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City of Elements 1. Die Macht des Wassers
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eBook359 Seiten4 Stunden

City of Elements 1. Die Macht des Wassers

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Über dieses E-Book

"Wer bist du?", fiel ich ihm wütend ins Wort. Er zuckte die Schultern. "Deine beste Chance, diese Nacht zu überleben."
Tessarect. Eine Stadt, streng aufgeteilt nach den vier Elementen – und denjenigen, die sie beherrschen. Hierher wird Kia entführt. Sie erfährt, dass ihr Leben in Gefahr ist, weil sie das Kind zweier unterschiedlicher Elemententräger ist. Und damit einzigartig. Ausgerechnet Kias Entführer Will ist ihr Inventi, geboren, um sie zu schützen, komme was wolle. Leider ist er nicht nur unausstehlich, sondern auch ziemlich gut in seinem Job: Er lässt Kia nicht aus den Augen. Irgendwie muss sie ihm entkommen, um herauszufinden, wem sie in diesem undurchschaubaren Geflecht aus Allianzen und Geheimnissen trauen kann – und um das außergewöhnliche Talent zu wecken, das angeblich in ihr schlummert.
Band 1: mitreißend, temporeich, prickelnd. Romantasy at its best!
"City of Elements hat mich mitgerissen! Ich klebte an den Seiten, konnte nicht aufhören zu lesen und fiebere Teil 2 entgegen. Spannend, romantisch, geheimnisvoll – ich will mehr!" Ava Reed
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum16. Jan. 2020
ISBN9783864180996

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    Buchvorschau

    City of Elements 1. Die Macht des Wassers - Nena Tramountani

    Für Jess Trevisi. Weil du ein Universum in dieser Geschichte gesehen hast, als ich nur unüberwindbare Hindernisse sehen konnte.

    EINS

    Indigo

    »Schönen Feierabend, Kia!«

    Ich zog mir meinen Mantel über das klebrige Shirt und griff nach meinem Schal. »Ich hoffe für dich, dass deine Schicht entspannter wird.«

    Mein Kollege warf mir über die Schulter ein Grinsen zu, während er Limetten und braunen Zucker in einem Caipirinha-Glas zerstampfte. »Freitagnacht – diese Hoffnung ist schon längst gestorben. Magst du noch einen Shot mit mir trinken, um sie mir zu verschönern?«

    Ich erwiderte sein Lächeln und ging um den Tresen herum. »Vielleicht nächstes Mal, ich muss wirklich los.«

    »Na dann, bis morgen.«

    Meine Ellenbogen bahnten sich ihren Weg durch schwitzende Körper und lachende Gesichter, vorbei an dröhnender Musik und Händen, die bunte Cocktails oder frisch gezapftes Bier hielten.

    Ich stieß die Tür auf und inhalierte die kühle Herbstluft. Automatisch wanderte mein Blick zum gegenüberliegenden Nachtclub, wo die Leute bereits Schlange standen. Meine Nackenhaare richteten sich auf, und ich erstarrte mitten in der Bewegung. Nicht schon wieder.

    Er trug wie jedes Mal die schwarze Jerseymütze und lehnte lässig an der Hauswand des Clubs. Alleine, ohne Zigarette oder ein Getränk in der Hand.

    Ich halluzinierte nicht. Es war derselbe Typ, der letzte Woche vor der Bar gewartet hatte. Der in den Whitewall Galleries, wo ich ebenfalls jobbte, aufgetaucht war. Mehrmals. Die Galerie war kein Ort, den man fünfmal in zwei Monaten besuchte, da konnte man ein noch so großer Kunstfanatiker sein.

    Scheiße. Als hätte ich nicht genug Sorgen.

    Sollte ich zurück in die Bar? Würde mein Kollege mir helfen oder mich für verrückt erklären?

    Du bist keine Berühmtheit, Kia, wieso sollte sich jemand die Mühe machen, ausgerechnet dich zu stalken?

    In dem Moment drehte die Mützengestalt den Kopf zu mir, und unsere Blicke trafen sich. Über die Entfernung konnte ich mir nicht sicher sein, aber ich hätte schwören können, dass sich seine Lippen zu einem Lächeln verzogen.

    Als hätte ich mich verbrannt, sah ich sofort wieder weg, mein Herz hämmerte schmerzhaft in meiner Brust.

    Bevor ich mir den Kopf über meine weiteren Optionen zerbrechen konnte, nahmen mir meine Beine die Entscheidung ab. Ich rannte los. Vollgepumpt mit Adrenalin, schlängelte ich mich durch die Menschenmassen.

    Erst als meine Lunge brannte und meine Beine schwer wurden, blieb ich heftig atmend an der nächsten Kreuzung stehen. Ich war am Ende der Partymeile angelangt, hier waren weniger Leute unterwegs. Ein Blick über meine Schulter verriet mir, dass ich mir fürs Erste einen Vorsprung verschafft hatte, von meinem Verfolger keine Spur. Aber sicher konnte ich mir nicht sein.

    Ich unterdrückte den Impuls, einfach bei Rot über die Straße zu laufen, und betrachtete die Passanten, die auf der gegenüberliegenden Seite warteten. Eine Dreiergruppe von Mädels ungefähr in meinem Alter zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Es lag nicht nur daran, dass eine hübscher war als die andere, mit ihren langen Haaren und Beinen bis zum Mond, die trotz der Tatsache, dass wir bereits Oktober hatten und die Straßen vom letzten Regenschauer glänzten, in knappen Shorts steckten. Sie schienen auch ordentlich vorgeglüht zu haben, oder vielleicht hatten sie ihre Clubnacht bereits beendet, ihre Stimmung war jedenfalls hervorragend. Zwei von ihnen torkelten Arm in Arm über den Gehsteig, während die Dritte um sie herumtanzte und aus voller Kehle The Time of my Life grölte.

    Ein leerer Doppeldeckerbus fuhr an mir vorbei und nahm mir die Sicht auf das Trio. Ich schluckte. Ich konnte alles ertragen – meinen mutmaßlichen Stalker, eine anstrengende Schicht in der Bar – alles, aber keine glücklichen Gesichter von Menschen, die mit ihren Freunden um die Häuser zogen. Mein Abendprogramm sah etwas anders aus. Evelyn würde gleich für einen Filmmarathon zu mir kommen, denn ich ertrug den Gedanken nicht, heute Nacht allein zu sein.

    Im Gehen wandte ich erneut den Kopf, nur, um die Mützengestalt kaum dreißig Meter hinter mir zu erkennen. Mit den Händen in den Hosentaschen und gesenktem Blick lief er geradewegs auf mich zu. Verdammt noch mal!

    Im Takt des erbarmungslosen Hämmerns meines Herzens rannte ich wieder los, weiter in Richtung der Wellington Street Station, wo mein Nachtbus in Kürze abfahren würde.

    Die gewohnten Eindrücke rasten an mir vorbei: historische Fassaden neben modernen Betonklötzen, eine Filiale der NatWest Bank, der dreigeschossige Urban Outfitters. Ob der Typ wirklich dumm genug war, in denselben Bus zu steigen wie ich? Ich konnte es nicht leugnen – ein Teil von mir wünschte es sich. Zumindest könnte ich ihn dann endlich konfrontieren und ihn fragen, was sein Problem war. Ob er nichts Besseres zu tun hatte, als mir wochenlang nachzustellen. Ich brauchte nur noch einen letzten Beweis, dass ich mich nicht täuschte.

    Als ich keuchend an der Haltestelle zum Stehen kam und realisierte, dass zwei weitere Leute auf den Bus warteten, ich ihn also noch nicht verpasst hatte, ging ich in die Knie und stützte mich mit den Unterarmen auf den Oberschenkeln ab, um meinen Puls zu beruhigen. Jetzt hieß es abwarten.

    Er war nicht eingestiegen. Ich hatte ihn auch durchs Busfenster nicht mehr entdeckt.

    Eine irrationale Enttäuschung machte sich in mir breit. Es wäre die perfekte Möglichkeit gewesen, ihm klarzumachen, dass ich die Polizei einschalten würde, wenn er sich nicht zum Teufel scherte. Ich hatte genug Thriller gelesen, um zu wissen, wie so etwas vermeintlich Harmloses ausgehen konnte. Mit einem Stalker war nicht zu spaßen.

    Seufzend öffnete ich die Tür zu meinem Schlafzimmer und schmiss meine Handtasche aufs Bett. Durchs Fenster direkt darüber konnte ich beobachten, wie sich ein graues Wolkengemisch am Nachthimmel zusammenbraute.

    Das schrille Klingeln der Wohnungstür erklang.

    Ich eilte zurück in den Flur und riss die Tür auf. »Du kannst es wohl kaum abwarten, mich zu sehen!«, rief ich überschwänglich.

    Meine Augen weiteten sich, als ich den jungen Mann erblickte, der mit amüsiertem Blick vor mir stand. Er hatte die Mütze abgenommen, aber ich erkannte ihn sofort.

    »Du hast auf mich gewartet?« Er hob eine helle Braue.

    Selbstsicher stand er vor mir, ohne die leiseste Spur von schlechtem Gewissen. In Sekundenschnelle hatte er die Kontrolle übernommen. So hatte ich mir unser Zusammentreffen nicht vorgestellt!

    »Was willst du von mir?«, fragte ich schroff, nachdem ich mich einigermaßen von dem Schrecken erholt hatte.

    »Du bist hier nicht mehr sicher, du musst mit mir kommen. Deine Wohnung wird noch vor Sonnenaufgang in Flammen aufgehen, und es ist mein Job, dich davon zu überzeugen.«

    »Ja, klar, klingt plausibel«, erwiderte ich ironisch und wollte ihm die Tür vor der Nase zuknallen, aber sein Fuß schnellte vor.

    Er lachte. »Dümmer hätte ich nicht vorgehen können. Aber ich schätze mal, der übliche Mist funktioniert bei dir sowieso nicht so gut.«

    Ich starrte ihn mit bewegungsloser Miene an. »Warum verfolgst du mich?«

    »Schlaues Mädchen. Ehrlich gesagt, war ich von Anfang an der Meinung, dass es nicht besonders klug war, ausgerechnet mich auf dich anzusetzen. Ich meine, sieh mich an.« Ein weiteres selbstgefälliges Lachen folgte. »Wir kennen alle dein Beuteschema, natürlich würdest du mich früher oder später bemerken. Aber der Chef hat darauf bestanden, dass –«

    »Wer bist du?«, fiel ich ihm wütend ins Wort. Der Zorn über seine Arroganz und sein kryptisches Gerede überlagerten die besorgniserregenden Alarmglocken in meinem Kopf. Das hast du von deiner schönen Ablenkung, Kia.

    Er zuckte die Schultern. »Deine beste Chance, diese Nacht zu überleben.«

    Ich verdrehte die Augen. So ein Quatsch! »Habe ich noch Zeit, ein paar Dinge zusammenzupacken, oder geht’s direkt los?«

    »Du bist witzig«, erwiderte er trocken, und mit diesen Worten drückte er sich so schnell durch den offenen Türspalt, dass ich nicht die geringste Chance hatte, zu reagieren. Ich stolperte nach hinten und konnte mich gerade noch an einer Stuhllehne festhalten.

    Mit einer abrupten Bewegung schlug er die Tür hinter sich zu. Das war’s. Wir waren alleine in der Wohnung.

    Mein Herz donnerte gegen meine Brust. Blitzschnell ging ich meine Möglichkeiten durch. Mein Handy war noch in meiner Handtasche, die ich vor wenigen Minuten aufs Bett geworfen hatte. Mit kaum fünf Prozent Akku, vielleicht reichte das. Wenn ich es schaffte, ins Schlafzimmer zu rennen und die Tür hinter mir zu verschließen, konnte ich die Polizei verständigen. So lange musste ich ihn ablenken.

    Warum hatte er mich ausgesucht? Was hatte er jetzt mit mir vor? Mein Blick wanderte über seine große Gestalt und die breiten Schultern. Er war mindestens fünfmal stärker als ich. Verdammt, warum war ich nicht einfach zur Polizei gegangen?

    »Mein Mitbewohner sollte jeden Moment nach Hause kommen«, sagte ich mit der festesten Stimme, zu der ich mich überwinden konnte.

    »Sophia ist ein Mädchen, und sie ist vor Monaten ausgezogen, weil ihr Freund sie mit dir betrogen hat.« Jeder Anflug von Heiterkeit war aus seinem Gesicht verschwunden. »Weswegen du momentan auf der Suche nach einem Ersatz bist, obwohl ich nicht annehme, dass irgendjemand deine beste Freundin ersetzen könnte.«

    Mir wurde schlecht.

    Ich wich ein paar Schritte zurück und versuchte mich zu beruhigen. »Woher weißt du das?«, flüsterte ich mit zitternder Stimme.

    »Wir haben recherchiert.« Er folgte mir mit den Blicken und verschränkte die Arme. »Pass auf. Wir haben keine Zeit. Erklärungen müssen warten. Ich werde nicht handgreiflich werden, wenn du genau das tust, was ich dir sage. Versprochen. Du kommst mit mir mit. So oder so. Aber keine Sorge, ich werde dir nicht ernsthaft wehtun.« Seine Stimme war sanft geworden, doch ich traute ihm dadurch nur noch weniger. Ich schüttelte den Kopf. Mein Atem ging jetzt stockend. Das konnte doch alles nicht wahr sein!

    »Fangen wir von vorne an. Ich bin Will«, fuhr er in derselben Tonlage fort. »Ich mag jegliche Art von Kunst, deswegen war es gar nicht so langweilig, dich in der Galerie zu besuchen, auch wenn sie die abstrakten Werke oder dieses Landschaftszeug von Lucy Pratt vielleicht ein bisschen öfter gegen Jack Vettriano eintauschen sollten. Ich bin kein gestörter Serienmörder. Ich gebe zu, ich habe nicht viele Freunde, aber das gestaltet sich bei meiner Arbeit auch etwas schwierig. Meine Familie denkt, ich sei beruflich in der forensischen Psychiatrie tätig und habe alle Hände voll zu tun. Letzteres stimmt wohl.« Er holte tief Luft. »Uns beide unterscheidet eine Menge, nicht nur mein ungewöhnlicher Job. Aber genauso wie ich keine Wahl habe, bleibt dir nichts anderes übrig. Und ich weiß, dass du mir im Moment nicht vertrauen kannst, alles andere wäre nur naiv. Aber das kriegen wir hin.«

    Ich war so perplex von seiner kleinen Rede, dass mein eigentlicher Fluchtplan vorerst in den Hintergrund rückte.

    »Woher weiß ich, dass du die Wahrheit sagst?«

    »Das kannst du nicht wissen, bevor ich dich nicht in Sicherheit gebracht habe. Aber wenn du auf dein Handy schaust, fällt dir das mit dem Vertrauenfassen vielleicht ein bisschen leichter.«

    Es verstrichen ein paar Sekunden, in denen ich zu entscheiden versuchte, ob es sich um einen Trick handelte, aber er rührte sich immer noch nicht von der Stelle. Erst stolperte ich rückwärts, dann rannte ich in mein Zimmer und schlug die Tür hinter mir zu. Hektisch tastete ich nach dem Schlüssel, der auf meinem Schreibtisch lag, und schloss die Tür ab.

    Dann stürzte ich zu meinem Bett und begann, meine Tasche zu durchwühlen. Wo war bloß das blöde Handy?

    Ich musste die Polizei rufen, dann würde ich Evelyn fragen, ob ich bei ihr übernachten konnte, bis dieser Irrsinn vorbei war. Immerhin wusste dieser Wahnsinnige da draußen, wo ich wohnte, und es schien, als wären das nicht die einzigen Informationen, die er über mich besaß.

    Meine Finger ertasteten mein Telefon, ich zog es heraus und erstarrte. Mit allem hatte ich gerechnet, nur damit nicht. Ich hatte eine Nachricht von Evelyn, aber sie diente nicht etwa dazu, mir zu sagen, dass sie auf dem Weg war.

    Tu, was er sagt, vertrau mir. Wir sehen uns bald.

    Ganz viel Liebe x

    Die Buchstaben verschwammen vor meinen Augen, der Raum begann sich zu drehen.

    Ich hob den Kopf und versuchte fieberhaft, die Wand vor mir zu fokussieren. Musikplakate, Fotos, Zitate.

    Es musste eine Erklärung geben. Vielleicht war das alles nur ein großes Missverständnis. Wusste Evelyn mehr?

    Ich tippte auf das kleine Telefonsymbol neben der Nachricht und hielt mir das Handy ans Ohr.

    Augenblicklich ging Evelyns Mailbox ran, ich stöhnte auf.

    »Uns läuft die Zeit davon, Kiana«, erklang in diesem Moment die gedämpfte Stimme meines ungewollten Besuchs von draußen. »Mach die Tür auf, oder geh zur Seite, damit ich sie eintreten kann, ja? Sie sieht nicht besonders robust aus. Du hast zehn Sekunden.«

    Erneut starrte ich auf meinen Handybildschirm, der mit einem lauten Piepsen aufblinkte und schließlich schwarz wurde. Der Akku war leer.

    Ich widerstand dem Bedürfnis, zu schreien oder in Tränen auszubrechen, und straffte die Schultern.

    Evelyn hin oder her, der Kerl da draußen schien völlig verrückt zu sein.

    Mein Blick huschte zur Tür. Ich sprang auf und stemmte mich mit aller Kraft gegen meinen Schreibtisch, um ihn vor die Tür zu schieben. Zentimeter für Zentimeter bewegte er sich vorwärts. Kerzen, Bücher und sogar mein Laptop rutschten herunter und fielen polternd zu Boden, aber nichts davon war von Bedeutung. Ich bestand aus purem Adrenalin, meine Angst diente nur noch einer Sache: mich in Sicherheit zu bringen.

    Hinter der Tür erklang ein entnervtes Stöhnen. »Ach, komm schon! Weißt du, wie viel Stress ich kriege, wenn du dich irgendwie verletzt? Ich stehe so kurz vor einer Gehaltserhöhung …«

    Warum sollte er Ärger bekommen, wenn ich mich verletzte?

    Was zur Hölle redete er da?

    Vermutlich wollte er mich nur ablenken. Die Klinke bewegte sich nach unten. Noch einmal. Und noch einmal. Ich stieg aufs Bett und riss das Fenster auf. Hastig zog ich das Fliegengitter auf und hielt mich am Fensterrahmen fest. Ich warf einen Blick nach unten und holte tief Luft. Kein Mensch weit und breit. Nur die eiskalte Nachtluft, die mir ins Gesicht blies. Und Asphalt, sieben Stockwerke unter mir.

    Das war der blanke Wahnsinn. Selbst wenn ich den Sprung überlebte, würde ich mir doch mindestens etwas brechen.

    Hinter mir ertönte ein Krachen, und in mir zog sich alles zusammen.

    Fluchend setzte ich erst einen, dann den anderen Fuß auf die Fensterbank. Ein zweites Krachen erklang.

    Langsam, ganz langsam drehte ich mich auf der Fensterbank um. Ich klammerte mich so stark am Fensterrahmen fest, dass meine Knöchel weiß hervortraten. Das nächste Fenster befand sich knapp zwei Meter unter mir. Die Fenster an unserem Haus besaßen breite Außensimse. Wenn ich mich am äußeren Rahmen festhielt, müsste ich mich nur für ein paar Zentimeter nach unten gleiten lassen, bevor ich wieder Halt unter den Füßen hätte.

    Aber ein falscher Griff, und ich war erledigt. Vielleicht wäre ich nicht sofort hinüber, doch ich würde Will, oder wie auch immer er in Wirklichkeit hieß, genug Zeit verschaffen, zu mir zu gelangen.

    Meine Zimmertür wackelte bedrohlich im Rahmen. Ich atmete tief aus, bevor ich in die Hocke ging und meine Beine an der Hausmauer entlang nach unten gleiten ließ.

    Ich konzentrierte mich darauf, unter keinen Umständen meine Finger zu lockern, während ich frei in der Luft hing. Meine Hände waren binnen Sekunden schweißnass, meine Finger fühlten sich gefährlich rutschig an.

    Von oben erklang ein explosionsartiges Geräusch, und ich wusste sofort, dass mir keine Zeit mehr blieb. An meinem Körper entlang sah ich nach unten. Es fehlte nur noch eine Armlänge. Es würde schon gut gehen.

    Ich biss die Zähne zusammen, da schlossen sich warme Finger um meine Knöchel. Und ich zuckte so sehr zurück, dass ich vergaß, was meine einzige Aufgabe gewesen wäre: mich festzuhalten.

    Zu spät.

    Wie in Zeitlupe nahm ich wahr, wie ich nach unten gezogen wurde, wie Will noch versuchte, meine Hände zu ergreifen, wie mein Herzschlag alle Geräusche übertönte, wie meine Finger ins Leere griffen.

    Ich sah noch den panischen Ausdruck in seinen Augen, dann fielen meine Lider wie von selbst zu, und ich überließ mich der Dunkelheit.

    Überall war Licht. Strahlend hell. Moment, müsste es nicht dunkel sein? Ich hatte doch die Augen zu, ich … Etwas zog an meinen Fußgelenken, und ein gewaltiger Windstoß packte mich, schleuderte mich von rechts nach links und wieder zurück, so schnell, dass mir übel wurde. Wie ein unkontrollierbarer Kreisel, der niemals zu drehen aufhörte, rotierte ich um meine eigene Achse.

    Ich wollte schreien, aber kein Laut kam über meine Lippen.

    Plötzlich nahm das Licht ab. Und da sah ich sie. Bilder. Gesichter. Immer nur kurz, ein Strudel an Farben, bevor mein Körper weitergeschleudert wurde. War das Evelyn? Mum? Verschiedene Augenpaare, die ich noch nie gesehen hatte, Räume, Treppenstufen. Sie zerflossen vor meinen Augen zu einem sinnlosen Durcheinander. Jetzt prasselten von überall Wortfetzen, Schreie und Gelächter auf mich ein.

    Das soll aufhören! Seid still! Ich wünschte mir nichts sehnlicher als die tröstende Schwärze. Fiel ich noch? War ich längst aufgeprallt? Fühlte sich so Sterben an?

    Da drang ein Wort durch das Geschrei hindurch direkt in mein Ohr. So deutlich wie nichts zuvor.

    Gleichzeitig flimmerten Buchstaben vor mir auf, setzten sich wie ein leuchtender Schriftzug vor dem Farbenchaos ab. Sie bildeten nur ein einziges Wort.

    Entscheide.

    Die Häuser flogen buchstäblich an uns vorbei, als wir Leeds hinter uns ließen. Es gab nichts, was ich dagegen tun konnte. Mit gefesselten Händen saß ich auf dem Beifahrersitz.

    Ich zitterte am ganzen Körper.

    Was war da vorhin passiert? Es kam mir immer noch wie ein schlechter Traum vor, aber das Gefühl, in der Luft zu hängen und zu wissen, dass ich den Halt verlieren würde, war sehr real gewesen. Auch wenn ich nur für den Bruchteil einer Sekunde gefallen sein konnte.

    Was waren das für Bilder in meinem Kopf gewesen? Die Erinnerung war verschwommen, nicht ganz greifbar. Vielleicht ein Nahtoderlebnis?

    Das nächste wirklich Echte waren seine Hände gewesen, die sich fest um meine Gelenke gelegt hatten. Er musste eine übermenschliche Kraft aufgebracht haben, um mich hochzuziehen.

    Keuchend war ich auf dem Bett gelandet. Meine Beine waren beinahe eingeknickt, als ich endlich wieder festen Boden unter mir hatte. Mich gefügig zu machen, war ein Kinderspiel gewesen, zumal er eine Waffe hervorgeholt hatte.

    Ich hatte mit dem Gedanken gespielt, zu schreien, als er mich die Treppen hinuntergeführt hatte, aber das Metall, das sich unter meinem offenen Mantel drohend in meinen Rücken presste, hatte mich davon abgehalten. An einen geschmacklosen Witz glaubte ich längst nicht mehr.

    Die Häuserreihen waren dunklen Baumsilhouetten gewichen. Obwohl die Sitzheizung auf Hochtouren lief, war mir eiskalt. In meinem Kopf herrschte Chaos. Fieberhaft suchte ich nach irgendetwas, das mir helfen konnte, das alles zu verstehen, während ich stur nach vorne starrte.

    »Du könntest ein bisschen freundlicher schauen«, unterbrach er die Stille. »Ich habe dir gerade das Leben gerettet.«

    »Nachdem du mich in Lebensgefahr gebracht hast!«, rutschte es mir heraus, bevor ich mich an die Waffe erinnerte, die er im Handschuhfach verstaut hatte. Die Kälte in mir nahm zu. Hatte ich den Verstand verloren, ihm Vorwürfe zu machen? Schnell warf ich ihm einen Blick zu und versuchte, mein Zittern unter Kontrolle zu bekommen.

    Er zuckte lächelnd mit den Schultern. »Es war nicht meine Idee, aus dem Fenster zu steigen.« Kurz wandte er mir sein Gesicht zu. »Du musst keine Angst vor mir haben. Die Waffe ist übrigens aus der Spielwarenabteilung.«

    Als ich ihn nur anstarrte, fuhr er fort. »Funktioniert trotzdem jedes Mal. Du hast keine Ahnung von diesen Dingen. Wieso solltest du auch? Du hast bisher ein ganz normales Leben geführt.«

    »Warum bin ich dann gefesselt und werde gegen meinen Willen wer weiß wohin gebracht?«, traute ich mich zu fragen, bemüht darum, jegliche Emotion aus meiner Stimme zu verbannen, um ihn nicht zu provozieren.

    »Weil du niemals freiwillig mitgekommen wärst. Und glaub mir, ich war noch sanft zu dir. Immerhin werden wir in Zukunft sehr viel Zeit miteinander verbringen müssen, da wäre es schön, wenn du mir vertraust.«

    Das war doch irre! Er sprach vollkommen ruhig, als würde er den heutigen Wetterbericht wiedergeben. Nichts von dem, was er sagte, ergab einen Sinn.

    »Was macht das für einen Unterschied? Es bleibt eine Entführung, egal, wie man es auslegt.«

    »Entführung«, wiederholte er und lachte kurz auf, aber es klang nicht fröhlich. »Das ist es wahrscheinlich auch irgendwie. Nur werde ich dir nicht deine Freiheit nehmen, sondern dich aus deinem alten Leben rausholen, das sowieso nur eine Fassade war. Mal ganz ehrlich, warum würdest du dieses Leben weiterführen wollen?«

    Ich schluckte hart und brauchte ein paar Sekunden, bevor ich antworten konnte. Er klang wie ein Psychopath.

    »Wieso weißt so viel über mich?«, brachte ich hervor. Es hatte inzwischen zu regnen begonnen. Dicke Tropfen prasselten auf die Scheiben und liefen in Schlieren nach unten.

    »Vieles wurde mir erzählt, einiges habe ich mir selbst zusammengereimt, während ich dich beobachtet habe.« Er warf mir einen weiteren Seitenblick zu und seufzte. »Bitte, hör auf, dich in deine Angst hineinzusteigern. Ich werde dich nicht einsperren. Du wirst alles verstehen, sobald wir unser Ziel erreicht haben. Es sind Leute hinter dir her, die dich tot sehen wollen. Also müssen wir dich in Sicherheit bringen.«

    »Warum sollte irgendjemand mich tot sehen wollen?«, rief ich bebend.

    »Gute Frage. Das musst du uns beantworten, wir wissen es nicht. Leute wie du unterliegen nicht den üblichen Regeln. Oder Leute wie deine Eltern. Aber immerhin konnten die ihre Fähigkeiten jahrelang verbergen.«

    »Meine Eltern?« Ich lachte. »Hattest du jemals das Vergnügen, meine Eltern kennenzulernen?«

    »Entschuldige, ich habe mich missverständlich ausgedrückt. Ich meinte nicht die Leute, bei denen du aufgewachsen bist und die zweifellos gute Arbeit geleistet haben. Ich rede von deinen biologischen Eltern.«

    Mir klappte die Kinnlade herunter, er grinste mich fröhlich an. »Da vorne ist eine Raststätte. Hast du auch so ’nen Hunger?«

    Nachdem er mir die Fessel abgenommen hatte, legte er seinen Arm fest um meine Schultern. Von außen betrachtet wirkte es vermutlich wie eine beschützende Geste. Der Regen prasselte unbarmherzig auf mich ein und ließ mich frösteln. Vielleicht hatte das aber auch etwas mit Wills Berührung zu tun. Mir blieb nichts anderes übrig, als seinen schnellen Schritten in Richtung Raststätte zu folgen. Er hatte zwar die Waffe – ob sie nun echt war oder nicht – im Wagen gelassen, doch wer wusste schon, welche Tricks er noch auf Lager hatte.

    Sobald wir im Trockenen waren, ließ er mich los, wich mir aber keinen Schritt von der Seite. »Wenn du versuchst abzuhauen, finde ich dich innerhalb von Sekunden.«

    Ich erwiderte nichts. Mir war bewusst, dass er keine Scherze machte. Versuchen musste ich es trotzdem. Es war meine einzige Chance, jetzt, wo wir unter Leuten waren. Ich würde die Aufmerksamkeit eines Fremden auf mich lenken und irgendwie signalisieren, dass ich Hilfe brauchte.

    Das kleine Bistro war trotz der späten Stunde gut besucht, übermüdete Menschen tranken Espresso oder nahmen einen kleinen Snack zu sich. An ein paar Spielautomaten standen zwei ältere Herren, aber natürlich beachtete uns niemand. Wir sahen wahrscheinlich aus wie ein normales Paar.

    »Worauf hast du Lust?«, fragte Will.

    Ich schüttelte den Kopf. An Essen war momentan nicht zu denken, mir war vor lauter Nervosität kotzübel. »Ich habe keinen Hunger. Sag mir lieber, was es mit meinen Eltern auf sich hat. Wie meintest du das mit meinen biologischen Eltern?«

    Er hatte seinen Blick durch den Raum schweifen lassen, aber jetzt hielt er inne und wandte mir das Gesicht zu. »Du solltest wirklich was essen. Deine komplette Welt wird sich in wenigen Augenblicken ändern. Auf nüchternen Magen stelle ich mir das problematisch vor.«

    Dieser Sarkasmus in der Stimme! Es kam mir fast vor, als wäre das hier Routine für ihn. Oder er war einfach verrückt.

    Ich zwang mich, meinen Blick auf den Tresen zu richten und zu mustern, was dort ausgelegt war. Die Ränder meines Sichtfelds verschwammen noch immer, wenn ich mich nicht konzentrierte.

    »Das Hähnchen-Sandwich«, hörte ich mich sagen.

    Den Rest machte er. Seine Worte, die Reaktionen der Bedienung nahm ich kaum wahr. Nach einer Weile ergriff er meine Hand und zog mich zu einem freien Zweiertisch in der hintersten Ecke. In der anderen Hand hielt er ein Tablett mit unserem Essen. Die ganze Zeit ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen, als würde er jemanden suchen. Mein Zittern wollte nicht nachlassen, wenn überhaupt, wurde es immer schlimmer.

    Ich ließ mich auf den Stuhl an der Wand gleiten, und er setzte sich mir gegenüber. Prüfend schaute er mir ins Gesicht. »Iss. Ich habe dir auch was zu trinken bestellt.«

    Er musste gemerkt haben, dass ich nicht wirklich etwas von dem mitbekam, was sich hier gerade abspielte, sein Ton klang, als würde er sich mit einer Zehnjährigen unterhalten. Nickend griff ich nach meinem Sandwich, weil er nicht aufhörte, mich zu beobachten. Ich musste ihn in Sicherheit wiegen. Mich kooperationswillig zeigen.

    Der erste Bissen schmeckte nach Pappe, ich ließ das Sandwich wieder sinken. Schnell griff ich nach der Cola daneben und kippte sie in einem Zug hinunter. Ein schaler Geschmack breitete sich in meinem Mund aus.

    »Deine Eltern sind nicht deine richtigen Eltern«, durchbrach er nach ein paar Sekunden die Stille zwischen uns. »Sie sind so eine Art … Adoptiveltern. Schon vor deiner Geburt wurde alles in die Wege geleitet, um dich nicht zu gefährden. Sie wurden sorgfältig ausgewählt. Jahr für Jahr mit Aufgaben zu deiner Erziehung und Ausbildung ausgestattet und

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