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Entscheidung auf Sardinien
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eBook249 Seiten3 Stunden

Entscheidung auf Sardinien

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Über dieses E-Book

Ihren 50. Geburtstag feiert Kerstin mit ihren langjährigen Freundinnen Anja und Sabine bei ihrem Lieblings-Italiener Vivaldi's. Zwischen Klatsch und Tratsch, gutem Essen und einer bemerkenswerten Aussicht auf den Hintern ihres Lieblingskellners Enrico sinnieren die Freundinnen, über das Leben, die Liebe und ihre Wünsche an die Zukunft. Was war? Was ist? Was wird? Ein überraschendes Geständnis von Sabine und eine provokative Frage von Kerstin machen das Trio nachdenklich. Was hält das Leben für sie noch bereit?
Jede der Frauen setzt sich nach diesem Abend sorgfältig mit ihrem Leben auseinander. Bei einer der Drei nehmen die Dinge allerdings einen völlig unerwarteten Verlauf. Jetzt muss sich die Freundschaft zwischen Kerstin, Anja und Sabine bewähren.
Während eines Kurzaufenthaltes auf Sardinien trifft eine von ihnen eine überraschende Entscheidung über ihre Zukunft.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum2. Sept. 2013
ISBN9783847650584
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    Buchvorschau

    Entscheidung auf Sardinien - Dietlinde Beerbom

    Prolog

    Auf dem Balkongeländer des Hausboots sitzend starrt sie in den Abendhimmel. Plötzlich kommt ihr ein absurder Gedanke: „Wenn ich mich jetzt so richtig zulaufen lasse und dann ins Wasser falle, sind alle meine Probleme erledigt." Sie setzt die halbleere Rotweinflasche an die Lippen und nimmt einen großzügigen Schluck. Warum eigentlich nicht? Wer braucht sie denn schon auf dieser Welt? Würde sie überhaupt jemand vermissen?

    Dieser Mistkerl von Ehemann bestimmt nicht. Der hatte sich bereits anderweitig orientiert. Ihre Kinder? Vielleicht. Allerdings würden die beiden sie wahrscheinlich nur in ihrer Rolle als Putzfrau und Köchin vermissen. Gelegentlich noch als Chauffeurin. Das könnte notfalls auch jemand anders erledigen. Auch in ihrem Job ist sie sicher zu ersetzen. Und ihre Schwester würde die Champagnerkorken knallen lassen, wenn sie aus dem Weg wäre. Also, was sollte sie noch auf dieser Welt? Niemand brauchte sie, einigen war sie sogar im Weg.... Da wäre es doch das Beste für alle Beteiligten, wenn sie verschwände. Sie nimmt noch einen tiefen Schluck aus der Weinflasche. Dann guckt sie in das Wasser unter ihren Füßen. Ob es kalt ist? Ist es wohl tief genug? Kann man ertrinken, wenn man schwimmen kann? Aber: Wasserleichen sind immer so unansehnlich. Das kann man auch niemandem zumuten.

    Nachdenklich nimmt sie noch einen weiteren Schluck aus der Flasche. Verwundert stellt sie fest, dass die Flasche bereits leer ist. Ob sie noch eine zweite Flasche öffnen soll? Ist ja Urlaub. Also öffnet sie noch eine weitere Flasche und setzt sie direkt an die Lippen. In ihrem schon ziemlich benebelten Gehirn entschließt sie sich gegen Selbstmord. Nein, so leicht würde sie es den beiden nicht machen. Sie würde ihnen das Feld nicht kampflos überlassen.

    So, und nun weg mit den trüben Gedanken. Sie hat Urlaub und will sich amüsieren. Mit einer schnellen Bewegung schleudert sie ihre Schuhe von den Füßen und klettert auf das Geländer. Ein bisschen Balancieren würde bestimmt Spaß machen. Wie auf einem Schwebebalken tanzt sie auf dem schmalen Holz. Immer mutiger turnt und hüpft sie auf dem Balken. Nach einer besonders gewagten Pirouette gerät sie ins Schwanken und fällt mit einem lauten Klatschen in den See.

    Kapitel 1

    Kerstin ist vor 5 Tagen 50 geworden. Aus diesem Anlass kommt sie mit ihren Freundinnen Anja und Sabine zum Frauentreff – oder wie sie selber es respektlos nennen: Weibertreff – zusammen. Zu ihren Geburtstagen laden sie sich immer gegenseitig einige Tage nach dem eigentlichen Jubeltag ein, um ohne andere Gäste so richtig schön über das Leben herzuziehen. Sie lassen dabei nichts aus: Arbeit, Männer, Freundinnen, gemeinsame Bekannte, Politik, Prominente, Zukunftsträume und was ihnen sonst noch in den Sinn kommt. Den jeweiligen Treffpunkt bestimmt das Geburtstagskind und Kerstin hat dieses Mal Lust auf ihren Lieblings-Italiener, wo sie bereits vor Wochen einen Tisch reserviert hat. Dort ist es zwar nicht gerade preiswert, aber anlässlich so eines besonderen Geburtstages, kann man auch mal so richtig die Korken knallen lassen. Vor einigen Jahren haben sie abgemacht, dass das Geburtstagskind, sozusagen statt eines Geschenks, an diesen Abenden eingeladen ist.

    Wenn man die Tür zu Vivaldi's öffnet, empfängt einen, wie bei jedem guten Italiener, der Duft köstlicher Speisen mit einer Mischung aus südlichen Gewürzen, frisch gebackenem Brot, Pizza und einem Hauch Knoblauch, so dass einem bereits am Eingang das Wasser im Mund zusammenläuft. Was die Freundinnen an diesem Lokal aber besonders schätzen, ist die Innenausstattung. Das Restaurant ist in viele intime, individuell gestaltete Nischen unterteilt, die mit leiser, schmeichelnder Musik erfüllt sind. Die Musik hat genau die richtige Lautstärke, um eine Unterhaltung zu ermöglichen, ein Mithören durch andere Gäste aber zu verhindern.

    Kerstin und Sabine sind pünktlich eingetroffen und da Anja noch fehlt, bestellen sie sich schon mal einen leckeren Prosecco, um sich einzustimmen. Mit der Auswahl des Essens warten sie auf ihre gemeinsame Freundin.

    „Gut, dass Anja noch nicht da ist. Da kann ich dir schnell noch etwas erzählen!, eröffnet Kerstin das Gespräch. „Gestern bin ich in der Stadt gewesen, um ein Geburtstagsgeschenk für Karsten zu kaufen. Als ich an Anjas Büro vorbei kam, konnte ich durch das Fenster sehen, dass ihr Kollege Christoph gerade bei ihr am Schreibtisch stand. Sie waren so in ihr Gespräch vertieft, dass ich unbemerkt vor dem Fenster stehen bleiben konnte, um zu sehen, was dort vor sich ging. Erst dachte ich, die beiden streiten sich, aber dann nahm Christoph Anja plötzlich ganz lieb in den Arm und sie kuschelte sich eng an ihn. Wie können die so etwas nur tun, vor allem dort, wo sie wirklich jeder hätte beobachten können? Was wohl Rainer dazu sagt?

    „Nun mach aber mal halblang, Kerstin! Was du immer gleich denkst! Vielleicht gab es einen ganz harmlosen Grund für diese Umarmung."

    „Das kann ich mir nicht vorstellen. Du hättest mal sehen sollen wie die sich umarmt haben. Da passte kein Blatt Papier mehr dazwischen."

    „Was ist denn danach passiert?"

    „Keine Ahnung. Man konnte Kerstin den Frust über den verpassten Ausgang der Geschichte deutlich ansehen. „Weil eine Bekannte vom Step-Aerobic auf mich zu kam, musste ich leider meinen Beobachtungsposten verlassen. Es wäre mir schon peinlich, wenn ich so offensichtlich beim Spannen erwischt würde. Meinst du Anja hat schon lange Etwas mit Christoph?

    „Ich glaube überhaupt nicht, dass sie Etwas mit ihm hat. Der ist doch auch verheiratet.", entrüstet sich Sabine.

    Doch Kerstin lässt sich nicht einschüchtern. „Als ob das ein Hindernis wäre!"

    „Stimmt! Aber ich kann mir das beim besten Willen nicht vorstellen. So etwas macht Anja nicht. Die ist doch total verknallt in ihren Rainer."

    „Woher willst du...Oh, hallo Anja, Schätzchen! Da bist du ja endlich. Wir haben uns schon mal einen Prosecco genehmigt. Der haut ganz schön rein auf nüchternen Magen. Mensch, hab ich einen Hunger!"

    Zum Glück hat Anja nicht mitbekommen, worüber sich die beiden gerade unterhalten haben und begrüßt ihre Freundinnen mit Küsschen rechts und links. Dann fällt sie auf einen freien Stuhl und stöhnt: „Ich hab auch einen Riesenhunger. War das wieder ein anstrengender Tag!"

    „Lass uns erst mal etwas bestellen und dann erzählst du uns von deinem Tag", sagt Kerstin und zwinkert Sabine heimlich zu.

    Drei Köpfe verschwinden in den Speisekarten. Kurz darauf winkt Kerstin ihrem Lieblingskellner zu. Mit einem verführerischen Augenaufschlag sagt sie: „Enrico, ich kann mich gar nicht entscheiden. Es hört sich alles so gut an. Kannst du uns etwas empfehlen?"

    Enrico zuckt nicht einmal mit der Wimper, denn diese Form der Bestellung hat sich schon zu einem festen Ritual zwischen ihm und Kerstin entwickelt. So hat er natürlich auch schnell die Empfehlung des Hauses parat: „Wir aben eute wunderbare, friesche Muscheln in einer Knoblauch-Kräuter-Marinade. Dazu kann isch den Damen einen Salate des Hauses und unsere leckere Ciabatta empfehlen. Dann noch eine wunderschöne Bardolino – natürlisch nischt so schön wie ihr, aber trotzdem gutte., gurrt Enrico in seinem absichtlich italienisch angehauchten Deutsch. Wenn er will, kann er völlig akzentfrei reden, aber so meint er, verführerischer zu wirken und das ist gut für das Geschäft. „Zum Abschluss noch eine kleine Tiramisu und ihr werdet das Lokal sähr glücklisch verlassen. Aber zuerst bringe isch eusch meine beste Grappa auf Kosten des Hauses.

    „Das hört sich wunderbar an. Du weißt doch immer genau, was gut für uns ist.", schnurrt Kerstin.

    „Ah, das Beste ist gerade gutte genug für meine Lieblings-Gäste!", gibt Enrico charmant zurück.

    „Hat der nicht einen wirklich sexy Hintern?", fragt Sabine ihre Freundinnen, sobald Enrico außer Hörweite ist.

    „Allerdings, den würde ich nicht von der Bettkante schubsen!", behauptet Anja, woraufhin Kerstin und Sabine schon wieder einen heimlichen Blick austauschen.

    „Was ist denn mit dir los?, hakt Kerstin gleich nach. „Ich denke, du bist so glücklich mit deinem Rainer-Schatzi.

    „Man wird doch wohl mal gucken dürfen!"

    „Was sagt Rainer dazu, wenn du anderen Kerlen hinterher schaust?"

    „Was hast du immer mit Rainer? Der muss doch nicht alles wissen. Erzählst du denn Karsten, wenn du einen heißen Typen gesehen hast oder guckst du immer weg?"

    „Hey!, fährt Sabine dazwischen. „Lasst uns erst mal in Ruhe essen, bevor ihr euch an die Gurgel geht.

    „Genau!, stimmt ihr Kerstin zu. „Dann haben wir auch mehr Kraft zum Zudrücken!, behauptet sie mit todernster Miene.

    Daraufhin lachen alle drei und die leichte Anspannung löst sich wieder auf.

    Während sie das umwerfende Menü genießen, sprechen sie nur über belanglose Dinge wie das Tagesgeschehen, das Wetter, die neuesten Modetrends, denn sie wollen sich auf das Essen konzentrieren. Da würden ernsthafte Gespräche, die viel Aufmerksamkeit erfordern, nur stören. Außerdem haben sie noch den ganzen Abend Zeit.

    Nach dem Dessert legen sie sich entspannt in ihren Stühlen zurück und halten sich die gut gefüllten Bäuche. „Noch einen kleinen Absacker?", fragt Kerstin ihre Freundinnen.

    Da gibt es erwartungsgemäß keinen Widerspruch und Enrico darf zum wiederholten Male, ohne die geringste Ahnung davon zu haben, die visuellen Wünsche der Damenrunde zufrieden stellen.

    „Meine Güte, der ist aber auch wirklich ein Sahneteilchen!", haucht Anja ganz verzückt.

    Ein willkommener Anlass für Kerstin, um wieder zum Thema zurückzukehren. „Sag mal, Anja, wie läuft es so bei euch zu Hause?"

    „Woher kommt dein plötzliches Interesse an meiner Ehe?", fragt Anja statt einer Antwort.

    Kerstin nimmt kein Blatt vor den Mund. „Ich will ehrlich zu dir sein. Als ich gestern an deinem Bürofenster vorbei kam, habe ich gesehen, wie du und Christoph in inniger Umarmung versunken wart. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Rainer das gutheißen würde. Läuft da etwas bei euch?"

    „Gut, dass du mich und nicht Rainer darauf ansprichst. Mit so einer blöden Geschichte kann man eine Menge Unfrieden stiften, nur weil man die Tatsachen völlig falsch interpretiert – wie du es anscheinend getan hast. Ich hätte nicht erwartet, dass du so dumm bist, voreilig falsche Schlüsse zu ziehen. Aber gut, ich denke, eine ehrliche Frage verdient eine ehrliche Antwort: ja, wir haben uns in den Arm genommen, aber nein, wir haben nichts miteinander. Ich hatte Christoph erzählt, dass meine Schwester beim Putzen von der Leiter gefallen ist und sich den Arm gebrochen hat. Er hat mich nur in den Arm genommen, um mich zu trösten."

    „Ach, so ist das. Tut mir leid, dass ich so vorschnell geurteilt habe, aber es sah wirklich so innig aus, dass mir gar keine harmlose Erklärung in den Sinn kam. Ich war total verwirrt. Warum hast du uns denn nicht erzählt, dass deine Schwester von der Leiter gefallen ist?"

    „Weil ich noch nicht die Gelegenheit dazu hatte. Es ist erst gestern Morgen passiert und ich sah keine Veranlassung, euch deswegen anzurufen, wo wir doch sowieso für heute verabredet waren. Sie ist schließlich nicht gestorben, sondern hat sich nur den Arm gebrochen."

    „Na, immerhin war es so schlimm, dass du dich von Christoph trösten lassen musstest." Diese Bemerkung kann sich Kerstin einfach nicht verkneifen.

    „Ja. Ihr kennt doch meine Schwester. Der Armbruch an sich ist nicht so schlimm, aber das zieht natürlich einen Rattenschwanz nach sich. Da der Arm von oben bis unten eingegipst ist – sie macht schließlich keine halben Sachen, sondern hat ihn gleich an zwei Stellen gebrochen – kann sie sich in der nächsten Zeit nicht alleine versorgen. Nun ratet mal, wer die Ehre hat, sie bis zu ihrer Genesung bei sich aufzunehmen?"

    Kerstin und Sabine stöhnen mitleidig auf und antworten wie aus einem Mund: „Du Arme! Sabine fügt noch an: „Ausgerechnet deine nun wirklich ziemlich anstrengende Schwester. Was hat sie überhaupt geputzt, dass sie eine Leiter benutzen musste?

    „Immer, wenn sie unzufrieden ist, fängt sie an alles zu wienern, was außer ihr kein Mensch abstauben würde. Dazu gehören dann auch so ausgefallene Dinge wie die Abdeckdosen der Lampen unter der Decke. In ihrem Wohnzimmer hat sie gleich zwei davon und weil sie der Meinung war, dass sie bestimmt beide in einem Durchgang säubern könnte, wenn sie die Leiter in die Mitte der beiden Dinger stellt, hat sie sich so weit zur Seite lehnen müssen, dass sie mit der Leiter umgekippt und ins Wohnzimmer geknallt ist. Dort ist sie zwischen ihrem Sofa und einem kleinen Beistelltisch auf dem Fußboden gelandet. Zum Glück hatte sie genau an der Stelle ein paar dicke Bodenkissen gestapelt, die als zusätzliche Sitzgelegenheit dienen können, wenn Besuch kommt. Die haben ihren Sturz abgefangen und Schlimmeres verhindert. Ich darf mir gar nicht vorstellen, was alles hätte passieren können, wenn sie mit dem Kopf auf der Tischkante gelandet wäre oder so. Nicht zu fassen, wie blöd manche Leute sind. Nur um ein paar Minuten einzusparen bzw. die Leiter nicht verschieben und zweimal hochklettern zu müssen. Im schlimmsten Fall hätte sie tot sein können."

    „So gesehen hast du nochmal Glück gehabt. Sie hätte schließlich auch einen Hirnschaden davon tragen und für die nächsten 20 Jahre lallend und sabbernd auf deinem Sofa sitzen können. Spaß beiseite, dass du sie jetzt eine Weile an der Backe hast, ist bestimmt kein Zuckerschlecken. Ich wäre schon nach einem Tag mit deiner Schwester bereit, freiwillig Dienst im Altenheim zu schieben, um nicht mehr länger in ihrer Nähe sein zu müssen.", sagt Kerstin mitfühlend.

    „Das kannst du wohl sagen. Das erste Mal hat sie mich schon genervt als sie mich anrief statt gleich einen Krankenwagen anzurufen. Aber ich bin ja ein netter Mensch und hab mich sofort auf die Socken gemacht, um mit ihr ins Krankenhaus zu fahren. Als ich bei ihr ankam, war sie am Boden zerstört und jammerte und jaulte, als ob sie sich sämtliche Knochen im Leib gebrochen hätte. Da tat sie mir noch so richtig leid. Als wir dann aber im Krankenhaus ankamen und ein netter, recht gut aussehender Arzt sich um sie kümmerte, war sofort alles Gejammer verflogen und sie fing an, aus allen Geschützen Flirt-Versuche auf den armen Kerl abzufeuern. Gott, war das peinlich! Das Ganze spitzte sich dann zu, als sie merkte, dass der Arzt nicht auf sie ansprang, sondern mich fragte, ob ich nicht mal mit ihm ausgehen wollte. Da ist Nicole völlig ausgerastet."

    „Der Arzt hat dich angebaggert, während Nicole versuchte mit ihm zu flirten?" Sabine reißt erstaunt die Augen auf.

    „Ich glaube, das hat er nur gemacht, um Nicole endlich mundtot zu machen. Vorher hatte er ihr schon ein paar Mal signalisiert, dass er kein Interesse an ihr hat. Aber ihr kennt ja Nicole! So etwas ignoriert sie einfach bis sie entweder ihr Ziel erreicht oder richtig einen vor den Latz bekommt. Das hat sich der Knabe dann wohl auch gedacht und hat deswegen mich gefragt, ob ich mit ihm ausgehe."

    „Und, was hast du ihm geantwortet?", will Kerstin mit unverhohlener Neugier wissen. Zwar hatte sich ihre Vermutung bezüglich einer Affäre zwischen Anja und Christoph als Windei erwiesen, aber diese Sache hatte schließlich auch ein gewisses Potential.

    „Der hätte mein Sohn sein können!", erwidert Anja empört.

    „Na und? Viele Männer nehmen sich eine jüngere Frau und keiner findet das unanständig. So ein junger Mann kann einem bestimmt sehr gut tun.", grinst Kerstin.

    „Willst du mich zum Ehebruch anstiften? Wie kommst du überhaupt darauf, dass ich daran auch nur im Geringsten interessiert sein könnte? Ich bin mit Rainer glücklich verheiratet."

    „Glücklich verheiratet hört sich an, als ob du erzählst, dass dir der Braten ganz gut gelungen ist."

    „Was soll das denn nun schon wieder heißen? Wie würdest du es denn bezeichnen, wenn du mit deinem Mann – so du denn einen hättest – zufrieden wärst?"

    „Eben: zufrieden. Wie hört sich das denn an? Mein Auto läuft, ist aber nicht sonderlich toll oder was? Wo ist denn die Leidenschaft geblieben, die wir früher mal empfunden haben? Da haben wir die Dinge nicht nur gemacht, weil sie ganz ok waren, sondern weil wir sie geil fanden. Kommt das in eurem Leben heute noch vor?"

    Sabine hat die ganze Zeit schweigend und leicht amüsiert zugehört, doch nun bekommt das Gespräch eine Wendung, der auch sie sich nicht mehr entziehen kann. „Ich bin froh, dass du das mal ansprichst. Anlässlich meines demnächst anstehenden runden Geburtstages, habe ich mir nämlich genau diese Frage gestellt. Manchmal fühlt es sich so an, als ob das Leben schon vorbei wäre und wir uns in einem zwar nicht unbequemen, aber sehr unspektakulären Raum eingerichtet haben."

    „Genau., stimmt Kerstin ihr zu. „Und wenn ich mich nicht irre, geht es sehr vielen anderen Menschen genauso wie uns. Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass vor allem Frauen in unserem Alter in eine Phase kommen, wo sich sehr viel in ihrem Leben ändert. In den letzten Jahren waren die meisten damit beschäftigt, sich um die Familie zu kümmern und die wenigen anderen mit ihrer Karriere. Dabei wurden auch früher wichtige Dinge wie das Liebesleben mal mehr oder weniger auf Eis gelegt. Nun fällt die Aufgabe, sich um andere zu kümmern weg und plötzlich kann man sich wieder mit sich selbst und seinen eigenen Wünschen beschäftigen. Das eigentliche Leben ist scheinbar an einem vorbei gelaufen. Und die Sehnsucht nach mehr Action und Leidenschaft kommt hoch. Jedenfalls ist das bei mir so.

    „Das hast du gut auf den Punkt gebracht. Ich glaube, das hat nicht wirklich etwas mit Midlife-Crisis zu tun, also mit dem Alter, sondern damit, dass wir uns selbst für viele Jahre in den Hintergrund gerückt haben und uns jetzt aus dieser Ecke wieder hervor zerren müssen, weil nichts anderes mehr da ist, das unsere Aufmerksamkeit beansprucht. Wenn ich mir anschaue, was für ein mickriges Häufchen ich bei mir unter einem Berg von Staub gefunden habe, bin ich nicht besonders stolz auf mich. Wie ist das bei dir, Anja?"

    „Um ehrlich zu sein, habe ich bisher nicht so intensiv darüber nachgedacht, aber ich glaube, ich kann das auch nicht so ganz von mir weisen. Jahrelang hat sich mehr oder weniger alles um Rainers beruflichen Aufstieg und um die Kinder gedreht. Die sind jetzt langsam so weit, dass sie ihre eigenen Wege gehen und ganz nebenbei das Hotel Mama in Anspruch nehmen. Wäsche waschen und putzen ist aber wirklich keine Erfüllung. Allerdings möchte ich dazu auch anmerken, dass meine Ehe mit Rainer wirklich ganz gut ist und ich mir bis heute keine Gedanken gemacht habe, ob das schon alles war. Hoffentlich habt ihr da jetzt nicht irgendetwas in

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