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Eva
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eBook399 Seiten5 Stunden

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Über dieses E-Book

Eva Faules, geb. Glück, hat den Alltag inmitten ihrer chaotischen Familie fest im Griff. Als Ehemann Michael jedoch die attraktive Carolina kennenlernt, ist es vorbei mit der Idylle. Denn Carolina will Eva ihren Mann ausspannen und handelt ohne Skrupel. Doch Eva wehrt sich!

Ein heiterer Familienroman mit vielen überraschenden Wendungen
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum20. Mai 2018
ISBN9783742737403
Eva

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    Buchvorschau

    Eva - Lilian Adams

    Carolina

    Carolina Fonteler betrachtete sich ausgiebig in dem viel zu kleinen Spiegel ihres vornehmen Hotelzimmers. Wieder mal ein Hotelmanager, der keine Ahnung von den Bedürfnissen seiner Gäste hatte. Wie so oft, waren auch hier die Spiegel schlecht platziert und Carolina konnte daher keinen Gesamteindruck ihrer Erscheinung bekommen. Natürlich war sie ausgerechnet in einer Herberge gelandet, für die das Wort Ganzkörperspiegel anscheinend ein Fremdwort war. Und das, bei diesem horrenden Preis. Carolina beschloss, sich auf jeden Fall bei der Abreise zu beschweren. Außerdem, so nahm sie sich vor, würde sie in Zukunft genau darauf achten, dass Mia, ihre unfähige Mitarbeiterin, diesen relevanten Punkt bei jeder Buchungsanfrage abchecken würde.

    Carolinas Tag war bereits im Eimer, bevor er auch nur richtig begonnen hatte. In der Nacht war es viel zu hell im Zimmer gewesen, um ohne Schlafmaske Ruhe finden zu können. Aber die eigentlich exakt auf ihre Gesichtsform zugeschnittene Maske musste bei einer unruhigen Bewegung verrutscht sein, sodass das Licht der Straßenlaterne die Ruhesuchende geblendet hatte. Carolina brauchte ihren Schlaf. Schließlich war sie bereits 35. In diesem Alter konnte man es sich nicht mehr erlauben, die Nacht durchzumachen, ohne dass man am nächsten Tag die Spuren im Gesicht sehen musste. Carolina seufzte.

    Eigentlich liebte sie das Leben, das sie seit vielen Jahren führte. Aber manchmal war es einfach nur anstrengend. Die vielen Städte, die zahllosen Menschen, die sie ansprachen. Sei es, um sie um Rat zu fragen oder einfach nur, weil sie neugierig auf Details aus Carolinas aufregendem Lebens waren.

    „Versinke mal nicht in Selbstmitleid, das steht dir nicht! schalt sich Carolina lautlos und wie auf Knopfdruck spürte sie die Wirkung ihrer eigenen Worte, fühlte, wie neue Kraft durch ihre Adern floss. Sie straffte den Rücken und beugte sich ein wenig weiter zum Spiegel vor, um nochmals eine zusätzliche Lage ihres signalroten Lippenstiftes aufzutragen. „Piratenrot , wie edel allein schon der Name klang. Seit Jahren trug Carolina keinen anderen Farbton mehr. Das Geräusch beim Öffnen der Lippenstifthülse, ein leichtes Knacken, hätte sie unter 1000 anderen wiedererkannt. Für Carolina war es der Klang des Luxus.

    Er signalisierte ihr, dass sie es geschafft hatte. Niemand außer ihr selbst hätte das für möglich gehalten.

    Damals, als sie ein dürres, zu lang geratenes Mädchen gewesen war, das mit seiner hellen Haut so gar nicht in ein italienisches Bergdorf zu passen schien. „Wenn meine Mutter mich so sehen könnte", dachte Carolina bei so mancher Gelegenheit, doch sie verscheuchte diesen Gedanken schnell wieder.

    Stattdessen zog sie ein Kosmetiktuch aus dem Edelstahlbehälter und tupfte vorsichtig über ihr Werk. Noch ein kurzes Lächeln, um eventuelle Lippenstiftspuren auf den Zähnen sichtbar zu machen, dann war sie mit sich und der Welt wieder im Reinen. Carolinas blaue Augen strahlten intensiv und erinnerten an einen Sommerhimmel. Zusammen mit dem roten Lippenstift gab das ihrem Gesicht eine dramatische Wirkung, die durchaus beabsichtigt war. Schließlich hatte Carolina lange nach Kontaktlinsen gesucht, die das wässrig daherkommende Blau ihrer eigenen Augenfarbe intensivierten. Offensichtlich war sie bei ihrer Suche erfolgreich gewesen.

    Entschlossen griff sie zur Pinzette und zupfte ein feines Härchen heraus, das den perfekten Schwung ihrer Augenbrauen störte. Noch war ihr Gesicht annähernd faltenfrei, zumindest unter dem Make Up, das sie trug.

    Dennoch fürchtete sich Carolina vor dem Alter. Beim Gedanken an Krähenfüße, Furchen im Gesicht oder, schlimmer noch, Stoppeln am Kinn, wie sie sie bei Frauen um die 50 schon einige Male gesehen hatte, wurde ihr ganz flau im Magen.

    Ihr fiel ein, dass sie schon lange nichts mehr gegessen hatte. Obwohl ihr Körper nicht dazu neigte, dick zu werden, achtete Carolina streng auf ihre Idealmaße. Nichts fand sie abstoßender, als Menschen mit Doppelkinn, Metzgerarmen und Bauchansätzen. Alleine der Gedanken, sie könne selbst irgendwann aus dem Leim gehen, verursachte ihr Panikgefühle und Atemnot.

    Carolina legte viel Wert auf ihr Äußeres. „Was soll ich mit inneren Werten, wenn man sie von außen nicht sieht?" war eines ihrer Zitate, das mittlerweile auch in der Öffentlichkeit häufig zu hören war.

    Es war beinahe so etwas wie ein geflügeltes Wort für die Abnehmbewegung geworden. Ein Trend, für den sie durch ihre Arbeit mit verantwortlich war und ihre gute Tat für die Menschheit. Carolina hatte kein Verständnis für Menschen, die nicht auf ihr Erscheinungsbild achteten. In der modernen Zivilisation gab es doch alle Hilfsmittel, die man sich nur vorstellen konnte, um gut auszusehen oder wenigstens gepflegt durchs Leben zu gehen.

    Sie selbst war sich sicher, dass sie in einigen Jahren mindestens zu Botox greifen würde, um ihre Jugendlichkeit zu bewahren.

    Seit ihrem 35. Geburtstag im Februar trug Carolina ausschließlich schwarz. Diese Farbe, so fand sie, verlieh ihr ein apartes, interessantes Aussehen. Schwarz wirkte geheimnisvoll, verführerisch und betonte die Blässe ihrer Haut eindrucksvoll. An den bewundernden Blicken, die ihr oft folgten, wenn sie unterwegs war, erkannte Carolina, wie richtig ihre Entscheidung für diese Farbe gewesen war. Ihr platinblonder, immer exakt geschnittener Kurzhaarschnitt unterstrich ihr androgynes Aussehen und machte das Bild komplett. Sie war innerlich wie äußerlich unverwechselbar.

    Eva

    „Faules! Wo steckst du denn?" So ein Nerv! Ich runzele die Stirn und rolle meine Augen automatisch zur Zimmerdecke, um mit einer kleinen Zwischenmeditation zu beginnen. Ein Spinnennetz! Zart wogt es hin und her, hin und her. Fast wie ein Pendel, nur fluffliger.

    „Ommmm" murmele ich leise vor mich hin und atme tief und bewusst aus, um mich noch tiefer in die Entspannung zu bringen. Keine Chance! Ich probiere es nochmal. Bewusst einatmen, ausatmen. Die Spinne schaut in ihrem Netz vorbei. Meine Konzentration ist endgültig futsch und ich bin frustriert. Dieser ganze Entspannungskram funktioniert bei mir nicht die Bohne. Der Ratgeber, den ich mir erst letzte Woche zu diesem Thema gekauft habe, ist absoluter Schrott.

    Das ist schlecht, denn ich brauche dringend Unterstützung!

    Am besten stelle ich mich mal vor. Gestatten: Faules. Eva Faules. Damit geht es schon los. Wie ich meine Entscheidung von damals hasse. Immer noch. Täglich mehr. Und dabei bin ich doch schon fünfzehn Jahre lang verheiratet. Ich bin eine geborene „Glück", aber ich dumme Nuss habe meinen Mädchennamen damals einfach leichtfertig aufgegeben.

    Das war doof! Hätte ich mein Glück doch nur behalten! Vielleicht habe ich eines Tages genug Energie, die ganze Bürokratie auf mich zu nehmen und eine Namensänderung durchzuboxen. Aber ich sehe schon die vielen hochgezogenen Augenbrauen, entsetzten Blicke danach und höre sie sagen „Habt ihr euch scheiden lassen? Wer kriegt das Haus, wie verkraften es die Kinder". Diese Vorstellung hält mich bisher noch davon ab.

    Mit meinem größten, frisch geschärften Küchenbeil hacke ich lieber die Schokolade so schwungvoll klein, dass die Späne über die Küchenplatte hüpfen, als seien sie auf der Flucht vor meinem Zorn. Ich bin schon wieder richtig sauer. Das bin ich in letzter Zeit immer, wenn Michael mich als „Faules" tituliert.

    Und sein Tonfall jedes Mal! „Faaaaauuuuules", das klingt bei ihm wie das anklagende Jaulen eines verletzten Wolfes.

    Am meisten macht mir zu schaffen, dass ich selbst an der Situation schuld bin. „Eva Faules, geborene Glück, dazu hätte ich natürlich nie, niemals, auf gar keinen Fall „ja sagen dürfen. Was für eine bescheuerte Konstellation! Jetzt bin ich schon so lange Michaels Frau, übersehe großzügig seine Macken, aber an seinen blöden Nachnamen werde ich mich definitiv nie gewöhnen und das will ich auch gar nicht mehr.

    Wieder mal bleiben meine Gedanken in dem üblichen Strudel hängen, aus dem ich einfach nicht rausschwimmen kann. Keine Kraft, gegen die Strömung anzukämpfen. Ich gehe mir gerade selbst auf den Keks, also Schluss jetzt mit dem Gejammer!

    Ich seufze abschließend und schütte resigniert die Schokoladenstückchen in den Teig. Sich zu ändern ist schwierig, das steht sogar in den gefühlt tausend Ratgebern, die ich mir schon in der Buchhandlung meiner Freundin Marie besorgt habe.

    Aber ich werde nicht aufgeben. Schließlich kenne ich meine Schwächen. Mein halbes Leben lang habe ich versucht, mich von diesem kleinen Mäuschen in eine selbstbewusste, starke Frau zu verwandeln. Im Moment hänge ich irgendwo zwischendrin.

    Dieser Gedanke frustriert mich und ich lasse das Beil so schnell auf die Schokolade fallen, dass das hölzerne Schneidebrett zu zittern beginnt. Meine blonden, schwer erziehbaren Haare tanzen dabei wie wild auf und ab. Erst als sich der restliche Schokoladenblock in winzig kleine Krümel verwandelt hat, bin ich zufrieden.

    Schwungvoll haue ich die Masse in die bunten Silikonförmchen. Teigspritzer landen auf dem frisch geputzten Küchenboden. Also nachher nochmal den Putzlappen schwingen.

    Ich seufze erneut. Warum kann ich heute nicht aufhören zu seufzen?

    „Faules, kommst du mal?" Da ist sie wieder, die liebevolle Ansprache meines Gatten. Offensichtlich will er so schnell nicht aufgegeben. Ich aber auch nicht. Ich werde hart bleiben und auf diese Ansprache nie wieder reagieren. Basta!

    „Faules! Bist du in der Küche?" Die Stimme kommt näher. Automatisch öffne ich den Mund um zu antworten, kann mich aber gerade noch bremsen. Fühlt sich irgendwie gut an. Vielleicht war das mit der Meditation und dem vielen Ommmmh doch keine so schlechte Idee.

    Ich lockere meine verkrampften Schultern und verfrachte die Muffins in den Ofen. Wenigstens beim Thema Kochen und Backen macht mir so schnell keiner was vor. Ich liebe es einfach.

    Manchmal, wenn mir ein bestimmter Duft in die Nase steigt, habe ich eine Szene vor Augen, in der ich bei Mama in der Küche sitze und Kakao trinke, während sie Gemüse schnippelt und kocht. Dann kommt Papa heim, streicht mir über den Kopf und sagt: „Hallo Prinzessin!"

    Meine Eltern sind viel zu früh bei einem tragischen Autounfall ums Leben gekommen und das ist eine der wenigen Erinnerungen, die ich von der Zeit vor dem Unfall noch habe. Vielleicht wollte ich deshalb unbedingt Köchin werden, weil ich mich an diesem Ort so geborgen fühlte. Wer weiß?

    Tante Polly nahm mich zu sich. Allerdings war sie alleinstehend und musste den ganzen Tag arbeiten, um uns durchzubringen. So landete ich in der Klosterschule. Die Gute wusste ja nicht, wie unglücklich ich dort war und ich wollte keine Probleme machen. Deshalb habe ich tapfer durchgehalten. In den Ferien fuhr ich dann zu ihr.

    Marie, schon damals meine beste und einzige Freundin, holte mich immer am Bahnhof ab und hatte den neuesten Klatsch aus dem Dorf parat.

    Waren das schöne Tage! Wir waren unzertrennlich und wurden von den Nachbarn nur noch „die Zwillinge genannt. Unsere Freundschaft hält bis heute, auch wenn wir uns leider viel zu selten sehen. Marie hockt zwar den ganzen Tag in ihrer Buchhandlung, bekommt es aber trotzdem hin, sich regelmäßig zu melden. Meistens ergreift sie die Initiative. Obwohl. Oft denke ich gerade an sie und dann klingelt auch schon das Telefon. Wer war dann zuerst aktiv? Marie nannte uns vor zwanzig Jahren schon „Seelenverwandte, obwohl das Wort da noch ziemlich exotisch klang. Das war, bevor die Esoterikwelle durchs Land geschwappt ist. Und irgendwie hat Marie Recht. Wie sonst kann es sein, dass eine oft weiß, was die Andere denkt.

    Aber während der langen Schulzeit zwischen den Ferien war ich immer sehr einsam.

    Na ja, immer noch Gejammer. Das ist der Nachteil beim Backen. Man kann sich gleichzeitig leidtun.

    Dabei ist alles Schnee von gestern. Jetzt wohnt Marie mit ihrer zupackenden Art sozusagen um die Ecke und ist immer für mich da.

    Probeweise schiele ich auf die Uhr. Mist! Schlechte Zeit für einen Anruf. Marie steht jetzt in ihrer Buchhandlung und ist garantiert gerade in ein angeregtes Gespräch über Bücher vertieft. Ich schnappe mir den Kassenbon vom letzten Einkauf, drehe ihn herum und greife nach einem Stift. Mine leer! Wie sollte es auch anders sein. Warum wirft meine Familie kaputte Dinge eigentlich niemals in den Mülleimer? Haben sie Angst, ich würde sie lynchen, wenn ich davon erfahre? Oder ist es reine Bequemlichkeit? Oder bin ich die Zuständige für Abfallbeseitigung und sie wollen mir meinen Job nicht wegnehmen, damit ich nicht arbeitslos da stehe und anfange zu weinen? Ich sollte sie mal fragen.

    Am besten schreibe ich gleich ein Buch. Das Buch der tausend Fragen. Denke, in spätestens einer Woche habe ich genug Themen zusammen. Vielleicht gibt es sogar eine Buchreihe, das Material geht mir bestimmt nicht aus.

    Ich wühle in der Kramschublade und finde zwischen leeren Tintenpatronen, Bedienungsanleitungen und der lange vermissten Flasche Rescue-Tropfen tatsächlich einen noch nicht ganz stumpfen Bleistift.

    „Marie anrufen", notiere ich mir mit krakeligen Buchstaben. Mein Gedächtnis lässt jetzt schon zu wünschen übrig. Was wird nur aus mir werden, wenn ich ins Rentenalter komme.

    Ich spüre, wie mein Kopf rot wird. Das ist mein schlechtes Gewissen und ich beschließe, Marie mal wieder zu einem Abendessen einzuladen.

    Essen! Da kommt mir sofort wieder Maître Claude in den Sinn.

    Vor ziemlich genau sechzehn Jahren

    „Gib mir mal die Kirschen rüber, damit ich den Nachspeise- Teller fertig anrichten kann!" Stolz betrachte ich mein Werk. Ich kann es manchmal selbst kaum glauben, welche Verwandlung ich durchmache, sobald ich in der Küche stehe und eine saubere weiße Schürze trage. Fast wie Aschenputtel, das sich in Cinderella verwandelt hat.

    „Ist der Nachtisch fertig?" ruft Maître Claude ungeduldig in die Küche.

    „Jawohl Chef, es ist angerichtet!" witzele ich selbstbewusst und schwenke die Teller gekonnt zur Ausgabe.

    „Wollen Sie, oder soll ich servieren?"

    „Das machen Sie mal schön selbst Frau Glück, schließlich ist das Ihre Kreation. Außerdem bin ich überzeugt, dass die Gäste lieber von einer hübschen jungen Blondine bedient werden, als von einem alten Mann wie mir!"

    Selbstbewusst laufe ich zu Tisch Nummer fünf und serviere die Teller, wie es sich gehört. Und dann trifft er mich. Bäng! Voll erwischt! Amors Pfeil hat mitten in mein Herz gezielt.

    Ein chic gekleideter gutaussehender junger Mann mit rehbraunen Augen grinst mich an und leckt sich begeistert über die Lippen.

    „Das ist ja die reine, pure Sünde!" schwärmt er.

    Dann nimmt er den kleinen Dessertlöffel und probiert ein Stückchen von dem Küchlein mit flüssigem Schokoladenkern, der das Herzstück meiner eigenwilligen Nachspeise darstellt. Die kandierten, exotischen Früchte, die auf einem Spiegel von Himbeer- Pfirsichcreme mit einem Hauch von Marsala angerichtet sind, kostet er verzückt.

    Eigentlich sollte ich mich schon lange wieder in die Küche bewegt haben, aber ich stehe immer noch da und starre vollkommen entrückt diesen Traummann an.

    Nebenbei registriere ich, dass die Gäste mein neues Dessert genießen. Das ist einer dieser Momente, die nie vorbeigehen sollten.

    Gerade wurde dem Restaurant der erste Stern verliehen. Daran war ich mit meinen mutigen Vorschlägen nicht ganz unschuldig.

    Ich wage noch einen Blick in die wunderschönen Augen des Gastes und mein Herz schmilzt wie Vanilleeis in heißen Himbeeren. Meine Beine fühlen sich an wie Käse-Sahne-Torte, in der man die Gelatine vergessen hat. Wie ferngesteuert reiße ich mich endlich zusammen und wünsche höflich einen guten Appetit.

    Wie ich zurück in die Küche komme, weiß ich hinterher gar nicht, so „geflasht" bin ich.

    „Vergiss es, so ein toller Mann ist mit Sicherheit vergeben!", versuche ich mich selbst zur Raison zu bringen. Aber wie einen Wünschelrutengänger zum Wasser, zieht es mich in seine Richtung. Und so laufe ich zum Vorhang, der den Küchenbereich vom Service trennt und schaue IHM beim Genießen zu.

    Sein Teller ist inzwischen leer, bis auf den Fruchtspiegel, aber der Mann mit den sympathischsten Augen westlich des Urals, kratzt immer noch sorgfältig die restliche Soße vom Teller. Dabei entsteht ein fieses Quietschgeräusch, das jedem anderen megapeinlich wäre. Er hingegen zuckt nur die Schultern und grinst ein hinreißendes schiefes Lächeln, das mich endgültig umhaut.

    Dann legt sich plötzlich eine Hand auf meine Schulter und ich erschrecke fürchterlich. Ich war so mit Schwärmen beschäftigt, dass ich meinen Chef nicht mal bemerkt habe.

    Verlegen mache ich mich auf den Weg zurück zur Küche, als mich Maître Claude zurückhält

    „Die Gäste von Tisch fünf möchten sich gerne persönlich bei Ihnen bedanken. Also los Frau Glück, holen Sie sich die verdienten Lorbeeren ab!" Mit diesen Worten schiebt er mich in den Gastraum.

    Verlegen trete ich an den Tisch, lächele und höre mich sagen: „Wie schön, dass Ihnen mein Dessert geschmeckt hat!" Mein Blick schweift hinüber zu der streng aussehenden Frau, die mir hoheitsvoll zunickt. Sie sieht nicht aus, als würde sie öfter mal einen leckeren Nachtisch genießen, so hager wie sie in dem gut sitzenden Chanelkostüm wirkt.

    Ganz anders der Mann zu ihrer Linken. Obwohl er sitzt, wirkt er riesig. Er hat einen dunkelroten Kopf und das Hemd spannt so sehr über seinem Bauch, dass ich mich wundere, dass die Knöpfe nicht vor lauter Erschöpfung nur so davonspringen. Ob das wohl seine Eltern sind, frage ich mich still und lächele, als der dicke Mann laut polternd zu reden beginnt

    „Welch wunderschönes Fräulein! Und kochen kann sie auch noch!"

    Dann mischt sich der nette junge Mann ein und meint: „Ich hoffe Sie sind nicht vergeben, denn ich habe mich soeben unsterblich verliebt. Sie müssen die gute Fee aus dem Märchen sein, denn sonst könnten Sie niemals solche Leckereien produzieren!"

    Dabei schaut er mir fragend in meine blauen Augen, als könne er darin eine Antwort finden.

    Er grinst wieder dieses schiefe Lächeln, das mich vorhin schon so verzaubert hat und da ist es um mich geschehen. Er ist es, erkenne ich. Der Mann meiner Träume, mein Seelenverwandter.

    Gegenwart

    Die Zeitschaltuhr piepst und ich zucke zusammen. So abrupt aus meinen Träumen gerissen zu werden, tut echt weh!

    Zack, schon bin ich wieder Aschenputtel! Auch ohne Stäbchenprobe sehe ich, dass die Muffins noch nicht perfekt gebräunt sind. Aber sie duften bereits verführerisch. Der Geruch zieht mich erneut in die Vergangenheit.

    Unsere Hochzeitstorte habe ich nämlich selbst gebacken und verziert. Und die war so lecker mit dem lockeren Biskuitteig und den verschiedenen raffinierten Füllungen, dass ich nur beim Gedanken daran schon Pfützen in den Mund bekomme.

    Aber heute werde ich heldenhaft auf alles Süße verzichten.

    Ja, unsere Hochzeit. Eine Mischung aus steifer Förmlichkeit und ausgelassener Party. Ich muss sagen, an diesem Tag habe ich mich WIRKLICH gefühlt wie Cinderella. Ein über und über mit Perlen besticktes, strahlendweißes, bodenlanges Kleid mit einer „Hammer"- Korsage. Meine Vorzüge waren echt gekonnt in Szene gesetzt. Michael stand sogar kurz der Mund offen, als ich in die Kirche schwebte.

    Um mich zu überraschen, hatte er ein Oldtimercabriolet gemietet. Es war mit wunderschönen Frühlingsblumen geschmückt. Wir fuhren zu einem alten Bauernhof, wo wir feierten. Der Weg dorthin war leider nicht allzu weit, denn ich wäre gerne ewig so weitergefahren. Ich habe mich gefühlt wie die Queen persönlich und habe Passanten, an denen wir vorbei fuhren, in etwa genauso huldvoll zugewinkt.

    Um das Buffet hatten sich Maître Claude und das Team gekümmert, weswegen es wahre Begeisterungsstürme auslöste. Michaels Eltern liefen den ganzen Abend mit stolz geschwellter Brust umher, auch wenn sie ursprünglich eine andere Favoritin als Ehefrau für ihren einzigen Sohn im Sinn hatten.

    Ein Gast, den wir gar nicht kannten, wahrscheinlich einer von Edgars Geschäftspartnern, hatte anscheinend sein Hörgerät vergessen.

    „Habt ihr ein Glück, so eine fähige Schwiegertochter zu bekommen brüllte er Edgar an. „Und Michael erst! Jeden Tag solche Köstlichkeiten serviert zu bekommen, da könnte man direkt neidisch werden! Die Antwort seiner Frau fiel nicht gerade liebevoll aus. Sie knuffte ihn in die Seite und keifte „dir schmeckt wohl mein Essen nicht mehr, seit ich deine Kalorienzahl ein bisschen reduziert habe?"

    Ich stand zufällig in der Nähe und konnte mir nur mit Mühe das Grinsen verkneifen.

    Leider nahm sowohl Edgars als auch Katharinas Begeisterung für mich schnell ab. Spätestens, als ich mit Laura schwanger wurde. Innerhalb kürzester Zeit war meine hübsche Figur pfutsch und ich verwandelte mich in ein keuchendes Walross mit dicken Füßen, die in keine Schuhe mehr passten.

    Katharina sieht heute immer noch aus wie damals. Sie hat immer noch dieselbe hagere Figur, denselben verkniffenen Gesichtsausdruck und dieselbe Art, ihr Missfallen auszudrücken. Wahrscheinlich, so vermute ich mal, bin ich nicht standesgemäß genug für ihren Thronfolger und Erben.

    Ich habe mich inzwischen fast daran gewöhnt, dass wir wohl keine Freunde mehr werden, denn Charlotte, Michaels Sandkastenliebe und die Tochter eines Geschäftspartners, war immer deren erste Wahl. Aber Michael hat sich nun mal für mich entschieden, Basta!

    Nach Lauras Geburt hatte ich keine Zeit mehr, mich groß um meine Bedürfnisse zu kümmern. Ich war froh, wenn der kleine Schreihals mal ruhig war und ich ein paar Minuten schlafen konnte. Laura und Michael haben von Anfang an meine komplette Aufmerksamkeit gebraucht. Spätestens, als unser Max die Familie komplett gemacht hat, war ich nur noch zu Hause. Ich glaube, ich habe sie alle total verwöhnt, nein ich weiß, dass es so ist. Selbst schuld also.

    Zumindest sagt mein Ratgeber in Sachen Familienharmonie, dass nicht einer alleine für den kompletten Haushalt und die Kindererziehung zuständig sein sollte. Aber ich musste ja alles an mich reißen. Charlotte hat zum Beispiel nicht auf ihre Karriere verzichtet, obwohl sie auch eine Tochter hat.

    Ich habe Charlotte übrigens erst vor kurzem getroffen, als ich mit Michael bei einer politischen Veranstaltung war. Er hat darauf bestanden, dass ich mitkomme und ich habe ihm den Gefallen getan, obwohl ich überhaupt nicht die passenden Kleider für so was „Offizielles" besitze. Mit meinem rosa Strickjäckchen über dem bunten Sommerkleid bin ich unter all den Kostümträgerinnen auch ziemlich aufgefallen.

    Michael war das, glaube ich, egal. Ich weiß gar nicht, ob er es überhaupt gemerkt hat, zumindest hat er nichts gesagt.

    Charlotte, die in ihren hochhackigen Pumps und dem taillierten Business- Hosenanzug aussah, als nähme sie maximal zwei Salatblätter am Tag zu sich, trug mit ihrem gönnerhaften: „Ach, Deine Köchin" nicht gerade zu meinem Wohlbefinden bei. Zumal sie ständig meine Genussröllchen im Blick hatte. Ich werde heute noch rot vor Ärger und Verlegenheit, wenn ich an diese Szene denke.

    Mit Charlottes Geldbeutel könnte ich mich auch anders kleiden. Aber ich kann doch nicht Michaels sauer verdientes Geld für einen Firlefanz ausgeben, den ich nur alle Schaltjahre mal brauche.

    An diesem Abend wurde es noch richtig anstrengend und vom falschen Lächeln taten mir bald die Mundwinkel weh, ich musste hier weg.

    „Schatz, sei mir nicht böse, aber ich habe wahnsinnige Kopfschmerzen. Ich muss mich hinlegen."

    Michael wirkte enttäuscht. „Ach, du Arme, soll ich Dich nachhause fahren? Oder willst Du mit dem Bus…?"

    „Nein, es geht schon. Die Bushaltestelle ist ja gleich um die Ecke" gab ich zurück.

    Charlotte musste natürlich auch dringend noch einen Kommentar abgeben.

    „Du Ärmste. Bestimmt überfordern dich das viele Kochen und die Arbeit mit den Kindern. Vielleicht solltet Ihr Euch auch eine Nanny nehmen. Dann klappt alles bestimmt besser und Du bist nicht mehr so erschöpft!"

    Trara- Tusch für Charlotte- tolle Idee. Dieses arrogante Biest wusste doch genau, dass Michael nicht gut verdient.

    Ich blieb souverän, lächelte ein letztes Mal in die Runde, wünschte allen viel Spaß, drehte mich herum und ließ endlich die Mundwinkel fallen. Geschafft!

    Soviel zum Thema Charlotte. Schnee von gestern. Jetzt stehe ich in der Küche und habe die Mission, alle Muffins in die Box zu packen, ohne auch nur einen zu probieren. Keinen einzigen werde ich essen. Wäre doch gelacht, wenn ich nicht diszipliniert sein könnte.

    Probehalber kneife ich mich in den Bauch, um abzuschätzen, wie lange ich wohl durchhalten muss. Sehr lange! Mein Rettungsring ist noch da. Er wird mich über sämtliche Weltmeere tragen, sollte ich je in Seenot geraten.

    Dabei ist Sommer. Die meisten Leute nehmen in dieser Jahreszeit ab, habe ich gelesen. Aber die Falte, die ich gerade zwischen Daumen und Zeigefinger ertaste, ist eher dicker geworden. Und mein Magen knurrt auch schon wieder. Das tut er häufig, wenn ich über meine Figur nachdenke. Sabotage! Egal, ich werde das Geräusch ebenso ignorieren wie Michaels Rufen.

    „Faules, wo ist meine Sporttasche? erreicht mich seine Stimme und holt mich aus meinen Tagträumen. Beim Blick auf die Uhr erschrecke ich, oh je, schon so spät. Ich sollte mich beeilen, wenn ich unser Haus mal wieder in ein „TraumHeim-Musterhaus verwandeln soll, bevor ich zur Arbeit fahre.

    Francesco, mein Chef, zahlt zwar echt mies, aber Unpünktlichkeit liegt mir nicht. Außerdem macht mir die Arbeit Spaß. Die quirlige Atmosphäre in seinem kleinen, gemütlichen Restaurant erinnert mich irgendwie an das „Chèz Claude", obwohl der Vergleich natürlich weit hergeholt ist.

    Meine Erlebnisse in der Pizzeria, in der ich am Wochenende als „Küchenhilfe" arbeite, interessieren Michael überhaupt nicht. Er liest lieber die Zeitung. Es ist ihm sowieso ein Dorn im Auge, dass ich dort aushelfe. Aus der großen Karriere, von der ich in meiner Kindheit geträumt habe, ist definitiv nichts geworden.

    Kein Wunder, wenn Michael mich kaum mehr wahrnimmt. Ich bin ja nur Hausfrau und Mutter mit kleinen Nebenjobs, die noch dazu unterirdisch bezahlt werden. Wenn man erst mal in der Teilzeitschiene drin ist, hat man den Fuß in der Falle.

    Wie soll ich da rauskommen? Außerdem habe ich viel zu viel mit Haushalt und Kindererziehung zu tun. Michael ist ein konservativer Mann, der sich eine Ehefrau wünscht, die die Traditionen wahrt.

    Anfangs habe ich mir nicht allzu viele Sorgen um dieses Thema gemacht. Hätte ich besser mal.

    Michael hat Weiterbildung um Weiterbildung gemacht, der Karriere wegen. Die gut dotierten Posten in der Bank, bei der er schon seine Ausbildung gemacht hat, sind allerdings bereits besetzt. Woanders arbeiten möchte er nicht. Er hat gerne sein Gewohntes. Also war das große Opfer, das ich für uns gebracht habe, unnötig.

    Mich hat es nie gestört, dass unser Haushalt damals recht vernachlässigt war. Wir waren ja beide sowieso nie da. Aber Michael hat das nicht so gut verkraftet. Seine Laune wurde täglich schlechter. Zugegeben, die ungemachte Wäsche, der Staub und das schmutzige Geschirr verwandelten unser Zuhause im Laufe der Zeit in ein Chaos.

    Aber Michael kam immer nur nach Hause und legte sofort jammernd die Füße hoch, statt mit anzupacken. Irgendwann wurde ich schwach und kündigte schweren Herzens meine Arbeit. Maître Claude wollte es nicht glauben und rief noch monatelang an, um mich umzustimmen.

    Leise höre ich nun den Klang der elektrischen Zahnbürste aus dem Bad. Michael hat also aufgegeben, „Faules" zu schreien und putzt stattdessen lieber Zähne. Gut so! Geht doch!

    Ich spüre, dass ich jetzt ausgeglichen genug bin, meinen Mann zu begrüßen, ohne allzu miesepetrig daherzukommen.

    Mit einer Weihnachtsmannserviette tupfe ich mir den Schweiß von der Stirn. Wo kommt denn dieses Teil jetzt her, mitten im Sommer, überlege ich.

    In der Küche ist es brütend heiß, doch ein Fenster zu öffnen macht wenig Sinn, solange noch die Sonne scheint. Das beschert mir nur Ungeziefer im Haus.

    Wie konnte ich nur auf die Idee kommen, die Muffins selbst zu backen? Alle anderen Mütter sind sicherlich tiefentspannt mit Flip-Flops und Strohhut zur Bäckerei gelaufen und haben sich die Kuchenstücke für den Basar dort besorgt. Im Prinzip wäre es sowieso sinnvoller, die zwölf Euro, die für die Teile maximal in die Kasse kommen, gleich zu spenden. Bis man das Geld für die Zutaten rechnet, die Papierförmchen, die Energie für den Backofen, nicht zu vergessen die Zeit, die man investieren muss, wäre das effizienter, zumal meistens die Hälfte der Kuchen übrigbleibt.

    Doch statt mich zu weigern und einfach einen Schein in die Sammelbüchse zu stecken, stehe ich hier und kann kaum atmen vor Hitze.

    Selbst in der Nachbarschaft ist kein Mucks zu hören. Wer konnte, hat sich schon längst ins Schwimmbad verzogen oder sich einen schattigen Platz im Garten gesucht. Typisch für mich, die falsche Entscheidung zu treffen.

    Um mich abzulenken, summe ich den Refrain eines Lieds vor mich hin, das mir schon den ganzen Tag im Kopf herum spukt. Ich singe leidenschaftlich gerne. Doch obwohl ich einigermaßen musikalisch bin, verziehen meine Familienmitglieder immer gequält die Gesichter, wenn ich ein Lied mitsinge. Deshalb trällere ich mittlerweile nur noch herum, wenn ich alleine bin.

    Manchmal, wenn ich gute Laune habe, summe ich schon in den frühen Morgenstunden leise vor mich hin, wenn ich die Zeitungen austrage. Das ist mein schlechtbezahlter Nebenjob Nummer zwei.

    Überall sind

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