Das Geheimnis von Runkel: Diarium einer verhängnisvollen Liebe zu Wein und Wissenschaft eines gewissen Florian Hagelkorn Aufgefunden und aufgezeichnet von John Ullmann
Von John Ullmann
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Über dieses E-Book
Romantik pur, ganz im Sinne und Stil von des Knaben Wunderhorn, ein Drahtseilakt zwischen Kunst und Kitsch am Hochseiltrapez über dem jähen Abgrund von "Scherz, Satire, Ironie und tieferer Bedeutung".
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Buchvorschau
Das Geheimnis von Runkel - John Ullmann
Impressum
Das Geheimnis von Runkel
John Ullmann
published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
Copyright: © 2015 John Ullmann
ISBN 978-3-7375-3136-8
Runkel, den 1. August
Runkel, ich grüße Dich!
Da bin ich wieder, schaue hinab ins Tal, wo sich zwischen sieben Hügeln eingekuschelt Häuschen an Häuschen um den schützenden Kirchturm schart, wie im Spielzeugland meiner Kindheitsträume.
Runkel, du des Vaterlands schönstes Örtchen, so viel ich sah, lang liebe ich dich schon, möchte dich zur Ehr` als meine heimatliche Braut erheben und dir mit meinem Diarium ein poetisch Gedenk widmen, um damit auf ewig um deine Gunst und Lieb` zu buhlen.
Hier ist gut weilen, wo man lebt so vor sich dahin und daher auf Gottes unverdorbenem Erdboden, ohne an morgen zu denken, als wäre es immer gestern und heute nur ein Traum.
Oh, heiles Kleinod meiner Zuflucht!
Dies ist also meine ersehnte Idylle, meine Insel der Ruhe zur inneren Wiederfindung meines verlorenen Ichs nach den alles verzehrenden Anstrengungen meines erfolgreich bestandenen Maturums, mein auserwähltes Paradies, weit weg von der Hektik der Stadt, jenseits des janusköpfigen Dämons ihrer al-les übermannenden Technik und überbordenden Geschäftigkeit.
Hier auf dem Lande, wo die Natur mit ihrer seit Ewigkeit bewährten Erfahrung regiert, wo Gottes Mühlen langsam aber beständig mahlen, werde ich neue Kräfte sammeln und Ideen schöpfen für mein anschließendes Studium der Medizin und dieser neumodernen Wissenschaft von der Seele, der Psychologie, letzteres zum Leidwesen meiner gestrengen Eltern, die darin eher einen Frevel sehen und mich am liebsten auf die theologische Fakultät schickten, wogegen ich mich natürlich strikt verwehre, trotz meiner anerzogenen Frömmigkeit.
Ich haben den bereits wieder abdampfenden Zug verlassen, stehe mit meinen Koffern und dem Geigenkasten wie verwaist auf der einsamen Haltestelle von Runkel und schicke mich an den Rest des Weges zu Fuß zu gehen, als auch schon mein Onkel mit seinem aufgeputzten Einspänner in der Biegung des Hohlwegs auftaucht.
„Willkommen in Runkel!, schallt es mir lauthals entgegen, „Ein richtiger Kerl ist aus dir geworden, seitdem wir uns das letzte Mal gesehen haben, Florian.
Ja zehn Jahre ist es schon her, als ich das letzte Mal hier gewesen war. Wie die Zeit vergeht.
Erschöpft von der langen Reise in diesem ungemütlichen Bummelzug, der nur die Holzklasse aufwies, sitze ich neben Onkel Franz in der „Chaise", wie er teils liebevoll und teils abfällig von seinem Einspänner spricht, die nun über den ausgefahrenen Weg mehr hoppelt als fährt. Grillen zirpen ihr schrilles Konzert durch fruchtbare Wiesen und Felder. Vom Dorf her läutet die Abendglocke und ruft das Landvolk von der Feldarbeit zum wohlverdienten Abendmahl am heimischen Herd.
Wir passieren die Wäscherei und Bleiche, die mit der darauffolgenden Brennerei und Küferei den Vorposten des Dorfes bilden.
Aus dem Schornstein des Wäschereigebäudes quillt eine riesige Dampfwolke, als herrsche zu solch später Stunde noch Hochbetrieb. Die auf dem Rasen der Bleiche ausgelegten Linnen blenden im rötlichen Abendlicht wider.
Von der Küferei zieht ein leicht bissiger Schwefelgeruch herüber. Eine Unzahl alter und neuer, teils und ganz fertiger Fässer in allen Größen lagern auf dem Umfeld der Werkstatt.
Wie man aus dem Fehlen der Leitungsdrähte wohl schließen darf, besitzt die Wäscherei noch die Küferei und die Brennerei elektrischen Stromanschluss. Bestimmt holt die Wäscherei ihr Wasser noch aus dem eigenen Brunnen.
Als wir die Brennerei passieren klopft Onkel Franz sich an die Brust seines Wams`, aus dem er seinen blechernen Flachmann zieht und der Brennerei zuprostet, bevor er sich einen genehmigt.
Bei meinem letzten Besuch wurde gerade die Wasserleitung im Ort verlegt. Es war ein richtig festliches Ereignis, als meine Tante zum ersten Male den Wasserhahn in der Küche öffnete. Alle im Haus staunten über diese kommende Neuerung, und Onkel Franz vergatterte jeden dazu, damit sorgfältig und pfleglich umzugehen.
„Dass ihr mir ja nicht den Hahn zu kräftig zudreht und dadurch die Dichtung beschädigt!"
Wir erreichen den Ort. Schon von Weitem erkenne ich jedes Haus und jeden Hof. Die sauber getünchten Fachwerkfassaden sind eine Augenweide für die vom schmutzigen Grau getrübten Augen des Städters. Ein jedes Häuschen hat geradeso wie sein Besitzer sein eigenes Gesicht. Aus den Höfen duftet der streng herbe Geruch des dampfenden Mists und stellenweise läuft auch noch die trübe Jauche ungehindert auf die Straße. In Runkel scheint sich in den letzten Jahren aber auch gar nichts verändert zu haben, als sei hier die Zeit stehen geblieben.
Auf der linken Seite kommt das Milchhäuschen, wo sich die Dorfjugend zum allabendlichen Milchabliefern mit anschließendem Stelldichein einfindet. Hier wurde schon so mancher Bund für`s Leben in Runkel in die Wege geleitet.
Neugierige Blicke treffen mich, teils von einem freundlichen Lächeln, teils von unbehaglichem Verdruss gekennzeichnet. An den einen und die andere kann ich mich sofort erinnern und winke zum Gruß.
Schon bei meinem letzten Besuch vor zehn Jahren war ich ein vielfach bestaunter Fremdling hier. Anfangs mag man sich noch gebauchpinselt fühlen, doch mit der Zeit kann es auch lästig werden, wenn man von den alteingessenen Runklern ständig als ungebetener Urian in ihrem inzüchtigen Revier betrachtet wird.
Wir überqueren den Kirchenplatz und weiter geht`s am Goldenen Ochsen vorbei, aus dem das derbe Gegröle und das Aufdonnern von Spielkarten aufschlagenden kräftigen Händen auf dem Stammtisch dringen. „Die können auch nur dem Herrgott den lieben Tag stehlen, das Lumpenpack", meint mein Onkel Franz nur dazu.
Gleich sind wir da. Tante Klara winkt uns schon vom Küchenfenster aus zu. „Ein feiner Stadtschnak unser junger Herr!", empfängt sie mich und setzt mir einen schmatzend feuchten Begrüßungskuss auf die Wangen, rechts und links.
Während ich das Gastmahl zu mir nehme, kernige Griebenwurst mit Sauerkraut und einem Ranken Brot, richte ich die Grüße meiner Eltern aus und berichte von den vielen langweiligen Familienereignissen während der letzten trennenden Jahre, die von meiner Tante mit erwartungsvoller Neugier verfolgt werden.
Mein Onkel hingegen interessiert sich heftig für das große Planetarium, das man vergangenes Jahr bei uns in der Stadt gebaut hat. Doch sein Interesse gilt, wie mir scheint, wohl weniger der Astronomie,