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Mitgefühl kann tödlich sein: Der 2. Fall von Thomas Sprengel und Lene Huscher
Mitgefühl kann tödlich sein: Der 2. Fall von Thomas Sprengel und Lene Huscher
Mitgefühl kann tödlich sein: Der 2. Fall von Thomas Sprengel und Lene Huscher
eBook556 Seiten7 Stunden

Mitgefühl kann tödlich sein: Der 2. Fall von Thomas Sprengel und Lene Huscher

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Über dieses E-Book

Entspannt genießen Thomas Sprengel und Lene Huscher ihre Flitterwochen auf Barbados. Als sie einen weiteren herrlichen Tag am Strand verbringen, explodiert vor ihren Augen das Heck einer vorübergleitenden Segelyacht. Obwohl die beiden Kommissare sofort eingreifen, kommt für Professor Himmelreich jede Hilfe zu spät. Erst nach ihrer Rückkehr ins nasskalte Heidelberg stößt Thomas Sprengel zufällig auf einen Hinweis, der das Unglück in einem anderen Licht erscheinen lässt. Im Zuge ihrer Ermittlungen geraten sie unvermittelt in einen Strudel aufreibender Ereignisse, die Lene Huscher auch eine harte persönliche Prüfung auferlegen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum12. Dez. 2017
ISBN9783742760906
Mitgefühl kann tödlich sein: Der 2. Fall von Thomas Sprengel und Lene Huscher

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    Buchvorschau

    Mitgefühl kann tödlich sein - Henning Marx

    Ein Gedanke vorweg ...

    »A human being is a part of the whole called by us ›Universe‹, a part limited in time and space. He experiences himself, his thoughts and feelings as something separated from the rest, a kind of optical delusion of his consciousness. This delusion is a kind of prison for us, restricting us to our personal desires and to affection for a few persons nearest to us. Our task must be to free ourselves from this prison by widening our circle of compassion to embrace all living creatures and the whole nature in its beauty. Nobody can achieve this completely, but the striving for such achievement is, in itself, a part of the liberation and a foundation for inner security« (Albert Einstein; aus einem persönlichen Brief von 1950, zitiert in der New York Times, 1972).

    Prolog

    Die lange Fensterfront gab einen weiten Blick über Heidelberg frei, der in der unmittelbaren Umgebung durch nichts verstellt wurde und sozusagen unverbaubar bleiben würde. Nicht weit entfernt lag der Bahnhof, dessen belebtes Treiben die Blicke des Besuchers immer wieder anzog, während er auf seinen Drink wartete, den sein Gastgeber an einer gut ausgestatteten Bar für ihn vorbereitete. Das Laub der Bäume glänzte goldfarben im Abendlicht. Doch er war nicht in der Stimmung, sich an derlei »Kitsch« zu erfreuen. Sobald die Szenerie keine hinreichend neuen Reize lieferte, stellten sich seine missmutigen Gedanken jeweils umgehend aufs Neue ein.

    »Hier, bitte.« Sein alter Freund aus Studientagen war zu ihm an die Couch getreten, um ihm sein Glas mit Eiswürfeln in einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit zu reichen, die einfach dazu geschaffen sein musste, ihn von seiner trüben Stimmung abzulenken.

    »Danke«. Er nippte an seinem Getränk. Tatsächlich gelang es diesem guten Tropfen, eine Welle des Wohlbefindens hervorzurufen, wenn auch bedauerlicherweise zu kurz.

    »Du scheinst mir heute nicht gerade bester Laune zu sein, mein Lieber«, stellte sein Gastgeber treffend fest. »Dabei dachte ich, wir könnten noch eine kleine Sause machen. Du warst schon länger nicht mehr da.«

    »Ja. Tut mir leid. Aber es gibt ein Problem, von dem du bisher nicht einmal ahnen würdest, dass es das jemals geben könnte. Und das Schlimme ist: Ich ... nein, wir können nichts dagegen unternehmen!«

    »Und zwar?« Die Augen des schlanken, hochgewachsenen Mannes, dessen Alter kaum zu schätzen war, begannen interessiert zu funkeln. Für ihn gab es keine Probleme, sondern nur Menschen, die zu inkompetent waren, Lösungen zu finden. Das brachte er gegenüber seinen Mitarbeitern immer wieder deutlich zum Ausdruck. Bei seinen Freunden verkniff er sich hingegen in den meisten Fällen einen entsprechenden Hinweis.

    »Du arbeitest in deiner Firma in erster Linie wofür?«

    Der Angesprochene runzelte kurz die Stirn. »In erster Linie? Ist die Frage ernst gemeint?«

    »Natürlich.« Erwartungsvoll schaute der etwas dickliche Besucher seinen Freund an.

    Bei dem provozierte diese Antwort zunächst nur ein belustigtes Lachen, das durchaus attraktive Fältchen an den Augenwinkeln offenbarte, die wohl auf ein Überschreiten der Vierzig hindeuten dürften. »Na, damit mein Konto mehr Nullen bekommt. Warum sonst?« So amüsant er die Frage fand, so überflüssig schien sie ihm im gleichen Maße zu sein.

    Sein Besucher reagierte auf die sichtbare Erheiterung mit einem noch mürrischeren Blick. »Mit dieser Haltung wirst du bald keinen Pfifferling mehr verdienen«, orakelte sein Besucher, bevor er sich mit einem weiteren Schluck des guten Tropfens eine Auffrischung seiner Gemütslage verschaffte.

    »Welchen Sirup hat man dir denn ins Hirn gefüllt?« Langsam verließ den Wohnungsinhaber die Geduld mit seinem jammernden Freund.

    Der erklärte ihm schließlich ausführlicher, was es mit seiner Stimmung auf sich hatte. »Erst letzte Woche habe ich mich auf einer Tagung mit anderen Unternehmern über dieses Problem unterhalten. Wir waren uns alle einig, auf eine absolute Katastrophe zuzulaufen, falls es uns nicht gelingt, das Ding zu stoppen, bevor es überhaupt losgeht.«

    Sein sonst so schnell denkender Freund drehte sich zur Fensterfront und schaute über die Stadt, um das Gehörte zu verarbeiten. Er fragte sich, ob ihn das selbst betreffen könnte, war sich dann aber sicher, dass das zu seinen Lebzeiten nicht mehr der Fall sein würde. Danach überlegte er unwillkürlich, ob er daraus Kapital schlagen könnte. Ein paar Nullen mehr in kürzerer Zeit und mit weniger Risiko wären durchaus attraktiv. Schließlich wandte er sich wieder seinem Freund zu, dessen hoffnungsvollen Blick er immer deutlicher in seinem Rücken gefühlt hatte. »Und was erwartest du jetzt von mir?«

    »Erwarten?«, sein Besucher lachte irritiert. Schaute aber durchaus ertappt auf sein Whiskeyglas, als suche er dort nach einer Antwort. »Ich dachte, ... du könntest da vielleicht wegen deiner Kontakte ... Du weißt schon ...«

    »Verleumdungen aus der Presse, wenn ich mal darauf hinweisen dürfte«, erwiderte der Gastgeber knapp.

    »Schon gut, schon gut. Jetzt lass mich nicht länger zappeln«, haderte sein Gesprächspartner.

    »Wie weit wärt ihr denn grundsätzlich bereit zu gehen?«

    »Bis in die Hölle, falls sich dort eine dauerhafte Lösung fände.« Er hielt dem Blick seines Gegenübers ohne mit der Wimper zu zucken stand.

    »Dann hätte ich unter Umständen eine Idee, die für alle Beteiligten von Vorteil sein dürfte.« Es hätte auch die Schlange sein können, die dem Kaninchen in die Augen schaut, während er seinem sichtlich besorgten Freund einen Vorschlag skizzierte.

    »Und was hast du davon?«

    »Ich bekomme Quartalszahlen und Meldungen der Beteiligten etwas früher als andere«, stellte er ganz beiläufig mit unbewegtem Gesichtsausdruck seine Forderung.

    Sein Gast schnaufte. »Das muss ich mit den anderen besprechen.«

    »Tu das. Und wie kann ich dich derweil ein wenig aufmuntern?«

    »Keine Ahnung.«

    »Na, ich glaube, ein gutes Essen reicht bei dir nicht mehr aus«, diagnostizierte sein gut aussehender Freund. »Aber ich habe dafür wohl das Richtige – besser gesagt: die Richtige.« Er grinste vielsagend, während er sein Smartphone aus der Tasche zog und eine Nummer wählen ließ.

    »Ekaterina, Häschen, ich bin´s. Bist du heute Nacht zufällig noch frei? ... Bring noch eine Kollegin für mich mit. ... Etwas Asiatisches vielleicht?«

    Kapitel 1

    Lene Huscher lag sehr bequem in einem Liegestuhl und konnte durch ihre schicke Sonnenbrille das Meer betrachten, auf dessen blauen und in Strandnähe türkisfarbenen Wellen die Sonne glitzerte. Es war kaum ein Wölkchen am Himmel, die Temperatur lag fast zwanzig Grad über der in Deutschland. An diesem Ort konnte sie es sehr gut aushalten.

    Nach gut einem Jahr hatte sie Thomas Sprengel einen Antrag gemacht, den dieser offensichtlich nicht hatte ablehnen können. So hatten sie am Samstag vor dem ersten Advent standesamtlich geheiratet und waren anschließend in die Flitterwochen geflogen. Manchmal musste sie noch daran denken, wie Thomas sie bei ihrer ersten Begegnung in einer Weise beleidigt hatte, nach der wohl kaum einer der an diesem Abend Anwesenden jemals damit gerechnet hätte, dass sie ein Paar werden würden. Im Laufe ihrer ersten gemeinsamen Ermittlungen hatte sich Thomas dann doch noch von seiner besseren Seite gezeigt und sie davon überzeugen können, ein Mann mit Potenzial zu sein. Nur gut, dass sie beide damals, wenn auch nur knapp, den Kopf noch aus der Schlinge hatten ziehen können. Lene lachte kurz auf. Erstens waren es ihre Füße gewesen und zweitens durfte sie die Hilfe durch ihren jungen Kollegen Horst nicht unterschlagen.

    »Mir wurde gesagt, dass eine hinreißende Dame auf ihren Cocktail wartet«, wurde sie von einer charmanten Männerstimme aus ihren Gedanken wieder in die Gegenwart geholt. Lene Huscher schaute amüsiert auf und erwischte zwei braune Augen, deren warmer Blick ungeniert über ihren Körper wanderte. »Suchen Sie gerade einen Platz zum Abstellen?«, fragte sie knapp, während sie über den Rand ihrer Sonnenbrille linste. Sie hatte bereits eine leicht gebräunte Haut. Der Schnitt ihres dunkelgrünen Bikinis betonte ihre schlanke Figur und dessen Farbe passte perfekt zu ihren rot leuchtenden Haaren.

    Ihr Mann lächelte sie an: »Wenn wir hier nicht am Strand wären, würde ich dieses verführerische Geschenk auf der Stelle auspacken.«

    »Soso, dann wollen wir dem Herrn doch noch ein wenig Vorfreude gönnen. Wo ist nun mein Cocktail?« Elegant streckte sie einen Arm nach ihm aus und ergriff das Glas. »Danke.«

    Thomas Sprengel legte sich ebenfalls wieder in seinen Liegestuhl, während seine Frau an ihrem Getränk nippte, das angenehm erfrischend wirkte.

    »Du solltest aber nicht zu lange in der Sonne bleiben«, gab er sich noch nicht geschlagen.

    »Ich weiß es durchaus zu schätzen, dass du mich anziehend findest, mein Lieber«, schmunzelte sie, während sie seine Haare kraulte.

    »Schau mal, wie der Segler dahinten schön am Wind liegt«, machte Lene Thomas auf ein großes Segelboot aufmerksam, dessen eleganter Rumpf und Segel in der Sonne schneeweiß leuchteten. Die Yacht glitt bei halbem Wind nur etwa eine halbe Meile lautlos vor ihrem Strand entlang.

    »Sieht schon schick aus«, musste er ihr zustimmen. »Vielleicht sollten wir das auch mal ausprobieren?«

    »Ja, wenn ich mir das so überlege, warum nicht? Segeln ist bestimmt nett«, nahm Lene den Gedanken gerne auf.

    »Ich werde mal nach einer Segelschule suchen, wenn wir wieder zu Hause sind. Wäre das eine Idee?«, wollte Thomas sich über die Sinnhaftigkeit seines Tuns versichern.

    »Super«. Lene nippte erneut an ihrem Cocktail, während sie die Yacht fasziniert beobachtete. Auf Deck konnte sie zwei Personen ausmachen – und eine ihr bestens bekannte Flagge am Heck. »Schau mal, der segelt unter deutscher Flagge. Meinst du, der ist über den Atlantik gekommen?«

    Thomas wandte den Blick wieder dem Segler zu. »Kann schon sein. Da hätten die aber eine ordentliche Strecke hinter sich. Ich weiß nicht, ob das etwas für mich wäre – so lange auf hoher See.«

    »Naja, wir müssen ja nicht als Erstes eine Weltumsegelung starten. Ich dachte zunächst eher an einen schönen See oder eine romantische Bucht«, präzisierte Lene ihre Vorstellungen.

    Sie konnten sehen, wie eine der Personen auf dem Boot eine Kiste öffnete, aus der sie einen großen Ballon hervorholte.

    »Ja, wir sollten klein anfangen«, stimmte Thomas ihr mit einem lausbübischen Grinsen zu.

    Auch ihm schien die Wärme der Karibik sehr gut zu tun, befand Lene. Thomas hatte ständig nur Unsinn im Kopf. »Was?«, spielte sie auf sein Unfug verratendes Lächeln an.

    »Wenn wir selbst segeln, dann haben wir kein so schönes Leuchtfeuer, das uns auf Untiefen aufmerksam macht«, erklärte er mit einem verliebten Blick.

    Seine Frau musste lachen. Seit ihrer ersten Nacht hatte er sie wegen ihrer Haarfarbe sein »Leuchtfeuer« genannt. Lene zog ihn zu sich herüber, um ihm einen zärtlichen Kuss zu geben. »Ich liebe dich.« Und besonders mochte sie auch, wenn er Komplimente in einem subtileren Humor verpackte.

    »Ich liebe dich, mein Leuchtfeuer«, flüsterte Thomas ihr ins Ohr. »Aber meinst du nicht, dass ich dich noch mal eincremen sollte, damit du keinen Sonnenbrand bekommst?«, schaute Thomas sie nun wieder gänzlich unschuldig an.

    »Du kannst es nicht lassen, oder? Vielleicht hast du sogar recht.«

    Thomas beugte sich zu ihrer Tasche und holte die Sonnenmilch heraus. Während er die Flasche öffnete, wies Lene erneut auf den Segler. »Schau mal, die haben die Gummiballons an die Reling gehängt. Ich glaube, die wollen hier in den nächsten Hafen einlaufen.«

    »Stimmt.« Thomas verteilte etwas Sonnenmilch auf Lenes Bauch und begann diese sanft einzureiben. Dabei näherte sich seine Hand stetig weiter Lenes Bikinihöschen, bis seine Fingerspitzen immer wieder vorwitzig unter dessen Rand verschwanden.

    »Du hast doch nicht etwa Hintergedanken, mein Lieber?«, fragte Lene mit hochgezogenen Augenbrauen und sich keineswegs anmerken lassend, wie angenehm ihr seine sanften Bewegungen waren. Vielleicht lag sie doch bereits zu lange in der Sonne?

    »Wie kommst du denn ...«

    Thomas Sprengel wurde von dem lauten Knall einer Explosion unterbrochen, der von der See zu ihnen herüberschallte. Erschrocken schauten beide – wie alle anderen am Strand und im Wasser um sie herum – aufs Meer. Mit Entsetzen mussten sie feststellen, dass es einen Teil des Bootshecks weggerissen hatte und sich Feuer auf der Segelyacht auszubreiten begann.

    »Ich sehe keinen an Bord«, stellte Thomas fest. »Du?«

    »Nein.«

    Die Flammen fraßen sich langsam nach vorne. Auch unter Deck glaubten sie es hinter dem Fenster achtern lodern zu sehen. Die anderen Strandbesucher schienen noch wie paralysiert auf das Inferno zu starren, als Thomas und Lene gleichzeitig aufsprangen.

    »Ich laufe zur Rezeption«, rief sie ihm zu, während sie bereits die ersten Meter zurückgelegt hatte.

    »Ist gut.« Thomas sprintete ans Wasser, requirierte kurzerhand ein Schlauchboot inklusive eines verdutzt dreinblickenden Jungen, nahm dem die Paddel ab und war schon mehrere Meter in Richtung offene See gerudert, bevor der Vater des Knaben überhaupt im Ansatz hatte protestieren können. Die Explosion und unmittelbar darauf folgend die Kaperung des Schlauchbootes samt Sohn war wohl zu viel für die Verarbeitungskapazität seines Gehirns. Der Junge schien das eher spannend zu finden.

    Kapitel 2

    Etwa zur gleichen Zeit saßen Horst Jung, Heiner Janetzky und Franz Hilpertsauer an der Theke in der »Pepper Bar«. Weil sie nach dem Dienst zusammen direkt dort hingegangen waren, würde es noch eine Weile dauern, bis weitere Kollegen zum wöchentlichen Stammtisch eintrafen. Jedenfalls waren die drei derzeit sehr entspannt. Das lag nicht daran, dass ihr Chef Thomas Sprengel im Urlaub weilte, sondern weil sich passend zu der vorweihnachtlichen Zeit alle Menschen zu vertragen schienen und im Heidelberger Morddezernat hauptsächlich Routineaufgaben auf dem Programm standen. Außerdem war es ihnen möglich, hin und wieder Überstunden abzubauen, oder wie heute einfach pünktlich zu gehen, um in aller Ruhe ein kühles Pils zu genießen. Ein kleiner Snack sollte das Ganze dann noch abrunden.

    »So gut müsste man das jetzt haben«, seufzte Heiner wehmütig, als er an seinen Chef dachte. »Die liegen bestimmt gerade unter Palmen am Strand und lassen sich von vorne bis hinten bedienen.«

    »Höre ich da etwa Neid aus deiner Stimme?«, witzelte Horst arglos, weil er ausgesprochen guter Stimmung war. Der Stammtisch hatte ihn davor bewahrt, mit Heike nach einem neuen Kleid Ausschau halten zu müssen. Er konnte nicht wissen, dass sie rücksichtsvollerweise genau diesen Abend dafür ausgewählt hatte, weil sie seine Abneigung diesbezüglich kannte. Noch bevor seine Frau ihn gefragt hatte, ob er mitkommen wollte, hatte sie sich bereits »fürsorglich« mit ihrer Freundin Lisa verabredet, die ohnehin die bessere Beraterin in derlei Fragen abgab. Wie erwartet hatte Horst tatsächlich den Stammtisch – leider, leider – vorgeschoben. Nur die Frage danach hatte sie ihm selbstverständlich nicht ersparen wollen, weil ein latent schlechtes Gewissen nie schaden konnte.

    »Du gönnst den beiden das nicht. Gib es zu!«, setzte Horst sogar noch nach.

    »Wo denkst du hin? Natürlich!«, zeigte sich Heiner irritiert, der den Schalk in Horsts Augen nicht sehen konnte. »Ich wäre nur auch gerne mit meiner geliebten Frau ...« Etwas resigniert brach er den Satz ab, um lieber noch einen kräftigen Schluck von seinem Pils zu nehmen.

    Sofort bereute Horst seine unbedachte Bemerkung, weil er hätte wissen können, was seine als Scherz gedachte Provokation prompt angerichtet hatte. Heiner war erst vor wenigen Wochen von seiner Frau verlassen worden. Ihn hatte das Schicksal so manches Kollegen ereilt, dessen Ehefrau ab einem gewissen Punkt einfach kein Verständnis mehr für das immer wieder ohne Vorankündigung auftretende Ausbleiben ihres Ehemannes nach Dienstschluss aufbrachte. Horst wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Er selbst hatte riesiges Glück mit seiner Heike, die in dieser Hinsicht eine endlose Geduld zu haben schien. Vielleicht lohnte sich aber auch einfach das Warten so sehr? Und bei Heiner hatte es sich nicht gelohnt? Mann, wie war er denn heute drauf. »Es tut mir leid«, brachte Horst etwas hilflos hervor.

    Heiner trank sein Bier aus. »Schon in Ordnung. Ist ja meine Schuld, dass ich dein Späßchen nicht verstehen wollte.«

    Franz fasste den Trübseligen teilnahmsvoll an der Schulter.

    »Noch´n Bier, Heiner?«, kam Beatrice, die Barfrau, sofort, als sie sein leeres Glas bemerkte, stutzte aber, als sie die plötzliche Gemütsveränderung an Heiner wahrnahm. Es gab wohl selten etwas, das Barkeeper von Stammgästen nicht wissen. Sie rieb ihm aufmunternd seinen Unterarm, der matt auf dem Tresen lag. »Na, nun lass mal den Kopf nicht so hängen, Süßer. Das wird schon wieder«, versuchte sie ihn mit einer glockenklaren Stimme aufzumuntern. Diese Stimme passte perfekt zu ihrer elfenartigen Erscheinung mit blondem Haar, heller Haut und grazilem Körperbau – aber die Anrede »Süßer«? Auch wenn Barfrauen öfter gewohnt waren, Klartext zu reden, ging das mit ihrem sonstigen Typ so gar nicht zusammen, ging es Horst für einen Augenblick durch den Kopf.

    »Ein Melancholiker sollte eigentlich keinen Alkohol trinken«, wehrte Heiner ein weiteres Pils ab. »Und statt süß bin ich wohl eher ziemlich bitter.« Immerhin zeigte sich der Ansatz eines müden Lächelns auf seinem Gesicht, als er sich selbst auf den Arm nahm. »Hast du nicht etwas ohne Alkohol, das trotzdem die Stimmung hebt?«

    Beatrice blickte ihn aus ihren großen, grünen Augen einen Augenblick mitfühlend an, schien sich auf seine Stimmung einzulassen und nickte anschließend nur kurz. »Kommt sofort, Herr Kommissar.«

    »Ist halt nicht leicht mit den Frauen«, versuchte auch Franz neben einem festen Griff der Schulter mit ein wenig Männerweisheit die Laune seines Kollegen wieder zu heben.

    Heiner schaute Franz etwas genervt an. »Und das weißt gerade du so genau?«

    Oh, oh. Was hatte er da bloß mit seinem nicht sehr weitsichtigen Späßchen angerichtet. Die Unterhaltung drohte in eine Abwärtsspirale zu geraten. Bestürzt wollte der junge Kommissar vom Thema ablenken. Franz hatte zumindest keine Partnerin mehr gehabt, seit Horst in der Abteilung arbeitete. Das waren inzwischen vier oder fünf Jahre? Für ihn wäre das unvorstellbar. Doch bevor er reagieren konnte, antwortete Franz ganz die Ruhe selbst: »Du hast es erfasst. Deshalb lebe ich ja schon so lange alleine, obwohl ich bereits auf die fünfzig zugehe. Nur weil ich nicht immer am Jammern bin, heißt das nicht, dass mich das nicht auch hin und wieder niederdrückt. Aber auf diese Weise bin ich immerhin frei, wenn die Richtige kommen sollte. Das ist mir allemal lieber, als Kompromisse einzugehen und den entscheidenden Moment am Ende zu verpassen.« Er klopfte Heiner noch einmal auf die Schulter, bevor sich seine Hand wieder um sein Bierglas bemühte.

    »Entschuldige, Franz, ich wollte dir nicht auf den Fuß treten«, reagierte Heiner etwas betreten auf das offene Wort seines Kollegen zu dessen eigener Gemütsverfassung.

    »Tata! Hier habe ich einen alkoholfreien Cocktail für dich.« Sie stellte ein Glas mit einem fliederfarbenen Getränk vor ihrem schwermütigen Gast auf die Theke und beendete damit ungewollt den stürmischeren Teil des Gesprächs.

    Heiner zog misstrauisch die Augenbrauen zusammen. »Ist das nicht ein bisschen zu feminin, so farbmäßig?«, drückte er zunächst seine Zweifel aus.

    Beatrice rollte die Augen. »Männer haben schon komische Prioritäten. Mach halt die Augen zu und trink erst einmal«, blieb sie von ihrer Wahl überzeugt.

    Auch Horst und Franz waren gespannt, was Heiner dazu sagen würde. Der schloss tatsächlich die Augen und nahm einen vorsichtigen Schluck ... und noch einen. Als er die Augen wieder öffnete, sah er Beatrice dankbar an: »Passt wunderbar. Was trinke ich da eigentlich?«

    »Eine ›Abendsonne‹ ... Ja, ich komme.« Beatrice wandte sich einem anderen Gast zu, bevor Heiner noch etwas erwidern konnte.

    »Genial«, Horst grinste breit.

    »Was?«, wollten die anderen beiden wissen.

    »Na«, Horst holte groß aus, »mit einem weiblich anmutenden Cocktail gegen das von einer Frau verursachte Leiden. Das ist doch eine geradezu homöopathische Vorgehensweise.« Ihr junger Kollege schien an diesem Abend zu Hochform aufzulaufen.

    Franz schmunzelte in sich hinein, während Heiner den Kopf auf die Theke sinken ließ und vernehmbar stöhnte. Dennoch musste er über Horsts Unsinn in einer Art Galgenhumor lachen. »Du gehst jetzt mal besser rüber an den Tisch. Da sind inzwischen ein paar Kollegen gekommen, die sich bestimmt noch viel mehr über deine geistreichen Späße freuen.«

    Horst wechselte nicht ungern die Gesellschaft, weil er dort keinen weiteren Schaden anrichten konnte. Manchmal hatten Fettnäpfe einfach eine geradezu magische Anziehungskraft auf ihn.

    Nach einem vergnüglichen Abend brach Horst schließlich mit den Letzten vom Tisch auf. Franz war bereits frühzeitiger gegangen. Nur Heiner saß immer noch an der Theke und unterhielt sich mit Beatrice, die dabei war, Gläser zu spülen, nachdem sich kaum noch Gäste in der Bar befanden. Die Bardame hatte immer für alle ein offenes Ohr und ein passendes Wort. Obwohl sie überhaupt nicht Horsts Typ war, nahm er an ihr eine reife Ausstrahlung wahr, die ihn auf eine unbestimmte Weise ansprach. So ausgeprägt hätte er diese an einem Menschen nicht erwartet, den er für höchstens Mitte dreißig hielt. Vielleicht lag das auch nur daran, dass für ihn die Dreißig noch in weiter Ferne lagen.

    »Ciao, Bea. Einen schönen Feierabend«, wünschte er ihr zum Abschied.

    »Ciao, ciao. Bis nächste Woche, oder nicht?«, kam es wie immer gut gelaunt und zur Kundenbindung zurück.

    »Ich denke schon.« Und an Heiner gewandt setzte er fort: »Kommst du mit oder bleibst du noch?«

    »Ich bleibe noch ein wenig. Es ist gerade so nett hier«, machte er Beatrice mit seiner Antwort nebenbei ein Kompliment, die auch prompt von ihren Gläsern kurz aufschaute und Heiner freundlich zulächelte.

    »Aber versack hier nicht«, witzelte Horst im Gehen noch.

    »Dann stelle ich rechtzeitig von ›Abendsonne‹ auf ›Morgendämmerung‹ um«, parierte Heiner Janetzky, scheinbar wieder besserer Stimmung. »Bis morgen.«

    »Ja, leider«, seufzte er noch theatralisch, bevor sich die Tür hinter ihm schloss.

    Kapitel 3

    Thomas Sprengel ruderte, als ob es um sein eigenes Leben ginge. Der Junge kniete am vorderen Luftschlauch des Bootes und schaute gebannt auf das brennende Segelboot. Glücklicherweise gab es nur wenig Seegang, so dass sie recht flott vorankamen. Die Yacht war trotz des aufgerissenen Hecks und der dort lodernden Flammen noch ein Stück gesegelt, bevor die Schoten durchgeschmort waren. Inzwischen killten die Segel in der leichten Brise und der Bug hatte sich in den Wind gedreht. Zu Thomas´ Erleichterung hatte das Boot aufgrund des auflandigen Windes sogar begonnen, langsam auf die beiden in ihrem Schlauchboot zuzutreiben.

    Bisher hatte keine Notwendigkeit bestanden, mit dem Jungen zu reden, den er auf vielleicht zehn Jahre schätzte. Der Knirps hatte auch so verstanden, was Thomas Sprengel im Sinn hatte. Er selbst saß beim Rudern ebenfalls zur Yacht gewandt, um das Schlauchboot mehr oder weniger auf dem direktesten Weg auf ihr Ziel zusteuern zu können. Leider brachten ihn selbst die kleinen Wellen immer wieder vom Kurs ab, so dass er befürchtete, wertvolle Zeit zu verlieren.

    »Allí, allí«, rief sein kleiner Begleiter im Bug plötzlich laut und zeigte von dem Segelboot weg, während er sich zu Thomas Sprengel umschaute. »Una persona está en el mar. Yo la he visto.«

    Irritiert hielt der Kommissar für einen Moment mit dem Rudern inne. »Wie bitte? Ich verstehe dich nicht.« Zur Unterstützung seiner Aussage hob er Hände, Schultern und Augenbrauen, während er leicht den Kopf schüttelte. Wenn er nicht zu sehr mit der Rettung etwaiger Opfer beschäftigt gewesen wäre, hätte er sich wie üblich geärgert. Immer wieder hatte er seine Sprachkenntnisse aufbessern wollen, aber nie Zeit und Ausdauer dafür gefunden – vor allem an der Ausdauer hatte es ihm jedes Mal gefehlt. Sollte hier deshalb jemand sterben? Mühsam unterdrückte er einen Fluch. Insoweit hatte die Aufforderung seiner Frau, noch bevor sie ein Paar geworden waren, sich in ihrer Gegenwart einer gemäßigten Ausdrucksweise zu bedienen, selbst in dieser kritischen Situation seine Wirkung entfaltet. Darauf würde er sie später gebührend hinweisen.

    Der Junge stand inzwischen im Boot und zeigte weiterhin von der Yacht weg. »Allí, señor, una persona, una persona«, wiederholte der mit enormem Nachdruck in der Stimme.

    Immerhin hatte er jetzt »Person« verstanden. Er blickte in die Richtung, die der Arm des Jungen vorgab, konnte aber niemanden im Wasser ausmachen. Wie sollte er das dem aufgeregten, aber wohl sehr aufgeweckten Kerlchen nur am schnellsten vermitteln? Er zeigte auf seine Augen und schüttelte abermals den Kopf.

    »Sí, sí, una persona«, beharrte der Junge jedoch felsenfest auf seiner Beobachtung. »Levántese, levántese!«

    Thomas Sprengel verstand die letzten Worte zwar nicht, deutete aber dessen Armbewegung, als wolle er ihn hochheben, richtig. Vorsichtig richtete er sich in dem Boot auf und blickte in die Richtung, die ihm sein Begleiter zunehmend ungenauer anzeigte. Zuerst sah er weiterhin nichts, was auf eine im Wasser befindliche Person hingedeutet hätte. Vielleicht hatte der Junge auch nur eine Schildkröte oder einen Felsen unter Wasser für einen Menschen gehalten. Doch als er seinen Blick etwas weiter nach rechts richtete, als der Junge ihm signalisierte, hatte er den Eindruck, als treibe dort zumindest ein Kleidungsstück. Vermutlich waren sie inzwischen ein wenig abgetrieben. Bei genauerem Hinsehen erkannte er zu seinem Entsetzen dann auch einen Kopf und Arme, die schlaff unter die Meeresoberfläche hingen. Er musste eine Entscheidung treffen – und das sehr schnell. Sollten sie zu der Person im Wasser oder zur Yacht rudern? Unschlüssig schaute er den Jungen an und hoffte vielleicht, in dessen Gesicht eine Antwort auf diese schwierige Frage zu finden. Konnten sie den im Meer Treibenden noch retten? Wenn sie dorthin zuerst ruderten, war es gleichzeitig möglich, dass erst in dieser Zeit jemand auf der Yacht Opfer der Flammen werden würde. Gerade als er sich entscheiden wollte, als Erstes die Person im Wasser zu bergen, sah er, wie sich um diese herum ein dunkler Fleck ausbreitete. Konnte das Blut sein?, schoss es ihm durch den Kopf. Während er immer noch zögerte, schaute er sich gehetzt um.

    Von rechts zog ein Windsurfer immer schneller werdend heran, der offensichtlich ebenfalls Hilfe leisten wollte. Das war die Lösung. Er schwenkte sein Paddel weit über dem Kopf und hoffte, den Windsurfer damit auf sich aufmerksam zu machen und sein Vorgehen mit diesem abstimmen zu können. Zunächst zeigte der Wassersportler jedoch keinerlei Reaktion. Gerade als er aufgeben wollte, sah er im Abwenden doch noch, dass der Andere einen Arm mit nach oben gerecktem Daumen in seine Richtung ausgestreckt hatte. Sofort deutete Thomas Sprengel mit dem Paddel auf die im Meer treibende, offenbar blutende Person. Als der Windsurfer seinen Kurs entsprechend änderte, ruderte Thomas Sprengel mit dem Jungen die letzten hundert Meter auf die Yacht zu – so schnell, dass ihm die Muskulatur seiner Arme bereits nach der Hälfte der Strecke brannte.

    »Gut gemacht, mein Junge«, murmelte er noch. Doch das kleine Kerlchen war vollauf damit beschäftigt, die Yacht und den Windsurfer im Auge zu behalten. Seinen Rudergast schien er nicht einmal mehr wahrzunehmen.

    Sie hielten schräg von achtern kommend auf das brennende Boot zu. Wegen des Qualms konnten sie zunächst nichts Genaueres an Bord ausmachen. Thomas Sprengel achtete darauf, sich vom Heck freizuhalten. Nach wenigen Metern querab konnten sie dann sehen, dass sich das Feuer inzwischen im ganzen Cockpit ausgebreitet hatte und gerade begann, auch den Niedergang in Mitleidenschaft zu ziehen. Als eine kleine Böe den Rauch verwirbelte, packte Thomas Sprengel beim Anblick einer Frau Entsetzen, deren Oberkörper an der Reling lehnte. An dem schlaff über den Relingsdraht hängenden Kopf konnte er sofort erkennen, dass die Seglerin im besten Fall nur bewusstlos war. Die Flammen im Cockpit loderten bereits um ihre Unterschenkel herum. Von seiner Position konnte er aber nicht ausmachen, ob die Hose der Frau bereits brannte. Sollten sie am Ende doch zu spät kommen?

    Weil er nicht abschätzen konnte, wie schnell sich das Feuer weiter ausbreiten würde, mussten sie zum Bug der Yacht, auch wenn dort das Freibord höher als mittschiffs war. Mittels Handzeichen bedeutete er dem Jungen, im Schlauchboot zu bleiben und sich an dem Schiff festzuhalten. Der nickte mit weit aufgerissenen Augen, aber entschlossenem Gesichtsausdruck. Folgsam hielt er sich mit seinen kleinen Händen an einer Relingsstütze fest, die er gerade so eben erreichen konnte. Zum Glück war das Schlauchboot leicht, so dass die dünnen Ärmchen ausreichen würden, ihn in seiner Position zu halten.

    Mit einiger Mühe zog und hebelte Thomas Sprengel sich auf das Deck. Ein kurzer Blick zu dem Surfer zeigte ihm, dass dieser sein Ziel erreicht hatte und gerade dabei war, einen leblosen Körper auf das auf dem Wasser liegende Surfsegel zu ziehen. Weitere Boote näherten sich inzwischen ebenfalls dem Unglücksort.

    Leider hatte er nichts außer seiner Badehose an und sah sich dem Rauch aus dem Cockpit ungeschützt ausgesetzt. Wegen der nur leichten Windbewegung stellten die auswehenden Segel und deren Schoten keine Bedrohung für ihn dar. Zügig konnte er sich zu der Bewusstlosen nach achtern begeben. Ein letztes Mal atmete er tief ein, bevor er die verbleibenden Meter zurücklegte. Die Flammen beschränkten sich hier zum Glück immer noch auf das Cockpit, nur das gesamte noch vorhandene Heck brannte lichterloh. Ohne auf Weiteres zu achten, griff er der Frau unter die Achseln und zog sie, so schnell das bei dem Gewicht einer Bewusstlosen möglich war, zum Bug. Als sich der Rauch mittschiffs lichtete, sah er erst, dass die Hose tatsächlich Feuer gefangen hatte. Schwer schnaufend und kräftig einatmend ließ er ihren Körper auf das Deck gleiten. Nur wie sollte er die Flammen löschen? Er selbst trug lediglich seine Badehose. Suchend blickte er sich um, musste aber verzweifelt feststellen, sich auf einem tadellos klarierten Boot zu befinden. Dort fand sich nichts, womit er die Sauerstoffzufuhr der brennenden Hosenbeine hätte unterbrechen können. Sollte er sie einfach über Bord werfen? Das Risiko wollte er nicht eingehen. Die Sekunden rannen immer schneller dahin, während die Flammen sich an den Beinen der Frau stetig weiter hinauffraßen. Aber da war es doch vor seinen Augen. Innerlich entschuldigte er sich bei der Frau, bevor er ihr das Polo-Shirt aufriss. Mit einer schnellen Bewegung zog er es eilig unter ihrem Rücken und über die Arme weg, um damit schließlich die Flammen erfolgreich zu ersticken. Auch wenn er schon so manche Leiche gesehen hatte, ließ ihn der Anblick der verkohlten Hose und stellenweise zu sehender schwarzer Haut nicht kalt. In der jetzigen Situation war es vielleicht sogar besser, dass die Frau nicht bei Bewusstsein war. Während er kurz überlegte, wie er sie am besten in das Schlauchboot bekam, drängte sich trotz der Umstände ein Gefühl peinlichen Bedauerns in sein Bewusstsein. Dieses musste wohl unbewusst durch den Anblick des nun nackten Oberkörpers entstanden sein: Die junge Frau trug keinen BH. Nur für einen Augenblick konsterniert, besann er sich jedoch gleich wieder, richtete sie auf und griff mit einem Arm hinter ihren Rücken, während er den andern unter ihre Knie schob. Mit einem tiefen Schnaufen richtete er sich mit der Bewusstlosen auf, wobei ihr Kopf sofort wieder nach hinten fiel. An seinen Füßen verspürte er dabei eine unangenehme Hitze, die er zunächst auf das höhere Gewicht schob, bevor er registrierte, wie die Flammen inzwischen auch unter Deck hinter einer Fensterluke um sich griffen. Die Hitze stammte folglich vom Feuer. Sie mussten schnellstens von dieser Yacht. Gab es da nicht auch Gaskocher? Saßen sie am Ende auf einem Pulverfass?, heizten seine sich schnell jagenden Gedanken nun seine Nervosität an und führten für einen Augenblick zu einem schmerzhaften Zusammenziehen seines Magens. Schnell, aber durchaus vorsichtig hob er die Beine der Frau über die Reling. Eigentlich hatte er sie kopfüber in das Schlauchboot herunterlassen wollen, dann war ihm aber eingefallen, dass das für die Verbrennungen an den Beinen beim Herablassen sicherlich nicht so vorteilhaft wäre. Also musste es auch andersherum gehen. Eine kleine Explosion unter Deck erschreckte ihn so sehr, dass er um ein Haar den Griff um die Taille der jungen Frau gelöst hätte. Sein Herz klopfte wie wild und er schwitzte nicht nur wegen des Feuers. Während der kleine Junge das Schlauchboot mit unbändigem Willen in Position hielt, ließ Thomas Sprengel den Körper der bewusstlosen Frau langsam nach unten gleiten, bis er deren Rippenbogen spürte. Er versuchte den Griff zu ändern, um zu verhindern, mit Händen und Armen über ihre Brüste gleiten zu müssen, spürte jedoch, nicht über ausreichend Kraft zu verfügen. Als irgendetwas im Boot gewaltig ächzte, gab er das Denken endgültig auf und ließ die Frau sofort weiter ab. So weit wie es ihm möglich war, hielt er ihren Körper noch an den Armen und Händen aufrecht. Aber das letzte Stück musste der Oberkörper ins Boot fallen. Das ließ sich leider nicht ändern, weil der Kleine das Boot in seiner Lage stabilisieren musste. Anderenfalls wäre er wohl auch zu schwach gewesen, das enorme Gewicht einer bewusstlosen, sich im Fallen befindenden Frau überhaupt zu halten.

    Mit einer Geste signalisierte Thomas Sprengel dem Jungen, sich von der Yacht abzustoßen. Ein kurzer Blick zeigte ihm, dass andere Boote inzwischen in der Nähe waren und ihnen helfen konnten. Leider sah er keine Möglichkeit mehr, unter Deck nachzusehen, ob sich dort noch jemand befand. Hinter allen Luken wüteten Flammen oder waberte Rauch. Weiter im Süden sichtete er ein Schnellboot, das mit hoher Geschwindigkeit ebenfalls auf sie zuzuhalten schien. Ob das aufgrund von Lenes Benachrichtigung im Hotel aus Bridgetown herüberkam? Endlich sprang er selbst über die Reling und schwamm zum Schlauchboot des Jungen, der erst wenige Meter zurückgelegt hatte. Das Rudern war inzwischen erheblich schwieriger, weil die Frau viel Raum in dem kleinen Boot einnahm. In seiner Not benutzte der kleine Kerl nur eines der Ruder wie ein Paddel.

    Thomas Sprengel hielt der Bewusstlosen kurz seine nasse Hand dicht unter die Nase, auf der er zu seiner großen Erleichterung einen ganz leichten Lufthauch spürte. Immerhin.

    Eine Person auf einem Jet-Ski verlangsamte ihre Fahrt erst auf den letzten Metern und drehte neben dem Gummiboot bei. Große Freude breitete sich auf Thomas´ Gesicht aus, als er Lene erkannte.

    Die wiederum sah mehr als besorgt zu ihm herunter: »Alles in Ordnung, Schatz?«

    »Bei mir schon. Die Frau im Boot muss schnellstens in ein Krankenhaus.«

    Lene nickte. »Ich weiß auch wie! Nimm die Leine da vom Boot und knote sie hier an den Jet-Ski. Ich ziehe das Boot an den Strand. Das geht schneller.«

    »Meinst du, das klappt?«, war sich Thomas nicht sicher, ob der Einfall so einfach umzusetzen war.

    »Ich werde vorsichtig fahren«, versprach Lene ihm, sich der Problematik bewusst.

    Thomas befestigte die Leine so gut, wie er das eben als Nicht-Segler konnte. »Fertig.«

    »Willst du noch aufsteigen?«, wollte Lene eigentlich nur wissen, ob sie ihn alleine im Wasser zurücklassen konnte.

    »Fahr! Das hält nur unnötig auf. Die Frau atmet übrigens«, gab er ihr noch mit.

    »Okay. Bis gleich.« Vorsichtig beschleunigte sie bis zu einem Punkt, an dem das Schlauchboot leicht zu schlingern begann.

    Thomas Sprengel war gerührt, als er sah, wie der kleine Junge den Kopf der verunglückten Seglerin achtsam auf seine Beine bettete. Dem Surfer waren inzwischen zwei Boote zu Hilfe gekommen. Hoffentlich hatte auch diese Person Glück gehabt. Langsam schwamm er zurück zum Strand, wobei er seinen Gedanken nachhing. Eine Woge der Dankbarkeit erfasste ihn angesichts seiner eigenen Situation. Wie schön war sein Leben doch, seitdem er es mit Lene teilen durfte.

    Lene Huscher war inzwischen am Strand angekommen, wo Thomas Sprengel sie mitsamt dem Jungen und der Bewusstlosen in einer Menge Helfender verschwinden sah.

    Kapitel 4

    »Gefällt es dir so, mein Lieber?«, hauchte Ekaterina, während sie ihrem Besucher tief in die Augen schaute. Nur ganz sanft stützte sie sich mit beiden Händen auf dessen Brust ab. Der Angesprochene antwortete ihr wie meistens nicht. Selbst seinem Gesichtsausdruck konnte sie nicht entnehmen, wie es ihm gefiel. Lediglich seine Hände streichelten die Innenseiten ihrer Oberschenkel. Nachdem er allerdings über die letzten Jahre immer wieder für ganze Nächte große Summen gezahlt hatte, konnte sie wohl auch an diesem Abend davon ausgehen, dass er keinen Grund zur Klage haben dürfte. Insgesamt gefiel ihr dieser Mensch einigermaßen: Er war gebildet und hatte kultivierte Umgangsformen. In der Regel behandelte er sie, als sei sie eine Dame des gesellschaftlichen Lebens. Sie hätte sich allzu gerne eingebildet, aus seinem Verhalten auf eine gewisse Wertschätzung schließen zu können. Wenn sie ehrlich war, traf das jedoch nicht zu. Es waren immer wieder Situationen aufgetreten, in denen er ihr gegenüber unmissverständlich ausgedrückt hatte, was er tatsächlich über sie dachte. Manchmal waren es nur kleine Nebensätze, in denen er betonte, dass sie zu gehorchen habe. Ganz selten hatte er sich rücksichtslos gezeigt und Dinge getan, die ihr Schmerzen bereitet hatten. Das eine oder andere Mal, wenn ihrem Gesicht diese Schmerzen anzusehen gewesen waren, hatte er das nur abfällig grinsend mit »das Arbeitsleben ist nicht immer ein Zuckerschlecken, mein Häschen« kommentiert und sie zur Professionalität ermahnt. Aber im Großen und Ganzen wollte sie sich nicht beklagen. Ihr ging es immer noch bedeutend besser als Kolleginnen, die in billigen Bordellen oder auf dem Straßenstrich arbeiten mussten. Auch hielt sich bei ihr bisher die Zahl der Herren in Grenzen, die aufgrund der Höhe ihres Honorars der Ansicht waren, alles ausleben zu können, was ansonsten keine Frau erdulden würde. Zum Glück hatte ihr – anders als bei ihrer Freundin May Lin – bisher noch nie jemand ernsthafte Verletzungen zugefügt.

    Die Melodie eines Mobiltelefons holte sie aus ihren Gedanken zurück. Die gehörte allerdings nicht zu ihrem. Ihr Besucher machte Anstalten, sich zu erheben, doch sie schob ihn sanft, aber bestimmt wieder auf das Bettlaken zurück.

    »Nicht aufstehen! Du hast gesagt, ich soll den Ton angeben«, klang ihre Stimme etwas barsch, um dann einschmeichelnd fortzufahren. »Du fühlst dich gerade so gut an, Liebster.«

    In dem Moment, in dem sie den Satz ausgesprochen hatte, war ihr klar geworden, einen Fehler begangen zu haben. »... gotta be fresh from the fight. I need a hero. I´m holding out for a hero ´til the end of the ...«, spielte das Telefon, während sie das Funkeln in seinen Augen zu spät registriert hatte. Natürlich war immer er der Held.

    Fast brutal zog er ihre Hände an den Handgelenken von seiner Brust und stieß sie grob zur Seite. Erschrocken leistete sie keine Gegenwehr gegen diese unsanfte Behandlung und schaute ihn mit Angst in den Augen an, während er sich vor dem Aufstehen kurz ganz nah

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