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Die Cousine aus Frankreich: Historischer Roman
Die Cousine aus Frankreich: Historischer Roman
Die Cousine aus Frankreich: Historischer Roman
eBook267 Seiten3 Stunden

Die Cousine aus Frankreich: Historischer Roman

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Über dieses E-Book

Die junge Geneviève de Deaubray flieht 1792 unter skandalösen Umständen vor der Revolution nach England, um bei ihrer Tante zu leben, die zur besten Gesellschaft Londons zählt.
Sie wird zwar mehr als freundlich aufgenommen und genießt die Vergnügungen der Saison, aber mehrere Herren bereiten ihr zunehmend Kopfzerbrechen: Der eine versucht, herauszubekommen, wie ihre Reise wirklich vonstatten gegangen ist, der andere betrachtet ihr Verhalten in der Gesellschaft mehr als kritisch - und der dritte stammt aus ihrer Vergangenheit und versucht, sie damit unter Druck zu setzen. Und dann gibt es in ihrer neuen Familie noch Paare, die einfach nicht zueinander finden wollen. Hier muss Geneviève natürlich helfend eingreifen - und schließlich kommt sie dabei auch selbst zu ihrer großen Liebe.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum5. Juni 2015
ISBN9783737548052
Die Cousine aus Frankreich: Historischer Roman

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    Buchvorschau

    Die Cousine aus Frankreich - Catherine St.John

    I

    „Wie heiße ich eigentlich?"

    Der alte Mann auf dem Kutschbock zeigte sich ob dieser immerhin ungewöhnlichen Frage weniger erstaunt, als man hätte erwarten können. Nach kurzer Verwirrung antwortete er: „Was - ? Ach so! Henri. Henri Letellier."

    Sein Beifahrer nickte befriedigt. Es handelte sich um einen sehr jungen Burschen, mittelgroß und schmächtig gebaut, mit stark sonnenverbranntem Gesicht und strähnigen dunklen Locken, die im Nacken auf die übliche Art schlampig zu einem Zopf gebunden waren. Seine Kleidung - Hose, Jacke und Umhang aus derbem Stoff, dazu grobe Wollsocken und abgeschabte Holzpantinen - entsprach der üblichen Tracht der Bauern in diesem Landstrich Frankreichs und war ganz besonders schmutzig und abgetragen.

    Die nächsten Worte des Jungen hätten einen zufälligen Lauscher gewiss noch mehr verwundert, denn nachdem er ein wenig über seinen neuen Namen nachgesonnen hatte, sagte er: „Dann fang wohl besser gleich an, mich zu duzen, und pass auf, dass du nicht mehr Comtesse zu mir sagst, sonst werden mir die Posten nie glauben, dass ich dein Neffe bin."

    „Zu Befehl, Com- ganz wie du willst, Henri. Aber vor der Abzweigung nach Deauville gibt es eigentlich nie einen Posten, und bis dahin werde ich mich schon daran gewöhnt haben."

    „Hoffentlich!", war die kurze Antwort.

    Während der Wagen dahinrumpelte, versank der junge Bursche in Gedanken. Nun verließ also Geneviève de Deaubray, alias Henri Letellier, ihr väterliches Schloss… wenn man diesen Trümmerhaufen überhaupt so nennen konnte, dachte sie nicht ohne Erbitterung. Und das, um vor der Revolution nach England zu fliehen.

    Zwar war diese Gegend bisher noch erstaunlich friedlich geblieben: Hier hatten, soweit sie wusste, noch keine Schlösser gebrannt, was wohl auf die relative Armut des hiesigen Adels zurückzuführen war, die mit dem Bild des arroganten Aristokraten in Samt und Seide, der die Bauern für sein Wohlleben ausblutete, schlecht zusammenpasste. Andererseits erging es der Bevölkerung hier auch nicht besser als in anderen Teilen des Landes. Irgendwann musste sie auch hier aufstehen: Besser, sie brachte sich vorher in Sicherheit!

    Es musste natürlich erst eine Revolution kommen, damit sie etwas von der Welt sah! Ihr verstorbener Vater, der Comte Armand de Deaubray, hatte stets sehr zurückgezogen gelebt, ohne sich allerdings allzu sehr mit der Verwaltung seines Gutes zu befassen, wie Geneviève wieder einmal feststellen musste, als sie in der Dämmerung an den verwahrlosten Bauernkaten vorbeifuhren, die noch zu Deaubray gehörten. Nie hatte Papa einen Sou dafür aufgewendet; für seine Tochter allerdings auch nicht.

    Ja, sie war noch nicht einmal in Paris gewesen, und nun würde sie es wohl nie sehen, denn wer wusste, wann sie nach Frankreich zurückkehren konnte?

    Schon drei Jahre dauerte diese schreckliche Revolution nun an und es war kein Ende abzusehen – ja, es schien täglich schlimmer zu werden! Immer mehr Menschen wurden umgebracht, hingerichtet, wie man es nannte, als ob es ein Verbrechen wäre, von Adel zu sein!

    Man hatte vor einem Monat, am 10. August 1792, sogar die Monarchie abgeschafft. Genevièves Lippen kräuselten sich, als sie an die grausige Szene dachte. Ihr Vater hatte müßig und mit spitzen Fingern nach dem Moniteur universel gegriffen (er hasste dieses offizielle Blatt, las es aber doch), als er plötzlich aufsprang, entsetzt auf die Titelseite starrte, sich an die Brust griff und schwer zu Boden stürzte. Weder die Bemühungen der zu Tode erschrockenen Geneviève noch die des eiligst herbeigeholten Dr. Tissot hatten ihn zu retten vermocht; die Nachricht war zuviel für sein Herz gewesen.

    Geneviève, die den König insgeheim für einen unfähigen Tropf hielt, schnaubte verächtlich, als sie daran dachte. Hätte man dem Grafen mitgeteilt, seine einzige Tochter habe sich bei einem Reitunfall das Genick gebrochen, wäre ihm das Herz ganz gewiss nicht stehen geblieben!

    Ihr Vater hatte sie nie viel beachtet, da sie nur ein Mädchen war, und sich praktisch für kinderlos gehalten, seit seine Frau vor vierzehn Jahren mit seinem einzigen Sohn im Kindbett gestorben war. Geneviève hatte ihren Vater nicht besonders geliebt. Sein plötzlicher Tod war zwar ein Schock für sie gewesen, da sie ihn miterleben musste, aber als die Betäubung nachließ, war sie insgeheim erleichtert: Nun konnte sie endlich nach England reisen! Die Nachrichten aus Paris klangen täglich bedrohlicher; einerseits nahm sie es dem Volk und vor allem den Bauern nicht übel, dass sie sich erhoben hatten, denn auch ihr waren die Zustände des ancien régime unhaltbar erschienen (wenn auch ein Gutteil dieser Ansicht Lucien zu verdanken war), aber andererseits wollte sie doch lieber bei Tante Anne in London Zuflucht suchen, bevor man sie als aristo verhaftete und womöglich auf dieses neuartige Schafott schleppte, das ausgerechnet ein Arzt, ein gewisser Dr. Guillotin, erfunden haben sollte. Ihr Vater aber hatte allen ihren Vorstellungen von Gefangenschaft und Tod nur stereotyp entgegengesetzt: „Wir Deaubrays schleichen uns nicht wie Diebe davon!"

    Offensichtlich zog er es vor, mit der alten Ordnung unterzugehen. Nun, sie vertrat da eine andere Ansicht!

    Ihre Schultern strafften sich entschlossen, als Jean-Baptiste, der Kutscher ihres Vaters, sie anstieß und murmelte: „Da vorne geht´s nach Deauville, und da sind auch schon die Posten. Achtung jetzt, Henri!"

    „Schon gut, Onkel, antwortete sie, nicht ohne spitzbübische Betonung des letzten Wortes. Er warf ihr einen irritierten Blick zu – dass sie auch immer ihre Witze machen musste! – und ließ das Pferd in Schritt fallen, bis man die beiden Soldaten erreicht hatte. Dort zog er die Zügel an, bevor noch das „Halt! Im Namen der Republik! der Soldaten ertönte, und tippte grüßend an die Mütze.

    Einer der Posten hob die Laterne und leuchtete den nächtlichen Passagieren ins Gesicht. Während Jean-Baptiste umständlich nach dem Pass kramte, gähnte Geneviève ungeniert, ohne sich die Hand vor den Mund zu halten, und rülpste sodann ausführlich. Dieser Beweis schlechter Manieren überzeugte die Wächter mehr als der ordnungsgemäß ausgestellte Pass für Jean-Baptiste Moulon und seinen Schwestersohn Henri Letellier (der an diesem Abend friedlich zu Hause saß), dass hier keine Aristokraten aus dem Lande geschmuggelt werden sollten.

    „In Ordnung. Fahrt zu, Bürger!"

    Erleichtert trieb Jean-Baptiste das Pferd an, und als sie außerhalb der Hörweite der beiden waren, entfuhr Geneviève ein langes „Puh!"

    „Ja, das hätten wir, lieber Neffe!", stimmte Jean-Baptiste zu, der sich umso leichter in seine Onkelrolle fand, als hauptsächlich er die kleine Comtesse großgezogen hatte, die unentwegt ihren Gouvernanten entwischt war, um sich von ihm das Reiten, das Kutschieren und andere interessante Fertigkeiten beibringen zu lassen, anstatt sittsam über ihrem Stickrahmen oder am Pianoforte im schäbigen Salon von Schloss Deaubray zu sitzen. Papa wusste davon natürlich nichts, er glaubte, seine Tochter werde so streng behütet, wie es sich für eine Comtesse de Deaubray schickte – und alle Angestellten ließen ihn gerne in dem Glauben, auch die jeweilige Gouvernante, die um ihre Stellung bangte. Da der Graf den ganzen Tag in seinem Arbeitszimmer über den Reliquien vergangener Glorie der Familie brütete, die mit ihm aussterben würde, bereitete das Versteckspiel keine großen Schwierigkeiten.

    Ja, er hatte es nicht einmal bemerkt, dass seine streng bewachte Tochter es fertig gebracht hatte, sich zu verlieben – in den Sohn des Maître Tournier, eines Advokaten im nahegelegenen Evreux. Er hätte diese - obendrein so gar nicht standesgemäße – Beziehung auf das Heftigste missbilligt, denn Maître Tournier hatte als Deputierter des Dritten Standes für Evreux an den Generalständen teilgenommen, und sein Sohn war ein glühender Revolutionär, der sogar ein Zerwürfnis mit seinem gemäßigten Vater riskiert hatte, um in Paris zu bleiben und „dabei zu sein", wie er es nannte, während sein Vater nach der Verabschiedung der Verfassung im letzten Jahr wieder nach Evreux  in seine Kanzlei zurückgekehrt war.

    Lucien hatte Geneviève gelegentlich besucht, wenn er einige Tage bei seinem Vater verbrachte, und ihr von den neuesten Entwicklungen in der Hauptstadt vorgeschwärmt. Aus diesen Gesprächen hatte Geneviève auch hauptsächlich ihre politischen Ansichten bezogen. Wenn sie auch – oft rein instinktiv – nicht alle Thesen Luciens gut heißen konnte, so hing sie doch begierig an seinen Lippen, wenn er erzählte. Ihr war dann zumute, als käme ein Stück von Paris und seinen aufregenden Ereignissen nach Deaubray, wo nicht einmal jetzt, während der größten Umwälzung, die Frankreich je erlebt hatte, irgendein besonderes Vorkommnis das tägliche Einerlei störte.

    Lucien hatte diese Begeisterung natürlich außerordentlich geschmeichelt und er hatte sich die Verliebtheit der kleine Comtesse gerne, wenn auch etwas gönnerhaft, gefallen lassen, sie in einem gewissen Maße vielleicht sogar erwidert, bis er im Juli zum letzten Mal aufgetaucht war, seltsam erregt, aber ohne ihr zu sagen, was er eigentlich vorhatte. Seitdem hatte sie nichts mehr von ihm gehört; wahrscheinlich war es für einen jungen Mann, der in der Revolution Karriere machen wollte, ungünstig oder sogar gefährlich, sich mit einer – wenn auch noch so ärmlichen - Aristokratin abzugeben. Nun würde sie ihn wohl überhaupt nicht mehr wiedersehen…

    Sie versuchte, die aufkommende trübe Stimmung zu verscheuchen, und zwang sich, sich auf England zu freuen. Schließlich lag eine aufregende Reise voller Gefahren und Abenteuer vor ihr, wie in einem der Romane, die sie (natürlich ohne Wissen ihres Vaters) verschlungen hatte! Es konnte tatsächlich noch allerlei passieren; sie hatte sich zwar verkleidet, sich mutwillig einen Sonnenbrand zugezogen und von Jean-Baptiste ihre kupferroten Locken etwas stutzen und dunkelbraun färben lassen – aber wer konnte wissen, ob man sie nicht doch erkennen würde? Ein angenehmer Schauer, kaum durch einen Hauch von Furcht getrübt, lief ihr den Rücken hinunter: endlich ein Abenteuer, nach achtzehn Jahren der Langeweile auf Schloss Deaubray!

    Jean-Baptiste unterbrach ihre Gedanken mit einer geradezu unpassend nüchternen Frage: „Hast du auch genug Geld dabei?"

    Sie lachte. „Das fällt dir jetzt ein? Willst du zurückfahren, wenn ich sage, nein, daran habe ich gar nicht gedacht? Keine Angst, in Papas Schreibtisch waren noch sechsundzwanzig Louis d´or. Das dürfte doch reichen, oder?"

    Sie hielt bekräftigend ein Lederbeutelchen hoch, das sie an einer Schnur um den Hals trug.

    Er nickte. „Gut. Georges verlangt fünf Louis d´or für die Überfahrt – ziemlich billig. Den Rest heb nur gut auf, du wirst in England gewiss auch Geld brauchen. Dort bekommst du auch gewiss keinen Ärger, wenn du richtiges Geld statt dieser wertlosen Fetzen hast."

    „Statt der Assignaten, meinst du?"

    „Ja. Papiergeld! Hat man so etwas Seltsames schon gehört?"

    Nun kam ihr ein anderer Gedanke: „Denke daran, morgen früh einen anderen Weg zurück zu nehmen, damit niemand merkt, dass ich dir sozusagen verloren gegangen bin!", ermahnte sie Jean-Baptiste, der aber nur unwillig grunzte.

    „Glaubst du, ich bin blöde? Natürlich fahre ich einen anderen Weg zurück. Und dann schlage ich sofort Krach und zeige an, dass du geflohen bist, kaum dass ich den Rücken gewendet hatte -"

    „Voll republikanischer Entrüstung!", lachte Geneviève.

    „Na sicher, ich bin doch ein guter citoyen!" Er warf sich ironisch in die Brust.

    ***

    Gegen halb zehn Uhr abends kamen sie nach Seyeux, dem kleinen Küstenort, wo Jean-Baptistes Vetter Georges zu Hause war. Sie hielten vor einem baufälligen, aber peinlich sauberen Häuschen am Ende des Ortes; Jean-Baptiste sprang vom Wagen und wollte Geneviève aus alter Gewohnheit vom Sitz herabhelfen. Gerade noch rechtzeitig, wie sie meinte, flüsterte sie: „Lass das – bist du verrückt?", und hüpfte leichtfüßig auf den Boden.

    Jean-Baptiste verstand zuerst nicht recht, aber dann kam ihm die Erleuchtung: „Was -? Ach, glaubst du, die hier halten dich für Henri? Den kennen sie doch, so gut wie mich! Nein, nein, Georges und Marthe sind eingeweiht, wir brauchen uns nicht zu verstellen, wenn kein Fremder da ist. Außerdem ist es ja schon stockfinster."

    „Du hast recht", meinte Geneviève etwas beschämt, da sie sich gerade ganz besonders geistesgegenwärtig und umsichtig gefühlt hatte. Sie ärgerte sich über sich selbst und befürchtete plötzlich, die ganze Fahrt werde so zahm verlaufen wie ihr bisheriges Leben – dann aber schalt sie sich eine Närrin: Sie konnte doch froh sein, wenn sie heil und ganz nach England gelangte!

    Sie betraten das Häuschen, das nach landesüblicher Bauweise aus grauem Stein errichtet war. Die Haustüre führte direkt in das einzige ebenerdige Zimmer, das offensichtlich als Wohnraum und Küche zugleich diente, wie die offene Feuerstelle mit der rußgeschwärzten Decke rund um den Abzug darüber verriet. Geneviève hatte noch nie eine solche Behausung von innen gesehen, da ihr Vater ihr den Umgang mit den Bauern von Deaubray verboten hatte; nicht einmal die Kranken durfte sie besuchen, da ihr Vater den verweichlichenden Einfluss der Mildtätigkeit auf seine Bauern fürchtete – wie der Teufel das Weihwasser, um einen Ausdruck Jean-Baptistes zu verwenden.

    So sah sie sich nun neugierig um. Der Raum war ziemlich niedrig und wurde von einigen Talgkerzen und dem schwachen Herdfeuer nur unzureichend erhellt; Geneviève, die ja aus der Dunkelheit kam, erkannte trotzdem einiges: einen Tisch mit den dazugehörigen Stühlen in der Nähe der Feuerstelle, einen wackligen Schrank neben der Tür; im Hintergrund führte eine steile Stiege ins Dachgeschoss, das wahrscheinlich als Schlafkammer diente.

    Am Herd stand eine Frau, die sich nun umwandte und ihnen entgegenkam. Als sie sich näherte, sah Geneviève, dass sie etwa Ende vierzig und auf eine etwas derbe Art recht hübsch war. Lebhaft begrüßte sie die Ankömmlinge: „Da seid ihr ja endlich – keine Schwierigkeiten auf dem Weg hierher? Georges, Georges, sieh mal, wer da ist!"

    Georges, der neben dem Tisch saß und ein Netz flickte, sah kaum auf und brummte nur zur Begrüßung. Geneviève fand ihn nicht sehr freundlich und war nicht mehr ganz so sicher, ob die Überfahrt ein herrliches Abenteuer werde würde.

    „Nun kommt erst einmal und setzt euch. Habt ihr Hunger? Aber natürlich habt ihr Hunger, ihr wart ja mindestens drei Stunden unterwegs!" Mit diesen gastfreundlichen Worten stellte Georges´ Frau einen Topf auf den Tisch, aus dem ein verlockender Duft aufstieg, und legte einen dunklen Brotlaib und ein Messer daneben.

    Geneviève spürte ihren Magen knurren und langte kräftig zu, obwohl sie diese Art von Fischsuppe noch nie gegessen hatte. Sie war noch nicht fertig, als sich Georges erhob und meinte: „Ich hole Louis und die anderen; wir segeln dieses Mal nur zu viert – das ist sicherer. Wir bleiben zwei Nächte weg; wenn jemand fragt, warum, dann sagst du, wir wollten nach Brest – im offenen Meer sind die Fischgründe besser. Hast du verstanden, Marthe? Wir müssen langsam los, der Wind steht genau richtig und weht auch schön kräftig; so können wir es in zwölf Stunden schaffen, wenn alles gut geht. Aber essen Sie nur ruhig fertig", beruhigte er Geneviève, die hastig aufbrechen wollte, und verließ das Häuschen.

    Als Geneviève aufgegessen hatte, erinnerte Jean-Baptiste sie an das Geld. Sie reichte Marthe die fünf Louis d´or, die sie in der Jackentasche trug (der Rest war in dem Lederbeutelchen sicher verwahrt), wickelte sich fester in ihren Umhang und machte sich mit Jean-Baptiste auf dem Weg zu dem kleinen Hafen.

    Es erstaunte sie, dass Georges einen fast neuen, stattlichen Kutter sein eigen nannte, den er gerade zusammen mit drei anderen Männern startklar machte. Der Wind blies tatsächlich recht kräftig vom Land her – so konnte die Reise wohl nicht allzu lange dauern.

    „Ja…, meinte Jean-Baptiste leise, „viel Glück, Comtesse. Passen Sie gut auf sich auf, da drüben in England.

    „Ich schreibe dir, ganz bestimmt", versprach Geneviève, nun doch von Rührung und Abschiedsschmerz übermannt, mit erstickter Stimme.

    „Lieber nicht, wehrte Jean-Baptiste ab, „das wäre zu gefährlich. Ich werde Ihnen schreiben, wenn es gefahrlos möglich ist.

    Die Abschiedsszene fand ein abruptes Ende, als Georges rief: „He, Henri, herauf mit dir, wir sind soweit!" Sie küsste den verlegenen Jean-Baptiste rasch auf die Wange, lief auf den Kutter zu und kletterte hinein. Die Segel rauschten herab und füllten sich mit Wind; langsam glitten sie aus dem kleinen Hafen aufs Meer hinaus.

    II

    Geneviève kauerte in einer Ecke des Hecks, um den Männern nicht im Wege zu sein, die bei der kräftigen Brise alle Hände voll zu tun hatten. Schließlich – sie wusste gar nicht, wie viel Zeit schon vergangen war, aber es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, denn ihr war kalt und die vier Männer waren ihr nicht ganz geheuer – wandte sich einer der anderen Männer nach ihr um.

    „Sag mal, Georges, der Kleine sitzt hier nur so herum, der könnte uns doch wenigstens ein bisschen helfen. Ich versteh´ ja sowieso nicht, wieso wir heute nur zu viert rausgefahren sind – gerade, wenn wir eine lange Fahrt vorhaben."

    „Halt´s Maul, Louis, der versteht doch gar nichts vom Segeln."

    „Was? Und wozu hast du ihn dann mitgenommen? Vielleicht wegen der guten Nachtluft? Da ist doch was faul! Sag mal, ist das etwa ein Flüchtling – ein Feind der Republik?"

    „Quatsch", brummte Georges, aber es klang wenig überzeugend.

    „Na, also mir kommt das spanisch vor."

    „Ist mir egal, wie dir das vorkommt. Blas dich hier nicht so auf, Louis, zieh lieber das Tau da vorne mal fester an, das Segel flattert ein bisschen."

    Während Louis achselzuckend die wenigen Schritte zum Bug stiefelte, wo die beiden anderen Männer sich die ganze Zeit aufhielten, eilte Georges zu Geneviève und flüsterte hastig: „Tut mir Leid, mein normaler Bootsmann ist krank; wir müssen ihn bestechen – für Geld übersieht der alles. Haben Sie noch etwas Geld übrig?"

    „Ja", flüsterte Geneviève zurück.

    „Wie viel?"

    „Fünf Louis d´or", antwortete sie vorsichtig, wenn auch nicht unbedingt wahrheitsgemäß.

    „Ich werde es versuchen. Drei müssten aber reichen. Die anderen sind harmlos – sie machen alles, was ich sage, und können Louis nicht leiden. Lassen Sie mich nur machen."

    Mit diesen Worten trat er einen Schritt zurück und wandte sich dem zurückkommenden Louis zu. „He – Louis! Wie wär´s mit einem Spielchen? Jetzt haben wir ja etwas Ruhe." Dabei holte er schon ein abgegriffenes Päckchen Karten aus seiner hinteren Hosentasche. Geneviève war gespannt, was nun folgen würde - das jedenfalls hatte sie nicht erwartet! Georges freilich schien genau zu wissen, was er tat. Louis zögerte, schielte aber begehrlich auf die Karten, soweit Geneviève das in der Dunkelheit erkennen konnte, während sie unauffällig einige Münzen aus ihrem Beutelchen in die Jackentasche praktizierte.

    „Lust hätte ich schon… aber ich weiß nicht. Ich hab gestern schon zwei Louis d´or im Lion Rouge verspielt – weiß gar nicht, wie mir das passiert ist. Meiner Alten hab ich das noch gar nicht gesagt. Mann, die wird mir vielleicht was erzählen!"

    „Gleich zwei ganze Louis d´or? Aber Louis – so viel Geld!"

    „Hör bloß auf, du redest schon wie meine Alte."

    „Ja, ja, die gute Anne, sinnierte Georges nicht ohne Schadenfreude. Interessiert fragte er weiter: „Hat sie dir wegen sowas nicht mal eine Flasche über den Schädel gehauen?

    „Verdammt, erinnere mich bloß nicht daran!", stöhnte Louis auf.

    „Ein resolutes Weibsbild, deine Anne, gab Georges sein Urteil ab. „Na, dann schau nur, dass du das Geld schnell wieder auftreibst. Eine ganze Menge, zwei ganze Louis d´or.

    Damit wandte er sich ab und machte sich an einem Tau zu schaffen. Geneviève hatte seine Taktik schon durchschaut: Er wollte Louis ein bisschen schmoren lassen. Tatsächlich biss dieser nach einigen Minuten stummen Kampfs mit sich selbst auf den so geschickt ausgelegten Köder an: „Sag mal, Georges, du könntest mir nicht vielleicht…?"

    „Was? Geld pumpen? Schlecht, weißt du… Meine Marthe lässt mir auch nicht viel übrig; wenn ich so viel spielen würde wie du, hätte ich auch nie einen Sou. Jean und Michel brauchst du übrigens gar nicht erst zu fragen, die

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