem Tod von Geschöpfen, die die Geschlechter der Fledermäuse seit Generationen nicht mehr gesehen hatten. Gierig schoss die Fledermaus abwärts, dem dunklen Schlitz einer Öffnung in der Mauer entgegen. Jenseits dieser Öffnung wartete fette Beute im morschen Gebälk.

    Die Fledermaus schmatzte erwartungsfroh.

    Doch plötzlich schwenkte sie ab, zu Tode erschrocken. Die graue Schönheit des Abends wurde von einer Stichflamme von Licht zerrissen, so grell, dass ihre Augen schmerzten. Wie Gewitterblitzen war die blendende Flamme von einem krachenden Donnerschlag begleitet, doch sie raste nicht in zuckender Bahn vom Himmel zur Erde herab, flackerte nicht wie milder Feuerschein durch ferne Täler; dieser Blitzstrahl schoss aus einem der Fenster der Burg. Er war von grauenvoller Gestalt. Er war wie die Fledermaus selbst, doch mit einem gekrümmt herabhängenden Schwanz und einem langen Hals und einem weit geöffneten, furchtbaren Schlund. In tödlicher Angst suchte die Fledermaus diesem Geisterschlund zu entrinnen und schrie, wie zuvor der Käfer geschrien hatte, der jetzt in ihrem Magen lag. Jedoch im nächsten Augenblick schon löste sich die Vision auf. Die schillernden Flügel und der lange, gewölbte Nacken gingen im Sternenlicht auf, das auf den Flughäuten der Fledermaus glänzte, während diese von Angst und Entsetzen gejagt das Tal hinunterschoss, mit nur einem Ziel: fort von der alten Burg.

    Ein bleicheres und ruhigeres Licht folgte auf die blitzartige Flamme weißglühender Helligkeit. Es ging von einer Feuerschale hinter jenem Turmfenster aus, durch das die Zauberflamme hinausgeschossen war, die die Fledermaus in so tödlichen Schrecken versetzt hatte.

    Wäre die Fledermaus in das Gemach hineingeflattert, so hätte sie nicht gefunden, was sie erwartet hatte. Hier und dort in den hintersten Winkeln hatte ständig tropfendes Wasser den Kalk aus dem uralten Gestein getrieben, so dass bizarr geformte Zapfen Tropfsteine gebildet hatten; doch zum größten Teil war der Raum trocken, seine Wände geschwärzt vom Rauch zahlloser Feuer. Nicht nur Kandelaber hingen von der Decke, sondern auch die mumifizierten Kadaver kleiner Tiere und merkwürdige Instrumente, die Werkzeuge der Folter oder der Hexenkunst hätten sein können. Bücher und Pergamentrollen, die mit geheimnisvollen Zeichen bedeckt waren, lagen aufgeschlagen auf mehreren Lesepulten, und auf hölzernen Borden, die eine ganze Wand einnahmen, reihten sich weitere Bücher und Schriftrollen. Gänge und Treppen, die sowohl abwärts als auch aufwärts führten, gingen in verschlungenen Windungen von diesem Raum aus. Tatsächlich war dies weniger eine abgeschlossene Turmkammer als das Herz eines Labyrinths, das auf vielen Wegen zu erreichen war.

    In der Mitte des Gemachs stand ein alter Mann, die Füße unter dem rehbraunen Gewand aus grobem Tuch gespreizt. In seinen Augen und an seinen ausgestreckten Händen flackerte züngelndes Feuer. Hätte das Schreckensbild des Drachens die Fledermaus nicht schon erschreckt, so wäre sie doch ganz gewiss vor diesem Mann geflohen, von dem gewaltige Kraft ausging. Es war Ulrich, der Herr von Cragganmore, der mächtigste Zauberer. Er war es gewesen, der die Feuerschale mit solcher Kraft entzündet hatte, dass die feurige Truggestalt des Drachens in die Nacht hinausgestoben war. Die Erscheinung hatte ihn erschreckt; er sah in ihr ein Vorzeichen, und er hatte innegehalten, ehe er die anderen Lampen im Raum entzündet hatte.

    Jetzt drehte er sich um.

    »Omnia in duos. Duo in unum. Unus in nihil. Haec necquattor, nec omnia, nec duo, nec unus, nec nihil sunt.«

    Er lachte, und seine alte Stimme kratzte wie ein Stein auf rostigem Eisen. Seine gekrümmten Finger zuckten kaum merklich, und verborgene Kerzen an beiden Wänden flammten auf. Heißes Wachs fiel auf die Tropfsteine darunter hinab. Die Flammen beleuchteten sonderbare bauchige Vorsprünge und Ausbuchtungen im Raum und erweckten merkwürdige Wesen zum Leben. Ein Gerfalke auf einem Podest aus Eichenholz reckte den Kopf und blickte gespannt zum Fenster, als witterte er die Fledermaus, die dort draußen vorübergeflattert war. Auf einem Sims weiter oben trippelten unruhig drei Tauben, während sie auf den Mann hinunterblickten, schlugen mit ihren Schwingen, flatterten jedoch nicht davon. Auf einer Seite des Raums stand still wie ein Standbild ein majestätischer Reiher auf gespreiztem Fuß und schlief. Ein schneeweißer Rabe hockte reglos auf einem der Leuchter.

    »Ulrich«, sagte der Rabe leise mit einer Stimme, die den Klang eines uralten, fremdartigen Saiteninstruments hatte, »das war von Übel.«

    Der alte Mann achtete nicht auf ihn. Er wandte sich einem runden Tisch in der Mitte des Raums zu, auf dem eine steinerne Schale stand. Seine Bewegungen waren schwerfällig. Auf einen knorrigen Stock gestützt, schlurfte er nach der Art alter Männer mit kleinen, vorsichtigen Schritten zum runden Tisch. Zwar verrieten die Bewegungen seiner Schultern eine gewisse geschmeidige Kraft, doch es war ihm anzusehen, dass er steinalt war. Müdigkeit umhüllte ihn wie Falten seines Gewandes, lag auf ihm wie eine drückende Last, die seinen Nacken und seine Schultern beugte. Sein Schritt war kurz und ungelenk, als hätte man ihm die Beine zusammengebunden. Und im einsamen Verlauf der Jahre hatte er aufgehört, auf sein Äußeres zu achten; lange schon vernachlässigte er beinahe völlig die Pflege seines Körpers.

    Als er jetzt das Haupt neigte, um in den Spiegel der Flüssigkeit zu blicken, die ruhig in der steinernen Schale lag, bestürzte es ihn, das Bild eines verwitterten, abstoßenden Greises zu sehen, das wie eine Erinnerung aus seiner eigenen Vergangenheit zu ihm emporblickte. Er schien wie einer der Greise aus seiner Kindheit, einer der zahllosen Wanderer, die in jenen Tagen auf schmalen Pfaden die Wälder durchstreift hatten, harte, eigenwillige, humpelnde alte Männer, die längst das Ziel ihrer Wanderung vergessen hatten, denen allein die Bewegung zum Sinn ihres Daseins geworden war. War er wie einer von diesen? Ja, er war alt; alt wie jene hochbetagten Greise, die er einmal vor langer, langer Zeit in seiner Jugend im Erlengebüsch verborgen beobachtet hatte, wie sie an einem einstmals geweihten Ort inmitten ihrer Steingräber heilige Rituale vollzogen hatten, denen die Vergesslichkeit ihren Sinn geraubt hatte. Sein Gesicht war jetzt so wie die Gesichter, die er von diesem Tag erinnerte - schütteres, gelblich weißes Haar, triefende Augen, in schlaffes Fleisch eingebettet, ein beinahe zahnloser Mund, aus dem Speichel in einen verfilzten Bart troff, die Haut großporig, von Falten und Runzeln durchzogen. War das wirklich er? Ja! Der uralte Kopf in der Schale hatte genickt. Und dies war umso überraschender, als er im selben Moment ein Bildnis der Schönheit hinter dem hässlichen greisen Haupt auftauchen sah, die flüchtige Vision eines strahlend schönen Mädchens, das sich ihm zuerst in weißem Kleid, dann wie ein junger Edelmann in knappem Wams zeigte und sich noch einmal umdrehte, um ihm einen letzten, langen Blick zuzuwerfen, ehe das Bildnis in den Schatten der Schale zerfloss. War es wirklich möglich, dass es nun nicht mehr da war, dass es sich selbst seiner Kraft, dies Bildnis heraufzubeschwören, entzogen hatte?

    Wieder nickte das schreckliche Haupt. Ja!

    »Was bleibt mir dann an Trost?«

    Als die Vögel seine Stimme hörten, gaben sie leise Laute der Erwiderung von sich und flatterten unruhig. Ein Windhauch strich flüsternd durch die sich verdunkelnden Gänge. Macht!

    Ulrich lächelte und schüttelte demütig den Kopf. Ach, wäre es so einfach. Könnte der bloße Erwerb von Macht den Verlust dessen wettmachen, was den Menschen zum Menschen machte. Es gab Menschen, das wusste er, denen Macht Entschädigung genug war; aber nicht ihm. Er brauchte mehr. Sein ganzes Leben lang hatte er mehr gebraucht. Und während sich jetzt in der schweren Flüssigkeit der Steinschale Bilder zu formen begannen und wieder zerflossen, gestand er sich nicht zum ersten Mal ein, dass nicht das Streben nach Macht ihn damals, vor langer, langer Zeit betört hatte, sondern das Streben nach Wissen. Unstillbarer Wissensdurst hatte ihn in die Einsamkeit von Cragganmore getrieben.

    Was für ein Trost blieb ihm? Die freudlose Erkenntnis, dass die Welt nicht so war, wie die meisten Menschen sie wahrnahmen, stattdessen noch immer, nach langen und einsamen Jahrzehnten des Forschens, ein ungelöstes Geheimnis verblieb.

    Seufzend lehnte er seinen Stock an den Tisch, richtete sich auf, soweit ihm das möglich war, und schickte sich an, seine Beschwörungen über der Schale zu sprechen. Es war der Vorabend des Frühlingsäquinoktiums. Zweimal im Jahr, wenn die Tagundnachtgleiche bevorstand, drang er tiefer als zu jeder anderen Zeit in die geheimnisvollen Regionen der steinernen Schale ein, tiefer in die Vergangenheit und tiefer in die Zukunft. Seltsame und unvorhersehbare Dinge geschahen in der Flüssigkeit der Schale. Die Zeit hatte dort keine Bedeutung im Sinne der Menschen, und oft geschah es, dass Ulrich meinte, eine Reise in die Zukunft anzutreten, nur um zu erkennen, dass er in eine Zeit vor seiner Geburt eingedrungen war - ja, vor der Geburt der Welt. Stets jedoch begann er seine Beschwörungen damit, dass er um ein Bild der Gegenwart bat, und die Schale antwortete ihm, indem sie ihm einen Schlüssel bot, ihm zeigte, wie - zumindest bis zur nächsten Tagundnachtgleiche - Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eins sein würden.

    Darum befahl er jetzt: »Die Gegenwart!« und begleitete seine Worte mit einer fließenden Bewegung der Beschwörung über der Schale.

    Die Schale erzitterte leicht, und die Flüssigkeit in ihr verdunkelte sich, als wollte sie sich seinem Auge verschließen. Doch bald hellte sie sich wieder auf und bot ihm ein deutliches Bild. Das Gemach, das der Spiegel in der Schale zeigte, war dem ähnlich, in dem Ulrich sich befand, doch es war wesentlich kleiner, und es fehlten die Vögel. Der schwere Eichentisch glich jenem, vor dem Ulrich selbst stand, und die steinerne Schale darauf war ein Ebenbild jener, in die der alte Zauberer hineinblickte. Dem Jungen jedoch, der sich über die Schale neigte, gelang es nicht, ein Bild heraufzubeschwören. Die Stirn unter dem zerzausten flachsgelben Haar war ärgerlich gerunzelt, und noch während Ulrich ihm zusah, versuchte er zweimal mehr, mit plumpen Händen jene Geste nachzuvollziehen, die Ulrich, der Meister, so glatt und fließend in die Luft geschrieben hatte. Jedes Mal spähte er danach gespannt in die Schale. Doch es war vergeblich. Schließlich schlug er mit donnernder Faust auf den Tisch, und obwohl der alte Zauberer nicht hören konnte, was er sprach, war deutlich zu sehen, dass seine Geduld erschöpft war.

    »Oh, Galen, Galen!« Der Greis schüttelte den Kopf. »Mein lieber Junge. Du mein armer, wirrköpfiger Lehrling. So geht es nicht. Ich habe es dir hundertmal gesagt!«

    »Von Übel«, sang die Stimme des Raben, der dem alten Mann auf die Schulter geflattert war. »Kein Glück. Kein Reichtum.«

    »Scher dich fort, Gringe.«

    Zerstreut zog Ulrich die Schulter hoch, und der Rabe flatterte schimpfend davon. Die Tauben oben auf ihrem Sims gurrten leise, während sie unruhig von einem Fuß auf den anderen traten. Der Falke hatte sich dem Fenster zugewandt, aufgeschreckt durch hohe schrille Töne, die vorüberwehten - der Schrei einer Eule, das schrille Fiepen jagender Fledermäuse und ein unbestimmbares Geräusch, das entweder von gewaltigem Volumen war und aus weiter Ferne kam, oder aber unendlich fein, gleich dem Vibrieren eines winzigen Insekts am Trommelfell des Falken. Reglos hockte der Vogel auf seinem Podest und lauschte. Doch das Geräusch war versiegt, verdrängt von der Stimme des alten Mannes.

    »Rerum gestarum memoria...«, deklamierte der Greis und fügte nach einem Augenblick des Zögerns hinzu: »Die Geschichte Galens.«

    »Geschichte, Gesichte«, murmelte der weiße Rabe, der in den Schatten hinter Stapeln alter Bücher und Manuskripte umherflatterte. »Galen wird vielleicht lernen...«

    »Der Junge wird vielleicht lernen«, sagte Ulrich, doch die Worte waren nur ein Echo in der Erinnerung des Greises, und es war ein jüngerer Ulrich, der da tatsächlich in den Tiefen der steinernen Schale sprach, der Ulrich, der er vor fünfzehn Jahren gewesen war. Ein Mann mit kräftigem Schritt und vollem, schlohweißem Haar, das den kahlen Scheitel umkränzte. Die Worte galten weniger dem besorgten Elternpaar, das an seiner Seite schritt; sie waren mehr lau ausgesprochene Überlegung, die sich mit dem Knaben Galen befasste. Der hatte soeben mit einem bloßen übermütigen Schütteln seiner Fäuste ein ganzes Rudel von Ungeheuern geschaffen, befremdliche, pelzverwachsene Tiere, die ihm hechelnd und mit hängenden Zungen voll freundlicher Ausgelassenheit entgegen tobten. Einige bewegten sich auf acht Beinen, andere auf sechs, manche schoben sich vorwärts wie Schlangen.

    Die Mutter schreckte furchtsam zurück.

    »Seht Ihr, Herr?«, fragte der Vater. »Er kann das zu jeder Zeit. Er braucht nur zu wollen.«

    »Ja, das sehe ich«, meinte Ulrich nickend. »Er hat die Gabe.«

    »Aber das ist doch keine Gabe! Das ist ein Fluch!« Die Mutter rang die Hände, und Tränen kamen ihr aus den Augen. »Wie kann die Fähigkeit, Ungeheuer zu schaffen, eine Gabe sein? Sogar nachts macht er es. Er träumt sie!«

    Der Vater nickte in tiefer Bekümmerung.

    »Und dann wandern sie einfach davon. Hinaus. In die Welt. Wer weiß, wohin? Wie überleben sie?«

    »Träume«, sagte Ulrich. »Andere Menschen träumen, dass sie gefüttert werden.«

    »Entsetzlich!« Die Frau schauderte, und der Mann nahm sie tröstend in die Arme. »Warum musste uns das geschehen? Warum? Die anderen Kinder sind doch alle normal.«

    Schweigend und mit tiefem Mitgefühl betrachtete Ulrich die Eltern. Er wusste keine Antwort auf die Frage Warum ich?, obwohl er selbst unzählige Male eben diese Frage gestellt hatte. Er neigte sich zu dem Knaben hinunter und legte beide Hände um den Kopf mit dem zerzausten Haar.

    »Eine große Gabe«, sagte er. »Wenn nur...«

    Er vollendete den Satz nicht, sondern betrachtete nur stumm den Knaben, während er sich in seine Gedanken verlor. Erst das Schluchzen der Mutter und die gequälte Frage des Vaters, »Könnt Ihr - könnt Ihr ihn heilen?« zwangen ihn zur Rückkehr in die Wirklichkeit.

    Und da traf Ulrich seine Entscheidung, eine Entscheidung, die von mehreren Aspekten bestimmt wurde. Zum einen war er in den langen Jahren seines einsamen Forschens als Zauberer niemals einem Menschen begegnet, der mit einer so reichen natürlichen Gabe ausgestattet war wie dieser Junge, der ihm buchstäblich im Handumdrehen diese Horde seltsamer Geschöpfe vor die Füße gesetzt hatte. Zum zweiten bewegte ihn eine tiefe Angst davor, dass solche Kraft zu Schlimmem missbraucht werden könnte. Und schließlich - dies war vielleicht der zwingendste Grund für seine Entscheidung - hatte er keinen Erben, an den er sein Wissen um die uralte, vom Vergessen bedrohte Kunst weitergeben konnte.

    »Heilen? Nein, heilen kann ich ihn nicht. Ich kann nur seine Kräfte meiner Gewalt unterwerfen. Aber...«

    »Oh, danke Euch!« Die Frau umfasste Ulrichs Hand.

    Der Mann runzelte die Brauen.

    »Ist sie - kostet sie viel, diese Heilung?«

    »Sie kostet nichts. Aber später, wenn der Kleine zum Jüngling herangewachsen ist, soll er zu mir kommen und bei mir auf Cragganmore leben. Ich will ihn in die Lehre nehmen. Das ist meine Bedingung.«

    Seufzend trocknete sich die Frau die Augen und nickte.

    »Und ich muss Euch sagen« - warnend hob Ulrich einen Finger. »...dass dies mit Gefahr verbunden sein wird. Es ist stets ein Wagnis, solche Kräfte zähmen zu wollen. Wenn ich mich verrechnen sollte... Wenn ich einen allzu starken Zauber verhängen sollte...«

    »Ach«, flüsterte die Frau, »Ihr könnt gewiss keinen Fehler machen. Ihr seid doch ein Zauberer.«

    Ulrich lächelte traurig.

    »Top!«, sagte der Vater. »Abgemacht.«

    Das Gesicht des alten Zauberers verdüsterte sich, und er seufzte schwer bei der Erinnerung.

    Alle Bilder lösten sich auf. Das Zauberwasser in der Schale lag still und glatt und spiegelte nur die Flammen der Feuerpfannen und der Wandleuchter, während der alte Mann in die Vergangenheit zurückträumte.

    Er hatte in der Tat einen schweren Fehler begangen, als er jenen unschuldigen Kräften Gewalt angetan hatte; der Zauber, diese Kräfte zu binden, hatte sich einer Schlange gleich gewunden, sich gegen ihn gerichtet. Er hatte Galens Gabe beeinträchtigt und einen Träumer aus dem Jungen gemacht, der sich leicht ablenken ließ. Später, als Ulrich ihn in die Lehre genommen hatte, um ihn nach den Geboten seines Meisters Belisarius zu unterrichten, sah er, dass dem Jungen Interesse und Konzentration fehlten. Und in fünfzehn Jahren - welch ein Fehlschlag! Welche Schande! - hatte ihn Ulrich nicht einmal zum ersten Grad hingeführt. Nach all diesen Jahren hatte der Junge noch nicht einmal die Levitation, die Verwandlung, die Vorschau in die Zukunft gemeistert. Er war, mit anderen Worten, unfähig, auch nur die elementaren Aufgaben eines Zauberers zu erfüllen. Sehr bald, fürchtete Ulrich, würde der Jüngling aufgerufen werden, und dann würde er Hilfe brauchen; oh, ja, er würde große Hilfe brauchen.

    Seufzend massierte der alte Mann sich die schmerzende Hüfte und richtete sich dann steifgliedrig auf. Erwartungsvoll reckten die Vögel die Hälse, als Ulrich ächzend zu einem zweiten Tisch schlurfte, der kleiner war und etwas erhöht auf einem Podium stand. Auf ihm lag ein Gegenstand, der mit einem weißseidenen Tuch bedeckt war. Kunstvolle Stickereien, die ineinander verschlungene geheimnisvolle Symbole darstellten, zierten das Tuch, und als der Zauberer sich näherte, begann es in einem Licht aufzuleuchten, das kein Widerschein war, sondern von der Stickerei ausging und von dem Gegenstand, den es bedeckte. In zuckendem Rhythmus, flackerndem Feuerschein gleich, wurde das Licht bald heller, bald dunkler.

    Als Ulrich dieses Tuch hob - oder besser, als er es durch eine Berührung seiner Ränder und einer aufwärtsstrebenden Geste veranlasste, sich zu heben -, erfüllte flüchtig ein wunderbarer milder Glanz das Gemach. Zwinkernd blickten die Vögel auf den Gegenstand, der dieses unirdische Licht verbreitete. Es war ein in Gold gefasster Stein, der an einer goldenen Kette hing. Dem Auge des Gerfalken schien er von der Größe einer kleinen Maus, die über herbstliche Stoppelfelder huscht.

    »Von Übel!«, murmelte Gringe und zog sich in die äußersten Schatten des Raumes zurück.

    Ulrich nahm den Stein, umschloss ihn mit seiner knochigen alten Hand, so dass das Licht sich in seinen Fingern fing. Er griff zu der blitzenden goldenen Kette und ließ sie in seine Handmuschel herabfließen, bis der Stein wie ein kleines Ei in einem aus Gold gewundenem Nest lag. Dann entließ er den wunderbaren Lichtschein wieder aus dem Gefängnis seiner Hände, doch da begann er schon zu verbleichen.

    Aus der Nähe betrachtet wirkte der Stein beinahe farblos. Die blauen, weißen und rosafarbenen Töne besaßen einen unvergleichlich zarten Schimmer, der changierte wie ein sich ständig veränderndes, von zauberischen Lichtadern durchzogenes Meer. Ein winziger Funke lag im Mittelpunkt des Steins gefangen, die Quelle des mondmilden, in Wellen fließenden Lichts, das das Gemach erfüllte.

    Ulrich trug das Amulett zu dem Tisch, auf dem die Schale stand. Ihre Flüssigkeit erzitterte leicht, als er sich näherte. Das Kerzenlicht brach sich blass im blitzenden Gold der Kette, als er den Stein mit tiefer Ehrfurcht vor sich hertrug und sich dann über die steinerne Schale neigte.

    »Nunc, illo tempore!«, flüsterte er. »Und nun die alte Zeit!«

    Wieder belebte sich die magische Flüssigkeit mit Bildern. Diesmal dauerte es länger, bis sie sich formten, und die Wasser der Schale brodelten in

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