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Unheimliche Tage: Entführung ins All
Unheimliche Tage: Entführung ins All
Unheimliche Tage: Entführung ins All
eBook275 Seiten4 Stunden

Unheimliche Tage: Entführung ins All

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Über dieses E-Book

Werner Caldenberg ist Ingenieur, arbeitet in einem kleinen Dorf im Eggegebirge bei einer Firma, die Ersatzteile für die Automobilindustrie herstellt und ist mit seinem Leben zufrieden. Bis seine Frau tot aufgefunden wird....

Er gerät in einen Strudel sich überschlagender Ereignisse, die ihn weit weg von der Erde in die Tiefen des Weltraums verschlagen. Hier erlebt er das Grauen, aber auch Solidarität und menschliche Wärme. Und es gibt angeblich noch Hoffnung, seine Frau doch noch lebend wieder zu sehen. Kann er sein Leben wieder in den Griff bekommen?

Eine große Hilfe ist ihm Angelika, eine junge ehemalige Soldatin, die ihren Mann auf ähnliche Weise verloren hat wie Werner und sein Schicksal teilt. Ihre militärischen Fähigkeiten, aber auch ihre kaum zu erschütternde Gelassenheit bewahren ihn davor, sich einfach aufzugeben. Aber auch sie muss auf dem mysteriösen und bedrohlichen Planeten Zwielicht, auf den es die Beiden verschlagen hat, die Grenzen ihrer Fähigkeiten erkennen.

Die Ereignisse werden aus der Sicht von Werner Caldenberg geschildert, einem ganz normalen Menschen unserer Tage, der wegen einer außergewöhnlichen Eigenschaft ungewollt aus seinem bürgerlichen Leben gerissen und mit nie dagewesenen und fast unlösbaren Problemen konfrontiert wird.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum3. Aug. 2014
ISBN9783847696957
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    Buchvorschau

    Unheimliche Tage - Martin J. Ost

    Träume

    Dichter Regen prasselte herab, vom heftig aufkommenden Wind immer wieder zu fast undurchsichtigen Schleiern verdichtet. Die Nacht, die bei dieser Witterung eigentlich stockdunkel hätte sein sollen, wurde von irgendwo her von einer milchigen Helligkeit durchdrungen. Grelle Blitze, denen fast unmittelbar ein heftiger Donner folgte, ließen die Konturen des großen Fernsehturms auf dem Kamm des Eggegebirges in fast schmerzhafter Helligkeit hervortreten.

    Es sah aus, als ob die in immer kürzeren Abständen aufflammenden Blitze sich zunehmend auf einen Punkt in unmittelbarer Nähe des Turms konzentrierten, ihr Stamm, von vielen feurigen Verästlungen umgeben, schien in die Felsen, in die der Turm hineingebaut war, einzutauchen.

    Jedes Mal, wenn ein Blitz aufflammte, wurde sie sichtbar. Zuerst nur undeutlich und schemenhaft, dann allmählich klarer und detailreicher werdend. Konnte man zu Beginn ihres Erscheinens die Anwesenheit einer Gestalt eher ahnen, wurde es bald möglich, in ihr eine Frau zu erkennen. Ein weiterer greller Blitz enthüllte in den Sekundenbruchteilen seiner Existenz neue Einzelheiten. Die Frau war vergleichsweise groß, jung, vielleicht Mitte zwanzig, hatte eher kurze schwarze Haare. Ihre Haut war sonnengebräunt und ihre Figur hatte etwas Athletisches an sich.

    Etwa zwanzig Meter vor mir auf dem von Pfützen übersäten Waldweg stehend machte sie eine Geste, die auf den Punkt wies, an dem sich die Blitze scheinbar konzentrierten. Sie machte Anstalten, den Weg zu verlassen und quer durch den Wald auf den Felsen zuzulaufen und bedeutete mir, ihr zu folgen. Ich zögerte und blieb stehen. Ungeduldig wiederholte sie ihre Aufforderung, indem sie mit ihrem ausgestreckten Arm auf den Wald zeigte. Ihre Bewegungen hatten etwas Energisches an sich, auch schien sich bei ihr Ärger aufgrund meines Zögerns zu regen.

    Wie immer in den letzten vier oder fünf Tagen erwachte ich an dieser Stelle des Traums. Ich schreckte hoch und saß aufrecht in dem großen Bett in meinem Schlafzimmer. Ich war allein.

    Die Hitzewelle, die seit Tagen auch das eher für sein etwas raueres Klima bekannte Eggegebirge im Griff hatte, ließ den Schweiß an meinem Körper in Strömen fließen. Zunächst wirkte der Traum noch in mir nach und ich versuchte, die verwirrenden Empfindungen, die er bei mir erweckte, abzustreifen. Langsam fand ich in die Realität zurück und wie in den vergangenen Tagen ergriff mich eine trostlose Verzweiflung und legte sich wie eine eiserne Klammer um meinen Brustkorb und über den ganzen Körper.

    Lange Zeit verharrte ich fast bewegungslos im Bett sitzend, stumpf vor mich hin brütend. Irgendwann wurde der Durst übermächtig und es gelang mir, die dunklen Schleier, die meinen Geist umfingen, für einen Moment zur Seite zu schieben. Ächzend erhob ich mich und stolperte in die Küche. Meinen ersten Gedanken an ein Bier verwarf ich und griff wie in den letzten Tagen zu einer Flasche Mineralwasser. Ich leerte sie trotz der energisch prickelnden Kohlensäure in wenigen Augenblicken und sank auf einen Küchenstuhl. Dann legte ich meinen Kopf zwischen meine Arme auf den Tisch. Die Verzweiflung überkam mich erneut.

    Es war noch keine drei Wochen her, da war mit meinem Leben noch alles in Ordnung gewesen. Vor fünf Jahren hatte ich die Universität in Göttingen als Diplom-Ingenieur verlassen. Ich bewarb mich bei mehreren Firmen und landete schließlich in einem nicht allzu großen Dorf mitten im Eggegebirge, das die südliche Fortsetzung des Teutoburger Waldes darstellt und sich im östlichen Teil Westfalens befindet. Dort fing ich bei einer Firma an, die Zulieferteile für die Automobilindustrie herstellt und etwa achtzig Personen beschäftigt. Die Bezahlung war angemessen und das Arbeitsklima in Ordnung. Als Junggeselle verbrachte ich die meisten freien Wochenenden mit Studien-oder Schulfreunden außerhalb des Dorfes, in dem ich nun wohnte.

    Als vor drei Jahren dort im Juni das alljährliche Schützenfest stattfand und die meisten meiner Freunde im Urlaub waren, blieb ich am Ort. Der Schützenverein ließ den Schützenkönig mit seiner Königin und dem Hofstaat in Pferdekutschen durch das Dorf rollen. Amüsiert betrachtete ich die Hofdamen, von denen einige sich sehr wichtig vorkamen. Ihre langen Kleider lagen teilweise so eng am Körper an, dass sie sich keine unvorsichtige Bewegung leisten konnten. Ich fragte mich, wie sie da noch Kaffee und Kuchen hineinbekommen wollten, ohne dabei die Nähte ihrer Kleider zum nachgeben zu zwingen. Begleitet wurde der Umzug von mehreren hundert Schützen, deren erheblicher Durst gleich nach dem Einzug des Königspaares auf dem improvisierten Thron in dem Festzelt einsetzte und sichtlich zur Freude des Festwirtes Stunde um Stunde zunahm. Ich vertrieb mir den Nachmittag und den frühen Abend damit, dem bunten Treiben zuzusehen und mit dem einem oder anderen Arbeitskollegen oder Bekannten, denen ich auf dem Festplatz begegnete, ein Bier zu trinken.

    Gegen 22 Uhr stand ich alleine an einem Bierwagen und trank mein letztes Glas aus. Gerade wollte ich den Festplatz verlassen, als mein Blick auf einen uniformierten Schützen fiel, der schon einen ziemlich angeschlagenen Eindruck machte. Seine Bewegungen waren nicht mehr allzu ökonomisch, auf seinem Weg zum Bierstand wich er mehrfach deutlich von der Ideallinie ab. In seiner Begleitung befand sich eine junge Frau, die über seinen Zustand offensichtlich nicht sehr glücklich war. Als die beiden die mir gegenüberliegende Seite der Bierbude erreicht hatten, ließ er sie dort stehen und begab sich heftig schwankend in Richtung Herrentoilette. Die junge Frau sagte kopfschüttelnd etwas zu einigen Leuten in ihrer Nähe und drehte sich dann in Richtung Theke. Unsere Blicke trafen sich. Für einen Moment sah ich nur sie und alles um mich herum verblasste. Sie musterte mich mit ihren Augen und Bruchteile von Sekunden später lächelte sie mich an. Die unbekannte Frau war groß und schlank und hatte dunkelblondes Haar. Bekleidet war sie mit einem eng anliegenden, tief ausgeschnittenen Pullover. Für mich sah sie unverschämt gut aus. Ich ertappte mich dabei, sie anzustarren. Während mir gerade der Gedanke „Hoffentlich siehst Du jetzt nicht allzu blöd aus" durch den Kopf ging, wandte sie sich mit einer anmutigen fließenden Bewegung von mir ab und setzte die Unterhaltung mit ihren Bekannten fort. An diesem Abend ging ich wie betäubt zurück in meine Wohnung. Auch in den nächsten Tagen dachte ich noch oft an diese Frau.

    Zwei Wochen später begegnete ich ihr dann plötzlich auf der Straße. Sie schien sich tatsächlich an mich zu erinnern, schon von Weitem sah ich das strahlende Lachen, das mich beim Schützenfest so aus meinem inneren Gleichgewicht gebracht hatte. Kurz bevor wir uns auf gleicher Höhe begegnet hätten, sprach ich sie an. Ich weiß nicht mehr, was ich damals gesagt habe, aber allzu kritisch kann sie meinem Geplapper gegenüber nicht gewesen sein, sonst wäre sie wohl weiter gegangen. Meine Einladung in ein Cafe lehnte sie ab, stattdessen schlug sie einen Spaziergang im Wald vor, der sich in unmittelbarer Nähe befand. Während wir durch den dichten Wald gingen, unterhielt sie sich mit mir über alltägliche Dinge und erzählte über sich, als wäre ich ein alter Bekannter von ihr. Gelegentlich warf sie mir dabei kurze Blicke von der Seite zu, die ich nicht zu deuten vermochte. Ich hätte gerne gewusst, ob der wackere Schütze, in dessen Begleitung ich sie auf dem Schützenfest gesehen hatte, ein näherer Bekannter oder ihr Freund war, aber sie erwähnte weder ihn noch sprach sie über einen anderen Mann, der ihr nahe stand.

    Ihr Name war Christine, sie war 26 Jahre alt und kam aus einem der noch kleineren Nachbarorte. Sie fuhr jeden Tag in das rund 25 Kilometer entfernte Warburg, wo sie als Büroangestellte in einem Großhandelsunternehmen arbeitete. Als ich ihr meinen Namen nennen wollte, bedachte sie mich mit einem spitzbübischen Grinsen und sagte dann: „Dein Name ist Werner Caldenberg, du bist 31 Jahre alt, seit zwei Jahren bei Naarmann & Co. beschäftigt, ledig und an den Wochenenden meist mit deinen Kumpeln auf Sauftour. Meines Wissens nach keine ernsten Frauengeschichten in den letzten Jahren. Ist das soweit korrekt?". Ich musste sie ziemlich verblüfft angesehen haben, jedenfalls amüsierte sie sich offensichtlich königlich, bevor sie mir erklärte, dass diese Informationen von einer meiner Arbeitskolleginnen stammten, die von mir unbemerkt an jenem Schützenfestabend auch an dem Bierstand gewesen war. Immerhin, sie hatte Interesse an mir.

    Ein Jahr später waren wir verheiratet. Die nächsten zwei Jahre waren die bisher glücklichsten meines bisherigen Lebens, wir ergänzten uns ideal. Die Arbeit machte uns beiden Spaß, wir kamen mit unserem Geld gut aus und einen großen Teil unserer Freizeit verbrachten wir gemeinsam. Wir waren glücklich.

    Bis zu jenem 10. Juli, der nun 15 Tage zurücklag. Es war ein sonniger und warmer Tag, seit über einer Woche beherrschte ein Hoch das Wetter. Mit 25 – 27 ° bewegten sich die Temperaturen in einem angenehmen Bereich. Ich ging die 1,5 km zur Firma wie fast immer zu Fuß, während Christine in ihr Auto stieg, um zur Arbeit zu fahren.

    An diesem Tag gegen neun Uhr kam das Grauen zu mir in der Gestalt von zwei Polizisten, die sich in der Begleitung des Firmeninhabers und meines Chefs Wolfgang Benner befanden. Als ich sah, wie die Streifenbeamten mit gesenktem Blick auf meinen Schreibtisch zusteuerten, wurde mir schlagartig eiskalt. Wie durch dicke Watte gedämpft kamen Wolfgangs Worte in meinem Gehirn an: „Werner, es tut mir leid, aber es ist etwas Schreckliches passiert ..."

    Ein Autofahrer hatte auf der im Sommer mäßig befahrenen Nebenstraße, die Christine auf ihrem Weg zur Arbeit benutzte, ein Auto mit laufendem Motor und geöffneter Fahrertür mitten auf der Straße stehend aufgefunden. Er hielt an, um gegebenenfalls Hilfe zu leisten. Ein paar Meter abseits von der Straße fand er Christine auf dem Waldboden liegend. Sie war tot.

    Zehn Tage später wurde sie endlich beerdigt. Der zuständige Staatsanwalt hatte aufgrund der Umstände dieses Falles ihre Leiche beschlagnahmen und obduzieren lassen. Als Diagnose wurde schließlich plötzliches Herzversagen festgestellt. Eine merkwürdige Todesart für eine bisher gesunde junge Frau, die noch nicht einmal 30 Jahre alt gewesen war.

    Die Tage zwischen ihrem Tod und der Beerdigung verbrachte ich abwechselnd unter dem Einfluss von Beruhigungsmitteln oder Alkohol, manchmal nahm ich auch beides zusammen. Ohne meine Schwester Norma, zu der ich immer ein gutes Verhältnis hatte und der Hilfe meiner ebenfalls geschockten Schwiegereltern hätte ich die Vorbereitungen zur Beerdigung und diese selbst nicht durchgestanden.

    Nach der Beisetzung, an der über 200 Personen, darunter viele Arbeitskollegen von Christine und mir teilnahmen sowie dem anschließenden Kaffeetrinken in einer Gaststätte kam ich mir vor wie nach einem Spießrutenlauf. Ich war fast verwundert darüber, dass ich nicht irgendwo als ein Häufchen Elend laut heulend zusammengebrochen war. Das passierte dann in meiner Wohnung. Norma hatte mich aus der Gaststätte heraus in ihr Auto bugsiert und nach Hause gefahren. Während ich meinen Tränen freien Lauf ließ, brachte sie die Wohnung in Ordnung. Sie blieb noch bis zum nächsten Tag und fuhr dann zurück nach Würzburg, wo sie als Rechtsanwältin in einer Sozietät arbeitete.

    Über eine Stunde war nun vergangen, aber ich lag noch immer mit meinem Kopf auf dem Küchentisch. Die Hitze in der Küche war entsetzlich. Am Tag nach der Beerdigung hatten schwül-heiße subtropische Luftmassen das angenehm trocken-warme Sommerwetter abgelöst und die Temperaturen stiegen seit Tagen bei hoher Luftfeuchtigkeit auf über 35°. Schlaftrunken erhob ich mich, um ins Bett zurückzugehen. Es war kurz vor vier Uhr morgens und es war noch dunkel. Zur Arbeit war ich seit Christines Tod nicht mehr gewesen, bis gestern hatte mich mein Hausarzt krankgeschrieben. Danach hatte ich nach Rücksprache mit meinem Arbeitgeber und Chef, der mittlerweile auch mein Freund war, erst einmal vier Wochen Urlaub eingereicht. Ich musste mir nun über einiges klar werden, z. B. ob ich in diesem Ort und bei diesem Unternehmen, wo ich bis vor kurzem sehr glücklich gewesen war, noch weiter leben und arbeiten konnte. „Nimm dir Zeit und überstürze jetzt bloß nichts", hatte mein Chef Wolfgang Benner gesagt. Es sprach für ihn, dass er mir ohne Zögern den gewünschten Urlaub gewährte, denn durch mein Fehlen vergrößerte sich die Personallücke, die durch Urlaub immer in dieser Jahreszeit bestand, bis an die Schmerzgrenze.

    Wieder im Bett angelangt, fiel ich in einen unruhigen Halbschlaf. Es dauerte nicht lange und ich fing wieder an zu träumen. Dieses Mal unterschied sich der Traum von den vorhergegangenen, die immer wieder die gleiche Szene zum Inhalt hatten. Nun sah ich eine weite Ebene, über der die Luft in der Sommerhitze flirrte. Ein Teil dieser Ebene war mit Wald bedeckt, daneben konnte ich Getreidefelder sehen. Darüber hinaus gab es noch andere Gewächse, die in langen Reihen standen. Ich konnte sie nicht erkennen, da sie nur undeutlich zu sehen waren. Irgendetwas zog mich im Traum zu dem Wald hin, es war, als läge dort der Schlüssel, der es ermöglichen würde, die schrecklichen Vorgänge um den Tod meiner Frau zumindest zu verstehen.

    Schweißgebadet erwachte ich schließlich gegen acht Uhr morgens aus meinem Dämmerzustand. Die Hitze im Schlafzimmer war schon jetzt unerträglich, dabei war der Tag gerade erst angefangen. Ich warf ein paar Eiswürfel in meinen Kaffee, um ihn abzukühlen und tauchte dann ein trockenes Brötchen hinein. Mehr konnte ich nicht essen. So ging es mir, seitdem ich die Nachricht von Christines Tod erhalten hatte, und ich hatte schon den Eindruck, dass meine Kleidung um meinen Körper herum bereits zu flattern anfing.

    Wie stets in den seit der Beerdigung vergangenen Tagen machte ich mich auf den Weg zum Friedhof. Ein Großteil der Blumen auf dem Grab war bereits verwelkt und der Berg aus Kränzen und Blumen war in sich zusammengesunken. Auch hatte ich den Eindruck, als wäre die Erde über den Sarg bereits abgesackt. Um mich von meiner Verzweiflung abzulenken, begann ich, einige der verwelkten Blumensträuße auszusortieren und die verbliebenen Gebinde neu zu arrangieren. Ein paar Schalen mit Blumenschmuck, die etwas abseits standen, versorgte ich mit frischem Wasser. Anschließend begab ich mich auf direktem Weg zurück in meine Wohnung. Der Traum vom frühen Morgen kam mir wieder in den Sinn. Immer wieder zog die Landschaft, die ich im Traum gesehen hatte, vor meinem geistigen Auge vorbei. Irgendwie kam sie mir bekannt vor, obwohl ich mir andererseits sicher war, diese Gegend in meinem bisherigen Leben noch nicht gesehen zu haben.

    Ich schaltete meine Stereoanlage ein und legte eine CD mit Meditationsmusik ein. Eingehüllt von der beruhigenden Musik ließ die Spannung der vergangenen Tage ein wenig nach. Wieder zogen die Landschaftsbilder meines Traums an mir vorbei. Das irrationale Gefühl, dass dort der Schlüssel zum Verständnis der unmittelbaren Vergangenheit lag, verstärkte sich. Darüber hinaus vermittelte der Anblick dieses Waldes und der Felder mir einen gewissen Trost, mehr, als ich in den vergangenen Tagen von irgendetwas Anderem erhalten hatte. Aber diese Landschaft war ja nur ein Traumbild, und selbst, wenn sie tatsächlich existieren würde, ich kannte sie ja nicht, wo sollte ich suchen?

    Trotzdem fühlte ich mich nach zwei Stunden Musikhörens, begleitet von diesen Tagträumen, ein wenig besser. Ungeachtet der sengenden Hitze begab ich mich in den Wald, dessen Schatten wenigstens ein wenig Illusion von Kühle bewirkte. Zum ersten Mal seit langer Zeit machte ich einen ausführlichen Spaziergang. Die hügelige Landschaft des Eggegebirges zusammen mit dem vielfältigen Flickenteppich der bewirtschafteten Felder tat mir gut, und die körperliche Anstrengung, die das Gehen in dieser Hitze erforderte, lenkte mich ab. Als ich am frühen Abend den Wald verließ, war ich durstig und hungrig. In einem nahe gelegenen Supermarkt kaufte ich frischen Käse und Wurst. Anschließend gönnte ich mir auf der Terrasse das erste üppige Abendessen seit langem. Ich spülte es mit kühlem Bier herunter. Die Bewegung, das Essen, der Alkohol und die Hitze hatten mich müde gemacht, und als ich an diesem Abend ins Bett ging, schlief ich tief und fest, lediglich vor dem Aufwachen erinnerte ich mich an einen kurzen Traum, in dem die Blitze vor dem Fernsehturm in dunkler Nacht mit der Landschaft, die ich in den letzten beiden Tagen gesehen hatte, ineinander verschmolzen. Mitten hindurch ging die schwarzhaarige Frau, dieses Mal ohne mich eines Blickes zu würdigen.

    Nachdem ich am nächsten Morgen aufgestanden war, ergriff mich eine merkwürdige Unruhe. Es war, als würde mich eine unbekannte Kraft von hier fortziehen wollen. Nervös lief ich im Haus auf und ab, denn nahm ich mir einen längeren Waldspaziergang vor, in der Hoffnung, dass dieser mir ähnlich gut tun würde, wie der vom Vortag, Die Hitze war noch schlimmer geworden, und mit jedem Meter, den ich mich vom Haus entfernte, wuchs meine innere Unruhe weiter. Nach einer Viertelstunde kehrte ich schließlich um und ging zum Haus zurück.

    Eine merkwürdige Stimmung hatte mich erfasst. Wie in Trance öffnete ich einen Schrank, holte eine Reisetasche hervor und warf ein paar Kleidungsstücke hinein. Mechanisch schloss ich offen stehende Fenster, verriegelte die Terrassen- und die Haustür und begab mich zu meinem Auto. Ich fuhr einfach los, ohne irgendein Ziel zu haben. Es war, als habe irgendeine, sonst im Verborgenen liegende Instanz des Geistes, die Führung übernommen. Meine Reaktionen als Verkehrsteilnehmer waren davon vollkommen unberührt. Ich hatte mich immer für einen sicheren Fahrer gehalten, und auch jetzt reagierte ich der Verkehrslage entsprechend. Eine andere Ebene meines Bewusstseins bestimmte die Fahrtrichtung. Ich wusste immer noch nicht, wo ich überhaupt hinwollte, aber überall dort, wo ich die Wahl zwischen zwei oder mehr Richtungen hatte, zögerte ich nicht eine Sekunde bei der Entscheidung, wohin ich fahren musste. Gut vier Stunden nach meinem spontanen Aufbruch verließ ich hinter dem rheinland-pfälzischen Landau die Autobahn. Wie ein programmierter Roboter fuhr ich weiter, wechselte an Kreuzungen und Abzweigungen wie selbstverständlich die Fahrtrichtung, ohne zu wissen, auf welches Ziel ich mich zu bewegte. Etwa zwanzig Minuten, nachdem ich die Autobahn verlassen hatte, entdeckte ich ein großes Waldgebiet in einer Ebene. War dies die Gegend, von der ich in den letzten beiden Tagen geträumt hatte? Zumindest bestand eine gewisse Ähnlichkeit mit meinem „Traumland". Ich kam auf einem Parkplatz am Waldrand zum Stehen. Sollte dies etwa mein Ziel sein?

    Mein Kopf war wieder frei und die Unruhe, die mich bisher vorangetrieben hatte, war wie weggeblasen..Ich zog eine Autokarte hervor und rekapitulierte die Namen der letzten Orte, die ich durchfahren hatte. Danach musste ich mit meinem Auto vor dem Bienwald, einem größeren Waldgebiet an der deutsch-französischen Grenze stehen. Ich beschloss auszusteigen und mir nach der langen Fahrt etwas Bewegung zu gönnen. Als ich die Autortür öffnete, traf mich die Hitze wie ein Schlag. Während der Fahrt hatte die Klimaautomatik in meinem Auto die Temperatur auf 26° gehalten, ein Blick auf die Anzeige am Armaturenbrett zeigte, dass die Außentemperatur bei 37° lag. Zügig ausschreitend beeilte ich mich daher in den Wald hineinzukommen, in dessen Schatten es ein wenig angenehmer wurde. Und wieder griff etwas Unbekanntes nach meinen Bewusstsein und schien es beeinflussen zu wollen. Mittlerweile war mir das Gefühl, bekannt und mit einer Mischung aus Furcht und Neugier bewegte ich mich weiter in den Wald hinein.

    Bereits nach kurzer Zeit waren alle Geräusche der Zivilisation verstummt, und abgesehen von Vogelgezwitscher, welches ich gelegentlich aus größerer Entfernung vernahm, war es unnatürlich ruhig. Roboterhaft bewegte ich mich immer weiter in den Wald hinein. Endlich blieb ich in einer Lichtung mitten im Wald stehen. Plötzlich war mein Kopf wie in der kurzen Zeitspanne am Parkplatz wieder frei. Es war, als wäre nie etwas in meinem Kopf gewesen. Was war bloß mit mir los?

    Nachdem ich einige Minuten unschlüssig herumgestanden hatte, setzte ich mich auf eine Wiese in der Lichtung. Bald darauf döste ich in der Hitze ein. Als ich nach kurzer Zeit wieder wach wurde, hatte mich ein merkwürdiges Gefühl ergriffen. Ich spürte, dass ich nicht mehr allein war. Langsam stand ich auf und sah mich um. Etwa zehn Meter, schräg hinter mir, stand eine Person. Ich verhielt mich völlig ruhig und auch die Person hinter mir bewegte sich nicht. Träge verrannten die Minuten in der schwülen Hitze. Dann hörte ich plötzlich eine Stimme: „Warten Sie auf mich?" Sie gehörte zu einer jungen Frau. Da mir im Moment der Sinn nicht im Geringsten nach einer Unterhaltung, geschweige denn einem Flirt stand, wollte ich gerade eine unfreundliche Bemerkung machen. Ich drehte mich halb in ihre Richtung.

    Als ich sie sah, gaben meine Knie nach und eine Gänsehaut, verursacht von einem eisigen Frösteln, überlief meinen gesamten Körper. Vor mir stand die Frau, von der ich immer wieder in den vergangenen Nächten geträumt hatte. Gleichzeitig war ich mir absolut sicher, dass sie mir noch niemals zuvor im realen Leben begegnet war. Ich weiß nicht mehr, wie viel Zeit verging, in der ich sie lediglich anstarrte. Meine Gedanken und Gefühle befanden sich in Aufruhr, in meinem Kopf herrschte ein einziges Chaos. Irgendwo in meinem Hinterkopf keimte die Hoffnung auf, ich wäre lediglich in einem Alptraum gefangen und mit dem Klingeln des Weckers würde ich mich in meinem Bett neben einer fröhlichen und munteren Christine wieder finden. Sekunden später spürte ich Fluchtinstinkte, ich merkte, wie das Adrenalin meinen Körper flutete. Dann hatte ich den Wunsch nach einer Pistole, mit der ich mir das Leben nehmen konnte, bevor der Wahnsinn vollends Besitz von mir ergriff.

    Mit einer energischen Willensanstrengung gelang es mir endlich, meine herum wirbelnden Gedanken in den Griff zu bekommen. Bewusst sah ich die Frau an. Sie hatte die ganze Zeit, nachdem sie mich angesprochen hatte, ruhig dagestanden. Meine konfuse Reaktion auf ihr Erscheinen nahm sie völlig gelassen hin. Sie war, auch nach genauem Hinsehen, ein ziemlich exaktes Abbild der Frau in meinen Träumen der letzten Tage. Etwa 1,75 Meter groß, schlank, sportliche Figur, schwarze Haare und fast schon olivbraune Haut. Sie erwiderte meinen Blick und wartete geduldig auf eine Reaktion von mir. Endlich hatte ich mich einigermaßen gefasst. „Um ihre Frage zu beantworten: ich weiß es nicht. Ich sehe Sie heute zum ersten Mal in der Realität. In meinen Träumen der letzten Tage habe ich jedoch eine Frau gesehen, die aussieht wie Sie." Sie wirkte zu meiner Verblüffung nicht sonderlich überrascht. „Ich habe nie daran geglaubt, dass Träume irgendeine Bedeutung haben könnten. Aber seit dem plötzlichen Tod meines

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