Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Abrechnung am Meer
Abrechnung am Meer
Abrechnung am Meer
eBook282 Seiten4 Stunden

Abrechnung am Meer

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Mit der Familie zerstritten, von ihrem Traumberuf meilenweit entfernt und beziehungsscheu, kehrt die Kroatin Nika Paladin in ihre Heimat zurück. Dort will sie zu sich selbst finden. Doch ihr Vorhaben droht zu scheitern. Korruption und ein Mord zerstören die Idylle der kroatischen Insel.
Was hat der charismatische Bar-Besitzer Marko damit zu tun? Und welches Geheimnis hütet der Fotograf David? Wem kann Nika noch trauen?
Nika muss die richtige Entscheidung treffen, denn es geht um ihr Leben.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum28. Juni 2014
ISBN9783847695622
Abrechnung am Meer

Ähnlich wie Abrechnung am Meer

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Abrechnung am Meer

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Abrechnung am Meer - Biljana Fenzl

    1. Kapitel

    Nika rannte. Die Kondenswölkchen ihres Atems streiften ihre Wangen. Eisige Luft kroch ihren Hals hinunter. Sie hustete. Ihr linker Arm ruderte vorwärts. Die rechte Hand umklammerte krampfhaft den Riemen ihrer Tasche. Sie lief davon. Vor ihrer Arbeit, vor ihrem Leben. Vor sich selbst. Und endlich auf etwas Neues zu.

    Den ganzen Weg zur S-Bahn rannte sie. Sie erwischte sie gerade noch rechtzeitig. Kaum war sie drin, glitten die Türen hinter ihr zu. Die Bahn fuhr an. Nika ließ sich auf den Sitz am Fenster plumpsen und warf ihren Rucksack auf den freien Platz neben sich. Sie begann zu frösteln. Ihre Arme umschlangen den dünnen Körper. Sie mochte den Winter nicht und war froh, dass er nun ausklang und die Temperaturen langsam stiegen. Kälte und Dunkelheit setzten ihr zu, machten sie schwermütig.

    Der Zug beschleunigte. Häuser und Landschaften zogen an ihr vorbei. Die Bilder verschwammen vor ihren Augen. Sie dachte an ihre Eltern.

    Sie würden von ihrem Entschluss nichts erfahren. Wie sie schon seit langer Zeit nichts mehr von ihr erfuhren.

    Endlich besann sie sich auf ihren Lebenstraum. Sie nahm sich fest vor, es diesmal durchzuziehen. Das Auswandererkind würde es schaffen. Sie war stark, auch wenn ihre zierliche Gestalt das Gegenteil vermuten ließ. Sie hatte in ihrer Kindheit gelernt, für sich einzustehen.

    Die S-Bahn hielt. Nika löste sich vom Sitz, schnappte ihren Rucksack und verließ den Zug. Sie rannte nach Hause. Ihre gefütterten, schwarzen Chucks berührten kaum den Boden. Sie riss die Haustür auf. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, hüpfte sie in den zweiten Stock. Den Schlüssel hatte sie irgendwo zwischen zwei Etagen bereits herausgekramt. Flink schloss sie ihre Wohnungstür auf und schmiss sie hinter sich zu. Die Tasche flog in eine Ecke, die Jacke an die Garderobe, wo sie mit der Kapuze an einem Haken hängen blieb.

    Sie musste Großmutter anrufen. Ihre Oma war der einzige Mensch, dem Nika vertraute. Sie würde sich für ihre Enkelin freuen. Endlich war Nika auf einem guten Weg. Als sie die Telefonnummer in die Tastatur tippte, wippte Nikas linkes Bein aufgeregt auf und ab. Sie horchte auf das Tuten in der Leitung.

    „Ja?"

    „Omaichbin’sNika. IchhabtolleNeuigkeiten."

    „Nika? Nicht so schnell. Ich verstehe ja kein Wort."

    „Oma, hör mal, ich gehe weg vom Fernsehen."

    „Du hast gekündigt?"

    „Nein. Sie druckste herum. „Aber ich werde noch.

    „Ach, Kind. Was ist das jetzt wieder?"

    „Was meinst du?"

    „Nika, wann kommst du endlich zur Ruhe?"

    Nika schwieg. Jetzt wippten beide Beine synchron. Sie umklammerte den Hörer fester und presste die Kiefer aufeinander. Dann sog sie scharf Luft durch die Nase, bevor sie antwortete.

    „Ich bin die Ruhe selbst, Oma."

    „Wie du meinst."

    „Ich verstehe das nicht, Oma. Du hast doch immer gesagt, ich soll meinen Weg gehen", platzte es aus ihr heraus.

    „Aber du tust es nicht."

    Nika war genervt. Schlug Oma jetzt in die gleiche Kerbe wie ihre Eltern?

    „Das wollte ich dir doch gerade erzählen. Ich kündige beim Fernsehen und suche mir einen guten Job bei einer großen Tageszeitung."

    „Aber du hast noch keinen?"

    Ihre Kiefer schmerzten bereits und ihre Zähne gaben knirschende Geräusche von sich.

    „Nein. Es wird sich schon irgendetwas finden."

    „Ach Kind, warum gibst du dich immer nur mit irgendetwas zufrieden? Nimm dein Leben endlich in die Hand."

    „Ich habe mein Leben völlig unter Kontrolle."

    Es trat eine unangenehme Stille ein. Nika schluckte Wut und Tränen herunter. Sie hoffte, ihre Großmutter würde einlenken. Vergeblich.

    „Nika, du bist jetzt dreißig. Du hast lange genug deinen Welpenschutz genossen. Möchtest du nicht mit deinen Eltern reden, ob …"

    „Oma!", schrie sie auf. Ihr Herz hämmerte hart gegen die Brust. Sie zitterte, lief im Zimmer herum, setzte sich und sprang gleich wieder auf.

    „Schon gut, beschwichtigte Oma sie. „Das war wohl keine gute Idee. Aber es gibt da noch eine andere Möglichkeit. Eine alte Freundin von mir hat auf einer kleinen kroatischen Insel ein Apartmenthaus. Sie könnte deine Hilfe gut gebrauchen. Und du könntest dort in Ruhe überlegen, wie es für dich weitergehen soll. Was hältst du davon?

    „Ich wollte nie den Traum meiner Eltern leben. Ich will auch nicht in die Tourismusbranche. Ich brauche auch keine Pause. Damit vertrödele ich nur Zeit. Ich weiß doch, was ich will. Ich will investigativen Journalismus machen!"

    „Aber du bewegst dich seit Jahren nicht von der Stelle. Nika, bitte, geh nach Kroatien. Ich will dir doch nur helfen. Ich mache mir Sorgen um dich. Ich bin zweiundachtzig Jahre alt. Ich werde nicht mehr lange leben. Und dann bist du allein. Bitte bring dein Leben in Ordnung."

    „Ich denke darüber nach", presste sie mit einem Kloß im Hals noch heraus und legte auf. Stille Tränen rannen ihr übers Gesicht. Ihr Magen krampfte sich zusammen. So konnte sie keinen klaren Gedanken fassen. Sie begann, Sachen in ihrer Wohnung aufzuräumen, umzuräumen und wegzuräumen. Sie schnappte sich den Staubsauger. Aggressiv schrubbte sie damit über den Boden. Seine Lautstärke betäubte jede Geistestätigkeit. Nach einer Weile schaltete sie das Gerät aus. Ihr rechtes Ohrläppchen schmerzte. Sie hatte zu heftig daran gerieben, ohne es zu merken. Hätte sie eine gute Stelle bei der Zeitung, wäre Oma beruhigt. Würde ein Chefredakteur sie gleich einen Leitartikel schreiben lassen? Eher nicht. Sie arbeitete zu lange beim Fernsehen. Bei den Printmedien startete sie wieder ganz unten. Würde Oma ihren glorreichen Aufstieg noch erleben? Sie wollte nur sicher sein, dass Nika auf dem richtigen Weg war. Was, wenn es nicht nach Plan lief? Dann wäre sie nicht einmal Großmutters Wunsch nachgekommen. Oma hatte für ihre Bedürfnisse stets ein offenes Ohr. Was konnte sie ihr vorwerfen? Sie wollte Nika helfen. Bis jetzt habe ich es ohne Hilfe geschafft, dachte Nika. Oma sorgte sich. Sie liebte Nika. Und Nika liebte sie. Was, wenn Omas Befürchtungen berechtigt waren und sie plötzlich allein wäre. Ihr Leben fühlte sich nicht wie ihres an. Woran es lag, wusste sie nicht. Vielleicht hatte Oma recht und Nika musste das erst herausfinden, bevor sie etwas Neues begann. Schadete es, ein paar Monate auf einer Insel zu verbringen und dort vorübergehend ihr Geld zu verdienen? Viel unbefriedigender als die Arbeit, die sie jetzt ausübte, konnte es auch nicht sein.

    2. Kapitel

    Drei Monate später saß Nika auf einer Bank an Bord einer weißen Fähre. Neben sich einen Rollkoffer und einen großen Wanderrucksack. Unter Deck war die Luft so stickig, dass sie nach draußen geflohen war. Nun ließ sie den Fahrtwind an ihren zusammengebundenen Haaren zerren. Die Sonne stand hoch. Ohne den Wind wäre es schon angenehm warm. Hier oben fröstelte Nika. Sie zog ihre mit rosa Blümchen verzierte Strickjacke vor der Brust zusammen. Das tiefe, dunkle Blau des Meeres breitete sich vor ihr aus. Auf der Oberfläche tanzten funkelnde Sterne über die Wellen. Nika blinzelte und sah auf ihre Schuhe. Es war zu grell, um den Blick lange auf das Glitzern zu richten. Sie hatte ihre Sonnenbrille unter der Kleidung im Koffer verstaut. Hätte sie sie bloß aufgesetzt. Dann hätte sie in Ruhe auf die See starren können. So musste sie sich von Touristen anstarren lassen, die sich an ihr vorbeidrückten, um das Schiff zu erkunden. Nikas pinke Augenbrauen erregten Aufmerksamkeit. Kleine Kinder zeigten mit Fingern auf sie und äußerten Vermutungen über eine schlimme Krankheit. Nika grinste. Als ihr Magen zu knurren begann, stand sie auf und griff nach ihrem Gepäck. Es war sowieso nicht ihr Ding, lange ruhig herumzusitzen. Sie hatte nicht zu Mittag gegessen und beschloss, sich einen Kaffee und ein Croissant an der winzigen Bar im Innenraum zu holen. Auf dem Weg dorthin hörte man lediglich die Rollen ihres Trolleys auf dem Metallboden, die mit dem Motorengeräusch der Fähre wetteiferten. Drinnen roch es muffig. Nika verging der Appetit. Der Hunger blieb. Sie sprach schnell und wiederholte ihre Bestellung noch zweimal. Dann hielt sie endlich das Gewünschte in der Hand. Sie balancierte Gepäck, Kaffee und Hörnchen zügig nach draußen. In einer Nische stellte sie ihren Koffer ab und setzte sich darauf. Gierig schlang sie das Croissant herunter. Für den flüssigen Wachmacher ließ sie sich mehr Zeit. Notgedrungen. Beim ersten Schluck verbrannte sie sich Zunge und Gaumen. Sie fluchte leise vor sich hin. Der Beginn ihres neuen Lebens lief nicht gerade perfekt. Aber sie bereute es nicht, gekündigt zu haben. Es war, als löste sich ein festsitzender Knoten in ihrem Inneren. Ihr letzter Tag in der Redaktion war eine Erleichterung. Endlich atmete sie wieder durch. Nicht einer ihrer Kollegen verstand ihren Entschluss. Gekannt hatte sie keiner richtig. Es war nicht deren Schuld. Nika baute einen Schutzwall um sich auf. Umgekehrt hatte sie auch nicht großes Interesse an den Arbeitskollegen gezeigt. Der Abschied von ihnen und von Deutschland fiel ihr nicht schwer. Es war in Ordnung, auf der Fähre zu sein. Sie ließ die Dinge auf sich zukommen.

    Kaum hatte Nika diesen Gedanken zu Ende gedacht, sah sie einen Schatten näher rücken. Es mutete wie die Insel an, die für die nächsten Monate ihr Zuhause sein würde. Neugierig sah sie es sich genauer an. Nika schoss so schnell von ihrem Koffer hoch, dass der heiße Kaffee ihr über die Finger schwappte. Sie presste die Kiefer aufeinander. Ein Fluch zischte zwischen ihren Zähnen hervor. Sie musste sich angewöhnen, ruhiger zu werden. Mit ihren Schnellschussaktionen verletzte sie sich nur selbst. Sie schüttelte die nasse Hand aus und stellte den Pappbecher auf den Boden. Mit der anderen Hand wischte sie noch einige Male über die feuchte, brennende Stelle und beließ es dabei. Sie blickte in Fahrtrichtung. Vor ihr türmte sich Karstgestein auf. Der grau-weiße Berg wurde immer größer, je näher sie kamen. Er strahlte in der Sonne. Die Insel sah kahl und verlassen aus. Nika fröstelte.

    Um sie herum begann ein geschäftiges Treiben. Touristen begaben sich zurück zu ihren Autos und Bussen. Nika würde zu Fuß von Bord gehen. Sie hievte ihren Rucksack auf den Rücken und nahm den Griff des Rollkoffers in die Hand. Die Knöchel ihrer Finger traten weiß hervor. Ihre Zähne knirschten aufeinander. Sie wuchtete ihr Gepäck die Metalltreppe hinunter zum Autodeck. Unten presste sie ihren dünnen Körper dicht an die Wand. Die Fahrzeuge standen so nah beieinander, dass die Menschen beim Besteigen gezwungen waren, eine artistische Schlangennummer zu vollführen. Wenn die Blechlawine losrollte, wollte Nika nicht mitgerissen werden. Mit Blicken suchte sie nach einem sicheren Weg aus dem Schiffsbauch. Sie sah wie die Landungsklappe sich langsam senkte und dahinter der Fährhafen zum Vorschein kam. Es hatte zum Übersetzen keine andere Möglichkeit gegeben, sie hatte die Autofähre nehmen müssen. Ein leichter Ruck durchzuckte das Schiff, als es an der Landungsstelle andockte. Nika wartete, bis alle Fahrzeuge das Deck verlassen hatten. Dann ging sie sicher von Bord. Die Rollen ihres Trolleys kratzen über den Asphalt. Das Geräusch war so laut, dass sie die Schritte hinter sich nicht hörte. Erst als ein Pulk Touristen Nika überholte, wurde ihr klar, dass es sich um Tagesausflügler handelte. Keiner hatte Gepäck dabei, viele trugen Kameras um den Hals. Sie waren ihr auf der Fähre nicht aufgefallen. Vermutlich hatten sie es sich im Gastraum gemütlich gemacht. Bei dem Gestank? Na, vielleicht waren ihre Nasen nicht so empfindlich wie Nikas. Sie folgte der kleinen Gruppe zum Tickethäuschen des Fährhafens. Dort parkte ein Insel-Bus. Nika lockerte ihren Griff und entspannte die Kiefermuskulatur. Der Bus würde sie und die Touristen über das Land verteilen. Das Transportproblem löste sich somit von selbst. Nika hob ihren Koffer in den Bus und stieg ein. Sie suchte sich einen Platz, legte den Trolley unter den Sitz und stopfte den Rucksack zwischen ihre Beine und die Lehne des Vordersitzes. Der Fahrer lief durch den Bus, verteilte und kassierte die Fahrscheine. Nika zog ihren Brustbeutel heraus. Das war zwar nicht die modernste, aber immer noch die sicherste Methode Ausweis und Geld sicher zu verwahren. Der Busfahrer erkundigte sich nach Nikas Ziel. Sie nannte den Ort und bezahlte in Kuna, der Landeswährung. Der Chauffeur nahm hinter dem Lenkrad Platz und der Bus fuhr an.

    Die ersten Kilometer sah man nichts, außer karstigem Gestein links und rechts. Kaum Vegetation. Dazwischen schlängelte sich die Straße. Es sah bizarr aus. Nika hatte vergessen, wie karg die kroatischen Inseln wirkten. Nun staunte sie über die Landschaft, als wäre sie noch nie hier gewesen.

    In ihrer Kindheit war Nika oft mit ihrer Familie auf die großen kroatischen Inseln gefahren. Sie hatten wunderschöne Urlaube dort verlebt. Nun war sie auf der Insel Maun angekommen, die sie bisher nicht kannte und die ihr trotzdem vertraut vorkam. Geologisch bauten die Inseln sich alle ähnlich auf. In Nika glomm Vorfreude auf. Sie wollte das Gefühl abschütteln. Was sollte das? Sie war nicht ganz freiwillig nach Maun gereist. Dieses kindliche Glücksgefühl war lästig und unpassend. Zwischen ihre pinken Brauen grub sich eine Falte. Die dunklen Augen richtete sie starr aus dem Fenster. Sie sah nicht, wohin sie fuhren und sie freute sich auf nichts. Sie tat es für ihre Großmutter, sie tat deren Freundin einen Gefallen. Hier ging es nicht um ihr eigenes Leben. Noch nicht. Noch ließ sie keinen Gedanken über sich selbst zu.

    Der Bus hielt im Hafen von Maun-Stadt. Nika zerrte ihr Gepäck hinaus. Ihr Blick flitzte durch die Luft. Sie hatte keine Ahnung, wo sie hin musste. Da fiel ihr der zusammengeknüllte Zettel in ihre Hosentasche ein. Sie fischte ihn heraus und glättete ihn mit dem rechten Daumen. Wieder sah sie hilflos um sich. Der Busfahrer beobachtete sie eine Weile. Dann kam er auf sie zu.

    „Wo wollen Sie hin?"

    Nika zuckte mit den Schultern.

    „Ich weiß nicht."

    Der Busfahrer deutete auf den Zettel und Nika zeigte ihm das zerknitterte Stück Papier.

    „Ah, das ist gar nicht weit weg von hier. Sie müssen nur durch den Park. Sehen Sie? Hinter Ihnen. Dort können Sie dann weiterfragen."

    „Hvala. Danke." Nika ärgerte sich über sich. Wie konnte sie so kopflos sein. Das hätte sie auch alleine hinbekommen. Die Röte stieg ihr in die Wangen. Sie verbarg Wut und Scham, indem sie das Gummiband löste und ihre dunklen Haare ins Gesicht fallen ließ. Mit gesenktem Kopf trabte sie davon.

    Sie überquerte die Fahrbahn und stand in einem Wäldchen. Erst jetzt hob sie den Kopf und blickte sich um. Links von ihr befand sich ein Kinderspielplatz, rechts grenzte der Park an eine andere Straße. Nika beschloss auf dem Weg zu bleiben, der geradeaus führte. Sie lief in den kleinen Wald hinein. Die hohen Kiefernbäume spendeten Schatten und dämpften alle Geräusche der Stadt. Parkbänke säumten den Kiesweg. Der Duft von Piniennadeln stieg ihr in die Nase. Mit jedem Schritt wurde Nika ruhiger. Plötzlich klatschte Nika mit der flachen Hand auf ihren Hals. Ein Reflex. Wild fuchtelte sie mit beiden Armen um sich. Was war das? Sie besah sich die roten Punkte auf ihrer Haut und begann unwillkürlich zu kratzen. Mücken. Sie war in einen ganzen Schwarm geraten. Mistviecher, dachte sie. Eine herzliche Begrüßung sah anders aus. Sie rannte los. Sie floh aus diesem Wald, bevor sie aussah wie ein Opfer der Beulenpest.

    Als sie in die Sonne trat, atmete sie tief durch. Der Adrenalinstoß, den ihr die Mückenattacke bescherte, hatte sie aufgerüttelt. Sie nahm den Zettel mit der Adresse in die Hand und marschierte los. Sie brauchte keine Hilfe. Sie würde das Apartmenthaus alleine finden. Nach zehn Minuten Fußmarsch sah sie das gelbe Gebäude mit den blauen Markisen vor sich, das ihre Großmutter ihr beschrieben hatte. Sie ging die Anhöhe hinauf. Die Straße war schmal. Sie erlaubte nur einem Auto die Durchfahrt. Nika entdeckte Balkone, die Haustür befand sich auf der anderen Seite, vermutete Nika. Sie passierte das Haus und bog links in die Einfahrt. Im rechten Bereich erschloss sich ein kleiner Garten. Mittendrin stand eine Dusche, die aus dem Boden zu wachsen schien. Der schwarze Kasten neben dem Duschkopf sollte vermutlich das Wasser warmhalten. Nika schmunzelte über den vorsintflutlichen Boiler. Linker Hand erblickte sie die blaue Haustür. Sie straffte die Schultern, atmete tief durch und marschierte zum Eingang. Darüber prangte in blauer Schrift „Haus Ana". Eine Klingel fand sie nicht. Nika klopfte. Und wartete. Erneut schlug sie ihre Knöchel gegen das Holz. Hinter der Tür vernahm sie schlurfende Geräusche. Jemand schien sich im Schneckentempo zu nähren. Die Tür ging knarzend auf. Das Scharnier vertrug ein wenig Öl, dachte Nika. Eine Frau, kaum größer als Nika, lugte heraus. Nika schätzte sie um die achtzig Jahre. Ein Netz feiner Fältchen umspannte das Gesicht. Von der Nase führten zwei tiefe Krater links und rechts zum Kinn. Die Haut an den Wangen hing schlaff nach unten. Auch am Hals hatte sie ihre Spannung vor langer Zeit verloren. Die lichten Haare standen in grauen und hellbraunen Löckchen vom Kopf. Das Blau der Augen war so blass, als ob es sich gleich auflösen wollte. Müde Blicke trafen Nika durch das altmodische Metallgestell. Doch dann hoben sich die schmalen Lippen zu einem Lächeln des Erkennens. Das trübe Blau richtete sich auf das Pink ihres Gegenübers.

    „Ti si Nika."

    „Jesam. Ja, ich bin Nika." Sie musste sich erst daran gewöhnen, nach vielen Jahren wieder in ihrer Muttersprache zu reden.

    „Na komm rein, Kindchen. So eine Freude, dass du da bist. Ich bin Ana, die Freundin deiner Oma."

    Die alte Frau hakte sich bei Nika unter. Halb zog sie Nika hinein, halb stützte sie sich auf Nika. So gelangten sie ins Wohnzimmer. Dunkelheit und eine angenehme Kühle empfingen sie. Nika merkte erst jetzt, dass sie auf dem Weg ins Schwitzen gekommen war. Sie stellte ihren Koffer ab und wuchtete den Rucksack herunter. Die Schultern schmerzten nun merklich. Sie ließ sie ein wenig kreisen und beobachtete Ana in ihrem Revier. Die schwang gerade die Fensterläden zur Seite und Sonnenlicht flutete das Zimmer. Nika scannte ihre Umgebung. Alte, dunkelbraune Möbelstücke dominierten den Raum. Alles sah ordentlich und sauber aus. Über dem Sofa lag eine dunkelrote Häkeldecke ausgebreitet. An einer Wand stand ein Schrank mit mehreren Vitrinen. Porzellangeschirr stapelte sich darin und etwas Glänzendes. Ana folgte Nikas Blick.

    „Willst du einen Kaffee?" Sie holte das schillernde Gebilde heraus. Es handelte sich um eine Dzezva, eine aus Kupfer gefertigte und auf der Innenseite legierte Mokkakanne. Ana kochte das Getränk auf traditionelle Art. Ein warmes, angenehmes Gefühl breitete sich in Nikas Bauch aus. Ihre Oma bereitete ihren Kaffee genauso zu. Ja, sie wollte unbedingt einen. Nicht weil, sie Bedarf an Koffein hatte. Zumal sie sich erst auf der Fähre, damit die Zunge verbrannt hatte. Aber die Sehnsucht nach ihrer Großmutter und dem Heimatgefühl drohte sie plötzlich zu überrollen. Wenn sie jetzt den Duft von Kaffeepulver riechen und den Geschmack, des in Zucker ertränkten Mokkas erspüren durfte, dann fühlte sie sich wie bei Oma. Dann wäre es wie ein Zuhause.

    Ana sah Nika immer noch an. Sie nickte Ana zu und schluckte heiße Tränen hinunter. Ana verschwand in der kleinen Küche nebenan, goss Wasser in die Kanne, gab reichlich Zucker und zwei Löffel Kaffee dazu. Gedankenversunken blieb sie vor dem Herd stehen und wartete darauf, dass der Mokka zum ersten Mal aufkochte. Als er sich hob, nahm sie das Gefäß von der glühenden Platte, rührte mit einem kleinen Löffel um und setzte die Kanne zurück auf die Kochplatte. Nach dem zweiten Aufkochen schaltete Ana den Ofen aus. Sie griff mit dem Löffelchen den Schaum ab und verteilte ihn auf zwei Tassen, bevor sie den Kaffee eingoss. Als sie damit ins Wohnzimmer kam, hatte Nika sich wieder gefangen.

    Ana stellte den Kaffee auf das winzige Tischchen vor dem Sofa und setzte sich in den Sessel gegenüber von Nika. Eine Weile beobachteten sich beide gegenseitig, während sie ihren heißen Mokka schlürften. Ana kannte den wahren Grund für Nikas Aufenthalt auf Maun. Und Nika sah Ana an, dass sie es wusste. Ana verlor darüber nicht ein Wort und Nika war ihr dankbar dafür. Sie wusste selbst, dass sie erneut in ihrem Leben versagt hatte. Bevor das Schweigen unangenehm wurde, begann Ana Nika ihre Aufgaben zu erklären.

    „Bei uns gibt es keine festen Arbeitszeiten, weißt du. Die Ferienwohnungen betreten wir bei Belegung nur einmal in der Woche. Dann wechseln wir die Bettwäsche, tauschen die Handtücher aus und füllen auf, was fehlt, wie zum Beispiel Toilettenpapier. Der Großputz folgt erst, nach Abreise der Gäste. Ich bin körperlich nicht mehr so fit und bitte dich, mir den Großteil dieser Aufgaben abzunehmen. Ebenso die Besorgungen. Es fällt mir schwer, die Sachen nach Hause zu tragen. Die Wäsche übernehme ich. Bei den Einkäufen wird dir mein Mann helfen. Ivan ist derzeit mit seinem Boot unterwegs, aber du wirst ihn bald kennenlernen."

    „Wann mache ich denn die Betten? Ich meine, ich möchte ja nicht

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1