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Herr Mallorca fliegt: Roman
Herr Mallorca fliegt: Roman
Herr Mallorca fliegt: Roman
eBook138 Seiten1 Stunde

Herr Mallorca fliegt: Roman

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Über dieses E-Book

Henri DePalma, von Beruf Automechaniker, träumt davon, von der Kunst zu leben. Durch eines Glücksfall gelingt es ihm, seinen Traum zu verwirklichen. Doch nun prallen unterschiedliche soziale Codes aufeinander. Die Welt scheint sich gegen ihn zu verschwören. In tiefgründiger und heiterer Weise gelingt es dem Roman, von den Konflikten zu erzählen, die entstehen, wenn "ein Schuster nicht bei seinen Leisten" bleibt.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum14. Aug. 2016
ISBN9783738080841
Herr Mallorca fliegt: Roman

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    Buchvorschau

    Herr Mallorca fliegt - Leon Berg

    Leon Berg

    Herr Mallorca fliegt

    Roman

    Dieses ebook wurde erstellt bei

    Verlagslogo

    Inhaltsverzeichnis

    Titel

    Herr Mallorca fliegt

    Impressum neobooks

    Herr Mallorca fliegt

    Roman

    Die Rothaarige

    Die Steigleitung, die den Spülkasten der Toilette speiste, war eingefroren, und die Geizhälse von der Hausverwaltung hielten es für unnötig, Abhilfe zu schaffen. Henri DePalma musste beim Discounter Wasser kaufen, in den vierten Stock schleppen und hoffen, dass die Flaschen nicht genauso einfrören wie die Steigleitung. Der Frost klirrte schon seit Wochen, er erinnerte an die gute, alte Zeit vor der angeblichen Klimakatastrophe, als es noch heiße Sommer und eisige Winter gegeben hatte.

    Natürlich hätte Henri DePalma umziehen können – das heißt, genau das hätte er nicht können. Ihm fehlte die nötige Verdienstbescheinigung.

    Zum Glück lebte Henri DePalma in einer Millionenstadt, einer mit öffentlich zugänglichen Toiletten reich gesegneten Metropole. Vor den meisten wachten allerdings übel gelaunte Männer oder matronenhafte Frauen, die einen Euro kassieren wollten, obwohl es drinnen genauso stank wie in einer kostenlosen Bahnhofsunterführung. Es gab viele Möglichkeiten, außer Haus aufs Klo zu gehen und das französische Gletscherwasser vom Discounter für die Nacht aufzusparen.

    Eine schöne Toilette hatte zum Beispiel sein Hausarzt. Dort bollerte eine richtige Dampfheizung aus der Zeit, als noch niemand ans Energiesparen dachte. Das Eisen des Radiators strahlte wie eine elektrische Herdplatte und brachte die Wangen zum Glühen. Zwei Stunden Wartezimmer, und der Körper war wieder fit, um die Eiseskälte zu ertragen. Sich dort aufzuwärmen, war fast wie ein Kurzurlaub in der Karibik, olé.

    „Herr DePalma, waren Sie schon einmal bei uns?", fragte die junge Arzthelferin, die er noch nie hier gesehen hatte.

    „Klar, erst vor ein paar Tagen…"

    Das blasse Mädchen mit den schwarzen Augenhöhlen und dem silbernen Ring, der den Wulst ihrer Unterlippe durchbohrte, schaute in den Computer.

    „Sie können gleich durchgehen. Zimmer zwei, den Flur lang, dann rechts."

    „Ich weiß, wo Zimmer zwei ist."

    Schon zum zweiten Mal passierte es ihm, dass er wie ein Privatpatient sofort drankam. Seit sein Hausarzt Termine vergab und die Patienten zur Pünktlichkeit erzog, war es aus mit dem Aufwärmen in überheizten Räumen.

    Der Doktor drückte ihm mit einem Mundspatel auf die Zunge und leuchtete ihm in den Rachen, bis in die Tiefen des Schlunds hinunter. Es würgte ihn, pfui Teufel.

    „Das war's."

    „Schon?"

    Henri DePalma stand wieder auf der winterlichen Straße, das Rezept in der Hand, das er nicht einlösen würde. Durch die Schuhsohlen zog die Kälte in die Füße. Die Zehen schmerzten, seine Blase meldete sich zurück. Die wohlige Wärme in der Praxis hatte ihm nur einen kurzen Aufschub verschafft.

    Auf den vereisten Gehwegen musste er langsam tun, um nicht auszurutschen und sich den Fuß zu verstauchen oder gar zu brechen. Früher hatte die Stadt genug Salz gestreut, und gut war’s. Jetzt war der Umweltschutz ein willkommenes Argument, um Geld und Arbeit zu sparen und den Menschen die Kosten wintergeeigneter Schuhe aufzuhalsen.

    Die neue staatliche Gemäldesammlung ragte vor ihm auf, eine glatte, hellgraue Betonfassade mit schießschartenartigen, eckigen Thermofenstern. Henri DePalma liebte moderne Architektur. Im neunzehnten Jahrhundert hatten die Bauherren geglaubt, dass nur Gebäude, die der Akropolis ähnelten, genug hermachten, um Postämtern, Bahnhöfen, Regierungspräsidien und Museen eine Heimat zu geben. Diese Zeiten waren zum Glück vorbei. Henri DePalma schritt die flachen Stufen hinauf, trat durch eine Glasdrehtür wie bei Ikea und stand an der Kasse.

    „Ich müsste mal für kleine Mädchen."

    Die Aushilfe hinter der perforierten Glasklappe drehte sich nach ihrer erfahrenen Kollegin um.

    „Da ist einer, der sagt, er müsse mal aufs Klo."

    „Ist er ein Penner? Die Stimme kam aus Off, aus dem angrenzenden Büro. „Der Chef hat gesagt, dass sich Penner bei uns aufwärmen dürfen, solange es draußen so kalt ist.

    Die Kassenfrau schaute Henri DePalma an.

    „Sind Sie ein Penner?"

    „Ganz gewiss", sagte er geistesgegenwärtig.

    Sie betrachtete seine kurz geschnittenen Haare, das glattrasierte Kinn, sah das Logo auf dem Parka, der gewiss nicht aus einem Ein-Euro-Shop stammte. Sie erhob sich, taxierte die Hose, schaute an den Beinen hinab. Henri DePalma hoffte, dass die Sohlen keine Embleme der trendigen Schuhmarke auf den Marmorboden gestempelt hatten.

    „Meinetwegen."

    Henri DePalma betrat den beheizten Toilettenraum. Es roch nach frischen WC-Steinen, Glasreiniger, Handseife und beißendem Salmiak. Henri DePalma zielte auf die rosafarbene Hygienekugel im Pissbecken. Trotz der rund zweiminütigen körperwarmen Dauerdusche schmolz ihr Volumen kaum ab. Er zog den Reißverschluss am Hosenlatz hoch, wandte sich ab. Automatisch rauschte die Spülung. Im Vorraum wusch er sich mit heißem Wasser die Hände und das Gesicht. Er öffnete einen Spalt breit die Tür und spähte in die Eingangshalle hinaus. Die Aufseherin, die an den Museums-Tickets die Ecken abriss, war nirgends zu sehen. Eilig schlüpfte er durch den Einlass und stand nach wenigen schnellen Schritten im ersten gut beheizten Ausstellungssaal.

    Er folgte den Schildern, die zur Sonderausstellung wiesen, und gelangte in einen Raum, wo eine rothaarige Mittvierzigerin, ganz in schwarz, von Pipilotti Rist erzählte. Eine Gruppe älterer Herrschaften scharte sich um sie. Henri DePalma tat so, als gehöre er dazu. Es spielte ja keine Rolle, ob jemand zusätzlich zuhörte, Informationen waren keine Bouletten, von denen die anderen weniger bekamen, wenn einer mehr mitaß.

    Die Rothaarige sprach davon, dass die Videokünstlerin hundert Stunden Arbeit in eine Minute Film stecke, um die Menschen in einer Minute mit hundert Stunden zu beschenken. In rauschhaften, farbintensiven Bilderfluten erforsche sie das Verhältnis von Vernunft und Animalität.

    So einen Job wie die Rothaarige hätte Henri DePalma auch gerne gehabt, am liebsten mit stimmungsvollen Landschaften und Sonnenuntergängen, keine Kirchenbilder mit Heiligen und biblischen Szenen, auch wenn die gemalten Menschen irdisch nackt und erotisch daherkamen wie Michelangelo Buonarrotis Fresken in der Sixtinischen Kapelle. Ja, er kannte sich aus mit der Kunst. Er hatte sich immer dafür interessiert, auch wenn er als Beruf den Automechaniker hatte wählen müssen. Sein Papa war Automechaniker gewesen, sein Opa auch. Kein Fabrikant, Arzt oder Anwalt hatte es unter seinen Vorfahren gegeben, nur Automechaniker. Mit den Segnungen der deutschen Sozialdemokratie hätte er es vielleicht zum Auto-Ingenieur bringen können, aber Kolben, Blech und Ritzel hatten ihn nie interessiert.

    Er kannte sich in der Bildenden Kunst nicht nur aus, er liebte sie, hatte zu ihr kein instrumentell-professionelles sondern ein persönliches Verhältnis. In den Werken entdeckte er jedes Mal Neues. Nie wurden sie langweilig. Sie erzählten unendliche Geschichten von den ewigen Dingen, von Werten und Tugenden, von Unsitten, Verrat, von Tod, Liebe und Geburt. Sie stellten Fragen nach dem Woher und dem Wohin. Wie klares Wasser befreiten sie den Geist vom Unrat des Vergänglichen.

    Rückblickend erschien es ihm unbegreiflich, dass er seinen Genius an obenliegende Nockenwellen verschwendet hatte. Nichts täte er lieber, als die Tage zwischen den Werken berühmter Maler zu verbringen. Zwar gehörte das Öl auch zum Metier eines Automechanikers, aber leider nicht das Öl der Farben, sondern der schwarze Schmierstoff der Zylinder.

    Bei Pipilotti Rist ging es um Videokunst. An drei Wände des Raums wurde drei Mal der gleiche Film projiziert. Die Videos zeigten subjektive Kamerafahrten durch Tulpenfelder, sie nahmen die Perspektive krabbelnder Insekten ein. Riesige, bunte Blumenstängel wiegten im Wind. Groß und gefährlich wie Python-Schlangen krochen Regenwürmer durch das Dickicht. „Lungenflügel", hieß die Audio-Videoinstallation, sie dauerte eine Viertelstunde und ging dann wieder von vorne los.

    Henri DePalma drängte es weiter zu den anderen Exponaten. Als er sich von seinem Sitzkissen erhob, stand plötzlich die Frau von der Kasse neben ihn. Ein Mann begleitete sie.

    „Sehen Sie, Herr Direktor, das ist der Herr, der sich als Penner ausgegeben hat, nur um sich kostenlos in unsere Ausstellung einzuschmuggeln."

    Diese verdammte Petze, dachte Henri DePalma.

    Doch der Direktor war voller Wohlwollen, als er hörte, dass Henri DePalma kein Intellektueller war und sich trotzdem für Bildende Kunst interessierte.

    „Jemanden wie Sie brauchen wir für die nächste Ausstellung. Wir sind in unseren Elfenbeintürmen elitären Kunstverständnisses gefangen. So erreichen wir immer nur dieselben Leute, aber Kunst ist für alle da. Kunst bereichert das Leben, sie bildet den wohltuenden Kontrast zur käuflichen Ware."

    So redete der Direktor auf ihn ein. Er warf mit Namen und Fachbegriffen um sich, von denen Henri DePalma viele schon gehört hatte. Aber auch bei den Wörtern, die er nicht sofort verstand, nickte er verstehend. Seine Unkenntnis durfte ihm diese einmalige Chance nicht verbauen.

    „Können wir mit Ihnen rechnen?", fragte der Direktor.

    Dummerweise fiepte genau in diesem Moment der Wecker, unerbittlich. Die Sonne strahlte in grellem Licht durch die Fensterläden, warme Luft wehte herein. Henri DePalma öffnete die Augen und versetzte dem Wecker einen heftigen Schlag. Das Aufstehen war ihm zuwider. Lieber hätte er noch eine Weile die Süße des Traums ausgekostet, als sich in den Niederungen seines gewöhnlichen Daseins mit Alltäglichem herumzuschlagen, zum Beispiel mit einer gewissen Frau Moltke.

    Aber die Wirklichkeit kannte kein Pardon. Henri DePalma hatte den Wecker stellen müssen, weil ein Behördentermin auf ihn wartete. Die Vorderseite des Schreibens, das er bekommen hatte, klang nach freundlicher Einladung, die Rückseite nach feindlicher Vorladung. Hinten, im Kleingedruckten, stand alles über die drastischen Sanktionen, die ihm drohten, falls er auch heute, zum wiederholten Mal, nicht auftauchen sollte.

    Henri DePalma spielte mit dem Gedanken, seinen Hausarzt aufzusuchen und sich krankschreiben zu lassen wie letztes Mal. Damals hatte es geschneit, heute schien die Sonne. Es war ein wunderschöner Tag, der

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