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Der Heiligenschein im Vollwaschgang: Achims Pleiten, Pech und Pannen im Gemeindealltag
Der Heiligenschein im Vollwaschgang: Achims Pleiten, Pech und Pannen im Gemeindealltag
Der Heiligenschein im Vollwaschgang: Achims Pleiten, Pech und Pannen im Gemeindealltag
eBook250 Seiten3 Stunden

Der Heiligenschein im Vollwaschgang: Achims Pleiten, Pech und Pannen im Gemeindealltag

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Über dieses E-Book

Die Suche nach einem "höheren Wesen" hat Achim ausgerechnet in diese kleine Hinterhofgemeinde gebracht. Von nun an muss er sich sowohl mit den spöttischen Angriffen seines Arbeitskollegen Makowitz auseinander setzen als auch mit den mitleidigen Blicken seines alten Freundes Manni.
Wie rettet man sich durch einen hochpeinlichen Straßeneinsatz? Wie überlebt man einen Betriebsausflug mit viel Schunkelmusik? Und was macht ein Blaukreuzler mit dem Bier, das ihm ungefragt vor die Nase gestellt wird?
Auf der anderen Seite sind da Bruder Dornstett und Bruder Seidler, die ihn immer wieder auf die "enge Pforte" hinweisen, durch die die kleine Schar der Seligen hindurch muss.
Wenn der eigene Standpunkt zwischen diesen Extremen hin und her gezerrt wird, ist es für Achim meistens Zeit, sich bei Jesus zu beschweren. Und so beklagt er sich zuweilen über seine Mitmenschen und darüber, dass "Gottes schriftlicher Nachlass" oft so widersprüchlich erscheint. So hat Jesus denn einige Mühe, ihn von seinen gut gemeinten Ratschlägen für eine bessere göttliche Weltordnung abzubringen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum20. Sept. 2013
ISBN9783847651536
Der Heiligenschein im Vollwaschgang: Achims Pleiten, Pech und Pannen im Gemeindealltag

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    Buchvorschau

    Der Heiligenschein im Vollwaschgang - Erwin Schröder

    Wie ein Entertainer zum Bruder wird und ich auf einer Leiter die enge Pforte entdecke.

    Bild 75109 - Dieses Bild ist aus diesem Werk.

    Da hockte ich nun in drei Metern Höhe auf dieser wackeligen Leiter und versuchte, mich auf die Arbeit zu konzentrieren. Man hatte mich gebeten, einen Bibelvers in großen Lettern an die Wand zu malen. Die Wand gehörte zu einem großen Saal, in dem sonntags die Gottesdienste zelebriert wurden. Und der Saal gehörte zu einem alten Fabrikgebäude, das als eine Art Kirchenersatz diente.

    Wie ich in diese seltsame Situation hinein geraten war, hätte ich zwei Wochen vorher selber noch nicht für möglich gehalten. Natürlich lag es an einer Frau, der wunderbarsten Frau des gesamten Kosmos, die ich jetzt mit meinem Arbeitseifer beeindrucken wollte.

    Die Gemeindeleitung hatte sich für den Vers „Gehet ein durch die enge Pforte entschieden, was mir sehr gelegen kam. Sechs Wörter, 26 Buchstaben, das müsste in einer Stunde zu schaffen sein. Mir zur Seite stand der Gemeindeleiter, ein gutaussehender, braungebrannter Mittvierziger, der wahrscheinlich früher mal als Entertainer in einer amerikanischen Vorabendshow gearbeitet hatte. Er stand unter der Leiter und erklärte mir, dass ebenfalls die sogenannte „Waffenrüstung des Paulus zur Debatte gestanden hätte. „Ergreifet den Harnisch Gottes ... den Panzer der Gerechtigkeit ... den Schild des Glaubens ... und noch dies und das". Ich schaute diese Stelle einige Tage später in meiner alten Schulbibel nach und zählte 88 Wörter oder 444 Buchstaben … da hätte ich aber mächtig zu tun gehabt. Da gefiel mir die enge Pforte doch schon wesentlich besser.

    Der Entertainer stellte sich dann als Bruder Dornstett vor. Wieso er sich jetzt „Bruder nannte, war mir nicht direkt klar. Ich hatte immer gedacht, Brüder und Schwestern gäbe es nur im Kloster. Aber nein: „Bruder - die Anrede war hier so selbstverständlich wie „Genosse" bei den Roten.

    Während ich vorsichtig mein „Gehet pinselte, fragte ich ihn nach der Gemeinde aus, nach diesem Haus, nach der Anzahl der Mitglieder, nach allem, was mir so einfiel. Es war ja doch beeindruckend, wenn man nur den normalen Kirchenbetrieb kannte. Dieses Autonome, dieses Bewusste … Hier war niemand ein Mitläufer oder eine Karteileiche. Bruder Dornstett gab mir bereitwillig Auskunft, und als ich mein „Gehet ein fertig hatte, war ich tief beeindruckt von der Vielzahl der christlichen Gemeinschaften, die neben den beiden großen Kirchen existierten.

    Als ich mit „durch begann, fragte mich Dornstett unvermittelt: „Ihre Wiedergeburt, liegt die schon länger zurück?

    „Meine Wiedergeburt?", fragte ich und überlegte, was er gemeint haben könnte.

    „Ja, Ihre Wiedergeburt, ich meine, Ihre Bekehrung, wann war die?"

    Ich konzentrierte mich mit meinem Pinsel auf den Bogen im „u" und überlegte, was ich antworten sollte. Wieso wollte er jetzt ein Datum meiner Wiedergeburt haben? Brauchte man so etwas?

    „Ich glaube schon länger an Gott", sagte ich nur und war mir selber nicht sicher, ob ich meinen eigenen Worten trauen konnte.

    Um das Gespräch wieder auf handfestere Dinge zu lenken, fragte ich: „Wie finanziert sich diese Gemeinde eigentlich?"

    „Wir geben den Zehnten", sagte Dornstett und griff nach der Leiter, um sie festzuhalten.

    Der Zehnte, was hatte das wieder zu bedeuten? Die Fachsprache der Freikirchler schien mir ebenso umfangreich wie die der Juristen und Mediziner. Vielleicht war ja Zahltag am 10. jeden Monats.

    „Welchen Zehnten?", fragte ich.

    „Die Bibel spricht davon, dass wir zehn Prozent unserer Güter dem Herrn geben sollen."

    Ich überflog im Kopf kurz mein Gehalt. Als ich zu Dornstett herabschaute, wurde mir schwindelig. „Das ist aber erheblich mehr als die Kirchensteuer", sagte ich.

    Dornstett wollte mich etwas beruhigen. Er umfasste die Leiter noch fester und sagte: „Alles ist ganz freiwillig, jeder gibt, wie es der Herr ihm aufs Herz legt." Da war ich ja froh, dass der Herr mir noch nichts aufs Herz gelegt hatte.

    Meinen Schriftzug hatte ich schließlich fertig gepinselt. Nun standen wir davor und begutachteten das gelungene Ergebnis. Ich spürte, dass so eine Gemeinde nicht irgendein Verein war. Trotz aller Skurrilitäten war ich neugierig geworden und wollte das hier weiter kennen lernen. Und auch durch eine enge Pforte wollte ich mich nicht abschrecken lassen.

    Wie vier Brüder in Einmütigkeit beisammen sind und Leonardo da Vinci zu einer Badehose kommt.

    Bild 75110 - Dieses Bild ist aus diesem Werk.

    Einige Wochen waren vergangen. Mit meiner Beziehung zur wunderbarsten Frau des gesamten Kosmos war auch meine Beziehung zu unserer Gemeinde gewachsen. Unsere Gemeinde, ja, so konnte man es sicher schon ausdrücken. Und Gott? Ich suchte ihn, zweifellos, und ich begann mit ihm zu reden. Dabei waren mir die Filme von Don Camillo und Peppone oft hilfreicher als so manche Predigt über das Gebet.

    Leider wollten sich die Antworten Jesu nicht so akustisch einstellen, wie das bei Don Camillo der Fall war. Vielleicht sollte ich auch ein lebensgroßes Kruzifix haben, mit dem ich reden könnte, nur im übertragenen Sinne natürlich. Ich wollte kein Stück Holz anbeten, aber Gott hätte sicher Verständnis für mein Bedürfnis nach Anschaulichkeit. In Ermangelung eines leibhaftig antwortenden Christus kamen mir immer öfter Dialoge in den Sinn, die ich mit dem Gekreuzigten führte.

    „Herr, begann ich eines Tages wieder, „wie soll ich dich in unserer Gemeinde finden? Die Gottesdienste sind lang, die Stühle hart und der Lobpreis ... Du weißt, ich möchte dich loben, aber sehr musikalisch bin ich nicht. Ich fühle mich dir manchmal näher, wenn ich einen langen Spaziergang mache, als in der Gemeinde.

    Und tatsächlich - Jesus antwortete mir. „Versuch nicht, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Ich freue mich über deine langen Spaziergänge mit mir, aber ich freue mich auch über die Gemeinde."

    „Ach Jesus, ich habe trotzdem ein Problem mit der Gemeinde. Gib mir doch ein paar Tipps, wie ich mich da verhalten soll."

    „Vielleicht brauchen sie dich einmal, Achim."

    Ich war fassungslos; mit so einer Antwort hatte ich nicht gerechnet. „Mich? Die sollen mich brauchen? Jesus, das kann nicht dein Ernst sein! Ich betrachte jeden Sonntag das Teppichmuster, und die scheinen direkt bei dir auf dem Schoß zu sitzen. Und dann schau dir einmal ihre Bibeln an. Von vorn bis hinten mit Leuchtmarkern durchgearbeitet. Und wenn der Prediger eine Bibelstelle nennt, machen die einen Wettbewerb daraus, wer sie als Erster aufgeschlagen hat. Und die sollen mich brauchen?"

    „Sei etwas nachsichtig mit ihnen, sagte Jesus, „du solltest bereits gemerkt haben, dass nicht alles, was bei ihnen heilig aussieht, auch heilig ist. Sie brauchen dich, gerade weil du anders bist, und wenn nicht heute, dann morgen ... oder übermorgen. Hab etwas mehr Geduld.

    An dieser Stelle schien die Leitung nach oben abgebrochen. Ich fragte mich, ob das jetzt ein Hinweis Gottes gewesen war, oder ob ich nur das, was ich ohnehin schon wusste, als Dialog neu formuliert hatte.

    Wenige Tage später sah es tatsächlich so aus, als würden sie mich brauchen. Nachdem ich die enge Pforte so sauber an die Wand gebracht hatte, war jemand vom Ältestenkreis (auch dieses Wort hatte ich inzwischen gelernt) an mich herangetreten. Die Gemeinde benötigte dringend einen Handzettel, ein Faltblatt, ein Traktat oder so was. Man wollte bei Straßeneinsätzen, Evangelisationen und Vortragsabenden endlich was Eigenes zum Verteilen haben. Und für mich als gelerntem Grafiker sei es doch sicher eine Freude, meine Begabungen in den Dienst des Herrn zu stellen. Ja, vielleicht hatte Jesus genau das gemeint.

    An den folgenden Tagen entwickelte sich in meinem Kopf eine Idee für das Faltblatt. Ich wollte den Glauben an seinem Ursprung darstellen. Die Grundfrage aller menschlichen Existenz sollte zum Ausdruck kommen. Jeder, der sich in diesem Leben auf der Sinnsuche befand, sollte angesprochen, ja in den Tiefen seiner Seele berührt werden. „Was ist Leben?", diese Frage allein sollte übergroß die Titelseite dominieren. In dieser Frage konzentrierte sich alles, was das ruhelose Herz des Menschen bewegte. Ich war begeistert. Aber es fehlte noch ein Bild, eine visuelle Darstellung dieses Satzes.

    Ich wurde fündig bei Leonardo da Vinci. Sein Bild „Proportionsstudie nach Vitruv, das heute die Chipkarten sämtlicher Krankenkassen ziert, war damals noch unverbraucht. Ein Kreis in einem Quadrat, in diesem geometrischen Gebilde ein Mensch, ein nackter Mann, die Arme und Beine ausgestreckt, als wollte er die Maße von Kreis und Quadrat abstecken. Dieses Bild passte genau zu meiner Frage „Was ist Leben?. Der Mensch in seiner radikal reduzierten Existenz, dargestellt wie ein geometrisches Studienobjekt, wie ein soeben konstruiertes Geschöpf. Adam auf dem Reißbrett Gottes, das war’s. Der Entwurf würde alle begeistern, bestimmt hatte keine Gemeinde der Welt eine Imagepräsentation von so existenzieller Tiefe.

    Am folgenden Sonntag nahm ich meinen Entwurf mit. Die Worte „Was ist Leben?" hatte ich typographisch geschickt um meinen Leonardo da Vinci angeordnet. Das Ganze steckte in einer ansprechenden Präsentationsmappe. Nach dem Gottesdienst setzten wir uns zusammen, drei Älteste und ich. Ich öffnete meine Mappe und wartete auf die begeisterte Reaktion. Mein Entwurf wurde hin- und hergereicht, alle drei rangen anscheinend nach den passenden Worten.

    „Mmhh, ja ...", meinte der erste Älteste.

    „Hast du das selber gemalt?", fragte der zweite.

    „Das ist von Leonardo da Vinci, sagte ich, „Ich denke, das passt genau zu ...

    „Ja, eigentlich ganz hübsch", unterbrach mich der dritte Älteste. Dann schwiegen sie alle drei und ließen das Bild auf sich wirken.

    „Wirklich, hübsch gemacht, vielleicht könnte man noch die eine oder andere Kleinigkeit ... diese Frage ‚Was ist Leben?‘, könnte man die eventuell noch austauschen?"

    Ich schluckte. „Natürlich, wir können über alles reden, dafür sind wir hier."

    „Könnte man nicht ‚Was ist Leben?‘ austauschen durch ‚Wir sind erlöst durch sein Blut von Golgatha‘?"

    Ich schluckte wieder und atmete tief durch.

    Der dritte Älteste tippte mit dem Finger auf das Bild. „Ich habe das schon mal gesehen auf dem Plakat von einer esoterischen Gruppe."

    Bei allen drei Ältesten entdeckte ich sorgenvolles Stirnrunzeln.

    „Nein, nein, es ist wirklich hübsch gemacht, sagte der erste Älteste wieder, „wir könnten es eigentlich fast so übernehmen, vielleicht nur ... ich meine ... dieser Mann da ... ich meine ... der ist ja nackt.

    Alle drei schauten auf die körperliche Mitte des Bildes.

    „Du hast dir bestimmt etwas dabei gedacht, fuhr er fort. „Ich finde es auch gut, ganz bestimmt. Könntest du dem Mann da nicht eine Hose anziehen?

    Der dritte Älteste nickte heftig mit dem Kopf und meinte: „Zumindest eine Badehose."

    Ich hielt die Luft an, während mir der zweite Älteste freundschaftlich auf die Schulter klopfte. „Ja, ich denke, wir werden einen schönen Handzettel machen. Ich freue mich, dass wir die Dinge so in Einmütigkeit sehen können."

    Wie auf Kommando standen bei diesem Schlusswort alle drei auf und drückten mir meine Mappe in die Hand.

    „Lieber Bruder, wir sind gespannt, wie du unsere Anregungen umsetzen wirst ... Wirklich, es ist hübsch gemacht."

    Dann verabschiedeten sie sich von mir, und ich konnte endlich wieder tief durchatmen.

    Meine erste spontane Erwiderung landete direkt bei Jesus. „Herr, das kann nicht wahr sein! Diese Ignoranten haben von der Aussage meines Entwurfs überhaupt nichts begriffen."

    „Das kann schon sein, antwortete Jesus, „aber bedenke, der Handzettel soll zu ihnen passen und nicht sie zu deinem Handzettel.

    „Und dann wollen diese Dilettanten auch noch, dass ich Leonardo da Vinci ins Handwerk pfusche. Eine Hose, ich fasse es nicht, eine Hose …"

    „Überfordere nicht ihr Glaubensbild, auch ich habe nackt am Kreuz gehangen, und trotzdem verhüllen sie mich auf ihren Kruzifixen schamhaft."

    Ich wagte einen letzten Einwand. „Meine Gedanken zu dem Entwurf, Herr, waren Sie denn nicht richtig?"

    „Sie waren ausgezeichnet. Doch alles zu seiner Zeit und am richtigen Ort." -

    Für mein Verhältnis zur Gemeinde war diese Begebenheit eine erste schwere Belastungsprobe. Und Jesu Nachsichtigkeit mit diesen Hinterwäldlern war mir unbegreiflich. Für mich gab es nur zwei Möglichkeiten, entweder die spinnen oder ich.

    Wie ich meine ersten Gehversuche mache und meine Ausdauer zum Liebesbeweis wird.

    Bild 75111 - Dieses Bild ist aus diesem Werk.

    Eigentlich war mir dieser ganze Laden von Anfang an suspekt vorgekommen. Und ich hätte viel vorsichtiger sein sollen. Ich hatte Judith in unserer Stammkneipe kennen gelernt. Konnte ich ahnen, dass sie mich gleich in ihre Gemeinde mitnehmen würde?

    Ein paar Wochen war das jetzt her. Da stand ich damals im Gemeindesaal, der Gottesdienst sollte in zehn Minuten beginnen, und lauter furchtbar nette Menschen kamen strahlend herein. Judith hatte mich nur für eine kurze Minute an dieser Stelle abgestellt und allein gelassen, als dieser große, braun gebrannte, gut aussehende Entertainer auf mich zukam und mir die Hand drückte wie einem alten Bekannten.

    „Sind Sie das erste Mal hier?", fragte er.

    Ich wusste nicht so recht, was ich antworten sollte. Warum war sie auch in diesem Gewühle verschwunden? Eigentlich hätte ich mit ihr viel lieber einen Spaziergang gemacht, wäre mit ihr essen gegangen, auf die Kirmes oder noch besser, wir hätten bei ihr oder bei mir ein bisschen gemütlich ...

    „Ich habe Sie hier noch nie gesehen", hakte der Entertainer nach.

    „Ich bin nur zu Gast hier, wissen Sie? Ich bin mitgenommen worden von ..." Sollte ich jetzt den Vornamen oder den Nachnamen nennen? Ich blickte mich suchend um. Wo blieb sie nur?

    „Wir sind alle nur zu Gast auf Erden, unser Vater im Himmel hält viele Wohnungen für uns bereit." Dabei strahlte er mich an, dass ich unverzüglich bereit war, ihm alles zu glauben, wenn er mich denn nur in Ruhe ließe. Endlich kam sie wieder. Sie hakte sich sofort bei mir unter.

    „Judith, wie schön dich zu sehen, jetzt strahlte er auch sie an. „Ich habe deinem netten Freund hier schon gesagt, dass ...

    „Achim ist zum ersten Mal hier, unterbrach sie ihn, „wir haben uns vor zwei Wochen kennen gelernt.

    „Wie schön, und wo habt ihr euch kennen gelernt?"

    „In der Kneipe", beeilte ich mich zu sagen und spürte instinktiv, dass ich einen besonderen Nerv getroffen hatte.

    „Der Herr schreibt auch auf krummen Linien gerade", kam als Antwort, immer noch strahlend, aber schon um eine Nuance eindringlicher. Zu meiner großen Erleichterung setzte ein Harmoniumspiel ein, das alle Umherstehenden zum Platznehmen auffordern sollte. Judith und ich zwängten uns in eine Reihe und setzten uns. Sie lächelte mich an.

    Ich sollte sie nach dem Gottesdienst fragen, ob wir noch ein wenig zu mir fahren könnten. Ich sollte es wenigstens versuchen. Doch erst einmal wurde gesungen. Es war der sogenannte Lobpreis, wie sie mir zuflüsterte.

    „Aha, Lobpreis, dachte ich, „genauso wie beim Münchner im Himmel, einer meiner Lieblingssatiren.

    Trotzdem bemühte ich mich nach Kräften, die Lieder mitzubrummen. Im Vergleich zum normalen Kirchengesangbuch hatten die Lieder tatsächlich etwas Schmissiges. Zwischendurch schielte ich mal zu Judith. Sie lächelte mich immer noch an, worauf ich auf der Himmelsleiter sofort eine Stufe raufrutschte und etwas lauter brummte.

    Doch dann fing vor mir der Erste an, kurz darauf eine Frau in der zweiten Reihe, und gleich schlossen sich ein paar andere an. Sie hoben die Hände und schauten mit geschlossenen Augen nach oben.

    „Aha, dachte ich, „eine besonders innige Art des Lobpreises.

    Da ich wild entschlossen war, alles, was zu Judiths Leben gehörte, kennen zu lernen, hob ich auch die Augen und versuchte, noch andächtiger zu brummen. Aber es hatte keinen Zweck. Die erhoffte Andacht wollte sich so natürlich nicht einstellen, stattdessen bemerkte ich ein elektrisches Lampenkabel an der Decke, das dringend ausgetauscht werden musste.

    Nach dem zehnten Lied hatte ich die ohnehin schwache innere Verbindung zu den anderen gänzlich verloren. Während um mich herum anscheinend jeder in Verzückung geraten war, beobachtete ich das Muster des gesprenkelten Teppichfußbodens. Ich hatte gerade begonnen, die Anzahl der Sprenkel pro Quadratmeter zu schätzen, als der Lobpreis zu Ende war und die Predigt begann. Inzwischen war mir klar, dass diese Gemeinde und dieser Gottesdienst nicht mit normalen Maßstäben zu messen war. So war ich auf alles gefasst, solange ich nur an ihrer Seite sein durfte. Ich ahnte ja nicht, auf welch harte Probe meine Liebe gestellt werden sollte. Der erste Satz des Predigers sollte bezeichnend sein für die nächsten 90 Minuten.

    „Liebe Geschwister, fing er an, „ich hoffe, ihr seid keine Uhr-Christen.

    Erstaunte Gesichter.

    „Ich meine die Uhr-Christen, die immer auf die Uhr schauen, wann die Predigt endlich zu Ende ist."

    Ich erwies mich in der Folge als glänzender Uhr-Christ. Nach einer halben Stunde dachte ich für mich, dass die Predigt eine runde Sache wäre, wenn der gute Mann da vorne den Spannungsbogen jetzt schließen würde und ein kräftiges „Amen" sprechen würde. Er erzählte irgendwas Prophetisches von Jesaja. Den Namen kannte ich wohl noch flüchtig aus dem Religionsunterricht, aber die Verknüpfung zum Weltuntergang war mir nicht so geläufig.

    Inzwischen lernte ich die Bestuhlung der Gemeinde schätzen: preiswerte Holzklappstühle in Leichtbauweise, hart im Gesäß, aber sensibel in der Standfestigkeit. Nun gut, es konnte ja nicht mehr lange dauern.

    Nach einer Stunde spürte ich auch beim Prediger erste Ermüdungserscheinungen. Er war jetzt bei irgendeinem anderen Propheten angekommen, dessen Namen ich nicht kannte. Aber die Art, wie er die Betonung seiner einzelnen Sätze auslaufen ließ und kleine Sprechpausen von bis zu fünf Sekunden machte, ließ mich bei jedem Satz hoffen, es könnte der letzte sein. Doch dann schlug er seine Bibel ein paar hundert Jahre vor, oder waren es ein paar tausend? Er erhob seine Stimme und begann, von der Verheißung des Abraham zu berichten. Ich drückte heimlich meine Stoppuhr und hielt noch weitere 24 Minuten an Judiths Seite aus, ein überaus großer Liebesbeweis, wie ich fand.

    Am folgenden Samstagabend war ich mit meinem alten Freund Manni unterwegs. Wir kannten uns seit der Schulzeit, und obwohl unser Kontakt sparsamer geworden war, machten wir doch noch gelegentlich unsere Kneipentour. Wir waren jetzt in der „Kaschemme" gelandet,

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