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Eine ungeheure Wut: Roman
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eBook173 Seiten2 Stunden

Eine ungeheure Wut: Roman

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Über dieses E-Book

Der Psychotherapeutin Amelie Thiemann ist ihr Freund Julian ein Rätsel. Das beginnt mit seinem zu einer Festung ausgebauten und gut bewachten Haus, das in dem ländlichen Hamburger Vorort aus der Reihe fällt und spöttisch Fort Knox genannt wird. Es setzt sich fort mit Julians auffälligem Interesse an Amelies Tätigkeit als Therapeutin und seinem Engagement für Opfer jeder Art. Besorgnis erregend sind für Amelie die wütenden Ausraster ihres sanftmütigen Freundes, wenn er Zeuge von Aggressionen wird. Auf ihre Fragen nach dem Grund erhält sie keine Auskunft.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum28. Sept. 2014
ISBN9783847619109
Eine ungeheure Wut: Roman

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    Buchvorschau

    Eine ungeheure Wut - Elena Landauer

    Ein Unfall

    Ich lernte Julian durch Zufall kennen – oder, um genau zu sein, durch einen Unfall. Es war Mitte Februar. Am Morgen hatte es geschneit, mittags hatte es getaut und gegen vier Uhr hatte es wieder angezogen. Straße und Himmel waren ein einheitliches Dunkelgrau. Ich war auf dem Weg nach Hause auf der Osdorfer Landstraße und in Gedanken noch bei meiner letzten Patientin, als die Bremslichter am Wagen vor mir plötzlich aufleuchteten. Ich trat wohl etwas zu spät auf die Bremse. Es hätte aber noch gereicht, wenn die Räder gegriffen hätten. Sie taten es nicht. So rutschte ich mit nahezu unverminderter Geschwindigkeit in den Wagen vor mir. Zum Glück war ich angeschnallt. Ich musste erst einmal Luft holen, bevor ich den Motor abstellte. Der Fahrer im Wagen vor mir rührte sich nicht. Es war ein Mann, wie ich durch die Rückscheibe des Autos sehen konnte. Mutmaßlich bereitete er gerade seine Schimpfkanonade vor, die in der Frage gipfeln würde, bei welchem Preisausschreiben ich den Führerschein gewonnen hätte. Ich war schon halb ausgestiegen, um nach ihm zu sehen, als ein lautes Quietschen mir bewusst machte, dass der nächste Wagen bald in mein Auto hineinfahren würde. Halb in der Tür stehend schaute ich nach hinten, sah das quietschende Auto schlingernd auf mich zukommen und konnte mir ausmalen, welche Verletzungen ich mir in dieser Position einhandeln würde, wenn mich das Auto traf. Der Fahrer schaffte es aber gerade noch, sein Auto auf die Überholspur zu ziehen, wobei er allerdings einem Wagen, der dort zum Überholen angesetzt hatte, den Weg abschnitt, woraufhin auch der ins Schlingern geriet. Zum Glück schlidderten beide an mir vorbei. Ich beugte mich schnell noch einmal in mein Auto und stellte die Warnblinkanlage an. Inzwischen hatte der Fahrer des angefahrenen Wagens die Tür geöffnet. Ich ging schnell zu ihm hin. Es war ein Mann in den Vierzigern, schlank und gepflegt. Im Profil wirkte sein Kopf rundlich. Die kurzen, dunklen Haare waren schon leicht ergraut. Als er sich langsam zu mir wandte, sah ich ein schmales Gesicht mit kurz geschnittenem Vollbart, auch der schon leicht ergraut. Der Mann schaute mich an, als erwache er aus einem Schockzustand.

    Ist Ihnen was passiert?, fragte ich. Er verneinte. „Wir müssen schnell von der Straße runter. Beinahe ist mir schon einer reingefahren", sagte ich.

    „Sie haben Recht", sagte er.

    Ich fuhr hinter ihm her auf das Gelände einer Tankstelle. Ich hatte nun Zeit, den Schaden an seinem Mercedes zu betrachten. Stoßstange und Kofferraum waren eingedrückt, die Kofferraumklappe ging ganz langsam von alleine auf, als wolle sie auf die Verletzung hinweisen, die ich ihr zugefügt hatte.

    „Entschuldigen Sie!, sagte ich. „Ist Ihnen wirklich nichts passiert?

    „Nein, nein, betätigte er, „alles in Ordnung.

    „Und Ihnen?", fragte er.

    „Auch in Ordnung, sagte ich. „Ihr Auto ist es aber nicht.

    „Das ist eine Kleinigkeit."

    „Eine Kleinigkeit?, fragte ich. „Das kostet mindestens 2000 Euro. Warum haben Sie denn auf freier Strecke so plötzlich gebremst?

    „Da ist einer aus einer Parklücke vor mir auf die Straße geschossen."

    „Ja, dann, sagte ich, „ich werde meine Versicherung informieren. Ich holte meine Handtasche aus dem Auto und gab ihm meine Visitenkarte.

    „Sie sind Psychotherapeutin?", fragte er mit dem Blick auf meine Karte.

    „Ja, sagte ich, „und ich war wohl in Gedanken noch in der Klinik. Außerdem war es sehr glatt. Die Räder haben einfach nicht gepackt. - Meine Versicherungsnummer habe ich nicht dabei. Ich rufe Sie an, wenn ich zu Hause bin.

    Er schaute nur auf meine Visitenkarte und rührte sich nicht. „Nun, sagte ich, „Dann müssten Sie mir Ihre Telefonnummer geben.

    „Was?, fragte er. „Ja, klar.

    Ich war mir nicht sicher, ob ihm nicht doch etwas passiert war; aber er fand die Karte in seinem Geldbeutel. Wie ich dem Papier entnehmen konnte, hieß er Julian Becker und war Diplomingenieur. Er wohnte nur wenige Häuser von mir entfernt in S.. Wir standen beide mit der Visitenkarte des anderen in der Hand herum.

    „Danke, sagte er schließlich, „dann bis nachher.

    „Wollen Sie sich nicht die Nummer meines Autos aufschreiben?", fragte ich, als er schon in seinen Wagen einsteigen wollte, nachdem er die Heckklappe mit Erfolg wieder heruntergedrückt hatte.

    „Warum?", fragte er.

    „Die Visitenkarte könnte doch falsch sein", sagte ich.

    „Ach so, stutzte er, „das glaube ich aber nicht. Haben Sie sich denn meine Autonummer aufgeschrieben?

    „Das mache ich noch gleich; aber Sie sind doch der Geschädigte."

    „Ihr Auto sieht aber auch nicht gut aus, meinte er. „Sollten wir vielleicht die Polizei holen? „Darauf würde ich gern verzichten, sagte ich. „Ich bin nicht scharf darauf, auch noch ein Strafmandat zu bekommen. Der Fall ist doch klar. Ich habe geschlafen und bin Ihnen hinten drauf gefahren.

    „Ich hätte vielleicht nicht so hastig bremsen sollen, sagte er. „Ich war nur erschreckt. Es hätte wohl auch genügt, wenn ich keine Vollbremsung gemacht hätte.

    „Sie reden sich ja um Kopf und Kragen, sagte ich. „Wollen Sie den Schaden denn unbedingt selbst tragen?

    Ich fuhr hinter ihm her nach Hause. Wir wohnten in derselben Straße. Er bog ab in die Garage eines Hauses, das im Dorf etwas spöttisch Fort Knox genannt wurde. Im recht ländlichen S. lebte man noch relativ ungeschützt. Neben den Bauernhöfen, die meist als Reitställe genutzt wurden und große offene Einfahrten hatten, gab es die einfachen Landhäuser mit einem kleinen Vorgarten, ein paar Mietshäuser und einige Villen, die sich hinter Hecken versteckten; aber kein Haus war wie das meines Unfallgegners von einem hohen, stabilen Zaun umgeben.

    Zwei Wochen später rief mich Julian an und bedankte sich für die Regelung der Angelegenheit, die übrigens 3.700 Euro gekostet hatte, und lud mich zum Essen ein. Ich war schon neugierig auf das Innere von Fort Knox, er nannte aber ein Gasthaus in der Nähe. „Das ist das Wenigste, was ich tun kann, nachdem Sie durch mich einen so großen finanziellen Schaden erlitten haben." Der Mann begann mich aus therapeutischer Sicht zu interessieren. Woher hatte er die auffällige Neigung zur Selbstbeschuldigung?

    Julian war zweiundvierzig, kam aus Süddeutschland und arbeitete bei Blohm & Voss. Viel mehr erfuhr ich zunächst nicht von ihm, weil er mich mit größtem Interesse nach meiner Tätigkeit ausfragte. Was ihn besonders interessierte, war der therapeutische Umgang mit Depressiven. Wie hoch war die Erfolgsquote bei einer Therapie? Warum wurden Menschen depressiv? Ich erzählte ihm von einigen Fällen aus meiner Praxis. Er fragte nach. Ich erzählte ihm von einem Mädchen, dem alles gleichgültig war, das sich für nichts begeistern konnte und das morgens nicht aus dem Bett wollte, weil es nicht wusste, wozu es aufstehen sollte. Er fragte nach dem Therapieerfolg. Letztlich sei ich gescheitert, musste ich eingestehen. Das Mädchen hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten und war verblutet. Er wollte eine Erklärung. Dass Leute mit einer tödlichen Krankheit wie Krebs im Endstadium Selbstmord begingen, könne er verstehen. Sogar Selbstmord aus Liebeskummer sei für ihn nachvollziehbar; aber warum sonst sollte sich ein junger Mensch, der sein ganzes Leben noch vor sich habe und eigentlich doch den Lebenswillen in sich spüren müsse, umbringen? Ich erzählte ihm von Verlusterlebnissen, die ein junger Mensch in seinem Leben gehabt haben konnte, ohne dass er wusste, dass er sie jemals hatte, und dass es manchmal gelang, diese Erlebnisse ins Bewusstsein zu heben und dass das manchmal zu einem Therapieerfolg führte, manchmal aber auch nicht, dass es oft nicht gelinge, hinter die Ursache zu kommen und dass viele Depressionen auch körperlich bedingt seien und medikamentös behandelt werden müssten.

    „Kann man Selbstmorde verhindern", wollte er wissen. Ich nannte ihm Anzeichen, die auf eine Selbstmordabsicht hindeuteten, die aber auch manchmal fehlten und manchmal keine größere Bedeutung hätten. Die meisten Selbstmordversuche scheitern übrigens zum Glück, fügte ich hinzu, weil sie scheitern sollen. Sie seien Hilferufe und als Vorwurf für die Angehörigen gedacht. Sie würden oft so durchgeführt, dass sie entdeckt und letztlich verhindert werden könnten, und wenn die eingeplante Entdeckung dann überraschenderweise doch nicht stattfinde, weil der Lebenspartner beispielsweise zu spät nach Hause komme, riefen die Selbstmordkandidaten selbst den Notdienst an. Aber es gebe natürlich auch andere, die keine Signale, zumindest keine erkennbaren, sendeten und sicher stellten, dass der Selbstmord auch erfolgreich sei.

    Julian entschuldigte sich dafür, dass er mich mit seinen Nachfragen bedrängte. Ich fragte ihn, warum ihn das Thema denn so stark interessiere. Er sprach von einem Kollegen, dessen Tochter Selbstmord begangen habe. Dann fügte er hinzu, dass er zwar Ingenieur sei, aber viel lese. Und da gehe es ihm doch oft zu Herzen, warum so viele junge Menschen ihr Leben wegwürfen oder es durch Drogenkonsum ruinierten. Schuldgefühle, sagte ich, spielten oft eine Rolle. Er habe gerade mal wieder den „Faust" gelesen, erklärte Julian. Gretchen sei ja ein Beispiel für Selbstbestrafung aus Schuldgefühl, obwohl sie doch eigentlich gar keine Schuld habe. Aber sie rechne es sich als Schuld an, dass sie ihre Mutter unwillentlich mit dem Schlafmittel, das ihr Faust gegeben hatte, getötet und ein uneheliches Kind bekommen habe und dass ihr Bruder von Faust getötet worden sei. Aber das sei doch lange her und spiele in einer Zeit mit strikten moralischen Normen und empfindsamen Seelen, meinte er, heutzutage sei das doch anders. Empfindsame Seelen gebe es immer noch, sagte ich, auch wenn es Gott sei Dank aus der Mode gekommen sei, bei jedem größeren Schreck und jeder größeren Freude in Ohnmacht zu fallen und auf das Riechfläschchen zu warten. Und selbst wenn die Moral heutzutage eine geringere Rolle spiele, Ehrverlust und Schuldgefühle seien für viele Menschen doch noch ein Problem.

    Mir war natürlich klar, dass es weder Gretchen war noch die Tochter eines Kollegen, die Julians auffälliges Interesse an depressiven Mädchen erklärten. Ich wollte zwar unser gemeinsames Abendessen nicht zu einer therapeutischen Sitzung werden lassen, aber trotzdem rutschte mir die Frage heraus, ob er eine Tochter habe. Er zögerte einen Moment und sagte dann etwas zu heftig: Nein, nein, er habe keine Kinder, um dann noch heftiger hinzuzufügen, er habe auch keine Frau, er sei nämlich geschieden, und seine ehemalige Frau lebe jetzt wieder in Schwaben, wo sie früher gelebt hätten. Ich entschuldigte mich für meine indiskrete Frage, woraufhin Julian dann wieder versöhnlich meinte, die Sache wäre ausgeglichen, wenn ich auch etwas über meine persönlichen Verhältnisse verriete. Ich erzählte ihm also, dass ich verwitwet sei, weil mein Mann vor zwölf Jahren einen tödlichen Verkehrsunfall gehabt habe, und dass ich eine 17jährige Tochter hätte, die zur Zeit in Amerika ein Auslandsschuljahr mache. Nun war es an ihm, sich zu entschuldigen und mir sein Beileid wegen des Todes meines Mannes auszusprechen.

    „Dann haben wir also jetzt keine Geheimnisse mehr voreinander", spöttelte ich, woraufhin wir uns zuprosteten.

    „Und wie geht es Ihrer Tochter in Amerika?", wollte Julian dann wissen.

    „Soviel ich weiß, geht es ihr sehr gut da."

    „Und wo ist sie da genau?".

    „In Columbus, Ohio."

    „Das ist ja eine sichere Gegend".

    „Ich mache mir da auch keine Sorgen, bestätigte ich ihn, „Columbus ist ja nicht New York.

    Das nächste Mal traf ich Julian beim Joggen. Es war ein sonniger Sonntag im März. Meist schaffe ich es ja nicht, mich rechtzeitig zum Joggen aufzuraffen, und dann wird es elf oder zwölf, bis ich aus dem Haus komme, manchmal schaffe ich es aber auch erst am Nachmittag. Aber an diesem ersten Frühlingstag hatte ich eine Verabredung mit meiner Freundin Lea. Außerdem war zu erwarten, dass die Wege, auf denen ich lief, ab zehn oder elf voll waren mit Spaziergängern und Radfahrern, einschließlich der mitlaufenden Hunde, die es nicht unterlassen können, alle Jogger anzukläffen und aus dem Rhythmus zu bringen. Also zwang ich mich an diesem Tag, schon um neun Uhr loszulaufen. Ich war kaum zehn Minuten unterwegs, als mir Julian entgegenkam. Er war schon auf dem Rückweg und ordentlich verschwitzt. Wir blieben stehen und gaben uns die Hand.

    „Sie sind ja ein Frühaufsteher, sagte ich. „Dabei war ich schon stolz, dass ich es heute geschafft habe, um neun auf den Beinen zu sein.

    „Nachher wird es hier Gedränge geben", meinte er.

    „Osterspaziergang", sagte ich.

    „Ich höre schon des Volks Getümmel/ Hier ist des Volkes wahrer Himmel/ Zufrieden jauchzet groß und klein/ Hier bin ich Mensch, hier darf ich´s sein", zitierte er.

    „Wenn Sie noch lange hier herumstehen, werden Sie aber bald nicht jauchzen, sondern schluchzen, weil Sie sich eine ordentliche Erkältung zugezogen haben, so verschwitzt wie Sie sind."

    „Ich könnte Sie ja noch ein Stück begleiten, wenn Sie nichts dagegen haben", schlug er vor.

    Ich hatte nichts dagegen. Man soll ja auch locker auslaufen und allmählich abkühlen, schlagen alle Trainer vor. Und für ihn war das natürlich nur ein Auslaufen, als er neben mir her joggte. Ich

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