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Tod im Maisfeld: HeideLeaks
Tod im Maisfeld: HeideLeaks
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eBook406 Seiten5 Stunden

Tod im Maisfeld: HeideLeaks

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Über dieses E-Book

Als die 'Hundefrauen' den Leichnam im Maisfeld entdecken, ahnt niemand, dass sie einen Fund machen, der internationale Geschäftemacher aufschreckt.
Die Spur der toten Frau führt das Ermittlerteam um Claudia Plum zur Nato Air Base Geilenkirchen. In der Fliegerhorstsiedlung stoßen sie auf eine männliche Leiche. Von diesem Augenblick an laufen sie gegen Wände, die, je weiter sie vordringen, dicker und dicker werden.
Welche Rolle spielt die schöne Militärpolizistin Raissa Stone?
Wer ist der ominöse Killer Brown?
Weshalb versuchen die deutschen Behörden, die Ermittlungen im Mordfall Abels zu behindern?
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum12. Aug. 2013
ISBN9783847622260
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    Buchvorschau

    Tod im Maisfeld - Herbert Weyand

    vor eins

    Die beiden stoppten den PKW am Heideparkplatz und schälten mit zitternden gierigen Händen die Kleidung vom Leib. Es dauerte weniger als eine Minute bis zur Vereinigung mit Grunzlauten und spitzen Schreien. So schnell der Akt begann, so schnell war er vorbei. Einige Augenblicke lagen sie schwer atmend aufeinander und lösten sich voneinander. Plötzlich wurde der Schweiß unangenehm und machte die Zweisamkeit unappetitlich. Die beiden Körper klebten und klitschen aneinander. Die Luft war schwül, vom heißen Sommertag aufgeheizt.

    Vor wenigen Wochen genossen sie den Körperkontakt nach dem Verkehr. Jetzt empfand die Frau leichten Ekel vor der Verbindung der Körperflüssigkeiten. Die Beziehung schien am Ende.

    »Lass‹ uns nach draußen gehen. Die Luft ist mild«, sagte die Frau und drückte ihn weg.

    »In Ordnung«, meinte er und stieg rückwärts aus der geöffneten Autotür.

    Beide machten sich nicht die Mühe etwas überzuziehen. Wer kam schon mitten in der Nacht her?

    »Komm, wir laufen ein Stück«, forderte sie ihn auf. Ohne darauf zu achten, ob er folgte oder nicht, spazierte sie los. Sie hob die Arme und suchte einen Luftzug, der nicht kam. Die Frau reckte die Brüste nach vorn, die in leichte Bewegung gerieten, während sie voranschritt. Der sinnliche Körper ging in der Dunkelheit auf. Energisch warf sie, mit einer Kopfbewegung, das verklebte Haar nach hinten und wischte mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.

    Missmutig folgte er und die Augen saugten jede Bewegung auf. Er bekam nicht genug von diesem Körper. Was wusste er von ihr? Wenn er ehrlich war … nichts. Deutlich nahm er vorhin ihre Abwehr wahr und eine Ahnung beschlich ihn. Sie wollte das Verhältnis beenden.

    Sie lief barfuß so sicher, als kenne sie nichts anderes, wobei er ungelenk und unsicher die Füße aufsetzte. Der dicke Zeh stieß gegen einen Ast. Fluchend hob er ihn auf und benutzte ihn als Gehhilfe.

    »Das war es?«, stellte er fragend fest.

    »Das war es«, betätigte sie.

    »Woran liegt es?«

    »Ausgelebt. Es war von Anfang an klar, dass es nicht von Dauer sein würde.«

    »Ja. Schon. Aber muss es jetzt sein?«

    »Muss nicht. Wenn nicht jetzt, wann dann? Ich möchte es so.«

    »Habe ich nichts zu sagen?«

    »Nein. Gott sei Dank nicht. Dennoch … die Zeit mit dir war schön.«

    »Was machen wir hier, wenn es vorbei ist?« Er war sauer, weil sie ihm die Entscheidung abnahm.

    »Du bist uncool. Wir hatten doch eine schöne, wenn auch kurze Nummer. Und, wie gesagt … unsere Zeit war schön. Was willst du mehr?«

    »Ich will dich.«

    »Unmöglich. Das weißt du?«

    »Nichts ist unmöglich«, er stieß mit dem Stock in ihre Seite.

    »Was soll das? Du tust mir weh.«

    »Das soll auch wehtun«, er stieß fester zu. »Ich mache das so lange, bis du zur Besinnung kommst und deine Entscheidung überdenkst.« Starrsinnig wie ein Kind beobachtete er sie.

    »Du bist bekloppt. Sei froh, dass ich nicht zu deiner Frau gehe.«

    »Du drohst mir?«, fragte er aufgebracht und schlug mit dem Ast zu.

    »Hör auf«, sie ging schneller und wurde sich ihrer Nacktheit bewusst. Der Typ drehte durch. Er schlug wieder zu. Sie lief in ein Feld, mit kniehohem Mais und stolperte unversehens. Er stand über ihr. Welch eine Verwandlung machte er durch? Kalte Augen und eine hassvolle Fratze schauten auf sie hinunter. Weshalb hatte sie bisher nicht bemerkt, dass er eine Macke hatte? Liebe oder was es sonst war, machte tatsächlich blind. Mit Grauen sah sie den Stock auf ihre Brust zurasen. Ein Schlag in ihre linke Brustseite. Brennender Schmerz, ein kurzer spitzer Schrei, ein Röcheln und die Augen brachen. Sie war tot.

    Fluchend stellte er einen Fuß auf ihre Schulter und zog den Stock heraus. Dann ging er ungelenk den Weg zurück, den sie gekommen waren. Nicht einmal sah er zurück oder achtete darauf, ob ihn vielleicht jemand sah. Es war ihm egal.

    *

    eins

    »Wetten, dass ich schneller laufen kann, als du.« Die Vierzehnjährige versuchte ihn, aus der Reserve zu locken.

    »Das ist doch blöd. Ich schlage dich immer«, antwortete der fünfzehnjährige Junge. Was sie wohl von ihm wollte? Etwa Knutschen? Dann konnte sie es doch sagen. Er war nicht abgeneigt. Sie war nett und gefiel ihm. Lebte noch nicht lange im Dorf und ging den Jungen bisher aus dem Weg. Er kannte sie kaum. Einige wenige Begegnungen an der Bushaltestelle. Mehr war da nicht. Sie gingen in Geilenkirchen zur Gesamtschule und riskierten in der Pause schon einmal, den einen oder anderen Blick. Heute auf der Heimfahrt nahm er das Herz in beide Hände und setzte sich neben sie. Auf die Frage, ob sie Lust an einem Treffen habe, geschah das Wunder. Sie sagte ohne Zieren zu.

    »Lass‹ uns ein wenig dahinten durch die Felder spazieren.«

    »Gern«, sagte sie in einem Dialekt, den er nicht zuordnen konnte.

    »Woher kommst du?«, fragte er.

    »Vom Feldkreuz.«

    »Nein. Aus welcher Gegend.«

    »Aus Franken. Das liegt in Bayern. Mein Vater ist bei den AWACs.«

    »Mein Vater arbeitet in Boscheln in einer Maschinenfabrik.«

    »Wie heißt du?«

    »Dennis. Und du?«

    »Ria. Von Maria. Meine Eltern sind Katholiken aus Überzeugung.«

    »Dann sind sie hier richtig«, er schmunzelte. Nach der Kinderkommunion war er gerade zweimal in der Kirche gewesen. Ein ständiger Streitpunkt mit seiner Mutter, die jeden Sonntag zur Kirche lief.

    Sie schlenderten an dem Maisfeld vorbei, das wohl in den nächsten Tagen abgeerntet wurde. Die Blätter wurden schon braun, und der Mais fiel aus den Kolben zu Boden. Dann brummten die Häcksler und LKW einige Nächte auf den Feldern und im Dorf. Oktober. Möwen schwärmten von allen Seiten in das Feld und fraßen. Ihre Bäuche waren so voll, dass sie kaum vom Boden abheben konnten.

    »Ist das Mais?«, fragte sie.

    »Ja«, antwortete er erstaunt über ihre Unkenntnis.

    »Ich komme aus einer Stadt. Bamberg«, erklärte sie. »Alles hier herum kenne ich nur aus Büchern. Bis vor Kurzem waren Kühe für mich lila.« Sie lachte und umschloss mit einer Handbewegung die Gegend. »Meine Eltern leben sehr zurückgezogen. Ich bin selten irgendwo hingekommen.«

    »Ich bin hier aufgewachsen. Wenn du möchtest, zeige ich dir alles.«

    »Ja gern.« Sie kam ihm unruhig vor und wollte scheinbar noch etwas sagen, hielt es jedoch zurück. Hoffentlich hatte sie keine Angst vor ihm. Sie lebten in einer blöden Zeit. Die Medien überschlugen sich mit Nachrichten von Entführungen und sexuellen Straftaten. In den letzten Wochen war in der Nähe ein Junge verschwunden und wurde noch nicht gefunden. Und das Mädchen und der Junge, die ermordet wurden ...

    »Dort vorn liegt die Heide.« Der Junge zeigte den Weg entlang auf die grüne Linie, die fast schnurgerade am nahen Horizont lag. Der Himmel darüber strahlte hellblau mit milchigen Schlieren.

    »Meine Eltern sagten, ich soll mich dort fernhalten.«

    »Tust du immer, was deine Eltern sagen?«

    »Meistens. Und du?«

    »Gehst du ein Stück vor?«, fragte er ihre Frage übergehend. »Ich muss mal für Jungs.«

    »Das ist gut«, sagte sie erleichtert. »ich muss auch, und zwar dringend. Du … an den Baum«, sie zeigte zur Ecke der Apfelwiese. Neben dem Baum stand so etwas wie ein Unterstand mit einer Bank darin. Eine Plakette in der kleinen, zum Weg hin offenen Hütte zeigte an, dass sie jemandem gewidmet war. Zwei Pferde grasten ruhig. Auf dem Boden lagen noch einige Äpfel. Die Tiere zeigten jedoch kein Interesse mehr daran. Kaum jemand erntete das Obst. Der Supermarkt war bequemer. »Ich geh‹ in das Maisfeld.« Schon huschte sie davon.

    Er stellte sich am Baum zurecht und hatte den Reißverschluss noch nicht geöffnet, da ertönte der gellende Schrei.

    *

    Sie trafen sich jeden Tag. Vormittags und nachmittags. Drei, vier und manchmal auch fünf oder mehr Frauen mit ihren Hunden. Dackel, Terrier, Schäferhund und Rassen, die den meisten unbekannt waren. Die Hundefrauen … teils liebevoll, teils despektierlich so genannt. Ein großes Altersspektrum wurde durch die Tiere, zu einer Einheit verschweißt. Die junge Frau von dreißig und die Urgroßmutter mit fast achtzig Jahren. Seit der Flurbereinigung Ende der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren die Wirtschaftswege asphaltiert. Die jungen Frauen kannten es nicht anders und die älteren schwärmten von der Zeit, als noch Gras auf den Wegen wuchs.

    Die Trüppchen, die je nach Tageszeit und Wochentag unterschiedliche Besetzung besaßen, waren die, am besten informierten Personen des Dorfes. Täglich wurde der Wissensschatz vergrößert. Wer mit wem und wann; an wessen Fenster hatte das Käuzchen gerufen oder welcher Hund gerade, unter welcher Krankheit litt. Der Unterhaltungswert der Gruppe war immens.

    »Gestern hat doch die Totenglocke geläutet«, stellte eine kleine Rothaarige fest.

    »Ja. Wegen der Anne aus der Waldstraße, die war schon lange krank«, antwortete die große Brünette.

    »Ich finde das blöd. Früher wusste man, ob es die Totenglocke war oder nicht. Heute bimmeln die Glocken den ganzen Tag. Du weißt nicht mehr, woran du bist«, beschwerte sich die grau werdende Brillenträgerin.

    »Wie lange warst du eigentlich nicht mehr in der Kirche?«, fragte die Große. »Ich habe dich ewig nicht mehr gesehen.«

    »Besser überhaupt nicht, als meinen großen Auftritt zu spät haben. Oder kommt die Reni auch nicht mehr.«

    »Ja. Wo du das jetzt sagst. Die hat tatsächlich immer ihren Auftritt ein paar Minuten zu spät.« Die Große blieb stehen und schüttelte den Kopf. »Dass mir das erst jetzt auffallen muss. Die Reni war schon immer etwas anders.«

    »Kenne ich die«, fragte die kleine Rothaarige.

    »Die hatten früher einen Pudel. Unten in der Corneliusstraße, nahe dem Ulweg.«

    »Ach die. Ja, bei der kann ich mir das vorstellen. Wie ist das eigentlich mit den beiden, die die große Dogge haben? Sie soll abgehauen sein.« Jetzt standen alle vier zu einem Grüppchen zusammen. Links von ihnen reckte der Mais die Stauden in die Höhe. Die Knollen auf der rechten Seite waren seit einigen Tagen geerntet. Die langen Kolonnen der Traktoren auf dem Weg zur Zuckerfabrik behinderten jedes Jahr bis in den Februar hinein den Verkehr.

    »Die ist doch schon lange weg. Mit irgendeinem Heini von der Base. »Sie steckten tuschelnd ihre Köpfe zusammen.

    »Manchmal hätte ich auch Lust einfach abzuhauen …«, die Brillenträgerin stockte. Ein verzweifelter hoher Schrei ertönte aus dem Mais. »Habt ihr das gehört? Mein Gott … wer ist das?«

    *

    »Ria. Ist etwas passiert?« Dennis stand unschlüssig am Feldrand.

    Der erneute Schrei des Mädchens wurde zu einem Wimmern. Todesmutig spurtete der Junge in die Richtung des winselnden Mädchens. Für Etikette war jetzt nicht der Zeitpunkt. Die Maisstauden brachen und fügten ihm Schnitte an den Händen und im Gesicht zu. Da hockte Ria und erbrach.

    »Was ist geschehen?«

    »Da.« Sie deutete nach links, wobei wieder ein Schwall Mageninhalt aus dem Mund schoss.

    Jetzt fiel ihm der bestialische Gestank auf. Süßlich, abscheulich und instinktiv vertraut: Aasgeruch!

    Dennis nahm Ria am Arm und führte sie auf den Weg.

    Die Hundefrauen kamen näher.

    »Was ist los mit euch«, fragte die Große besorgt.

    Würgend zeigte der Junge in das Maisfeld.

    »Da hat wohl wieder ein Schwein seine Kühltruhe entsorgt.« Die kleine Rote meckerte und befestigte Beagle und Schäferhund an einem Weidezaunpfosten. Sie ging festen Schrittes auf das Feld zu.

    »Halt«, die Grauhaarige hielt sie auf. »Du weißt nicht, was dort drin ist.«

    »Wie ich sagte, der Inhalt einer Kühltruhe oder ein totes Tier. Riecht ihr das nicht. Seit Tagen liegt der süßliche Geruch in der Luft. Ich bekomme die Hunde kaum vorbei. Sie wollen immer wieder in den Mais. Das fehlt mir, dass sich einer in Aas wälzt. Den Geruch kriegst du mit nichts weg. Noch nicht einmal mit Baden. Tage stinkt die Sauerei noch.« Sie ließ sich nicht aufhalten und verschwand resolut. Ihr Blick fiel auf eine gequollene Hand, auf der, Fliegen, Maden, Käfer und was sonst noch, krabbelte. Voller Angst wanderte ihr Blick weiter. Ein Mensch. Sie sah aufgesprungene Haut und angenagtes Fleisch. Nackt. Überall sabberte Flüssigkeit heraus, die bestialisch stank. Würgend stand sie wenige Augenblicke später leichenblass auf dem Weg. »Ruft die Polizei«, schwer und tief atmend, um den Brechreiz zu unterdrücken, kamen die Worte über die Lippen. »Dort liegt ein Mensch. Die armen Kinder. Kümmert euch um die beiden.«

    Natürlich hatte niemand ein Handy oder Smartphone dabei.

    Mutig stellte sich die Rothaarige einem Auto in den Weg, das an ihnen vorbei fahren wollte.

    »Ich möchte jemanden dort hinten besuchen.« Der Fahrer zeigte in Richtung Waldstraße. Ihm war wahrscheinlich zu Ohren gekommen, dass die Hundefrauen jeden, der mit dem Auto einen Feldweg entlang fuhr, platt machten und beschimpften.

    »Ja, ja … egal«, sagte die Rothaarige mit einem strafenden Blick. »Rufen Sie die Polizei. Dort im Feld liegt ein toter Mensch.«

    *

    zwei

    Binnen Minuten raste ein Polizeifahrzeug heran und eine halbe Stunde später sah es auf dem Weg und im Feld, wie am Drehort eines Tatorts aus.

    »Wo?«, rief der Polizist, während er die Autotür öffnete. Die Frauen zeigten in den Mais. Kalkweiß torkelte der Beamte Augenblicke später aus dem Feld. Er sprach würgend in das Funkgerät. Von einer Minute auf die andere wimmelte es von Polizei. Ohne viele Worte spannten sie rot-weißes Absperrband um das Maisfeld, damit der Fundort der Leiche gesichert wurde. Gleichzeitig lief eine unkoordinierte Aktion an. Wie Ameisen verschwanden Personen im Mais, um wieder herauszukommen, damit andere den Platz einnahmen. Die Prozession störte jemanden, der fluchend losbrüllte und die Polizisten vom Tatort scheuchte. In der Folge wurden zwei weitere Absperrbänder gezogen, die den zulässigen Weg zur Leiche vorgaben. Die Routine der polizeilichen Ermittlungen begann.

    Großzügig wurde die Gegend um das Maisfeld herum abgesperrt. An den Zufahrten vom Bebauungsende am Küfenweg und Buschfeld wurden Polizeifahrzeuge postiert.

    Zwei Beamtinnen nahmen die Personalien auf und sorgten für die Betreuung der beiden Jugendlichen, Ria und Dennis, die diesen Tag auf immer und ewig im Gedächtnis behalten würden.

    Die Hundefrauen standen zusammen und spekulierten, was dort wohl geschehen sein mag. Nach Aufnahme ihrer Identitäten wurden sie mit dem Hinweis entlassen, unter Umständen von der Kripo befragt zu werden.

    *

    »Solche Sauerei liebe ich.« Heinz Bauer, Oberkommissar der Aachener Kripo schüttelte angewidert den Kopf. »Wie lange liegt die Leiche hier?«, fragte er den Gerichtsmediziner.

    »Lange genug«, gab der kurz angebunden zurück.

    »Na, wieder gute Laune«, bemerkte der Beamte schnippisch.

    »Du hast gut reden. Guck dir die Schweinerei an. Meinst du es macht Spaß, Fleischfetzen zu untersuchen. Ich könnte kotzen«, er zeigt auf die Spuren der beiden Jugendlichen.

    »Ist schon gut. Ich wollte dir nicht auf die Füße treten.«

    »Da bist du ja«, Claudia Plum, seine Chefin trat zu ihm. Ungefähr ein Meter siebzig groß, mit halblangem brünetten Haar und ausdrucksstarken grauen Augen, die ihn jetzt musterten. »Du bist etwas blass um die Nase. Was ist los?«

    »Die Leiche. Tu‹ es dir nicht an. Eine unendliche Sauerei.« Fürsorglich streckte er seine einsachtundsechzig. Das ansonsten exakt über die Halbglatze gekämmtes, schütteres Haar stand in alle Richtungen. Mit dreiundsechzig Jahren sehnte er die Pension herbei. Er wusste, die Arbeit würde ihm fehlen … doch mit den Enkelkindern war er lieber zusammen.

    »Ich hab‹ über Funk mitgehört und im Auto Mentholsalbe an die Nase geschmiert. Ich möchte nicht dort hinein …, es hilft nichts, ich muss mir die Leiche ansehen. Das weißt du doch.« Sie hob in einer entwaffnenden Geste die Schultern. Er trat zur Seite und ließ die sportliche, zurzeit hagere, Gestalt seiner Chefin vorbei. Vor einigen Wochen wurde sie während der Ermittlungen zu einem Verbrechen entführt und trug die Strapazen und den Gewichtsverlust sichtbar, aber mit Gelassenheit. Die Kriminalhauptkommissarin sah zurzeit um einiges älter aus. Erst, wenn man in ihre Augen sah, bemerkte man, wie unglaublich jung sie für die Aufgaben war, die vor ihr lagen. Mit dreißig Jahren war sie die jüngste Leiterin einer Mordkommission. All das konnte den Reiz und die Ausstrahlung, die von dieser Frau ausgingen, nicht verbergen. Sie wirkte kraftvoll und war den Anforderungen ihres Berufes durchaus gewachsen. Wie immer trug sie elegante und konservative Kleidung. Das einzige Zugeständnis an die warme Witterung war, dass sie auf die Jacke ihres Kostüms verzichtete und ihre reizvollen Kurven, durch eine eng sitzende Bluse betonte. Sie wirkte eher wie die Managerin eines Unternehmens, denn einer Kriminalbeamtin. Mit einer Ausnahme. An den Füßen trug sie alte schmuddelige Sportschuhe.

    »Was ist für ein Summen in der Luft. Hört sich gruselig an«, fragte sie Heinz.

    »Ist auch gruselig.« Er zeigte zum Maisfeld in die Luft.

    Tatsächlich. Millionen von Fliegen standen in einem dunklen Knubbel über der Fundstelle der Leiche. Mit der Bewegung der Maisstauden und den Flügelschlägen der Insekten entstand eine beklemmende Hintergrundmusik. Claudia fiel auf, wie sie die Luft anhielt, um keines dieser Krabbelviecher einzuatmen. Sie überwand den ersten Schock und richtete die Aufmerksamkeit auf die Arbeit.

    Langsam, jedoch festen Schritts schritt sie zum Ort des Grauens und erspähte mit Entsetzen das Etwas, das einmal ein Mensch gewesen war. Die Leiche, oder das, was davon übrig geblieben war, lag mit dem Gesicht nach unten, soweit sie das beurteilen konnte. Sie hielt inne und richtete den Blick auf die Überreste. Mit ihrem Erfahrungswissen sah sie, dass das Gewebe im normalen Verwesungsprozess zersetzt wurde, wobei Insekten das ihre taten. Der warme Sommer hatte die Fliegenpopulation gefördert. Die abgelegten Larven konnten zu einer Zeitbestimmung herangezogen werden.

    Faules stinkendes Fleisch lag in einem Radius von etwa fünf Metern, zwischen den Maisstauden, um die Leiche verteilt. An einigen Stellen traten gelbliche Knochen hervor. Keine Kleidung. In diesem Augenblick schoss das Gedicht durch ihren Kopf.

    »Es glänzt der Himmel über dem Dach

    So blau, so stille.

    Ein Baum wiegt draußen über dem Dach

    Der Blätter Fülle.

    Eine Glocke im Himmel, den du siehst,

    Hörst sanft du klingen,

    Einen Vogel auf dem Baum, den du siehst,

    Seine Klage singen.«

    Vor Jahren hatte sie es einmal gehört. Einfach lächerlich. Blöde Gedanken. Weshalb gerade jetzt? Verlaine oder so ähnlich hieß der Dichter. Da gab es noch eine oder zwei Strophen. Ach ja …

    »Mein Gott! Mein Gott! Das Leben fließt dort

    Ohne Leiden und Härmen,

    Vom Städtchen kommt mir herüber dort

    Ein friedliches Lärmen.

    Und du dort, der weint bei Tag und Nacht

    In schmerzlicher Klage,

    O sage mir du dort, wie hast du verbracht

    Deine jungen Tage?«

    Gab ihr Unterbewusstsein einen Hinweis? Die Vögel zwitscherten aus Lebensfreude. Sie hörte keine Klage. Die Kirchenglocke schlug elfmal. Kein sanfter Klang, mehr eine Erinnerung daran, dass das Leben unbarmherzig voranschritt. Und nun dieser, unter Umständen abrupte Tod. Sie gewöhnte sich nie daran. Wer mochte die Person sein? Wie lebte sie? Dinge, die in den nächsten Tagen oder Wochen ihr Lebensinhalt bestimmten.

    Nachdenklich knipste Claudia einige Fotos mit dem Smartphone. Der erste Eindruck erschien ihr wichtig. Die Positionsmarken der Technik waren bedeutend, weil sie Aufschluss darüber gaben, was letztendlich geschehen war. Mit der praktischen Zusatzfunktion des Smartphones bannte sie die ersten Gedanken in den Speicher und konnte sie jederzeit abrufen. Eine Leiche an sich war meistens schon kein angenehmer Anblick. Doch hier, ging es an die Grenze dessen, was ein Mensch ertragen konnte. Es sei denn, er hatte Wasser anstatt Blut in den Adern.

    »Kann mir schon jemand etwas sagen?«, fragte sie mit rauer Stimme bei den Gerichtsmedizinern, die diktierten und filmten.

    »Weiblich.« Knut Svensen, der Mediziner sah aus der hockenden Haltung hoch. »Mehr kann ich bei bestem Willen nicht sagen. Normal müsste sie ausgetrocknet sein, bei dem Wetter der letzten Wochen. Oder ... noch mehr, als jetzt, von den Tieren zernagt. An dieses verfaulte Fleisch geht jedoch kein Lebewesen mehr. Irgendetwas hat die Leiche feucht gehalten, sodass sie faktisch faulte. Du kannst nichts anfassen, es zerfällt sofort. Wie bei einem Stück Fleisch, das zu lange kocht. Ich habe noch einige Stunden zu tun. Pass auf, damit mir hier niemand herumtrampelt.« Er zeigte auf die unkenntliche Leiche. Die Haut hing in unappetitlichen Lappen herunter. Dabei entstand das Gefühl, als ob die stinkende Masse sich bewegte. »Wir müssen anhand der Muskelproteine, der Aminosäuren und ungesättigten Fettsäuren das Ausmaß der Verwesung ermitteln.« Knut führte etwas weiter aus. »Aufgrund des abnormen Zustandes der Leiche muss ich warten, bis ich im Labor auf meine Einrichtung zurückgreifen kann. Letztendlich wird die Rechtsmedizin in Köln das abschließende Gutachten geben. Aber das weißt du auch alles. Im Moment kann ich bestenfalls eine Schätzung vornehmen. Das Wetter, die ungewöhnliche Zersetzung des Gewebes«, er kniff seine Nase, »ungefähr zwei Monate … plus, minus. Mehr geht im Moment nicht.«

    »Danke.« Claudia verließ schaudernd das Maisfeld auf dem Weg, den die Kollegen als Zugang markiert hatten. Auf dem Wirtschaftsweg traf sie wieder auf Heinz.

    »Mich wundert, dass dein Grabräuber noch nicht hier nicht.« Er konnte die Anspielung auf Claudias Lebensgefährten nicht lassen.

    Vor einigen Monaten ermittelte die Aachener Kripo in der Gegend wegen einiger Leichenfunde im Heidegebiet. Während des Falles lernte Claudia Kurt Hüffner kennen, der damals ein Indiz von den Leichen hatte mitgehen lassen. An diesem Mann blieb sie tatsächlich kleben. Er besaß einige Macken, die deutlich anders waren, als die, die sie bei ihren bisherigen Bekanntschaften feststellte. Sein Leben bestimmte, neben dem Beruf, der Rhythmus des Dorfes. Das karge Leben der Vergangenheit prägte die Bewohner immer noch. Sie lebten mit einem leichten Hang zum Mystischen, der sich umso ausgeprägter, je älter die Einwohner wurden. Sie lebte nun seit einigen Wochen mit Kurt zusammen.

    »Ehrlich gesagt, mich auch. Sonst ist er meist vor uns am Fundort der Leichen.« Die wenigen Wochen, die Claudia jetzt hier wohnte, fühlten sich wider Erwarten gut an. Die Ruhe, die Gegend und die Menschen gefielen ihr. Es war nicht weit nach Aachen zum Leben einer Großstadt und die wenigen Kilometer zu den holländischen Metropolen Maastricht und Heerlen versprachen Abwechslung. »Komm‹ wir setzen uns einen Moment dort auf die Bank. Das Häuschen haben Nachbarn für ein Original im Dorf gebastelt.« Claudia zeigte auf den kleinen Unterstand, der in die Hecke gebaut war. »Wie ich hörte, war er ein liebenswerter Mensch, der jedoch schon einige Jahre tot ist. Er verteilte Bonbons an die Vorbeikommenden. Hier habe ich mich einige Male von meiner Erschöpfung nach der Entführung erholt. Der beste Platz, um Gott und Pott kennenzulernen.« Ihre Gedanken tauchten kurz in die jüngere Vergangenheit und die Depressionen, die nach dem Kidnapping kamen. Einige Wochen erkundete sie in langen Spaziergängen die Umgebung des Dorfes und im Weiteren das Heidegebiet. Das blies den Kopf frei und die unliebsamen Erlebnisse rückten in den Hintergrund. Mittlerweile schlief sie die Nächte durch.

    »Was mag dort geschehen sein?« Heinz zeigte fahrig zum Maisfeld hinüber.

    »Keine Ahnung. Wir müssen abwarten, was uns die Kollegen liefern. Das dauert einige Zeit.« Sie schüttelte sich. Der fürchterliche Anblick stand vor ihren Augen.

    »Theoretisch könnte es ein natürlicher Tod sein.« Heinz überlegte laut.

    »Das glaubst du selbst nicht. Eine Frau zieht sich nackt aus und geht ins Feld zum Sterben. Was ist los mit dir?«

    »Ich habe keine Lust mehr«, sagte er müde. »In diesem Jahr hatten wir so viele Leichen, wie seit Jahrzehnten nicht. Ich muss das nicht mehr haben.«

    »Du willst mich doch nicht allein lassen«, sie stieß ihn freundschaftlich in die Seite.

    »Hör‹ auf. Meine Nerven sind nicht mehr so stark. Scheinbar wird das Nervenkostüm dünner, je älter man wird.« Heinz spielte seit einiger Zeit mit dem Gedanken an die Pension. Es fiel schwerer, morgens aufzustehen und die Knochen in Gang zu bekommen.

    »Bei dir nicht. Du bist unverwüstlich.« Claudia dachte mit Schrecken daran, dass Heinz eines nahen Tages nicht mehr zum Team gehörte. Er war zwar ein alter Motzkopf, aber seine Ideen und Erfahrungen waren Gold wert. Und außerdem ... gehörte er zu ihnen. Das Team wäre kein Team mehr.

    *

    »Also. Hier ist das gerichtsmedizinische Gutachten zu der Leiche. Die Kollegen haben die Nacht über gearbeitet.« Maria hielt Claudia einen dünnen Ordner hin. »Ich habe alles ausgedruckt, weil unser Alterchen sich partout nicht mit dem PC anfreunden will.« Sie knipste mit dem Auge zu Heinz hinüber, der schon hochfahren wollte.

    Maria ergänzte die Truppe um Claudia. Anfang fünfzig und mit einer, was man landläufig als frauliche Figur bezeichnete, ausgestattet, was besagte, dass die Pölsterchen an den richtigen Stellen saßen. Durch ihre humorvolle Art wirkte sie wesentlich jünger. Die rehbraunen Augen täuschten so manchen. Sie konnte knochenhart werden. Im Moment durchlebte sie eine blonde Phase. Der modische Kurzhaarschnitt modellierte das ovale Gesicht mit den ausdrucksstarken geschminkten Lippen. Ein knalliges dunkles Rot. Maria trug enge Jeans, die ihre weiblichen Proportionen betonte. Dazu eine dreiviertellange helle Bluse, die über dem Bauchnabel geknotet war.

    »Dann bin ich aber gespannt. Ich habe schon viel gesehen, doch der gestrige Anblick geht mir nicht aus dem Kopf.« Claudia schlug die Kladde auf.

    Die letzte Nacht war ein Albtraum. Diesmal verfolgte sie nicht die Dunkelheit, sondern der eklige Anblick der Leiche. Sie schauderte, wenn sie sich vorstellte, was nach ihrem Tod für Viehzeugs an ihr herumknabberte. Für sie kam nur Kremieren infrage, das stand fest. Aber … hier in diesem Dorf, nagte hinten in ihren Gedanken ein Zweifel, ob es nicht doch ein Leben nach dem Tod gab. Die Einheimischen waren, bei allem Aberglauben, dem sie unterlagen, so überzeugt davon, nach ihrem Ableben, in irgendeiner Art und Weise, entweder wieder aufzuerstehen oder im Jenseits weiterzuleben. Claudia schüttelte die Gedanken ab und lenkte die Konzentration auf die Kladde.

    »Weiblich … das wussten wir schon. Alter zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig; dunkelbraunes Haar; eins fünfundsechzig groß. Keine Identifizierungsmerkmale, wenn wir vom Gebiss absehen. Dazu sind Zahnärzte angemailt. Die Leiche lag mindesten acht Wochen in dem Feld, wenn nicht länger. Der ungewöhnliche Verwesungsprozess entstand durch eine defekte Wasserleitung. Der Bauer gegenüber hat eine Leitung vergraben, die zur Kuhtränke führt. Die Tote lag genau in einer Mulde, in der das Wasser austrat. In der warmen Luft des diesjährigen Sommers zog der Körper ständig Feuchtigkeit und verfaulte faktisch, anstatt auszutrocknen. Unzählige Tiere haben die Leiche mehrere Wochen zerfleddert und in der gesamten Gegend verstreut. Einen annähernd genauen Todeszeitpunkt werden die Gerichtsmediziner kaum ermitteln können.« Claudia sah von der Mappe hoch in die bedrückten Gesichter ihrer Kollegen. Aus dem schmucklosen Büroraum des Polizeipräsidiums ging der Blick genau auf die Justizvollzugsanstalt. Drei Schreibtische und ebenso viele verschließbare Aktencontainer boten die einzige Möblierung. Nicht ganz. Einige technische Einrichtungen, die das Berufsleben erleichtern sollten, komplettierten das Ganze: Monitore auf den Schreibtischen, die mit einem großen Server irgendwo in NRW verbunden waren. Drei schmucklose Tastaturen. An den Wänden, Tafeln und eine große Leinwand. Drehstühle, die schon einige Jahre auf dem Buckel hatten. Nirgendwo sparte die Politik so viel, wie im öffentlichen Dienst. Sie sollten hier nicht wohnen, sondern arbeiten. Von der gegenüberliegenden JVA sahen sie nicht mehr, als die schmucklose, einige Meter hohe Mauer. Der Anblick drückte die Stimmung. Vor allem, weil die Kiste nicht sicher war. Gerade mal zwei Jahre war die Posse Heckhoff und Michalski her. Beide, schon mehr als dreißig Jahre in Haft, beschließen, aus der JVA auszuchecken, wie Heckhoff es nannte. Zwar wurden sie einige Tage später festgenommen, doch so lange hielten sie das Rheinland in Atem.

    »Stört es dich, wenn ich mit Heinz nach Grotenrath fahre, um mit den Zeugen zu sprechen?«, fragte Claudia Maria.

    »Überhaupt nicht. Ihr wisst doch, die Knollensavanne lockt mich überhaupt nicht.« Nichts hasste Maria mehr, als im nördlichen Bereich ihrer Zuständigkeiten zu arbeiten. Das platte Land und der eigenwillige Menschenschlag zerrten an ihrem Gemüt. Außerdem verstand sie den Dialekt dort nicht. Kein Holländisch, kein Deutsch … irgend so ein Kauderwelsch. Sie

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